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The Sin Verse

von

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Kompromiss

Am späten Abend, sobald ich alle notwendigen Sachen zusammen gefunden hatte, eilte ich durch die Stadt, mit einem antiken Portraitspiegel unter dem Arm, den ich in ein Leinentuch gewickelt hatte. Es war eine warme Nacht, in der die Leute feiern gingen und die Straßen selbst zu dieser unchristlichen Uhrzeit stark befahren wurden. Mich beachtete niemand weiter.

Ich zweigte mich vom Inneren der hell erleuchteten Stadt ab und folgte den Straßenlaternen die ein gelbes Licht auf die leeren Gehsteige warf. Die Gegend wurde immer verlassener und nur ab und zu begegnete ich dem ein oder anderen Obdachlosen, kleinen Menschengruppen die im Laufschritt versuchten unbeschadet durch die Gegend zu kommen oder Kleinganoven, die herumlungerten. Die Straßen waren schmutzig, die Gebäude mit Graffiti und fragwürdigen Texten beschmiert und es stank wie auf einer Müllhalde.

Glücklicherweise war das hier nicht mein Zielort, sondern nur der schnellste Weg um zu einer bestimmten Brücke zu gelangen. Eigentlich wäre mir jede Brücke recht gewesen, doch diese war leider die Einzige, die sich gerade im Umbau befand und daher für die Menschen gesperrt war. Nicht, dass mich das aufhalten würde.

Mich schnell umblickend, duckte ich mich unter dem Absperrband hindurch und verschaffte mir Zutritt zum Baugebiet. Die Brücke war nicht allzu lang oder groß, doch der Asphalt war teilweise aufgerissen und brüchig. Außerdem hatte das Gelände zu meiner Rechten noch immer ein Loch, in das vor einigen Tagen ein Auto gerast und in den Fluss gefallen war. Zwei Tote.

Ein passender Ort, wenn man bedachte, dass Brücken eine Verbindung zu anderen Welten darstellten und daher eine einzige Quelle an magischer Energie waren.

Ich schlängelte mich an aufgestapelten Zementsäcken, Zementmischern und diversen anderen Gerätschaften vorbei, von denen ich keine Ahnung hatte wofür sie gut waren, und fand eine freie Nische, in der ich mich ausbreiten konnte.

Ich vergewisserte mich noch einmal, ob mir jemand gefolgt oder ein neugieriger Passant in der Nähe war – ob nun menschlicher oder unmenschlicher Natur – und atmete schließlich auf, ehe ich eine rote Kreide zur Hand nahm und einen großen Kreis auf den Boden malte. Aus meinem Rucksack holte ich mir einige Tinkturen, mit denen ich nacheinander die kleine Silberschale füllte. Anschließend stellte ich noch den Spiegel auf, den ich noch aus der Renaissancezeit hatte und mein Spiegelbild nicht mehr ganz so lupenrein wiedergab.

Zuletzt folgte der Teil, den ich am wenigstens mochte, mir aber leider nicht erspart blieb, wenn ich die Beschwörung vollenden wollte.

Ich zückte meinen Silberdolch, den ich in meinem Gürtel gesteckt hatte, und schnitt mir damit in die Handfläche. Der Schmerz war scharf und brennend, als das Blut langsam in die Schale floss und sich zu einer dunklen Brühe sammelte, sobald es sich mit den Tinkturen vermischte.

„Achlys!“, rief ich und erntete eisige Stille.

Kein Rauch, keine unheimlichen Stimmen, keine monsterartigen Erscheinungsformen. Das sah Achlys ähnlich. Sie mochte keine spektakulären Auftritte.

Stattdessen war es mein Spiegelbild, das plötzlich andere Züge annahm und eine völlig andere Aura verströmte als ich selbst. Ihre Mundwinkel verzogen sich leicht, ihre blauen Augen nahmen eine violette Tönung an und das blonde Haar wurde eine Spur dunkler und wirkte, als würde es in Wasser schwimmen. Dann wurden die Tintenlinien sichtbar, die sich in den verschiedensten Formen auf ihrem gesamten Gesicht verteilten und jede Ähnlichkeit mit mir auslöschten.

