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The Poetry of Light and Shadow

Loki x OC
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Da ist es - das neue Kapitel! :D
Ich gebe zu, es hat etwas gedauert, doch dafür hat sich das Warten garantiert gelohnt...hoffe ich zumindest ;)

1. Es kommt Action in die Geschichte und...
2. Loki ist endlich mit im Spiel! <3

Ich danke für die hinreißend tollen Kommentare von - Feuerkopf, Piruette, Yuki und GwenStacy - zu meiner Geschichte und dem letzten Kapitel, die mich wirklich richtig motiviert und unheimlich geehrt haben! Komplett anzeigen

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Nächtliche Besucher

Gwen erwachte durch einen Schrei.

Erschrocken setzte sie sich in ihrem Bett auf und lauschte; im ersten Moment nichts vernehmend außer ihrem rasenden Herzen und ihrem hektischen Atem. Angespannt sah sie sich in ihrem Zimmer um und hielt Ausschau nach der Quelle jenes Geräusches, das sie geweckt hatte.

War es tatsächlich ein Schrei gewesen? Der Schlaf hing ihr noch immer an und in diesem halbwachen Zustand war das schwer zu sagen; vielleicht hatte sie auch einfach nur schlecht geträumt.

In ihrem Zimmer war es dunkel. Keine völlige Finsternis, denn auch hier spendeten die Sterne und Monde über Asgard fahles Licht, welches durch das Fenster hereinfiel und die Einrichtung in geisterhaften Schein tauchte, doch der Morgen war noch fern. Sie konnte noch nicht lang geschlafen haben.

Gwen hatte sich nach dem Bankett nur kurz auf ihr Bett gelegt; hatte sich nur einen Moment ausruhen wollen, um der Wirkung des Metes Einhalt zu gebieten, denn die Umgebung war ihr bereits schwankend begegnet. Sie hätte wirklich nicht so viel trinken sollen, immerhin wusste sie ja, dass sie kaum etwas vertrug wenn es um Alkohol ging. Doch der liebliche Honigwein war so köstlich gewesen und die Wirkung verschleiert durch die verlockende Süße.

Ihr Vorhaben war es eigentlich gewesen, noch vor dem Schlaf erneut in die Kerkerhöhle hinabzusteigen und das eigene Gewissen zu beruhigen, indem sie sich versicherte, dass der dunkelhaarige Mann dort unten noch lebte. Zumindest hatte sie gehofft, dass er das noch tat. Alles andere wäre für sie auch nicht akzeptabel gewesen und hätte Konsequenzen nach sich gezogen, an die sie nicht einmal zu denken wagte.

Allerdings hatten ihr Erschöpfung und Alkohol einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Gwen trug noch das Kleid vom Abend, als sie jetzt die Füße vom Bett schwang und in ihre Schuhe schlüpfte. Angestrengt hielt sie den Atem an und lauschte in die Schatten der Nacht, doch es blieb still. Wahrscheinlich hatte sie nur der Ruf eines Vogels vor dem Fenster geweckt.

Doch da sie nun schon einmal wach war, konnte sie auch einem körperlich dringenden Bedürfnis nachgehen, bevor sie sich wieder schlafen legen würde. Sie stand auf und ging kurz in das angrenzende Badezimmer, um sich zu erleichtern.

Als sie wieder aus der Tür trat, fiel ihr Blick auf das Bücherregal an der gegenüberliegenden Wand. Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe, verwarf den Gedanken dann aber, jetzt noch den Weg dort hinab zu wagen. Es war wahrscheinlich mitten in der Nacht und wenn der Mann wirklich nicht schwer verletzt war - wovon sie einfach hoffnungsvoll ausging - dann würde er jetzt wahrscheinlich schlafen. Und wohl nicht gerade begeistert darüber sein, wenn sie ihn schon wieder stören würde.

Mit einem kleinen Seufzen trat sie an das Fenster heran und goss sich etwas Wasser aus der bereitstehenden Karaffe in einen Becher.

Dieser unbekannte Mann beherrschte selbst jetzt noch ihre Gedanken und beinahe hatte sie das Gefühl, dass sein stechender Blick erneut auf ihr ruhen würde. Ein Schauder durchlief sie und ließ ihre Haut prickeln - allerdings nicht allein durch furchtsame Faszination, wie sie sich eben eingestehen musste. Es war ein zarter Hauch von Erregung, der sie durchdrang, als sie an seine Augen dachte und an dieses hoheitlich stolze Gesicht, welches so gebieterisch auf sie herabgesehen hatte.

Gwen schüttelte über sich selbst den Kopf und verscheuchte die Gedanken an diesen Mann entschlossen aus ihrem Geist. Sie würde ihn noch genau einmal sehen, nämlich dann, wenn sie sich versicherte, dass es ihm gut ging und damit wäre diese Geschichte für sie abgehakt. Und das wäre definitiv besser so.

Sie nahm einen Schluck aus dem Becher in ihrer Hand und sah nebenher aus dem Fenster.

Milde Nachtluft blies sanft von draußen herein und umschmeichelte ihre Haut, versetzte ihre Haare in Bewegung. Der Garten unter ihrem Fenster erstreckte sich finster in der Nacht, nur stellenweise erhellt von den Feuerschalen des Weges. Der Wind fuhr durch Büsche und Bäume und das Rascheln der Blätter drang leise an ihr Ohr. Sonst war es vollkommen still.

Gwen runzelte die Stirn.

Merkwürdig.

Außer dem Wind und dem Rauschen des Meeres in der Ferne hörte sie tatsächlich nichts.

Keine Tiere, die nachtaktiv durchs Unterholz streiften. Keine Grillen, keine Vögel. Keine Schritte. Keine Stimmen. Nichts drang aus der Stadt herauf. Auch in Odins Palast schien alles verstummt.

Doch es war keine beruhigende, friedliche Stille. Die feinen Härchen auf Gwens Unterarmen stellten sich alarmiert auf, während ein Gefühl wie ein eisiger Finger über ihren Nacken glitt.

Es war eine unnatürliche Ruhe - als würde die Welt den Atem anhalten und ängstlich ausharren vor einer Woge von Ereignissen, die in der Ferne heranrollte; gewaltig, düster und nicht aufzuhalten.

Gwen hob die freie Hand und rieb sich sachte seufzend über die Schläfe. Wahrscheinlich hätte sie wirklich weniger trinken sollen. Sie sah ja schon Gespenster.

Gerade als sie sich vom Fenster abwenden wollte, zog eine Bewegung am Himmel ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie furchte die Stirn und lehnte sich weiter nach draußen, die Augen forschend verengt; blinzelte, um ihren Blick zu schärfen.

Dort zog ein Schatten über den Himmel Asgards und verdeckte die leuchtenden Sterne, Monde und Galaxien. Zuerst hielt Gwen es für eine Wolke, doch diese zogen normalerweise nicht entgegen der Windrichtung, noch dazu so schnell. Und aus einer Wolke pflegten sich auch keine Teile abzuspalten und zielgerichtet auf die Stadt herabzufallen…

Über dem Palast des Allvaters schälte sich ein Raumschiff aus der Dunkelheit; kaum zu erkennen in dem fahlen Licht der Nacht, welches das riesige Gebilde wie ein Schattenfetzen am Himmel wirken ließ. Das Schiff war gewaltig; nach und nach nahm es deutliche Gestalt an, als würde man einen Vorhang beiseite ziehen und die Form dahinter enthüllen, die man bisher nur schemenhaft erahnt hatte.

Von der Hülle des Schiffes lösten sich viele kleinere Gebilde, die senkrecht in Richtung Erde fielen, um erst kurz vor den Dächern der Stadt Fahrt aufzunehmen und sirrend über jene hinwegzugleiten.

Gwen verdrehte sich fast den Hals, als sie eines der kleineren Objekte mit dem Blick verfolgte und dieses gerade hinter dem Palast des Allvaters verschwand.

Die kleineren Schiffe glichen dem Großen beinahe aufs Haar; sie waren allesamt pechschwarz und besaßen eine längliche Form, die sich am Ende ein wenig verbreiterte und auf deren Oberseite eine Art Finne saß. Bläuliche Lichter blitzten hin und wieder an der Vorderseite auf, während der Antrieb in unheilvollem Dunkelrot glühte.

Etwas an den Schiffen war auffällig seltsam; ihre Außenhülle überzog in regelmäßigen Abständen schwarzer Nebel, glitt aus Öffnungen wie ein beinahe lebendiges Wesen, um in einer anderen Ritze wieder zu verschwinden. Dieser Dunst ließ die Form und Gestalt der Schiffe immer wieder undeutlich flackern.

In Gwens Erinnerung blitzten die Bilder der New Yorker Invasion von vor zwei Jahren auf und das ungute Gefühl von vorhin verstärkte sich noch; schaudernd sah sie zu dem riesigen Mutterschiff auf, das gerade über dem Palast Stellung zu beziehen schien. Nun war es vollständig aus der Illusion der Unsichtbarkeit enthüllt; wahrscheinlich besaß es eine Art Tarntechnologie, wodurch das Schiff überhaupt so nah an die Stadt hatte herankommen können.

Ein gellender Schrei irgendwo draußen ließ Gwen zusammenfahren. Der Wasserbecher fiel ihr aus der Hand und landete mit einem dumpfen Platschen zu ihren Füßen.

Als wäre dieser Schrei der Auftakt für die Schlacht gewesen, so brach plötzlich die Hölle los. Asgard erwachte aus seiner Starre; Befehle wurden gerufen, die schweren Schritte der Wachen erfüllten den Palast, während panische Schreie der Bevölkerung aus der Stadt heraufhallten. Das energetische Sirren der Schiffe erfüllte die Luft, ähnlich eines zornigen Bienenschwarmes, der zum Angriff überging.

Die Verteidigungsanlagen Asgards begannen damit, die fremden Schiffe mit Dauerfeuer zu beschießen und einige der kleineren Raumschiffe stürzten mit schwelenden Antrieben trudelnd ab; hinter sich eine Spur aus Rauch durch den Nachthimmel ziehend.

Plötzlich war der Himmel erhellt vom Beschussfeuer der Abwehrtürme und dem Widerstand der fremden Angreifer, die ihre Bordwaffen auf die Stadt entluden; die Schüsse trafen donnernd in Häuser, Brücken und Straßen - ein grausiges Aufleuchten von Explosionen und Feuerbällen in welches sich der Lärm des Angriffes und die Panik der Bevölkerung mischte.

Asgard wurde tatsächlich angegriffen.

