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Raven Southmore

Zersplittert
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Tut mir Leid für das lange warten > ^ <
Ich hab's irgendwie vergessen u_u Komplett anzeigen

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Vier

Vier
 

„Clementina!“

Verdattert blickte ich meinen Vater an. Sein Gesicht glich farblich einer überreifen Tomate.

„Was erlaubst du dir, einfach in ein Taxi zu steigen und nach Deutschland zu reisen?“

Bei jedem Wort, das aus seinem Mund hervorquoll, wuchs er. Er wuchs, bis er hundertmal so groß war, wie ich.

„Und dann noch auf ihre Schule zu gehen. Dort wo sie war!“

Sein Gesicht wurde zorniger und er hob seinen gigantischen Fuß an.

„Am besten zerquetsche ich dich wie ich es bei deiner Mutter auch tat!“

Dann sauste sein riesiger Fuß auf mich herab.
 

Schweißgebadet schreckte ich hoch. Verwirrt schaute ich mich um bis mir einfiel, dass ich jetzt im Neria-Internat war und nicht mehr im Southmore-Anwesen.

„Nur ein Traum…“, murmelte ich und drückte mein verschwitztes Gesicht in die Hände.

„Na? Auch schon wach?“, fragte Cecily und lugte um die Wand, die das Schlafzimmer von der Tür trennte.

„Ja…“, murmelte ich müde. Ich war ein richtiger Morgenmuffel und meistens nie wach zu bekommen.

„Gut. Hier, deine Uniform.“, sagte sie und warf mir einen Kleiderhaufen entgegen.

In meinem Halbschlafzustand fing ich den Haufen mit meinem Gesicht auf. „Uniform?“

Cecily stemmte die Hände in die Hüften und rollte mit den Augen. „Ja, Uniform. Zieh sie an. Oder willst du vorher noch duschen?“

Ich zog den Kleiderhaufen von meinem Gesicht und antwortete: „Ne kalte Dusche wäre nicht schlecht.“

„Links den Flur runter, die vierte Tür.“, gab Cecily zurück und richtete ihre Krawatte vor dem Spiegel an der Rückseite der Tür. „Aber beeil dich . Es gibt nur noch eine Stunde Frühstück unten.“

„Danke…“, murmelte ich und zog mir mein T-Shirt über den Kopf. Es reichte mir zwar nur knapp bis über den Po aber stören würde es ja wahrscheinlich keinen, wenn ich nur so eben ins Bad hüpfte, oder?

Ich nahm die Uniform unter den Arm und verließ das Zimmer. Der Flur dahinter war leer, wurde aber vom hellen Morgenlicht erfüllt. Die winzigen Staubpartikel in der Luft reflektierten es und sie schimmerten in ihrer Bewegung. Sie sahen fast magisch aus.

Ich schritt den Flur entlang bis ich vor einer Tür stehen blieb. Es war die vierte und auf einem kleinen Metallplättchen stand „Toiletten/Duschen“ geschrieben. Ich zog die Tür auf und trat ein.

Der Raum dahinter war auf der einen Seite von einer Spiegelwand gesäumt. Darunter standen akkurat angeordnet mehrere Waschbecken. Auf der anderen Seite stand ein großer Schrank mit unzähligen kleinen Fächern darin. Ein paar von ihnen waren mit Handtüchern vollgestopft.

Ich nahm mir eins heraus und ging durch den Raum. Am Ende waren dort zwei Türen in die Wand eingelassen. Auf der einen stand "Toiletten", auf der anderen "Duschen". Unter beiden Wörtern waren kleine Bildchen angebracht. 

Meine Finger umschlossen den Griff der Duschtür und ich öffnete sie. Hinter ihr war ein Raum mit mehreren einzelnen Duschen. Ich schlüpfte aus meinen Sachen und sprang unter eine von ihnen. Kaltes Wasser umfing mich und ließ mich spitz aufschreien. Jetzt war ich wach. Als es langsam wärmer wurde genoss ich das Nass richtig. Aber dazu hatte ich nicht viel Zeit. Also drehte ich den Wasserhahn wieder zu und trocknete mich mit dem Handtuch ab. Ich zog meine Unterwäsche wieder an und begutachtete dann die neue Uniform. Sie sah eigentlich recht neutral aus. Ein dunkelblauer Rock mit helleren Streifen. Eine weiße Bluse. Ein schwarzer Blazer. Eine Krawatte in den Farben des Rockes. Weiße Strümpfe.

