Gebrochener Junge
Ash, 5.6., Stratos City -
„Verdammt nochmal, Ash! Hör auf das ganze Essen weg zu futtern!“, rief Lilia Ash, der am anderen Ende des Tisches saß, zu.
„Tut mir leid, aber das schmeckt einfach so gut!“, erwiderte Ash mit vollem Mund.
„Sei nicht so streng mit ihm, Lilia.“, meinte Benny, der auch am Tisch saß. „Immerhin hat Ash die Einall-Liga gewonnen!“
Ash kicherte.
„Genau, Lilia.“
Sie rümpfte die Nase und versuchte zielstrebig vor Ash an das ganze Essen zu kommen, das auf dem Tisch stand.
Kurz darauf kam Schwester Joy herein.
„Hallo. Ich suche jemanden namens, Ash Ketchum.“
Etwas verwirrt hob Ash die Hand.
„Öhm.. das bin wohl ich.“
Sie lächelte ihn herzlich an.
„Hier ist Besuch für dich.“
Ash konnte seinen Augen nicht trauen. Es waren seine alten Freunde Rocko und Tracey.
„Rocko! Tracey!“
Vor Freude sprang er auf und ging auf die beiden zu.
„Man, das ist ja schon eine Ewigkeit her!“
„Schön dich wieder zu sehen, Ash.“
Es war Rocko, der ihn begrüßte. Tracey lächelte ihn schweigend an.
Beide sahen sehr müde und geschwächt aus.
„Ähm.. Ash?“, fragte Lilia hinter ihm. „Wer ist das?“
„Das sind meine Freunde. Rocko und Tracey. Ich bin mit beiden schon durch die Gegend gereist.“
„Freut mich euch kennen zu lernen.“, begrüßte der Junge mit den grünen Haaren die beiden. „Mein Name ist Benny.“
„Und ich bin Lilia. Und das ist mein Partner Milza.“
Das kleine Pokémon sprang aus ihren Haaren raus und präsentierte sich stolz auf dem Tisch.
„Milza Milz!“
Rocko lächelte die Drei an.
„Die Freude ist ganz auf unserer Seite.“
„Setzt euch doch zu uns und esst was!“
Benny deutete auf die noch übrigen Stühle.
Die beiden warfen sich kurz vielsagende Blicke zu.
Rocko räusperte sich. "Tut uns leid, aber wir können nicht besonders lange bleiben."
Es wurde Still in dem Zimmer. Die schwer übersehbare betrübte Laune von Rocko und Tracey sorgte bei Ash für Gänsehaut.
Irgendetwas stimmte nicht.
„Ash?“, fing Tracey dann an. „Es gibt da etwas das wir dir sagen wollen.“
„Ähm.. okay.“
„Weißt du, vor ein paar Tagen, da ist etwas passiert.“
Rocko stoppte kurz.
Unsicher sah Ash abwechselnd zwischen ihm und Tracey hin und her..
Rocko blickte zu Tracey. Dieser nickte.
„Sag es ihm.“
„Was denn? Was ist denn los?! Ihr macht mir langsam Angst.“
Rocko drehte sich wieder zu ihm um.
Er atmete tief ein und dann aus.
„Ash? Es ist wegen Misty. Sie hatte vor ein paar Tagen einen Unfall bei dem sie ertrunken ist.“
(Ich empfehle von hier an dieses Lied: http://www.youtube.com/watch?v=6lbAok5tN_o )
Zuerst nahm er die Worte gar nicht richtig auf.
Er blinzelte die beiden ungläubig an und war kurz davor sie darüber an zu maulen, dass man keine Scherze über so was macht.
Doch dann sah er sich seine Freunde noch einmal genau an.
Die tiefe Trauer, die sich in ihren Gesichtern breit machte.
Die Schlaflosigkeit und Erschöpfung.
Nein. Sie machten keine Witze.
Das war ihr Ernst.
Ein leises und gebrochenes „Was?“ war alles was Ash von sich geben konnte.
„Ich wollte neulich nach ihr sehen und fand sie dann bewusstlos neben dem Pool liegen. Anscheinend ist sie rein gefallen und ihre Pokémon haben sie raus geholt. Ich bin zu ihr hin gerannt und wollte ihr helfen. Ich hab sofort einen Krankenwagen gerufen und... und...“
Tracey verstummte um sich ein Schluchzen zu verkneifen und sah schuldbewusst auf den Boden.
„Misty ist... was?“
Seine Stimme klang unnormal schwach.
Alle Muskeln in Ashs Körper versagten.
Er war wie erstarrt.
Das war vollkommen unmöglich!
Misty konnte nicht tot sein!
Das konnte einfach nicht wahr sein.
So was war total unmöglich.
„Pikaa.“
Die Stimme von seinem besten Freund Pikachu weckte Ash aus seiner Trance.
Er blickte in seine großen, glitzernden Augen.
Schnell sah er wieder Rocko und Tracey an.
„Das ist total unmöglich! Misty kann nicht..!“
Er brachte es nicht übers Herz das Wort aus zusprechen.
Ash sprang auf und rannte davon.
Er konnte noch die Rufe von Pikachu, Lilia und Benny hören, aber das war nicht wichtig.
Alles wurde ihm egal.
So schnell er konnte lief er durch die warme Nacht.
Vorbei an all den beleuchteten Geschäften und den immer noch wachen Leuten, die durch die Straßen gingen.
Währenddessen versuchte sein Verstand zu begreifen, was sein Herz nicht akzeptierte.
Das hier war bestimmt alles nur ein Traum. Ein Alptraum aus dem er gleich erwachen würde.
Misty. Seine Freundin. Tot?