Ein Schuss krachte pfeifend in den Garten des Palastes; die Druckwelle fegte die Büsche und Bäume fauchend beiseite, riss eine feurige Schneise durch das zarte Grün und ließ Gwen an ihrem Fenster erschrocken zurücktaumeln, bis sie die Tür ihrer Unterkunft im Rücken spürte.

Auf dem Flur vor ihrem Zimmer wurden Stimmen laut, die ängstlich durcheinander riefen, bevor hektische Schritte an ihrer Tür vorbeirannten. Das vertrieb auch endlich Gwens Schock, die entgeistert auf den Schein der Flammen starrte, welche sich nun knisternd durch den wunderschönen Garten der Königin fraßen.

Das war ein furchtbarer Albtraum. Das konnte doch nur ein Albtraum sein.

Sie riss die Tür ihres Zimmers auf und stolperte sogleich hustend einen Schritt zurück, da dicke Rauchschwaden durch den Flur waberten. Der bissige Dunst kroch arglistig in ihre Lungen und ließ ihre Augen tränen.

Mit einer Hand vor Nase und Mund wagte sich Gwen blinzelnd und geduckt auf den Flur; einige der menschlichen Wissenschaftler liefen panisch an ihr vorbei, die vor Schreck geweiteten Augen ziellos umherirrend, die Gesichter blass und fassungslos.

»Was ist hier los?« fragte sie laut, aber keiner gab Antwort; ein junger Mann schenkte ihr ein Achselzucken, bevor er weitereilte. Alle waren nur damit beschäftigt so schnell wie möglich das Weite zu suchen und sich irgendwie in Sicherheit zu bringen. Doch in jedem Gesicht spiegelte sich die gleiche Verwirrung, die auch sie verspürte.

Durch den Rauch, der von draußen hereinzog, konnte Gwen kaum etwas erkennen. Oder brannte es womöglich auch hier im Gebäude?

Die Umrisse der Menschen verschwanden bald in der Ferne und im Rauch, nur ihre Stimmen und Schritte waren weiterhin zu vernehmen, ebenso das Krachen und Donnern der Schüsse von draußen. Der Boden vibrierte unter Gwens Füßen. Sie tastete sich an der Wand vorwärts, noch immer geduckt, da die Luft am Boden nicht ganz so rauchgeschwängert war.

Die vereinzelten Fackeln an der Wand vermochten es kaum, die Schwaden zu durchdringen. Eher gaben sie dem Ganzen einen düsteren, unheilvollen Hauch, als würde man sich in einer flammenden Hölle bewegen.

Sie musste es in den Palast des Allvaters schaffen. Dort hatte sie wahrscheinlich die größten Möglichkeiten, den Angriff unbeschadet zu überstehen.

Dort gab es Wachen. Und Krieger. Und von denen waren sicher alle damit beschäftigt, ihre Heimat vor den fremden Eindringlingen zu beschützen.

Gwen musste an Thor denken und fragte sich sogleich, ob er bereits zum Kampf gerüstet sein Land verteidigte.

Ob überhaupt jemand Zeit hätte, an die menschlichen Wissenschaftler hier zu denken?

Ein durchdringender Schrei irgendwo vor ihr ließ Gwen abrupt innehalten. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, das Rauschen des Blutes in den Ohren dämpfte ihr Gehör. Blinzelnd starrte sie in den Rauch vor sich, während sie sich näher an die Wand drückte und abwartete.

Dann weitete sie angsterfüllt die Augen.

Oh Himmel. Sie waren schon hier…

Eine düstere Gestalt schälte sich einige Schritte vor ihr aus dem Dunst; ein groteskes Monstrum von einem Krieger in einer pechschwarzen Rüstung, die überzogen von Dornen und mächtigen Platten undurchdringlich wirkte - einer der Angreifer Asgards, eine Figur, aus Alpträumen entsprungen, deren bloßer Anblick Gwen furchtsam erstarren ließ. Der Hauch des Unheils, des Bösen ging von dem Krieger aus und ließ Gwen erzittern, ihre Beine zu Blei werden, ihr Herz zu einem tiefschwarzen Klumpen aus Angst und Panik verkümmern.

Sie wagte kaum zu atmen, als dieses Wesen mit schweren Schritten zu einem der Wissenschaftler trat, der dem Krieger nur erstarrt entgegensehen konnte. Gwen erkannte den jungen Mann von vorhin.

Sie wollte ihn warnen, wollte ihm zurufen, dass er verschwinden sollte, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt.

War sie wirklich so feige, dass die Sorge und Furcht um ihre eigene Haut sie schweigen ließ?

Das fremde Wesen trat vor den Menschen, der noch immer wie festgewurzelt auf der Stelle stand. Von der Seite konnte Gwen sein kalkweißes Gesicht erkennen.

Die Züge des fremden Kriegers waren hinter einer Art Maske verborgen; eine starre, furchteinflößende Fratze, die aus tiefschwarzen, schmalen Augen und einem zahnbewehrten Schlund bestand, in dessen Tiefe das gleiche unselige Licht schimmerte, wie Gwen es schon bei den Antrieben der Schiffe aufgefallen war.

Doch nicht nur das war gleich - jede Bewegung, jede Regung des fremden Wesens begleitete ein wabernder Nebel aus schwarzem Dunst; kein Rauch, der vom Feuer rührte, sondern eine Essenz, die aus dem Krieger selbst zu kommen schien.

Mit einem weiteren Schritt war das Wesen bei dem Mann angelangt und mit einer schnellen, groben Bewegung hatte es ihn an der Kehle gepackt und zu sich herumgerissen; die Spitze einer dunklen Klinge drang aus der Brust des Menschen, als der Krieger ihn an sich drückte und sein Schwert ruckartig durch das Fleisch bohrte.

Gwen erstickte einen Schrei hinter ihrer zitternden Hand.

Der junge Mann zappelte im Griff des Wesens, die Augen geschockt aufgerissen, während sich seine Hände hilflos um das Metall klammerten, dass aus seinen Rippen ragte. Blut benetzte seine bebenden Lippen, der Blick irrte unstet umher - auf der Suche nach Hilfe, einer Antwort, einem Anzeichen für einen Traum…

Gwen hatte bestimmt unzählige Male beim Daily View über Morde berichtet; hatte die Fakten und Hintergründe aufgezählt, die Opfer benannt, Hinterbliebenen Beileid ausgedrückt. Der Tod war allgegenwärtig. Er war ein Geschäft.

Doch noch nie war sie so nah am Geschehen gewesen. Hatte noch nie diesen letzten Blick aus verzweifelten Augen aufgefangen, in welchem ungläubige Fassungslosigkeit lag; völliges Befremden, Betäubung…und Angst. Angst vor der Ungewissheit und vor einem Weg, den man allein beschreiten musste.

Sie sah keinen Schmerz in den brechenden, glasigen Augen des jungen Mannes, als sich sein Geist langsam zurückzog und eine leere Hülle zurückließ, die sich aufgespießt von der Waffe des Feindes ein letztes Mal aufbäumte, bevor der Körper kraftlos in sich zusammenfiel.

Kein Schmerz. Nur Verwirrung. Und Trauer über ein viel zu kurzes Leben.

Gwen schluckte ein aufsteigendes Schluchzen in der Kehle herab, als der düstere Krieger den Menschen mit einer beiläufigen Bewegung von seiner Klinge schob; der Körper landete mit einem dumpfen, weichen Laut auf dem Boden. Das Wesen stieg über den toten Mann hinweg und kam nun in ihre Richtung.

Hinter ihm wurden weitere, schwarze Schemen im Rauch deutlich, die dem Krieger zu folgen schienen.

Gwen fühlte sich schlecht dabei, den toten Mann wie Unrat liegen lassen zu müssen, doch wenn sie noch länger an Ort und Stelle verweilen würde, wäre sie gewiss der nächste leblose Körper auf dem Steinboden.

Ganz in der Nähe schlug krachend ein Schuss in das Gebäude ein und ließ die Wände sowie den Boden beben; Staub und Steine rieselten von der Decke und machten das Atmen und Sehen noch schwerer - allerdings bot ihr wohl genau das auch den nötigen Schutz, um nicht sogleich entdeckt zu werden.

Gwen trat den Rückzug an, wandte sich um und tastete sich an der Wand wieder zurück in Richtung ihres Zimmers. Ihre Finger fuhren über feine Risse im Stein, während sie die freie Hand wieder über Nase und Mund presste und verzweifelt versuchte, das Kitzeln im Rachen zu ignorieren. Nur ein verräterischer Laut konnte jetzt ihren Tod bedeuten.

Hektisch schob sie sich voran und ertastete nach einer gefühlten Ewigkeit den Rahmen ihrer noch offenstehenden Zimmertür. Hinter sich konnte sie das Brechen und Splittern von Holz vernehmen, dann raue, knurrende Laute, die diese Wesen ausstießen, um sich zu verständigen. Sie brachen offenbar die Türen auf und stürmten die Zimmer.

Gwen schlüpfte schnell in ihres und drückte die Tür hinter sich vorsichtig und leise wieder ins Schloss. Dann wirbelte sie herum und sah sich hektisch nach einer Fluchtmöglichkeit um. Allerdings wurde ihr schnell bewusst, dass sie in der Falle saß.

Das Krachen der Türen draußen kam näher; ein spitzer Schrei erstarb kurz darauf in den entsetzlichen Lauten der fremden Wesen.

Im Garten vor ihrem Fenster brannte noch immer das Feuer und panische Asen flohen vor den Flammen und den unheimlichen Kriegern, die ihnen mit Schwertern, Äxten und Hämmern folgten. In einigen Händen der Angreifer sah Gwen auch eine Art Energiewaffe, die einige der fliehenden Asen im Laufen niederstreckten.

Entsetzt wich Gwen vom Fenster zurück. Das war ihre einzige Möglichkeit gewesen. Was sollte sie jetzt tun? Wohin sollte sie…?

Ihr Blick fiel auf das Bücherregal.

Natürlich. Ihr blieb nur dieser Weg.

Panisch stemmte sie sich gegen das Holz des Regales und öffnete den Weg erneut, der hinab in die Dunkelheit führte. Ihre Augen behielten nebenher die Zimmertür furchtsam im Blick; jeden Moment rechnete sie damit, dass jene splitternd aus den Angeln fliegen und eine Horde mordlüsterner Wesen hereinstürmen würde.

Doch die Tür blieb zu und Gwen schlüpfte in den Geheimgang. Angsterfüllt schob sie das Regal dann knirschend wieder zurück an seinen Platz; viel zu langsam bewegte sich das Holz und der Schweiß lief Gwen kalt über die Schläfen und den Rücken hinab.

