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Lost Tales

von

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Das verlorene Tal

Am nächsten Morgen sprang Alexa geradezu von ihrem Lager auf. Ihr Fuß schien wieder völlig in Ordnung zu sein. Als erstes rannte sie eine Runde durchs Lager, dann zu Dante, um sich bei ihm zu bedanken. Sie war völlig aus dem Häuschen. Heute würde sie ins verlorene Tal reiten! Sie fühlte sich wie ein kleines Kind, kurz bevor es seine Geburtstagsgeschenke bekam. Das Mädchen konnte nicht glauben, dass sie heute durch dieses wunderbare Tal reiten sollte, das ihr gestern so unwirklich vorgekommen war. Sie konnte es kaum erwarten, dass das Lager abgeschlagen wurde und aß ihr Frühstück nicht, sondern schlang es in sich hinein. Alle beobachteten sie dabei mit einem Lächeln auf den Lippen, sogar Dante. Er konnte einfach nicht anders, als in ihr ein unreifes Kind zu sehen, das vielleicht den Körper einer Frau hatte, aber noch lange keine war.

Da Alexa alle so ohnegleichen zum Aufbruch drängte, dauerte es nicht lange, bis das komplette Lager abgeschlagen war. So schnell hätte sicher keiner von Chiaras Befehlen die Ritter dazu gebracht, alles abzubauen. Alexa war schon immer 'ihre Kleine' gewesen und sie war allen mit ihrer Art ans Herz gewachsen. Von der Einsamkeit in ihrem Herz wusste jedoch niemand etwas, nicht einmal Shannon, denn sie verbarg sie gut. Die Prinzessin selbst hatte sich mittlerweile auch in Alexa 'verliebt' und war froh, dass sie auf Irdinas Rat gehört hatte, Alexa und Shannon in ihre Gruppe aufzunehmen. Sie hatte noch nie jemanden getroffen, der so niedlich und liebenswert war. Mit einem Seitenblick auf Dante dachte sie, dass es bei ihm sicher auch so war. Sie dachte, dass Alexa bei ihm sicherlich gut aufgehoben wäre. Ein gutaussehender, kräftiger junger Mann mit viel Verantwortungsbewusstsein, der sie sicher auch beschützen würde. Hätte Chiara ihr Herz nicht schon einem anderen geschenkt, hätte sie sich sicherlich in den Halbdämon verliebt. Ihm entging ihr Blick natürlich nicht, und auch das Lächeln, von dem er begleitet wurde nicht. Dante wandte sich ihr zu und sagte: "Mylady, Ihr seht so glücklich aus. An was dachtet Ihr gerade?" Chiara erwiderte, wieder völlig bei der Sache: "Ach, ich dachte gerade über die kleine Alexa nach... wie niedlich sie ist..." Dante schmunzelte: "Ja, niedlich ist sie wirklich, aber in meinen Augen ist sie nur ein Kind im Körper einer Frau!" Die Prinzessin wand ihren Blick wieder zu Alexa. "Aber ich glaube, dass es gerade das ist, was sie so liebenswert macht. Alexa wird bestimmt einmal sehr glücklich werden, mit einem Mann, der sie aufrichtig liebt und beschützt..." Dante schaute auch zu dem Mädchen, das gerade mit Shannon herumalberte. "Ja, das wird sie sicher... aber dieser Mann werde ich nicht sein, falls Ihr darauf anspielt, Mylady!" Chiara fühlte sich jetzt albern und vor den Kopf gestoßen. "Und wieso nicht, Dante?" Er antwortete: "Ganz einfach: Alexa ist in meinen Augen ein Kind, das ich vielleicht beschützen und belehren kann, aber lieben werde ich sie nicht." Mit einem Lächeln sagte Chiara: "Das hat Gero auch einst gesagt!" Dante schaute sie verständnislos an, denn er kannte Geros Gefühle für Alexa nicht. Für Chiara war das Gespräch damit beendet und sie ging zu Alexa und Shannon. "Alexa, Shannon! Ihr solltet euch langsam zu den Pferden begeben, wir wollen aufbrechen!" Alexa knickste. "Sehr wohl, Majestät!" Dann rannte sie zu ihrem Pferd und sprang fast auf das Tier.

