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Schicksalsbilder

von

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Terminvereinbarung


 

Leo
 

Heute war ein mieser Tag. Es goß in Strömen wie um seinen Gemütszustand auszudrücken, jemand hatte ihm sein Handy geklaut und das schlimmste war, dass die Tanzschule kurz vorm Konkurs stand und ihn deshalb doch nicht einstellen konnte. Wo war das bloß her gekommen? In letzter Zeit war doch alles bisher so gut gelaufen!

Als er die Wohnungstür hinter sich ins Schloss schmetterte und nicht wie sonst fragte, wo seine Katzen waren, verkrochen diese sich in der hintersten Ecke des Sofas. Sie hatten ja keine Schuld. Aber wenn er in so einer Stimmung war, schnauzte er alles an, was sich ihm nährte. Im Bad zog er sich die plitschnasse Kleidung vom Leib und versuchte, sich unter der Dusche ein wenig zu entspannen. Nur mit einem Handtuch auf dem Kopf beschloss er, ein wenig Ordnung in seiner Wohnung zu schaffen. Meistens half es, die Gedanken zu sortieren, wenn man die Wohnung sortierte. Also machte er sich wie ein Wahnsinniger ans putzen.

Zuerst saugte er, dann wischte er, dann putzte er die Küche. Kurz, bevor er das Bücherregal ausräumte und neu einsortierte, fiel ihm ein, dass er noch Wäsche waschen konnte. Also stampfte er zu dem Wäschekübel und schmiss alles heraus und vor die Waschmaschine, was darinnen war. Dabei flatterte ein zerknitterter, ungleichmäßiger Schnipsel auf den Boden. Furios wollte er ihn erst zerreißen, doch dann war er neugierig und faltete ihn auseinander.

Eine Mailadresse, Telefonnummer und "Tanzmodell" standen darauf. Irgendwas sollte das ihm sagen, er setzte sich zwischen die schmutzige Wäsche und überlegte.

Ach so. Der junge Mann und dieses seltsame Tütü-Foto. Er legte es auf den niedrigen Schrank neben das Telefon. Dann stopfte er die Wäsche in die Maschine, öffnete eine Dose für Tinker und Peter und sah ihnen beim Fressen zu. Natürlich versuchte Peter, Tinker etwas zu klauen, weshalb er ihn auf den Arm nahm und trotz lauter Proteste anfing durchzukraulen. Als Tinker fertig gefressen hatte und Peter aufhörte zu maunzen, ließ er ihn wieder gehen.

Nachdem er die Wäsche in den Trockner gesteckt hatte, nahm er sich den Zettel noch einmal vor. Vielleicht kühlte sich sein Gemüt weiter ab, wenn er mit jemandem sprach. Er wählte also die Nummer, die auf dem Fetzen stand und wartete.

"Ja?", meldete sich die Stimme einer alten Dame.

"Ähm", meinte Leo und fragte sich, ob er wirklich richtig verbunden war, "ich rufe wegen des Fotos an, für das Sie einen Tänzer gesucht haben. Bin ich da bei Ihnen richtig?"

"Was?", fragte die Frau erstaunt, "Welches Foto? Nein, ich befürchte, da haben Sie sich verwählt, junger Mann."

"Dann entschuldigen Sie bitte die Störung", meinte Leo und legte auf. Na toll. Nichtmal das wollte heute klappen. Er ließ Telefon und Zettel sinken und starrte ins nichts. Dann fixierte er den Fetzen, als sei er Schuld an all dem Unglück, das ihm in letzter Zeit widerfahren war.

"Mach wenigstens etwas wieder gut, wenn du Schuld bist", grummelte er ihn an und wählte erneut die Nummer, wobei er diesmal acht gab, dass er die Zahlen richtig eingab. Er hatte wohl beim ersten Mal eine neun für eine acht gehalten, weil die Knicke unvorteilhaft und von Schweiß nachgezogen worden waren. Diesmal klingelte es mehrmals, bis jemand dran ging.

