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Auf den zweiten Blick

von

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Nicholas‘ Vergangenheit

Auf dem Parkplatz einer Sporthalle, zumindest besagten die Wegweiser das, parkten sie und gingen auf das Gebäude zu. Es war ziemlich groß, für eine Turnhalle. und nicht mit der, in der Luca immer Sport hatte, zu vergleichen. Dazu kam auch, dass die Turnhalle über eine große Tribüne verfügte, die zwar nicht sonderlich gut besucht war, aber einige Leute waren trotzdem hier. Sie saßen auf den Plätzen oder standen in den Gängen und unterhielten sich.

In der Mitte der Halle lagen mehrere Quadrate aus roten und blauen Matten, wobei die roten Matten eine Art Markierung zu sein schienen. Um die Matten herum standen viele Menschen, die meisten davon trugen seltsame weiße Anzüge mit Gürteln, wie es auch alle bei Nicholas‘ Karatetraining getan hatten. Luca fiel auf, dass nicht alle Gürtel die gleiche Farbe hatten, sondern rot und blau waren, hatte das etwas zu bedeuten? Wo war er hier überhaupt. Es schien eine Art Turnier zu sein, wahrscheinlich ein Karateturnier. Das beantwortete die Frage nach dem Wo, allerdings fragte er sich jetzt, warum er hier war.

Julian, der ihn auf einen von vier freien Plätzen in der ersten Reihe. „Na, wie findest du es?“, wollte er wissen.

Luca schaute sich um, noch immer nicht wissend, weswegen er hier war. „Wollten wir nicht zu Nicholas?“, fragte er nach einer Weile.

René, der ebenfalls neben ihm saß, lachte. „Sind wir doch.“ Er deutete auf eines der Quadrate aus Matten. „Dort hinten ist er.“

Der Blondhaarige sah in die Richtung, in die sein Klassenkamerad zeigte, und tatsächlich, dort hinten war Nicholas. Wie im Sportunterricht hatte er sein Haar zu einem Zopf gebunden. Er trug einen roten Gürtel und rote Schützer. Wie sie genau hießen, wusste Luca nicht, aber das war ihm auch egal. Nicholas kämpfte gerade gegen einen Mann, der etwas älter zu sein schien als er, welcher einen blauen Gürtel und blaue Schützer trug. Es sah ziemlich brutal aus, was die beiden auf den Matten taten. Einmal kniff der Blondhaarige sogar die Augen zusammen, weil er nicht länger hinsehen konnte. Dann hörten sie auf einmal auf.

„Nicholas hat gewonnen“, erklärte René.

Luca nickte nur. So ganz gefiel ihm nicht, was hier vor sich ging, aber er bemühte sich, es sich nicht anmerken zu lassen. Er wusste, dass Nicholas seit Jahren Kampfsport betrieb und bis jetzt war er nicht einmal verletzt in die Schule gekommen, wenn man den einen oder anderen blauen Fleck mal außen vor ließ, aber selbst die waren eher selten. So gefährlich konnte es also nicht sein.

„Dachte ich mir doch, dass ich eure Gesichter kenne“, erklang eine belustigte Stimme hinter ihnen.

Als Luca sich umdrehte, erkannte er Andy, der gemeinsam mit Nicholas Karate machte.

„Hallo“, grüßte Andy die Gruppe, ehe er sich grinsend an Luca wandte. „Du hast eben Nicholas beobachtet. Er ist richtig gut, oder? Ich bin leider schon ausgeschieden…“

Luca wusste nicht, was er darauf antworten sollte, deswegen nickte er nur.

Andy lachte. „Das muss er auch sein, immerhin hat er seit kurzem den dritten Dan.“

Obwohl Luca nicht wusste, was genau ein Dan war, konnte er sich denken, dass es sich dabei um eine Art Rang handelte. Andys Aussage zufolge war es sogar ein relativ hoher Rang.

Nicholas schien sie ebenfalls erblickt zu haben, denn er kam zielstrebig auf sie zugelaufen. „Was macht ihr denn hier?“, begrüßte er Benni, Julian und René, ehe sein Blick auf Luca fiel. Kurz musterte er den Blondhaarigen, ehe er sich wieder an die anderen drei wandte und sie begrüßte.