Die erste Rast des Tages legte die Gruppe unten im Tal ein, direkt am Ufer des schönen Sees. Der Weg dorthin war völlig ereignislos verlaufen: es war ein sonniger Tag, die Vögel zogen ihre Bahnen, der Weg ins Tal war zwar lang und kurvig, aber nicht schwierig und alle waren vom Tal so begeistert, dass niemand sprach und nur das gelegentliche Schnauben der Pferde und das Geklapper ihrer Hufe zu hören war. Alexa war völlig fasziniert, denn sie stellte jetzt fest, dass die Bäume hier nicht nur im Licht der untergehenden Sonne golden gewirkt hatten, sondern dass sie es wirklich waren! Auch die Felsen waren nicht grau, sondern hatten einen goldenen Schimmer. Hier, dachte Alexa, hier könnte ein goldener Drache leben, das wäre ein wunderbarer Ort für ihn! Und als sie zu dem Fels auf dem See blickte, war ihr einen kurzen Moment so, als throne auf ihm ein wunderschöner Drache, mit anliegenden Flügeln, und schaue sie direkt an, mit seinen schönen, blaugrün schimmernden Augen. Dann war der Drache wieder verschwunden und Alexa enttäuscht. Das war sie auch später noch, als sie stumm am Seeufer saß und zu dem großen Felsen starrte. Da war kein Drache... Gero bemerkte ihren traurigen Blick und setzte sich zu ihr. "Hey Kleine, was ist los?" Alexa schaute ihn mit traurigen Augen an und erwiderte: "Ach, ich hab vorhin ganz kurz einen goldenen Drachen auf dem Felsen da sitzen sehen... aber da ist keiner... leider!" Gero klopfte ihr auf die Schulter. "Hey, soll ich dir noch eine Legende von einem Drachen erzählen?" Alexa schüttelte den Kopf. "Du hast mir doch schon längst alle erzählt, die du kennst, Gero!" Er fasste sich verlegen an den Kopf und lachte kurz auf. "Dir entgeht auch gar nichts!" Da hörten die beiden Less' Stimme direkt hinter sich. "Aber ich kenne noch eine Legende, die du bestimmt noch nicht kennst, Alexa!" Sie drehte sich zu ihm um. "Hm?" Er erwiderte: "Na, die Legende von den verlorenen Drachen des Tals!" Jetzt sprang sie auf. "Erzähl, die kenne ich noch nicht!" Less setzte sich gemütlich ans Ufer und blickte hinüber zu dem Felsen. "Diese Legende handelt von einer Zeit, in der die Juwelendrachen und die Metallicdrachen noch auf dieser Welt wandelten. Dieses Tal wurde damals das 'goldene Tal' genannt. Wenn du es heute siehst, kannst du dies vielleicht noch nachvollziehen, aber du kannst dir nicht vorstellen, wie es einmal ausgesehen haben muss. Sämtliche Felswände waren mit Goldadern durchzogen, die überall durchschienen und alles glitzern ließen. Das Wasser dieses Sees war in dieser Zeit unglaublich heiß, so heiß, dass es eigentlich hätte verdampfen müssen, doch es verdampfte nicht, sondern mischte sich mit dem flüssigen Gold und seine normale Farbe war die, die es heute annimmt, wenn die untergehende Sonne ihr Licht darauf wirft." Alexa schaute über die klare, blaugrüne Oberfläche des Wassers und stellte sich das ganze in den Farben des Sonnenuntergangs gestern vor. Wunderschön, einfach wunderschön! "Die Bäume waren damals komplett golden, nicht nur ihre Blätter hatten diese Farbe, und es gab keine Wiesen, sondern nur goldenes Steppengras und Sand. Und aus der Mitte des Felsens dort drüben...", er zeigte mit dem Finger auf den Felsen in der Mitte des Sees, "...sprudelte eine goldenen Quelle, die von ihm herab in den See floß. Hier sollen die Golddrachen entstanden sein, geformt durch ein Wunder, das sich niemand erklären kann. Ihre Haut war so massiv wie die Felsen und sah auch genauso aus, golden schimmernd, als würden Goldadern hindurch fließen, aber sie war so weich wie das Steppengras. Ihre Krallen waren golden und gemasert wie du Baumstämme und auch so groß wie ein Baumstamm. Ihre gewaltigen Schwingen reichten, wenn sie ausgebreitet waren, von einer Seite des Tales bis zur nächsten und sie fühlten sich an wie Wüstensand. Ihre Zähne glichen ihren Krallen, und ihre Augen waren genauso golden und schimmernd wie das Wasser, genauso facettenreich und genauso beeindruckend. Sie lebten hier zu hunderten, nisteten und legten viele Eier, aus denen viele kleine Drachenbabys schlüpften. Doch es herrschte keine Ordnung in ihrer Gemeinschaft und sie warteten alle auf einen Führer. Bis eines Tages Anóren geboren wurde. Er war wunderbar. Auch er war golden, doch er war noch goldener als die anderen Drachen und seine Augen hatten die Farbe, die der See heute angenommen hat. Alle anderen Drachen verehrten ihn und er wurde zu dem Führer, auf den sie so lange gewartet hatten, denn Anoren war nicht nur schöner, sondern auch intelligenter als alle anderen Wesen in diesem