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Weihnachtszauber und Spiegel

von

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Erster Advent
 

„Kommt gut nach Hause!“
 

Lachend stieg Willa in ihren kleinen Golf und winkte im Vorbeifahren ihren Kollegen noch zu. Was für eine schöne Weihnachtsfeier das doch gewesen war. Sie hatten viel zu lachen und außerdem bekam jeder ein kleines Päckchen vom Chef, mit der strikten Anweisung es erst daheim zu öffnen. Willa schielte neugierig auf das in glänzendes Papier eingewickelte Etwas.
 

Im letzten Jahr hatte sich ihr Chef für jeden ein Rätsel ausgedacht, teilweise waren die richtig kniffelig und eigentlich konnten alle Fragen nur gemeinsam gelöst werden. Was er sich wohl für dieses Jahr hat einfallen lassen?
 

Es hatte wieder zu schneien begonnen, wenn das so weiterging, dann musste sie morgen früh wohl ran und den Weg vor dem Haus freiräumen. Sie parkte ihr Auto in der Garage und kramte im Licht der Straßenlampe ihren Hausschlüssel aus der Tasche. Das Geschenk hielt sie lieber fest, das wollte sie doch gleich aufmachen. Wieder empfing sie die für diese Jahreszeit übliche Stille und Dunkelheit. An ihrer Haustür glitzerte der bunte Türkranz und drinnen war es wenigsten warm.
 

Willa beeilte sich, Mantel und Schal an der Garderobe zu deponieren und steuerte flugs in ihr Wohnzimmer. Hier duftete es dezent nach Tannennadeln und Zimt, das musste in der Adventszeit sein. Sie setzte sich auf ihr Sofa und betrachtete das Päckchen noch kurz, bevor sie mit erwartungsvollem Strahlen die Bänder öffnete.

Zum Vorschein kam ein schlichtes Holzdöschen, das auf dem Deckel ein Wintermotiv hatte. Unter dem Döschen war ein Kuvert. Was sollte sie nun zuerst ansehen?

Willa entschied sich für das Schreiben. Erst alle Informationen einsammeln.

Der Brief war handschriftlich verfasst und obwohl das Kuvert recht klein war, sehr umfangreich.
 

Liebe Willa,

für dieses Weihnachten habe ich mir ein besonders Spiel überlegt. Es ist diesmal wichtig, dass du deine Beobachtungen und Gedanken für dich behältst. Bisher ging es darum zu sehen wie stark die Gemeinschaft ist. In diesem Jahr möchte ich, dass jeder von euch selbst erkennt, was er leisten kann ohne sich auf die anderen zu verlassen. Ich bin mir sicher du wirst mit diesem Experiment etwas wertvolles für dich gewinnen.

Den Inhalt des Käschens solltest du erst zum dritten Advent ansehen, es ist wichtig für das Spiel, dass du dich daran hältst. (Hier war ein zwinkerndes Smilie dahinter gemalt)

Ich habe für dich zwei Aufgaben, die du bis dahin so gewissenhaft wie möglich erfüllen sollst. Sie stehen auf den beiliegenden Blättern und sind nummeriert. Auch hier, bitte nicht luren.

Die Anweisung mit der Nummer eins darfst du schon ansehen, die Nummer zwei erst am zweiten Advent.

Eine schöne Vorweihnachtszeit
 

Volker
 


 

Öhh, okay, Willa las den Brief nochmal durch. Komisch, das klang nicht gerade nach ihrem Chef. Aber was soll's, bisher waren seine Ideen immer richtig amüsant.

Dann los, den ersten Zettel durfte sie ja lesen.
 

'Gehe mit offenen Augen durch dein Leben, was fällt dir auf, wenn du dich im Spiegel siehst?

Weißt du eigentlich wie viele Spiegel dich umgeben?'
 

War das alles? Sie soll Spiegel zählen!

Willa schüttelte nur den Kopf, ach egal, es ist schon spät und morgen muss sie Schnee räumen. Wochenende und der erste Advent, da hatte sie noch genug Zeit und Ruhe, sich Gedanken über den seltsamen Auftrag zu machen.
 

