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Die Gol D. Roger Universität

von

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Ankunft mit Überraschungen

Sie konnte es kaum glauben, hatte es noch nicht wirklich realisiert, doch hier war sie, stand am Bahnhof und mitten im Weg. Hier würde es beginnen, ein weiteres, großes Abenteuer ihres Lebens. Und die Insel, auf der sie mindestens die nächsten drei Jahre verbringen würde, wurde nurnoch von dem Bahnhof getrennt, in dem sie sich befand. Sie brannte schon darauf, die ganze Insel zu erkunden, herauszufinden, wo sich hier die Geschäfte befanden, wie der Campus aussehen würde, wie ihre Wohnung, die sie sich mit drei weiteren Personen teilen würde, aussah, wie die anderen Studenten waren, ob es hier einen Park gab und vieles mehr. Ihr schwirrten tausende von Sachen im Kopf herum, die sie noch machen wollte, bevor der Stress anfangen würde, ihre Gedanken überschlugen sich und sie hätten kein Ende gefunden, wenn Hiruko sie nicht aus ihrem Gedankenstrom entrissen hätte, indem er ihr seine Hand auf ihre Schulter legte und damit ihre Aufmerksamkeit bekam.
 

Sie wandte ihren Kopf zu ihm, schaute ihn zuerst verwirrt, dann aufmerksam und fordernd an:

„Was ist?“

„Wir sollten uns irgendwo eine Karte der Insel besorgen, wir werden unsere Wohnungen alleine nicht finden können.“

„Ja, da hast du wohl recht. Vielleicht ist hier irgendwo ja eine Informationsstelle, wo man eine herbekommt.“

Der Braunhaarige richtete sich ein wenig auf, reckte seinen Kopf, um über die Anderen hinwegsehen zu können und ihren gesuchten Ort suchen zu können. Sie tat es ihm nach, sah in die andere Richtung und betrachtete alles mit ihren grauen Augen, nebenbei durchkämmte sie die Massen an Studenten, um vielleicht einen der Gruppe vom Schiff ausfindig machen zu können. Doch sie hatte keinen Erfolg, sie sah keinen von ihnen, und auch eine Informationsstelle war nicht in Sicht. Die Grauäugige sprach aus dem Mundwinkeln zu Hiruko, ihren Blick weiter durch die Menge schweifend:

„Vielleicht sollten wir uns aufteilen und alleine weitersuchen. Wir treffen uns in fünf Minuten wieder hier, wenn einer von uns an Karten gelangen kann, dann bringt er zwei mit, okay?“

Er nickte zustimmend, der Plan war simpel, und doch effektiv.
 

Er setzte sich in Bewegung und schon bald war er in der Masse verschwunden, so auch Noriko. Es war etwas anstrengend, sich durch das Getümmel zu bahnen und gleichzeitig nach etwas Ausschau zu halten, sie wurde oft angerempelt oder musste mich durch kleine Grüppchen hindurchzwängen. Sie hatte einmal den Eisbären gesehen und hatte einen großen Bogen um ihn gemacht, wenn der sie sah und ihr das Starren von vorhin übel nahm, dann war sie erledigt. Immerhin war er trotzdem noch ein gefährliches Raubtier, egal, wie süß er auf den ersten Blick erschien und sie wusste nicht, was für ein Gemüt dieses Tier hatte. Sie war ratlos, bisher hatte sie ein, zwei Imbiss -buden, ein Zeitungsstand und einen Souvenir-Laden entdeckt, aber man hatte dort keine Karten der Insel finden können. Sie hatte die fünf Minuten schon überzogen, als sie etwas entmutigt aus dem Souvenir-Laden schritt und obendrein stieß noch mit jemanden zusammen, und zwar so, dass sie beim Versuch, ihr Gleichgewicht wiederzuerlangen über ihre eigenen Beine stolperte und sie mit einem leisen, überraschten Ausruf auf dem kalten, grauen Boden landete. Etwas griesgrämig schaute sie auf, wollte sich schon beschweren, doch die vermeintliche Person war weitergegangen, ohne sie zu beachten. Noriko wusste nicht mal, wen sie angerempelt hatte, doch war ihr das jetzt egal, Hiruko würde sich sowieso schon aufregen, wenn sie später als vereinbart auftauchte, sie musste nicht die Zeit, die sie schon überzogen hatte, unnötig verlängern, also machte sie sich daran, an den vereinbarten Ort zu kommen. Dabei stieß sie einige Personen mehr oder weniger freundlich zur Seite, sie hatte diesmal keine Lust, sich durchzuschlängeln. Sie hoffte, dass der Bahnhof nur heute so voll sein würde, weil heute alle neuen Studenten angekommen waren. Sie hatte nämlich keine Lust, sich immer durch so ein Getümmel schlagen zu müssen, wenn sie mit einem Seezug eine andere Insel besuchen wollte.
 