Tal. Sein Schlafplatz war dieser Felsen, aus dem die Quelle sprudelte, und es war eine große Ehre, denn die Drachen sagten, dass dieser Fels heilig war und dass ihr Leben aus der Quelle sprudelte. Als Anoren sich das erste Mal auf diesem Felsen niederließ, quoll noch mehr von der goldenen Flüssigkeit aus ihr hervor und alle Drachen waren sich einig: Sie hatten denjenigen gefunden, der sie zu Ordnung und Glück führen würde. Das tat er auch. Anórens Herrschaft war friedlich und dauerte mehrere Jahrtausende an. Doch dann zog der Krieg über die Lande..." Alexa legte den Kopf schief. "Krieg? Was für ein Krieg?" Less fuhr fort: "Der Krieg der Götterdrachen... Kron, der schwarze Chaosdrache, kämpfte gegen Kain, den weißen Ordnungsdrachen. Anóren wusste, dass die beiden auch über das goldene Tal herfallen würden, denn er war weise, und er befahl seinen Untertanen, sich in Schlaf zu begeben. Dann betete er dafür, dass sie unentdeckt bleiben würden, und siehe- die goldene Quelle versiegte und alle anderen goldenen Adern zogen sich tiefer in die Erde zurück. Die Drachen wurden mit ihnen hinunter gezogen, der Fluss nahm die Farbe von Anórens Augen an und kühlte ab und das goldene Gras färbte sich grün. Der Sand wurde zu brauner Erde und die Baumstämme wurden auch braun. Und als letztes fiel Anóren, der dies alles zufrieden beobachtet hatte, in tiefen Schlaf und sank tief hinab in das innere der Erde, wo er lange Zeit mit seinen Gefährten ruhte. Nachdem der Krieg der Götterdrachen endlich vorbei war, erwachte Anóren schließlich wieder. Er stieg hinauf zur Oberfläche und betete erneut, dass das Leben wieder in sein Tal zurückkehren würde, doch es geschah nichts. So oft er auch betete, die goldene Quelle blieb verschwunden und das Tal wollte nicht mehr golden werden. In unsagbarem Schmerz verfluchte Anóren die Götterdrachen und verließ das Tal, das für ihn verloren war. Doch er gab die Hoffnung nie auf und es heißt, dass er immer wieder unbemerkt hierher zurückkehrt und dafür betet, dass seine Artgenossen wieder erwachen. Er hofft, dass aus dem 'verlorenen Tal' irgendwann wieder sein 'goldenes Tal' werden könnte und wieder Drachen hier wandeln werden. Und wann immer irgend jemand versucht, hier in den Boden zu graben und zum Beispiel Gold zu suchen, trifft ihn der furchtbare Zorn Anorens und er wird entweder blind, verrückt oder stirbt. Deshalb haben es die Wesen, die hier leben, nicht gewagt, die unterirdischen Behausungen, in denen sie normalerweise leben, zu graben und haben sich Höhlen in den Fels geschlagen." Alexa schwieg einige Zeit. Dann sagte sie: "Eine wunderbare Geschichte... einfach wunderbar!" Gero nickte zustimmend. Doch er konnte sich das Lachen nicht verkneifen, als das Mädchen triumphierend einwarf: "Siehst du, Gero, die Golddrachen sind gar nicht verschwunden, sie schlafen nur tief unter der Erde!" "Ach Alexa!", prustete er, "Das ist doch nur eine Legende! Du glaubst doch nicht, dass das wirklich passiert ist, oder?" Sie sprang auf. "Natürlich glaube ich es! Ich bin fest davon überzeugt, dass es die Drachen hier gibt!" Sie kniete sich auf den Boden, legte die Hände auf die Erde, schloss die Augen und fügte leise hinzu: "Ich habe fast das Gefühl, dass ich sie spüren kann, wenn ich mich darauf konzentriere!" Jetzt musste auch Less lachen. "Du bist sowas von süß, Alexa! Die Drachen unter der Erde spüren! Das muss ich Dante erzählen!" Mit diesen Worten sprang er auf und rannte zu Dante. Alexa schaute ihm nach und beobachtete ihn, als er Dante unter wildem Gestikulieren von der Unterhaltung berichtete. Dante schaute erst mit einem seltsamen Blick zu Alexa und fing dann ebenfalls an zu lachen. Dieses Kind!, dachte er, Wer auch immer mir einreden will, dass sie kein Kind mehr ist, den kann ich nur auslachen! Drachen unter der Erde spüren! Aber am meisten amüsierte ihn, dass sie das wohl völlig ernst und ohne geringste Anzeichen eines Scherzes gesagt hatte. Jetzt musste er an Chiaras Worte denken.... 'Alexa wird bestimmt einmal sehr glücklich werden, mit einem Mann, der sie aufrichtig liebt und beschützt...' Dieser Mann würde wahrscheinlich taub sein oder einfach nur hirnlos, denn welcher normale Mann würde sich in so ein Kind verlieben können? Hätte Dante gewusst, wie es in Alexas Innerem aussah, hätte er bestimmt anders darüber gedacht. Hätte er gewusst, dass sie mit ihrem verhalten nur ihre Einsamkeit und Traurigkeit verstecken wollte, hätte er Chiara bestimmt zugestimmt und wäre wahrscheinlich derjenige gewesen, der dem Mädchen am meisten helfen wollte.

