Zum Inhalt der Seite

Eine ungleiche Freundschaft

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die zweite Aprilwoche war angerückt. Dies bedeutete für viele junge Leute in Shizume, dass ein großer Umbruch in ihrem Leben stattfand: Die Schule hatte erneut begonnen.

Vor dem Eingang einer Mittelschule stand ein zwölf Jahre alter, schwarzhaariger Junge mit Brille. Mit griesgrämigem Gesicht starrte er aus tiefblauen Augen die Fassade an. Entnervt schnalzte er mit der Zunge. Hier müsste er nun die 3 Jahre seiner Mittelschulzeit verbringen.

Als er sich in Bewegung setzte, weil es ja doch nichts half, hier vor dem Gebäude zu stehen, rempelte ihn plötzlich ein Junge von hinten um, und sie beide landeten in einem Wirrwarr aus Armen und Beinen auf dem Boden.

Der Junge mit dem schwarzen Haar rieb sich schmerzend den Hinterkopf. Dann vernahm er eine Stimme.

„Hey, tut mir wirklich -“

„Kannst du nicht aufpassen? Tche.“ Er rückte seine Brille zurecht, ehe er einen Blick zu dem Jungen warf, der ihn gerade auf den Boden befördert hatte.

Ein Knirps mit kastanienfarbenem Haar rieb sich die Schulter und starrte ihn feindselig aus rehbraunen Augen an. „Oi! Ich wollte mich bei dir gerade entschuldigen, blöder Idiot! Aber wenn du mir doof kommst, verpass ich dir lieber eine Abreibung!“ Er drohte dem Schwarzhaarigen mit der Faust.

Dieser schnalzte nur gelangweilt mit der Zunge und seufzte anschließend. „Du bist ziemlich anstrengend.“ Dann rappelte er sich auf, nahm seine Tasche und wandte sich zum Gehen.

Der Braunhaarige wurde daraufhin aber nur noch wütender und stellte sich ihm in den Weg. „Wenn du Ärger willst, kannst du ihn haben, musst nur bescheid sagen!“ Dann packte er ihn am Kragen und kam ihm gefährlich nahe. „Wie ist dein Name? Ich merk ihn mir, bis ich dich fertiggemacht habe!“

Unbeeindruckt anhand dieser Drohung blickte der Junge mit dem schwarzen Haar seinem Gegenüber ins Gesicht. „Fushimi. Und jetzt lass mich los, ich will nicht schon am ersten Tag zu spät kommen.“ Er wand sich aus dem Griff des Jungen und drängte ihn zur Seite.

Dieser rief ihm nach: „Dann vergiss auch du meinen Namen nicht, hörst du?! Merk ihn dir, weil bald die ganze Schule vor Yata Angst haben wird!“

„Werd erst einmal zwei Köpfe größer, bevor du dir die ganze Schule zum Feind machen willst. Mit deiner Größe weiß erst einmal niemand, wo diese nervige Stimme überhaupt herkommt.“

Fushimi warf einen kurzen, genervten Blick über seine Schulter, ehe er durch den Eingang verschwand.
 

Der Junge namens Yata stand mit bebenden Fäusten im Hof. Seine Größe – das war ein ziemlich wunder Punkt. Er würde es diesem Fushimi und dem Rest dieser Schule schon beweisen. In ihm steckte so einiges! Sich beweisen – das hatte er immer schon gemusst. Er legte sich gerne mit jedem um ihn herum an. Das war seine Art, um sein Selbstwertgefühl ein wenig zu stärken. Er hasste seine Größe, er hasste es, dass er so schüchtern war, sogar seinen Vornamen verabscheute er ... Das alles überspielte er in großem Stil.

Wenn man selbstbewusst auftritt, wird man vielleicht irgendwann auch selbstbewusst, dachte er sich.

Fushimi hingegen war überzeugt von sich selbst. Arroganz lag ihm zwar fern, aber er war souverän genug, um sich von diesem kleinen Kerl nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. Fushimi war intelligent, fähig – aber auch leider ziemlich schnell gelangweilt und sehr stur. Hatte er sich etwas in den Kopf gesetzt, wollte er sein Ziel um jeden Preis erreichen. Koste es, was es wolle.
 

Wenig später hatte er seinen Klassenraum gefunden und suchte sich einen freien Platz. Gelangweilt blickte er in die Runde, während er die linke Wange auf seiner Hand abstützte. Als sein Blick zur Tür fiel, war er erst überrascht, musste dann aber unwillkürlich zu schmunzeln anfangen.

