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Federschwingen

von

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Als Kyrie auf einer der rot gepolsterten Bänke seitlich des Altars saß, um auf ihren Vater zu warten, der noch immer dort stand und auf die verschiedenen Probleme der Leute einging, beobachtete sie den Mann, der wirklich wie ein gealterter Ray wirkte. Er konnte die Verwandtschaft nicht einmal leugnen, wenn er es versuchen würde. Radiant war gerade an der Reihe, mit ihrem Vater zu sprechen. Er tat das wohl wirklich jedes Mal - was er wohl so Wichtiges zu besprechen hatte?

Sie musste zugeben, dass sie sich für diesen Mann erst richtig interessierte, seit sie wusste, dass er Rays Vater war. Aber … ihr Vater erzählte ihr nichts von diesen Gesprächen. Das musste geheim bleiben – das verstand sie auch. Immerhin vertrauten die Menschen ihm da ihre wichtigsten Geheimnisse an. Ihre innersten Gefühle. … All das, was Engel in Sekundenbruchteilen zu stehlen vermochten … oder für immer zu löschen. Hierher kamen die Menschen, um Rat zu suchen, um ihre Probleme selbst zu überwinden … Aber Probleme von Grund auf auszuradieren … war das nicht viel praktischer? Und weniger anstrengend. Und weniger enttäuschend, weil man nicht scheitern konnte.

Sie konzentrierte sich auf Radiant, der eher sachlich wirkte als gekränkt. Tat ihm sein Herz wirklich jedes Mal so sehr weh, dass er zum Prediger gehen musste? Oder steckte etwas anderes dahinter? … Vielleicht schmerzte es ihn ja so sehr, dass Ray nichts mit ihm zu tun haben wollte.

Mitleid stieg in ihr auf. Ein Vater, der nichts für sein Kind tun konnte, obwohl er es so sehr wollte … Ein Schauer durchfuhr sie, als sie kurz zu ihrem Vater blickte. Ob er wohl gleich fühlte? Bloß, dass er mit niemandem darüber reden konnte? … Ihre Eltern spürten, dass etwas nicht mit ihr in Ordnung war … und sie konnte es ihnen einfach nicht verraten …

Plötzliche Trauer überkam sie erneut. Ein Ignorant und eine Lügnerin …

Sich selbst würde sie nicht helfen können – aber sie wollte Ray helfen. Noch immer.

Ob sie das Ganze verschlimmerte, wenn sie mit Radiant sprach? Aber … sie musste etwas tun!

Es war schon solange her, dass Maria ihr den Auftrag erteilt hatte – und was hatte sie bisher erreicht? Nichts. Sie war nur in Selbstmitleid zerflossen, hatte sich von ihrer Angst in die Enge treiben lassen! Dabei hätte sie daran denken sollen, dass sie ein Engel war. Und sie wollte ein Engel sein. Ein Schutzengel für Ray. Sie wollte ihn auf den richtigen Pfad bringen. Sie konnte nicht jedem helfen. Aber sie wollte zumindest versuchen, einer Person das Leben zu verschönern, die ihr etwas bedeutete.

… Und ab heute würde sie das tun, was sie schon längst hätte tun sollen.

Sie erhob sich, als Radiant sich zum Gehen umwandte. Dabei fiel ihr auf, dass Kim schon wieder nicht dabei war. Doch das ignorierte sie nun, um ihm hinterher zu eilen. Sie ließ die Kirchenbänke, auf denen noch immer ein paar betende Gläubige saßen, schnell hinter sich und hielt ihn vor der Tür auf.

„Herr Sonicson?“, erregte sie seine Aufmerksamkeit.

Er fuhr überrascht herum – und er wandelte seinen Ausdruck zu einem Lächeln um, als er sie erkannte. „Kyrie, guten Morgen“, begrüßte er sie.

Sie starrte ihn an. Er war so groß, riesig beinahe. Nicht so wie Ray, der vielleicht einen Kopf oder zwei größer war als sie … Radiant war ein Riese!