Der weitere Weg durch das Tal war wirklich wunderschön. Die Gruppe ritt einige Zeit am Ufer des ruhigen, breites Flusses entlang und kam schließlich in den goldenen Wald. Sie ritten das blaugrüne Wasser entlang zu einer Furt, wo sie übersetzen konnten und dann weiter einen Waldweg entlang, der voller herbstlichem Laub lag. Alexa hatte die ganze Zeit Less' Geschichte im Hinterkopf und sprach die ganze Zeit über nicht. Sie betete im Stillen für Anóren, dafür, dass er bald Erfolg haben würde und seine Gefährten erwachen würden, wieder Leben in dieses Tal einkehren würde und dass der Schmerz dieses majestätischen Wesens gelindert würde. Sie erinnerte sich an ihre kurze Vision auf dem Weg ins Tal hinein und auf einmal fiel ihr ein, dass dieser Drache mit seinen schönen, blaugrün schimmernden Augen unendlich traurig ausgesehen hatte. Das war bestimmt Anóren gewesen! Bei diesem Gedanken schlug ihr Herz etwas schneller. Ihr Wunsch, endlich einmal einen echten Drachen zu sehen, wurde immer größer und der Gedanke, dass sie vielleicht nie einen sehen würde, immer unerträglicher.

Mittlerweile hatten sie den Wald wieder verlassen und ritten über grüne Wiesen auf die steile Felswand zu, die sie wieder hinauf mussten. An einem kleinen Bach in der Nähe der Felswand hielt Dante kurz an und rief so laut, dass alle es hören konnten: "Normalerweise würde ich hier jetzt keine Rast einlegen, aber der Aufstieg wird beschwerlicher werden als der Weg in die Schlucht hinunter, zum einen, weil der Weg einfach schwieriger ist, und zum anderen, weil diese Seite des Tals ununterbrochen der Sonne ausgesetzt ist und es sehr heiß werden wird. Aber ich möchte spätestens bis Sonnenuntergang oben angekommen sein, deshalb wird die Pause nicht länger als eine Viertelstunde dauern können! Also, lasst eure Pferde grasen, gebt ihnen Wasser und füllt nochmal eure Wasserschläuche, ihr werdet viel Wasser brauchen!" Auf Dantes Anweisungen hin verstreute sich die Gruppe auf der Wiese und an dem Bach. Dante war wirklich der geborene Anführer, eine Tatsache, die besonders Sven Tellamon überhaupt nicht gefiel. Bis vor zwei Tagen war er der Führer der Gruppe gewesen und die Person, auf deren Wort Prinzessin Chiara am meisten vertraute und jetzt hatte dieser unmögliche Halbdämon seinen Platz eingenommen und er hatte nichts mehr zu sagen. Oh, wie sehr er Dante hasste! Er wünschte ihm die Pest und alle anderen Krankheiten an den Hals, träumte von einem Meuchelmörder, der ihn töten würde und freute sich auf den Tag, an dem Dante und seine Männer wieder eigene Wege gehen würden und weit weg waren. Dann wäre er wieder der erste Mann im Feld und alle würden seinem Rat folgen...

