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Das Erbe des Orphanus

von

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Eierkuchen

Das große Familienfoto im Blümchenrahmen glänzte freundlich und optimistisch im morgendlichen Sonnenschein. Zart strich ein feiner Schleier über das zur Hälfte geöffnete Fenster, tanzte dabei im warmen Wind sanft umher, der in das kleine, aber hübsche Wohnzimmer den Duft von Blumen herein brachte. Von draußen ertönte inzwischen der herrlich beruhigende Gesang kleiner, neugieriger Gartenvögel, die seit kurzem die belebte Nähe des Hauses schätzten und sich glücklich in der flachen Wasserschale suhlten. Den lauten Chor aus Bohrmaschinen, Presslufthammer und Kreissägen konnten sie mit ihren zarten Sopranstimmen jedoch nicht übertönen; es war wie immer ein unaufhörlicher Lärm an diesem glasklaren und besonders sonnigen Morgen.
 

Irgendwann mitten in der Nacht war sie vor völliger Erschöpfung nach Hause gekommen und auf der Couch eingeschlafen. Irgendwann gegen ein Uhr, es konnte auch halb zwei gewesen sein. Es gab keine ruhig verlaufenden Arbeitstage mehr, denn diese Zeiten waren längst vorbei. Der Stress und die vielen Überstunden machten sie zu schaffen, denn Cocoon musste innerhalb kürzester Zeit komplett umgesiedelt werden, da viele Gebiete unbewohnbar wurden. Vergangene Woche war sie gezwungen, ihre Zeit auf der Tycoon verbringen, einem riesigen Luftfrachter des Jagdgeschwaders, permanent auf der Suche nach überlebenden Zivilisten. Selbst am Wochenende hatte sie keine Ruhe, denn kaum war sie Zuhause bei ihrer Schwester angekommen, rief man sie einige Stunden später wieder zum Dienst. Die anstrengenden Tage und Wochen führten letztendlich dazu, dass sie gerne mal etwas länger schlief als man es ihr erlaubte.
 

Erschrocken schlug sie ihre Augen auf, wurde sofort von einem hellen, schmerzhaften Licht geblendet, welches durch die geöffneten Fenster drang und zwang sie dazu, sich hektisch aufzusetzen um indigniert auf die silberne Uhr an der Wand zu starren. Die heitere Stimme ihrer geliebten Schwester erreichte ihre empfindlichen Ohren, trieben sie automatisch aus dem Gewühl von Decken und Kissen, in denen sie bis eben noch friedlich geschlummert hatte. Wie spät war es denn bloß?
 

„Light, wie lange willst du noch schlafen? Hast du mal auf die Uhr gesehen?“
 

Viertel nach zehn. Gott, war sie müde. Sie konnte gar nicht richtig denken, geschweige denn die Worte verarbeiten, die soeben an sie gerichtet wurden. Verschlafen registrierte sie die Uhrzeit und rieb sich erleichternd die geschwollenen Augen mit den dichten Wimpern. Ihre zarten Schläfen pochten schmerzhaft. Heiliger Bahamut, ja, es war spät. Verdammt spät. Aber die Zeit reichte noch um sich schnell für den kommenden Tag vorzubereiten.
 

„Warum hast du mich denn nicht früher geweckt?“, murmelte sie vorwurfsvoll ihrer kleinen Schwester zu, schlug hastig die Decken beiseite und stolperte aus dem hergerichteten Schlafnest.
 

„Ich hab's ja versucht, aber du hast als Antwort nur laut geschnarcht!“, erwiderte Serah sich rechtfertigend aus der Küche, als Lightning sich gerade in das Badezimmer begab. Ihre Häuslichkeit hatte sich seit ihrem Aufenthalt in Cocoon sichtlich verändert; Serah und Lightning bewohnten ein recht minimalistisches, aber gemütliches Häuschen in der Nähe eines weißen Sandstrands und einem saftig grünen Hain.
 