Sie versuchte, sich zusammenzureißen. Was genau wollte sie ihm eigentlich sagen? … Wie genau sollte sie das beginnen? Sie … sie konnte doch nicht einfach so …!

„Kann ich dir irgendwie helfen?“, hakte er nach. Dabei warf er kurz einen Blick auf seine Armbanduhr.

Also hatte er keine Zeit. Sie musste sich beeilen, sich konzentrieren! „A- Also …“, startete sie verlegen, „Ich … möchte Sie nicht lange aufhalten“, begann sie. Ihr Herz pumpte viel zu schnell. Sie wollte nicht zu neugierig wirken. Aber sie musste doch etwas tun!

„Ja?“, half er ihr auf die Sprünge.

„Aber mir ist aufgefallen, dass Sie sehr oft mit meinem Vater sprechen …“, brachte sie ungeschickt hervor.

Die Antwort war ein überraschtes Hochzucken der Augenbrauen. „Und weiter?“

„… Lastet Ihnen etwas schwer auf dem Herzen?“, wollte sie besorgt wissen.

Ein liebevolles Lächeln beschlich seine Lippen. Es erinnerte sie an Rays Lächeln. „Willst du in die Fußstapfen deines Vaters treten?“, wollte er wissen, „Das ist schön – aber nein. Mir geht es eigentlich sehr gut.“

Jetzt fühlte sie sich blöd, was sich durch die Röte auf ihren Wangen auch zeigte. „Oh …“

„Wir reden hier eigentlich mehr über geschäftliche Angelegenheiten“, klarte er sie auf, „Meine Firma spendet der Kirche immer etwas Geld, sodass sie ausbauen können und auch in anderen Dörfern bessere Dienste leisten können“, erklärte er ihr, „Und das bespreche ich täglich mit einem der Prediger, sodass ich weiß, dass das Geld auch sicher angelegt ist.“

Kyries Augen weiteten sich. „Oh“, machte sie, „Sie … haben eine Firma?“

„Ray hat dir das nicht erzählt?“ Er schüttelte den Kopf. „Was soll ich mit dem Jungen nur anfangen …?“

„Ähm“, mischte sie sich ein, „Er … braucht bestimmt nur Zeit.“

Ein unbeeindruckter Blick traf sie. „Das bezweifle ich. Frag ihn einfach nach der Woche mit Kylie.“ Er seufzte. „Dann weißt du, was ich meine.“

… Was … wollte er ihr damit sagen? Was hatte Ray gemacht?

„Jedenfalls bin ich Betreiber der Stromversorgung der Stadt“, fuhr er mit seiner Rede fort, „Und entsprechend spenden wir das überschüssige Geld. Wir investieren zum Beispiel auch in die Medizin“, meinte Radiant, „Da habe ich zumindest eine Sache mit meinem Sohn gemeinsam.“

In die Medizin … eine Firma … Moment. Diese riesige Firma gehörte Rays Vater?! Als Maria ihr von einer Firma erzählt hatte, hatte sie sich mehr einen kleinen Paketdienst vorgestellt, als dieses … Imperium! Und noch dazu wollte seine Frau das Geld nicht annehmen. Also … investierte er in die Medizin, um ihr auf diese Weise zu helfen.

Respekt für diesen Mann erfüllte ihr Herz. Er hatte so viel erlitten, so viel durchgemacht … und dennoch stand er so aufrecht da, dachte an seine Mitmenschen und half, wo er nur konnte. … Ein wahrer Engel …

Wie konnte Ray so etwas nur übersehen? Ignorieren? Das war doch … Sie musste mit ihm sprechen. Wenn sie es schon zuvor tun hatte müssen, dann musste sie es jetzt ganz dringend.

Entschlossenheit durchfuhr sie. Sie musste Ray den Radiant zeigen, den sie heute kennen gelernt hatte!