Endlich hatte sie sich ihren Weg durch die Masse gekämpft, und war wieder bei Hiruko angekommen, der sie schon ungeduldig und etwas verärgert anschaute. Er murrte sie unfreundlich und schnippisch an:

„Dann schlägst du eine Zeit vor, und kannst dich nicht dran halten. Ich habe schon gewartet.“

Sie war so etwas von ihm gewohnt. Es hatte sie am Anfang extrem genervt, wenn er sich über ihre Unpünktlichkeit aufgeregt hatte, selbst, wenn es nur zwei, drei Minuten gewesen waren und deshalb hatten sie schon das ein oder andere hitzige Wortgefecht gehabt, doch mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt, obwohl sie dadurch nicht pünktlicher geworden war. Sie ignorierte seinen genervten und unfreundlichen Tonfall und fragte stattdessen:

„Hast du Karten gefunden? Ich hab keine gefunden.“

Immernoch etwas genervt von ihrer Unpünktlichkeit antwortete er:

„Ja, warte mal.“

Er nahm seinen schwarzen Rucksack von seiner Schulter und wühlte darin herum. Er hatte fast seinen ganzen Arm darin versenkt und sie wunderte sich, wieso er die Karten so tief in den Rucksack getan hatte. Wenige Sekunden später hatte er die Objekte seiner Begierde gefunden, er hörte auf, herumzuwühlen und zog den Arm heraus. Schon fast triumphierend hielt er zwei gefaltete, bedruckte Papierbögen in der Hand. Einen davon gab er ihr, den anderen entfaltete er. Noriko steckte ihre Karte weg, und stellte sich neben Hiruko, um mit in seine Karte zu schauen.
 

Die Insel war groß, und dicht besiedelt. In der Mitte der Insel war das riesige Uni-Gebäude, darum der Campus, der anscheinend auch den einzigen Park auf der Insel darstellte, gar nicht weit vom Campus entfernt war auch ein Lernzentrum, eine Bibliothek und sowas wie eine Sporthalle, ein Fitness-Studio oder eine Art Kampfsportanlage, so ganz sicher waren sich beide nicht. Am südlichen Rand der Insel war der Bahnhof, dort befanden sie sich. Im Osten war auch ein Krankenhaus, eine kleine Werft und ein, zwei Fabriken. Im Westen war ein Gewächshaus, sowie ein paar Restaurants, und ein kleines Theater. Die ganze Insel war ansonsten von Häusern umgeben, die geordnet und nach einem System aufgebaut worden waren. Die Karten unterteilte verschiedene Wohnbezirke in Sektoren, ob diese Sektoren von den Bewohnern abhängig waren, also, ob in einem Sektor eher die Reichen und in einem anderen eher die Armen wohnten, wusste Noriko nicht, aber sie konnte es sich gut vorstellen. So hart es nunmal war, aber das Sprichwort „Geld regiert die Welt“ hatte etwas Wahres an sich, egal, ob die Blauhaarige diese Meinung vertrat oder nicht. Sie fand diese Insel immer eindrucksvoller, und war jetzt schon von der Universität und der dazugehörigen Anlage begeistert, obwohl sie bisher nur die Blöcke und Kreise der Karte gesehen hatte, die die Gebäude symbolisieren sollten.
 

