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Für wen lächelt sie

von

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2.Kapitel

„Bitte, Ivan! Ich will wieder nach Hause.“ Trotz des dicken Wintermantels fror Natalja und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass Ivan sie in den Arm nahm.

Früher hatte er das oft getan. Heute jedoch sah er sie nicht einmal an, sondern studierte irgendeine Karte.

„Vanja“, beschwerte Natalja sich. „Litauen ist ein dummer, langweiliger Schwächling. Ich will in meine Heimat zurück! Oder wir heiraten und werden die Weißrussisch-Russische Sozialistische Sowjetrepublik!“

„Geh zurück zu Toris, Natalja!“, sagte Ivan lediglich und sie verzog das Gesicht.

Sie hatte sich in den frühen Morgenstunden aus dem Haus geschlichen, um wieder in ihr Land zu reisen. Sie konnte spüren, in welche Bereiche, die Russen eindrangen und in welche die Polen. Es war nicht allzu schwer gewesen, Ivan zu finden.

Natalja hatte selten so eine Erleichterung empfunden, wie in dem Moment als sie ihn auf dem Platz hatte stehen sehen. Die Nacht hatte sie in Toris’ Bett geschlafen –während er selbst im Wohnzimmer übernachtet hatte-, aber es hatte schier ewig gedauert, bis sie eingeschlafen war. Ihre Gedanken waren gerast. Sie hatte ihre Tasche nicht ausgepackt, vielleicht als eine Art trotzige Geste. Als wollte sie beweisen, dass das nicht ihr neues Zuhause war.

Da wo Ivan war, war ihr Zuhause, so war es schon immer gewesen. Nie hatte sie diesen Gedanken hinterfragt.

Kaum hatte sie ihn gesehen, hatte sie alles andere vergessen. Als sie jedoch zu ihm gelaufen war, hatte er alles andere als erfreut ausgesehen, und das hatte ihr weh getan.

Und alles was er ihr jetzt sagte war „Geh zurück zu Toris!“ Natalja hätte weinen können.

„Du eroberst doch jetzt schon Gebiete von mir“, sagte sie. So leicht gab sie nicht auf! „Warum können wir dann nicht heiraten?“

Endlich sah er sie an. „Warum sagst du, ich erobere Gebiete von dir? Das klingt ja, als würde ich dir wehtun. Sestritschka, diese Gebiete gehören dir genauso sehr wie mir. Ich schlage lediglich ein paar Rebellionen nieder.“

Natalja verdrängte die Tatsache, dass ihr seine Worte nicht gefielen. „Warum heiratest du mich dann nicht?“, jammerte sie. „Ich liebe dich! Und ich weiß, dass du mich lieben würdest. Ich würde dafür sorgen, dass du mich liebst!“

Einen Moment lang betrachtete Ivan sie mit einer Mischung aus Furcht und Ekel, dann lächelte er wieder auf eine geradezu kindliche Weise.

„Du bist meine Schwester“, sagte er. „Deswegen werden wir nie heiraten und deswegen werde ich dich nie so lieben, wie du es dir wünscht. Das habe ich dir schon oft gesagt und ich habe keine Lust mich andauernd zu wiederholen. Natalja will nicht, dass Ivan ungeduldig mit ihr ist, da?“

Natalja schluckte. „Natürlich nicht.“ Ihre Finger schmerzten immer noch leicht, wenn sie sie bewegte. „Aber wir könnten es doch wenigstens...“ „Runter!“, donnerte Ivan und schleuderte sie kurzerhand zu Boden. Natalja blieb gar keine Zeit, sich zu wundern, was los war, da setzte der Kugelregen auch schon ein.

Sie blieb im Schnee liegen, die Hände schützend vor dem Kopf, während sie die Geschosse hörte, die um sie herum einschlugen. Natalja spürte Tränen, die in ihren Augen brannten, schmeckte Schnee als ihre Lippen stumme Gebete formten. Ivan hatte es ihr verboten, aber in ihrer Angst scherte sie sich nicht mehr darum. Wenn sie nur nicht getroffen wurde!

