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Gebunden durch Hass

von

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Die Flucht

So begannen sie mit der Umsetzung des Plans. Diesmal war es von Vorteil, dass Eds rechte Hand aus Metall war. Immer, wenn Haldro schlief, schlug er auf den Ring ein. Lange würde das verrostete Eisen nicht standhalten. Envy bewachte die Tür und stieß den einstigen Alchemisten an, wenn der Aufseher erwachte. Immer grinste er dabei, als würde es ihm einen Riesenspaß machen. Ed nahm sich vor, sich später dafür zu rächen. Trotz ihrer überraschend guten Zusammenarbeit dauerte es lange, bis ihre Bemühungen endlich Erfolg zeigten.

Wieder war es Nacht. Aufgeregt hämmerte Ed auf das Eisen ein. Deutlich sah man die Spuren, die er bereits hinterlassen hatte. „Ich glaube, ich hab es gleich.“ flüsterte er und schlug noch einmal zu. Der Ring knirschte laut, als er zersprang und ein Scheppern tönte durch den Raum. „Du hast es geschafft, Winzling.“ hauchte der Homunculus und zusammen standen sie auf, das erste Mal, seit sie hier gefangen waren. „Wie geht es jetzt weiter?“ Ed antwortete nicht gleich, sondern streckte sich erstmal ausgiebig. Er hatte sich noch nie so über Muskelkater gefreut wie heute. „Jetzt heißt es abwarten. Sobald Haldro aufwacht, müssen wir so tun, als wäre alles in Ordnung. Dann sagst du ihm, was du so von ihm hältst. Wenn er reinkommt, um dir eins mit der Peitsche überzuziehen, beginnt der schwierige Teil des Plans.“ Leicht murrend setzte Envy sich wieder hin und schlang die Kette so durch den gebrochenen Ring, dass nichts mehr von der Bruchstelle zu sehen war.

Als es draußen heller wurde, hörten sie ein Gähnen. Es war soweit. Haldro erwachte, stand auf, kratzte sich am Hintern und verschwand kurz, nur um wenig später mit dem Essen wiederzukommen. Ed warf seinem Halbbruder einen vielsagenden Blick zu, der nickte und wartete ab, bis der Aufseher in der Tür stand. „Weißt du, Haldro, in letzter Zeit habe ich mir immer eine Frage gestellt.“ Haldro sah ihn an, einen ratlosen Ausdruck im Gesicht. „Wenn jemand so hässlich ist wie du, hat der dann eine Freundin?“ „Ich verheiratet.“ fauchte Haldro. „Ist deine Frau zufällig blind und taubstumm? Anders könnte ich mir das nicht erklären.“ Dann geschah alles gleichzeitig. Der Aufseher kam auf den Homunculus zu, die beiden Gefangenen sprangen auf und schnürten ihm mit der Kette die Luftröhre ab. „Keinen Ton, Fettwanst, oder es war dein letzter.“ drohte Envy und Haldro erstarrte. „Los, raus mit dir. Du darfst uns zum Ausgang führen.“ zischte Ed eisig, während sein Halbbruder die Peitsche an sich nahm.

Wortlos setzte sich der Trupp in Bewegung. In den Gängen war es kühl und still. „Wo ist der Rest der Wache?“ Haldro antwortete nicht und bekam dafür die Peitsche zu spüren. „Antworte.“ „Ist beim Essen.“ wimmerte der Aufseher panisch. „Wo müssen wir lang?“ „Nach links.“ Unzählige verschlossene Türen erwarteten sie auf ihrem Weg, doch sie hielten nicht an. Endlich sahen sie das Eingangstor. Sie stoppten kurz, Envy zog einen Dolch aus der Tasche des Aufsehers und drückte ihn gerade so stark an Haldros Rücken, dass dieser die Spitze spüren konnte. „Du wirst jetzt die Wächter ausschalten.“ erklärte Ed ihm.