Der Aufstieg war, wie Dante gesagt hatte, viel schwerer als der Abstieg. Der Weg war schmaler und verzweigter, so dass kaum zwei Pferde nebeneinander gehen konnten, wo auf dem Hinweg gut vier Reiter Platz gehabt hatten. Außerdem war es heiß. Allen rannen Schweißperlen über die Stirn, die Pferde waren bald nass geschwitzt und erschöpft. So kam die Gruppe nur langsam voran. Dante wurde langsam unruhig. Die Sonne würde bald untergehen und es war nur knapp die Hälfte des Weges geschafft. Sie mussten den Weg nach oben aber auf jeden Fall bis Einbruch der Dunkelheit geschafft haben, sonst wären sie verloren... Less bemerkte die Unruhe seines Freundes. Er kannte den Halbdämon schon lange genug, um zu wissen, wann ihn etwas beunruhigte. "Hey, Dante, was is denn los?" Der Angesprochene erwiderte: "Wir müssen schnell genug aus diesem verfluchten Tal herauskommen, sonst sieht's übel für uns aus... und schau doch mal, die Sonne geht allmählich unter..." Less nickte. "Verstehe... aber meinst du, die Viecher da unten bemerken uns, wenn wir hier oben sind?" Dante antwortete: "Natürlich bemerken sie uns! Hör mal, wir sind eine Eskorte mit über 40 Pferden, was denkst du, wie das Hufgeklapper von den Felswänden zurück hallt?" "Ja, stimmt... aber wir können nicht schneller reiten, das halten die Pferde nicht aus... aber da oben wird der Weg breiter, dort können wieder vier Leute nebeneinander reiten, von dort aus wird's bestimmt leichter!" Dante nickte. "Ja, du hast recht... wird schon schief gehen!"

Alexa blickte die ganze Zeit verträumt auf das Tal hinab. Obwohl es unglaublich heiß war, fühlte sie sich unglaublich wohl. Solche Temperaturen musste es hier wohl gehabt haben, als der See noch golden war und heiß genug, dass das Gold darin flüssig blieb und sich gleichmäßig verteilte. So heiß musste es gewesen sein, als hier noch Drachen gelebt hatten... Shannon, die neben ihr ritt, sagte irgendwann: "Hey, Alexa, von was träumst du denn schon wieder?" Das Mädchen drehte sich zu ihrer Freundin. "Hm?" "Wovon träumst du denn schon wieder? Du bist ja völlig abwesend!" Alexa seufzte. "Less hat mir vorhin die Geschichte von den Drachen in diesem Tal erzählt... die Geschichte von Anóren, dem König der Golddrachen... und ich sag dir, die ist wunderschön! Ich wünschte, ich könnte ihn sehen..." Shannon streckte die Hand zu ihr und wuschelte ihr kurz durch die Haare. "Dich wird nie jemand von deinen Drachen los kriegen, oder?" Die Gefragte schüttelte den Kopf. "Nicht so lange, bis ich einen gesehen habe!" Shannon lächelte. "Du bist so süß! Ich beglückwünsche den Mann, der dich später bekommt! Aber wehe, du stellst ihn mir nicht vor!" Doch Alexa war mit ihren Gedanken schon wieder andernorts. Sie blickte auf das Tal hinab, das langsam wieder die Farben annahm, in denen sie es am vorigen Abend gesehen hatte und plötzlich fielen ihr die Augen des Drachengardisten ein... diese schönen, goldenen Augen...