„Natalja!“ Sie wagte es kaum, den Kopf anzuheben, als sie aufsah. Ivan hatte sich hinter einem großen, steinernen Brunnen in Sicherheit gebracht und bedeutete ihr nun mit hektischen Handbewegungen zu ihm zu kommen. Immer noch ließ der Kugelhagel nicht nach.

„Ich kann nicht“, wimmerte Natalja. Sie war sich sicher, wenn sie sich auch nur ein bisschen bewegte, würden die Kugeln sie zerfetzen.

Ivan schloss kurz die Augen und atmete tief durch, dann rannte er geduckt zu ihr hin und warf sie sich kurzerhand über die Schulter. Natalja kniff die Augen zusammen, bis er sie hinter dem Brunnen wieder absetzte.

„Alles in Ordnung?“, fragte er laut, um die Schüsse zu übertönen. Natalja konnte nur den Kopf schütteln.

Wie durch ein Wunder hatte sie nichts abbekommen. Vielleicht hatte ihr Gebet sie ja tatsächlich beschützt. Jedoch zitterte sie immer noch vor Schreck und das verstärkte sich, als sie sah, dass Ivans Uniform an der Schulter rot durchtränkt war.

„Du bist getroffen“, flüsterte sie betroffen und begann zu schluchzen. „Das ist meine Schuld. Ivan, es tut mir so leid!“

„Es ist nicht so schlimm“, murmelte er und brachte sein eigenes Gewehr in Position.

Natalja schlug sich die Hände vors Gesicht. Sie kam sich entsetzlich nutzlos vor. Warum hatte sie kein Gewehr mitgenommen?!

Sie hörte wie Ivan sein Gewehr nachlud und leise vor sich hinfluchte. „Die verdammten Kapitalisten müssen Polen mit Maschinengewehren ausgestattet haben. Wenn ich wenigstens wüsste, von wo aus er schießt.“

„Ich will nicht, dass Polen mir meine Gebiete nimmt!“, wimmerte Natalja. „Nicht so wie er sie sestra genommen hat. Ich will nicht auch so viel verlieren!“

„Sei still!“, herrschte Ivan sie an. Natalja mochte es nicht, wenn er in diesem scharfen Tonfall mit ihr sprach, aber in letzter Zeit war er dauernd so gereizt. Natalja biss sich auf die Unterlippe und schwieg.

Ivan feuerte in die Richtung, in der er Polen vermutete, was dem Kugelregen jedoch keinen Abbruch tat. Natalja fiel auf, dass Ivans Hände zitterten.

Schließlich ließen die Geschosse nach und eine beinahe unheimliche Stille breitete sich aus. Die beiden verharrten in ihrem Versteck und warteten ab. Natalja beobachtete, wie ihr Atem als weiße Wolke über ihren Kopf stieg.

„Ich glaube, jetzt ist es sicher“, murmelte Ivan und sie traten hinter dem Brunnen hervor. Natalja hielt in Erwartung eines erneuten Angriffs den Atem an, aber nichts passierte.

„Ich hasse Polen“, stellte Ivan fest und betrachtete Natalja dann, als hätte er eben erst gemerkt, dass sie neben ihm stand. „Bist du verletzt?“, fragte er und sie schüttelte den Kopf. „Gut. Dann gehst du jetzt sofort wieder zu...zu...“ „Zu Litauen“, half Natalja ihm aus. „Zu Litauen zurück. Und ich...werde...Verdammt! Ich kann mich...nicht konzentrieren!“ Er hielt sich den Kopf und Natalja umarmte ihn zaghaft. Ivan schob sie weg.

