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Ein Haus voller Geschichten

Fairy Tail Drabbles
von

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Anfang und Ende


 

„Nichts in der Welt steht einzeln und irgendein Wirksames muß nicht als Ende, sondern als Anfang betrachtet werden.“
 

Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832), deutscher Dichter der Klassik, Naturwissenschaftler und Staatsmann
 


 

~


 

Es war beinahe unglaublich, dass der Baum so lange überdauert hatte. Schon vor vielen Jahren war er groß gewesen, hatte einen breiten, soliden Stamm und eine weit spannende Krone. Die Zeit hatte ihm nicht immer gut mitgespielt, wie der eine oder andere abgebrochene Ast bewies. Doch an diesen Stellen waren immer junge und gesunde Sprösslinge hervorgekommen und hatten das Blätterdach wieder geschlossen.

Levy stand in einiger Entfernung zu der Eiche und musterte sie aufmerksam. Auf ihren Stock gestützt, die getreue Büchertasche über die Schulter geschwungen sahen Passanten nur eine alte, teilweise gebeugte, kleine Frau.

Doch für Anwohner war sie Levy McGarden, letzte Überlebende der alten Fairy Tail Magiergilde und Begründerin der neuen.

Und obwohl sie ihr Amt als Gildenvorstand bereits an eine jüngere Generation abgegeben hatte, war sie noch immer hoch geachtet.

Sie war immerhin eine der wenigen, die damals gegen die Drachen gekämpft hatte und es überlebte. Und sie war es auch, die nach deren Verschwinden als erste in der zerstörten Stadt aufstand, die Leute zusammenrief und mit dem Wiederaufbau begann. Männer und Frauen, die sie aus der Zeit vor der Katastrophe gekannt hatten, meinten immer, in ihr würde der Geist von Fairy Tail weiterleben. Denn trotz der schmerzlichen Verluste, die sie - genau wie alle anderen Überlebenden – erfahren musste, gab sie nicht auf. Wenngleich ihr Lachen und ihre Freude niemals wieder die alte Glückseligkeit erreichen sollten.

Und genau dieser unbeugsame Wille war es, der die Menschen wieder hoffen ließ.

Stein für Stein erstand Magnolia erneut, genauso wie die anderen Städte und viele andere Magiergilden, die noch Überlende zählten.
 

Langsam ging die alte Frau den Weg hin zu dem Baum. Als sie ihn erreichte, legte sie eine von Jahren und Arbeit gezeichnete Hand auf dessen Rinde und begrüßte ihn im Geiste wie einen alten Freund. Sie sah nach oben, blinzelte kurz gegen die durch das Blätterdach einfallende Sonne. Levy suchte eine horizontale Reihe von Einkerbungen und lächelte wehmütig, als sie sie nach all den Jahren noch immer sehen konnte.

Hier war es – beinahe ein ganzes Leben zuvor – da sie von einem Mitglied einer feindlichen Gilde mit Eisenbeschlägen an den Baum gehangen wurde. Hier war es, da ihre gemeinsame Geschichte ihren Anfang gefunden hatte… und viel zu früh beendet wurde.

Sie lächelte noch immer, konnte aber die Träne nicht verhindern, die ob dieser Erinnerungen über ihre Wange wanderte.
 

Jeder einzelnen Bewegung bedacht ging die alte Frau langsam in die Hocke, drehte sich um, kam schließlich auf die starken Wurzeln gestützt und mit dem Rücken zum Stamm sitzend zur Ruhe. Sie holte ein dickes, selbstgeschriebenes Buch aus ihrer Tasche hervor und hielt es beinahe liebevoll in Händen, teils in ihrem Schoß, teils an ihre Brust gelehnt. Hier hatte Levy nach der Katastrophe die Geschichte von Fairy Tail – dem alten Fairy Tail – aufgeschrieben, aufdass die längst vergangenen Mitglieder, ihr Lachen, ihre Wut, ihr Mut, ihre Liebe und ihre Geschichten niemals in Vergessenheit geraten sollten.

Levy McGarden schloss die Augen und wandte ihr lächelndes Gesicht dem Himmel zu. Sonnenflecken tanzten auf ihren schneeweißen Haaren.
 

Sie hörte Schritte näher kommen. Langsam, doch mit einem bestimmten Ziel. Sie waren dumpf und schwer und das Gras raschelte lebhaft unter ihnen. Kurz vor Levy kamen sie zum Stehen.

„Oi, Bücherwurm.“

Die Stimme war tief, man konnte förmlich das Grinsen heraushören, und sie war so schmerzhaft vertraut, dass Levy wieder die Tränen kamen.

Sie öffnete die Augen. Vor ihr stand Gajeel Redfox, der einzige Mann, den sie jemals geliebt hatte. Sein Äußeres hatte sich seit dem Tag, an dem er gestorben war, nicht im Geringsten verändert.

„Hey…“, gab sie ihm mit kleiner, zitternder Stimme zurück und lächelte, wie sie es seit dem ersten Tag der Katastrophe nicht mehr vermocht hatte.
 

Gajeel streckte ihr die Hand entgegen.

„Ich bin hier, um dich abzuholen. Du hast dir ganz schön Zeit gelassen.“ Er lächelte anerkennend. „Aber du warst ja auch ziemlich beschäftigt.“

Levy ergriff seine Hand und stellte dabei erstaunt fest, dass ihre eigenen Finger wieder das Aussehen und die Kraft der Jugend zurück gewonnen hatten.

Er zog sie in einer Bewegung auf ihre Beine. Levy konnte nicht anders, als ihn zu umarmen. Es war einfach zu lange her, dass sie die Möglichkeit dazu hatte. Ihre Tränen rollten noch immer, doch sie wurden von einem Gefühl unaussprechlichen Glücks begleitet.
 

„Lass uns gehen. Die anderen warten alle auf dich.“

Seine tiefe Stimme setzte sie in Bewegung. Sie musste nicht zurückschauen um zu wissen, dass an dem Baum noch immer ihr alter Körper lehnte, die Augen geschlossen und ein glückliches Lächeln auf dem Gesicht, dem Himmel zugewandt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  NatsuNoSora
2013-10-19T18:34:15+00:00 19.10.2013 20:34
Ein wunderschönes Kapitel. Wirklich wunderschön.
Du hast die dritte mögliche Zukunft weitergesponnen, nicht wahr? da, wo Levy weinend über ihrem Buch sitzt...
Du hast es geschafft aus der grausamsten Zukunftsversion etwas herzbewegendes zu machen. Ich bin zutiefst beeindruckt. Und wie Gajeel sie am Ende abholt... perfekt. Vielen Dank für diese Story.

Ganz viele liebe Grüße
Sora
Antwort von:  Yalene
19.10.2013 21:57
Genau die.
Ich weiß nicht, wie weit du im Manga mitliest, aber am Ende kommt raus, dass von Fairy Tail in dieser alternativen Zukunft vermutlich nur Levy überlebt hat. Ich fand den Gedanken immer traurig. Dann hatte ich aber mal einen Kurzcomic von einer Zeichnerin auf deviantart gesehen, der eine junge Levy zeigte, die von Gajeel "abgeholt" wurde. Der Gedanke hat mich in Kombination mit der Zukunftsversion nicht mehr losgelassen. Levy ist stark, aber auch sie verdient ihr Happy End. =)


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