Das wird sicherlich nicht ganz so langweilig, wie erwartet, dachte er sich.

Zur Tür kam mit hektischem Blick zu beiden Seiten der Junge herein, dem er soeben draußen begegnet war. Wie war sein Name noch gleich? Egal.

Als Yatas Blick sich mit seinem kreuzte, entkam ihm ein Laut der Überraschung. Sofort erlangte er aber seine Fassung wieder und grinste selbstgefällig, während er an seinen Tisch schritt.

Mit der Handfläche knallte er auf die Oberfläche. Er beugte sich tief nach unten.

„So sieht man sich wieder, Fushimi. Das wird bestimmt lustig.“

Fushimi hielt seinem Blick stand und erwiderte: „Für mich sicherlich mehr als für dich.“ Als Yata sich zum Gehen wandte, rief Fushimi ihm amüsiert hinterher: „Ach ja, dein Name war noch gleich?“

Grummelig stapfte Yata weiter, ohne sich umzudrehen. Er suchte sich einen Platz, von dem aus er diesen Idioten im Überblick hatte.
 

Leider kam nun ein Teil, den Yata hasste. Der Lehrer nahm die Namensliste und rief jeden einzelnen Schüler mit vollem Namen auf. Mit vollem Namen. Innerlich sackte Yata zusammen. Das war immer der schlimmste Augenblick. Es machte auch nicht gerade leichter, dass er ziemlich am Ende der Liste stand.

Irgendwie war er gespannt darauf, wie dieser Knilch hieß. Als der Lehrer bei F angekommen war, horchte Yata auf.

„Fushimi Saruhiko?“, fragte der Lehrer in die Runde.

Der Angesprochene schnalzte mit der Zunge und hob entnervt die Hand.

Saruhiko, hm? Das passt. Also ein blöder Affe, dachte sich Yata amüsiert.
 

Irgendwann kam leider das Unausweichliche. Als der Lehrer bei ihm angelangt war, schlug Yata das Herz bis zum Hals.

Lass es dieses Mal einfach schnell vorbei sein, bat er in Gedanken.

„Yata Misaki?“

Er seufzte, schloss die Augen und stand mit angespannten Gesichtszügen auf.

Wehe. Einer. Lacht.
 

Misaki. Er hasste seinen Namen. Warum hatte seine Mutter ihn so genannt? Nur Mädchen hießen so.

Mit zitternden Händen wartete Yata auf den Spott. Der Lehrer blickte verwundert zu ihm, sagte aber nichts.

Viele seiner Mitschüler kicherten, der Junge hinter ihm flüsterte sogar: „Misaki-chan, wie niedlich ...“

Als Yata gekränkt zu Fushimi blickte, sah ihn dieser an – aber ohne irgendwelchen Spott. Yata konnte natürlich nicht wissen, was Fushimi sich dachte.
 

Misaki? Ein hübscher Name.
 

Yata setzte sich wieder und seufzte schwer. Geschafft. Mal wieder! Nun begann immer Phase zwei: sich Respekt verschaffen. Das ging mit seinen Fäusten ganz gut. Lange lachte ihn nie jemand aus, denn irgendwann hieß es von jedem: „Yata-san!“

Fushimi beobachtete Yata von der Seite und bemerkte natürlich sofort dessen Zustand. Wie idiotisch diese ganzen Kinder um ihn herum waren. Sie lachten wegen eines Vornamens, wie lächerlich. Und dieser Yata war auch nicht besser, er nahm sich diesen Unsinn auch noch zu Herzen. Plötzlich bemerkte Fushimi, dass dieser störrische Junge scheinbar doch nicht so taff war, wie er vorgab.

Diese beiden gegensätzlichen Jungen hatte an jenem Tag das Schicksal miteinander verbunden. Nur wussten sie das natürlich noch nicht.
 

Die ersten Tage an einer neuen Schule sind immer die schlimmsten. Man versucht sich zurechtzufinden, lernt seine Lehrer kennen, sucht sich neue Freunde ...

Für Fushimi Saruhiko war Letzteres aber immer nicht von Belang. Er hatte stets nur Klassenkameraden, aber keine Freunde. Er nannte jeden, den er kennenlernte nur einen 'Bekannten', nie einen 'Vertrauten'. Irgendetwas fehlte ihm, aber so offensichtlich es auch wahr, er bemerkte es nicht.