Er erinnerte sich an das erste Treffen der beiden.
Als Pikachu schwer verwundet war und sie ihn und seinen besten Freund buchstäblich aus dem Wasser fischte.
Damals hatte er ihr Fahrrad genommen und damit Pikachu noch rechtzeitig ins Pokémon-Center gebracht.
Danach war sie ihm gefolgt, weil sie ihr Rad repariert haben wollte.
Aber dann waren sie richtige Freunde geworden.
Zusammen mit Rocko hatten Misty und Ash so viel erlebt.
Ihre Reise durch Kanto, dann über die Orange Inseln mit Tracey und dann noch die ganze Johto-Reise.
Ash viel der Abschied von ihr ein.
Der Tag an dem ihre Schwestern anriefen und sagten sie müsse von nun an die Arena leiten.
Zuerst hatte er sich für Misty gefreut, aber nachdem er ihr trauriges Gesicht gesehen hatte wurde ihm klar, was damit alles zusammenhing.
Sie konnte nicht mehr mit ihm und Rocko weiter reisen.
Ihr Leb wohl zu sagen war eines der schwersten Dinge in seinem gesamten Leben gewesen, aber er hatte sie nie wirklich gehen lassen.
Er hatte immer einen Platz für Misty in seinem Herzen gehabt und den hätte nie jemand ersetzen können.
Ash viel das Treffen ein, als er schon mit Maike und Max unterwegs war.
Er hatte sich riesig darauf gefreut und ihm tat es verdammt weh sie wieder gehen zu lassen.
Aber umso glücklicher war er sie für eine kurze Zeit wieder bei sich zu haben, als er von seiner Hoenn-Reise wieder zurück war.
Ihr Mini-Misty-Köder hatte ihm so viel Kraft gegeben.
Das Wissen, dass sie immer noch hinter ihm gestanden hatte und, dass er immer noch sein Bestes geben sollte.
All diese kleinen Momente sah Ash bildlich vor sich.
Jeder Streit, jedes mal wenn sie beide wieder in Schwierigkeiten waren.
Jedes Wort und jede Tat wurde wieder und wieder abgespielt.
Bis er unsanft aus seinen Gedanken gerissen wurde.
Seine Beine wollten ihn nicht mehr tragen und er war auf die Knie gefallen.
Schwer atmend sah er sich um.
Er war durch die ganze Stadt gerannt und befand sich nun auf einer großen Wiese.
Der Mond schien auf ihn herab und ließ die Bäume, die weiter weg standen, erstrahlen.
So viele Nächte hatte er zusammen mit Misty und Rocko unter freiem Himmel verbracht.
So viel Spaß hatten sie gehabt.
Und jetzt? Jetzt soll das alles weg sein?
Nie wieder würde er ihr wütendes Gesicht sehen oder ihren starken Schlag auf seinen Hinterkopf, spüren wenn er irgendetwas blödes gesagt hatte?
Nie wieder würde er ihre Reaktion sehen, wenn sie ein Käfer-Pokémon sah?
Nie wieder würde sie ihm zeigen können, dass sie vollkommen hinter ihm stand?
Nie wieder würde er ihr fröhliches Lächeln sehen können?
Es war als würde man Ash die Kehle zu schnüren.
Er konnte nicht atmen, sich nicht bewegen, nicht denken. Die Zeit schien stehen zu bleiben.
„Pika?“
Die Stimme von seinem ersten Pokémon weckte ihn.
Langsam drehte er seinen Kopf zu Pikachu. Seine Augen waren gläsrig und er sah Ash besorgt an.
Wäre Misty nicht gewesen, wüsste Ash nicht, ob er Pikachu noch rechtzeitig hätte retten können.
Dann hätte er vielleicht seinen besten Freund verloren.
Ohne Misty.
Dieser Gedanke gab ihm den Rest.
Ash umarmte Pikachu und beide fingen darauf an hemmungslos zu weinen.
Egal was er tat, seine Tränen wollten nicht aufhören.
Denn sie war weg.
Einfach weg.
Für immer und ewig.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte Ash die Schritte seiner Freunde hinter sich.
„Ash?“, hörte er Lilia sagen. „Ist alles okay?“
Er ließ Pikachu los und setzte ihn vor ihm ab.
Allerdings drehte er sich nicht um. Er sah weiter seinem weinenden Freund in die Augen.
„Nein.“, schluchzte er. „Nichts ist okay. Misty ist... Sie ist...“
Erneut überwältigte ihn ein Meer von Tränen.
Er vergrub sein Gesicht in seinen Händen.
Die Hand, die ihm wahrscheinlich von Rocko auf die Schulter gelegt wurde, half dagegen auch nicht.
„Es ist okay, Ash. Lass es raus.“
Ash schüttelte heftig den Kopf.
„Sie ist weg, Rocko! Sie ist einfach nicht mehr da! Ich kann sie nie wieder sehen. Dabei.. Dabei...“
Ein Schluchzer unterbrach ihn und er wartete einen Moment, bis er seine Stimme wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte.
„Dabei hab ich ihr doch versprochen sie wieder zu sehen.“
Er schaffte nur es zu flüstern, aber trotzdem konnten alle es hören.
Wütend auf sich selbst schlug er mit beiden, zu Fäusten geballten, Händen auf den Boden.
„Ich habs ihr doch versprochen.“
Pikachu kuschelte sich an ihn und gab ein tröstendes „Chuu“ von sich.
Sie waren dort noch eine ganze Weile, bis Rocko, Tracey, Benny und Lilia wieder in die Stadt zurück gingen.
Ash blieb zusammen mit Pikachu die ganze Nacht noch dort auf dieser Wiese und dachte an seine alte Freundin.