Kurze Zeit darauf kuschelte sie sich in ihr Bett. Noch im Einschlafen gingen ihr die seltsamen Zeilen des ersten Auftrags nicht aus den Gedanken.
 


 

Am nächsten Morgen rappelte sich Willa zeitig hoch, es hatte die ganze Nacht über geschneit. Der Weg um und vor ihrem Haus war zentimeterdick mit Schnee belegt.
 

Schnell in die warmen Klamotten und die Schneeschaufel geschwungen. Nach einer halben Stunde war dann auch alles geschafft. Zufrieden schälte sie sich aus dem Parka und schaltete die Kaffeemaschine ein. Schnell duschen und dann in Ruhe frühstücken. Das Radio in der Küche dudelte schon die ersten Weihnachtssongs.

Laut singend tobte Willa die Treppe nach oben, hier beschwerte sich keiner wenn sie mal lauter wurde.

Nach dem Schneewuchten ist eine heiße Dusche wunderbar, sie genoss das Gefühl wie das warme Wasser ihren Rücken entlanglief.

Dummerweise beschlugt der Spiegel immer, ups Spiegel. Da musste sie doch wieder an ihren Weihnachtsauftrag denken. Nun zumindest in diesem konnte sie wenig erkennen. So ist er keine Hilfe und wird seiner Aufgabe nicht gerecht.
 

Am Vormittag musste sie die Einkäufe erledigen, das war keine große Sache. So viel brauchte sie nicht. Schmunzelnd beobachtete Willa die anderen Leute, die sich absprachen und über die Wochendeinkäufe diskutierten. Wie gut, dass ihr keiner reinredete.

Sie verstaute ihre Beute im Kofferraum und bummelte noch ein wenig durch das Einkaufszentrum. Vor ein paar Tagen hatten hier neue Läden geöffnet. Nun, sie musste sich noch überlegen was sie sich zum Fest schenken wollte. Seit einigen Jahren machte Willa das nun schon. Es übertönte die Stille an Heiligabend.
 

Letztes Jahr war sie auf eine Party gegangen, es war laut und übervoll. Jede Menge Leute, die sich den Weihnachtsabend schöntrinken wollten und Willa mittendrin. Die Erinnerung daran ließ sie heute noch erschaudern. Es war so oberflächlich, so künstlich, genau wie die Bekanntschaften die sie zwangsläufig machte. Nein, dieses Jahr nicht.

Diesmal wird sie wieder zu Hause bleiben, da ist sie immer noch allein, aber es ist nicht so bedrückend, wie unter all den andern zu sein und sich allein zu fühlen.
 

Willa's gute Laune, die sie durch den bisherigen Tag getragen hatte drohte gänzlich zu verfliegen. Nichts konnte sie aufheitern. Weder die Eröffnungsangebote noch die einlullende Musik aus den Lautsprechern lenkten sie ab. Alles um sie herum erschien ihr hohl und trügerisch. Warum nur immer dieser Hipe nach Geschenken und Konsum.

Grimmig schritt sie weiter und erschrak über ihr eigenes Spiegelbild. Schon wieder ein Spiegel!

Diesmal ist ihr Bild nicht verschwommen, sie hat ihr Gesicht verzogen. Sollten in dieser Zeit die Leute nicht fröhlich sein? Ärgerlich zupfte Willa ihre Haare zurecht und rutschte die Mütze etwas schräger.

Ab nach Hause, kochen und mal sehen was am Nachmittag so geht. Sie könnte ihre Freundin Lara anrufen, hat sie schon lange nicht gemacht.

Als sie an ihrem Auto ankam, bemerkte sie das ihr Außenspiegel verdreht war, schon wieder ein Spiegel, schoss es ihr durch den Kopf als sie ihn justierte.
 

Die Küche wartete noch auf das Aufräumen, Willa saß in ihrem Wohnzimmer und starrte wütend auf das Telefon. Ihre Freundin hatte eine neue Beziehung und wollte mit ihrem Lover auf den Weihnachtsmarkt.