Nachdem Yata Misaki die ersten Tage ordentlich Rabatz geschlagen hatte, bekam er seinen heiß geliebten Respekt. Oder war das eher Angst? Egal! Zumindest lachte ihn keiner mehr aus. Gerade war er dabei, in einer der Zwischenpausen den Jungen zu bedrohen, der hinter ihm saß und ihm am ersten Tag einen verächtlichen Kommentar zugeworfen hatte.

Fushimi bemerkte dies und beschloss, sich ein wenig einzumischen.

„Und wenn ich deine hässliche Visage noch mal dabei erwische, wie sie mich beleidigt, verpass ich ihr einen neuen Anstrich, hast du mich verstanden?!“, knurrte Yata ihm ins Gesicht, als er den mittlerweile wimmernden Jungen gegen die Wand drückte.

Fushimi seufzte und schüttelte den Kopf. „Musst du eigentlich immer gleich gewalttätig werden?“

Als Yata diese Stimme hinter sich vernahm, platzte ihm fast der Kragen. Der Kerl vor ihm war vergessen, der Kerl hinter ihm war das Einzige, an das er jetzt noch denken konnte. Er drehte sich zu Fushimi um und stapfte ihm entgegen. „Willst du auch eine Abreibung?!“ Er packte ihn am Kragen und funkelte aus bösartigen Augen nach oben.

Unbeirrt stand Fushimi mit verschränkten Armen da und wartete darauf, dass Yata seinen Griff lockerte. Als das nicht geschah, meinte er kurzerhand: „Warum glaubst du, dass die Meinung von diesen Idioten hier irgendwie wichtig wäre? Ich bitte dich – sie lachen wegen eines Namens. Das ist doch lächerlich. Die sind total uninteressant.“

Yata stockte der Atem. Verwirrte blinzelte er den Größeren an und fand keine Worte. Er erinnerte sich daran, dass dieser Fushimi so ziemlich der Einzige gewesen war, der keinerlei Spott von sich gegeben hatte. Nach ein paar Sekunden fasste er sich wieder und knurrte Fushimi mit zusammengebissenen Zähnen an. „Was weißt du denn schon? Ich bin es einfach leid, hörst du?!“ Am Ende dieses Satzes klang seine Stimme ziemlich brüchig.

Er ließ diesen schwarzhaarigen Jungen vor sich los und eilte schnellen Schrittes auf seinen Platz. Trotzig setzte er sich hin und blickte stur mit zusammengezogenen Augenbrauen auf die Tafel.

Der Junge, den Yata zuvor bedroht hatte, bedankte sich bei Fushimi, doch dieser ignorierte das und konnte den Blick von Yata nicht abwenden. Irgendwie war er … interessant.
 

Die nächsten Wochen vergingen. Beide Jungen lebten sich auf ihre eigene Art ein. Scheinbar hatte Yata sich Fushimis Worte ein bisschen zu Herzen genommen, denn das Auftreten seinen Klassenkameraden gegenüber wirkte ein wenig sanfter. Dass er ziemlich gut in Sport war und in der Baseball-AG eine tolle Figur machte, war auch nicht weiter verwunderlich für so einen agilen Jungen. Zunehmend fühlte er sich an dieser Schule, sogar in seiner Klasse, ziemlich wohl.

Fushimi fiel auf, dass Yata ihm seit jenem Tag aus dem Weg ging und ihn mied wie der Teufel das Weihwasser. Der Schwarzhaarige machte sich schon fast einen Spaß daraus, ihn ein wenig zu verfolgen, nur um Yata schnell davoneilen zu sehen. Er und sämtliche Mädchen in der Klasse waren die Einzigen, mit denen Yata kein Wort wechselte.

Eines Tages saß Yata allein in der Mensa und starrte gedankenverloren vor sich her. Fushimi lächelte kurz in sich hinein und trat von hinten an ihn heran. „Ist der Platz noch frei?“

„Hm? Ja klar, ist er -“ Zuerst hatte Yata nicht bemerkt, wem er da antwortete, aber als er seinen Kopf hob und diesen blöden Affen erblickte, war er aufs Äußerste schockiert. „Ist besetzt!“, presste er gerade noch hervor.

Fushimi beachtete dies nicht und setzte sich einfach neben ihn. Weitere Aufmerksamkeit brachte er Yata dann aber nicht entgegen.