„Du hast gerufen, Kind?“, fragte Achlys mit meiner Stimme, die eine etwas rauchige Note angenommen hatte. Das Spiegelbild war ungewohnt klar; ganz anders als bei den letzten Malen, in denen ich sie herbeigerufen hatte. Das konnte ein Zeichen sein, dass diese Brücke ein äußerst gutes Medium darstellte oder … sie durch die Morde an Macht gewonnen hatte.

Ich nickte ernst und hatte die Hände auf meinem Schoß gefaltet. „Mutter, ich habe in letzter Zeit Dinge gehört, die mich etwas … beunruhigen.“

„Dinge?“, wiederholte sie und kniff die Augen zusammen, als ahnte sie, in welche Richtung dieses Gespräch ging. „Was für Dinge?“

Es fiel mir nicht leicht, die passenden Worte zu finden. „Stimmt es, dass du versucht eine Hülle zu finden, um in die Menschenwelt zu gelangen?“

Achlys zuckte die Schultern, als wäre es kein Geheimnis. „In der Tat. Aber was ich tue, geht dich nichts an.“

„Aber die Engel––“

„Engel!“, rief sie scharf, woraufhin das Glas einen Sprung bekam. Das Spiegelbild wurde dunkler, ihre Augen stechender und mein Magen zog sich augenblicklich zusammen. „Soso, sie haben es also endlich bemerkt. Sie waren es also, die dich geschickt haben.“

Es war keine Frage, also versuchte ich erst gar nicht, darauf zu antworten. „Mutter, bitte hör damit auf! Es besteht doch kein Grund, sich hierher zu wagen!“

Genug!“, fauchte sie und ich klappte den Mund zu. „Du wagst es, auf deren Geheiß zu erscheinen und mir Befehle zu erteilen! Oder nein, warte, es ist noch etwas anderes, nicht wahr? Er hat dich geschickt!“ Nun wurde ihre Stimme schrill, wütend. Ein gelber Wüstenskorpion krabbelte aus ihrem Ohr und ihren Nacken hinab. „Wer hat deine Wunden geleckt, als du gefallen bist? Wer hat dir einen Lebenssinn und Kraft geschenkt? Und wer hat dich davor bewahrt, zu einem Dämon zu werden?“

Mir schnürte sich die Kehle zu. Die Angst und die knallharte Wahrheit, die sie mir ins Gesicht schleuderte, machten es mir unmöglich, mich zu verteidigen. „Du, Mutter.“

Diese Antwort schien sie nur noch aggressiver zu machen, denn die Tattoos auf ihrem Gesicht breiteten sich aus und wurden dichter, bis ihr ganzes Gesicht pechschwarz war und ihre Augenfarbe zu einem grellen violett wurde. „Und dennoch ziehst du ihn mir vor?! Nach all den Jahrhunderten, bist du noch immer geblendet von deiner Liebe, Kind, und siehst nicht wie viel unvorstellbares Leid er dir bringt!“

Ich hätte nie gedacht, dass mich Worte je derart verletzen konnten, doch Achlys hatte es geschafft. Meine Gedärme fühlten sich an, als hätte man sie durch den Fleischwolf gedreht. Ich war zu stolz um in Tränen auszubrechen, doch meine zitternden Hände verrieten mich.

Auch wenn Achlys mit jedem Wort Recht hatte, auch wenn ich auf kein glückliches Ende mit Dalquiel hoffen sollte, so war ich doch nach wie vor an ihn gekettet. Ich konnte ihm nicht entkommen und wer weiß, vielleicht wollte ich es auch gar nicht?

„Mutter, ich komme aus freien Stücken zu dir. Dalquiel––“

„Nimm seinen Namen nicht in den Mund!“, zischte sie und der Spiegel bekam einen Riss, als hätte jemand mit der Faust darauf eingeschlagen. „Ich weiß, dass dieser Engel dir schon seit langer Zeit folgt! Er benutzt dich, um an mich heranzukommen und das ist unentschuldbar! Er wird dafür büßen, was er dir angetan hat und du, Trinity, wirst meinen Befehl ausführen!“

Ihre strahlenden Augen hypnotisierten mich, wie eine Giftschlange die ihr Beutetier fixierte. Mein Name auf ihrer giftigen Zunge war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich spürte ihre Essenz in mir, die mir nun zornige Wellen durch den ganzen Körper jagte und nur einen Teil ihrer unglaublichen Wut zu mir durchsickern ließ.

