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Versprochen

Chihiro x Haku
von

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Gefunden

Mein Geburtstagsgeschenk für Clara :)

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Manchmal träumte sie vom Fliegen.
 

An sich war das wohl nichts Ungewöhnliches, doch Chihiro flog in ihren Träumen nicht einfach so, nein. Sie flog auf einem Drachen. Es war immer derselbe Drache mit einem langen, schlanken Körper und meeresfarbenem Haar auf Kopf und Rücken. Ansonsten war der Drache strahlend weiß mit grünen Augen und langen, spitzen Zähnen. Chihiro fürchtete sich nie vor ihm, er war ihr Freund, das war ihr in den Träumen immer klar.
 

Sie hatte ihrer Mutter von diesen Träumen erzählt. Ihre Mutter hatte gelächelt.

»Drachen bringen Glück«, hatte sie gesagt und ihr durch die Haare gewuschelt. Manchmal, dachte Chihiro, behandelten ihre Eltern sie immer noch wie ein Kind. Dabei war sie schon sechzehn.

Sie hatte einen dieser Träume gehabt, bevor sie den ersten Tag auf der Oberschule angetreten war und vielleicht brachte der Drache ja wirklich Glück, denn Chihiro hatte am ersten Tag nette Mitschülerinnen kennen gelernt, mit denen sie einige Monate später immer noch befreundet war. Sie war sehr nervös gewesen, dass sie niemanden finden würde, da keiner ihrer Freunde aus der Mittelschule mit ihr auf dieselbe weiterführende Schule gegangen war. Ihre Eltern waren sehr stolz gewesen, weil Chihiro bei der Aufnahmeprüfung ein ausgesprochen gutes Ergebnis erzielt hatte.
 

Mittlerweile war es Frühling geworden und Chihiro hatte das Gefühl, sich endlich vollends an die neue Schule gewöhnt zu haben. Draußen schien die Sonne und Chihiro saß mit Natsume und Tatsuki auf dem Schulhof. Trotz der Frühlingssonne war es noch kühl, doch die Luft war angenehm frisch. Alle Drei hatten ihre Bentos ausgepackt und Chihiro betrachtete den Reisball, den sie in der Hand hielt. Manchmal bereiteten ihr die merkwürdigsten Dinge Unbehagen und sie konnte es sich nie erklären, wie zum Beispiel bei diesem Reisball.

»Hey, Chihiro«, sagte Tatsuki und blickte ihr gespannt entgegen. »Ich hab gehört, dass Keigo ein Auge auf dich geworfen hat.«
 

Chihiro verschluckte sich an ihrem ersten Bissen Reisball.

»Keigo? Aus der 2b?«, fragte Natsume interessiert und Tatsuki nickte. Chihiro konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand sie interessant finden würde. Sie war immer noch genauso dünn und flach und eckig wie vor einigen Jahren, ihr Haar war struppig und sie war alles andere als süß, sondern eher tollpatschig und zu laut.

»Woher hast du das Gerücht denn?«, wollte Chihiro wissen und biss vorsichtig noch einmal von ihrem Reisball ab. Diesmal war sie darauf bedacht, sich nicht zu verschlucken.
 

»Tomoe aus seiner Klasse hat es meiner Schwester erzählt. Die beiden sind befreundet. Keigo meinte, er wäre total beeindruckt von deinen Leistungen im Leichtathletikclub«, erklärte Tatsuki scheinbar bestens gelaunt.

»Nur weil er beeindruckt ist, dass ich weit springen kann, heißt das nicht, dass er ein Auge auf mich geworfen hat«, wandte Chihiro ein. Ihre Wangen glühten vermutlich rot wie die untergehende Sonne. Sie kannte Kaigo aus dem Club, er sah nicht schlecht aus, aber Chihiro interessierte sich nicht besonders für ihn. Er war ein schlechter Verlierer und kommandierte die jüngeren Schüler mit zu viel Genuss für ihren Geschmack herum.
 

»Vielleicht fragt er dich ja bald, ob du mit ihm ausgehen willst«, sagte Natsume mit leuchtenden Augen. Chihiro wusste, dass Natsume eine hoffnungslose Romantikerin war und gern selbst einen Freund gehabt hätte. Chihiro hatte es damit nicht eilig. Die meisten Jungs waren ihr einfach zu anstrengend.

»Dann werd ich wohl nein sagen«, antwortete sie und widmete sich dem Sushi in ihrem Bento. Natsume sah sie mit großen Augen an.

»Hattest du schon mal einen Freund?«, wollte sie wissen. Chihiro schüttelte den Kopf.

»Und du willst auch keinen?«, fuhr Natsume fort. Sie klang beinahe empört. Chihiro zuckte mit den Schultern.
 

»Ich weiß nicht. Ich will jedenfalls nicht den Erstbesten«, entgegnete sie mit Blick auf ihr Mittagessen. Das laute Quietschen, das sie als nächstes vernahm, ließ sie erschrocken zusammen zucken.

»Du wartest auf den Richtigen! Das ist so romantisch!«, rief Natsume begeistert aus und klatschte verzückt in die Hände. Chihiro überlegte kurz, ob sie ihrer Freunden sagen sollte, dass sie es so drastisch nun auch nicht gemeint hatte, doch sie entschied sich dagegen. Es war ja schließlich schön, dass Natsume sich so freute.

Als es wieder zum Unterricht läutete, folgten Tatsuki und Chihiro der unablässig plappernden Natsume, die in aller Ausführlichkeit beschrieb, was für Unternehmungen sie sich für ihr erstes Date vorstellen könnte.
 