Dieser hingegen starrte entsetzt zu seiner Linken. Was fiel diesem blöden Kerl eigentlich ein? „Bist du ein Stalker oder was?“, nuschelte er Fushimi entgegen.

Dieser drehte den Kopf und blickte zuerst zu Yata, dann auf dessen Tablett. Danach deutete er auf die unberührte Milchpackung. „Warum lässt du sie eigentlich jeden Tag stehen? So wächst du sicher nicht.“

Dieser Kommentar kam so trocken, dass Yata nicht mal böse sein konnte. „Ich mag … Milch halt nicht. So einfach ist das.“ Verlegen senkte er den Blick.

„Dann tauschen wir?“ Mit den Stäbchen legte er seine Beilagen auf Yatas Teller und nahm die Milchpackung.

Yata wurde immer nervöser und brummelte: „Du bist echt seltsam, Fushimi.“

„Nenn mich Saruhiko.“

„OK, aber du nennst mich gefälligst Yata-san, verstanden?!“ Trotzig starrte er den Jungen neben sich an.

Dieser seufzte und starrte an die Decke der Mensa. „Ganz sicher nicht, Misaki.“

Yata sprang auf und rief: „HEY! Ich -“, dann hielt er erstaunt inne. Dieser Kerl da neben ihm ... Er lachte „Findest du das echt lustig, du blöder Affe?!“

„Eher lächerlich!“, meinte dieser kurz angebunden. Dann stand er auf. „Du solltest dir angewöhnen, nicht so leicht aus der Haut zu fahren, Misaki.“ Mit diesen Worten schnipste er dem kleineren Jungen gegen die Stirn, sodass ihn dieser verdattert ansah. Im Gehen blickte Fushimi noch ein letztes Mal über die Schulter und meinte lapidar: „Und übrigens ist das ein sehr schöner Name. Kein Grund, sich dafür zu schämen.“

Yata wurde rot und setzte sich stillschweigend. Dieser Fushimi...nein. Saruhiko... war wirklich ein blöder Affe.
 

Es war Anfang Juli, also kurz vor den Sommerferien. Seit dem Gespräch in der Mensa hatte Fushimi Yata keine weitere Beachtung geschenkt. Dennoch beäugte der Braunhaarige diesen seltsamen Einzelgänger immer skeptisch. Weder sprach er mehr als nötig mit seinen Klassenkameraden, noch beteiligte er sich richtig am Unterricht. Er besuchte auch keine der AG's. Er wirkte aber nicht einsam, er hatte sich diese Isolation scheinbar ausgesucht. Mit seiner unnahbaren Art vergraulte er von Anfang an jeden, der sich ihm nähern wollte.

Eigentlich konnte Yata solche Typen nicht ausstehen. Wer war denn schon gerne allein?

Egal was er selbst tat, er passte einfach nicht in die Gruppe. Er war kein direkter Außenseiter, aber gehörte auch nicht wirklich dazu. Nicht ernsthaft. Zumindest empfand er das so.

„Hey Yata! Wird das heute, noch was mit dem Schlagen, oder meditierst du lieber über dem Ball?“

Yata war gerade in seiner AG beschäftigt und hatte sein Umfeld völlig gedankenversunken ausgeblendet. Er schickte sich an, weiterzuspielen. „Tche! Ich knall ihn dir so um die Ohren, dass du dir vor Angst in die Hose pinkelst!“ Mit einem überheblichen Grinsen schwang er demonstrativ den Schläger.

Da er trotz seiner geringen Größe ziemlich kräftig war, zweifelte niemand an seinem Vorhaben.

In einiger Entfernung hatte Fushimi seine Schultasche in die Wiese unter einen Baum geworfen und benutzte sie nun als Kissen. Er döste ein wenig und genoss die Ruhe. Diese wurde eigentlich nur hin und wieder unterbrochen, wenn die Teilnehmer der Baseball-AG auf dem nahe gelegenen Platz in Jubel ausbrachen. Meist passierte das in dem Team, in welchem Yata spielte.

„So verdammt laut ...“, grummelte Fushimi, als er aus seinem Halbschlaf gerissen wurde. Er öffnete ein Auge und blickte in Richtung Feld. Kurze Zeit später hörte er die Spieler, die über die Wiese in seine Richtung gingen und herumalberten.