Ich zitterte am ganzen Körper, als mich ein plötzlicher Würgereiz überkam. Irgendetwas Heißes drängte sich mir die Kehle hoch, wie kochende Säure, und ich presste mir die Hand auf den Mund, um das, was auch immer aus mir heraus kam, drinnen zu behalten. Es war klar, dass ich keine Chance gegen Achlys hatte, denn nur ein verächtliches Schnauben ihrerseits genügte und ich hustete dunkles Blut auf meine Handfläche. Ein Fleck fraß sich sofort in meine Haut und wurde so schwarz, wie Achlys‘ Gesicht.

„Ich warne dich nur dieses eine Mal, also hör gut zu!“, donnerte sie wie eine zischende Schlange. „Töte deinen Engel, indem du ihn mit diesem Mal anfasst! Oder“ – und ihre Stimme wurde kalt wie Eis – „du wirst selbst daran sterben. Denk gut darüber nach, liebste Tochter. Du hast viel für dieses Leben geopfert, willst du es dir wieder von ihm wegnehmen lassen?“

Der Spiegel zersplitterte endgültig zu einem Netz aus kleinen Scherben. Die Schreckgestalt war verschwunden. Nur noch mein eigenes, verzerrtes Gesicht war darin zu erkennen, welches sich vor Schmerz zusammen krümmte und zur Seite kippte.

Ich drückte mir die verfluchte Hand an die Brust und biss die Zähne zusammen. Es tat höllisch weh, innen wie außen. Mein Gespräch mit Achlys hatte katastrophale Ausmaße angenommen.

So viel also zu einem friedlichen Kompromiss.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Azahra
2013-11-15T10:29:08+00:00 15.11.2013 11:29
Da bin ich mal wieder :D
Mich wundert es wirklich, dass ihre Mutter die Wahrheit sagt, aber anderseits: Warum sollte sie auch lügen?? ^^

*wink*
Azahra
Von:  Lianait
2013-06-04T10:56:19+00:00 04.06.2013 12:56
Sooo~
Jetzt komme ich irgendwie endlich dazu, weiterzulesen. (Auch wenn ich irgendwie immer noch zeichnen will. °_°)

> Ein passender Ort, wenn man bedachte, dass Brücken eine Verbindung zu anderen Welten darstellten und daher eine einzige Quelle an magischer Energie waren.
Das finde ich cool~
Ich muss jetzt auch an andere Übergangsschwellen, wie Türrahmen und so denken. :,D

[...]
Irgendwie hätte ich es auch interessant gefunden, wenn herausgekommen wäre, was genau sie für Tinkturen verwenden. Auch wenn es an sich eigentlich nicht wichtig ist, aber mich interessiert sowas immer. xD
[...]
Aber ich finde die Beschreibung von Achlys' auftauchen udn ihr Aussehen sehr cool. :O

> Und wer hat dich davor bewahrt, zu einem Dämon zu werden?
Sind hier alle Dämonen gefallene Engel? (Ja, sowas interessiert mich auch. xD)

> Er wird dafür büßen, was er dir angetan hat und du, Trinity, wirst meinen Befehl ausführen!
Oh je. D:
Grade kann einem sehr leid tun, wie sie nun so zwischen beiden Fronten steht. D:

In dem Kapitel haben mir sehr die Metaphern und Beschreibungen von Achlys gefallen, besonders auch wie du damit die Tatsache darstellst, dass sie eine Giftgötting ist, ohne das Wort zu verwenden. Generell fand ich auch Achlys ziemlich cool~ :D
Graces Zwickmühle wird immer prekärer, das sie jetzt auch von Achlys ein Ultimatum bekommt. Ich bin wirklich sehr gespannt, wie sich die ganze Sache weiterentwickelt~


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