*
 

»Chihiro, schau mal!«, rief ihr Vater aus dem Wohnzimmer, als sie nach der Schule das Haus betrat und ihre Schuhe auszog. Sie gähnte, stellte ihre Schultasche im Flur ab und folgte der Aufforderung ihres Vaters. Als sie das Wohnzimmer betrat, entdeckte sie ihn auf dem Boden sitzend, vor ihm ein Pappkarton.

»Was hast du da?«, fragte sie gespannt und ging zu ihm hinüber. Ein begeisterter Aufschrei entkam ihr, als sie am Grund des Kartons ein braun getigertes Kätzchen entdeckte.

»Frau Sasahara hat vier Kätzchen bekommen und dieses war das letzte«, erklärte ihr Vater zufrieden und hob das kleine Tier aus der Kiste, um es Chihiro hinzuhalten. Sie griff behutsam danach und hielt das Bündel vor ihr Gesicht. Das Kätzchen fiepte.
 

»Hoffentlich lässt deine Mutter sich erweichen«, sagte ihr Vater zwinkernd. »Und es braucht noch einen Namen.«

Chihiro dachte kaum nach, da sprudelte es schon aus ihr heraus.

»Lin!«

Ihr Vater lachte.

»Scheint so, als hättest du dir schon länger Gedanken über einen Namen für ein potentielles Haustier gemacht«, meinte er amüsiert. Chihiro betrachtete das Kätzchen. Sie wusste nicht, wie sie auf den Namen gekommen war. Das kleine Tier leckte an ihrem Handrücken und Chihiro lächelte. Egal, dachte sie, ich hab ein Kätzchen!
 

*
 

Am nächsten Morgen war Chihiro besonders gut gelaunt, da ihre Mutter zugestimmt hatte, das Kätzchen zu behalten. Chihiro und ihr Vater hatten einiges an Überredungsarbeit leisten müssen und ihre Mutter hatte es nur erlaubt, nachdem Chihiro hoch und heilig versprochen hatte, das Katzenklo in ihr Zimmer zu stellen und regelmäßig sauber zu machen. Die Sonne vom Vortag war verschwunden und durch schwere graue Wolken ersetzt worden, doch Chihiro störte sich an diesem Tag nicht an dem Wind oder dem ausbleibenden Sonnenlicht. Lin hatte in ihrem Bett geschlafen und sie war morgens mit dem schnurrenden Bündel auf ihrem Kopfkissen aufgewacht.
 

Vorm Eingangstor der Schule traf sie sich mit Natsume und Tatsuki und Chihiro berichtete ihren beiden Freundinnen von der neuen, kleinen Mitbewohnerin.

»Ihr solltet unbedingt vorbeikommen und sie euch ansehen, sie ist so entzückend!«, sagte Chihiro und strahlte ihre beiden Freundinnen an. Tatsuki war ebenso begeistert wie sie. Ihr Vater war allergisch auf Tierhaare, weswegen sie und ihre Familie keine Haustiere hatten. Natsume blickte über Chihiros Schulter an ihr vorbei und sah ein wenig glasig aus.

»Alles ok?«, fragte Chihiro und runzelte die Stirn. »Hast du Fieber?«

Natsume schüttelte den Kopf und deutete unauffällig hinter Chihiro.

»Wer ist das?«, flüsterte sie und Tatsuki und Chihiro wandten die Köpfe, um zu sehen, von wem sie sprach.
 

Chihiros Augen fanden den Jungen, auf den ihre Freundin gezeigt hatte. Sie hatte ihn eindeutig noch nie hier gesehen, trotzdem verspürte sie eine merkwürdige Vertrautheit, als sie die langen Haare, die schlanke Statur und die ungewöhnlich grünen Augen betrachtete. Es fühlte sich so an, als wäre der Junge vielleicht ein Kindheitsfreund gewesen, von so weit zurück aus ihrem Leben, dass sie sich nur an ein vages Gefühl der Verbundenheit erinnerte.

»Chihiro?«

Natsumes Stimme drang in ihre Gedanken und riss sie zurück in die Realität. Peinlich berührt zwang Chihiro sich, den Blick von dem unbekannten Jungen abzuwenden. Ihr Herz tat einen aufgeregten Hüpfer.

»Ja? Was? Ich weiß nicht«, stammelte sie unzusammenhängend und spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Natsume strahlte.
 

»Oh, Chihiro! Sehe ich da etwa Interesse? Ist es Liebe auf den ersten Blick? Das wäre so romantisch!«

Tatsuki ersparte Chihiro eine Antwort, indem sie Natsume augenverdrehend mit sich in Richtung Schulgebäude zerrte. Chihiro folgte den beiden mit ein paar Schritten Abstand und sie hätte gern behauptet, dass sie sich nicht nach dem Fremden mit den grünen Augen umdrehte und dabei auf keinen Fall über ihre eigenen Füße stolperte. Stumm dankte sie den Kami, dass Tatsuki und Natsume vor ihr gingen und ihr Missgeschick nicht gesehen hatten. Wahrscheinlich ging der Neue in die dritte Klassenstufe, er sah älter aus als sie.

Reiß dich zusammen, dachte Chihiro ungehalten, und zwickte sich selbst in den Arm, bevor sie mit ihren beiden Freundinnen ihr Klassenzimmer betrat.
 

Es kostete sie alles an Disziplin, was sie hatte, um sich auf den Matheunterricht konzentrieren zu können und als es zur Pause klingelte, legte sie erleichtert ihren Stift beiseite.

»Er geht in die 3a, aber ich hab seinen Namen nicht rausgekriegt«, verkündete Natsume nach einem Gang aufs Klo.

»Wer?«, fragte Tatsuki verwirrt, doch Chihiro wusste sofort, dass Natsume von dem mysteriösen Neuen sprach.