Unter ihnen war auch Yata. Er raufte sich gerade zum Spaß mit einem seiner Mitspieler. Als er und die Gruppe an dem Baum vorbeigingen, fiel Yatas Blick auf Fushimi, der absichtlich in eine andere Richtung sah.

„Geht schon mal vor, ich hab noch was zu erledigen“, murmelte er zu seinen Mitspielern, ehe Yata sich aus der Gruppe löste und aus sicherer Entfernung zu Fushimi hinüber blickte. Der schwarzhaarige Junge hatte die Augen geschlossen, als er plötzlich einen Schatten über sich vernahm. Als er schließlich die Augen öffnete, blickte er in das kritische Gesicht von Yata.

Fushimi zuckte zusammen und rumpelte auf. „Geht's noch näher?“, brummte er pikiert.

„Sag mal, verfolgst du mich eigentlich?“, fragte Yata mit skeptischen Augen.

„Wieso sollte ich das tun?“ Ärgerlich rückte Saruhiko seine Brille zurecht.

„Weil du ständig herumgammelst, wo ich bin“, gab der Braunhaarige zur Antwort, als er sich im Schneidersitz gegenüber von Fushimi setzte.

„Wenn du so sehr darauf achtest, wo ich mich befinde … dann würde ich sagen, verfolgst du doch eher mich.“ Gelangweilt gähnte er.

Yata wurde sauer. „Verdreh hier nicht die Tatsachen! Wenn du mich verarschen willst, mach ich dich platt!“

„Leg mal eine andere Platte auf. Ich kann das langsam nicht mehr hören.“ Fushimi nahm seine Tasche, hing sie sich lässig über die Schulter und schritt davon.

Zurück blieb ein höchst verwirrter und verärgerter Yata. „Ich weiß genau, dass du mich beobachtet hast ...“, flüsterte er zu sich selbst.
 

Am nächsten Morgen ertönte eine verzweifelte Stimme durch den Klassenraum.

„VERDAMMT! Ich hab völlig vergessen, diese idiotische Mathematik-Hausaufgabe zu erledigen~“, quengelte Yata und zerzauste sich die Haare.

Fushimi, der dies natürlich nicht überhören konnte, seufzte entnervt. Er schlurfte zu Yata, der gerade einen seiner Banknachbarn darum anbettelte, abschreiben zu können und knallte ihm das Heft mit den Lösungen unsanft auf den Kopf.

„Autsch! Hey, was soll das?!“ Wütend drehte Yata sich um und starrte einem extrem gelangweilt wirkenden Fushimi in die Augen.

„Da, schreib ab und hör auf, immer herumzuschreien. Das erträgt auf Dauer ja niemand!“ Fushimi hatte sich wortlos abgewandt und war zu seinem Tisch zurückgekehrt.

Völlig baff nahm Yata das Heft und begann, die Lösungen zu übertragen. Kurz bevor der Lehrer eintrat, schlurfte er unsicher zu Fushimi und reichte ihm seine Notizen. „Und du bist dir sicher, dass das alles richtig ist? Kommt mir komisch vor ...“

„Beschwer dich nicht. Wenn ich deine und meine Leistungen vergleiche, zweifle ich nicht daran, dass alles stimmt.“

„Pfffh... Jedenfalls … danke“, nuschelte Yata und setzte sich auf seinen Platz, kurz bevor der Lehrer die erste Stunde begann.

Da der Lehrer immer am Anfang der Stunde wählte, welche Aufgaben er einsammelte und benotete, war es durchaus ein Glück, dass es heute Yata traf. In der Zwischenstunde blickte er nervös zu Fushimi, den mal wieder nichts zu interessieren schien.
 

„Du bist ziemlich gut in Mathe, oder?“, wollte Yata wissen, als er in der Mittagspause Fushimi von hinten ansprach.

„Ist doch auch nicht kompliziert“, war seine knappe Antwort.

„Tut mir übrigens leid wegen gestern.“

„Hm? Was war gestern?“

Yata blinzelte verwirrt. „Naja, du weißt schon ... Ich wollte dich nicht beleidigen oder so.“

„Schon in Ordnung.“

Schweigend gingen sie ein Stück zusammen Richtung Mensa.

„Wir könnten … zusammen essen, oder?“, fragte Yata vorsichtig.