„Ich will, dass du zu Hause bleibst. Bei Litauen. Ich bin sicher, dass es in Zukunft mehr Kämpfe geben wird.“

„Dann will ich bei dir bleiben!“, widersprach Natalja. „Ich könnte dir helfen!“ Ivan schüttelte den Kopf. „Aber ich kann wirklich kämpfen! Ich muss nur darauf vorbereitet sein! Und ich brauche eine Waffe!“

Ivan schüttelte erneut den Kopf. „Ich will nicht, dass du mitkämpfst. Geh einfach zu Toris zurück.“

„Begleitest du mich?“, fragte sie, erntete aber wieder nur ein Kopfschütteln. Sie verschränkte die Arme. „Wie willst du dann sichergehen, dass ich tatsächlich zu Toris zurückkehre?“

Im Grunde wusste sie, dass sie sich unreif verhielt. Aber ihr Trotz war stärker als ihre Furcht und sie hatte noch nie einfach kleinbeigegeben.

Ivan murmelte irgendetwas vor sich hin, das wie „Kolkolkol“ klang und erwiderte dann: „Hör zu, ich habe keine Zeit für so etwas. Wenn du nicht zurückgehst, dann tust du es eben nicht. Toris wird schon selbst dafür sorgen, dass du zu ihm zurückkommst und wenn er dich an den Haaren zurückschleifen muss, soll mir das recht sein.“

Aber das würde er nicht, dachte Natalja triumphierend. Toris würde ihr gegenüber nicht gewalttätig werden. Er war in den paar Tagen, die sie bei ihm verbracht hatte, erstaunlich sanft und rücksichtsvoll gewesen, etwas was Natalja gar nicht gewohnt war. Wenn sie ihn gebeten hätte, sie zurück zu begleiten, hätte er das bestimmt getan.

Natalja erstarrte; hatte sie tatsächlich bevorzugende Gedanken über Toris gehabt?

Ivan hatte sich inzwischen einfach umgedreht und ging davon. Er ließ sie einfach zurück! Natalja schlang die Arme um sich und spürte, wie ihr erneut Tränen in die Augen stiegen. Langsam verließ sie den Platz- eilte durch die Stadt, in der sie immer noch Schießereien hörte, die ganze Zeit voller Furcht, sie könne Polen begegnen- und begab sich auf die Suche nach dem nächsten Bahnhof, von dem aus ein Zug sie zurück nach Vilnius bringen würde.

Sie wünschte sich, sie wäre nicht heimlich abgehauen und hätte Toris gesagt, wo sie hin wollte. Er hätte sie abholen können.
 


 


 


 

Feliks, mein Lieber Budapest, 05.03.1919

Ich hoffe, Du bist bei bester Gesundheit und schaffst es, Dich gegen die Kommunisten zur Wehr zu setzten.

Mit Bedauern musste ich zur Kenntnis nehmen, dass meine Unterstützung Dich nicht erreicht hat. Sei versichert, dass ich auf Deiner Seite stehe, jedoch gewährt Tschechien mir keinen Durchlass, so dass ich keine Truppen zu Dir schicken kann.

Des weiteren wünsche ich Dir alles Gute für die Zukunft. Ich selbst kämpfe hart daran, Rumänien, den Bastard, aus meinem Land zu vertreiben.

Mit freundlichen Grüßen, Elizabeta Héderváry
 

Feliks faltete den Brief zusammen und verstaute ihn in seiner Brusttasche, während er durch die Gänge hastete.

Mein Lieber, dachte er ein wenig spöttisch. Hatte dieses Flittchen nicht mit Österreich unter einer Decke gesteckt? Hatte sie nicht zugesehen, als sie ihn zerstückelt hatten?

Aber Feliks verdrängte diese Gedanken schnell wieder. Er wollte Rache an seinen drei Peinigern und nicht an Elizabeta. Genau wie er war sie seit dem Großen Krieg wieder in Freiheit und wenn Feliks nicht kurz zuvor Tschechien und seine Freundin bekriegt hätte, hätte er sogar Unterstützung von ihr erhalten. Nein, es gab keinen Grund, negative Gefühle gegenüber Elizabeta zu hegen.

