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Auf den zweiten Blick

von

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Jochens Wutausbrüche

Luca begann, sich so oft es ging in Nicholas' Nähe aufzuhalten. Denn dort war das Mobbing am wenigsten. Solange Nicholas in der Nähe war, traute sich keiner, ihm etwas zu tun. Lediglich das Getuschel seiner Mitschüler musste er über sich ergehen lassen. Frau Schiller war am Freitag wieder zum Unterricht erschienen. Allerdings trug sie diesmal eine dunkelblaue Bluse. Außerdem machte sie einen großem Bogen um Nicholas. Auch Luca sprach sie nur an, wenn es zwingend notwendig war. Sie hatte eindeutig Angst vor Nicholas, aber das konnte ihr keiner verdenken. Wenn Luca ehrlich war, fand er es mutig, dass sie zurückgekommen war, aber trotzdem mochte er sie nicht.

Von dem Geld, dass Nicholas Thomas' Gang abgenommen hatte, hatte Luca sich neue Schulbücher und Hefter gekauft. Auch sein Handy hatte er reparieren lassen. Es war glücklicherweise reparierbar gewesen. Den Rest des Geldes, es war noch ziemlich viel übrig, versteckte er in seiner Matratze. Vielleicht würde er es später mal brauchen.

Es war Samstag. Eigentlich hatte Luca vorgehabt, auszuschlafen, wurde aber von Jochen daran gehindert. Der Mann war früh halb Sechs von einem Saufgelange mit seinen Kollegen gekommen. Anstatt wie sonst immer schlafen zu gehen, war er durch den Flur bis vor Lucas Zimmer gestürmt und hatte die Tür aufgerissen. Er schaltete das Licht ein, welches Luca blendete, doch das war im Moment das geringste seiner Probleme. Die Hände in die Hüfte gestemmt, stand er vor Luca.

Der Blonde war, als die Tür aufgerissen wurde, auf einen Schlag wach gewesen. Er bereute schon jetzt, sie nicht abgeschlossen zu haben. Wie hatte er das nur vergessen können?

„Ich mach dich fertig, du Missgeburt!", brüllte Jochen.

Luca erstarrte. So wütend hatte er seinen Stiefvater schon lange nicht mehr erlebt. Er wusste schon jetzt, dass er für den Rest des Wochenendes das Bett wohl nicht mehr würde verlassen können.

„Hast du auch nur den Hauch einer Ahnung, was du angestellt hast?", tobte der Mann weiter.

Zögernd schüttelte Luca den Kopf. Er wusste es nicht. Ihm fiel nichts ein, was passiert sein könnte, dass Jochen so wütend war. Er war sich sicher, nichts getan zu haben, womit er das verdiente.

„Vielleicht hilft dir ja das auf die Sprünge!" Jochen zog einen zerknüllten Zettel aus seiner Hosentasche, den er auseinanderfaltete und Luca vor die Nase hielt.

Der Sechzehnjährige erkennte es sofort. Es war das, das Thomas Mittwoch in der Dusche geschossen hatte. Doch wie war sein Stiefvater an es herangekommen?

„Das", fuhr Jochen immer noch gereizt fort, „war unter den Scheibenwischer des Autos meines Kollegen geklemmt!"

Luca schluckte. Jochens Kollegen hatten es gesehen. Das war schlecht, sehr schlecht.

„Stell dir vor, ich komme da ganz ahnungslos aus meiner Stammkneipe und finde meine Kollegen, wie sie sich gerade über ein Foto lustig machen, ein Foto von dir."

Er packte Luca am Kragen, zerrte ihn aus dem Bett und warf ihn auf den Boden. Luca wehrte sich nicht. Er brauchte seine Arme, um sein Gesicht zu schützen, als Jochen begann, auf ihn einzutreten.

„Du widerliches, undankbares Miststück", rief der Mann zwischen seinen Tritten.

Inzwischen war auch Lucas Mutter durch den Lärm wach geworden. Tatenlos stand sie in der Tür und beobachtete, mal wieder, wie ihr Mann ihren Sohn verprügelte.

In Lucas Augen bildeten sich Tränen und er konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken.

„Heul hier nicht rum!", bellte Jochen, „Das hast du dir alleine eingebrockt!"

Luca schloss seine Augen. Er wollte nichts mehr sehen. Er wollte nicht sehen, wie seine Mutter ihn wieder enttäuscht ansah, ihm wieder die Schuld für alles gab. Er hatte längst aufgegeben, sich zu fragen, warum sie nicht sah, was hier passierte, ob sie wirklich so blind war. Sie sah es einfach nicht. Es gab keine Erklärung dafür.

Er stellte sich bewusstlos, in der Hoffnung, dass die Tritte dann aufhören würden, was sie nach einer Weile auch taten. Jochen trat ihm noch einmal kräftig in den Bauch, dann ließ er ihn auf den Boden liegen und verschwand aus dem Zimmer, aber nicht, ohne die Tür von außen abzusperren.