„Ja … Sie haben wohl beide dasselbe Ziel“, kombinierte Kyrie, „Ich … finde das großartig!“

„Danke sehr“, reagierte er ehrlich, „Wenn andere Leute das nur auch sehen könnten.“

„Ich …“, begann sie zögerlich, „Ich … werde mit Ray reden. Morgen.“

„Apropos, heute wäre er eh in der Südstadt gewesen“, warf Radiant nachdenklich ein, „Aber vermutlich hat er sich bereits aus dem Staub gemacht.“

„Hat er Kylie zum Zug gebracht?“, wollte sie wissen.

„Genau.“ Er warf einen weiteren Blick auf seine Uhr. „Aber ich muss mich jetzt leider verabschieden“, entgegnete er, „Du könntest aber ruhig einmal bei uns vorbeikommen, nachdem ihr Ray jetzt so gut aufgenommen habt.“ Er lächelte.

„Ich … denke darüber nach!“, sagte sie schnell, dann wank sie ihm zu. „Und danke für das Gespräch.“

„Ich hoffe, ich konnte helfen.“ Und damit verschwand er durch die große Tür.

Sie wandte sich um und stellte erleichtert fest, dass ihr Vater nur noch zwei Leute zu betreuen hatte.

… Und dann würde die letzte Einheit starten. Dann … würde sie Thierry ein letztes Mal gequält haben. Und er konnte endlich alles vergessen …

Nervosität beschlich sie. Hoffentlich bekam sie es hin. … Sie wusste immernoch nicht so recht, wie sie das Blenden hervorrief, aber … es hatte funktioniert. Also … musste es weiterhin funktionieren, oder?

Sie verkrampfte die Hände. Es musste klappen …
 


 

Ray saß auf einer Bank vor der Kirche. Von hier aus konnte er sowohl das Auto der Kingstons, als auch das seines Vaters beobachten – und er sah, wer die Kirche verließ. Doch er hoffte, selbst nicht so leicht gesehen zu werden. Sonst würde sein Vater womöglich noch mit ihm sprechen wollen – und darauf hatte er jetzt erst recht keine Lust.

Die Einzige, mit der er reden wollte, war Kyrie.

Falls sie Zeit hatte. … Hoffentlich hatte sie Zeit. Es war Sonntag. Die Kirche war aus. Weshalb sollte sie keine Zeit haben?

Sein Vater stand in Tür. Ray wollte sich gerade wegducken, als ihm die kleine Gestalt hinter dem hünenhaften Mann – der selbst Ray überragte – ins Auge fiel. Kyrie. Sie sagte etwas. Zu seinem Vater. Warum sprach sein Vater mit ihr?

Unzufriedenheit stieg in ihm auf. Was hatte er zu ihr gesagt? Hatte er ihn angeschwärzt? Ihr erzählt, was für ein ignoranter Sohn er war? Sie damit voll gejammert, wie schlimm er war? Aber … das würde Kyrie doch einfach so hinnehmen, oder?

Er beobachtete Radiant dabei, wie er die Tür schloss und zum Auto schlenderte. Er schien nachdenklich zu sein. Was ihn wohl so zum Nachdenken brachte?

Doch als der Mann ins Auto stieg und wegfuhr, strich Ray ihn aus seinen Gedanken. Er hatte weder in seinen Gedanken noch in seinem Leben etwas zu suchen. Also sollte er auch draußen bleiben.

Er lehnte sich derweil etwas zurück und beobachtete die Umgebung. Hier fuhren recht viele Autos vorbei, was wohl am Bahnhof lag. Aber keiner kam vorbei, den er kannte. … Er hatte auch nur Ted als Bekannten hier, der ein Auto besaß. Und der war bekanntlich nicht da. Ob es ihm gut ging? Hoffentlich entspannte er sich.

Die Tür öffnete und schloss sich zweimal schnell hintereinander und Leute kamen heraus. Irgendwelche erschüttert aussehende Leute, die hier waren, um sich Gottes Segen zu holen. … Wie konnten sie nur nicht einsehen, dass Gott ihnen nicht helfen würde? Dass Beten nichts brachte? Sie mussten selbst etwas gegen ihre Misere unternehmen. Wenn sie es nicht taten, tat es niemand.

