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Vergangene Zeiten

Eine One-Shot-Sammlung
von

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Christtag

Kleine Sünden bestraft der Herr sofort, heißt es und er war der lebende Beweis dafür. Am frühen Morgen war es ihm nämlich lustig vorgekommen, die Abwesenheit seines sonst so strengen Kommandanten auszunutzen um seinen Helm mit einer Fuhre nassem, kaltem Neuschnee zu füllen. Doch leider hatte sein Vorgesetzter einen ganz anderen Sinn für Humor als er. - Nämlich gar keinen.

Zumindest wenn ihm gerade Schnee in den Nacken rutschte.

Eigentlich hätte er wissen müssen, dass die Rache auf dem Fuße folgen würde. Es war nur – Irgendwie hatte er mit einem Schneeball gerechnet und nicht mit einem Sonderauftrag.

Balduin seufzte schwer und zählte im Kopf die dunklen Haarschöpfe nach.
 

Drei Stück.
 

Drei Stück, die er pünktlich vor der Messe wieder abgeben musste und das vorzugsweise ohne dabei einen zu verlieren. Doch das war nicht so einfach wie es klang, denn die Drei waren ganz schön aufgeweckt, neugierig und gerade jetzt im Augenblick - Eilig duckte er sich unter einem Schneeball hindurch und warf den beiden Knaben rechts von ihm einen bitterbösen Blick zu.

„Könntet ihr die Güte haben auf etwas zu zielen, dem noch nicht kalt ist?“, knurrte er und wurde im nächsten Moment von einem leisen „Ja, könntet ihr?“ unterstützt, das eindeutig von dem Mädchen der Gruppe stammte, das sich schon die ganze Zeit hinter ihm versteckte. Lästig, weil er so Gefahr lief versehentlich über die Kleine zu fallen, aber auch vorteilhaft, denn immerhin konnte er sie so nicht aus den Augen verlieren.
 

„Bäh!“
 

Der angesprochene Knabe streckte prompt die Zunge raus und murrte etwas, das ziemlich deutlich nach „Ziege“ klang, einer Beleidigung, die hoffentlich nicht ihm, sondern der Kleinen hinter ihm galt. Diese schniefte in einer Tonlage, die baldige Tränen versprach, doch Balduin kam nicht dazu sich aufs Trösten zu verlegen.

„Wie hast du meine Schwester genannt?“, mischte sich der zweite Junge ein und ein weiteres „Ziege“ folgte beinahe sofort. Die Körper seiner Schützlinge prallten aufeinander und landeten reichlich unsanft im dicken Schnee.

Einen Moment lang sah Balduin den Beiden beim rangeln zu, dann zupfte es an seinem Mantel.

„Macht das sie aufhören“, drängte das Mädchen mit feuchten Augen und auch wenn er es am liebsten hätte sein lassen, die Kleine hatte recht.

Er konnte nicht zulassen, dass sich die zwei Streithähne grün und blau schlugen und wenn er sie völlig durchnässt zurückgab, würde sein Kommandant ihn sicherlich bis Karfreitag zur Wache in die eiskalte Kapelle abstellen. Einem Ort, den er vor dem Frühjahr am liebsten nicht wieder betreten wollte, so schnell wie er immer zu frieren begann.
 

Also holte er tief Luft und machte einen großen Schritt auf das Knäul aus Gliedmaßen zu.

„Henry! Rowan! Hört auf!“, forderte er und versuchte den Befehlston seines Kommandanten so gut wie irgendmöglich nachzumachen. Wenn er diesen Tonfall anschlug, machten immer alle was er wollte und genau diesen Effekt brauchte Balduin jetzt auch.

Ein Brocken Schnee flog auf ihn zu und hinterließ einen hässlichen, weißen Fleck auf seiner Kleidung, knapp unterhalb des Herzens.