Sie vertröstete Willa auf nächstes Jahr, denn vor den Feiertagen war einfach zu viel los. Sie musste Überstunden machen und die wenige Freizeit wollte sie natürlich mit ihrem Freund verbringen.

Lustlos blätterte sie in der Zeitung, aber auch hier wollte ihr keine Inspiration zuteil werden.

Weihnachtsmarkt, das hätte schon was, Glühwein und gebrannte Mandeln. Vielleicht findet sie auch noch neuen Weihnachtsschmuck und sollte sie Lara wirklich über den Weg laufen... Wer weiß ob ihre Freundin sie überhaupt wahrnehmen würde.

Kurz entschlossen stiefelte Willa in ihr Bad, um sich noch mit etwas Makeup aufzuwerten.
 

Der Weihnachtsmarkt ihrer Stadt war immer schon ein Magnet gewesen, gerade am Samstag Nachmittag war viel los. Willa ließ sich geduldig durch die Menschenmengen schieben.

An jedem Stand konnte sie etwas Interessantes entdecken. Besonders gründlich sah sie sich beim Baumschmuck um. Welche Farben sollten es denn sein? Die letzten Jahre hatte sie überwiegend

rot/golden, nur silberfarben und blau war ihr zu kalt.

Willa konnte sich kaum sattsehen an den vielen Kugeln und Girlanden, den kleinen Vögeln und Strohsternen.
 

Inmitten der bekannten Stände war ein neuer. Den hatte sie in keinem der anderen Jahre hier auf dem Markt bemerkt. Aus vielen kleinen spiegelnden Scherben waren die Baumbehänge gefertigt.

Es glänzte und glitzerte wie in einem Kristallpalast.

Schon wieder Spiegel, Willa lächelte. Schon verrückt was einem so auffällt.
 

Der älterer Herr, der den Stand betrieb, erklärte einem Kunden gerade, dass dieser Baumschmuck eine alte venezianische Tradition habe und er mit seinem Sohn der einzige Hersteller dieser Seltenheit sei. Sie bereisen jedes Jahr eine andere Stadt, um so ihre Kunst unter die Menschen zu bringen. Willa lauschte aufmerksam, so ein Stück Venedig würde sich auf ihrem Baum sicher gut ausmachen. Eigentlich waren die einzelnen Stücke fast zu schade, um nur zur Weihnachtszeit herausgeholt zu werden.

Außerdem hatte es was mit Spiegeln zu tun, wenn ihr Chef schon der Meinung war sie sollte sich damit befassen, warum dann nicht Nägel mit Köpfen machen.

Nur für welches sollte sie sich entscheiden, sie waren alle wunderschön.
 

„Kann ich ihnen weiterhelfen?“
 

Verwirrt dreht sich Willa um, zwischen dem ganzen Glitzerkram ist ihr der zweite Verkäufer gar nicht aufgefallen. Das musste der Sohn sein. Er trug eine Wollmütze, darunter spitzten hellblonde Haare durch. Willa überlegte kurz, dass er ungefähr in ihrem Alter sein müsste. Diese hellen Augen verschlugen ihr fast die Sprache.
 

„Ähm, sicher, ich weiß nicht wofür ich mich entscheiden soll“, gab sie wahrheitsgemäß zu.
 

„Das geht den meisten so. Wollen sie lieber traditionelles oder etwas modernes?“
 

„Ähhh, das weiß ich leider auch noch nicht.“
 

Er lächelte verstehend, das machte er sicher bei allen Kunden.
 

„Wenn ich weiß was ich will, dann komm ich wieder vorbei, auf Wiedersehen.“
 

Willa war die Situation unangenehm, sie drehte auf dem Absatz um und floh durch die Menschenmenge. Erst am Ende des Marktes wurde sie langsamer. Wie konnte sie nur so konfus werden. Ab nach Hause, nach der Blamage wollte Willa erst mal in ihre vier Wände.
 


 

In der Nacht zu Sonntag hatte es nicht geschneit, Willa drehte sich noch ein paar mal um, aber so richtig schlafen konnte sie nicht mehr.

In der Küche hatte sie einen kleinen Adventskranz auf dem Tisch gestellt. Es war einfach netter, morgens noch bei Kerzenschein zu frühstücken.