John trat durch die Tür, woraufhin sich Ray sofort erhob. Seine Tochter erschien direkt hinter ihm. Die beiden schwiegen sich an.

… Sollte er sich jetzt zeigen?

Er wurde schlagartig nervös. Was würde Kyrie sagen, wenn er hier einfach aufkreuzte? Ob sie sich dann verfolgt fühlte? Oder … ob sie sich freute.

Er sah ihnen dabei nach, wie sie in Richtung des kleinen, schwarzen Autos gingen, welches mittlerweile das einzige Fahrzeug war, das noch hier stand.

„Kyrie“, brachte er hervor.

Sofort schaute sie auf und blickte in seine Richtung. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung. Aber danach zögerte sie keine Sekunde mehr, um zu ihm zu laufen.

„Ray!“, rief sie laut aus und mit enormer Geschwindigkeit stand sie plötzlich bei ihm – und umarmte ihn. Sofort legte er seine Arme um sie.

„Hey, lange nicht mehr gesehen“, begrüßte er sie.

Sie schaute zu ihm auf und lächelte. „Ja! Hast du Kylie hergebracht? Bist du dann extra gekommen?“

Er nickte. „Es war ja kein Umweg.“

Ihr Lächeln wurde breiter.

„Hallo, Ray“, begrüßte ihn John, der plötzlich neben Kyrie stand. … Wenn er Kyrie ansah, blendete er die Umwelt aus. Er musste dringend etwas dagegen unternehmen.

„Guten Morgen, John.“ Ray lächelte den Mann an.

Der wandte sich aber sofort zu Kyrie. „Du musst los“, erinnerte er sie.

„Oh, dann komme ich wohl ungelegen“, erkannte Ray. Schlagartig erschauderte er. … Sie hatte tatsächlich keine Zeit. Er hatte umsonst gehofft … Aber zumindest hatte er sie gesehen … Sie umarmen können.

Kyrie starrte ihn geschockt an. Der Zwiespalt ihrer Gedanken war auf ihrem Gesicht merklich zu sehen. Sollte sie bei Ray bleiben oder … was-auch-immer tun …

Einerseits machte ihn die Entscheidung, die er ihr auferlegt hatte, nervös, aber andererseits freute er sich insgeheim darüber. Immerhin bedeutete das … dass Kyrie wirklich mit dem Gedanken spielte, das andere seinetwegen abzusagen! Hoffnung keimte wieder in ihm auf.

Als ein betrübter Ausdruck ihre so verzweifelte Miene ersetzte, tat ihm seine Freude sofort leid. … Er hatte sie wirklich vor einen Zwiespalt gestellt. Und sie würde sich gegen ihn entscheiden … Aber wer hätte sich in dem Fall nicht gegen ihn entschieden?

Wenn sie Pflichten hatte, musste sie diese erfüllen.

„Dann … reden wir morgen weiter“, schlug Ray sofort vor, bevor Kyrie zu Wort kam, „Ich habe dich gesehen, weiß, dass es dir gut geht …“ Er setzte ein schiefes Grinsen auf. „Und den Kuchen habe ich sowieso nicht dabei!“

„Du hast den Kuchen aufbewahrt?“, stieß seine Freundin überrascht hervor.

„Natürlich!“ Er tätschelte ihre Kappe. „Versprochen ist versprochen.“

Sie lächelte dankbar. „Ja, wir sehen uns morgen …“ Sie drückte ihn noch einmal fest. „Und tut mir leid, dass ich dich schon wieder versetze.“

„Keine Panik, mir fällt schon was anderes ein“, beruhigte er sie, „Die Stadt ist groß und der Tag lang.“

„Na gut …“ Sie ließ ihn los, wobei ihr Widerwille zu spüren war. … Was ihn freute. Sein Herz höher schlagen ließ. … Sie mussten morgen dringend unter vier Augen miteinander sprechen.