Seit der Vermählung mit Snow blieb Serah bei Lightning wohnen, denn sie wollte sie in der ersten Zeit nicht allein lassen. Natürlich machte sie sich weniger Sorgen darum, dass sie nicht allein zurecht kam, sondern sie fühlte sich gezwungen ihr ihre Loyalität zu erweisen, weil Lightning sehr oft daran zweifelte nach der Katastrophe. Sie liebte ihr Zuhause, wo ihre große Schwester immer auf sie wartete und wo sie sich sicher und geborgen fühlte. Dort pendelte sie immer zwischen Snow's Apartment am Strand und dem eigenen Zuhause. Nachdem der Kampf um das Überleben als l'Cie endlich vorbei war, vertraute Lightning ihre Schwester Snow an, mit der Bedingung, ihr Herz niemals zu brechen und sie immer zu beschützen, egal wo, wann und wie. Sie konnte Snow's Art nicht leiden. In ihren Augen war er ein Proletarier, ein großspuriger Schwätzer mit Superheldenkomplex. Aber er gab ihr ein Versprechen; nämlich, dass er Serah zur glücklichsten Frau der Welt machen würde. Solange er Serah ein Lächeln in das Gesicht zaubern konnte, war Lightning zufrieden und die Welt in Ordnung. Sollte er dieses Versprechen brechen, würde sie sich ihn persönlich vorknöpfen müssen. Snow nahm diese Drohung ernst. Sehr ernst. Er respektierte Lightning's Einstellung ihrer Schwester gegenüber voll und ganz.
 

Mit einem besonnenen Lächeln beobachtete Serah das muntere Treiben draußen auf den Straßen während sie einige Gläser und Tassen abspülte. Seit der Stilllegung Cocoons füllten sich die zerstörten Städte auf Pulse wieder mit Zivilisation und kamen jetzt in die Phase der Restaurierung. Eine Menge Baumaterial wurde von Cocoon nach Pulse geschaffen, für die gut ausgebildeten und erfahrenen Architekten, Ingenieure und Bauhandwerker war es eine spannende Herausforderung den zerfallenen Straßennetzen und Gebäuden wieder neues Leben einzuhauchen. Auch heute führte ihr Weg wieder zu Snow, der momentan auf einem großen Güterbahnhof seinen geringen Lebensunterhalt verdiente und Serah wollte ihm so gut sie konnte dabei assistieren. Vor gefährlichen Arbeiten schreckte die junge Dame inzwischen nicht mehr zurück.
 

Lightning betrat frisch geduscht die Küche, griff nach der Kaffeekanne und setzte sich an den Tisch, den Serah bereits mit ihren besten, hausgemachten Zimt-Pancakes gedeckt hatte.
 

„War es gestern sehr schlimm?“, fragte sie besorgt, als sie das noch immer aschfahle Gesicht ihrer älteren Schwester bemerkte. Lightning sah von ihrer Tasse auf, aus der sie soeben einen Schluck kräftigen, schwarzen Kaffee trank, in der Hoffnung die aufkeimende Müdigkeit mit einem Koffeinschock zu bekämpfen.
 

„Grauenvoll.“
 

„Was ist passiert?“
 

Lightning gab resigniert seufzend einen Schuss Milch in ihren Kaffee und rührte mit einem Löffel gemächlich in der Tasse herum. „Kannst du dir das nicht denken? Die Situation momentan ist ziemlich problematisch. Noch lässt sich längst nicht jeder davon überzeugen, dass Cocoon bald unbewohnbar wird. Letzte Nacht haben sich Bürger in Nautilus zusammen geschlossen und uns mit Schusswaffen angegriffen. Sie wollen einfach nicht nach Pulse umsiedeln und haben sich strikt dagegen geweigert. Es hat Stunden gedauert, sie alle zu entwaffnen und zur Vernunft zu zwingen.“
 

„Das hört sich ja furchtbar an...“
 

„Einer dieser Typen ist vollkommen durchgedreht und hat wild um sich geschossen. Die Kollegen von der PSIKOM mussten ihn zur Sicherheit umlegen...“ Lightning strich sich bedrückt die Haarsträhnen aus dem Gesicht. Obwohl sie jahrelang beim Militär arbeitete, war sie vor schockierenden Situationen niemals sicher. Manchmal waren es solche bestürzenden Momente, wo sie sich wünschte, niemals eine Soldatin geworden zu sein um sich das ein oder andere Elend zu ersparen. „Drei Kinder und fünf Erwachsene sind unschuldig gestorben.“
 