»Na, der hübsche Neuling mit den hellen Augen!«, entrüstete sich Natsume angesichts Tatsukis Unwissenheit, als wäre es selbstverständlich auf dem Mädchenklo nach neuen Schülern zu spionieren und von anderen Mädchen möglichst viel über sie heraus zu finden.
 

»Achso, der. Ich hab mir schon gedacht, dass er in die Dritte geht«, meinte Tatsuki schulternzuckend und Chihiro wusste nicht, ob sie erleichtert oder voller Unverständnis sein sollte, weil Tatsuki sich offenkundig kein bisschen für den Neuen interessierte. Chihiro würde es im Leben nicht laut aussprechen, aber sie war enttäuscht darüber, dass Natsume lediglich seine Klasse und nichts anderes über ihn herausgefunden hatte. Wenigstens seinen Namen hätte sie gern gewusst.

Aber wozu denn, höhnte eine Stimme in ihrem Kopf. Fängst du jetzt schon an wie Natsume? Und selbst wenn du ihn gern kennenlernen würdest, er geht in die Dritte und wird in Null komma nichts von Mädchen umschwärmt sein.
 

Die höhnische Stimme in ihrem Kopf hatte natürlich vollkommen Recht. Als Chihiro mit ihren beiden Freundinnen zur großen Pause das Klassenzimmer verließ, um aus der Caféteria etwas zu trinken zu organisieren, begegneten sie einer ungewöhnlich großen Traube Mädchen. Chihiro war sich ziemlich sicher, dass sie aus allen Klassenstufen stammten und mittendrin stand der Neue mit einem kaum merklichen Lächeln und einem Ausdruck höflichen Interesses auf dem Gesicht.

»Schau dir an, wie sie sich alle auf ihn stürzen«, sagte Natsume und schnaubte. Tatsuki und Chihiro warfen sich einen Blick zu, mit dem sie gleichzeitig beschlossen, Natsume nicht darauf aufmerksam zu machen, dass sie sehr sicher auch gern in dieser Traube stünde.
 

Chihiro kaufte sich eine Cola und spürte ein nervöses Kribbeln im Magen, als sie den Korridor zurück schlenderten, in dem sie vorhin die große Traube Mädchen mit dem Neuen in ihrer Mitte gesehen hatten. Und tatsächlich. Die Menge stand immer noch dort, aber sie war schon kleiner geworden. Natsume warf Chihiro einen Blick zu. Vermutlich war sie schon wieder feuerrot im Gesicht und sie wollte wirklich gern im Boden versinken. Es konnte doch nicht sein, dass ihr das passierte. Es war absolut lächerlich. Und sie glaubte nicht mal an irgendwas auf den ersten Blick, außer starkes Unbehagen.

»Soll ich für dich spionieren?«, zischte Natsume ihr ins Ohr und Chihiro wollte schon panisch verneinen, als der Fremde den Blick hob und ihr direkt in die Augen sah.
 

Chihiro war sich sicher, dass sie jeden Moment aufgrund eines Herzstillstands tot umfallen würde, aber stattdessen fing ihr Herz so schnell an zu schlagen, dass sie sich fühlte, als würde ihr Brustkorb bersten. Sie hätte schwören können, dass die grünen Augen sich weiteten, als würden sie sie erkennen, aber das war Unsinn. Sie hatte diesen Jungen noch nie gesehen und er sie ganz sicher auch nicht. Selbst, wenn man sich irgendwo im Supermarkt getroffen hätte, würde sich ohnehin niemand an sie erinnern. Sie war der unscheinbarste Mensch der Welt, wenn sie nicht gerade Leichtathletik machte, oder im Alltag über ihre Füße stolperte.

Ohne es recht zu bemerken, war sie stehen geblieben und erst, als die Traube Mädchen um den Neuen herum zu tuscheln begann, weil Chihiro und er sich immer noch anstarrten, wurde sie aus ihrer Trance gerissen. Vielleicht war dies der peinlichste Moment ihres Lebens. Noch peinlicher als das Missgeschick mit ihrer Nachbarin, über deren Hund sie versehentlich Misosuppe geschüttet hatte.
 

»Chihiro?«

Sie zuckte zusammen und wandte den Kopf. Keigo stand vor ihr und grinste zu ihr hinunter. Er war viel größer als sie.

»Eh... hi, Keigo«, gab sie zurück und musste alles an Willenskraft aufbringen, um nicht zu dem Neuen zurück zu schauen.

»Ich hab mich gefragt, ob du nicht vielleicht heute Nachmittag mit mir ein Eis essen gehen willst«, sagte Keigo lässig. Chihiro warf einen Blick aus dem Fenster und stellte ohne Überraschung fest, dass es mittlerweile leicht nieselte. Aber zugegeben, selbst wenn es bei Sonne über zwanzig Grad heiß gewesen wäre, hätte Chihiro nicht mit Keigo Eis essen gehen wollen.
 

»Nein, danke«, sagte sie immer noch völlig perplex darüber, dass Keigo sie vor all diesen Leuten gefragt hatte. Vielleicht dachte er, sie würde nicht ablehnen, wenn es so viele Zuschauer gab. Das Grinsen gefror auf seinem Gesicht und Chihiro fragte sich, ob er gleich einen seiner Wutanfälle bekommen würde, wie es immer geschah, wenn Keigo gegen irgendjemanden im Wettsprinten oder beim Weitsprung verlor. Das Tuscheln wurde lauter und Chihiro hörte unterdrücktes Kichern. Sie wurde schon wieder rot. Über den Schock hatte sie den fremden Jungen beinahe vergessen, aber jetzt fiel ihr ein, dass er all das beobachtet hatte und sie wollte sich liebend gern aus dem Fenster zu ihrer Linken stürzen.
 