In den dunklen Jahren der Unterdrückung hatte Feliks nie die Hoffnung aufgegeben, eines Tages wieder ein eigenständiges Land zu werden. Und endlich war dieser Traum Wirklichkeit geworden!

Es war interessant gewesen, zu sehen, was aus seinen drei Erzfeinden geworden war.

Russland, der immer so voller Stolz von seinem Zaren gesprochen hatte, hatte nun eben diesen zum Teufel gejagt und war nun dabei, sich die Gebiete seiner Schwestern einzuverleiben, was Feliks, der dieselben Pläne hatte, gar nicht gefiel. Es war einen Kampf wert und diesmal würde Feliks nicht verlieren.

Österreich dagegen, dieses große und mächtige Land, war in sich zusammen gesunken und hatte so ziemlich alles verloren. Gut so!

Und Preußen war im Schatten seines kleines Bruders verschwunden, der das riesige Reich, das sie gehabt hatten, zu Grunde gerichtet hatte und sich nun von der Entente herumschubsen ließ.

Die Zahl seiner Gegner war also erheblich gesunken.

Feliks stieß die letzte Tür auf und betrat sein Büro, in dem bereits zwei Männer auf ihn warteten. Der kleinere der beiden sprang auf und Feliks grinste ihn an.

„Raivis! Sag nichts. Du bist total gewachsen!“

Die kleine Nation lächelte stolz. „Das ist die Unabhängigkeit“, erklärte er.

Der zweite Mann, Francis Bonnefoi, erhob sich nun ebenfalls und Feliks lächelte ihn unsicher an. Er kannte Frankreich nicht allzu gut und wusste nicht, wie er sich ihm gegenüber verhalten sollte. Francis machte es ihm jedoch nicht allzu schwer. Er küsste ihn auf beide Wangen und sagte heiter: „Wie schön, dass wir uns endlich treffen können, mon cher.“

Feliks nickte ein wenig schüchtern.

Du bist auf dem Weg, deine Macht wieder aufzubauen, schalt er sich im nächsten Moment selbst. Zeig ein bisschen mehr Selbstvertrauen!

Die beiden sahen ihn erwartungsvoll an und Feliks räusperte sich. „Wie ihr wisst, befinde ich mich in einem Krieg mit Russland“, begann er. „Ich bin den Westmächten, die mir meine Unabhängigkeit versichert haben, immer noch sehr dankbar und ihnen, und auch der ganzen Welt zuliebe, werde ich verhindern, dass Russland uns seine Ideologie aufzwingt. Zudem gibt es ein paar Gebiete, die ich gerne übernehmen würde, Gebiete, die man mir vor Jahren genommen hat und die ich nun wieder einfordere. Für diesen Kampf bitte ich um Unterstützung.“

Feliks war recht stolz auf seine Wortwahl und tatsächlich nickte Raivis sofort. „Ich bin dabei“, sagte er und sah sich automatisch um, in der Gewohnheit eines jemanden, der jahrzehntelang nicht nach seiner Meinung gefragt worden war und nun Schelte erwartet, da er den Mund aufgemacht hat.

Auch Francis nickte mit einem kleinen Lächeln. „Du kannst dir westlicher Unterstützung sicher sein. Wir müssen nach Deutschlands Krieg aufräumen und können nicht zulassen, dass Russland seinem naiven Traum einer Weltrevolution nachjagt. Wir unterstützen bereits die Konterrevolutionäre in Russland, aber ich fürchte, das wird nicht ausreichen. Russland bedroht unsere natürliche Weltordnung und muss zum Schweigen gebracht werden.“

Feliks hob einen Daumen. „Keine Sorge. Ich sorge dafür, dass er nicht westlicher als Rostow kommt!“



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