Gerade, als das Regal wieder an seinem angestammten Platz einrastete, konnte Gwen dahinter das Zersplittern ihrer Zimmertür vernehmen, gefolgt von den Schritten der Eindringlinge.

Oh Himmel, das war knapp gewesen...

Hektisch atmend wandte sie sich um und breitete die Arme nach beiden Seiten aus, um sich am rissigen Felsen in die Dunkelheit hinab zu tasten. Völlige Finsternis umfing sie; stickige Wärme hüllte sie ein wie ein Kokon, der eigene Atem hallte ihr überdeutlich in den Ohren nach. Entschlossen schluckte sie die Panik hinunter und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen.

Die ausgestreckten Finger fuhren durch klebrige Spinnweben und über messerscharfe, herausragende Steine, die ihr in die Handflächen schnitten. Entschieden stieg sie zitternd weiter in die Finsternis hinab und hatte bald das Gefühl, in der Dunkelheit zu ertrinken; der Weg schien gar kein Ende zu nehmen.

Der Angriff an der Oberfläche hallte wie fernes Donnergrollen hier unter der Erde und herabrieselnder Staub schwebte durch die Luft.

Nach einer gefühlten Ewigkeit stießen ihre Finger endlich auf das Ende des Ganges in Form einer massiven Felswand. Gwen ließ sich in die Hocke sinken und tastete den Stein nach dem versteckten Mechanismus ab, der den Durchlass öffnen würde.
 

„Der Täter kehrt immer an den Ort des Verbrechens zurück.“

Loki hatte diesen Spruch irgendwann einmal aufgeschnappt; er wusste nicht mehr wann und wo, doch die Worte waren ihm im Gedächtnis geblieben.

Und offensichtlich lag tatsächlich Wahrheit in dieser Aussage, sinnierte er jetzt, als der Geruch von Frühling wieder an seine Nase drang und ihn tief einatmen ließ. Das vertrieb zumindest einen Teil der hämmernden Kopfschmerzen, die ihm der unfreiwillige Flug durch sein Gefängnis beschert hatte. Die Reaktion der magischen Zellenwand war heftig gewesen und sein Aufprall nicht weniger schmerzhaft.

Er nahm den Arm langsam von seinem Gesicht, den er als Schutz vor dem Licht dort gebettet hatte und öffnete die Augen blinzelnd. Sein Blick traf die Zellendecke über seinem Bett, auf das er sich gelegt hatte, um der Pein in seinem Kopf Einhalt zu gebieten.

An Schlaf war nicht zu denken gewesen; zum einen wegen seines schmerzenden Kopfes, zum anderen wegen seiner Grübeleien. Außerdem ließ ihn das gedämpfte Donnern an der Oberfläche nicht zur Ruhe kommen, welches nun schon seit einer ganzen Weile den Boden unterschwellig zum Vibrieren brachte - die Asen schienen wieder eines ihrer rauschenden Feste zu feiern. Wahrscheinlich schwang Thor wieder einmal Mjölnir, um die Festgesellschaft zu beeindrucken und beschwor dabei Blitz und Donner - erbärmlicher Angeber. Nicht einmal hier unten hatte Loki wirklich Ruhe vor seinem aufgeblasenen Bruder.

Allerdings wurden die Gedanken an seine Familie jetzt beharrlich in den Hintergrund gedrängt.

Sie war also wiedergekommen.

Er musste sie nicht einmal sehen, um sich da sicher zu sein.

Er konnte sie fühlen.

Er hatte gewusst, dass das geschehen würde. Irgendwie hatte er es gewusst.

Und wenn er ehrlich zu sich selbst war - was für einen Gott der Lügen durchaus eine Herausforderung darstellte - so musste er sich eingestehen, dass er es auch gehofft hatte.

Die rothaarige Frau hatte sein Interesse geweckt und das konnten definitiv nicht viele von sich behaupten; nicht das Loki nun in romantische Schwärmereien verfallen wäre - nein, das nicht. Ihn faszinierten die seltsame Verbindung, die zwischen ihnen auf eine unbegreifliche Weise zu bestehen schien und natürlich das Geheimnis hinter der Hülle dieses menschlichen Wesens. Sie war niemals nur das, was sie vorgab zu sein - nicht nur ein Mensch, das hatte er auf den ersten Blick erkannt.

Außerdem hatte sie die Nebel gelichtet, die seinen Geist umnachtet hatten; sie hatte auf unerklärliche Weise wieder Licht ins Dunkel gebracht und die Schatten vertrieben, die seinen Verstand verschlingen wollten.

Er war begierig darauf, hinter ihre Fassade zu blicken; das Rätsel zu lösen und die Wahrheit zu erkennen. Das konnte ein definitiv spannendes und forderndes Spiel werden, welches ihm in ausreichendem Maße die Zeit vertreiben dürfte.

Und von jener hatte er ja mehr als genug hier in seinem Verlies.

Unter den Hauch des Frühlings, der von ihr ausging, hatte sich allerdings nun noch ein anderer Duft gemischt; der Geruch eines herannahenden Sturmes, aufgeladene und unruhige Luft, die nach Gefahr, Furcht und Spannung duftete, vermischt mit dem Aroma von knisternder Energie und warmem Kupfer. Blut?

Loki stemmte sich ruckartig auf dem Bett in die Höhe und wandte den Kopf in jene Richtung der Höhle, in welcher er sie vermutete - und da war sie tatsächlich, stolperte gerade aus dem Durchgang, welcher sich erneut im massiven Felsen aufgetan hatte.

Sie wirkte völlig verschreckt, ihre Kleidung überzogen mit Staub, der sich auch auf ihrer blassen Haut niedergelegt hatte und diese wie ein gräulicher Schleier überzog. Ihre Haare waren wirr, ebenso sprach ihr geweiteter Blick von Schrecken und Angst. Sie stemmte sich keuchend gegen die Felsentür und schloss sie hinter sich wieder; Loki bemerkte dabei einen feinen Rinnsal Blut an einem ihrer Unterarme.

Seine Frau war verletzt.

Der Gedanke durchfuhr ihn wie ein Blitz.

Und ließ ihn die Stirn in Unverständnis über sich selbst runzeln.

Die Formulierung war tatsächlich seltsam gewählt. Sie war gewiss nicht -seine- Frau. Betrachtete ein Teil von ihm sie wirklich als sein Eigentum, weil sie hier zu ihm heruntergekommen war; sein kleines, süßes Geheimnis, was nur ihm gehörte?

Inzwischen war er sich fast sicher, dass sie niemand geschickt hatte. Odin und Thor wären kaum in der Lage solch einen perfiden Plan in die Tat umzusetzen - ganz zu schweigen davon, dass sie kaum den Verstand besaßen, sich so etwas überhaupt erst auszudenken.

Außerdem hatte das Verhalten der Frau auch einfach nicht auf ein so forciert geplantes Vorhaben gedeutet.

Sie wich eben vor dem nun wieder geschlossenen Durchgang zurück, ließ diesen dabei jedoch nicht aus den Augen, als müsste sie sich versichern, dass er sich nicht von selbst wieder öffnen würde - oder vielleicht hatte sie Angst, dass ihr jemand gefolgt sein könnte. Befangen rieb sie sich die Arme, als wäre ihr kalt, während sie ihre rückwärtigen Schritte näher an seine Zelle brachten.

Loki erhob sich von seinem Bett und kam ihr nun ebenfalls entgegen; zumindest soweit, wie es sein Gefängnis eben zuließ. Er stemmte beide Hände gegen die magisch verstärkte Scheibe und sah auf die Frau herab, die nun mit dem Rücken an seiner Zelle angelangt war.

Sie schien sich gar nicht so recht bewusst zu sein, wo sie war und auch ihn hatte sie bisher keines Blickes gewürdigt, ihn wohl noch nicht einmal bemerkt.

Aus einem unerfindlichen Grund ärgerte das Loki. Ja, er war selbstsüchtig. Und er hasste es ignoriert zu werden.

Ihre Schultern bebten unter heftigen Atemzügen, die Arme hatte sie noch immer um sich geschlungen, ließ allerdings eine Hand nun sinken, um sie geistesabwesend am Stoff ihres Kleides abzuwischen. Dabei fiel ihr wohl erst auf, dass ihre Handfläche blutete - feine Schnitte zogen sich über ihre Haut.

Selbst durch die Scheibe hindurch konnte Loki die magische Energie fühlen, die wellenartig von ihrer verletzten Hand ausstrahlte; jeder Herzschlag der Frau brachte ihr Blut förmlich zum schimmern und ließ die spürbare Macht durch die Luft pulsieren. Andere nahmen dieses Übermaß an Energie wahrscheinlich kaum wahr - die Frau selbst schien gar nicht zu bemerken, welche Kraft diese Wunde freigesetzt hatte - doch Lokis Sinne waren mit und auf Magie geschult; er fühlte sich augenblicklich wie berauscht und lehnte die Stirn mit einem sehnsüchtigen Seufzen gegen die Scheibe. Seine Hände, sein gesamter Körper begann unwillkürlich zu beben und nach der Quelle dieser Energie zu verlangen.

So viel Macht. So nah.

Und doch so unerreichbar für ihn.

Niemals war sie nur ein einfacher Mensch. Das war sicher.

»Was ist passiert - habt Ihr Euch ungeschickt im Umgang mit dem Messer erwiesen?« erhob er die Stimme nun raunend, um sich die ihm zustehende Aufmerksamkeit zu sichern. Und um zu erfahren, wie sie sich solche Verletzungen hatte zuziehen können. War sie in einen Kampf verwickelt gewesen?

Ruckartig wirbelte sie zu ihm herum und starrte ihn aus erschrocken geweiteten Augen an. Aus der Nähe betrachtete sah sie tatsächlich völlig verängstigt aus; in ihren hellen Augen flogen Schatten umher, als hätte sie Dinge erblickt, die ihr Verstand noch zu verarbeiten suchte. »Du…!?« stieß sie atemlos aus, allerdings schien sie sich sogleich ein wenig zu beruhigen, als sie ihn erblickte.

Er seufzte gespielt mitleidig auf. »Ja, ich bin auch entsetzt darüber, dass ich noch immer hier weile.« gab er dann in spöttischem Tonfall von sich. »Mir wäre es ebenfalls lieber, ich hätte Euch meinen Anblick ersparen können, indem ich an einem anderen Ort weilen dürfte.« Kritisch nahm er sie nun genauer in Augenschein; die staubigen Kleider, die blasse Haut, die fahlen Wangen, auf denen sich feuchte Spuren durch den Staub zogen. Hatte sie geweint? »Ihr seht aus, als hätte man Euch auf dem Übungsplatz ordentlich in die Mangel genommen.«

Verständnislos blickte sie zu ihm auf und er löste eine Hand von der Scheibe, um in einer knappen Geste ihre gesamte Gestalt einzufassen. »Die schmutzige Kleidung. Der Schrecken in Eurem Gesicht. Ihr blutet.« zählte er beinahe gelangweilt auf, wobei er am Ende auf ihre verletzte Hand wies. Sie drückte die blutende Handfläche daraufhin schützend an ihre Brust, als würde sie sich der Schmerzen erst jetzt wirklich bewusst.