Irgendwie kam Luca sich unerwünscht vor, wenn er auch nicht gleich verstand, warum. Er hatte mehrfach nach der Schule noch etwas mit den anderen unternommen, ohne, dass Nicholas so abwesend zu ihm gewesen war. Wenigstens begrüßen hätte er ihn können, aber nicht einmal das tat der Schwarzhaarige. Luca schien wirklich unerwünscht zu sein, dabei war es doch Nicholas gewesen, der ihn in die Gruppe integriert hatte. Jedoch waren es immer die anderen, die Luca eingeladen hatten, nach der Schule oder in einer Freistunde etwas Zeit mit ihnen zu verbringen.

Er erhob sich und lief langsam in Richtung Ausgang. Er musste jetzt allein sein. Nicholas‘ abwesendes Verhalten hatte ihn mehr verletzt, als er zugeben wollte. Wieder einmal bestätigte sich sein Verdacht, dass sein Banknachbar ihm nur aus Mitleid geholfen hatte. Jetzt, wo es Luca scheinbar besser ging, interessierte er ihn nicht mehr. Doch warum ging Luca dieses Verhalten so nahe? Klar, er mochte Nicholas, aber trotzdem sollte es nicht so weh tun!

Auf dem Parkplatz ließ er sich in einer abgelegenen Ecke auf den Boden sinken. Er hätte nicht mitkommen dürfen. Nicholas fühlte sich jetzt wahrscheinlich von ihm genervt. Leise schluchzend vergrub er das Gesicht in seinen Händen.
 

„Hier bist du“, ertönte plötzlich Renés Stimme direkt vor ihm.

Erschrocken fuhr Luca zusammen, ehe er sich schnell mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht wischte und aufsah.

„Ich habe dich schon überall gesucht. Du kannst doch nicht einfach so verschwinden!“

Luca senkte seinen Blick. Er wollte nicht zurück.

René ließ sich neben ihm auf den Boden fallen. „Nicholas kann manchmal ein richtiger Arsch sein“, schimpfte er. Dann fuhr er ruhiger fort. „Du magst ihn, oder?“

Es abzustreiten war sinnlos, weswegen Luca zögerlich nickte.

„Das dachte ich mir“, meinte René, „Deshalb werde ich dir jetzt etwas erzählen. du musst mir aber versprechen, dass du es für dich behältst. Versprichst du das?“

Wieder nickte Luca. Er wusste zwar nicht, worum es ging, war allerdings neugierig geworden.

René sah sich um, wohl, um zu überprüfen, ob sie wirklich allein waren ehe er begann: „Es geht um Nicholas. Er war nicht immer so, wie er jetzt ist, weißt du? Früher war er anders: freundlicher, offener. Er hatte viele Freunde. Vor vier Jahren starb seine Mutter. Damals brach eine Welt für ihn zusammen. Du musst wissen, sein Vater arbeitete schon damals sehr viel und hatte kaum Zeit für ihn. Seine Mutter dagegen war Hausfrau. Was genau passiert ist, weiß ich nicht. Es war Anfang der Sommerferien. Ich habe meine Tante in Amerika besucht und erst bei meiner Rückkehr Wochen später davon erfahren. Nicholas hatte in der Zwischenzeit den Kontakt zu seinen Freunden abgebrochen. Später erfuhr ich, dass sie nur wegen des Geldes mit ihm befreundet waren. Karl verdient sehr gut und Nicholas trug früher immer Markenklamotten. Aber nach einem Streit mit seinen damaligen Freunden, hat er sie alle weggeworfen und sich ‚normale‘ Kleidung gekauft. Er hatte sich neue Freunde gesucht. Sie waren drei Jahre älter wie er. Eine Weile passierte nichts und ich hatte schon gehofft, dass Nicholas über den Tod seiner Mutter hinweg war, doch er wurde immer zurückgezogener. Als er dann auch noch feststellte, dass er mit Mädchen nichts anfangen konnte, war es auch mit dieser Freundschaft vorbei. Drei seiner damaligen Freunde zogen ihn damit auf, beleidigten ihn seiner Sexualität wegen. Immer, wenn sie ihn sahen, beschimpften sie ihn als Schwuchtel oder ähnliches. Irgendwann war es Nicholas zu viel. Er rastete aus und prügelte sich mit den dreien. Wie genau es dazu kam, weiß ich nicht. Ich bin erst dazugestoßen, als die Prügelei schon voll im Gange gewesen ist. Er schlug alle drei krankenhausreif und selbst dann hörte er nicht auf. Es musste die Polizei gerufen werden, die ihn von den dreien trennte und mit aufs Revier nahm. Das war auch der Zeitpunkt, an dem Karl bemerkte, dass etwas mit Nicholas nicht stimmte. Weißt du, nach dem Tod seiner Frau hat er sich in die Arbeit gestürzt. Er macht sich heute noch Vorwürfe, weil er damals nicht für Nicholas dagewesen ist. Jedenfalls musste Nicholas Zivilstunden leisten und kam in psychologische Behandlung. Er ist zwar inzwischen über den Tod seiner Mutter hinweg und kommt mit Karls neuer Ehefrau gut aus, aber sein Charakter hat stark darunter gelitten.“

