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Federschwingen

von

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John fuhr mit dem Auto in den Parkplatz ein. Er stellte den Wagen so ab, dass er sofort wieder wegfahren konnte. Als er einen Blick zur Mauer wagte, erkannte er, dass Kyrie schon wieder mit diesem Ray unterwegs war.

Sein Misstrauen gegenüber Ray war abgeklungen – vielleicht war er doch ein recht ordentlicher Mann. Er schien zumindest ziemlich klug zu sein, auch wenn er die Kirche regelrecht mied. Aber man konnte Menschen nicht zum Glauben zwingen. Wenn dieser junge Mann schon glaubte, seine Erlösung in Politik, Medizin und Recht zu finden, so sollte man ihn lassen. Irgendwann würde er seinen Kalkulationsfehler sowieso einsehen.

Kyrie erhob sich und winkte dem Jungen zu. Dann schritt sie gemächlich zum Auto.

Sie wirkte leicht zerstreut, aber irgendwie auch glücklich. Und viel munterer als gestern. Gestern hatte sich John schon fast Sorgen um seine Tochter gemacht – nun, das war wohl, weil sie gestern Nacht nicht im Himmel gewesen war. Seit einigen Tagen blieb sie über Nacht im Himmel, kam vom Himmel aus zur Universität und musste nur danach wieder abgeholt werden. Aber diese Vernachlässigung von Schlaf kam ihm suspekt vor – genauso ging es auch Magdalena, auch wenn diese immer irgendetwas von Geheimnissen faselte, welche Frauen nun einmal besitzen müssten.

Die Türe öffnete sich. Kyrie setzte sich und begrüßte sie sogleich: „Guten Tag, Papa, guten Tag, Mama!“ Sie lächelte.

John antwortete, während er den Gang einlegte und los fuhr. „Hallo. Wie war dein Tag?“ Auch Magdalena ließ ihr eine Begrüßung zukommen.

„Schön“, antwortete sie knapp.

Gerade, als John etwas einwerfen wollte, fügte sie aber aufgeregt hinzu: „Ihr wisst ja, dass die Sieben Sünden in der Stadt sind, oder?“

„In der größten Bruchbude, die es in dieser Stadt gibt. Und in dieser Stadt gibt es wenige Bruchbuden. Es wundert mich, dass sie überhaupt eine gefunden haben“, murrte John missbilligend, „Diese Sänger verdienen Besseres.“ Die Sieben Sünden hatten zwar eine etwas eigene Interpretation der Heiligen Schriften und dergleichen, aber es war durchaus eine zulässige und vor allem eine gute. Am besten gefiel ihm die Melodie bei den verschiedenen Stücken. Es war rockig – auch wenn einige Balladen darunter waren. Sehr abwechslungsreich und sehr gut zu empfehlen!

„Ich gehe da hin!“, rief sie erfreut aus. Zwar gut zu empfehlen, aber nicht für Live-Auftritte! Und schon gar nicht für seine Tochter!

John und Magdalena hielten beide gleichzeitig schockiert den Atem an. John unterdrückte den Drang, sofort empört auf die Bremse zu drücken.

„Das ist ja toll! Mit wem denn? Wann denn? Das wird bestimmt ein extravagantes Erlebnis“, rief seine Frau aufgeregt, während John im selben Moment skeptisch wissen wollte: „Was? Wieso? Wie kommt das? Das musst du mir erklären!“

Kyrie kicherte kurz. „Alles mit der Ruhe“, wies sie ihre Eltern an.

John lächelte Magdalena kurz zu, welche ihm dieselbe Geste erwies. „Hinkst du dadurch auch mit dem Lernen nicht hinterher? Das ist nachts. Was wird Nathan dazu sagen?“, gab ihr Vater weiterhin zu bedenken, „Auch wenn die Band toll ist – du darfst deine Pflichten nicht vernachlässigen! Und wenn du dich nicht ausruhst, wirst du am Sonntag auch nicht zur Kirche gehen können!“

„John“, fuhr Magdalena ihn an, „Beherrsche dich! Kyrie ist wohl alt genug, um das selbst entscheiden zu können!“

„Sie hat noch nicht einmal einen Führerschein! Ich bringe sie bestimmt nicht in den Ostblock! Da kann ich sie gleich zum Henker bringen“, maulte er zurück. Er hielt den Blick auf die Straße gerichtet. Mussten sie so etwas eigentlich immer besprechen, während er fuhr?