Sie summte die Lieder au dem Radio mit während die Kaffeemaschine blubberte.

Gedankenverloren stellte sie ihre Tasse auf den Tisch, packte die Sachen aus dem Kühlschrank und kruschte in der Vorratskammer. Wo war denn der Zucker?

Mit der Kaffeekanne in der Hand setzte sie sich schließlich und stutzte.

Warum standen heute zwei Tassen auf dem Tisch? Hatte sie ganz nebenbei zuviel aufgedeckt.

Das kommt davon wenn man arbeitet ohne groß darüber nachzudenken was man tut.

Sollte sie heute nochmal auf den Weihnachtsmarkt gehen? So einen Spiegelbaumschmuck wollte sie unbedingt haben. Sicher erinnerte sich keiner mehr an sie und ihre Flucht. Aber was, wenn dieser Mann wieder da sein sollte? Ach was, heute lässt sie sich nicht so einfach überrumpeln.

Ab zehn Uhr waren die Stände geöffnet, wenn sie das ganze mit einem ausgedehnten Spaziergang verband, dann war sie zurück, bevor die Massen auf den Markt strömten.
 

Die kalte Winterluft war erfrischend und durch den strammen Marsch wurde ihr auch nicht kalt. Als sie am Markt eintraf, hatten die ersten Buden schon geöffnet. Heute durfte sie die gebrannten Mandeln nicht vergessen, darum zog es Willa auch zuerst an ihren Süßigkeitenstand.

Sie verstaute ihre „Beute“ in der Manteltasche und schlenderte weiter. Nach der nächsten Ecke würde sie vor dem Stand sein. Aber was wollte sie nun?

Nichts von dem typischen Weihnachtsmotiven, immerhin wollte sie sich das ganze Jahr über das kleine Kunstwerk freuen.

Sie wusste auch schon ganz genau wo es hängen soll.

Der ältere Mann war gerade dabei die Auslagen zu sortieren, seinen Sohn konnte Willa nicht sehen. Um so besser, dann gibt es keinen Grund nervös zu werden. Andererseits könnte sie auch noch später vorbeikommen, kurz bevor sie heim geht. Ja, das ist eine gute Idee. So war sie auch sicher, dass ihrem „Schatz“ nichts passieren wird.
 

Mehrmals ging sie in die Richtung des Standes, doch immer wieder zögerte sie und machen einen Bogen. Gegen Mittag wurde ihr dann doch zu kalt und auch der Punsch konnte nicht helfen. Was zum Kuckuck hielt sie nur davon ab, dorthin zugehen und eines dieser kunstvollen Gebilde zu kaufen? Verstohlen beobachtete sie die Leute um sich herum, meist waren es Pärchen, die den Sonntag für einen Bummel nutzten. Teilweise waren auch schon Familien unterwegs. Höchste Zeit den Rückweg anzutreten, in spätestens einer halben Stunde gab es hier kein Durchkommen mehr.

Willa beschloss, in der Woche nach Feierabend nochmal herzukommen.

Den restlichen Tag verbrachte sie in ihre warme Decke eingepackt auf dem Sofa und las.
 


 

Zweiter Advent
 

Die Woche war turbulent, zwei Kollegen fielen wegen Krankheit aus und Willa hatte genug Argumente, um nicht nach Feierabend über den Weihnachtsmarkt zu schlendern. Obwohl ihre Gedanken immer wieder zu diesen venezianischen Besonderheiten flogen oder waren es doch eher die sanften Augen, die sie so in den Bann gezogen hatten.

Am Freitag zerrte sie ihre Kollegin dann doch noch mit zum allabendlichen Glühweintrinken.

Der Markt endete wie jeden Abend um 20 Uhr, etwa eine halbe Stunde zuvor begannen die ersten Budenbesitzer ihre Stände abzuschließen. Die meisten Leute standen nur noch um die Würstchenbuden und bei den Punschständen. Willa wollte auch allmählich heim, die Woche war lang und anstrengend gewesen.
 