Es war, wie Less vorhergesagt hatte. Bald nach seinem Gespräch mit Dante wurde der Weg breiter und flacher, er nahm jedoch mehr Biegungen und kletterte insgesamt schneller zum Wald hinauf als vorher. Dante atmete auf. Jetzt würden sie schneller vorankommen und wären wahrscheinlich bald oben. Und dafür war es auch dringend Zeit. In spätestens einer Stunde würde es stockfinster sein und unten im Tal würden die Orks ausschwärmen, auf der Suche nach Nahrung und Opfern. Er wollte nicht einmal daran denken, was passieren würde, wenn sie dieses grausamen Wesen zum Opfer fallen würden. Seine Unruhe legte sich langsam wieder und er entspannte sich. Dann schaute er ins Tal hinab und dachte, wie Alexa, über Anóren nach, denn er hatte ihn schon einmal gesehen, und dieses Bild ließ ihn einfach nicht mehr los. Anóren, der auf dem Felsen in der Mitte des Sees sah, mit ausgebreiteten Schwingen, den Kopf zum Himmel streckte und einen gewaltiges Brüllen von sich gab, das das ganze Tal erzittern ließ.

Bei Einbruch der Dunkelheit hatten die Reisenden endlich das Tal verlassen. Sie waren müde, denn es war ein anstrengender Tag gewesen. Dante führte sie zu einer Waldlichtung, die der ersten, auf der sie gerastet hatten, stark ähnelte und rief laut genug, dass es alle hören konnten: "Wir werden hier rasten. Den Großteil des Waldes haben wir jetzt hinter uns gelassen und ich denke, dass wir morgen gegen Mittag das Gebirge erreichen, wenn wir früh genug aufbrechen. Das heißt, dass wir in drei oder vier Tagen das Gebirge überquert haben können, und dann ist es nur noch ein zweistündiger Ritt nach Orkania... also, ruht euch aus und tankt Kraft, das Gebirge wird sehr anstrengend werden!" Noch drei oder vier Tage nach Orkania... Alexas Herz machte einen Sprung. Bald würde sie in Typhoons Stadt sein! Aber da war noch ein anderes Gefühl, das sich mit dieser Freude vermischte... es war eine Art Trauer, ein Verlangen, wieder zum verlorenen Tal zurückzukehren. Sie fasste den Plan, noch einen letzten Blick auf das Tal zu werfen, auch wenn es bei Nacht sicher nicht so eindrucksvoll war wie bei Tag. Leise und unbemerkt schlich sie sich vom Lager weg und nicht einmal Dante bemerkte ihr Fehlen.