Serah blickte schweigend auf ihren Teller. Sie hätte niemals gedacht, dass es so schlimm geworden war. Viele Menschen liebten ihre Heimat, ganz gleich in was für einem gefährlichen Gebiet sie lebten und ließen sich nicht dazu zwingen, einfach ihr Zuhause zu verlassen. Serah war es gewohnt von der gefährlichen Arbeit ihrer Schwester zu hören und sie starb jedes mal beinahe vor Sorge, wenn Lightning die eine oder andere Konstellation aus ihrem Beruf schilderte. „Und wie sieht es innen aus? Ich meine, in der Gegend um Eden.“
 

„Bis nach Sunleth ist mittlerweile jedes Gebiet vollständig kristallisiert und abgesperrt. Es gibt keinen Weg durch die Kristallhülle, die Eden jetzt umschließt. Und bislang liegen keine weiteren Meldungen vor wie es im Kern von Cocoon ausschaut.“ Lightning erhob sich, öffnete den Kühlschrank und prüfte einige der verschlossenen Gläser mit eingelegtem Gemüse. „Aber ich wurde vorhin angerufen; angeblich gibt es neue Informationen. Und deswegen werde ich mich heute wieder schön auf die Reise begeben müssen.“ Die Ironie in ihrer Stimme war kaum zu überhören.
 

Serah beobachtete skeptisch als Lightning ihren Eierkuchen mit Mayonnaise bestrich.
 

„Und...gibt es sonst so Neuigkeiten?“, fragte sie nervös während ihr Magen heftig begann zu rebellieren bei diesem unpassenden Aufstrich auf dem Pfannkuchen, in den Lightning hinterher herzhaft, und ohne eine Miene zu verziehen, hinein biss.
 

„Nicht das ich wüsste.“, antwortete die Ältere belanglos und tunkte ihren Finger in das Mayo-Glas.
 

„Wirklich nicht? Bist du dir sicher?“, hakte Serah unsicher nach, sah abwechselnd zu ihr und zum Geschirr, doch Lightning konnte nur mit den Schultern zucken. „Warum fragst du? Hast du das Gefühl, etwas verpasst zu haben? Du weißt, dass ich ein sehr unspektakulärer Mensch und nie für Überraschungen gut bin.“
 

„Nein, Claire, das meine ich nicht...“
 

„Weißt du etwa Dinge über mich, die ich selbst noch nicht weiß?“
 

Serah überlegte scharf wo sie anfangen könnte und wie sie auf diese freche Frage antworten sollte. Aber es gab keine langen Überlegungen. „Verdammt, Claire, du hasst Mayonnaise!“, platzte es mit einmal tadelnd aus ihr heraus ohne auf ihrer vorige Frage einzugehen und sie knallte ihr Besteck aufgebracht auf den Frühstücksteller. Es war falsch. Es war einfach so falsch, wie sie ihre Pancakes misshandelte. „Warum vergewaltigst du meine Pancakes mit Mayonnaise?!“
 

Verständnislos und mit einer gewissen Empörung über, in ihren Augen unberechtigten Ausraster, blickte Lightning erst sie, dann ihren Pfannkuchen an. „Ich wollte nur mal etwas Neues ausprobieren. Ich kann den Zimt echt nicht mehr riechen.“
 