Sieht eigentlich recht süß aus, meinte meine Kopfstimme und ich schlüpfte in die Uniform. Sie fühlte sich ein wenig steif an, aber das würde sich schon bei genug Bewegung geben.
 

Wieder in Zimmer 320 saß Cecily auf ihrem Bett und blätterte in einer Zeitschrift. Als ich ins Zimmer trat, hob sie ihren Blick und warf die Zeitschrift beiseite.

„Da bist du ja endlich!“, meinte sie und stand auf. Ihr stand die Uniform viel besser als mir. Ihre langen hellblauen Haare hatte sie zu zwei Zöpfen gebunden, die ihr über die Schulter fielen.

„Sorry.“, gab ich zurück und rubbelte meine Haare mit dem Handtuch trocken. Ich musste zugeben: die kurzen Haare gefielen mir irgendwie. Man musste sie nicht so viel pflegen und sie trockneten schneller. Und wogen natürlich auch weniger!

Cecily betrachtete mich fragend. „Was ist mit deinen Haaren?“

„Was soll damit sein?“, fragte ich sie. „Was ist mit deinen?“

„Meine sind blau. Und deine haben einen komischen Schnitt.“

Zum ersten Mal betrachtete ich meine neue Frisur in einem Spiegel. Cecily hatte Recht, meine Haare waren wirklich komisch geschnitten. Auf der rechten Seite waren sie viel länger als auf der linken und es ragten lange fransige Strähnen heraus.

„Setz dich mal da hin.“, meinte Cecily und deutete auf einen freien Stuhl im Zimmer. Es gab insgesamt drei davon. Und einen Schreibtisch.

Ohne nach dem Grund zu fragen setzte ich mich auf ihn und blickte Cecily an. „Und nun?“

„Still halten.“, gab sie zurück. Sie trat hinter mich und hob ihren Finger. Ich wusste nicht was sie tat, aber ich hörte ein Geräusch und sah, wie ein paar meiner Haare in Strähnen zu Boden fielen.

„Was machst du da?!“, fuhr ich auf, doch Cecily drückte mich zurück auf den Stuhl. „Sitzen bleiben und Klappe halten!“

Wieder fielen einige meiner Haarsträhnen zu Boden. Ich wusste nicht, was Cecily da machte, aber sie schnitt mit irgendetwas an meinen Haaren herum. Und ich wollte ganz sicher nicht, dass sie mir ein Ohr abschnitt, wenn ich mich bewegte. 

„So, fertig.“, sagte Cecily nach einer Weile. Sie wischte mir mit einer Hand ein paar Strähnen von den Schultern und forderte mich auf, aufzustehen. „Na los, sieh es dir an.“

Ich blickte sie leicht verwirrt an und betrachtete mein Gesicht im Türspiegel. Meine Haare hatten nun einen ordentlichen Haarschnitt. Zwar waren sie jetzt noch kürzer und reichten nur noch bis knapp über die Schultern, aber sie sahen wirklich ordentlich aus. Ein wenig stufig. Mit schönen Fransen.

„Wie hast du das gemacht?“, fragte ich das blauhaarige Mädchen und wirbelte zu ihr herum. Sie pustete sich über die Fingerspitzen, als sie ein Pistolenlauf wären und antwortete: „Mit Magie.“

Ich verzog meine Lippen zu einem Grinsen und band meine Haare zu einem Pferdeschwanz. „Sehr lustig. Aber danke.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Nichts zu danken. Komm, ich hab Hunger.“
 

Nachdem ich meine Schuhe angezogen hatte verließen wir unser Zimmer und bogen auf dem Flur rechts ab und in den Turm hinein, unzählige Treppen hinunter.

„Was sind das eigentlich für Türme?“, fragte ich, als wir unten ankamen und über das frische Gras zum Hauptgebäude gingen.

„Die?“, fragte Cecily und deutete um sich herum. Ich nickte. 