Fassungslos starrte Luca seinen Klassenkameraden an. Dass Nicholas so eine Vergangenheit hatte, hatte er nicht gewusst. Ihm fiel der Streit in Thomas‘ Gang wieder ein. „Jan hat so etwas ähnliches gesagt“, murmelte er.

„Er war damals dabei“, erklärte René, „bei der Prügelei und vorher war er einer von Nicholas‘ Freunden gewesen.“ Dann lächelte er. „Ich persönlich denke, dass Nicholas immer noch Angst hat, andere an sich heranzulassen und sie deshalb von sich stößt. Deshalb nimm sein Verhalten nicht so hart. Ich bin mir sicher, er hat es nicht so gemeint. Vielleicht hat er nicht einmal bemerkt, dass er dich verletzt hat.“

Rene erhob sich und reichte Luca die Hand. „Und jetzt lass uns zurück zu den anderen gehen, bevor sie noch eine Vermisstenanzeige aufgeben. Wenn du willst, kann ich auch noch einmal mit Nicholas reden, damit er zukünftig besser auf sein Verhalten achtet.“

Dankbar nahm Luca die Hand an. „Das ist nett von dir, aber nicht nötig. Ich komme schon klar.“

„Wenn du meinst…“

Zusammen gingen sie zurück in die Sporthalle.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  tenshi_90
2014-01-15T04:55:24+00:00 15.01.2014 05:55
Es ist interessant zu wissen, welche Vergangenheit Nicholas hat. Das erklärt auch sein Verhalten.

Ich denke, Rene wird das schon iwie hinbiegen, dass sich die beiden besser verstehen werden ^^
Antwort von:  Seira-sempai
15.01.2014 16:54
Ja, Nicholas hatte in der Vergangenheit einige Probleme. Da ist er dber drüberweg. Nur sein Verhalten hat darunter gelitten.
Es ist nur fraglich, inwiefern Nicholas auf René hören wird...
Von:  chrono87
2014-01-14T18:55:53+00:00 14.01.2014 19:55
Ich muss sagen, ich war auch verwirrt. Ich dachte es geht nach Nicholas nach Hause. Nun ja, ein Turnier ist auch was feines, vor allem wenn es erlaubt ist sich zu prügeln. Die Erzählung Rene's ist wirklich faszinierend und traurig zu gleich. Ich glaube, der Tod eines geliebten Menschen verändert die Anderen immer ein bisschen. Daher kann ich Nicholas verstehen, vor allem wenn er niemanden hatte, mit dem er reden konnte oder besser der ihm über den Verlust hinweg helfen konnte. Zumindest erklärt das so einiges am Verhalten von Nicholas und auch den zwischenfall mit den älteren Jungs, die er ins Krankenhaus gebracht hat.
Ich bin gespannt, wie es weiter geht. Wird sich Luca anders verhalten, wo er nun die Umstände kennt?
Antwort von:  Seira-sempai
14.01.2014 22:56
Nun ja, Luca wird sich kaum etwas anmerken lassen. Er will schließlich nicht, dass Nicholas ihn nicht mehr mag.
Diese Kapitel dient aber auch der Erklärung, warum Nicholas in bestimmten situationen so seltsam gehandelt hat. Jetzt kann Luca ihn besser verstehen. Auch das Verhalten von Nicholas' Vater erklärt es: Er hat nämlich immer noch ein Schlechtes Gewissen und meint, seinen Sohn im Stich gelassen zu haben. Deshalb tut er auch so gut wie alles, worum Nicholas ihn bittet. :-)


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