Sie schaute sich die Unterteilungsnamen genauer an. Das System der Unterteilung sagte ihr etwas, und sie überlegte, weshalb ihr die Unterteilung irgendwie bekannt vorkam. Nach kurzer Denkzeit hatte sie die Lösung. Sie fing an, in ihrer Tasche herumzukramen, bis sie zwei Schlüssel an einem Bund mit Schildchen aus den Tiefen ihrer Tasche zog. Auf dem Schildchen war „Bezirk E: Block 14, Hausnummer 16, Stockwerk 2, Haustüre b. Als ihr der Schlüssel mit ein paar anderen Sachen, wie Zugticket, Schiffskarte, Zeitplan der verschiedenen Vorlesungen, die sie besuchen konnte bzw. musste und ein paar anderen Sachen geschickt worden war, war sie etwas verwirrt gewesen. Sie wusste, dass ihr der Studienplatz hier gleichzeitig eine Wohnung versprach, doch mit der Beschriftung hatte sie nichts anfangen können. Nun ergab es Sinn. Die Karte war eindeutig in neun große Teile eingeteilt worden, von A bis nach I. Diese Bezirke waren in Blocks unterteilt, jeder Block hatte unterschiedlich viele, doch auch die Blocks waren mit Buchstaben versehen worden. Auch ihr Freund hatte die Unterteilung verstanden und wollte jetzt natürlich wissen, wo er hier wohnen würde. Auch Noriko suchte auf der Karte nach ihrem Haus, und fand es nach kurzer Suche. Ihr Haus lag nordwestlich, eher mittig zwischen Meeresküste und Campus. Anscheinend hatte auch Hiruko sein Haus gefunden, sein Gesichtsausdruck hatte sich von konzentriert auf entspannt umgestellt, seine Augen fixierten einen Punkt auf der Karte. Natürlich wollte die frische Studentin wissen, wie weit sie von ihrem Freund entfernt wohnte. Erwartungsvoll lächelte sie ihn an und fragte:

„Und? Wo wohnst du?“

„Hier.“

Er zeigte auf einen Punkt der Karte. Noriko folgte seinem Finger und las die Koordinaten ab:

„Bezirk F: Block A, du bist etwas weiter entfernt von mir, du liegst südwestlich, etwas weiter weg von mir. Schade eigentlich, dann sehen wir uns vielleicht nicht so oft, aber die Strecke ist überwindbar, denke ich.“

Sie war etwas enttäuscht. Sie hatte zwar schon befürchtet, dass Hiruko nicht in ihrer Nähe wohnen würde, aber sie hatte noch Hoffnungen gehabt. Der Braunhaarige schaute sie abwartend an:

„Und? Wo wohnst du?“

„Bezirk E, Block C.“

Er suchte wieder kurz nach dem Standort, bevor er etwas enttäuscht antwortete:

„Du hast Recht, unsere Häuser liegen wirklich nicht so nah aneinander, aber immerhin sind wir beide auf der Westseite.“

Das war ein kleiner Trost für die Blauhaarige, dass sie nicht am anderen Ende der Insel wohnen würde. Außerdem hatte sie ihre Baby-Teleschnecke, mit der sie ihn normalerweise problemlos erreichen konnte.
 

Nachdem sich beide ihre Route, die sie gehen mussten, eingeprägt hatten, packte der Braunhaarige die Karte wieder weg. Etwas unschlüssig standen sie nun da, wusste nicht so genau, was sie nun tun sollten. Die Menschenmenge am Bahnhof löste sich langsam auf, viele strömten zu den Ausgängen, der Lärm nahm zunehmend ab. Man konnte sich immer besser orientieren, sah mehr als nur Menschen, die sich entweder in kleine Grüppchen aufgeteilt hatten oder einzelne Personen, die alleine nach Orientierung suchten und sich teilweise im Weg standen. Die Blauhaarige suchte erneut mit ihren Augen die übrig gebliebenen Personen ab, wollte die Anderen nochmal sehen, mehr über sie erfahren, doch sie sah sie nicht, sie waren anscheinend schon gegangen. Darüber war sie mehr als enttäuscht, sie würde wohl auf einen Zufall warten müssen, der sie wieder zu der lustigen und etwas chaotischen Gruppe führen würde. Doch sie wollte auch nicht ihre ganze Zeit damit verbringen, nach ihnen zu suchen, sie wollte die Insel erkundigen, ihre Geheimnisse lüften, die anderen Studenten, die hier schon ihre ersten Semester hinter sich hatten, sehen und kennenlernen.
 