„Aber...“
 

„Du musst dich nicht rechtfertigen, Serah. Deine Pancakes sind so perfekt wie sie sind und bedürfen keinerlei Veränderungen.“ Den letzten Happen schob Lightning sich schnell in den Mund, trank rasch ihren Kaffee aus und eilte dann in den Flur um sich die Stiefel anzuziehen. Enttäuscht und gleichzeitig verwirrt blickte Serah ihr nach bevor sie den Kopf verständnislos schüttelte und mit einem Kribbeln in den Fingern begann, den Tisch abzuräumen. Vielleicht lag es an der Arbeit. Ja, die Arbeit stieg ihrer großen Schwester mal wieder zu Kopf. Es war mit Sicherheit absolut unbedenklich, dass sie süße Pfannkuchen mit unpassenden Beilagen und Aufstrichen verzehrte. Wahrscheinlich handelte es sich hier nur um eine besondere Phase in der sich Lightning momentan befand. Nicht zum ersten Mal manifestierten sich plötzliche Gewohnheiten, die Serah zum Schmunzeln brachten und weswegen sie ihre Schwester schon öfter zum Arzt schickte. Früher hatte Lightning das dringende Bedürfnis, sich immer drei Wecker zu stellen mit der Begründung, nie wieder verschlafen zu dürfen: Ein Wecker diente als Ersatz, falls der andere, aus was für Gründen auch immer, ausfallen sollte. Der andere Wecker alarmierte zu dem Zweck, falls Lightning im Schlaf einen der beiden vom Nachttisch fegte und den anderen einfach ausstellte bevor er klingelte. Serah konnte damals dieser Erklärung nicht ganz folgen und lachte geschlagene siebzehn Minuten lang. Sie fand solche Begeisterung an den Macken ihrer Schwester, dass es ihr manchmal zu unheimlich wurde und einen Arzttermin vereinbarte. Zumindest versuchte sie sich einzureden, dass auch diese komischen Essgewohnheiten jetzt nur eine ihrer Marotten waren. Denn was würde nur passieren, wenn ihre Schwester nicht in einer Phase steckte, sondern vielleicht ernsthaft krank war und Behandlung benötigte? Zumindest ihre Vorlieben beim Frühstück konnte man zurzeit nicht unbedingt als gesund betrachten. Und Serah war niemand, der zur Übertreibung neigte; sie machte sich nur sehr schnell Sorgen um Lightning.
 

„Ich bin dann erst einmal weg. Weiß noch nicht, wann ich wieder zurück bin. Bis später und keine illegalen Partys in meinem Wohnzimmer.“
 

Lightning erinnerte sich spontan an die alkoholisierten Typen, die nicht nur einmal in ihrer Badewanne eingeschlafen waren als sie von der Nachtschicht nach Hause kam und Serah spontan eine Party geschmissen hatte obwohl es ihr ausdrücklich verboten wurde. So eine Aktion wäre äußerst ungünstig, denn ihre Nerven waren durch die langen und häufigen Arbeitsstunden schon genügend strapaziert.
 

Serah streckte frech die Zunge heraus, drückte Lightning einen Schmatzer auf die Wange bevor diese das Haus mit großer Sporttasche, Waffenbehälter, Schlüsseln und einem liebevollen Lächeln verließ. Es gab nicht viele Morgen wie diese, so hell, rein und freundlich. Die Frühlingstage sangen ihre harmonischen Lieder durch den kompletten Kalender. Kein Regen, keine Kälte, nur Sonne und Licht. Und Lächeln.
 

„Sei vorsichtig!“, rief Serah ihr quirlig hinterher und betete innerlich für ihre Unversehrtheit. Es gäbe einfach nichts Schlimmeres, als ihr letztes Familienmitglied durch tragische Weise zu verlieren. Ihr verletzliches Herz würde so einen Verlust nicht ertragen, da war Serah sich sicher.
 

Lightning hob kurz verabschiedend die Hand bevor sie um die Ecke lief und verschwand. Jetzt machte sie sich erst Recht Sorgen. Lightnings Laune war an diesem Morgen trotz des kurzen Schlafs doch recht angenehm zu ertragen. Zu angenehm. Natürlich war sie aufgrund ihres Jobs konditioniert mit wenig Schlaf auszukommen und an verschiedene Schichtzeiten gewöhnt, doch zeigte sich ihre seelische Verfassung sonst eher für die Menschheit als unzumutbar, wenn nicht sie die Überstunden, sondern die Überstunden sie überwältigten.
 

Serahs Blickte glitt hinauf zum Himmel. Die Sonne stand jetzt fast oberhalb von Cocoon und zauberte die Utopie in eine regenbogenfarbene Glaskugel.
 

Claire, du verheimlichst mir etwas, oder?



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