"Hallo, Sie sind mit Julien Starbrand verbunden." Eine Männerstimme, schon besser. Aber hieß der junge Mann nicht anders? Oh, richtig, er hatte den Zettel ja für einen Freund weiter gegeben.

"Guten Abend, hier ist Leo Scherbenwert", stellte Leo sich vor, "ich rufe an wegen des Fotos für das Sie einen Tänzer suchen. Da bin ich bei Ihnen doch richtig, oder?" Auf der anderen Seite unterdrückte jemand einen Freudenschrei.

"Ja!", bestätigte man ihm begeistert, "ja, da sind Sie hier richtig. Ähm, Sie kennen das Motiv, das ich fotographieren möchte?" Kam direkt zum Punkt und verstellte sich nicht. Das war schonmal kein schlechter Anfang. Zumindest würde Leo mit diesem Ju-wie-nochmal reden können.

"Sie wollen", rekapitulierte er, "jemanden, der sich nicht schämt, in ein Tütü zu schlüpfen."

"Stimmt", antwortete das Telefon, "ich plane, einige Ballettposen in einem Industriegebiet bei Nacht zu fotographieren. Für ein Uniprojekt, falls Ihnen das weiterhilft. Wenn Ihnen das zu viel Aufwand ist, können wir auch eine Entschädigung oder Belohnung verhandeln, je nachdem, wie Sie das sehen möchten." Wurde ja immer besser. So konnte er immerhin wieder zu ein wenig Geld kommen. Wahrscheinlich jedoch nicht viel.

"Da würde ich nicht nein sagen", meinte Leo, "wäre es außerdem möglich, die Bilder mir zukommen zu lassen?" Wenn schon mal ein Fotographiestudent von ihm Bilder machte, dann wollte er wenigstens das Ergebnis sehen. Und rumzeigen können, falls es sich sehen lassen konnte.

"Oh, ja, klar", kam von der anderen Seite. Anscheinend hatte man nicht erwartet, dass jemand Bilder von sich im Tütü haben wollen würde. "Wären 20 € in Ordnung? Pro Sitzung, denke ich. Beziehungsweise Stehung, oder wie Sie das nennen."

"Wie lange müsste ich denn Modell stehen?", wollte Leo wissen und lehnte sich in sein Lieblingssofa. Peter kam auf seinen Schoß gesprungen und fing an zu schnurren.

"Das kommt darauf an, wie zufrieden ich mit dem Ergebnis bin", gestand der junge Mann, "ich schätze, es sollte zwischen einer halben und zwei Stunden liegen." Zehn Euro pro Stunde also im schlimmsten Fall. Nun, das war zwar kein Spitzenhonorar aber besser als nichts.

"In Ordnung", stimmte Leo zu. Er begann, Peter zu kraulen. Wie immer, wenn sie Peter schnurren hörte, dauerte es nicht lange, bis Tinker sich ebenfalls auf seinen Schoß schwang und gekrault werden wollte. Mit dem Telefon in einer und Peter quasi in der anderen Hand war das etwas schwierig.

"Gut", sagte das Telefon, immer noch aufgeregt, "ähm, wissen Sie, wo das alte Industriegebiet ist? Übermorgen ist laut Wettervorhersage klar, würde Ihnen das passen, dann gegen 10 Uhr abends dort mich zu treffen?" Oweh. Wie sollte er sich denn nun Notizen machen? Er versuchte sanft, Tinker und Peter von seinem Schoß zu werfen. Natürlich mit mäßigem Erfolg und lautem Gemaunze.

"Sie haben Katzen?", kam überflüssiger Weise die Frage von der anderen Seite.

"Ja, zwei", antwortete Leo. Er suchte einen Zettel und einen Stift, während Tinker und Peter sich gegenseitig putzten, um sich zu trösten.

"Als ich kleiner war, hatten wir auch eine", erzählte der junge Mann, "sie wurde ganz fett und faul. Und unbelehrbar." Da war ein leichtes Lachen in der Stimme, aber auch irgendwie eine Traurigkeit. Wahrscheinlich war die Katze gestorben. Dennoch faszinierte es Leo, dass ein Mann so an einem Tier hängen konnte. Sicher, er mochte Tinker und Peter gerne, doch wenn sie starben, würde er wahrscheinlich nicht länger als zwei Wochen um sie trauern. Und sich dann neue zulegen. Oder so.