Aus Reflex nahm er noch ihre Hand und lächelte sie an. „Viel Spaß heute noch.“

Sie starrte die Hand an. Und ein Zittern durchfuhr sie. … Vielleicht hatte sie ja einen Zahnarzttermin. Dann wäre es tatsächlich kein Spaß. „Du packst das“, beruhigte er sie noch, „Erzähl mir morgen darüber.“

„Danke!“ Sofort ließ sie seine Hand los und wandte sich um. … Die Röte, die ihr Gesicht überkommen war, konnte sie aber nicht verbergen. Er lächelte stumm in sich hinein. „Bye, bis morgen!“

„Kommst du dann ab morgen wieder bei uns zum Essen?“, fragte John ihn, der die ganze Zeit wohl unbeteiligt daneben gestanden hatte. Er sah Ray zwar nicht feindselig an, aber durchaus unzufrieden.

Er nickte. „Wenn ihr nichts dagegen habt, dann würde ich gerne kommen.“

„Natürlich, du bist herzlich eingeladen.“ Der Mann lächelte. Die Unzufriedenheit verschwand aus seiner Miene. Aber in seinen Augen … blitzte sie noch immer vor sich hin.

Ray lächelte zurück. Ernsthaft fröhlich.

„Dann … tschau.“ Und Kyrie lächelte. Und das Lächeln brannte sich in sein Gedächtnis.
 


 

Während der gesamten Fahrt, hatte sie sich zusammenreißen müssen, um keinen Anfall zu bekommen. Sie hatte sich einfach im Sitz festgekrallt und gehofft, dass ihr Herzschlag sich irgendwann wieder von selbst beruhigen würde. Aber … das hatte er nicht. Und als sie zuhause vor dem Spiegel stand, erkannte sie, dass ihr Gesicht immernoch viel zu warm und rot war. … Und es war kein Fieber.

… Aber sie sollte dieses Gefühl noch genießen. Zumindest für eine Weile. Dann würde wieder die Angst zurückkommen …

Kyrie seufzte.

… Aber nur noch heute. Nur noch heute brauchte sie sich so zu quälen … Dann … war sie frei … Theoretisch.

Sie stand im Badezimmer und kämmte sich das Haar, welches unter einer Mütze immer unerträglich aussah. Hoffentlich hatte ihr Vater nichts bemerkt. Hoffentlich hatte er ihren Herzschlag nicht gehört. Hoffentlich hatte er sich keine Gedanken gemacht! Wie viele Gerüchte über sie und ihre Beziehungen ihre Eltern sich wohl schon zusammendichteten? Mit wem sie wohl schon was gemacht hatte, ohne es ihnen zu verraten?

Die Gedanken an den Fast-Kuss kamen zurück und damit war sie vollkommen verloren. Sie … sie konnte doch nicht … mit Ray … Plötzlich hatte sie Bilder von ihm und ihr, Hand in Hand in der Einkaufsstraße … Ein richtiger Kuss im Café … Wenn sie zusammen hingingen und sich glücklich anlächelten …

„Nein, nein, nein!“, schalt sie sich selbst und schüttelte heftig den Kopf. Nein. Das durfte nicht sein! Durfte nicht … Ray anzulügen, war eine Sache! Ray vorzugaukeln, ihm komplett zu vertrauen, eine komplett andere! Sie …

Plötzlich wurde die Badezimmertür einen Spalt geöffnet – und ehe sie sich umwenden hätte können, erkannte sie ein goldenes Schwert, das auf sie zufuhr. Und sie konnte nichts anderes tun, als zu starren.

Schwert.

Ein Schauer lief ihr über den Rücken, Eiseskälte umgab sie. Wehrlos. Machtlos. Hilflos … Nathan … Thierry … Jeff hatte sie gefunden. Sein Schwert. Es sauste auf sie herab. Ihr Henker. Und nachdem er sie niedermetzelte, würde er auf ihre Eltern losgehen. Auf alle, die ihre wahre Art kannten. Ray … Er würde …

Erst, als sie sich zitternd am Boden wieder fand, erkannte sie, dass das Schwert steif in der Luft hing. Ihre Chance!