Es sah eindeutig so aus, als hätte sich Keigo keine passende Antwort auf eine Absage überlegt, denn er stand einfach nur da und sah aus, als wäre er zu einer Salzsäule erstarrt. Tatsuki und Natsume hakten sich auf jeder Seite von Chihiro unter und grinsten Keigo zu.

»Man sieht sich, Keigo«, flötete Tatsuki und die beiden zogen Chihiro mit sich.

»Wow. Er hat dich echt gefragt«, sagte Tatsuki, als wäre sie von der Akkuratheit ihres eigens übermittelten Gerüchts erstaunt. Natsume schüttelte den Kopf.

»Vor all diesen Leuten! Wie geschmacklos. Er hätte Chihiro allein fragen sollen. Und Eis bei diesem Wetter? Der Typ hat doch einen Vogel. Gut, dass du nein gesagt hast, Chihiro. Vermutlich würde er dich im Winter ins Freibad ausführen wollen«, erklärte Natsume ernst und Chihiro musste kichern.
 

»Aber hast du gemerkt, wie der Neue dich angesehen hat? Als hätte er dich schon mal wo gesehen! Bist du sicher, dass du ihn nicht von irgendwoher kennst?«, wollte Natsume wissen, als sie wieder in ihrem Klassenzimmer waren und ihre beiden Freundinnen auf Chihiros Tisch herumlümmelten, während sie auf ihrem Stuhl saß und an ihrer Cola nippte.

»Ich weiß nicht. Ich hatte auch das Gefühl, ihn von irgendwo zu kennen, aber ich bin mir eigentlich auch sicher, dass ich ihn noch nie gesehen hab«, gab sie zu und Natsumes Augen leuchteten begeistert. Selbst Tatsuki schien interessiert.

»Vielleicht in einem früheren Leben«, jauchzte Natsume und klatschte in die Hände. Chihiro musterte sie. Sie mochte Natsume unheimlich für ihren stetigen Optimismus und ihre Lebensfreude. Leise lächelnd betrachtete sie die kleinen Blümchenspangen in den Haaren ihrer Freundin. Im Gegensatz zu Natsume legte Tatsuki keinen Wert auf Blümchen und ordentlich gemachte Haare, aber genau wie Chihiro bewunderte sie Natsumes Talent mit Haaren und Make-Up und ihre Geduld, sich jeden Tag damit zu beschäftigen.
 

»Was guckst du so?«, wollte Tatsuki verschmitzt wissen, da Chihiro ihre beiden Freundinnen zärtlich betrachtet hatte.

»Ach, mir ist nur wieder aufgefallen, wie lieb ich euch hab«, sagte sie leichthin, woraufhin Tatsuki und Natsume sie unter sich begruben und dabei beinahe Chihiros Cola verschütteten.

»Du bist entzückend«, erklärte Natsume und seufzte zufrieden. Sie schlug die Beine übereinander und setzte eine geschäftsmäßige Miene auf.

»Und jetzt die alles entscheidende Frage... Soll ich für dich spionieren gehen? Keine Sorge, ich bin gut darin!«, erkundigte sie sich. Chihiro hatte Angst, dass ihr Gesicht vielleicht dauerthaft rot bleiben würde, wenn sie weiterhin so viel errötete wie an diesem Tag.
 

»Nein, nein«, sagte Chihiro und hob abwehrend die Hände. Auch wenn sie durchaus gern mehr Informationen über den Fremden hätte, so wollte sie doch zunächst einmal ihren Gefühlen auf den Grund gehen und darüber nachgrübeln, woher sie ihn zu kennen glaubte, bevor sie sich weiter in diese merkwürdige neue Entwicklung hinein steigerte.

»Ok. Sag einfach Bescheid, wenn du es dir anders überlegst«, sagte Natsume lächelnd und Chihiro nickte ergeben.

»Wo wir jetzt darüber gesprochen haben«, meinte Tatsuki und grinste breit, »können wir noch mal darauf zurück kommen, was für ein blödes Gesicht Keigo gezogen hat, als du ihm einen Korb gegeben hast?«

Chihiro musste lachen und schob die Gedanken an den Neuen so weit nach hinten in ihren Kopf, wie es nur ging.
 

*
 

Chihiro hatte nicht mit einberechnet, dass Keigo ein schlechter Verlierer war. Ganz offensichtlich war er das nicht nur im Sport, sondern auch, wenn es um Absagen zu Verabredungen ging. Als Chihiro am nächsten Tag nach der Schule – sie hatte den Neuen den ganzen Tag nicht gesehen und konnte sich nicht entscheiden, ob sie enttäuscht oder erleichtert darüber sein sollte – aus der Mädchenumkleide trat, um sich mit dem Rest des Leichtathletik-Clubs zu treffen, wartete Keigo schon auf sie. Chihiro wäre gern wieder auf dem Absatz umgedreht, aber ihr war klar, dass sie sich nicht ewig vor Keigo verstecken konnte.

»Hey«, sagte sie ergeben und sah Keigo nicht an, während er neben ihr her in Richtung Sportplatz ging.

»Tut mir Leid, dass ich dich gestern so überrumpelt hab«, meinte Keigo und Chihiro hörte ein unzufriedenes Knirschen und einen schmeichelnden Unterton in seiner Stimme. Vermutlich dachte er, dass eine Strategieänderung angebracht war.
 

»Kein Problem«, sagte Chihiro leichthin und band sich ihre Haare mit ihrem Lieblingshaarband zurück. Es war lila und schimmerte leicht in der Sonne. Chihiro hatte es schon seit Jahren und wusste nicht mehr genau, wo sie es aufgestöbert hatte. Es war bereits ein wenig ausgeleiert, aber sie konnte sich nicht davon trennen. Manchmal fand sie sich dafür ein wenig lächerlich, denn es war schließlich nur ein Haarband. Aber trotzdem. Sie hing sehr daran.