Sie wandte ihre grauen Augen wieder auf den Mann neben ihr, bevor sie ihn fragte:

„Also, gehen wir die Insel erkunden?“

Er schaute sie nur aus den Augenwinkeln an, bevor seine Hände hinter dem Kopf verschränkte, gähnte und gelangweilt antwortete:

„Nein, das kannst du gerne machen, aber ich bin müde, ich werd mir erstmal meine neue WG anschauen, meine neuen Mitbewohner kennenlernen. Vielleicht teile ich mir ja die Wohnung mit einer hübschen Frau.“

Bei dem letzten Satz hatte er mit einem leichten Rotschimmer verträumt in die Ferne geschaut. Noriko wurde etwas wütend, er bevorzugte eine unbekannte, vielleicht nicht existente Mitbewohnerin ihr gegenüber, und erwähnte das auch noch, ohne sich bewusst zu sein, dass er hier gerade mit einer Frau sprach. Eigentlich war es ihr egal, dass er für hübsche Frauen schwärmte, außerdem war es ja nicht der einzige Grund, er war von grundauf träge und faul, doch für sie war es eine Sache der Höflichkeit, weshalb sie ihn wütend anblaffte:

„Ich steh neben dir und kann dich hören.“

Während sie das sagte, schlug sie ihm mit der flachen Hand auf den Hinterkopf, nicht, um ihn zu verletzen, sondern um ihn zu ermahnen und ihre vielleicht etwas übertriebene Wut zu betonen. Er hielt sich den Kopf klagend den Kopf und nörgelte sie an:

„Ach komm, lass mich doch.“

„Selbst, wenn du eine hübsche Mitbewohnerin haben wirst, denke ich nicht, dass deine Chancen groß bei ihr sind.“

Niedergeschlagen ließ er die Schultern hängen, schaute etwas verletzt auf den Boden und murmelte:

„Ich war doch nur am Schwärmen, warum musstest du mir das kaputt machen?“

Sie antwortete nicht auf die Frage, sie kannte ihn eigentlich schon lange genug, um zu wissen, dass er sich gleich wieder einkriegen würde, solche Sätze schadeten seinem Ego nur minimal und für höchstens ein paar Minuten, außerdem war er auch manchmal so zu ihr, obwohl er sie nicht schlug, um seine Wut besser auszudrücken, dafür war er, wie sie vermutete, viel zu faul.
 

Sie setzte sich in Bewegung, er sah auf und lief ihr hinterher, in wenigen Sekunden hatte er sie eingeholt und verlangsamte seine Schritte. Er steckte seine Hände in die Taschen seiner schwarzen Hose und fragte dabei nebenbei:

„Was machst du jetzt? Erkundest du die Insel auf eigene Faust oder schaust du auch erstmal in deine neue Wohnung?“

Darüber war sie noch am überlegen, sollte sie die Insel alleine durchforsten, oder doch lieber auf den nächsten Tag warten? Das Semester fing offiziell erst in zwei Tagen an, also hatten sie und Hiruko noch genug Zeit, um alles genauer unter die Lupe zu nehmen. Doch wie sie ihn kannte, war er auch morgen noch zu faul dafür. Er war nicht so, wie die Meisten, er war nicht neugierig, er brauchte nicht alles über Andere zu wissen, egal ob gut oder schlecht, das interessierte ihn einfach nicht. Das war in den meisten Fällen mehr als angenehm und für diese Eigenschaften war er auch ihr bester Freund, doch manchmal hätte sie nichts gegen ein bisschen Neugier seinerseits einwenden können.
 

Der Braunhaarige sah sie abwartend an, er erwartete eine Antwort auf seine Frage, das realisierte Noriko auch sehr schnell, doch konnte sie ihm noch keine genaue geben, sie war sich selbst noch im Unklarem. Sie kratzte sich mit der Hand an ihrem blauen Hinterkopf, lächelte hilflos und gestand:

„Das weiß ich selbst noch nicht genau. Aber ich begleite dich zuerst zu deiner WG, dann schau ich weiter.“

Der Braunhaarige schüttelte nur den Kopf, aus seiner Sicht war es eine einfache Entscheidung, er konnte einfach nicht verstehen, warum sie bei ihren teils simplen Entscheidungen manchmal so lange brauchte. In solchen Fällen wollte er immer wissen, was sie sich dabei immer dachte, was sie in ihre Entscheidungen mit einbezog und wie sie die Vor- und Nachteile abwägte. Bei ihm war seine Taktik fast immer die Gleiche:

Immer den einfachen, kraftsparenden Weg nehmen, der ihn an sein Ziel bringen würde.