»Ich…ich…« Sie wirkte verwirrt und schüttelte den Kopf, als müsste sie ihre Gedanken sortieren. Abwartend beobachtete Loki sie und studierte ihre Regungen.

Flüchtig sah die Frau über ihre Schulter zurück zu dem geschlossenen Durchgang, der wohl zu einem Geheimgang gehörte, wie der Magier vermutete. Dann blickte sie ihn wieder an. »Der Palast…die Stadt…Asgard wird angegriffen.«

»Was?« Loki stemmte sich sogleich von der Scheibe wieder in eine aufrechte Position und verengte die Augen kritisch, um abschätzend auf sie herabzusehen. »Was gebt Ihr da für Unsinn von Euch? Habt Ihr Euch den Kopf angeschlagen? Mir scheint es fast so.« Äußerst skeptisch zog er eine Braue in die Höhe.

Ein Angriff auf Asgard?! Das konnte ja nur ein Scherz sein. Seit vielen Äonen hatte es niemand je gewagt, das Reich der Asen anzugreifen. Der Frieden zwischen den neun Welten war zwar hauchdünn und zerbrechlich, doch er hatte Bestand, da ein jeder den Zorn Odins und die Kampfkraft der Asen fürchtete. Niemand wäre so dumm und würde es wagen, Asgard offen anzugreifen.

Sie schüttelte entschieden den Kopf und trat näher an seine Zelle, um eindringlich zu ihm aufzusehen. »Es ist die Wahrheit. Da waren plötzlich Schiffe am Himmel, die das Feuer eröffnet haben…überall war plötzlich Chaos…sie haben Asen getötet…und Menschen…ich…ich habe es gesehen…« In ihren Augen standen noch immer Fassungslosigkeit und Schrecken, als sie sprach. Loki konnte keine Lüge in ihren Worten verspüren.

»Menschen?! Wie kommen denn Menschen nach Asgard?« Die Geschichte wurde ja immer verrückter. Hatte er hier unten wirklich so wenig mitbekommen? Wie konnten diese erbärmlichen Geschöpfe hierher gelangen?

Gut, auf der anderen Seite…sie war ja immerhin auch hier.

Was wollte er sich selbst vormachen - er hatte die letzten Jahre hier unten rein gar nichts von der Welt oben erfahren.

»Die…die Wissenschaftler?! Die…die Delegation der Forscher, die wegen der Zusammenarbeit zwischen den Welten hergeschickt wurden…« Jetzt sah sie ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Oder als wäre er eben völlig unwissend - was er ja in gewissem Sinne auch war.

War Odin nun völlig verrückt geworden?! Menschen in Asgard - der alte Narr hatte sich wohl von Thor beschwatzen lassen. Sein Bruder hatte ja schon immer eine Schwäche für die sterblichen Schafe und Lämmer gehabt.

»…sie…sie haben ihn einfach getötet…den Mann…ohne Grund-« fuhr die Frau fort, doch Loki interessierte das Schicksal eines Menschen gerade herzlich wenig. Das waren ziemlich viele Informationen für so kurze Zeit; sein Kopf begann ihn bereits wieder mit hämmernden Schmerzen zu peinigen.

Allerdings gab es da etwas, was ihn brennend interessierte.

»Wer? Wer greift Asgard an?« unterbrach er sie entschieden und rieb sich nachdenklich das Kinn, während ein beinahe schadenfrohes Schmunzeln flüchtig um seine Mundwinkel spielte, welches er hinter den Fingern verbarg.

Das war ja alles unheimlich amüsant. Sollte tatsächlich jemand den Mumm besitzen und in das Reich der Asen einfallen? Der selbstgerechten Herrschaft des Allvaters trotzen und jener die Stirn bieten?

Zu schade, dass er die Gesichter seines Bruders und Vaters nicht sehen konnte - würde wohl Schrecken auf ihren Zügen liegen, wenn sie erkennen mussten, dass ihre Heimat angegriffen wurde? Fassungslosigkeit? Furcht?

Würden die starren Züge des Allvaters endlich einmal eine Regung zeigen?

Der Angriff geschah ihm ganz recht. Wenn er bereits für Menschen seine Tore öffnete war Asgard eh verloren.

Welche Schande, dass Loki hier unten verweilen musste, während dort oben offensichtlich das Chaos tobte.

»Ich…weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung, wer sie sind. Diese Wesen-« Die Frau wurde durch ein lautes Krachen unterbrochen, das unheimlich laut durch die Höhle hallte. Die goldene Tür des Gefängnisses erbebte unter einem gewaltigen Schlag.

»Oh Gott…sie sind hier. Sie kommen hier her…« Sie wich mit bleichem Gesicht und angststarren Augen vor der schweren Tür zurück, die abermals unter einem Angriff erzitterte.

Der Magier sah der Frau hinterher. »Loki reicht für gewöhnlich.« murmelte er. Doch selbst er verspürte einen Hauch von Unbehagen, als er den Kopf wandte und hinauf zu der großen Flügeltür sah, die sich unter dem unsichtbaren Ansturm von draußen deutlich bog.

Egal, was dort Einlass begehrte, es war definitiv nichts, was er kannte. Durch die noch geschlossene Tür wehte der Atem des Unheils; eine fremde Lebensessenz, die mit keiner der ihm bekannten Rassen und Völker übereinzustimmen schien.

Jedes Lebewesen besaß eine eigene Aura, eine persönliche Prägung ähnlich eines Fingerabdruckes - ein Magier konnte diese Präsenz spüren, wenn er nur genug geschult war, sie manchmal sogar sehen. Doch die Wesen vor der Tür besaßen…nichts. Ihre Aura war leer. Dunkel. Und kalt.

»Diese Tür wird nicht so schnell nachgeben.« versuchte Loki die Frau zu überzeugen; sie war inzwischen hinter seine Zelle getreten und ließ den Blick zwischen ihm und dem Eingang hin und her fliegen.

Im nächsten Moment zerbrach die goldene Pforte mit einem Knall; Staub und Gestein wurde in den Raum geschleudert, während die Überreste der Flügeltür mit lautem Krachen auf dem Boden aufschlugen. Der Lärm war ohrenbetäubend und selbst Loki trat in seiner Zelle einen Schritt zurück. »Oh…da habe ich mich wohl geirrt.« bemerkte er recht gleichgültig und blickte neugierig die Treppe hinauf.

Aus Staub und Rauch, der durch die gewaltsam geschlagene Öffnung in die Höhle drang, lösten sich drei fremdartige Gestalten und kamen mit gemächlichen, schweren Schritten die Treppe zu seiner Zelle herab. Die unbekannten Wesen waren gut gewappnet durch tiefschwarze Plattenrüstungen und jeder der Eindringlinge trug eine schimmernde, dunkle Klinge in den sechsfingrigen Händen. Ihre Gesichter waren hinter Masken verborgen, die offensichtlich die Furcht schüren sollten - starre, unheimliche Gesichter mit wahnsinnigen Augen und kreisrunden Löchern, die wohl Münder darstellten.

Ihre Gestalten umwob eine Art Nebel, der magischen Ursprungs sein musste, wie Loki auf den ersten Blick erkannte; jede Bewegung schien auf seltsame Art und Weise gesteuert, als würde die schwarze, wabernde Essenz die Körper führen.

Die drei Krieger schritten auf seine Zelle zu und fassten ihn ins Licht ihrer unselig glimmenden Augen. Die Frau hinter seiner Zelle hatten sie wohl noch nicht bemerkt.

Und warum auch immer, aber Loki wollte, dass dies auch so blieb. Hoffentlich würde sie sich nicht durch eine Dummheit verraten.

»Willkommen in meinem bescheidenen Reich. Ich muss zugeben, dass ich heute keinen Besuch mehr erwartet hatte.« sprach er die unbekannten Eindringlinge schmeicheln an, während er die Arme hinter dem Rücken verschränkte und vor der Glaswand seiner Zelle stehen blieb. Sein Gesicht zeigte ein aufgesetztes Lächeln, während er die fremden Wesen studierte.

Diese neigten ihre Häupter beinahe synchron zur Seite und betrachteten ihn forschend, als wüssten sie nichts so recht mit ihm anzufangen. Dann hob einer der Krieger sein Schwert und schwang es in einem hohen Bogen gegen die Glaswand der Zelle; der Aufprall der Klinge ließ die Magie aufleuchten und den Angreifer den Boden unter den Füßen verlieren. Der Krieger wurde heftig zurückgeworfen und landete mit einem Scheppern seiner Rüstung auf dem Rücken.

Loki lachte amüsiert auf, bevor er mit einem Schnalzen der Zunge das Tun des Wesens tadelte. »Das habe ich ebenfalls bereits mehr als einmal versucht. So klappt das nicht.«

Die anderen Beiden sahen sich nun scheinbar fragend an, bevor sie angriffsbereit näher an die Zelle herantraten. Plötzlich stoppten sie jedoch und wandten die Köpfe in jene Richtung, in der Loki noch immer die Frau vermutete. Die Krieger gaben etwas in einer animalischen, grollenden Sprache von sich, bevor sie sich von Loki abwandten und um seine Zelle herumschritten.

Sie hatten sie entdeckt. Verflucht.

Die knurrenden Laute der Wesen veränderten sich plötzlich und er hörte eine andere Stimme, die verständlich sprach; eine Stimme, die anorganisch und kalt erklang, so düster wie der tiefste Schlund der Hel, rachsüchtig und zornig und dem Raum die Wärme entzog - beide Krieger sprachen gleichzeitig und stießen die Worte beinahe überrascht aus. »Licht...so viel Licht…«

Die hallende Stimme ließ Loki frösteln; ein seltener Schauer lief ihm über den Rücken und er war gewiss niemand, der schnell in Unruhe verfiel.

Offensichtlich hatten die Krieger genau wie er selbst die Macht im Blut der Frau wahrgenommen und wollten diese nun in ihren Besitz bringen.

Das konnte er nicht zulassen.

Sie gehörte ihm. Er hatte sie zuerst entdeckt. Ihre Macht war sein Eigentum; er würde hinter ihr Geheimnis kommen und es für sich nutzen - würde allen beweisen, dass er etwas wert war und sein Blut weder besudelt oder unrein. Er würde sich erheben, aus diesem Loch seiner Zelle zu jenem Thron, der ihm zustand.