»Und die Sache mit dem Eis war bei dem schlechten Wetter wohl auch nicht so passend«, fuhr Keigo fort und es wirkte so, als würde es ihn eine große Menge Überwindung kosten, dies einzugestehen. Chihiro zuckte mit den Schultern. Keigo hätte sie zu einem Besuch in Disneyland einladen können – ein geheimer Wunsch Chihiros für die nahe Zukunft – und Chihiro hätte trotzdem nein gesagt. Aber Keigo schien zu denken, dass Chihiros Absage nur darin begründet war, dass sie kein Eis hatte essen wollen.
 

Die anderen kamen in Sicht und Chihiro hoffte, dass sie sie erreichen würden, bevor Keigo weiter über diese Sache sprechen konnte, doch sie hoffte vergebens.

»Wir sollten stattdessen Karaoke oder sowas machen. Oder Bowling«, fuhr er fort. Chihiro seufzte und wagte einen Blick hinüber zu Keigo, der sie erwartungsvoll musterte.

»Ich fürchte, die Antwort bleibt trotzdem nein«, sagte Chihiro und wagte es nicht, erneut zu Keigo aufzusehen. Stattdessen beschleunigte sie ihre Schritte und begrüßte die anderen Clubmitglieder. Wieso musste ihr das passieren? Und wieso alles auf einmal?
 

Herr Higurashi versammelte sie um sich und Chihiro stockte der Atem als sie sah, wen ihr Trainer neben sich stehen hatte.

»Das hier ist Kohaku Nigihayami, unser neues Mitglied«, sagte er gut gelaunt und klopfte Kohaku auf die Schulter. Chihiros Gedanken wirbelten umher wie ein Schwarm Blätter im Herbstwind. Kohaku.

Ihre Blicke trafen sich und Chihiros Herz machte einen Salto. Sie wollte wissen, wie sich sein Name anhörte, wenn sie ihn sagte. Sie hatte schon ganz vergessen, dass Keigo sie gerade zum zweiten Mal gefragt hatte, ob sie mit ihm ausgegehen wollte, so abgelenkt war sie von dem Klang des Namens in ihrem Kopf und dem Lächeln, das Kohaku ihr zuwarf.
 

»Wir fangen mit Aufwärmen an, drei Runden um den Platz!«, rief ihr Trainer und klatschte energisch in die Hände. Chihiro war sich sicher, dass sie jeden Moment wieder stolpern würde, aber es ging alles gut. Sie lief neben Rina her, die Gott sei Dank im Gegensatz zu vielen anderen aus der Gruppe nicht dauernd während des Aufwärmens quatschte. Chihiro bekam schnell Seitenstiche, wenn sie beim Laufen redete, und war dementsprechend dankbar für die Stille.

Dummerweise schien Keigo immer noch nicht aufgeben zu wollen, denn er holte sie nach der ersten Runde ein und lief neben ihr her.

»Wie wär’s mit Kino?«, fragte er außer Atem. Chihiro stöhnte kaum hörbar und wischte sich etwas Schweiß von der Stirn.
 

»Auch nicht«, keuchte sie angestrengt und legte einen Zahn zu, doch sie wusste, dass Keigo größer war und längere Beine hatte und sie ohnehin wieder einholen würde.

»Du musst nicht so tun, als wärst du schwer zu kriegen«, verkündete Keigo ihr, als er erneut mit ihr aufgeschlossen hatte und Chihiro wäre vor Empörung über diese Anschuldigung beinahe stehen geblieben. »Ich fänd dich auch noch gut, wenn du beim ersten Mal ja gesagt hättest.«
 

Chihiro fragte sich, wie genau Keigos Gehirn funktionierte. Blockte es jede Möglichkeit, die ein Verschulden auf Keigos Seite anmuten ließ, einfach komplett aus und erfand Alternativen, die Keigos Ego besser in den Kram passten? Sie wurde ungehalten und presste entschlossen die Lippen aufeinander. So einen Blödsinn würde sie nicht mit einer Antwort würdigen. Schwer zu kriegen spielen, also wirklich. Als wäre Keigo unwiderstehlich und Chihiro hätte einfach Angst, sich ihm mit einer zu schnellen Zusage allzu offensichtlich an den Hals zu werfen. Oder so, als wollte sie testen, ob er auch wirklich an ihr interessiert war. Was für ein Holzkopf.
 

Sie fühlte sich sehr unwohl, während Keigo neben ihr herlief und mit jedem Tempo, das sie anschlug, mithielt, und sie die ganze Zeit vollquatschte. Wo war sie da nur hinein geraten? Wieso half ein einfaches Nein nicht? Was hieß einfach, ein dreifaches Nein!

Chihiro war froh, als die Aufwärmrunden endlich vorbei waren und sie schwer atmend und mit Schweißperlen auf Stirn und Oberlippe neben Rina stehen blieb, die Keigo hoffentlich davon abhalten würde, seine Operation Chihiro fortzuführen. Über ihre Wut und die Konzentration darauf, bloß nichts zu sagen, hatte sie ganz vergessen, dass Kohaku jetzt seit neustem auch in ihrem Leichtathletikclub war. Chihiros Augen fanden ihn ein paar Meter entfernt, wo er sich – ebenfalls schwer atmend – mit ein paar seiner Clubmitglieder unterhielt. Als er zu ihr hinübersah, schluckte sie schwer und versuchte ein Lächeln. Vermutlich sah es eher aus, als hätte sie Bauchschmerzen.
 