Die Blauhaarige hatte immer eine andere Taktik, mal entschied sie sich für den kompliziertesten, mal für den einfachsten Weg, er konnte sie bei sowas einfach nie einschätzen. Aber das machte ihm nichts, wenn er nicht wollte, dann bezog sie ihn nicht in ihre Pläne mit ein.
 

Sie verließen den Bahnhof und schauten sich zuallererst die neue Umgebung an. Sie staunten nicht schlecht, denn vor ihnen bot sich ein gewaltiger, vielfältiger Anblick. Die Straßen waren aus Pflastersteinen, an den Straßenseiten waren Bürgersteige und Bäume, manchmal führte ein kleiner, kurzer, schmaler Weg durch einen winzig kleinen Vorgarten, der zu in die Höhe gewachsenen Häuser gehörte. Man sah sofort, dass in allen Häusern, ob groß, ob klein, mit oder ohne Vorgarten, mehrere Leute wohnten, einige wahrscheinlich in WGs. Alle Häsuer waren verschieden, ob in der Farbe, im Bau oder anderen Kriterien und doch harmonierte alles perfekt, alles wirkte einheitlich, geordnet und doch wirkte alles gleichzeitig zusammengewürfelt. Die Straßen hatten viele Abzweigungen, Kreuzungen und Straßenschilder. Hier und da liefen junge Männer und Frauen herum, einige mit Taschen und einer Karte in der Hand, sie waren wahrscheinlich, so wie die Beiden selbst, neue Studenten und suchten nach ihren neuen Wohnorten, andere Leute liefen ohne Rucksack in verschieden großen Grüppchen umher, unterhielten sich, manche brachen in schallendes Gelächter aus, andere schienen ein hitziges Gespräch zu führen. Doch was sie verwunderte, das waren ein paar ältere Menschen, die zusammen mit teils großen, teils kleinen Kindern durch die Straßen gingen, hier lebten doch nur, wie sie bisher nur gehört hatte, die Studenten. Klar, einige Leute fingen erst spät mit dem Studium an, aber Noriko war sich sicher, dass kleine Kinder das nicht taten. Doch so sehr sie die Frage in einer normalen, gewohnten Situation beschäftigt hätte, so war sie doch immernoch überwältigt von der Ansicht dieser Insel und der Stadt, obwohl sie wahrscheinlich nicht mal ein Viertel gesehen hatte.
 

Beide setzten sich langsam in Bewegung, versuchten mit ihren Augen jedes Detail aufzunehmen, wollten etwas finden, über das sie noch mehr staunen konnten. Sie gingen sehr langsam, sie hatten es nicht eilig, nicht, wenn sie durch solch faszinierenden Straßen gingen. Der Anblick der Straßen hatte Noriko ihre Frage darüber, ob sie zuerst in die Wohnung gehen sollte oder doch lieber die Stadt erkunden wollte, vergessen lassen, sie wollte unbedingt mehr sehen, wollte noch mehr finden, dass sie ins Staunen versetzen würde. Auch Hiruko war nun etwas in Versuchung, seine Feundin zu begleiten, doch letztendlich blieb er bei seiner Entscheidung, er hatte genug Zeit, um sich alles hier anzusehen, er musste sich mit nichts beeilen. Sie bogen in ein paar Straßen ein, bis sie an ein Straßenschild mit der Aufschrift: „Block A: Nummer 35-70“ sahen. Noriko wusste die Hausnummer ihres Freundes nicht, der Finger, der die Position seines neuen Wohnortes auf der Karte angezeigt hatte, war verhältnismäßig zu dick gewesen, als dass sie die genaue Nummer hätte erahnen können. Sie ging an dem Schild vorbei und war drauf und dran, die Straße zu übergehen, sie zu ignorieren. Doch Hiruko blieb stehen, packte sie noch rechtzeitig am Oberarm und machte sie darauf aufmerksam, dass sie in die falsche Richtung gehen würde und sie hier, um zu seinem Haus zu kommen, hier einbiegen müsste. Etwas verwundert drehte sie sich wieder zurück, sah, dass ihr Freund mit seinem Daumen in die Straße zeigte und verstand sofort, dass sie darein gehen müssten.
 