Luca blinzelte und sah auf die geschlossene Tür. Er wusste, was das bedeutete. Er würde das gesamte Wochenende hier verbringen, ohne das Zimmer verlassen zu können. Mit etwas Glück schloss Jochen Montag Morgen wieder auf. Wenn er Pech hatte, musste er aus dem Fenster klettern.

Sein Zimmer lag im ersten Stock, er würde einen Sprung vom Fensterstock also ohne größere Verletzungen überstehen, trotzdem würde es schmerzhaft werden, mit seinen Verletzungen.

Mühsam quälte er sich in sein Bett, wo er sich erschöpft fallen ließ und die Augen schloss. Er wusste, er durfte jetzt nicht schlafen. Falls er eine Gehirnerschütterung hatte, könnte es sonst sein, dass er nicht wieder aufwachte. Aber es war ihm egal. Alles war ihm egal. Er wollte nicht mehr. Er wollte dieses Leben nicht länger leben. Er wollte endlich weg von hier. Ihm war egal, wohin, überall war es besser als hier.

Lucas Gedanken schweiften zu seinem Vater, nicht Jochen, seinem leiblichen Vater, von dem er nichts wusste. Weder wie er aussah, noch seinen Namen, noch irgendetwas anderes. Im ganzen Haus gab es nicht ein einziges Foto von einem Mann anderen Mann als Jochen. Nichts deutete darauf hin, dass Sonja vor Jochen etwas mit einem anderen gehabt hatte. Nichts, außer Luca. Immer, wenn er seine Mutter nach ihm fragte, antwortete sie ihm, sein Vater wolle nichts von ihm wissen. Stimmte das? Oder hatte Sonja ihn nur erfolgreich aus seinem Leben verdrängt, weil sie mit Jochen perfekte Familie spielen wollte? Manchmal wünschte sich Luca, sein Vater würde hier auftauchen und ihn aus dieser Hölle befreien. Doch bis jetzt hatte sein Vater sich noch nie bei ihm gemeldet. Nicht einmal eine Karte zu Weihnachten oder zu seinem Geburtstag hatte er geschrieben. Wusste sein Vater überhaupt, dass es ihn gab? Vielleicht hatte seine Mutter ihm ja auch verschwiegen, dass sie schwanger war.

Luca wischte sich mit dem Handrücken das Blut aus dem Gesicht. Er hatte eine Platzwunde an der Stirn und Nasenbluten schien er ebenfalls zu haben. Sein gesamter Körper schmerzte, auch wenn er ihn nicht bewegte. Selbst atmen tat weh. Aber gebrochen hatte er sich wohl nichts, zu glück. Sonst hätte er zu einem Arzt gemusst und Jochen hätte ihn nie und nimmer gehen lassen.

Luca wusste, er musste etwas tun. Irgendwann würde Jochen ihn in seiner Wut totschlagen. Doch er wusste nicht, was er tun sollte. Er konnte hier nicht weg, nicht einmal für ein paar Tage. Es gab keinen, der ihn bei sich aufnehmen konnte. Außer seiner Mutter hatte er keine lebenden Verwandten mehr. Wie es auf der Seite seines Vaters aussah, wusste er nicht.

Wenigstens war es in der Schule etwas ruhiger geworden, dank Nicholas. Luca verstand noch immer nicht, warum der Schwarzhaarige ihm geholfen hatte, aber er war ihm dankbar.

Er holte sich die Schachtel Aspirin aus seiner Matratze und nahm zwei der Tabletten. Zum Glück hatte er gestern nach der Schule die Flasche nachgefüllt, sonst hätte er für den Rest des Wochenendes nichts mehr zu trinken bekommen. Eines der Pausenbrote war ebenfalls noch übrig. Besser, er teilte es sich ein. Er starrte an die Zimmerdecke und wartete, bis die Schmerzen aufhörten, dann schloss er die Augen und schlief ein.

Als er wieder aufwachte, war es mitten in der Nacht. Er hatte den ganzen Tag geschlafen. Außerdem schienen die Schmerztabletten nachgelassen zu haben, ihm tat wieder alles weh. Er nahm noch eine, ehe er den Rest wieder versteckte. Dann begann er, seine Schulsachen zu packen. Hausaufgaben hatte er keine auf, aber er wäre wohl auch nicht in der Lage gewesen, sie vernünftig zu machen. Zum Schluss steckte er noch ein Zwei-Euro-Stück in die Tasche der Hose, die er am Montan tragen würde, damit er sich wieder ein Brötchen kaufen konnte. Als er damit fertig war, kletterte er wieder ins Bett, stellte den Wecker und zog sich die Decke bis ans Kinn. Wenn es doch nur endlich Montag wäre. Er wollte Nicholas wiedersehen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  DivaLila
2013-12-11T19:53:58+00:00 11.12.2013 20:53
Sorry für meine Abwesenheit die letzten Tage, ich hatte zu viele Dinge im Kopf, um noch die Nerven für einen Kommi aufbringen zu können...
auf jeden Fall mag ich deine Geschichte noch immer.
Während des Lesens hab ich mich gefragt, ob Jochens Kollege den Zettel mit dem Bild drauf hatte, weil Thomas und die anderen die grossflächig in der Stadt verteilt haben oder ob es tatsächlich Absicht war, es einem Kollegen von Jochen unterzujubeln.
Ich weiss nicht, welche Variante ich als schlimmer empfinde...
Die Antwort darauf hast du ja schon vorgegriffen...
Was ich krass finde, ist dass nicht nur Jochen ein absolutes Arschloch ist, sondern dass seine Kollegen genauso sind. Ich frage mich, was Jochen rumerzählen muss, weil sie würden wohl kaum so schlecht über Luca reden, wenn Jochen gegen aussen hin den liebenden Vater spielen würde...
ausserdem frage ich mich, was genau er für Vorstellungen hat, wie das Bild entstanden ist und was er da reininterpretiert...
Sehr gefällt mir die Nüchternheit, mit der Luca seine Situation betrachtet, nachdem er verprügelt wurde. Er beeindruckt und erschreckt mich damit gleichzeitig.