Das war das erste Mal, dass Fushimi ihn anblickte. „Von mir aus.“
 

In den nächsten beiden Wochen verbrachten sie täglich immer mehr Zeit zusammen. Langsam tastete sich Yata heran; dabei wurde ihm bewusst, dass Fushimi gar kein so übler Kerl war, wie er anfangs gedacht hatte. Er wirkte zwar fürchterlich abweisend, aber man konnte über wirklich alles mit ihm reden, ohne ausgelacht zu werden. Hin und wieder kamen zwar ein paar spitze Kommentare, aber damit konnte Yata relativ gut leben.

Fushimi hatte schon lange durchschaut, wie Yatas Innenleben eigentlich aussah. Er konnte ihn wunderbar einschätzen und dennoch wirkte er auf ihn überhaupt nicht … langweilig. Irgendwann machte sich Fushimi schon regelrecht einen Spaß daraus, vorherzusagen, wie Yata in gewissen Situationen reagieren würde.

In der letzten Stunde vor den Sommerferien drückte Fushimi gedankenverloren auf seinem PDA herum. Auf einmal entriss ihm Yata, der sich seitlich auf seinen Tisch gesetzt hatte, das Gerät und drückte darauf entschlossen herum.

„Wenn du ihn demolierst, ersetzt du ihn“, meinte Fushimi trocken.

„So! Fertig!“ Mit einem strahlenden Lächeln gab Yata ihm den PDA zurück.

Skeptisch beäugte Fushimi das Gerät. „Was hast du angestellt?“

„Guck hier!“ Yata deutete auf den Bildschirm und grinste. „Meine Nummer~! Wenn du dich mal einsam fühlen solltest die nächsten Wochen, ruf kurz an und ich komm vorbei!“

Wortlos starrte Fushimi auf das Display. Irgendetwas in seiner Brust regte sich bei dem Anblick.

Yata war viel handsamer geworden, seit sie jeden Tag miteinander redeten. Eigentlich war er immer recht quirlig, freundlich und energiegeladen. Zudem unüberlegt und impulsiv. Er stellte einen ziemlichen Kontrast zu dem ruhigen Fushimi dar. Trotzdem waren sie irgendwie Freunde geworden.
 

Als der Gong schlug, verließen die beiden zusammen das Klassenzimmer und machten sich auf den Heimweg. Nachdem sie mit dem Bus gefahren waren, konnten sie noch ein gutes Stück der Strecke gemeinsam gehen.

Als sich ihre Wege an einer Kreuzung trennten, gab Yata seinem neuen Freund einen schwungvollen Klaps auf den Rücken. „OK! Also man sieht sich, oder?“, rief er lächelnd.

„Spätestens in sechs Wochen“, meinte Fushimi und wandte sich zum Gehen.

„Ach komm schon! Genier dich bloß nicht und ruf an!“, rief ihm Yata hoffnungsvoll hinterher. Leise fragte er sich, warum Fushimi ihm nicht seine Nummer gegeben hatte.
 

Als er zu Hause die Tür öffnete, fand er auf dem kleinen Schreibtisch rechts einen Zettel. Er stammte von seiner Mutter. Kurz überflog er ihn und seufzte. War mal wieder klar.

Yatas Eltern hatten sich scheiden lassen und sein Vater war ausgezogen, als er gerade einmal zwei Jahre alt war. Er hatte keinerlei Kontakt zu ihm. Seine Mutter war zwar immer freundlich, aber kaum zu Hause, da sie ständig arbeiten musste. Dieser Zettel auf dem Schreibtisch übermittelte wieder einmal die Nachricht, dass sie vor dem nächsten Abend sicher nicht heimkommen würde.
 

Fushimi wurde sofort von seiner Mutter begrüßt. Er fand es immer fürchterlich ermüdend, wenn sie ihn mit Fragen bombardierte. Er selbst hatte eher Ähnlichkeit mit seinem Vater. Sie glichen sich nicht nur äußerlich, auch ihr Verhalten war meist übereinstimmend. Daher genügte in der Regel ein Blick zwischen ihnen völlig.

„Wenn du ihn so einengst, zieht er bei der ersten sich bietenden Gelegenheit aus.“

„Jetzt sei doch nicht immer so! Ich werde meinen kleinen Liebling doch verwöhnen dürfen!“

Der Junge seufzte und drängelte sich an seiner Mutter vorbei Richtung Treppe. „Ich bin oben.“

Wissend blickte sein Vater zu seiner Frau. „Siehst du? Er braucht diese Überbehütung nicht.“

Beleidigt wandte sie den Kopf ab. „Du weißt doch gar nicht, wie es in ihm drin aussieht!“

Das wusste der Junge auch nur selbst. Er legte sich auf sein Bett und starrte an die Decke. Seine Gedanken kreisten nur um eine Sache: Das würden wohl die längsten sechs Wochen seines Lebens werden.
 