Etwas neugierig sah sie sich jedes Haus an, sie wollte unbedingt wissen, in was für einem Bereich Hiruko leben würde. Dieser Abschnitt war eher, im Vergleich zu dem, was sie am Anfang gesehen hatten, etwas monoton. Die Häuser hatten alle ein flaches Dach und waren alle nah aneinander gereiht, die Wände waren grau oder weiß, doch auch hier waren Baustile immer verschieden, einige Häuser waren großer als andere, manche hatten Kletterpflanzen an den Hauswänden, das spektakulärste war jedoch ein Haus, dessen ganze Wand mit Graffiti besprüht worden war. Ein großes Bild mit vielen kleinen Motiven, die alle gänzlich verschieden waren und nichts miteinander zu tun hatten, aber dennoch in einem Bild nebeneinander, übereinander und voreinander gemalt oder gesprüht worden waren. Vor diesem Haus blieben sie stehen, wenn man die Stockwerke an den Fenstern abzählen konnte, dann waren es vier Stockwerke. Die Haustür bestand aus einer Glastür, die einen Mittelstreifen aus trüben Glas besaß und grade noch so einen Einblick in ein weißes Treppenhaus zuließ. Wie viel hätte Noriko gegeben, dass sie oder zumindest Hiruko in diesem Haus leben durfte, aber nach einer kurzen Betrachtungszeit wurde ihr klar, dass der Braunhaarige nicht hier einziehen würde. Sehr schade.
 

Bei der Hausnummer 63 machten sie Halt, der Braunhaarige nahm die Hände aus den Taschen, wühlte wieder kurz im Rucksack herum und zog einen Schlüsselbund mit zwei Schlüsseln und einem beschrifteten Schildchen hervor. Dieser sah Norikos Schlüsseln sehr ähnlich, aber man sah trotzdem auf dem ersten Blick, dass es nicht ihrer war. Der junge Mann drehte seinen Kopf zu der Blauhaarigen und äußerte:

„Hier sind wir also. Ich denke mal, dass wir uns jetzt trennen werden.“

„Ja, scheint so. Na dann, hab noch einen schönen Tag, und fall mir weder eine Treppe rauf, noch runter.“

„Werd's versuchen.“

Sie hoben ihre Hände und gaben sich beide grinsend einen High-Five zum Abschied, bevor Noriko sich auf der Stelle umdrehte und wegging, nach zehn Metern drehte sie sich im Gehen nochmal um und sah Hiruko, der gerade die Tür aufgeschlossen hatte. Er bemerkte ihren Blick und winkte nochmal lässig, sie tat das ebenfalls. Dann war er im Haus verschwunden. Jetzt war sie allein.
 

Ohne ihren Freund mit den dunkelbraunen, kurzen Haaren war alles zwar noch spannend und aufregend gewesen, hatte jedoch irgendwie ein bestimmtes Gefühl verloren, dass sie nun vermisste. Sie war durch die verschiedenen Straßen gelaufen, hatte sich kurz mit ein paar Leuten unterhalten, sich ein paar Orte wie Cafés, Bars, eine Straße, die nur aus Kleiderläden, Drogeriemärkten, Schreibwarengeschäften und einer Bank bestand, eine Straße, in der man wunderbar Lebensmittel einkaufen konnte und vieles mehr auf ihrer Karte markiert. Doch nun taten ihr die Beine weh, ihre Hängetasche wurde immer schwerer und sie beschloss, sich auf den Weg zu ihrer neuen Wohnung zu machen.
 

Sie war etwas müde und unachtsam geworden, so dass sie versehentlich in eine Person lief. Diese war aber so standhaft gewesen, dass sie zurückgefallen und auf dem Boden gelandet war. Etwas irritiert starrte sie auf die schwarzen Schuhe vor ihr. Dann, langsam blickte sie weiter hoch, sie sah eine blaue Jeans, einen schwarzen Gürtel, ein weißes T-shirt, ein schwarzes, offenes Hemd mit Kragen und ein ein unerfreutes Gesicht eines groß gewachsenen Mannes, der sie böse anfunkelte. Augenblicklich bekam sie es mit der Angst zutun, so wie er sie anstarrte, würde sie mit einem einfachen „Entschuldigung“ nicht davon kommen lassen, das war klar. Sie verstand es allerdings nicht, es war ja nicht so, als hätte sie ihm ins Gesicht getreten, sie war nur gegen ihn gelaufen, sie hatte nichts Schlimmes gemacht. Warum schaute er sie dann so vernichtend an. Sie rappelte sich mühselig auf, ihr Gegenüber nicht aus den Augen lassend. Seine verschränkten Arme, die komischen Blicke seiner Freunde, die sich hinter ihm befanden, und generell seine ganze Körperhaltung ließen nur eins ahnen: Ärger!
 

