Zum Inhalt der Seite

Auf deinen Schwingen

(Krabat - Liederzyklus)
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Betteljunge

Prolog: Ein Betteljunge
 

„So, hier kannst du heute Nacht schlafen.“ Die Bäuerin trat zu Seite, um den völlig erschöpften Jungen rein zulassen. Ludwig war ihr mehr als dankbar. Es schneite und die Kälte war bis in jedem Knochen von ihm vorgedrungen. Aber nun im warmen Stall und in der Anwesenheit der gutmütigen Frau wurde ihm ganz wohl ums Herz. „Hier hast noch was. Es ist nicht viel sollte aber reichen um für jetzt gegen das Knurren deines Magens zu helfen.“ Mit voller Dankbarkeit nahm der Junge das große Stück Brot und den kleinen Krug, mit Milch entgegen. „Mögen es sie Gott verdanken“, nuschelte er noch und versuchte ihr ein Lächeln zu schenken, doch die eisige Kälte hatte noch immer seine Gesichtsmuskeln voll in Griff. Sie verstand es dennoch, warf ihm noch einen letzten mütterlichen Blick zu und schloss die Stalltür hinter sich. Obwohl nun Dunkelheit den Stall beherrschte, fand Ludwig schnell einen Platz im Stroh, wo er in aller Hast, welcher ihm sein Magen diktierte, den Kanten Brot verschlang und die Milch hinterherschüttete. Danach rollte er sich zusammen, um nach dem Hunger nun auch die Kälte aus seinem Leib zu vertreiben. Um es ein wenig wärmer zu haben, verkroch er sich immer tiefer ins Stroh und deckte sich mit seiner verschlissenen Jacke notdürftig zu. Das Schnauben der Nutztiere in den nähergelegenen Boxen, das Trippeln kleiner Mäuse- und Rattenpfoten über die hölzernen Bretter und das Knistern des Strohs, wenn er sich bewegte, begleitete ihn in den Traum, welcher seit Nächten zu seinem Begleiter geworden ist.
 

+*~ Er ging die Straße weiterhin Richtung Süden. Die kahlen Felder links und rechts von ihm waren stumme Zeugnisse der Gräueltaten, welche vor nicht allzu langer Zeit über das Land wie eine biblische Plage her gefallen war. Um sich in dieser tristen Umgebung ein wenig Mut zu machen, begann er ein Liedchen zu singen, welches er einst auf den Straßen des vom Krieg verwüstenden Landes aufgeschnappt hatte. Dabei summte er es eher als das es sang.
 

„Der Krieg ist kaum vergangen, noch verwüstet ist das Land.

Brot, Brot, Brot, gebt mir nur ein Stückchen Brot!

Die Felder liegen brach und mancher Hof ist abgebrannt.“
 

Die Felder lagen seit langen brach und eine weiße Decke aus abermillionen Schneeflocken hielt sie nun gefangen. Auch war er an unzähligen Bauernhöfen oder anderen Wirtschaftsgebäuden vorbei gekommen, welche Opfer der beutelüsternen Söldnerheere geworden waren. Sie alle sahen vielleicht nicht gleich aus, aber überall herrschte das gleiche Unglück und die gleiche Not. Schmerzlich wurde ihm dann sein eigenes Schicksal bewusst. Die Erinnerung an die kleine Wirtschaft seiner Familie kam dann mit voller Wucht zurück. Kummervoll dachte er dabei an seinem Vater, welcher hoffnungslos der kleinen Söldnerbande unterlegen gewesen war, als sie sein Gut ausrauben wollten. An den Augenblick, wo er zum letzten Mal lebend seine Mutter gesehen hatte, welche ins Haus getrieben wurde. Doch am deutlichsten trat dann sein Andenken an seinem Bruder auf, wie dieser ihn im Stroh versteckte, bevor sich diese Mörder und Räuber Zutritt zu ihrer Scheune verschafft hatten. Seine Leiche war die einzige, welche er nach dem allen nicht gefunden hatte. Die Eltern erschlagen, die Mägde und Knechte teilweise aufgeknüpft am alten Apfelbaum, teilweise verschleppt, die Gebäude verwüstet, das Vieh und all ihr kleines Vermögen gestohlen… Ihn hatte nichts mehr hier gehalten und auf sich allein gestellt hatte er sich der anderen Heerschar angeschlossen, welche das Land durchzog, zusammengestellt aus der stetig steigenden Anzahl an Kriegswaisen, Invaliden und Bettlern. Das lag nun auch schon ganze XX Jahre zurück. Bis hierher hatte er überlebt, doch seine Zukunft war mehr als ungewiss, zudem es wieder in den deutschen Landen zu brodeln begann.
 

„Die Herren dürfen schlemmen, ich muss um Almosen flehen.

Brot, Brot, Brot, gebt mir nur ein Stückchen Brot.