»Wir fangen mit Springen an. Wer will starten?«
 

Vielleicht hatte Keigo eine neue Strategie entwickelt, denn er meldete sich sofort und zwinkerte Chihiro zu, während er hinter die weiße Linie trat, die den Startpunkt markierte. Chihiro seufzte und zog ihren Zopf fester. Keigo würde sie mit seinem Gespringe nicht so sehr beeindrucken, dass sie mit ihm irgendwohin gehen würde. Sie wusste, wie weit er springen konnte und wenn sie längere Beine hätte, dann käme sie sicherlich weiter als er.

»Hallo«, sagte eine leise Stimme neben ihr und Chihiro zuckte zusammen. Sie wandte den Kopf und blickte direkt in Kohakus grüne Augen. Sie waren aus der Nähe noch viel schöner als von weitem und Chihiro fühlte sich unweigerlich an die Augen des Drachens aus ihren Träumen erinnert. Sie hatten dasselbe, hell stechende Grün.
 

»Hi«, sagte Chihiro und sie hörte, wie zittrig ihre Stimme klang. Kohaku sprach mit ihr. Er hatte sie angesprochen. Sie brauchte ein Loch, in das sie verschwinden konnte.

»Du hattest beim Aufwärmen ein ganz schönes Tempo drauf«, sagte Kohaku lächelnd und Chihiro hüstelte leicht.

»Ja, ich bin vor Keigo geflohen. Das kann einem Beine machen«, erklärte sie verlegen und fragte sich, ob sie das besser nicht hätte sagen sollen. Kohaku schmunzelte.

»Ist das der Kerl, der grad springt?«, erkundigte er sich und Chihiro nickte ergeben.
 

Kohaku schwieg und beobachtete Keigo dabei, wie er sprang. Eine leichte Brise kam auf und strich ihm durch die langen Haare. Chihiro wollte ihn wirklich nicht anstarren, aber sie konnte sich auch nicht so recht davon abhalten. Schließlich beschloss sie, dass es vermutlich kaum jemals wieder eine derartige Gelegenheit geben würde, und sie stellte die alles entscheidende Frage:

»Kennen wir uns von irgendwoher?«

Kohaku musterte sie. Er war nicht ganz so groß wie Keigo, was Chihiro sehr angenehm fand, da sie sich nicht den Nacken verrenken musste, um zu ihm aufzuschauen.
 

»Vielleicht«, antwortete er lächelnd. Und dann...

»Du hast ein sehr schönes Haarband.«

Chihiro stutzte und fuhr mit den Fingern zu ihrem Zopf.

»Danke«, entgegnete sie leicht verwirrt und wollte eigentlich genauer nachfragen, was sein Vielleicht bedeuten sollte, doch in diesem Moment rief Herr Higurashi sie nach vorn und sie drehte sich diesmal nicht zu Kohaku um, um bloß nicht zu stolpern.
 

Es schien so, als würde Kohakus Gegenwart sie zu neuen Höchstleistungen anspornen, denn sie übertraf an diesem Nachmittag ihren eigenen Rekord im Weitsprung und beim Sprinten, was alle sehr beeindruckte. Keigo hingegen schien so damit beschäftigt, sich vor Chihiro wichtig zu machen, dass er sich mehrere Rüffel des Trainers für seine nachlässige Haltung beim Werfen und für die schlechte Leistung beim Langstreckenlauf einfing. Chihiro erhielt keine Gelegenheit mehr, mit Kohaku zu sprechen, doch sie beobachtete beeindruckt, wie er die Bestzeiten der anderen Jungs mit offenkundiger Leichtigkeit schlug. Wenn er rannte, dann sah es beinahe ein wenig so aus, als würde er fliegen.
 

Auch nach dem Training erwischte Chihiro Kohaku nicht mehr. Sie trug ihre Haare auf dem Weg nach Hause offen und hatte sich ihr lila Haarband ums Handgelenk gewickelt, damit es ihr auf keinen Fall verloren ging. Gott sei Dank hatte Keigo nicht noch einmal versucht, mit ihr zu sprechen. Chihiro vermutete, dass seine schlechte Leistung gepaart mit Kohakus Höchstform ihn in derartig schlechte Laune versetzt hatte, dass er das Schulgelände so schnell wie möglich verlassen hatte. Chihiro fühlte sich müde und ausgelaugt und freute sich darauf, sich mit Lin auf dem Schoß an ihren Schreibtisch zu setzen. Mit einem Kätzchen auf den Oberschenkeln würden sich die Hausaufgaben sicherlich wie von selbst erledigen.
 

*
 

»Oh mein Gott! Und was hat er dann gesagt? Habt ihr euch danach noch mal gesehen? Kohaku ist so ein schöner Name! Würdest du mit ihm ausgehen? Keigo ist so ein Idiot, ich fasse es nicht, dass ein Korb ihm nicht gereicht hat...«
 

Als Chihiro am nächsten Tag ihren beiden Freundinnen von den Vorfällen im Leichtathletikclub berichtete, war Natsume vollkommen außer sich. Sie empörte sich etwa fünf Minuten lang über Keigo und wollte dann ganz genau wissen, was mit Kohaku geschehen war. Chihiro musste dreimal erzählen, wie genau er sie angesprochen und was er gesagt hatte und beim dritten Mal konnte Tatsuki den Dialog bereits auswendig mitsprechen.

»Das ist der Beginn einer epischen Liebesgeschichte, ich hab es vor Augen«, schmachtete Natsume hingerissen und faltete die Hände. Ihr Blick wirkte tatsächlich ein wenig verklärt.

»Wir halten dir Keigo vom Hals, wenn er sich noch mal in deine Nähe wagt«, versicherte Tatsuki ihr und zwinkerte. Chihiro nickte lächelnd und ein wenig erleichtert. Am liebsten würde sie ihren beiden Freundinnen gar nicht mehr von der Seite weichen, nur damit Keigo sie in Ruhe ließ. Heute hatte sie ihn glücklicherweise noch nicht gesehen.
 