„Ihr dürft mir nichts befehlen“, krähte einer der beiden Satansbraten und der Andere hatte die Nerven auch noch heftig dazu zu nicken. „Ich bin ein Prinz. Also müsst Ihr tun, was ich sage! Nicht andersrum.“

„Gar nicht!“, kam es hinter seinem Rücken hervor, noch während er damit beschäftigt war, den nassen Fleck auf seiner Kleidung anzustarren und sich zu fragen, wieso seinem Kommandanten so etwas nie passierte. Leider sorgte der Einspruch des Mädchens einzig dafür, dass die Jungen mit den Augen rollten.
 

„Halt die Klappe Blanche. Du bist blöde“, ätzte dieses mal ihr Bruder aus dem Schnee heraus.

„Sag ich doch“, stimmte Rowan erneut zu und hätte das Mädchen nicht schon wieder verdächtig laut die Nase hochgezogen, Balduin hätte sie wohl einfach weitermachen lassen. Kurz fragte er sich ja, ob er in diesem Alter genauso gewesen war, entschied dann aber, dass er darauf lieber keine Antwort wollte. Es gab Dinge, die musste man nicht wissen und das hier gehörte eindeutig dazu. Es konnte einen Mann nämlich dazu bringen seinen Hund von einen Vater zu verstehen und das war etwas, was er in keinem Fall zulassen wollte.

„Passt mal auf“, würgte er irgendwie hervor und verbannte den unangenehmen Gedanken ganz weit aus seinem Kopf, „Das ist wirklich kein gutes Benehmen von euch. Ihr wisst doch, dass heute ein sehr, sehr wichtiger Tag ist. Immerhin ist Christfest und das bedeutet, heute ist der Tag an dem Jesus in Bethlehem geboren wurde. Wisst ihr, wie wenig es ihm gefallen würde, euch so zu sehen?“
 

Erneut zupfte es an seinem Mantel.
 

„Was ist Bethlehem?“, fragte Blanche mit großen Augen und brachte ihn so prompt noch einmal zum Seufzen. Das Mädchen war noch klein. Vermutlich hatte es den Namen bisher überhört oder sich nicht getraut die Erwachsenen danach zu fragen.

Betont langsam ließ er sich auf ein Knie herab um ihr in die Augen schauen zu können.

„Bethlehem ist eine Stadt in meiner Heimat“, erklärte er, „Viele, viele Menschen nehmen große Anstrengungen auf sich, nur um einmal den Ort besuchen zu können an dem Jesus geboren wurde. Das ist wie mit Jerusalem, nur das um Bethlehem weniger Schlachten geführt worden sind.“

„Kämpfen die Ritter da alle mit dem Säbel?“, prasselte die nächste Frage von hinten auf ihn ein und noch bevor er sich umdrehen konnte um den Fragesteller zu identifizieren, spürte er auch schon, wie sich ein nicht ganz leichtes Gewicht an seinen Hals hing. Die Luft wurde ihm knapp, aber irgendwie schaffte er es ein leises „Nein“, herauszubekommen und die Hand an seiner Kehle zu fassen zu kriegen. Er schob sie energisch ein wenig zur Seite und atmete tief durch.

„Sie haben auch Steinschleudern und Bögen und es gibt Männer, die können vom Pferd aus schießen und treffen jedes Ziel“, setzte er die Erklärung fort, doch er kam nicht weit, dann trafen 40 weitere Pfund seinen Rücken.

Balduin begann zu schwanken, konnte sich nicht mehr halten und stürzte, einen stummen Schrei auf den Lippen, mit dem Gesicht voran, in den Schnee. Blanche kreischte, während sie zur Seite hüpfte, die Knaben gaben eine Mischung aus Überraschung und Belustigung von sich und er... er fühlte sich einfach nur noch nass und durchgeweicht.
 

„Au“, ächzte er, doch die Jungen machten keine Anstalten von seinem Rücken zu gehen.

„Woah, wir haben ein Mitglied der königlichen Garde besiegt!“, jubelte einer von ihnen und machte einen Hüpfer, den Balduins Kreuz mit dumpfem Schmerz beantwortete. War ja klar, dass die Rasselbande das wieder spannend fand.

„Eigentlich habe ich ihn besiegt. Bei mir ist er umgefallen.“ Balduin spitzte die Ohren. War das Henry?