Dabei wollte sie keinen Ärger an ihrem ersten Tag haben, das brauchte sie nicht und wenn sie sich den Kerl, der mindestens einen Kopf größer war als sie, genauer anschaute, dann wurde ihr auch bewusst, warum. Wenn er eine aggressive Persönlichkeit besaß, wovon sie stark ausging, da sich an seiner Stirn schon eine Wutader gebildet hatte, dann würde das hässlich enden, für sie. Sie hätte schwören können, dass seine blonden, etwas längeren Haare so aussahen, als würden sie sich mit seiner Wut sträuben. Sie verneigte sich kurz vor ihm und stotterte hastig ein „Entschuldigung“. Diese Person ließ sich dadurch aber nicht besänftigen, hätte sie eigentlich wissen müssen, so schnell wie der sauer geworden war. Sie wollte sich grade umdrehen und weggehen, als er sie am Unterarm festhielt und sie wieder zu ihr drehte. Er knurrte in einem bedrohlichen Ton:

„Du bist eine Neue, stimmt's? Na dann sag ich dir eins, so respektlos geht man mit den Älteren nicht um, hast du verstanden?“

Das würde ja sowas von schlecht für sie enden, das wusste sie ja jetzt schon. Sie starrte ihn aus ängstlichen Augen an, wollte nurnoch weg, dem, was gleich auf sie zukommen würde, entfliehen. In diesem Moment wünschte sie sich, dass sie, wie Hiruko, zuerst ihre Wohnung aufgesucht hätte, dann wäre sie nicht in so eine Situation geraten. Der Mann bellte sie an:

„Antworte!“

Sie nickte bloß, sie spürte, wie die um sie herum sie musterten, dem Schauspiel zusahen und schon auf das Ende gespannt waren. Sie konnte es irgendwie nicht fassen, dass keiner eingriff, aber genauso wenig verstand sie, wie jemand in seinem Alter noch so schnell ausrasten konnte. Er war erwachsen und an einer Uni, und nicht in irgendeiner Schule, wo sich jeder gegenseitig anpöbelte und auf den Rest losging.

„Weißt du, du hast ziemliches Pech, ich bin grad ziemlich gereizt und deine Unhöflichkeit macht das ganze auch nicht besser. Vielleicht sollte ich dir mal zeigen, was es bedeutet, den Größeren hier in die Quere zu kommen.“

Sie war in ihn hineingelaufen und hatte nicht seine Bude abgefackelt. Sie verstand es beim besten Willen nicht, nur weil er ein bisschen schlechte Laune hatte, sollte sie jetzt als Boxsack herhalten? Ihre Angst und der Funken Wut sorgten dafür, dass sie anfing, sich gegen den Griff des Studenten zu wehren. Sie versuchte, sich aus dem Griff freizuzappeln, aber das Gehampel machte ihr Gegenüber anscheinend nur noch wütender, weil der Griff sich augenblicklich verstärkte und ein brennender Schmerz durch ihren Unterarm floss. Wenn er so weiter machte, dann würde er ihr mit großer Wahrscheinlichkeit den Unterarm brechen.
 

Gerade, als sie schon nachgeben wollte, damit er ihr nicht den Schreibarm ruinieren würde, durchschnitt eine junge, männliche Stimme die Luft:

„Hey, lass das Mädchen los!“

Sie horchte auf, hielt inne und erstarrte, wer auch immer das war, er rettete ihr grade ihre vier Buchstaben. Sie versuchte, hinter sich zu schauen, doch ihre momentane Haltung ließ das nicht zu und sie wagte es nicht, sich zu bewegen, wenn der Mann vor ihr sie noch immer festhielt. Also konnte sie sich nur auf die Stimme des Mannes konzentrieren, der ihr helfen wollte. Sie japste sie vor Schmerzen auf, als ihr Peiniger den Griff provokativ schloss. Er schaute erzürnt über sie hinweg, wahrscheinlich auf den Unbekannten und keifte wütend:

„Und wer bist du?“

Dann knurrte er noch was zu sich selbst, das wie „heute läuft mir auch nur Scheiße über den Weg“ klang.
 