„Das sind die elementarischen Türme. Jeder Turm ist einem Element zugeteilt.“

Sie deutete auf den Turm aus dem wir gekommen waren. „Der Turm des Feuers.“

Dann auf den rechts daneben. „Der Turm der Erde. Der daneben ist der Turm des Wassers.“ Dann deutete sie auf einen vierten Turm. „Der Turm der Luft.“

„Und der an der Spitze?“, fragte ich und deutete auf den Turm an der Spitze des Pentagons. 

Cecily überlegte einen Moment. „Ich weiß nicht welches Element er symbolisiert. Wir nennen ihn nur den Nullturm.“

„Nullturm?“, wiederholte ich und blickte sie fragend an.

„Keine Ahnung warum. Wir nennen ihn einfach so.“

Ich nickte, als ob ich verstanden hätte und wir betraten das Hauptgebäude.

Es war riesig. Das Erdgeschoss war zu einem Speisesaal umgebaut worden. Von dort gab es zwei Treppen in die Etage darüber.

„Bist du irgendwie speziell?“, fragte Cecily und führte mich zwischen diversen, von Schülern besetzten Tischen hindurch.

„Speziell?“

Sie rollte mit den Augen. „Vegetarier. Laktose intolerant. Ikeaner?“

„Nein, bin ich nicht. Ich esse nur ungerne Fisch.“, gab ich als Antwort und wir reihten uns in der Schlange der Essensausgabe ein.

„Also wenn du nur keinen Fisch magst, dann kannst du hier ohne Probleme fast alles essen.“, meinte Cecily und reichte mir ein Tablett. „Ich mag auch keinen Fisch. Gehören irgendwie zur Familie.“

„Zur Familie?“ wiederholte ich, doch sie lächelte nur. 

„Und was mach ich jetzt damit?“, frage ich dann und hielt das Tablett in die Höhe.

„Na was wohl? Du gehst zu der sexy Lady dort drüben mit der Schürze und sagst welches Frühstücksmenü du haben willst. Du kannst aber auch einzelne Sachen bestellen, wenn dir keins der Menüs schmeckt. Wie inner Schule eben.“

„Ich war nie auf einer.“, gab ich leise zu und das blauhaarige Mädchen sah mich fragend an.

„Wie 'nie'?“

„Ich hatte Privatunterricht. War richtig langweilig.“

„Glaub ich dir. Wollten meine Eltern auch erst, aber ich hab mich geweigert. Einmal Menü A mit Baked Beans bitte.“, sagte Cecily und reichte einer Frau mit Schürze ihr Tablett.

Als sie es wieder zurück bekam standen dort ein zugedeckter Teller und eine kleine Schüssel Joghurt.

„Was möchtest du haben?“, fragte die Essenausgabefrau mich.

„Ähh… ich nehme Menü…“ Schnell flogen meine Augen über die Beschilderung an den Wänden. „Menü C.“

Die Frau nahm mein Tablett entgegen und setzte darauf einen bedeckten Teller und einen Schokoladenpudding ab. Ich bedankte mich, nahm mir Essbesteck aus einer Schale und folgte Cecily zu einem freien Tisch, an den wir uns setzten. Er stand direkt an einer großen Glasfront und strahlendes Morgenlicht durchflutete den Raum.

„Ist das ganze Erdgeschoss ein Speisesaal?“, fragte ich sie.

„Nicht ganz. Es gibt hier noch die Küche und diverse Abstellräume.“, antwortete Cecily und nahm den Deckel von ihrem Teller. Darunter kamen Rührei, gebratene Würstchen, Baked Beans und Bacon zum Vorschein.

„Jummy!“, freute sie sich und stülpte den Deckel wieder darüber. „Möchtest du O-Saft, Multi oder Wasser?“

„Mhm? Wasser bitte.“, antwortete ich und das blauhaarige Mädchen stand auf um Getränke zu holen.

Ich hob den Deckel von meinem Teller hoch und blickte auf eine Schale Naturjoghurt, daneben eine andere mit Haferflocken und kleingeschnittenem Obst.

„Ist hier noch frei?“, fragte jemand mit einem leichten französischen Akzent und ich wandte mich zu der Person um.

Ein Junge mit längeren schwarzen Haaren und tiefblauen Strähnen blickte mich fragend an.

Wow…, sagte meine Kopfstimme. Sieht der gut aus! Seine blaugrauen Augen blickten freundlich und aufrichtig. Er trug die gleiche Uniform wie auch Cecily und ich – nur eine Jungenvariante.