Allerdings nicht, wenn diese Wesen die Frau vorher bekamen.

Einer der Krieger gab dem anderen einen Wink und sie teilten sich auf, um über beide Seiten der Zelle zu der rothaarigen Unbekannten zu gelangen. Auch der Krieger, der durch den Rückstoß der Zelle wohl kurz ohnmächtig geworden war, begann sich langsam wieder zu regen.

Nur einmal im Leben wollte Loki etwas ganz für sich. Und diese Frau mit der Magie im Blut würde Sein werden. Dafür würde er sorgen.

Er wirbelte auf dem Absatz herum und eilte zu der rückwärtigen Wand der Zelle; dort war sie, drückte sich verängstigt gegen den Felsen in ihrem Rücken und starrte den beiden näherkommenden Wesen aus panisch geweiteten Augen entgegen. Sie zitterte heftig; ihr Blick traf den seinen und die flehende Bitte in ihren hellen Augen ging ihm durch Mark und Bein.

Diese Verbindung zwischen ihnen, dieses Band - was auch immer es war - Loki konnte es fortwährend spüren und es riss an ihm wie der unerbittliche Zug der Schwerkraft; er hatte den Fuß bereits über die Klippe gesetzt und würde fallen. Dieser Bestimmung hatte er nichts entgegenzusetzen.

Er würde nicht zulassen, dass ihr etwas zustieß. Er konnte es nicht.

Diese unseligen Wesen würden ihre dreckigen Hände nicht an sie legen und ihre reine Aura beschmutzen.

»Lass mich raus.« rief er ihr entgegen und hämmerte als Untermalung seiner Worte mit den Handflächen heftig gegen die magische Glaswand. »Lass mich raus. Ich kann dir helfen.« raunte er beschwörend. Er hielt ihren ängstlichen Blick gefangen und sah sie eindringlich an. »Oder willst du sterben, Weib?«
 

»Lass mich raus. Ich kann dir helfen. Oder willst du sterben, Weib?«

Die Worte drangen in Gwens Verstand und flehten dort um Gehör, doch es dauerte einen Augenblick, bis sie die Bedeutung auch wirklich erfassen konnte.

Die eigenständige, aufgeklärte Frau in ihr begehrte gegen das „Weib“ auf, allerdings hatte sie gerade gar keine Zeit, über diese Bezeichnung empört zu sein.

Die entsetzlichen, fremden Wesen kamen zu beiden Seiten der Zelle immer näher und es würde kaum mehr lang dauern, da hätten sie Gwen erreicht; sie konnte bereits das eiskalte Glimmen ihrer Augen hinter den Masken erkennen. Die Schwerter in ihren Händen spiegelten den Fackelschein - das Licht auf den Klingen zwinkerte ihr zu, als wollte es sie von einem grausamen Scherz überzeugen.

Ihre Brust hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen, der kalte Schweiß der Angst ließ ihr den Stoff des Kleides unangenehm am Körper kleben.

Das Bild des jungen Wissenschaftlers blitzte in ihrer Erinnerung auf; wie er sterbend ins Leere gestarrt hatte, als der Tod viel zu schnell und zu grausam für ihn kam.

Sie musste handeln. Sich sofort entscheiden.

Ihr Blick glitt zurück zu dem Mann in der Zelle. Seine Augen hielten ihre gefangen und die Bestimmtheit in seinen grünen Pupillen erweckte sie aus ihrer Starre.

Nein, sie wollte definitiv nicht sterben. Doch konnte sie ihm vertrauen?

Er war ein Gefangener. Vielleicht war er gefährlich. Womöglich würde er sie sofort im Stich lassen und fliehen, sobald er frei war…

Doch was hatte sie schon für andere Möglichkeiten, als ihm zu glauben?

Und - Himmel, warum auch immer - doch sie vertraute ihm und verließ sich auf seine Worte. Entweder war das die letzte Dummheit in ihrem Leben oder aber sie könnte die Nacht überleben.

So oder so…sie würde es bald wissen. Denn sie hatte sich entschieden.

Gwen stieß sich von der Felsenwand im Rücken ab und überbrückte die kurze Strecke zur Zellenwand mit großen Schritten; dort schlug sie beide Handflächen gegen das Glas und ließ den Wunsch in sich Gestalt annehmen, dass die Barriere verschwinden möge.

Flehend kniff sie die Augen zusammen. Sie war nie sonderlich religiös gewesen, allerdings betete sie jetzt.

Bitte, lass es klappen!

Hoffentlich war das letzte Mal nicht einfach nur reines Glück oder Zufall gewesen…

Sofort reagierte die Magie im Glas auf ihre Berührung, beinahe noch schneller als beim ersten Mal hier unten. Die energetischen Leitungen schienen das Blut ihrer verletzten Hand förmlich aufzusaugen, bevor sich das Glas mit rasender Geschwindigkeit knisternd zurückzog.

Gwen ließ die Hände langsam wieder sinken und trat einen vorsichtigen Schritt zurück.

Wie ein Raubtier, das man aus seinem Käfig lässt, schoss es Gwen augenblicklich durch den Kopf - genauso bewegte sich der schwarzhaarige Mann nun, nachdem er flüchtig die Augen geschlossen und ein feines Schmunzeln seine Lippen gekräuselt hatte.

Er atmete gemächlich tief ein, sodass seine Nasenflügel genießend bebten, bevor er den intensiven Blick auf sie senkte und sie fixierte.

Selbst im Angesicht der Gefahr, in der sie schwebten, stieg er anmutig aus seiner Zelle, als wäre er anmaßend genug, allen Dingen mit erhobenem Haupt zu trotzen; jeden Schritt wählte er mit Bedacht, als würde er das Gefühl der Freiheit bewusst auskosten wollen.

Seine Gestalt veränderte sich in einem Schimmern. Wo er zuvor nur eine einfache, formlose Tunika und Stoffhosen getragen hatte, schmiegte sich nun eine grün-goldene Rüstung um seinen schlanken, hochgewachsenen Körper; sie erschien wie aus dem Nichts und Stoff sowie dunkles Leder umhüllten ihn wie eine zweite Haut - perfekt angepasst an seine sehnigen Glieder und gestärkt von goldenem Metall.

Ein dunkelgrüner Mantel schwang sich um seine Füße, die nun in schweren, langen Stiefeln steckten, als er neben Gwen stehen blieb und ein süffisantes Lächeln auf sie herabschickte. »Habt Dank, Mylady.« raunte er auf herablassende Weise und neigte das Haupt spöttisch vor ihr. Gwen musste schlucken.

Das war es also. Das Ende.

Er würde sie töten. Oder besser noch - er würde es diese Wesen tun lassen, die für kurz unschlüssig und vorsichtig in ihren Schritten innegehalten hatten, als der Mann seinem Gefängnis entstiegen war. Nun hoben sie allerdings angriffsbereit ihre Schwerter und stürmten auf sie beide zu.

Für einen Augenblick war Gwen tatsächlich der festen Überzeugung, sterben zu müssen.

Sie würde ihre Eltern nie wiedersehen. Ashlyn und Andrew auch nicht. Und auch Winston nicht.

Sie sah den schwarzhaarigen Mann an, konnte nicht verstehen, warum er sie einfach im Stich ließ und hinterging; da war etwas zwischen ihnen, sie hatte es doch gespürt.

Hatte sie sich wirklich so sehr getäuscht? Hatte sie ihr Gefühl so hinterhältig betrogen?

Gwen holte tief Luft und wappnete sich innerlich für den Stoß der Klinge eines heranstürmenden Kriegers, dessen Spitze bereits auf ihre Brust zielte.

»So wenig Vertrauen.« seufzte der Mann resigniert. Er sah tadelnd auf sie herab und ließ erneut ein Schnalzen der Zunge vernehmen; währenddessen erschien in einem erneuten Flackern der Luft ein filigraner Dolch in seiner Hand - auf ebenso geisterhafte Weise wie zuvor seine Rüstung.

Er musste ein Magier sein.

Und die schmale Klinge flog schon im nächsten Augenblick aus seiner Hand zielgerichtet auf einen ihrer Angreifer; bohrte sich mit einem feuchten Geräusch in die Schwachstelle der Rüstung zwischen Schulter und Hals. Mit einem röchelnden Geräusch ging das Wesen in die Knie und kippte scheppernd auf die Seite. Sein Schwert rutschte aus der kraftlosen Hand und über den Boden davon, während sich der düstere Nebel um den Krieger auflöste.

Gwen blinzelte unverständig; sie starrte das tote Wesen einen Moment an, bevor ihr Blick zu dem Mann zurückschoss.

Seine Bewegung war so fließend und kontrolliert gewesen, der Wurf der Klinge so präzise, dass keine Frage darin bestehen konnte, ob er im Kampf geschult war. Er wusste definitiv, was er tat.

»Vorsicht!« rief Gwen, als der andere Krieger mit einem Brüllen die letzten Meter bis zu ihnen überwand; angestachelt von der Wut über den Tod seines Kampfgefährten hob er sein Schwert in einem weiten Bogen über den Kopf und ließ die Klinge mit Wucht auf den schwarzhaarigen Mann niedersausen. Dieser Schlag würde ihn zweiteilen - ihn töten.

Der Kopf des Mannes ruckte zu ihr herum und ein heftiger Stoß seinerseits ließ sie zurück gegen die Felswand taumeln - aus der Reichweite des Schwertes. Und dann verschwand seine Gestalt in einem Flirren der Luft, als wäre er nur eine Illusion gewesen.

Gwen starrte genauso überrascht auf die Stelle, wo er eben noch gestanden hatte wie das Wesen, dessen Klinge in einem Funkenregen mit dem Steinboden kollidierte, ohne auf Fleisch getroffen zu sein. Der Krieger ließ den Kopf herumfahren und gab ein wütendes Knurren von sich. Dann fiel sein Blick auf Gwen und er hob sein Schwert erneut.

Bevor er jedoch den ersten Schritt in ihre Richtung setzen konnte, durchbrach eine düstere Klinge seine Brustrüstung mit Gewalt; Einzelteile der gesplitterten Platte flogen klappernd davon, während das Wesen die eigene Waffe scheppernd fallenließ und überrascht auf die Spitze des Schwertes blickte, dass aus seiner Brust ragte.

Mit einem schmerzlichen Grollen kippte das Wesen zur Seite und landete mit einem dumpfen Laut auf dem Boden, als die Klinge wieder herausgezogen wurde; der wabernde Dunst, welcher den Krieger bisher umhüllt hatte, zerstob in der Luft und Blut verteilte sich rasend schnell unter ihm wie ein grotesker See.