Für Yata verging die erste Woche wie im Flug. Zwar fehlte ihm bereits sein neu gewonnener Freund, doch schließlich hatte dieser ja seine Nummer und konnte ihn erreichen, wenn ihm danach war. Falls ihm danach war.

Das Wetter war großartig und Yatas Geburtstag kam und ging. Der Tag war für ihn nichts Besonderes. Seit er zurückdenken konnte, hatte seine Mutter es nicht geschafft, sich freizunehmen. Abends kam sie immer hektisch zu ihm ins Zimmer, umarmte ihn und entschuldigte sich überschwänglich. Dieses Jahr stellte da keine Ausnahme dar.

„Mein kleiner Misaki... Es tut mir so leid! Ehrlich! Ich schwöre dir, nächstes Jahr läuft das anders ab.“

„Das sagst du jedes Jahr, Mama.“

„Ja, aber ich meine es wirklich ernst! Und außerdem … hast du dein Geschenk noch nicht aufgemacht!“

Yata verdrehte die Augen, musste dann aber schmunzeln. „Mama, das liegt daran, dass du es erst heute Nachmittag … ich würde sagen, in deiner Pause, gekauft hast. Wahrscheinlich hast du fast die Straßenbahn übersehen und bist in ein Dutzend Leute gerannt.“ Er kicherte.

„Oh Misaki! Das ist nicht fair! Aber hier ist dein Geschenk~! Alles Gute, mein Schatz.“Sie reichte ihm eine kleine Schachtel.

Yata musterte die Verpackung und öffnete schließlich den Deckel. Bei dem Anblick des Inhalts stockte ihm fast der Atem. „Mama, spinnst du?! Ist dir klar, was die kostet?!“ Er wechselte den Blick zwischen ihr und seinem Geschenk.

Sie schmunzelte. „Nun, ich würde sagen: ja! Du bist mir das doch wert! Sieht diese Uhr nicht total chic aus? Guck mal“ , sie drückte einen Knopf auf der Seite, „wenn du das hier aktivierst, kannst du den eingebauten PDA nutzen. Das lässt sich übrigens ständig aktualisieren, das ist eine Uhr fürs Leben!“

So sehr Yata sich auch freute, hatte er doch noch einen Wunsch. Am liebsten wäre ihm gewesen, hätte sein Freund sich endlich bei ihm gemeldet.
 

Ein paar Tage später, es war gerade Zeit für das Abendessen, langweilte sich Fushimi wie so oft in seinem Zimmer. Mit einer tragbaren Konsole lag er auf dem Bett und schlug die Zeit tot. Immer wieder warf er einen Blick auf seinen PDA, der neben seinem Bett lag. Nach einiger Zeit legte er die Konsole lieblos auf die Seite und öffnete das Menü seines Telefons. Sein Blick blieb natürlich bei einem gewissen Namen hängen.

Fushimi lag seitlich auf dem Bett und grübelte. Als seine Mutter ihn zum Essen rief, schnalzte er genervt mit der Zunge und vergaß für einen kurzen Augenblick seinen Gedanken: Ich würde ihn gerne sehen.

Als er wenig später in seinem Bett lag, fasste er einen Entschluss.
 

Yata lag auf dem Bauch in seinem Bett, die Arme hatte er unter seinem Kinn verschränkt. Als er gerade eindämmerte, meldete sich seine Uhr.

„Hm?“ Müde öffnete er die Augen und startete das Menü. Als er den Namen des Nachrichtenabsenders las, quollen ihm fast die Augen aus dem Kopf.
 

Wenn du dich auch so langweilst, könnten wir uns ja morgen treffen.“
 

Yata jubelte und schickte eine positive Antwort zurück. Ein paar Nachrichten wechselten sie noch, ehe Yata ziemlich aufgeregt und glücklich einschlief.
 

Am nächsten Morgen erwachte Fushimi durch den Lärm im unteren Stockwerk. Ärgerlich blinzelte er einige Male gegen das Licht und stand grummelnd auf.

Er schlurfte ins Treppenhaus und blickte nach unten. Da stand Yata, der gerade verzweifelt versuchte, sich aus der Umarmung von Fushimis Mutter zu winden. Lautstark. Bei diesem Anblick musste er spontan ziemlich schmunzeln.