Die lange Hose hatte die gleiche Farbe, sowie die gleiche Musterung wie mein Rock. Dazu trug er ein weißes Hemd und darüber ein schwarzes Jackett. Unsere Krawatten waren dieselben, nur trug er seine locker um den Hals gebunden.

„Morgen Shamy.“, ertönte Cecilys Stimme und sie stellte zwei Gläser Wasser auf den Tisch.

„Du sollst mich nicht immer Shamy nennen, Cec.“, grunzte der Hübschling und blickte die Blauhaarige zerknirscht an.

„Macht der Gewohnheit.“, grinste diese und ließ sich wieder mir gegenüber an den Tisch gleiten. Sie blickte kurz den Jungen an und klopfte dann auf den Platz neben sich. „Sitz.“

„Ich bin kein Hund!“, sagte der Junge, lachte aber dabei. Er ließ sich neben Cecily auf einen Stuhl sinken und stellte sein Tablett vor sich.

Ich blickte die beiden fragend an. Cecily trank einen Schluck Wasser und räusperte sich dann. „Shamy, das ist Raven.“, stellte sie mich dem Jungen vor. „Raven, das ist Shamy.“

„Shane!“, fuhr der Junge dazwischen und wischte sich eine seiner blauen Strähnen aus dem Gesicht. „Freut mich, Raven.“

„Mich auch.“, gab ich zurück. Mir brannte eine Frage unter den Nägeln und sie wollte unbedingt gestellt werden. Bevor ich meinen Verstand einschaltete sprach mein Mund schon die Frage aus. „Warum nennt Cecily dich Shamy?“

„Cec, halt die Klappe!“, fuhr der Junge das blauhaarige Mädchen neben sich an, doch sie grinste bis über beide Ohren.

„Das liegt daran, dass der liebe Shane als Kind immer der totale Schussel war und sich fast immer in die Hose gemacht hat bei jedem seiner kleinen Schusselanfälle. Und danach hat er immer geheult wie ein kleines Mädchen.“

„Musste das jetzt sein?“, fragte der Junge mit weinerlicher Stimme und bettete seinen Kopf auf den Tisch. „Musst du das jedes Mal bringen wenn ich ein nettes Mädchen kennenlerne?“

„Shamy, lass meine Zimmergenossin in Ruhe. Du nervst mich jetzt schon oft genug – da muss ich dich nicht noch in meiner Freizeit ertragen.“, gab Cecily zurück und begann ihr Rührei zu essen.

Ich lächelte leicht und blickte die zwei an. Sie wirkten so vertraut miteinander.

„Ihr kennt euch also schon länger?“, fragte ich und kippte Obst und Haferflocken in den Joghurt.

„Ja.“, antwortete mir Cecily zwischen zwei Bissen Baked Beans. „Sind Nachbarn gewesen. Musste ihn immer vor den Schlägerbanden retten.“

„Stimmt nicht!“, meinte Shane und fuhr mit seinem Kopf wieder hoch. „Du hast mich sie nur nicht vermöbeln lassen!“ Er verschränkte seine Arme und fügte hinzu: „Eigentlich hab ich sie immer vor denen beschützt.“

Cecily stoppte in ihrer Bewegung und hielt dem Jungen ihre volle Gabel entgegen. „Du willst Krieg?“

Als ihr Rührei in seinem Gesicht landete, fing ich an zu lachen. Empört wischte sich der Junge mit einer Serviette über sein Gesicht und blickte Cecily entrüstet an. „Du weißt doch wie ich Ei hasse, Cecily!“

Sie grinste übers ganze Gesicht und zeigte ihm mit ihrer Hand ein Peace-Zeichen. Dann begann sie ihre Baked Beans weiterzuessen.

„Du hast da noch Ei.“, sagte ich zu Shane, nachdem ich mich wieder beruhigt hatte und wischte ihm mit meiner Serviette Rührei von der Wange.

„Danke.“, gab er zurück und blickte peinlich berührt auf seinen zugedeckten Teller.

„Cecily?“, fragte ich nach einer Weile das Mädchen. Sie blickte von ihrem fast leeren Teller auf.