"Okay, ich habe nun etwas zu schreiben", teilte er seinem Gesprächpartner mit, "Können Sie noch einmal wiederholen, wo ich sein soll? Übermorgen, richtig?"

"Ja", kam die Stimme, "gegen dreiundzwanzig Uhr, am alten Industriegebiet." Leo schrieb es auf einen Zettel und versuchte ihn mit einer Hand an den Kalender neben dem Fernseher zu klemmen.

"Gut", meinte er, "sonst noch etwas?" Betretenes Schweigen von der anderen Seite. Dann:

"Können Sie ein Tütü mitbringen?" Leo musste ein lautes Lachen unterdrücken. Irgendwie amüsierte ihn dieser junge Mann, der ein Foto von einem anderen Mann in Tütü machen wollte, sich aber nicht traute, eins zu besorgen.

"Klar", antwortete Leo und hoffte, dass in seiner Stimme keine Spur mehr von seiner Erheiterung zu hören war, "das sollte kein Problem sein."

"Gut, vielen Dank", meinte der Student, "dann bis übermorgen."

"Bis übermorgen", verabschiedete Leo sich und legte auf. Dann wandte er sich Tinker und Peter zu. "Hört sofort auf, beleidigt zu sein!"
 

Julien

Noch immer stand er wie erstarrt mit dem Telefon in der Hand in seinem Zimmer. War das gerade wirklich passiert? Jemand hatte sich wirklich für sein Bild bereit erklärt? Dann rannte er aus seinem Zimmer und riss die Tür zu Stefans auf.

"Er hat angerufen!", schrie Julien und weckte damit Sabrine, die sich bereits ins Bett gekuschelt hatte. Seine Augen waren jedoch nur auf Stefan gerichtet, der von seinem Schreibtisch aufblickte.

"Kann nich sein", meinte Stefan irritiert, "haben wir nicht erst letztens festgestellt, dass der Weihnachtsmann nicht exisitert?" Julien lachte laut auf.

"Nicht der Weihnachtsmann, du Doofi", erklärte er, "Herr Scherbenwert, der Tanzlehrer! Wir haben abgemacht, dass wir ein paar erste Bilder übermorgen machen! Boah, Mann, ich bin so aufgeregt!" Er vollführte einen kleinen Freudentanz, der neben Stefans Stuhl endete. Stürmisch umarmte er seinen Mitbewohner und zottelte dessen Haare.

"Das hab ich einzig dir zu verdanken." Ein empörtes Schnauben kam aus dem Hintergrund und riss Julien aus seinem Siegestaumel.

"Ich hab ja wohl mindestens auch etwas dazu beigetragen", beschwerte sich Sabrine gereizt, "also wenn du mich schon um diese Uhrzeit wecken musst, dann danke mir gefälligst angemessen!" Julien grinzte breit, entließ Stefan aus seinen Armen und stürzte sich auf Sabrine. Sie versuchte quiekend auszuweichen, doch es war zu spät, Julien landete auf ihr.

"Danke, danke, danke!", sang er, während er Arme und Beine um sie schlang und versuchte, ihr lachend Küsse auf Wange und Stirn zu setzen. Frauen küssen stellte er sich zwar im Allgemeinen eklig vor, doch heute war das mal eine Ausnahme. Heute war nichts mehr eklig.

"Hey, hey", mischte sich Stefan ein, "das ist immer noch meine Freundin." Und er sprang zu ihnen ins Bett, sodass es in eine wilde Rauferei ausartete. Julien bekam nicht selten das ein oder andere Bein ins Gesicht oder Ellenbogen in den Magen, doch selbst das kühlte seine Stimmung nicht ab. Als Stefan quer über seinem Bauch lag, über diesem wiederum Sabrine, mussten alle drei keuchend lachen. Nun, bei Sabrine klang es eher wie der Versuch nicht zu ersticken, aber was kümmerte das Julien?


 


 



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