Chihiro wusste nicht, wie sie sich ihren unerwünschten Verehrer vom Hals halten sollte, wenn eindeutige Absagen ihn nicht abschreckten. Sie könnte natürlich einen Freund erfinden, aber wie empörend wäre es, wenn nur ein anderer Junge Keigo davon abhalten würde, sie zu nerven, und nicht Chihiros eigene Wünsche? Einmal ganz abgesehen davon, dass sie nicht besonders gut im Lügen war und ihr Bluff vermutlich schnell auffliegen würde. Durch all ihre Gedanken an Keigos Nerverei und Kohakus mysteriöses Vielleicht am Vortag verflog der Schultag so schnell, dass Chihiro sich beim letzten Glockenläuten wunderte, wo all die Schulstunden geblieben waren. Sie blieb länger als ihre anderen Mitschüler, da sie heute mit Tafelwischen und Müllrausbringen an der Reihe war und fragte sich, ob sie es irgendwann schaffen könnte, Lin beizubringen, auf ihren Namen zu hören.
 

»Chihiro?«

Sie zuckte zusammen und drehte den Kopf zur Tür. Kohaku stand im Eingang des Klassenzimmers und lächelte ihr zu. Ihr Herz vollführte ein paar Purzelbäume und sie hielt für einen Augenblick den Atem an. Es half nichts, es zu leugnen, Kohaku sah wirklich sehr gut aus und er hatte eine unheimlich angenehme, sanfte Stimme. Das Licht der allmählich rot werdenen Abendsonne spiegelte sich in seinen grünen Augen.

»Hallo«, sagte sie matt lächelnd und wrang den nassen Schwamm in ihrer Hand aus. Beinahe hätte sie sich mit ihren vom dreckigen Tafelwasser nassen Händen in die Haare gefasst. Dann fiel ihr ein, dass sie Kohaku gestern ihren Namen gar nicht gesagt hatte.
 

»Ich hab mich gestern gar nicht vorgestellt«, sagte sie leise und unsicher und legte den Schwamm zurück in die für ihn vorgesehene Halterung. Kohaku lächelte ertappt.

»Ich weiß«, gab er zu und trat ins Klassenzimmer. Chihiro konnte nicht fassen, dass er hier war und mit ihr redete. Gestern war er noch von einer Traube Mädchen umschwärmt gewesen, heute kam er zu ihrem leeren Klassenzimmer, um mit ihr zu sprechen. Ein nervöses Kribbeln machte sich in ihrem Magen breit.

»Erinnerst du dich noch, wie du als Kind in einen Fluss gefallen bist?«, wollte Kohaku wissen und Chihiro blinzelte verwirrt. Kannte sie ihn vielleicht wirklich aus Kindertagen? Es war die einzig logische Erklärung.
 

»Nicht so richtig. Meine Mutter hat mir die Geschichte erzählt. Ich hab dabei einen Schuh verloren«, antwortete sie und ging zum Waschbecken hinüber, um sich die Hände zu waschen und anschließend zu trocknen. Hinten am Horizont glühte die Sonne, aber über der Schule hingen dicke Wolken, und während Chihiro hinaus blickte, fing es an in Strömen zu regnen. Sie fragte sich, ob, wenn es lang genug regnen würde, aus den Pfützen wohl ein Ozean werden würde.

»Glaubst du, wenn es lang genug regnet, wird aus dem Regen ein Ozean?«, fragte Kohaku und sie drehte sich zu ihm herum. Seine Augen waren ganz genau wie die von dem Drachen aus ihren Träumen. Ganz genau so.

»Du erinnerst dich nicht«, sagte er leise.
 

Er stand jetzt direkt vor ihr und Chihiro spürte im Gegensatz zu Keigos Annäherungsversuchen keinerlei Abscheu gegen die körperliche Nähe. Sie starrte hoch in Kohakus Gesicht und versuchte mit aller Macht sich daran zurück zu besinnen, wo sie dieses Gesicht schon einmal gesehen hatte. Aber all ihre Gedanken machten keinerlei Sinn. Sie dachte an Schweine und Frösche, an einen Ozean, an Papier und Ruß und Wind und eine Hand, die ihre gehalten hatte. Aber all das war nicht passiert. Sie hatte noch nie ein echtes Schwein gesehen, außer im Fernsehen. Manchmal, wenn sie mit ihren Eltern zu Abend aß, dann stellte sie sich vor, wie die beiden sich in Schweine verwandelten, wenn sie zu viel aßen. Aber das war albern.
 

»Nein«, entgegnete sie. Kohaku legte den Kopf schief und hob seine Hand. Chihiro zögerte nicht eine Sekunde und ahmte seine Bewegung nach. Ein paar Sekunden lang schwebten ihre Hände in der Luft ganz nah beieinander. Dann, mit hämmerndem Herzen und einem lauten Rauschen in den Ohren berührte Chihiro Kohakus Handfläche mit ihren Fingerspitzen.
 

»Du musst das hier essen, wenn du in unserer Welt nichts isst, dann verschwindest du...«
 

»Meister Haku!«
 

»Sag mal Lin, gibt es hier zwei Hakus?«
 

»Dein Name ist jetzt Sen!«
 

»Komm, ich bringe dich zu deinen Eltern...«
 

»Haku! Du darfst nicht sterben! Haku!«
 

Ein Strudel aus Gerüchen, Farben, Stimmen und Bildern überschwemmte Chihiros Kopf und riss sie mit sich und als sie Hakus Gesicht wieder vor sich sah, hörte sie, dass sie schwer atmete. Ihre Finger hatten sich haltsuchend mit denen Hakus verschränkt und sie fühlte sich sehr wackelig auf den Beinen.
 