„Wo sind wir hier eigentlich?“

Von Shane gingen röchelnde Geräusche aus und als ich ihn ansah, sah ich, wie er sich an seinem Toastbrot verschluckt hatte. Eilig kippte er seinen Orangensaft hinterher und atmete tief durch.

„Wie 'wo wir hier sind'? Deutschland natürlich.“, gab Cecily von sich und knabberte an ihrem Bacon.

„Das mein ich nicht.“, gab ich zurück und begann dann zu erzählen wie ich mit Travor durch den Torbogen des Schlosses von Schloß Neuhaus gegangen war. Wie er dann seine Hand an die Wand gelegt hatte und dort ein blaues Quadrat aufleuchtete.

„Dann war ich plötzlich ganz woanders.“, schloss ich und blickte die beiden an.

„Dieser Giftmischer wieder!“, zischte Cecily und pfefferte ihre Gabel auf den Teller. „Nur weil er ein Viereck ist!“

„Beruhig dich, Cec.“, sagte Shane ruhig und legte dem Mädchen seine Hand auf den Arm. Dann wandte er sich zu mir und sagte: „Sie hasst Mr. Hayles.“

„Hassen ist gar kein Ausdruck!“, fuhr Cecily auf und es schien mir, als ob um sie eine rote Masse schweben würde. „Wie kann er es nur wagen mich Nixe zu nennen!“

„Stimmt, Blaufuchs wäre treffender.“, fügte Shane hinzu und blickte mich dabei an wie ein Lehrer.

„Stirb, Shamy!“, keifte Cecily und sprang dem Jungen an die Gurgel. Dieser lachte und hielt entschuldigend seine Hände hoch. „I’m sorry!“

„Wisst ihr eigentlich, dass ihr wie ein Sketchduo ausseht?“, meinte ich und verkniff mir ein Grinsen.

Cecily ließ von Shane ab und kippte ihr Wasser herunter. Shane griff sich dankend an den Hals und hustete kurz. „Du bist so aufbrausend!“

„Klappe!“, gab sie ihm als Antwort und aß eins ihrer gebratenen Würstchen.

Shane lächelte zaghaft und widmete sich dann wieder seinem Essen. Auch ich begann meinen Joghurt weiterzuessen. Nach zwei Löffeln hielt ich inne. „Was meint ihr eigentlich mit Viereck?“

Verwirrt stoppten meine beiden Gegenüber in ihrer Bewegung und blickten mich an. „Du veräppelst uns, oder?“, fragte Cecily. „Du weißt doch, was ein Viereck ist!“

„Eine Fläche mit vier Ecken.“, antwortete ich und Cecily begann zu lachen.

„Nicht so ein Viereck.“, sagte Shane und nahm Cecilys Serviette. Dann zog er einen Kugelschreiber aus seiner Jacketttasche und begann auf dem weißen Zellophan zu malen. Neugierig beobachtete ich ihn dabei.

Als er die Serviette zu mir drehte blickte ich fragend darauf. Shane hatte ganz oben vier Zeichen in einem Kreis gemalt, die denen des Schullogos recht ähnlich sahen.

Darunter hatte er dann einen Punkt gemacht. Etwas tiefer eine Linie. Wieder etwas tiefer ein Dreieck und darunter ein Quadrat.

„Kennst du was davon?“, fragte Shane mich und ich nickte.

„Also die vier Sachen da oben sind auch auf dem Schulwappen. Nur weiß ich nicht, was ein komischer Pfeil, ein BH ohne Verschluss, eine Spitztraube und eine Spirale sein sollen.“, antwortete ich.

„Du hast echt keine Ahnung!“, meinte Cecily und blickte mich neugierig an. „Wieso ist sie dann hier?“

Die Frage war viel eher an Shane gestellt, doch ich beantwortete sie. „Hab ein Stipendium bekommen und wollte von zu Hause weg. Was dagegen?“

Okay, vielleicht war meine Antwort ein wenig schnippisch gewesen, denn Cecily verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust und zog die Nase kraus.

„Beruhigt euch.“, brummte Shane und widmete sich wieder mir zu. „Also, du hast keine Ahnung, oder?“

„Von was ne Ahnung!?“, fauchte ich jetzt sauer. Wieso mussten die zwei nur in solchen Rätseln sprechen?