Eilig nickte der. „Und denk daran: keine falsche Bewegung.“ Wieder ein Nicken. Mit einer Geschwindigkeit, die ihm keiner der beiden zugetraut hätte, schlug er die Wächter zu Boden. Sie gingen weiter, bis sie den Wald erreichten, in dem Ed vor so langer Zeit gefasst worden war. Auf der Lichtung mit dem Häuschen hielten sie an und stießen den Aufseher hart von sich. „Viel Spaß noch, Fettwanst. Und danke für die Waffen.“ meinte Envy, doch seine Miene wurde ernst, als sie leise Rufe hörten, die immer näher kamen. Ihre Flucht war bemerkt worden. „Wir sollten machen, dass wir hier wegkommen.“ schlug Ed angespannt vor und sie ließen Haldro auf der Lichtung zurück. Die Kette, die die beiden verband, klirrte laut, während sie durch den Wald liefen. „So werden wir gleich wieder geschnappt.“ fluchte Ed und sie blieben kurz stehen

„Gib mir deine Hand.“ „Was?“ „Frag nicht, tu es einfach.“ Der Homunculus schien überhaupt nicht glücklich, streckte aber dennoch die Hand aus. Sein Halbbruder nahm die Kette und wickelte sie fest um ihre Handgelenke. Dann, bevor Envy protestieren konnte, packte Ed ihn und zerrte ihn mit sich. Sein Körper schmerzte, weil er sich so lange nicht richtig bewegt hatte. Trotzdem zwang er sich, weiterzugehen. „Wir müssen am Dorf vorbeischleichen. Niemand darf mich sehen.“ „Toll. Wie kommen wir jetzt aus diesem Gestrüpp raus?“ „Ihr könntet fragen.“ sagte eine Stimme und sie wirbelten herum. „Ich kenne dich.“ sagte Ed überrascht. „Du warst doch bei dieser Truppe, die mich verfolgt hat.“ „Ich bin Nico.“ Sein Blick fiel auf die verschränkten Hände der beiden. „Ihr scheint euch länger zu kennen.“ „Ja, wir können uns gar nicht mehr voneinander lösen.“ fauchte Envy und drehte den Arm, damit Nico die Kette sehen konnte. Der wirkte erst verdutzt, dann begann er zu lachen. Er lachte so heftig, dass ihm Tränen aus den Augen liefen. „Da habt ihr euch ja was eingebrockt.“ brachte er schließlich heraus.

„Du hast gesagt, du könntest uns helfen. Wie?“ „Es gibt ganz in der Nähe einen Schleichweg. Zwar müsst ihr dafür durch ziemlich fiesen Modder, aber so wie ihr ausseht, ist das wohl euer kleinstes Problem.“ Er wurde ernst und sah sie an. „Ich werde versuchen, eure Verfolger in die Irre zu führen. Viel Glück.“ „Danke für deine Hilfe.“ sagte Ed und Nico wurde etwas verlegen. „Ich hatte mir gleich gedacht, dass du nichts gemacht hast. Dafür bist du einfach nicht der Typ. Ganz im Gegensatz zu deinem Begleiter.“ Envy zischte ihn an, was Nico wieder zum Lachen brachte. „Hoffentlich sehen wir uns bald wieder. Ihr seid wirklich ein unterhaltsames Paar.“ „Paar?“ wütete der Homunculus und wollte sich auf den Jungen stürzen. Lässig zog sein Halbbruder ihn zurück. „Krieg dich mal wieder ein. So hat er das nicht gemeint.“ Er verabschiedete sich von Nico und zog Envy wieder hinter sich her.

Der Weg, den der junge Mann ihnen genannt hatte, führte sie wirklich sicher am Dorf vorbei und aus dem Wald hinaus. Eine geteerte Straße führte in die Ferne. Nico hatte ihnen gesagt, sie müssten nach rechts, um möglichst weit vom Gefängnis wegzukommen, also hielten sie sich daran. Stunden waren sie unterwegs, als sie einen Motor hörten und sich hinter einem nahen Strauch versteckten. Ein Traktor ruckelte vorbei und Ed atmete erleichtert aus. „Ich weiß, wie wir schneller vorankommen.“ flüsterte Envy und der frühere Alchemist ließ zu, dass er mitgezogen wurde. Sein Halbbruder sprang unbemerkt hinter das Fahrhäuschen und half ihm hoch. Ed musste lächeln, als er sich neben dem Homunculus setzte und sie durch die Landschaft fuhren.