Ich bin ein Wenden-Junge und muss barfuß betteln gehen.“
 

Auf einen durch den Winter kahlen Baum am Straßenrand, saß ein pechschwarzer Rabe und krähte ihn Aufmerksamkeit heischend an. Es war ein stattliches Exemplar, doch er bemerkte sofort dass dem Tier ein Auge fehlte. Unheimlich und respekteinflößend sah ihn die milchige Leere an. Selbst wenn er es gewollt hätte, er konnte ein Schauern nicht unterdrücken. Der Rabe stieß noch einmal seinen unschönen Ruf aus und flog in den Nebel, welcher ihm entgegenschlich. Auf einen ihm völlig fremden Impuls hin begann er zu laufen und trat ohne mit der Wimper zu zucken in die dichte Nebelschwade ein. Eine kurze Weile rannte er einfach blind den Rufen des schwarzen Untieres nach ohne auch nur einen Moment lang über sein Vorhaben nachzudenken. Selbst das Lied war ihm wie mit einem Schlag aus dem Geist gewischt worden. Leicht keuchend erreichte er die andere Nebelgrenze und fand sich auf einer öden Kreuzung wieder. Der Rabe war verschwunden, als hätte ihn der Nebel verschluckt. Ein morscher Wegweiser hing mehr schief als gerade auf seinen Stützpfeiler und die Innschrift, wie auch das Wappen waren bis aufs Unkenntliche verwittert. Doch es war nicht dieser gottverlassene Ort, welcher ihm zu einer Gänsehaut verhalf. Es war das Gefährt, welches mitten in der Y-Gabelung stand, das ihm Angst einflößte. Ein Leiterwagen, so dunkel, als wäre er aus schwarzen Holz, gezogen von dunklen Pferden, vielleicht keine glänzenden Rappen, dennoch empfand er ihre Präsenz als einschüchternd, da sie das gesamt Bild auf schauerlichste Weise komplettierten. Der Kutscher hatte den Kragen seines Mantels tief ins Gesicht gezogen und die breite Krempe des Hutes, welche von einer roten Feder dominiert wurde, hing so tief, dass er nichts über die Identität des Mannes feststellen konnte. Sein Verstand war in Alarmbereitschaft gesetzt und obwohl es mit aller Gewalt ihn im Geiste anschrie, so schnell wie die Beine in die Hand zu nehmen, führten eben die Letztgenannten ihn auf geraden Wege zu dem Fremden, als dieser ihn mit einer Geste zu sich winkte. Es fühlte sich an wie Magie. Er wollte nicht und dennoch konnte er dem Drang zu dieser Gestalt zu gehen nicht widerstehen. Beinahe behutsam und vorsichtig verhalf ihn diese auf die leere Fläche des Wagens. Bevor er sich auch nur versah, rauschte seine unheimliche Erscheinung mit ihm in die Dunkelheit der Nacht. +*~
 

Ludwig wachte schweißgebadet auf. An seinem Geist zerrte und zog etwas fürchterlich. Zwar war ihm das Gefühl durch die Erlebnisse der letzten Nächte nicht fremd, doch so stark hatte er diesen Einfluss nie gespürt. Bevor er nur einen Gedanken ordnen konnte, flog die Türe auf und wie ferngesteuert, raffte er seine wenige Habe auf. Schneller als er sich versah, hatte er den warmen Ort verlassen und geräuschlos die Türe zum Stall hinter sich geschlossen. Die Kälte empfing ihn wie einen guten Bekannten und verjagte die mühsam gesammelte Wärme aus seinem Leib. Doch dies schien ihn nicht zu interessieren und als ob ihn jemand unermüdlich an einer unsichtbaren Schnur vom gütigen Hof, an dem er nur Stunden zuvor Unterschlupf gefunden hatte, wegzog, stampfte der Blonde unbeirrt auf die nächste Straße zu.
 

„Die Predigt von der Kanzel, sie stillt mir den Hunger nicht.

Brot, Brot, Brot, gebt mir nur ein Stückchen Brot.

Sie näht mir keinen Mantel und sie wärmt nicht mein Gesicht.“
 

Während seines unfreiwilligen Marsches gingen ihn die nächsten Zeilen des Liedes nicht aus dem Kopf. Schon seit einer Weile wehrte sich Ludwig nicht mehr gegen die Eingebung, welche ihn aus dem warmen Lager gezerrt hatte. Er hatte eingesehen dass es keinen Sinn machte und den Konflikt mit dieser unsichtbaren Kraft ruhen lassen.

Die Nacht war noch immer uneingeschränkte Herrscherin über das Land, als er den Platz seiner Träume erreichte und wie in diesem stand dort der Karren. Die dunklen Pferde schnaubten ungeduldig und scharrten nervös. Ungewöhnlich emotionslos, angesichts dieser Situation, ging Ludwig auf die Mitte der Gabelung zu, ohne dass der Fahrer ihn zu sich winken musste. Als er nun unmittelbar vor dem Kutschbock stand, reichte ihm der Vermummte die Hand und ohne auch nur einen Hauch von Zögern bestieg der Junge das Gefährt.
 

„Ich bin noch nicht erlöst und zieh nicht ein ins Paradies.

Brot, Brot, Brot, gebt mir nur ein Stückchen Brot.

Ich zieh nur übers Land, der Heimat fern, die ich verließ.“
 

Die letzten Phrasen erklangen noch ein letztes Mal in seinem Geiste, bevor sein Verstand und sein Ich in völliger Dunkelheit absanken.
 

„Ich zieh nur übers Land... der Heimat fern, die ich verließ…“Ÿ



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück