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Imagination

von

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Samstags und Donnerstags

Jeden siebten Samstag, wenn Großmutter des Nachmittags nicht zuhause ist und Vater und Mutter in der Schule sind, da bringt mich meine Mutter zur Tante. Tante ist eine ältere Schwester. Sogar eine klinische Schwester. Ihr Haus riecht nach Chlor und Bleiche. Sie lebt allein mit fünf Katzen. Meine Tante kocht und backt auch. Mit Vorliebe kocht sie für mich, die Reste bekommen die Katzen, Fleischklöße mit Kapern. Bis heute noch ist sie der Ansicht es sei mein Lieblingsgericht. Stolz berichtete sie immer davon, ich hätte immer brav alles aufgegessen. Dabei waren es die Katzen, die die Reste fraßen. Ich weiß selbst heute noch, dass ich es Steine mit grünen Poppeln nannte. Wie Steine lagen mir die Klöße im Magen und die Kapern waren so alt, dass sie fade schmeckten. Dennoch mochte ich die Samstage. Denn Tante hatte in ihrem Garten, wo schwarzer Mohn blühte, wie wildes Unkraut, ein Pool Haus stehen.

Das Pool Haus war alt und die Teerschicht auf dem Dach sah aus wie flüssiges Pech. Die Fließen im Inneren waren hellgrün mit einem dunkelgrünen Karo. Das Haus war sauber, das Pool Haus war es nie. Anstelle des Chlors roch es nach Myrrhe. Ein eigenartiger nebeliger Geruch, wie in der Hütte eines Schamanen. Immer wenn mich die Steine im Magen plagten und Tante die Katzen fütterte, durfte ich ins Pool Haus gehen. Dort, wenn ich vorher viermal vier Schritte vor und zurück trat und mich viermal in der Türschwelle drehte, saß ein Mann. Ein Mann in silberner Kutte. Gareth Twillight nannte ich ihn. Zwielichtig waren seine Augen. Dunkel und hell sein Gemüt. Er war nicht Alt und auch nicht Jung. Er war von allem etwas, so wie das Zwielicht. Sprechen tat er nie mit mir. Seine Worte waren seine Hände. Er hob die Hand zum Gruße. Ich wagte mich nie zurück zu grüßen.

Er sah wohl am meinem gequälten Gesichtsausdruck, dass ich Bauchweh hatte. Denn mit seiner rechten deutete er jedes Mal auf das Wasser im Pool. Ich wagte mich nie hinein zugehen. Das Wasser war nie sauber genug um darin zu schwimmen. Selbst wenn er ein zweites Mal auf das Wasser deutete und dieses sich in eine Quelle aus reinem Indigo verwandelte, traute ich mich nie hinein. Erst wenn sein Blick ganz düster wurde und seine Hand ein drittes Mal auf das Wasser deutete, sprang ich hinein. Denn das bedrohliche in seinem Blick gefiel mir nicht. Sobald mein kleiner Zeh auch nur das Wasser berührte, waren die Steine in meinem Magen verschwunden und der fade Geschmack in meinem Mund wie weggeblasen. Wenn sich meine Miene erhellte, so erhellte sich auch die Miene von Gareth. Mit unendlicher Geduld beobachtete er jeden meiner Schwimmzüge. Wohl auch mit jener Genugtuung alter Leute, die die Jugend zurecht wiesen und immer wussten was gut für einem war. Wenn ich mich gänzlich erfrischt und rein fühlte, setzte ich mich immer an den Rand des Pools. In den Schneidersitz, um die Oberfläche des Wassers nicht zu berühren.

Gareth prallte nämlich gern. Oft genug zeigte er mir im Spiegelbild des Wassers, das an den grünen Fliesen zu sehen war, von seinen großen Taten. Auch wenn es immer die Selbe war, so zeigte er mir nur diese Bilder, wenn er in einer großzügigen Laune war. Die Bilder jener großzügigen Laune zeigten ihn beim Schmieden einer silbernen Hand. Ich verstand nie so recht, was es damit auf sich hatte oder auch mit dem Mann, dem er diese silberne Hand anpflanzte, ließ es mir aber nie anmerken. Ich wagte es nicht. Wenn die Bilderflut sich wie die Gezeiten des Meeres wieder zurückzog und das Wasser wieder schal und dreckig war, dann wusste ich es ist Zeit zurück zu gehen.

Ins Haus zu meiner Tante und ihren fünf Katzen. Wo Klinik in der Luft lag, ein Handtuch auf mich wartete, sowie meine Mutter. „Wie kannst du nur in dem Dreck schwimmen.“ Sie schimpfte jedes Mal. Ich erzähle ihr nie von Gareth.
 

Sie würde mir nicht glauben. Ich erzählte ihr auch nie von Justine Raven. Ich wagte es mich nicht ihr von Justine zu erzählen. Justine, der gerechten Rabenfrau. Jeden Donnerstag, das war genau jeder Siebte, wenn Mutter von der Schule kam und schlechte Laune hatte, da nahm sie mich mit ins Sportcenter. Dort hinter den an Geräten turnenden und schwitzenden Männern stand Justine. Im langen Kleid aus schwarzen Federn. Spottend und neckend befühlte sie Arme und Beine. Ihr Federkleid war wie schwarze Seide. Ihr blondes Haar hatte einen Hauch von Zimt. Ihre Augen waren von bedrohlichem hellem Purpur. Sie wirkte elegant, wie eine feine Dame, die zu einer Abendrevue ausging. Doch ihr Lächeln war eisern und bitter. Ihre Augen richteten alles. So frech sie auch die Männer beurteilte wie Krieger für eine Schlacht, so war sie auch freundlich und fair. Wenn Mutter mich zum Radfahren auf dem blöden Fahrrad, das sich nie von der Stelle bewegte und mir der Schweiß ausbrach, dann kam sie herüber. Sie prüfte mich. Aber nur dann, wenn ich viermal Blinzelte und viermal Rückwarts in die Pedale trat. Wenn sich die nicht tragenden Räder viermal vier vorwärts und viermal vier rückwärts drehten.