Hinter dem gefallendem Wesen kam der dunkelhaarige Mann wieder zum Vorschein, in der Hand die blutgetränkte Klinge des Feindes, die er wohl vom Boden aufgehoben hatte - er stand dort wie ein fleischgewordener Dämon; die leuchtenden Augen wild, die Lippen von einem teuflischen Grinsen geteilt, der Körper gespannt und beinahe begierig auf den Kampf.

Vielleicht hätte Gwen Angst vor ihm verspüren sollen, doch selbst jetzt konnte sie es nicht wirklich.

Er war furchteinflößend, beeindruckend in seiner Erscheinung und seinen Fähigkeiten; und doch - das Band zwischen ihnen war noch immer da und ließ Gwen nun die zitternden Schritte ohne Zögern wieder in seine Richtung setzen, als er das Schwert achtlos beiseite warf und ihr die Hand entgegenstreckte. »Komm.« sprach er mit dieser samtweichen, einnehmenden Stimme, die noch immer durch einen dunklen Hauch angeraut war, als müsste er sie erst wieder in Geschmeidigkeit erproben.

Er umfing ihre Hand mit einem festen, entschlossenen Griff, als sie ihre Finger in seine bettete - und abermals war das Aufeinandertreffen ihrer Hände beinahe magisch; Gwen war fast der Meinung, dass man Funken sehen müsste, so kribbelte die Berührung auf ihrer Haut, durchfuhr Muskeln und Knochen und brachte ihr Innerstes zum Beben.

Er musste es auch gespürt haben, denn sein scharfer Blick überflackerte für einen Moment ihr Gesicht, bevor sein Fokus ebenfalls auf ihre beiden Hände fiel; ein rätselhaftes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, bevor er sie entschieden mit sich zog. »Und nun…raus hier.«

Sie hatten den letzten Krieger vergessen.

Gerade, als sie hinter der Zelle hervortraten, sahen sie sich unvermittelt dem dritten Wesen gegenüber, dessen Kopf mit einem Grollen zu ihnen herumruckte; die Augen hinter der Maske leuchteten erbost auf und aus dem zahnbewehrten, geifernden Maul der Maske drang ein tiefes, warnendes Grollen. »Es gehört mir, Magier…das Licht gehört mir…« Die wabernden Schatten um den Krieger wurden unruhiger und bäumten sich wie eine Schlange über dem Wesen auf.

Da war sie wieder - diese unbekannte, entsetzliche Stimme, welche durch jeder Faser zu dringen schien; durch Haut, Fleisch, Blut und Knochen - ein unseliger Grabeshauch, der von Zerstörung und Tod kündete.

Gwen schlang ihre Finger unbewusst fester um die des Mannes an ihrer Seite und schob sich instinktiv ein Stück hinter ihn, als sich das Wesen in ihre Richtung wandte und mit gezogener Klinge auf sie zukam.

Von was für einem Licht sprachen die Wesen da nur ständig? Bereits zuvor hatten die anderen zwei diese Bezeichnung benutzt.

»Da sind wir offensichtlich unterschiedlicher Meinung.« bemerkte der schwarzhaarige Mann mit einem selbstsicheren, herablassenden Lächeln. Seine freie Hand fuhr unter den Stoff seines Mantels. »Das tut mir wirklich außerordentlich lei-« Er unterbrach sich selbst, indem er sich auf die Zunge biss und gespielt nachdenklich den Blick senkte, bevor ein tückisches Grinsen seine Lippen erneut teilte. »Nein, eigentlich tut es mir doch nicht leid.«

Er zog die Hand unter dem Stoff hervor, erneut einen schimmernden Dolch zwischen den Fingern, welchen er in einer fließenden, zielgerichteten Bewegung gegen ihren Angreifer schleuderte. Die Klinge drang mit einem ekelhaft feuchten Geräusch in eine Augenöffnung der Maske und blieb dort stecken, während der Krieger ein ohrenbetäubendes Schmerzgeheul ertönen ließ.

Der Magier streckte die Hand in Richtung des Wesens aus und ruckartig bohrte sich der Dolch weiter in das Fleisch des Feindes; begann sich quälend langsam um die eigene Achse zu drehen - synchron dazu schraubte sich das Geschrei des Kriegers in die Höhe.

»Ich denke, es ist Zeit zu verschwinden.« Der Mann zog Gwen mit sich und beide kämpften sie sich über die Trümmer der Tür die Treppe hinauf. Auf dem Gang vor der Höhle schlug ihnen Rauch und Lärm entgegen; von irgendwo waren Kampfgeräusche zu vernehmen, das Ächzen von Rüstungen und das Klirren von Stahl auf Stahl. Der Boden erbebte noch immer unter dem Donnern von Schüssen - ein nahes Fenster gab den Blick frei auf den Nachthimmel über Asgard, an dem die Schlacht noch unvermindert weitertobte. Eines der kleineren Raumschiffe schoss gerade in jenem Augenblick pfeifend an ihrem Standort vorbei und krachte in einem Feuerball gegen die Mauer des Palastes.

Der Magier schlang einen Arm um Gwen, schützte sie mit dem eigenen Körper und zog sie geistesgegenwärtig vom Fenster weg, das in der folgenden Druckwelle splitternd in tausend glänzende Scherben zerbrach. »Ich weiß, dieser Anblick da draußen ist unheimlich fesselnd, allerdings sollten wir jetzt schleunigst weitergehen.« schrie er gegen den Lärm an.

Sie gab ein erschrockenes Nicken von sich, starrte weiter auf das eben zerstörte Fenster, während sie sich von dem Mann vorwärts ziehen ließ, immer weiter den Gang entlang.

Der Palast hatte bereits unheimlich gelitten - Säulen waren eingestürzt, Wände zerstört und brüchiges Mauerwerk ragte wie das grausige Gebiss eines riesigen Ungeheuers in die Nacht; der kunstvolle Marmorboden war unter ihren Füßen an einigen Stellen aufgebrochen und Fackeln aus ihren Halterungen gefallen, um nun schwelend am Boden ihr Leben auszuhauchen.

In einiger Entfernung brannte ein Vorhang lichterloh und der beißende Rauch raubte Gwen den Atem und die Sicht. Durch die dichten Schwaden konnte sie einige Schemen ausmachen, die sich einen erbitterten Kampf lieferten.

Als sich der Rauch ein wenig verzog, erkannte sie Fandral und Volstagg, die von einer Übermacht der fremden Wesen an die Wand gedrängt wurde. Es stand nicht gerade günstig für Thors Freunde und ein wenig Beistand wäre ihnen garantiert mehr als recht.

Gwen wollte sofort voranstürmen, doch ein stahlharter Griff hielt sie am Arm zurück. »Sie brauchen Hilfe!« begehrte sie empört auf und wehrte sich gegen die Hand des Magiers, der ihrem fragenden Blick gleichgültig begegnete, bevor sein grüner Fokus auf die zwei Kämpfer fiel, die sich noch immer tapfer dieser Übermacht erwehrten; allerdings war die Erschöpfung auf ihren Gesichtern nur allzu deutlich sichtbar.

Dagegen waren die Züge des schwarzhaarigen Mannes erschreckend gleichgültig; er betrachtete den Kampf in der Ferne regungslos, den Kopf leicht auf die Seite geneigt, als würde er einer Stimme lauschen, die nur er selbst vernehmen konnte.

»Wir müssen ihnen helfen!« versuchte Gwen es erneut und riss an ihrem Arm, doch der Magier lockerte seinen Griff nicht. Sie sah ihn ungeduldig an, ließ ihren Blick eindringlich um Unterstützung flehen. Er war mächtig. Er könnte helfen. Was war nur mit ihm los?

Natürlich…wie konnte sie nur so dumm sein!? Er war ein Gefangener gewesen, wahrscheinlich ein Feind Asgards. Was sollte es ihn schon kümmern, wenn diese Asen starben. Vielleicht war es ihm sogar ganz recht. Sie würde wohl von ihm keine Hilfe erwarten können.

Doch Gwen war fest entschlossen, den beiden Freunden Thors zu helfen; auch wenn sie allein war und keinen blassen Schimmer hatte, wie und womit eigentlich. Ihre Kampferfahrung beschränkte sich auf ein paar Stunden Selbstverteidigung, die sie auf Grund von Ashlyns gutem Rat in ihren ersten Tagen in New York absolviert hatte - nicht gerade die Grundlage, mit der man in einem Krieg gut gerüstet war.

Doch der junge Wissenschaftler von vorhin war genug verschuldeter Tod ihrerseits gewesen; sie würde sich nie wieder der Reue und dieser Schmach erwehren wollen, selbst zu feige gewesen zu sein in einen Kampf einzugreifen. Lieber wollte sie das Risiko eingehen, selbst verletzt zu werden - das war um einiges besser als ein Feigling zu sein.

Auf dem Gesicht des Magiers veränderte sich etwas; der leere, ausdruckslose Blick verschwand und er schien Gwen wieder richtig zu sehen, fixierte sie forschend und zog die Stirn in Falten. Sie konnte es beinahe spüren - diesen Kampf in ihm, als sein Fokus von ihr zu den beiden Männern in Bedrängnis glitt, bevor er kurz zur Seite aus einem der nahen Fenster sah. Ein sehnsüchtiger Ausdruck huschte wie ein Schatten flüchtig über sein Gesicht, bevor er mit einem Seufzen murmelte: »Ich werde es bereuen…« Dann hoben sich seine Mundwinkel erneut zu diesem diabolischen Grinsen, während seine grünen Augen in leidenschaftlichem Licht aufleuchteten.

Gwen fragte sich nicht zum ersten Mal, ob er nicht vielleicht verrückt war; der Hauch von Gefahr und unterschwellig brodelndem Wahnsinn umwehte ihn beinahe greifbar.

Tja, dann war sie wohl auch nicht besser - immerhin hatte sie ihn aus seiner Zelle geholt und ihm ihr Leben anvertraut. Welch beruhigende Vorstellung...

Er ließ sie los und stürmte an ihr vorbei in Richtung der verbissen kämpfenden Krieger. Gwen beeilte sich ihm zu folgen.

Noch im Laufen schwang der Magier einen Arm zu einer wegwischenden Bewegung; die fremden Wesen, die die Freunde Thors belagert hatten, wurden wie Marionetten zurückgerissen und durch die Luft geschleudert. Sie krachten mit brechenden Gliedern an die gegenüberliegende Wand und fielen an jener nacheinander mit dumpfem Scheppern ihrer Rüstungen herab.