„Von all dem hier!“, fauchte Cecily zornig zurück und fuhr mit der Hand durch die Luft. „Der Magie!“

Ich stutzte. „Welcher Magie?“

Das Mädchen schnalzte mit der Zunge und blickte zur Seite. Shane schüttelte den Kopf. „Der magischen Welt. Das meint sie.“

„Was für eine magische Welt? Wir sind doch in Deutschland!“, entgegnete ich.

„Ja und nein.“, antwortete Shane mir. „Wie soll ich dir das erklären? Du musst dir vorstellen, es gibt die normale Welt. Die, wo wir alle herkommen. Doch gleichzeitig existiert noch eine magische Welt.“

„Sag mal willst du mich verarschen?“, fragte ich ihn und zog eine Augenbraue hoch.

„Du bist echt beschränkt.“, grunzte Cecily, die angefangen hatte, ihren Joghurt zu essen.

„Cecily, jetzt halt die Klappe und iss deinen Joghurt!“, fuhr der Junge sie an und zum ersten Mal erhob er seine Stimme.

„Leck mich.“, schmollte das Mädchen und klaute sich meinen Schokopudding.

„Also, es gibt neben der normalen Welt noch eine magische. Beide existieren zur selben Zeit aber sind voneinander abhängig. Du erinnerst dich doch sicherlich noch an das Tor, unter dem du hier mit Mr. Hayles aufgetaucht bist, oder?“, fragte mich Shane.

Ich nickte.

„Also das war ein Verbindungspunkt der beiden Welten.“, fuhr Shane fort. „Es gibt ein paar auf der ganzen Welt verteilt.“

„Verbindungspunkte?“, wiederholte ich und er nickte.

„Du musst wissen, die beiden Welten sind im Endeffekt genau dieselben. Nur haben sie verschiedene Atmosphären. In der normalen Welt hat jedes Stück in der magischen ein Gegenstück. Das Schloss von Schloß Neuhaus ist zum Beispiel das Gegenstück zum Neria-Internat.“

„Okay, halt, stopp. Das wird mir zu viel.“, meinte ich und hielt mir den wirren Kopf.

Shane begann zu lachen. „Verständlich. Für nichtmagische Wesen ist es wirklich ein wenig schwer es zu verstehen. Aber du musst eigentlich nur dies hier wissen, vorerst.“

Er deutete mit der Spitze des Kugelschreibers auf die bemalte Serviette.

„In der magischen Welt gibt es vier große Elemente. Das Feuer.“ Er tippte mit der Spitze auf den komischen Pfeil. „Die Luft.“ Die Spitze tippte auf die komische Spirale. „Das Wasser.“ Die Spitztraube. „Und die Erde.“ Er deutete auf den komischen BH.

Während er mir die Zeichen erklärte erkannte ich sie wirklich. Der komische Pfeil war gar kein Pfeil, sondern eine Flamme, die tänzelte. Die Spitztraube symbolisierte einen Wassertropfen und die Spirale einen Luftzug. Ich musste schmunzeln, als der BH-Verschnitt sich zu zwei Bergen verformte.

„Natürlich gibt es auch Magienutzer - uns.“, fuhr Shane fort und ich blinzelte ihn an.

„Wie, 'uns'?“

„Die Schüler dieser Schule sind Magienutzer.“, meinte Cecily und leckte ihren Löffel sauber. „Und da du durch den Verbindungspunkt gekommen bist, auch du. Ergo – du bist ein Magienutzer.“

„Ich?!“, quiekte ich laut auf.

„Ja du. Und jetzt hör dem allwissenden Shamy zu.“, fügte Cecily hinzu und grinste den Jungen schelmisch an.

Dieser rollte mit den Augen und erklärte mir weiter seine Zeichnungen. „Das mit den Elementen hast du verstanden, oder?“

„Ja, ich glaube schon.“

„Gut, dann wird es jetzt ein wenig schwieriger. Also die Magienutzer werden in verschiedene Klassen eingeteilt. Es gibt die Magier des Punktes; dann die der Linie; schließlich noch die des Dreiecks und die des Vierecks.“ Bei jedem seiner Worte tippte er auf eins der Zeichen auf der Serviette.