„Dann kannst du ja die Prügel dafür einstecken.“ - Eindeutig Rowan.

„Wegen mir hat er sich hingekniet.“

„Halt die Klappe, Blanche!“

Balduin versuchte sich hochzustemmen. Sinnlos in dem feuchten Schnee und mit zwei Knaben auf dem Rücken, aber wenn er es nicht schaffte, würde er hier womöglich noch länger liegen.

„Ich will aber ein Lösegeld!“, schniefte Blanche in diesem Moment und stampfte gut hörbar mit dem Fuß in den Schnee.

„Lösegeld?“

„Vater sagt, wenn man einen feindlichen Ritter gefangen nimmt, bekommt man von ihm ein Lösegeld.“

„He, ich will auch ein Lösegeld!“

„Lösegeld! Lösegeld! Lösegeld!“, grölten die Drei im Chor und hüpften – schon wieder – auf seinem armen Rücken herum.
 

Balduin stöhnte.
 

„Schon gut, schon gut. Ich zahle. Ich zahle, ja! Aber lasst mich aufstehen.“

Das Hüpfen auf seinem Rücken ließ nach und auch das Gewicht schien zu verschwinden. Endlich schaffte er es sich hochzustemmen und irgendwie aus dem feuchten Schnee zu kommen. Unglücklich versuchte er seinen Mantel von dem kalten Nass zu befreien – Nichts zu machen. Der Schnee war längst eingezogen und hatte das Fell völlig durchnässt. Hoffentlich hatte sein Kommandant noch einen Mantel, den er ihm für den Abend leihen konnte. Hoffentlich, sonst würde es ein sehr, sehr kaltes Christfest werden.

Es hüstelte und Balduins Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf die Kinder. Richtig, er hatte ihnen ja ein Lösegeld versprochen. Eigentlich sollte er sie wohl eher übers Knie legen, aber verdammt, es war Christfest und die drei guckten ihn so erwartungsfroh aus ihren großen Kinderaugen an. Und noch wichtiger – sie vertrugen sich. Endlich mal.

Seufzend griff er nach seinem Beutel mit Gold.

„Ihr wollt also ein Lösegeld?“, wiederholte er die Forderung und das Nicken das folgte, war mehr als eindeutig. „Nun, ich werde keines zahlen, aber weil heute Christfest ist, schenke ich jedem von euch etwas Süßes. Kommt, ich glaube ich habe da hinten Datteln gesehen. Wir kaufen drei. Für jeden eine.“

Die Kinder jubelten und für einen Moment war er klar der beliebteste Aufpasser, den sie je gehabt hatten. Zu Dritt rannten sie ein Stück den Weg hinunter, dann blieben erst einer und schließlich auch die anderen Beiden stehen um auf ihn zu warten.

„Sir Balduin?“, rief Blanche ihm zuckersüß entgegen, „Wir brauchen aber vier!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Von:  Kupoviech
2014-02-02T12:19:46+00:00 02.02.2014 13:19
Der arme Sir Balduin, da musste er ja auf eine richtige Rasselbande aufpassen.
Ich finde die kurze Geschichte sehr gelungen und einfach nach herrlich zuckersüß.
Besonders die kleine Blanche ist mir ans Herz gewachsen.
Was ein gutes Zeichen ist und bedeutet, dass deine Charaktere wirklich lebensecht und gefühlvoll beschrieben wurden.
Obwohl eine weihnachtliche Geschichte, ist sie auch lustig und sehr spannend zu lesen.
Ich konnte nicht widerstehen und musste alles in einem Rutsch durchlesen.

Auch das Ende gefällt mir gut. Es hat etwas Versöhnliches, was nicht nur zum Thema passt, sondern auch zu Weihnachten.

Sehr sehr gelungen. Ich würde den Oneshot jederzeit weiterempfehlen.
Antwort von:  _Delacroix_
02.02.2014 13:37
Vielen Dank.
Es freut mich wirklich, dass mal Jemand mein Original gefunden hat. Und das es dir dann auch noch gefallen hat, ist für mich gleich noch viel schöner^^


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