Sie öffnete panisch die Badezimmertür, setzte zum Sprint nach unten an, um ihre Eltern zu warnen – fand jedoch einen völlig verängstigten Thierry vor sich, der sich mit einer Hand den Kopf hielt, mit der anderen das Schwert, völlig versteinert vor Angst.

Kyries Panikschub ging vorüber, als sie erkannte, dass er den Überraschungsangriff geübt hatte … und … und dass sie es geschafft hatte! Die Euphorie überkam sie, erst dann bemerkte sie, dass sie einen Kratzer am Handrücken hatte. Er hatte sie mit dem Schwert getroffen. Doch ihre Angst hatte sie … so unter Kontrolle, dass sie das gar nicht wahrgenommen hatte. Andererseits … hatte sie allerdings auch Thi gelähmt!

Sofort umarmte sie den Engel, dessen Flügel noch immer ausgestreckt waren. „Danke, Thi, danke …“ Sie hatte die Angst davor verloren, dass Thi ihr mit dem Schwert etwas antun könnte. Sie … vertraute ihm. Sie würde mit ihm durch den Himmel ziehen können, ohne Probleme, ohne Zögern.

Langsam löste er sich aus der Starre. Er zitterte. Aber sein Schwert ließ er sogleich verschwinden und umarmte auch sie. „Wir … wir haben es geschafft“, brachte er erstickt hervor, „Wir … sind durch …“

Sie drückte ihn fester. „Wir sind erlöst!“

Er nickte. „Ich bin erlöst …“ Erleichterung sprach aus seiner Stimme. „Völlig … frei …“

„Danke für alles …“, erklärte sie, „Ich schulde dir so viel …“

„Hoffentlich nützt es auch etwas …“, meinte er, „Ich hoffe, du kannst wieder in den Himmel.“

Sie ersparte sich eine Antwort, weil in dem Moment ihr Telefon zu läuten begann. „Einen Moment, bitte!“ Es war ihre Mutter. Was wohl los war? Sonst rief sie doch nie an … Sofort ging sie ran – innerlich dankbar für den unerwarteten Anruf.

„Unten ist niemand rangegangen“, begann ihre Mutter, „Ich wollte nur sagen, dass ich euch heute Mittagessen mitbringe.“

„Ja, danke! Bringst du für Thierry bitte auch etwas zu essen mit?“, fragte sie.

„Danke für die Einladung, Kyrie“, sagte ihr Engelsfreund sofort, „Aber ich habe ehrlich genug von der Erde. Komm mit mir in den Himmel, dann …“

Sie schüttelte entschlossen den Kopf. „Nein, heute nicht.“

„Aber ich …“, fuhr er fort.

Sie unterbrach ihn aber kopfschüttelnd. „Nein, heute muss ich hier bleiben.“ Sie würde den Himmel betreten. … Mittwochs. Wenn Nathan sie abholte.

„Na gut … Aber … ich gehe los …“, meinte er, „Also … bis Mittwoch dann, oder?“

„Du brauchst für ihn doch nichts mitzunehmen“, wandte sich Kyrie wieder an ihre Mutter, „Bye.“ Und damit legte sie auf. „Ich danke dir trotzdem. Aber ich muss mich hinlegen.“ Sie lächelte ihn an.

„Na gut, ruh dich aus. Und … tut mir leid wegen den Verletzungen.“ Er sah wirklich schuldbewusst aus.

„Mir tut es noch weitaus mehr leid“, versicherte sie ihm ernst, „Alles.“

„Freunde.“ Er hielt ihr die Hand hin.

Sie nickte. „Freunde.“

„Ich komme heute alleine zurück. … Das Praktische beim Blenden ist, dass es nur so kurz andauert.“ Er lächelte. „Ich hoffe, dass die Todsünden mich bald behandeln“, murmelte er dann.

„Ich auch“, bestätigte sie, „Ich auch …“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Vielen Dank fürs Lesen <3
Ich hoffe, es gefällt und gefiel <3

Liebe Grüße
Bibi Komplett anzeigen

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