Irgendwann begann Ed, sich an die Umgebung zu erinnern. Sie waren ganz in der Nähe der Stadt, in der sich die alte Wohnung seines Vaters befand. Schnell sprang er vom Traktor und lief die Straße entlang, bis er sein Ziel erreicht hatte. Der Schlüssel zu der Wohnung war unter der Fußmatte verborgen, was ein ziemlicher Glücksfall war. Er schloss die Tür auf und betrat die Wohnung, seinen Halbbruder im Schlepptau. „Endlich wieder zuhause.“ sagte er freudestrahlend. „Was für ein rührender Moment. Wenn du damit fertig bist, die Möbel anzustarren, könnten wir sehen, ob wir etwas Essbares finden.“ „Ich glaube nicht, dass wir etwas finden. Das Meiste dürfte verschimmelt sein.“ Sie gingen in die Küche, wo tatsächlich verdorbene Lebensmittel herumstanden. Zielstrebig ging Ed auf einen Schrank zu und holte etwas heraus. „Was ist das?“ erkundigte sich Envy misstrauisch. „Nudeln. Nichts Besonderes, aber besser als nichts.“ Während sie das Essen vorbereiteten, wurde es langsamer dunkler. Die Nudeln waren pappig, bitter und das Beste, was Ed je gegessen hatte. Im Vergleich zu dem Gefängnisessen war ihm alles Recht.

Als sie fertig waren, stand Envy auf und sah an sich hinunter. „Gibt es hier auch eine Dusche?“ „Ja, wieso?“ „Weil ich dich darin ertränken wollte, Winzling. Was glaubst du wohl?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, machte er sich auf den Weg und Ed blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Im Badezimmer angekommen, drehte der Homunculus das Wasser auf und sein Halbbruder drehte ihm peinlich berührt den Rücken zu. Schließlich wollte er den anderen nicht nackt sehen. „Du stellst dich ja schlimmer an als ein kleines Mädchen.“ kicherte sein alter Widersacher. „Unheimlich lustig. Aber den Anblick erspare ich mir lieber, sonst bekomme ich noch einen Brechreiz.“ gab der ehemalige Alchemist zurück. „Als ob ich mich vor dir ausziehen würde. Ich will mir nur den Schmutz und das Blut abwaschen.“ Ein wohliger Seufzer war zu hören, als Envy sich unter das heiße Wasser stellte. Ed wartete geduldig, bis sein Halbbruder fertig war und reichte ihm dann ein Handtuch. Während sein alter Gegner sich abtrocknete, nutzte Ed die Gelegenheit, um ebenfalls zu duschen.

Interessiert beobachtete Envy ihn. Anscheinend war ihm klar, dass auch der einstige Alchemist sich nicht vor ihm entkleiden würde. Das heiße Wasser war herrlich. Es lockerte Eds verkrampfte Muskeln, entspannte ihn und ließ ihn warm und schläfrig zurück. Gähnend streckte er sich und trocknete sich ab, bevor er seinen Halbbruder ins Schlafzimmer führte. Dort stand ein Bett, gerade groß genug, dass beide hineinpassten. Envys Blick wanderte von der Kette, die ihn mit Ed verband, zum Bett und Entsetzten trat in sein Gesicht. „Oh nein. Ich werde auf gar keinen Fall mit dir im selben Bett schlafen, Winzling.“ „Ist dir der Boden lieber?“ konterte Ed gelassen und ließ sich auf die weiche Matratze fallen. Was für ein Unterschied zum harten, kalten Gefängnisboden. Breit grinsend stand er auf, um seinen Halbbruder vorbeizulassen, der zwar knurrte und fluchte, aber die Gesellschaft seines alten Gegners dem Boden vorzog. Als auch Ed sich wieder hinlegte, wich Envy so weit von ihm zurück, wie er konnte. „Ach, wie schade.“ stichelte der frühere Alchemist und schaffte es nur mit Mühe, nicht zu lachen. „Ich dachte, wir kuscheln noch ein wenig.“ Sein Halbbruder starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren, was ihm den Rest gab. Er begann haltlos zu lachen, bis seine Seiten schmerzten. Als er sich wieder beruhigt hatte, vergrub er, noch immer kichernd, das Gesicht in den Kissen und schlief ein.



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