Als Yatas Blick sich mit dem seinen kreuzte, flehte der Braunhaarige ihn regelrecht an. „Saruhikoooo!“

Yata hatte Glück und die Frau ließ ihn endlich los. Mit hochrotem Kopf stapfte er in Richtung Treppe und warf Fushimi einen tödlichen Blick zu. Dieser war immer noch ziemlich amüsiert und bat ihn schließlich nach oben.

Fushimis Mutter strahlte über das ganze Gesicht und rief ihnen „Ich bring euch dann was Süßes~“ hinterher.

„Ich dachte, du wolltest später kommen“, bemerkte Fushimi und verschränkte die Arme.

Yata war immer noch sehr rot und drehte verlegen den Kopf weg. „Ich konnte halt nicht mehr schlafen und dachte mir, ich komm schon eher. Und hör gefälligst auf, so dämlich zu grinsen!“

„Du hast dich doch wunderbar mit meiner Mutter verstanden. Das freut mich einfach so, Misaki~“

Verbissen knurrte der Kleinere zurück: „Halt die Fresse! Sie hat etwas gefaselt, von wegen sie wäre ja so froh, dass endlich mal ein Freund von ihrem 'kleinen Liebling' zu Besuch kommt, und hat sich wie eine Irre auf mich gestürzt! Ehrlich, hättest du mich nicht vorwarnen können ...?“

„Wozu? Sie ist immer so. Wenn's dich stört, musst du wieder nach Hause gehen.“

„Tche!“, rief Yata angefressen und sein Blick verfinsterte sich.

Fushimi musste grinsen. Ihn übermannte ein bisher unbekanntes Gefühl. Er war einfach nur glücklich. Er fühlte sich erfüllt. Sein Herz machte mal wieder einen Sprung. Nach außen hin verzog er aber keine Miene.

Er bemerkte, dass Yata ziemlich geladen war, und wollte die Wogen glätten. Beschwichtigend meinte er: „Also wenn es dir lieber ist, können wir auch draußen etwas unternehmen. Ich zieh mich mal kurz um ...“

Yata warf ihm einen missbilligenden Blick zu. „Beeil dich gefälligst.“ Trotzig warf er sich auf das Bett.
 

Als Fushimi wenig später wieder den Raum betrat, packte Yata ihn an der Hand und zerrte in die Treppe hinunter; Saruhikos Mutter wollte gerade mit einem Tablett voller Kekse zu ihnen. Verwundert blickte sie ihnen nach, erkannte ihr Vorhaben und lächelte. Das war das erste Mal, dass sie sah, wie ihr Sohn sich ein wenig öffnete. Dieser sanfte Blick, den er seinem Freund zuwarf ... So hatte sie seine Augen noch nie wahrgenommen. Sie hoffte, dass dieser kleine, quirlige Junge ihn ein wenig weltoffener machen würde.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2013-05-28T23:13:56+00:00 29.05.2013 01:13
Ich hatte gerade denselben Gedankengang wie Masu xD
Der One Shot ist auch wieder total süß *___* Ich liebe dsa Pairing total, und dein One Shots noch mehr ^.^
Auch wenn meine Mutter und mein Freund jetzt schon zwei Mal hier waren, und mich gefragt haben warum "ich nach Mitternacht noch kicher wie eine Geistesgestörte" XDDD Ich liebe deine One Shots.
Nochmal so zum festhalten^^
Antwort von:  Purpurwoelfin
31.05.2013 21:41
es ist abzusehen, nicht wahr? ach ja, junge liebe ♥

hihihihihihi~ *loool* das freut mich jetzt so sehr, das kannst du dir gar nicht vorstellen. >//< wenn ich fangirls zum dümmlich kichern bringe, ist dies das schönste kompliment, oder so~
Von:  Masu_x3
2013-05-13T16:47:16+00:00 13.05.2013 18:47
Erste Gedanke: Die kommen zusammen. Zu 100000000000000% *_____*
Ich mag den One-Shot sehr. <33
Antwort von:  Purpurwoelfin
13.05.2013 19:17
hihi~ es freut mich, dass du so mitfiebern konntest :3

ich gebe die hoffnung nicht auf, früher oder später macht saru seinem misaki einen heiratsantrag *lach*

vielen, vielen dank >3


Zurück