»Ich hab dich«, sagte Haku lächelnd und nahm auch ihre andere Hand. Er sah immer noch genauso aus wie vor fünf Jahren, als sie ihn das erste Mal gesehen hatte, nur ein wenig älter. Sie hatte tausend Fragen. Wie war er Yubaba entkommen? Wieso hatte es so lang gedauert? Wieso hatte sie sich nicht gleich an ihn und an alles andere erinnert? Immerhin wusste sie jetzt, wieso sie von diesem Drachen geträumt hatte, wieso die merkwürdigsten Dinge wie Reisbällchen ihr Unbehagen bescherten, wieso sie ihr Kätzchen Lin getauft hatte und wieso sie sich manchmal vorstellte, dass ihre Eltern sich in Schweine verwandelten, wenn sie zu viel aßen.
 

»Wie... warum...«, stammelte sie und ließ sich auf einem der Tische in der ersten Reihe nieder. Haku lächelte.

»Beruhige dich. Wir haben alle Zeit der Welt«, erklärte er und setzte sich neben sie. Chihiro zögerte einen Moment, dann legte sie ihren Kopf auf seine Schulter und spürte, wie Haku wiederum seinen Kopf an ihren lehnte.

»Du hast mich gefunden«, murmelte sie leise und schloss die Augen. Sie hielten sich immer noch an den Händen und Chihiro wollte Haku am liebsten nie wieder loslassen.

»Aber sicher. Ich hab’s dir schließlich versprochen.«



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Kommentare zu diesem Kapitel (8)

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Von:  SenseiSasuNaru
2017-07-13T22:37:50+00:00 14.07.2017 00:37
Klasse Geschichte hätte gern gewusst wie es mit ihnen weiter geht lg
Antwort von:  Ur
14.07.2017 12:55
Danke :)
Von:  Eventus
2015-03-02T20:41:26+00:00 02.03.2015 21:41
Ich hätte gern gewusst, wie es mit den beiden weiter geht...bin erst jetzt auf dieses Werk gestoßen.
Von:  Haruno
2014-10-07T16:07:57+00:00 07.10.2014 18:07
Aww *//*
Das ist wirklich zu sùß!
So eine schòne Story >3

Von:  Amnesias
2013-08-26T18:24:49+00:00 26.08.2013 20:24
Aww. So eine schöne Geschichte! *.*
Die muss ich unbedingt meiner kleinen Schwester zeigen. Hoffentlich schreibst du noch irgendwann ein winziges Kapitelchen/OS dazu.
Von:  Schaput31
2013-08-18T20:53:27+00:00 18.08.2013 22:53
*.* wie schön ... das ist die Fortsetzung des Films die ich mir immer gewünscht hab^^
echt eine tolle Geschichte und du hast einen schönen Schreibstil, die Story lässt sich wirklich gut lesen ^^
Antwort von:  Schaput31
11.08.2015 20:36
Ich kann meinen alten Kommentar nur bestätigen. Habe gerade den Film gesehen und hatte danach das dringende Bedürfnis deine Geschichte zu lesen. Es passt einfach so gut und alles ist so stimmig. So viel aus dem Film fließt hier mit rein.
Man kann jetzt zwar selbst phantasieren, dennoch würde ich mir auch eine Fortsetzung wünschen. ^^
Von:  herzausglas
2013-08-16T19:42:20+00:00 16.08.2013 21:42
Hi,

das ist eine wirklich wunderbare Fortsetzung des Films. Dein Schreibstil liest sich angenehm und flüssig, außerdem hat mir sehr gut gefallen wie du Chihiros Gedanken und Gefühle beschreibst. Schön finde ich auch die Freundschaft von Tatsuki, Natsume und Chihiro. Natsumes Kommentar »Das ist der Beginn einer epischen Liebesgeschichte, ich hab es vor Augen« hat mich richtig zum Lachen gebracht. :D
Nur dieser Keigo geht ja mal gar nicht! Dass er sich nach dem ersten Mal noch nicht abwimmeln lässt hatte ich fast schon erwartet, aber dann auch noch ein drittes Mal! Voll daneben. Deshalb: Sie könnte natürlich einen Freund erfinden, aber wie empörend wäre es, wenn nur ein anderer Junge Keigo davon abhalten würde, sie zu nerven, und nicht Chihiros eigene Wünsche? A++
Das Ende hat mir aber bei weitem am besten gefallen, auch wenn ich (genau wie Chihiro) jetzt ganz viele Fragen habe.
Alles in allem, wirklich sehr gelungen. Danke, dass du diese Geschichte gepostet hast. :)

Liebe Grüße,
herzausglas

PS. Zwei Tippfehler sind mir aufgefallen, ich kopier die Stellen mal, für den Fall, dass du sie korrigieren möchtest:
- Sie hatte einen dieser Träume gehabt, bevor sie den ersten Tag auf der Oberschule angetreten war und vielleicht brachte der Drache ja wirklich Glück, denn Chihiro hatte am ersten Tag nette Mitschülerinnen kennen gelernt, mit denen sie einige Monate später immer noch befreundet war.
- »Ich hab mich gestern gar nicht vorgestellt«, sagte sie leise und unsicher und legte den Schwamm zurück in die für ihn vorgesehene Halterung.
Von:  Robert_Maddison
2013-08-16T17:08:07+00:00 16.08.2013 19:08
Hallo Ur ^^

Die Fanfiktion von dir gefällt mir sehr gut ^^.
Es ist eine wunderschöne, kurze Fortsetzung des Filmes, die einfach nur genial ist. ^^
Beim lesen hab ich teilweise geschmunzelt.
Das Ende der Gesichte ist einfach nur toll *-*
Danke fürs Schreiben

Lg


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