Von hinten ertönte ein entnervtes Seufzen. „Macht euch keine Sorgen“, startete Kyrie einen Versuch, sie zu beruhigen, „Ray und seine Freunde holen mich zuhause ab und- …“

„Du hast ihnen unsere Adresse verraten?“, schloss er genervt daraus, „Woher weißt du, dass es keine Diebe sind?“

„Schon einmal etwas von Vertrauen gehört, Herr Pfarrer?“, wollte Kyrie ruhig von ihm wissen – äußerlich ruhig, wohl gemerkt. Diese Stimmung hatte sie von ihrer Mutter. Wenn sie innerlich explodieren wollte, sich aber zurück hielt und ruhig und stur Gegenfragen stellte. Störrisch.

„Es ist mir zu Ohren gekommen“, murmelte er trocken, „Wenn du unbedingt gehen musst, dann gehe eben“, gab er sichtlich unzufrieden sich geschlagen. Er wusste sowieso, dass er keine Chance haben würde. Wenn er nicht sofort aufgegeben hätte, hätte sich Magdalena eingemischt. Wenn sich seine Frau einmischte, musste er unterliegen – das schien ein Naturgesetz zu sein. Aber … dennoch. Es konnte viel passieren. Und was für Leute sich im Ostblock herumtrieben! Vor allem dort. Einige Male hatte er bereits zur Kirche dort gehen müssen – dieser Ort war einer der besseren, gepflegten Plätze. Kein schöner Anblick.

„Aber die Kosten übernimmst du selbst“, versuchte John doch noch einen Kompromiss zu erzielen.

Kyries Blick fühlte sich an, als wollte sie ihn damit erstechen. Aber sie sagte nichts mehr darauf.

Stattdessen hörte er eiliges Tippen auf ihrem Handy.

Die Jugend von heute!

Und von der Seite kam Magdalenas stummer, tötender Blick hinzu. Wenn Blicke töten könnten … Gott bewahre.
 

Ja! Samstag, 16 Uhr bei Kyries Haus. Sie würden sie abholen! Er hatte es geschafft! Er hatte sie endlich einladen können! Sie würden in ihrer Freizeit zusammen etwas unternehmen!

Hoffentlich war das Konzert kein totaler Reinfall.

Hoffentlich würden sich Ken und Mark beherrschen. Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Und was war mit Kens imaginärer Freundin? … Es gab durchaus sehr viel Potenzial, dass alles schief gehen konnte, dass Kyrie sich dachte, er sei verrückt und dass sie nie mehr wieder etwas mit ihm unternehmen wollte! Aber … sie … Nein. Sie würde so nicht denken. Sie war ihm bereits einmal abhanden gekommen – und sie war zurückgekehrt. Und das würde sich so nur wiederholen!

Er war bereits am Nachhauseweg. Er würde lernen, sodass er die Prüfung heute Abend mit Bravour bestehen würde – immerhin hatte er jetzt Motivation! Er musste nicht mit einer großen Unbekannten beim Konzert auftauchen, sondern mit Kyrie!

Er zog sein Handy heraus und schrieb: „Ken! Ich habe die fünfte Karte jemandem gegeben. Holt Mark uns alle ab?“

Es dauerte nicht lange, ehe er eine Antwort erhielt. „Ah, das ist gut! Das Geld für die Karten gebt ihr mir dann! … Was für ein Mensch hat am Samstag drei Tage vorher noch nichts vor? Egal! Hauptsache noch jemand, mit dem man etwas anfangen kann! Klar – jeder wird abgeholt. Erst holt Mark mich und meine Freundin ab, dann kommen wir zu dir – außer dein Kumpel wohnt näher dran.“

Schön, dass sich Ken so darüber freuen konnte. Dann würde er zumindest sein Geld sehen.

Ray schüttelte kaum merklich den Kopf und beantwortete die Nachricht sogleich: „Gut, danke, Ken! Nein, die Route passt – erst zu mir, dann zur geheimnisvollen Person Nummer fünf!“ Wenn er schon nicht fragte, um wen es sich bei Kyrie handelte, dann brauchte Ray es ihm nicht auf die Nase zu binden. Damit würde er sich einfach am Samstag auseinander setzen. Gerüchte würden sowieso unweigerlich sein – Mark war immerhin anwesend – und … Vielleicht würde sich Kyrie auch mit diesen beiden Chaoten anfreunden. Dann konnten sie öfter zusammen irgendwohin gehen. Vielleicht hatte Ken ja eine Jahresration Konzertkarten zuhause lagern.

Als Antwort folgte nur noch ein schnelles „Okay“. Und die Konversation war beendet.

Gerade als Ray das Mobiltelefon wieder einstecken wollte, ging sein Nachrichtensignal ab.