Dann prüfte sie mich mit ihrem durchschauenden listigen Augen. Erhaben reckte sie ihr Kinn. Als wäre sie stolz. Ich fühlte mich jedes Mal erleichtert, als gut genug befunden wurden zu sein. Ich wagte nicht daran zu denken, was passieren würde, würde ich in ihren Augen nicht bestehen. Wie zur Belohnung zeigte mir auch Justine Bilder. In der nach Moschus riechenden Umkleide, wenn ich bereits fertig war und auf Mutter warten musste, die im Shop des Sportcenters noch Salbei Tinktur kaufte und ein Schwätzchen hielt. An der Wand, die blass gestrichen war und wo kein Licht jemals würde ausreichen um zu bestimmen ob die Wand blass gelb war oder dunkel weiß, dort zeigte mir Justine die großen Schlachten. Hoch ragte sie in der Schar von Krieger empor, stolz, schön und unheilverkündend. Vernichtend ihren Gegner gegenüber. Beschützend ihrem Freund. Sie schlug dem üblen Gegner den Kopf ab mit nur einem Schlag. Bösartige Kreaturen waren das von außerordentlicher Missgestalt. Solch Missgestalt mit mehreren Augen und Mündern.

Mit verformten Gliedern und bösartiger Natur. Auch sah ich den Mann mit silberner Hand, den Gareth mir schon oft gezeigt hatte. Hoch über allen schien er zu sein und ebenso so erbittert den Kreaturen gegenüber. Er schwang das Schwert, dass hell im Licht leuchtete und aus einem Metall gemacht war, dass ich nicht kannte. Gleich nach der glorreichen Schlacht, zeigte mir Justine Bilder von ihrem Freund. Einem unbeschreibaren Mann. Worte wurden dem Krieger und Gelehrten nicht gerecht. Kein Wort fiel mir jemals ein diesen Mann zu beschreiben, der einen ganzen Kessel leer aß, der sich immer wieder füllte. Ich wagte es aus Ehrfurcht nie, seine Gestalt in Worte zu fassen. Sobald ich sah, wie Justine diesen Mann umschwärmte und sich hübsch für ihn machte, konnte ich meine Mutter unten rufen hören. Aber ich ging nie sofort. Immer hatte ich Angst, dass Justine mich dafür strafen würde. Erst wenn die Wand wieder in ihrem undefinierbarem Farbton zu sehen war und der Geruch von Moschus wieder in der Luft lag, dann ging ich hinab.

In den Shop des Sportcenters. Meine Mutter schimpfte immer, sobald sie mich sah. „Was machst du denn schon wieder solange?“ Schimpfte sie immer und „Es ist auch immer dasselbe mit dir.“ Dann drehte sie sich jedes Mal noch einmal zu der Verkäuferin um, die nur ihr professionelles Lächeln aufsetzte. „Wo waren wir?“ Sie hielt dann noch ein weiteres Schwätzchen, bis sie noch ein Fitness Getränk bestellte, dass ich immer auf der Rückfahrt trinken musste. Es schmeckte widerlich nach Muskat und anderen Zutaten. Es war aber besser als das Salbei Getränk, dass meine Mutter auch Tinktur für die Seele nannte.

Jeden siebten Donnerstag hatte meine Mutter anschließend keine schlechte Laune mehr. Sie fuhr nur rasant die Straßen entlang zu unserem Haus, wo Vater im Wohnzimmer saß und das Fernsehgerät eingeschaltet hatte. Wenn ich die Treppe hinauf in mein Zimmer gehen durfte und mein Bett auf mich wartete. Frischbezogen und kuschelig. Wenn ich die Kerze in meinem Zimmer anzünden konnte, um das Sonntagspaar fern zu halten. Dann war der Donnerstag vorbei und meine Träume von Schlachten fingen an. Auf meinen Pferd sitzend ritt ich neben den Silberhandmann und Justine den Gegnern entgegen. Über meinen Kopf schwang ich eine Keule, so groß wie der Kopf des Enthaupteten Feindes. Mit lautem Gebrüll und großem Mut stellte ich mich jeder Gefahr. Frei flog ich auf meinem Pferd dahin. Meine Keule erschlug alle, die im Weg standen beiseite, wie der Wind das Laub im Herbst. Unangefochtene Königin der Schlacht. Triumphierend den Kesselschmaus genießend, nach einem ruhmreichen Sieg. In den Reihen von Helden sitzend, bis zum nächsten Morgengrauen und dem Ende meiner Träume. Sobald ich die Augen öffnete und die Kerze im Fenster niedergebrannt war. Die Sonne durch das Fenster schien und Mutter mich von unten aus der Küche rief. „Steh auf, du kommst sonst zu spät!“

Denn Freitags, da ging ich zur Großmutter. Jeden Freitag. Wirklich jeden Freitag. Dann musste ich aus dem Bett aufstehen.



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