Fandral und Volstagg hielten ihm Kampf inne, sahen zunächst sich gegenseitig irritiert an, bevor sie ihre Waffen fragend musterten; erst dann bemerkten sie Gwen und den schwarzhaarigen Mann, die in ihre Richtung liefen und ihnen zu Hilfe eilten.

Die Augen der beiden tapferen Kämpfer weiteten sich auf beinahe groteske Größe, während sie ihnen entgegenstarrten und entgeistert ihre Waffen sinken ließen. Moment - nein - sie starrten nur den Magier an, der eben eines der Wesen mit einem schnellen Hieb seines Ellenbogens vor dessen Kehle außer Gefecht setzte.

Zwei der fremden Eindringlinge hatten sich wieder aufgerappelt und attackierten nun den Magier, der sich zwischen ihnen und Thors Freunden platziert hatte. Die beiden Kämpfer wirkten auch nicht so, als würden sie im nächsten Moment wieder fähig sein, sich zu verteidigen - sie sahen völlig schockiert aus.

»Loki?!« rief Volstagg fassungslos und seine Axt glitt ihm mit einem Krachen aus der Hand.

»Was - in Hels Namen - machst du hier?!« Auch Fandrals Degen verblieb ungenutzt in dessen Hand.

»Ich freue mich auch, euch zu sehen.« warf der schwarzhaarige Mann über die Schulter spöttisch zurück, während er das letzte verbliebene Wesen mit einem Tritt in den Magen auf Abstand hielt; dieses gab ein wütendes Fauchen von sich und taumelte getroffen, bevor es erneut auf den Magier einstürmte.

Der wirbelte herum und riss Fandral den Degen aus der kraftlosen Hand. »Ich darf doch kurz…« Mit einer geschmeidigen Wendung drehte er sich um die eigene Achse und stieß dem herannahenden Wesen die Klinge durch die Kehle. Das Blut schoss in einer schimmernden Fontäne aus der Wunde, als der Magier den Degen wieder zurückzog; der düstere Krieger stolperte über die eigenen Füße, die bleichen Hände auf die Wunde gedrückt, bevor er kraftlos in die Knie sackte.

Loki schöpfte tief nach Atem und Gwen sah ihn für einen Augenblick schwanken; doch er fing sich wieder. Allerdings war er nun noch blasser als zuvor schon in seiner Zelle.

Mit der Spitze des Degens deutete er auf das tote Wesen zu seinen Füßen. »Ihre Rüstungen haben Schwachstellen am Hals und-« Er wurde grob unterbrochen, indem Volstagg den Magier an seinem Mantel packte und zu sich herumzog; der schwarzhaarige Mann krachte daraufhin mit dem Rücken gegen die nächste Wand, Volstaggs Hand hielt ihn an der Kehle gefangen und hinderte ihn am Fliehen, sowie wohl auch am Atmen, denn er schnappte keuchend nach Luft.

Der rotbärtige Krieger baute sich drohend vor ihm auf und Fandral trat an dessen Seite. »Was machst du hier, Loki?! Das ist doch dein Werk, nicht wahr?!« schrie Volstagg den Magier an und schüttelte ihn.

»Ist dieser Angriff wieder einer deiner seltsamen Scherze?!« fragte Fandral drohend.

Der Magier gab ein ersticktes Lachen von sich, welches bitter klang. »Natürlich - es geschieht ein Unglück und der Erste, der euch als schuldig erscheint, bin ich.« stieß er krächzend aus. »Nichts hat sich geändert. Wirklich gar nichts.« Er stemmte sich gegen den atemraubenden Griff des rothaarigen Riesen und verzog die Lippen zu einem humorlosen, resignierten Grinsen.

Gwen stürmte zu Volstagg, nachdem sie endlich aus ihrem Schock erwacht war und riss an dessen Arm, der den Magier unerbittlich gegen die Wand presste. »Nicht! Lass ihn los! Was soll das denn!?«

Fandral und Volstagg nahmen erst jetzt wirklich Notiz von ihr und sahen sie entgeistert an, als wäre sie plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht. »Mary-Ann?! Was…wie kommt Ihr denn hier her? Was macht Ihr hier? Und vor allem…mit dem?!« Der Krieger stieß den Magier in seinem Griff erneut grob gegen die Wand, als wäre er ein lästiges Insekt, was es zu zerquetschen gelte.

»Nein! Hör auf damit!« Erneut zerrte Gwen an dem Arm des Riesen, doch genauso gut hätte sie auch versuchen können einen Berg mit bloßen Händen zu bewegen. Hilflos hämmerte sie dann mit den Fäusten auf Volstagg ein, da sie sich nicht anders zu helfen wusste.

Sie sah das Leid des Magiers; die Qual und die Erschöpfung in seinem bleichen Gesicht und sein Schmerz ging ihr näher, als er das wohl sollte - er hatte sie gerettet und nun war es an ihr, diese Schuld abzugelten. »Lass ihn endlich los! Er hat mich gerettet! Wenn er nicht gewesen wäre, dann wäre ich wohl bereits tot. Und ihr zwei genauso!« Anklagend schleuderte sie den beiden Männern die Worte entgegen und endlich zeigte sich auf deren Gesichtern eine andere Regung als Abneigung gegen den Magier.

»Was?« Volstagg sah sie an, als wäre sie völlig verrückt geworden; allerdings ließ er endlich von Loki ab. Dieser schnappte keuchend nach Luft, als der eisenharte Griff um seine Kehle verschwand und krümmte sich in einem Hustenanfall. »Euch gerettet?! Was redet Ihr da für Unsinn, Mädchen?«

Gwen war mit einem schnellen Schritt zu dem schwarzhaarigen Mann getreten und wollte ihn stützen, doch er wehrte ihre Hilfe mit einer knappen Handbewegung ab. Ihr zornfunkelnder Blick traf die beiden Männer, die unschlüssig zwischen ihr und dem Magier hin und her sahen. »Ja, gerettet. Das ist kein Unsinn, sondern die Wahrheit. Ich bin noch recht klar im Kopf.«

Sie wusste noch immer nicht, wer der Mann war. Die beiden hatten ihn Loki genannt. Sie kannten ihn offensichtlich. Und so, wie sie auf ihn reagiert hatten, mochten sie ihn nicht gerade.

Sie hatte keine Ahnung, was er verbrochen hatte - doch sie schuldete ihm ihr Leben, dass wusste sie mit Sicherheit. Und sie würde ihn verteidigen, so es nötig sein sollte. Auch gegen die Freunde Thors.

»Was - im Namen der Hel - geht hier vor sich?« donnerte plötzlich eine gebieterische Stimme aus dem Nichts durch die Halle. Fandral und Volstagg traten einen Schritt beiseite und gewährten Sicht auf Odin, der respekteinflössend in seiner Rüstung auf sie zuschritt; der Speer Gungnir kampfbereit in seiner Hand.

Auch der Allvater musste dem Kampf beigewohnt haben, denn Ruß und Asche überzogen seine Rüstung sowie sein Haar. Sein Umhang war an einer Stelle zerfetzt und getrocknetes Blut klebte auf seiner Wange, welches aus einem Schnitt unterhalb des sichtbaren Auges geflossen war.

Neben ihm gingen Thor und Heimdall, ihnen folgte die Königin Frigga und hinter ihr ein Trupp Palastwachen. Auch der Donnergott war von der Schlacht gezeichnet; die Rüstung beschmutzt, die Haare wirr und verklebt von Staub und Blut.

Alle Augen waren nun auf den Magier neben Gwen gerichtet - die Schritte der Herannahenden stockten kurz und in jedem Blick sah sie die gleiche Reaktion; zuerst ungläubige Verwunderung, die sich schnell in Zorn und eisige Verurteilung wandelte.

Allein im Gesicht der Königin erkannte Gwen neben dem Schock auch…Zuneigung?!

Nur Heimdalls wie gemeißelte Züge blieben ausdruckslos.

»Wie bist du deiner Zelle entkommen, Sohn?« Odin blieb ein paar Schritte vor ihnen stehen und sein hartes Gesicht zeigte kaum eine Regung, obwohl sein Auge den Aufruhr in ihm nicht gänzlich verbergen konnte, als er auf den Magier sah, der sich neben Gwen gerade wieder in eine aufrechte Position erhob. Dessen Mundwinkel zuckten leicht, als müsste er sich ein Lachen verkneifen.

Moment mal - Sohn?! Wie "Vater und Sohn"?! Bestürzt sah sie den schwarzhaarigen Mann an.

Das war doch nicht etwa Thors Bruder, von dem jener gesprochen hatte - der angeblich tote Bruder?! So langsam fügten sich die Teile des Puzzles zusammen.

»Hast du noch immer nicht begriffen, dass ich nicht dein Sohn bin…?« wisperte der Magier beinahe amüsiert. »Diese Bezeichnung ist vergebliche Liebesmüh, Vater.« Das letzte Wort spuckte er fast aus, als hätte er eine besonders bittere Frucht gekostet. Sein grüner Blick begegnete dem des Allvaters stolz und funkelnd.

»Loki…« hauchte die Königin und hob die zitternde Hand an die bebenden Lippen. In ihren Augen schwammen Tränen. Heimdall hielt sie mit einer sanften Berührung am Arm zurück, als sie Anstalten machen wollte hinter Odin hervorzutreten.

Thors Blick ruhte zurückhaltend auf dem Magier; Gwen erkannte Mitgefühl in seinem Blick, eine alte Verbundenheit, allerdings auch harte Resignation, als hätte er schon lang mit einem Tag wie diesem gerechnet.

Odin wirkte völlig ungerührt, seine Züge eine harte Maske aus Strenge und der jahrelangen Bürde des Throns; der Gewissheit, nötige Urteile fällen zu müssen, für die andere nicht die Kraft hatten. Die Worte seines Sohnes schien er gar nicht gehört zu haben oder er ignorierte sie schlicht. »Ist das wieder dein Werk, Loki? Ist dieser Angriff dein verfluchtes Werk?!« fuhr er den Magier hart an. »Wie bist du aus deiner Zelle entkommen? Antworte!«

Selbst unter dem Zorn des Allvaters hob Loki das Kinn widerspenstig und begegnete seinem Gegenüber mit arroganter Haltung, indem er auf bewusst nachsichtige Weise lächelte und überheblich auf seinen Vater herabsah. »Wen wirst du als Sündenbock brandmarken, wenn ich einmal nicht mehr da bin, Vater? Wer wird dann das Opferlamm für all deine Fehler und falschen Entscheidungen sein?!«

»Warum finden wir es nicht gleich heraus?« erwiderte der Allvater aufgebracht und richtete seinen Speer auf die Kehle Lokis. Dieser zuckte nur ein unmerkliches Stück zurück und begegnete der Waffe mit einem spöttischen Grinsen. »Ich hätte sofort das nötige Urteil über dich sprechen sollen, als der Liebe und Fürsprache deiner Mutter nachzugeben! Der Tod ist die einzig wahre Strafe für dich!«

»Dann tue es!« zischte der Magier nun, seine Augen hatten sich herausfordernd verengt. »Tue es, Vater! Gleich hier und sofort!«

»Nein!« Noch bevor Frigga den Arm ihres Mannes ergreifen konnte, um ihn zurückzuhalten, war Gwen zwischen Loki und den Allvater getreten; schob den Speer Gungnir kurzentschlossen beiseite und stellte sich schützend vor den Magier.