Beim Lesen sind mir folgene Fehler aufgefallen (wenn du sie lieber per ENS willst, sags einfach)
Weder wie er aussah, noch seinen Naben --> Narben
Im ganzen Haus gab es nicht ein einziges Foto von einem Mann als Jochen --> von einem anderen Mann
schloss Jochen Montan Morgen --> Montag

Joah, dann freu ich mich mal auf das morgige Kapitel :3
Bis bald^^
Antwort von:  Seira-sempai
12.12.2013 00:25
Hey
Danke, die Fehler sind ausgebessert. Allerdings meinte ich Namen, anstatt Narben. :-)
Wie es das Bild zu Jochen geschafft hat, kommt noch, keine Sorge. Auch wenn es nicht sonderlich spektakulär war.
Jochen und seine Kollegen bekommen noch einen Auftritt. Aber ich verrate schon einmal im Vorraus, dass sie nicht wissen, was Jochen mit Luca macht. Jochen erzählt seit Jahren Lügen, denen zufolge Luca ein Raudi und ein Schläger ist. Also werden die Kollegen sich nicht viel bei so einem Foto denken --> Hat der Schläger sich halt mal mit den falschen Personen angelegt.
Ja, Luca kann mit seiner Art schon manchmal ein kleines Bisschen erschreckend sein. Er ist eben resigniert. Aber das bessert sich, weil es jetzt ja Nicholas gibt.
Bis zum nächsten Kapi
Seira
Antwort von:  DivaLila
12.12.2013 00:28
hahahahah XD
ja, eigentlich logisch, dass du nicht Narben gemeint hast XD
keine Ahnung, was ich mir da gedacht habe :D
der Satz würde ja superseltsam klingen
eben, ich finde es wundervoll, wie du Lucas Resignation rüberbringst ^^
Antwort von:  Seira-sempai
12.12.2013 02:52
Ich fands lustig.
Würde dem ganzen Satz eine neue Bedeutung geben :-)
Von:  chrono87
2013-12-11T18:01:45+00:00 11.12.2013 19:01
Schade und ich dachte sie hätten eine weitere Lehrkraft verloren. Na ja, so kann man sich irren.
Oh, Thomas Gang geht ziemlich weit. Möchte mal wissen woher der wusste, wer die Kollegen von Jochen sind, immerhin kommt das Bild nicht von alleine da hin. Mir kommt es fast so vor als wenn Thomas ahnen oder wissen würde, wie Jochen mit Luca umgeht. Ich kann mir nämlich keinen anderen Grund erklären, warum er und seine Freunde so weit gehen würden und dieses Bild dort zurücklassen.
Man, Jochen ist wirklich ein Arsch und Sonja... Ja, von der wollen wir ja gar nicht erst reden. Kein wunder dass Luca so ist wie er ist. Klar, es hätte ihn ebenfalls in einen Schläger verwandeln können - kommt ja häufig vor....
Wenn Jochen nicht aufpasst, dann steht irgendwann die Polizei vor der Tür, wenn Luca weiterhin so unregelmäßig zur Schule geht. Er ist, wenn mich nicht alles täuscht, noch immer schulpflichtig und aus Erfahrung weiß ich, dass Schulschwänzer von der Polizei abgeholt und zur Schule gebracht werden, wenn sie zu oft und in regelmäßigen Abständen fehlen.
Antwort von:  Seira-sempai
11.12.2013 19:11
Überleg mal, Thomas und Leonie sind mindestens seit der fünften, vielleicht auch schon seit der Grundschule mit Luca in einer Klasse. Meinst du nicht, sie wissen da ein paar Kleinigkeiten über ihn? Wie viel sie wissen, erfährst du im Laufe der nächsten Kapitel.
Die Polizei kommt noch, aber noch ist sie nicht auf ihn aufmerksam geworden. So oft hat Luca nicht geschwänzt. Außerdem geht er jetzt wieder regelmäßig zur Schule. Also kein Grund, auf ihn aufmerksam zu werden. Aber das werden sie schon noch, keine Sorge.
irgendwann...


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