Sie legte sich auf den Boden und schaute vorsichtig über den steilen Rand des Tales hinab. Es war ein herrliches Bild. Der See und der Fluss glitzerten silbern im Mondlicht und die leicht goldenen Felsen waren tiefblau. Die Bäume warfen lange, schwarze Schatten am tiefsten Punkt des Tales und das Gras, das einen sehr dunklen blaugrünen Farbton angenommen hatte, wiegte sich in einer leichten Brise, die seltsamerweise nur im Tal zu wehen schien. Das einzige, was dieses idyllische Bild störte, waren die unzähligen schwarzen Punkte, mal kleiner, mal größer, die überall herum rannten: Orks, Oger und Trolle. Die Schreie in ihrer kehligen, misstönenden Sprache drangen bis zu dem Mädchen nach oben, sie hörte Geklirre von Waffen. Während sie dies noch beobachtete, bemerkte sie einen schwachen Lichtschein hinter sich. Ihr Herz schlug bis zum Hals, als sie sich langsam umdrehte und es machte wieder einen freudigen Sprung, als sie sah, von wem der Lichtschein kam. Da stand er, der Drachengardist, sein goldenes Haar wallte über seine Schultern, seine goldenen Augen schauten sie war an und er lächelte. Zu Alexas Erstaunen hatte er keine Fackel oder sonstiges dabei, sondern es schien, als würde das Licht von ihm ausgehen, als wäre er von einer leuchtenden Aura umgeben. Sie setzte sich auch. "Ha...hallo...", stammelte sie verlegen. Dies war wahrlich der erste Mann, den sie als schön bezeichnete... er war so schön, dass ihr fast das Herz stehenblieb. Bei ihrer ersten Begegnung war ihr gar nicht aufgefallen, wie ebenmäßig sein Gesicht war... er kniete sich vor sie ergriff ihre Hand und berührte sie mit seiner Stirn. "Seid gegrüßt, Mylady!" Alexa schoss die Röte ins Gesicht. "Ähm...was führt euch hierher, Sir?" Er schaute auf und die Augen der beiden trafen sich. "Ich habe versprochen, euch zu beschützen, vor allem, was euch schaden könnte. Und mir scheint, dass eure Neugierde im Moment tödlich für euch sein könnte, verzeiht mir meine unverschämte Art." Das Mädchen lächelte ihn an und sagte: "Ich danke euch, Sir. Doch sagt, warum habt ihr..." Er schnitt ihr das Wort ab. "Vergebt mir, Mylady, doch es war dringend nötig, dass Ihr auf Dante trefft, deshalb kam ich nicht, um euch aus eurer misslichen Lage zu befreien. Ich hoffe, Ihr könnt mir dies verzeihen?" Alexa überlegte kurz. "Nur, wenn Ihr mir euren Namen nennt, Sir!" Er lächelte sie an und sie schmolz fast dahin. "Ein sehr geschickter Schachzug! Ihr seid wahrlich sehr intelligent... nun, mein Name ist Rufus, einen weiteren Namen habe ich nicht, und ich bin ein Mitglied der Drachengarde, wie ihr sicher schon erkannt habt. Mehr kann ich euch zum jetzigen Zeitpunkt leider nicht offenbaren." Rufus... das war ein seltsamer Name, aber er passte sehr gut zu diesem jungen Mann. "Nun denn, Sir Rufus, Eure Tat sei vergeben!" Wie gut, dass ich die höfische Sprache halbwegs beherrsche..., dachte sie. Rufus wand sich kurz ab, schaute in Richtung des Sees in der Schlucht und sagte dann: "Nun solltet ihr aber zu Eurem Lager zurückkehren, Mylady!" Sie nickte leicht und wollte gerade aufstehen, als er ihre Hand ergriff und auf die Beine zog, ohne seine Arm wirklich zu bewegen oder auch nur annähernd Kraft zu investieren. Bei seiner Berührung erschauerte sie. Was für eine Kraft musste in diesen Armen stecken, wenn er sie einfach so ohne weiteres auf die Beine holen konnte? Rufus brachte Alexa bis kurz vor das Lager, verabschiedete sich dann von ihr und verschwand in der Dunkelheit. Sie schaute ihm noch einige Zeit hinterher, dann ging sie leise zum Lager zurück, legte sich an ihren Platz und war gerade dabei, einzuschlafen, als sie Dantes Stimme neben sich hörte. "Was war das denn? Wieso haust du einfach so ab?" Oh nein, muss das jetzt sein?, dachte sie, doch sie antwortete freundlich: "Ich wollte noch einen letzten kurzen Blick aufs Tal werfen... weil ich werd dort wahrscheinlich nicht mehr so schnell hin kommen und morgen kann ich auch nicht gucken gehen!" Dante fauchte jetzt mehr, als dass er sprach. "Du kannst trotzdem Bescheid sagen! Ich bin nämlich nicht besonders scharf darauf, irgendwann morgen früh deine Leiche einzusammeln! Nimm das nächste Mal jemanden mit oder sag mir wo du bist, klar?" Mit diesen Worten verschwand er wieder. Alexa schaute ihm wütend hinterher, dann drehte sie sich um und schlief ein.



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