Ihrer Handlung wurde sie sich erst so richtig bewusst, als nun alle Augen mit einem Mal auf ihr ruhten - plötzlich war sie der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Selbst der Blick Lokis hing nun auf ihr; forschend, stutzig und völlig überrascht.

Gwens Herz begann zu rasen und sie musste schlucken, als der vernichtende Blick Odins auf sie traf, doch sie rührte sich nicht von der Stelle. Sie reckte das Kinn entschlossen und sah alle Anwesenden nacheinander an.

Egal, was Thors Bruder auch verbrochen haben mochte, ihr hatte er das Leben gerettet. Und sie hatte nicht einfach tatenlos dabei zusehen können, wie man ihn einer Sache anklagte, an der er vielleicht gar keine Mitschuld trug. Alle hatten nur von seiner zweifelsfreien Schuld gesprochen; Gwen fühlte sich ihm noch immer verbunden und konnte den Drang einfach nicht ignorieren, für ihn zu sprechen. Irgendjemand musste es doch tun.

»Aus dem Weg, Sterbliche!« grollte der Allvater warnend und Thors Blick war beinahe bittend, als er sie ansah und unmerklich den Kopf schüttelte, um sie vor weiteren Unbedachtheit zu warnen.

Ja, Gwen musste sich wohl in Gedanken berichtigen - die Dummheit des Tages war es nicht gewesen, den Magier aus seiner Zelle zu befreien, sondern nun vor den Allvater zu treten und dessen Urteil und Strafe in Frage zu stellen. Hatte sie eigentlich vollkommen den Verstand verloren?

Wie war das doch gleich mit Direktor Furys gutem Rat gewesen, sich nicht in die Angelegenheiten der Asen einzumischen? Das hatte sie ja ganz hervorragend hinbekommen…

»Nein. Ich schulde ihm mein Leben.« erwiderte sie entschieden. Bevor sie erneut zu einem Wort ansetzen konnte, verspürte sie eine Regung hinter sich; Loki hob unerwartet eine Hand und jeder der Anwesenden spannte sich alarmiert an. Jedoch plante der Magier gar keinen Angriff…

Unbemerkt von allen hatte sich einer der fremden Eindringlinge an die Gruppe herangeschlichen und stand nun breitbeinig in einem der zerbrochenen Fenster; über die Brüstungen und Terrassen des Palastes war er ihnen nahe genug gekommen, um eine Armbrust zu spannen und einen Pfeil zielgerichtet in die Ansammlung der Asen zu schießen. Sein auserwähltes Opfer war die Königin.

Weder Odin noch Thor hätten schnell genug reagieren können, um den tödlichen Pfeil abzuwehren; alle wirbelten herum, doch das Geschoss stoppte in letzter Sekunde wie durch Geisterhand in der Luft vor der Kehle Friggas, die einen erschrockenen Laut ausstieß. Die Luft um den Pfeil vibrierte magisch und das Holz blieb wie in einer durchsichtigen Membrane stecken, bevor das Geschoss im nächsten Augenblick gefahrlos klappernd zu Boden fiel.

Die Palastwache war sofort zu dem fremden Angreifer geeilt; ein Speer durchbohrte den Krieger, der daraufhin rückwärts vom Fensterbrett fiel und aus dem Sichtfeld verschwand.

Thor war sofort an der Seite der Königin und schob den Pfeil mit dem Fuß angewidert beiseite. »Geht es dir gut, Mutter?«

Gwen verspürte plötzlich Wärme im Rücken, als sich ein Körper gegen sie drückte; nein, nicht drückte - fiel. Sorgenvoll drehte sie sich herum und konnte gerade noch die Arme um den Magier schlingen, der das Bewusstsein zu verlieren schien. Sein Gesicht glich nun einer weißen Leinwand ohne jegliche Farbe des Lebens; seine Lippen waren blass und die Lider sanken über die dunkler werdenden Augen des Mannes herab, unter denen tiefe Schatten lagen.

»Oh Gott…« Gwen fing Loki auf und ging mit ihm in die Knie, da sein Gewicht für sie allein zu viel war. Sofort wallte Sorge um ihn in ihr auf; sie bettete seinen Kopf an ihrer Schulter und strich ihm das dunkle Haar von der bleichen Wange, welche völlig eingefallen wirkte.

Plötzlich überkam sie furchtbare Angst, dass er sterben könnte; sie hatte das unbestimmte Gefühl, das sie das nicht ertragen würde. Sorge überschwemmte sie wie das aufbrausende Meer, wollte sie erdrücken und ihr den Atem rauben. Die seltsame Verbindung zwischen ihnen hatte noch immer bestand; fesselte sie an ihn und ließ ihre Emotionen noch deutlicher auflodern wie ein frisch genährtes Feuer.

Er hatte schon in seiner Zelle ungesund ausgezehrt gewirkt; der Kampf und die Anstrengung mussten einfach zu viel für ihn gewesen sein, noch dazu hatte er eine Menge an Magie verbraucht und gewirkt. Sein Herz schlug langsam und dumpf neben ihrem, als sie ihn beschützend an sich drückte und den Blick mit grimmiger Entschlossenheit zu den Umstehenden hob.

Sollte es auch nur einer wagen, Hand an ihn zu legen…sie würde ihn verteidigen - bis aufs Blut.

Doch alle sahen völlig fassungslos auf sie herab und keiner machte Anstalten, sich zu bewegen - als hätte das Bild, was Gwen mit dem Magier bot, ihnen allen sämtliche Entschlossenheit und Wut geraubt. Über die Lippen der Königin huschte der flüchtige Hauch eines gerührten Lächelns.

»Bitte…helft ihm…« wisperte Gwen flehend und spürte Feuchtigkeit aus ihrem Augenwinkel rollen. Der ganze Schrecken der Nacht brach erbarmungslos über sie herein. Sie blinzelte gegen die unkontrollierbaren Tränen an, die ihrem aufgewühlten Inneren eine Gestalt gaben. »Bitte…tut ihm nichts« hauchte sie.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Na, Erwartungen erfüllt?! ;) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  _Ryosuke_
2014-02-13T18:07:55+00:00 13.02.2014 19:07
Ich habe jetzt erst angefangen deine Fanfiction zu lesen und omg zu diesen Kapitel muss ich einfach ein Kommentar schreiben!
Es war so gut, so... einfach toll. Gute beschrieben, ich konnte bei allen Kampfszenen gut folgen, die Personen sind nah an der Mythologie dargestellt und auch Gwen ist keine typische Menschenfrau. Toll erstmal.
Ich fand den Anfang (die ersteren Kapitel) recht schleppend, aber das lag auch eher an meine Ungeduld Loki endlich in Action zu erleben. :)

Wie gesagt, sehr sehr gutes Kapitel und ich lese liebend gerne weiter und werde auch Kommentare abgeben :3
Antwort von:  Ceydrael
14.02.2014 19:46
Ach, ich freu mich, dass wieder jemand über meine Geschichte gestolpert ist und sich dafür begeistern kann :)
Ja, die ersten Kapitel waren bestimmt nicht so spannend, aber gehört ja alles zur Geschichte. ;) Natürlich haben alle nur auf Loki gewartet! xD
Ich kann es verstehen <3

Ich freu mich, wenn du weiter liest und mir ab und an vielleicht noch ein Kommi dalässt ^-^
Danke für deine Rückmeldung! :)

glg Cey
Von:  xXGwenStacyXx
2013-11-15T06:33:34+00:00 15.11.2013 07:33
Oh Mann... Das war so genial :D
Von deiner Darstellung von Loki über die Spannung bis hin zu den anderen Charakteren und der Bindung zwischen Loki und meiner Namenschwester - an diesem Kapitel stimmt echt alles! Das beste bisher, mit Abstand. Dafür lohnt sich das Warten auf jeden Fall, danke dafür :D
Bitte mach weiter so, und ändere bloß nichts an deinem Schreibstil, der ist so fantastisch :D
Antwort von:  Ceydrael
23.11.2013 12:23
Danke Danke *verbeugt sich* :D
Ich weiß immer gar nicht, wie ich meine Freude über die tollen Rückmeldungen ausdrücken soll! Bin ganz begeistert davon, dass du dich so gut in die Geschichte einfinden kannst und dir meine Darstellung der Charaktere gefällt :)
Keine Sorge, an meinem Schreibstil werde ich in absehbarer Zeit bestimmt nichts ändern - geht ja auch gar nicht ;D
Hoffentlich bis zum nächsten Kapitel! :)
Von:  Piruette
2013-11-14T22:15:25+00:00 14.11.2013 23:15
Aaaah es ist da! Und ich bin unglaublich begeistert. Das warten hat sich auf jedenfall gelohnt und wie auch bei den anderen Kapiteln hat es mich total gefesselt! Wunderbar wie du Loki darstellst, die typische Arroganz und dann doch zugleich dieses neugierige, was allerdings keinesfalls zu übertrieben wirkt. Genauso würde ich ihn wohl auch darstellen :)
Ich bin gespannt wie es weiter geht & durch die Länge deiner Kapitel lohnt es sich wirklich zu warten!
Vielen Dank & mach weiter so, ich freeeue mich :D
Allerliebste Grüße, Piruette.

Antwort von:  Ceydrael
23.11.2013 12:19
Und ich bin unheimlich begeistert über deine tolle Rückmeldung! *.*
Gut, dass du dich nicht an der längeren Wartezeit störst...puh *erleichtert ist* Da die Geschichte nebenher am Entstehen ist und ich nicht immer zum Schreiben komme, dauert es halt leider immer ein wenig.
Ich freu mich riesig, dass ich Loki in deinen Augen gut getroffen habe - immerhin ist der Kerl echt knifflig darzustellen; da soll man sich auch mal erfolgreich in einen Gott der Lügen versetzen! ;D
Bis zum nächsten Kapitel! :)


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