„Die Magier des Punktes verfügen über die Macht, eines der vier Elemente zu kontrollieren. Linienmagier können über zwei Elemente verfügen. Und so weiter.“

„Also sind Viereckmagier am stärksten?“, fragte ich und er hielt mir die Spitze des Kulis entgegen. „Bingo! Jedoch heißt es nicht immer, dass Viereckmagier die stärksten und Punktmagier die schwächsten sind. Cecily zum Beispiel – “, begann Shane, doch Cecily unterbrach ihn.

„Ist eine Punktmagierin des Wassers, und nicht gerade schlecht.“, schloss Cecily und blickte mich herausfordernd an. „Willst du es testen?“

Ich schluckte und schüttelte den Kopf. Das Mädchen begann zu lachen. „Du bist echt lustig, Raven.“

Verlegen lachte ich kurz auf und fragte dann Shane: „Und was bist du für ein Magienutzer?“

„Ich bin ein Magier der Linie. Meine Elemente sind die Luft… und die Erde.“, gab er zögerlich zu.

„Nur kann er die Erde nicht bewusst kontrollieren.“, grinste Cecily und stellte ihr benutztes Geschirr auf dem Tablett zusammen.

„Muss das jetzt wieder sein?!“, brummte Shane verärgert, doch Cecily winkte ab.

„Jetzt wirft sich jedoch eine Frage auf: Welche ist deine Klasse als Magienutzer?“

Ich blickte sie verwirrt an. Ich? Ein Magienutzer? Nie im Leben! Also hatte ich auch keine Klasse.

„Hallo? Erde an Raven?“, fragte Cecily und lachte über ihren Wortwitz.

Schnell schüttelte ich meinen Kopf und schaute sie an. „Ich bin kein Magienutzer.“

„Du musst aber einer sein! Immerhin konntest du durch den Verbindungspunkt treten.“, meinte Shane und stapelte auch sein Geschirr auf dem Tablett. „Aber keine Angst, du wirst es noch herausfinden. Viele Neria-Schüler wissen noch nichts, bis sie hierher kommen.“

Er und Cecily erhoben sich von ihren Plätzen und nahmen ihre Tabletts. Eilig türmte ich mein benutztes Geschirr und folgte den Beiden. Wir stellten unsere Tabletts auf einen Servierwagen und verließen das Hauptgebäude.

In meinem Kopf schwirrte das von Shane Gehörte noch immer, doch langsam schien ich zu verstehen. Eine magische Welt, die gleichzeitig neben meiner eigentlichen  Welt existierte. Man konnte durch Verbindungspunkte zwischen den Welten switchen und Gebäude der einen Welt besaßen in der Anderen Gegenstücke. Außerdem waren hier die vier Elemente ausgeprägt – Feuer, Luft, Wasser und Erde. Dazu wusste ich von Cecily, dass es auch noch ein vergessenes Element geben sollte – das, dem der Nullturm gewidmet war.

Außerdem wusste ich nun, dass die Magienutzer in vier Klassen unterteilt wurden – Punkt, Linie, Dreieck und Viereck.

„Du hast Glück, dass du gestern angekommen bist.“, meinte Cecily und wandte sich zu mir um. „Somit bist du noch in unserem Jahrgang reingerutscht.“

„Jahrgang?“, fragte ich.

„Hallo? Das hier ist eine Schule?“, entgegnete Cecily.

Ich rümpfte die Nase und blickte sie an. „Weiß ich selbst! Aber was meinst du mit Jahrgang?“

Shane antwortete mir an Ihrer Statt. „Ein Jahrgang besteht aus zwanzig Magienutzern. Und du bist die Zwanzigste. Wärst du heute angekommen, dann wärst du in einem anderen Jahrgang gelandet.“

Ich nickte so, als ob ich verstanden hätte. „Also bin ich bei euch?“

„Jepps.“, meinte Cecily wieder. „Also schließ dich uns einfach an.“

Wieder nickte ich nur. An diesem Morgen waren so viele Informationen auf mich eingebrochen, dass es mir schon vorkam, als ob ich bereits mehrere Tage hier wäre. So viele Sachen, die ich noch nicht verstand. So viel, was wieder neue Fragen aufwarf.

Doch ich musste noch ein wenig warten, bis ich Antworten bekommen würde. Denn als ich an Cecily vorbeiblickte, sah ich eine verschrumpelte Frau auf uns zukommen.



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