Er holte es hervor und las: „Wie viel kostet eine Karte?“ Von Kyrie. Was sollte er ihr antworten?

Aber … Stimmt, das hatte er Ken noch fragen wollen. Er kopierte den Text, den Kyrie ihm geschickt hatte, und leitete ihn an Ken weiter.

„Du hast Fragen. 79 Aran. Und ich will alles in Bar zurück!“ 79 Aran … Das war schon ziemlich teuer. Günstig im Vergleich zu einem Zugticket, aber dennoch teuer!

„Danke“, schrieb er schnell zurück, ehe er wieder auf Kyries Nachricht ging.

„Nichts. Sie war ein Geschenk“, beantwortete er die Frage. … Teuer oder nicht … Er wollte nicht dafür haften, wenn das Konzert ein Reinfall war.

„Bist du dir sicher? Danke!“, erhielt er eine weitere Nachricht von ihr.

„Keine Ursache“, tippte er, dann steckte er das Handy, welches aber nochmals Laute von sich gab. Als er auf den Bildschirm sah, lächelte ihm ein Emoticon entgegen.

Sie war einfach toll.
 

„Ich glaubte, wir sollten wieder auf Tageseinheiten umstellen“, stellte Nathan fest, „Immerhin hast du deine Prüfungen endlich vorbei, oder?“

Kyrie wippte in der Luft hin und her. „Ich weiß nicht … Nachts ist es angenehm“, sagte sie zögernd, „Aber wenn du tagsüber mehr Zeit hast …“ Sie schaute ihn erwartungsvoll an.

Er wusste auch nicht so recht, was intelligenter war. Kyrie wirkte immer sehr nervös – egal, wo er sie absetzte. Vor der Uni, vor der Haustüre … Ob nachts oder morgens. Es machte keinen Unterschied. Diese Angst schien sie zu quälen – aber sie versteckte ihre Gefühle einfach. Sie kaschierte es mit einem Lächeln. Aber wenn sie den Schutz des Himmels verließen, brach ihre Barrikade und ihr Verhalten änderte sich merklich. Sie wirkte, als sei sie in die Enge getrieben worden.

Er hoffte aufrichtig, dass ein verbesserter Umgang mit dem Schwert ihr ihre Angst nehmen konnte. Wirklich. Sie verdiente es nicht, so leiden zu müssen.

„Nein … Mir ist es eigentlich egal“, gestand er, „Ich dachte nur, dass es besser für dich wäre, da du dann schlafen könntest.“

„Der Himmel ist besser als jeder Schlaf“, warf sie sofort ein, „Und dabei lerne ich auch mehr, als wenn ich schlafe.“ Sie wirkte überzeugt.

„Na gut“, gab er sich geschlagen.

„Aber am Samstag … Ich glaube, da geht sich gar keine Einheit aus“, sagte sie beiläufig.

„Ach ja? Weshalb nicht?“, wollte er von ihr wissen.

„Ich habe bis zwei Uhr Vorlesungen und ab vier Uhr bin ich weg. Aber ich weiß leider nicht, wie lange.“ Sie lächelte entschuldigend.

„Was machst du denn?“, fragte er interessiert.

„Ich gehe auf ein Konzert – von den Sieben Sünden. Die kennst du ja noch“, beantwortete sie die Frage lächelnd.

Er nickte verstehend. „Dann viel Spaß! Wenn das nächste Mal ein Konzert von ihnen ansteht, kannst du mich auch gerne einladen!“ Er lachte. Es würde kein nächstes Konzert der Sieben Sünden geben – sonst hätte es in den letzten fünf Jahren auch welche gegeben! Die Bands sparten sich solche Dinge immer jahrelang auf – das hatte er durchschaut. Aber er würde wohl sowieso keine Zeit haben. Acedias Pflichten, die Versuchung, sich einfach wieder unter die Jugend zu mischen und seine Aufgaben zu vergessen, Joshua zu vergessen … Oh ja – was alles einfacher sein könnte.

Sie schloss sich seinem Lachen an. „Werde ich“, versprach sie dann sofort.

„Macht es dich nicht nervös, unter so vielen Leuten zu sein und das ohne meinen Schutz?“, wollte er dann ernst wissen. Er wusste gar nicht, dass er so schnell auf Ernst umschalten konnte. Erstaunlich – aber ehrlich … Wenn sie schon auf dem Weg von den Hochhäusern zu ihren Zielen so verängstigt war … Und er begleitete sie nicht einmal komplett zur Uni – immerhin war sein Gesicht dort immer noch ziemlich präsent und einige verrückte Schwärmerinnen würden ihn wohl immer noch erkennen.