Plötzlich hörte Noriko ein selbstbewusstes Lachen hinter sich, und sie stellte anhand der Stimme fest, dass es wieder ihr noch unbekannter Retter war. Die nächsten Worte von dem Unbekannten, die dieser mit einer Lässigkeit aussprach, die nicht zur Situation passte, ließen die Blauhaarige verwundert nach Luft schnappen:

„Willst du dich wirklich mit mir anlegen?“

Zwei Optionen, er hatte einen Ruf, der von Kämpfen mit ihm abrieten oder es war einfach nur irgendwer, der sich mit dem Kerl vor ihr prügeln wollte, sie hoffte auf Ersteres. Anscheinend war dies auch der Fall, denn ihr Gegenüber ließ ihr Handgelenk plötzlich los und ging ein paar Schritte zurück, sein Gesichtsausdruck war von „wütend“ auf „panisch“ gewechselt, anscheinend hatte er ihren Retter letztendlich erkannt. Als er ihr Handgelenk losließ, stolperte sie zuerst ein paar Schritte zurück, ruderte etwas mit den Armen, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden und kam letztendlich zum Stehen.
 

Der Mann, der sie bis eben noch festgehalten hatte, schenkte ihr noch einen hasserfüllten Blick, bevor er und seine Freunde schnell die Biege machten. Noriko drehte sich sofort zu ihrem Retter um, sie wollte wissen, wer dort stand, wie er aussah, wer er überhaupt war und wie er es geschafft hatte, ihren Peiniger zu verjagen. Sie sah einen jungen Mann, ungefähr in ihrem Alter, sein Gesicht war von Sommersprossen geprägt, seine längeren, schwarzen Haare wurden teils durch einen orange-braunen Cowboyhut verdeckt, über der Krempe war ein lachender und ein trauriger Smiley an einer roten Perlenkette befestigt, an der Hutschnur, die vor seiner offenen, muskulösen Brust endete, hing ein Anhänger in Form eines Rindertotenkopfes, ein gelbes, offenes Hemd bedeckte Teile seines Oberkörpers, ließen die Sicht auf den Bauch und die Brust jedoch frei. Er trug schwarze Shorts, wobei an einem Bein ein blaues Band durch am Hosenbein befestigte Schlaufen gezogen worden war, seine Füße wurden durch schwarze, große Stiefel geschützt. Auf seinen Lippen trug er ein sehr selbstbewusstes Lächeln. Noriko hatte sich ihren Retter irgendwie anders vorgestellt, natürlich war die Version von Mann tausendmal besser als die Gestalt, die sie sich in ihren Gedanken auf die Schnelle ausgemalt hatte. Eigentlich hatte sie jetzt einen großgewachsenen, muskelbepackten Mann erwartet. Der Mann vor ihr strahlte zwar auch Autorität aus, aber er hatte irgendwie etwas freches an sich, dass sie an dieser Person äußerst sympathisch fand.
 

Sie rieb sich das noch schmerzende Handgelenk, lächelte ihn aber dennoch freundlich und dankbar an, bevor sie mit dankbarer Stimme sprach:

„Danke, ohne dich wär ich wohl ziemlich arm dran gewesen...“

sie stockte, sie wusste nicht, wie sie den Mann vor ihr ansprechen sollte, den Namen kannte sie nicht und er sah nicht nach einer Person aus, die es bevorzugte, mit „Herr“ angesprochen zu werden. Ihr Gegenüber lächelte sie nun freundlich an und antwortete:

„Ace, mein Name ist Ace.“

„Danke, Ace.“

„Keine Ursache, ich helfe gern.“

„Du lässt dich nicht zufällig noch auf einen Drink mit mir einladen, oder?“

„So ein Angebot kann ich einer jungen Frau wie dir doch nicht ausschlagen.“



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