Aber wie würde es Kyrie alleine auf einem riesigen Konzert ergehen? Nathan war oft auf Konzerten gewesen. Es war laut, es war viel los und überall gab es Gedränge!

„Es ist nur ein kleines Konzert mit wenigen Menschen …“, murmelte Kyrie, „Und … ähm … Üben wir lieber weiter. Vielleicht habe ich dann weniger Angst.“ Sie lächelte ihn aufmunternd an.

Er nickte. „Dein Wunsch sei mir Befehl!“

Sofort hatte sie ihr Schwert gezückt.

Er konzentrierte sich darauf und sofort erschien seines – natürlich die kürzere Version. Als Fast-Todsünde hatte er ja ein riesiges Schwert, da er so viel Macht besaß. Aber wer gut mit seinen Kräften umgehen konnte, konnte sogar seine Waffe formen, wie er wollte – und diese Kunst hatte Nathan gemeistert!

Und was er auch gemeistert hatte, war, dass er Kyrie so ziemlich alles beigebracht hatte, was er wusste. Er konnte ihr kaum noch eine Technik zeigen, die sie nicht bereits durchgegangen waren, und er war auch nicht in der Lage, das Erscheinen ihres Schwertes zu beschleunigen.

Sie würden noch auf einen abgelegenen Fleck auf der Erde gehen können, um dort das schnelle Transformieren zu üben, aber mehr … Aber was sollte er dann machen?

Diese Trainingseinheiten erforderten wirklich viel Zeit von ihm. Und diese Zeit wurde Mal um Mal knapper … Heute war auch ein weiterer Hinweis zu Luxuria aufgetaucht. Dem sollte er auch noch umgehend nachgehen … Es war vermutlich also ganz gut, dass er den ganzen Samstag für sich hatte.

Kyrie stieß zu – sie war bereits relativ gut geworden, aber gegen Meister der Klinge wie Thi oder ihn hatte sie einfach keine Chance. Würde sie nie haben. Es fehlten ihr einfach Jahrhunderte an Übung und an Talent. Er konnte bloß hoffen, dass dieser Jeff und seine Komplizen Anfänger waren. Falls sie jemals an Kyrie herankommen sollten – was er unter allen Umständen verhindern wollte!

Realistisch betrachtet, fehlte ihm dafür aber die Zeit! Verflucht sei Xenon für seinen Auftrag, dafür, dass er Assistent war und dafür, dass der Himmel ihn wirklich brauchte! Nathan wollte ihm immer noch ins Gesicht schlagen, sobald er ihn sah, aber … Kyrie war immer noch dagegen. Würde wohl immer dagegen sein.

Sie war so gutmütig. Während ihres nächsten Schlages, den er genauso blockierte wie den ersten, stellte sie plötzlich eine Frage: „Nathan? Würdest … würdest du mit mir einmal in das Lichte Dorf kommen? In zwei Wochen. In den Ferien …“

… In das Lichte Dorf? Was wollte sie im Lichten Dorf? … Lichtes Dorf – stimmt. Da lebte ihre Großmutter Mirabelle. Sie hatte ihm früher, als er noch ein Kind gewesen war und mit Kyrie gespielt hatte, immer Süßigkeiten gegeben.

„Deine Großmutter besuchen?“, fragte er.

Sie nickte. Dann stellte sie das Angreifen ein und sah ihn flehend an. „Was sagst du dazu?“

Er zuckte mit den Schultern. „Wenn die Dame keinen Herzinfarkt bekommt, wenn sie mich sieht.“ Er grinste, als Kyrie betrübt dreinschaute. „Aber klar doch – wofür sind Freunde denn da?“

Und er strich einen weiteren Tag seines viel zu kurzen Lebens.

„Danke!“, rief sie fröhlich aus – und trotz dessen, dass beide ihre Schwerter hielten, umarmte sie ihn, ohne ihm eine Verletzung zuzufügen. Das wäre eine Taktik. Einfach jemanden zu umarmen und dabei aufzuspießen – er sollte sich wohl besser in Acht nehmen.

Außerdem wurde ihm eins klar: Für dieses Danke, diese Umarmung und dieses hocherfreute Lächeln war es ihm wert, noch achtzig mal dreihundertsechzig Tage aufzuwenden! Egal, wie sehr er dabei in Verzug kam.

„Wir sollten weiter üben“, stellte er fest, als er sie ebenfalls fest drückte.

Sie nickte. „Ja.“ Aber sie ließ ihn nicht los.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Danke fürs Lesen <3 Ich hoffe, es amüsiert noch ein wenig :3

Liebe Grüße
Geni Komplett anzeigen

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