„Na komm, einer geht noch“, kicherte Lisa ihr ins Ohr.
 

„Okay, aber ohne Alkohol, ich muss noch fahren.“
 

„Ja, einmal bleifrei für dich.“
 

Lisa drängte sich an den Tresen um ihre Bestellung aufzugeben.

Der Platz wurde nun immer knapper, trotz der Drängelei schafft es Lisa recht elegant, die beiden Becher an ihren Stehtisch zu balancieren.
 

„Prost, Willa, so jung kommen wir nicht mehr zusammen.“
 

Die gute Laune hielt bei Willa solange an, bis sie im dunklen Hausflur stand. Schnell schaltete sie die Lichter ein und das Radio an. Manchmal ist die Stille unerträglich wenn man ihr allein ausgeliefert ist.

Willa knipste sich durch die diversen Fernsehsender, nichts war dabei was sie wirklich fesselte. Zum Lesen war sie zu müde.

Ob sie den zweiten Auftrag schon mal ansieht? Immerhin ist doch fast schon der zweite Advent.

Das Päckchen mit den Anweisungen hatte sei bei ihrem Adventsgesteck auf dem Wohnzimmertisch deponiert. Sie hielt den zweiten Zettel lange in der Hand bevor sie ihn auffaltete. Ein klein wenig schlechtes Gewissen war doch dabei, weil es ja noch nicht der richtige Tag war.
 

Das Licht überliefert das Sichtbare dem Auge;

das Auge überliefert's dem ganzen Menschen.

Das Ohr ist stumm, der Mund ist taub; aber

das Auge vernimmt und spricht. In ihm spiegelt

sich von außen die Welt, von innen der Mensch.

Die Totalität des Innern und Äußern wird durchs

Auge vollendet.

Johann Wolfgang von Goethe
 

Die Augen sind die Fenster der Seele.

Hildegard von Bingen
 

Das war alles, mehr stand nicht darauf. Keine Anweisung, keine Knobelaufgabe.

Willa legte das Schreiben vor sich auf den Tisch und verschanzte sich hinter einem Kissen. Immer wieder musste sie an den Verkäufer auf dem Weihnachtsmarkt denken, wenn durch Augen wirklich der Zugang zur Seele gegeben ist, dann...!
 

Morgen, da werde ich mir etwas von diesem Stand holen und ich werde nicht kneifen oder mich verunsichern lassen!
 


 

Samstag Vormittag, Willa hatte noch einen Parkplatz gefunden und ging zielstrebig in die Innenstadt. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Nicht leicht das zu ignorieren und sich cool zu geben.

Es war wieder der ältere der beiden Verkäufer am Stand.
 

„Guten Morgen.“ So beiläufig wie möglich scannte sie das Angebot.
 

„Was kann ich für sie tun?“ Der ältere Herr strahlte eine wunderbare Ruhe aus.
 

„Welches würden sie als das ungewöhnlichste Kunstobjekt hier ansehen?“

Willa wurde abwechseln heiß und kalt.
 

„Eine ungewöhnliche Frage. Hmm, ich habe etwas, das ich für sehr ungewöhnlich halte, weil es viel zu groß und zu schwer für einen Baumschmuck ist. Allerdings weiß ich nicht, ob mein Sohn es wirklich verkaufen will.“ Er strich sich über den ergrauten Bart und musterte Willa eindringlich.
 

„Nun, würden sie es mir zumindest zeigen?“ fragte diese schüchtern.
 

„Sicher, gern. Ist im Moment ja auch nicht viel los. Einen kleinen Augenblick bitte.“
 

Er verschwand hinter dem Tresen und Willa hörte nur etwas rascheln. Dann legte er etwas in Seidenpapier eingewickeltes auf den Verkaufstisch.

„Hier, es ist eine Lampe. Ich habe auch eine Kerze um ihnen zu demonstrieren wie das Prinzip der Lichtdurchlässigkeit wirken soll. Mein Sohn hat lange daran gearbeitet.“ Er schmunzelte als er die Lampe etwas hochhielt damit Willa sie besser sehen konnte. Es war ein Stern der durchbrochen gearbeitet war und wegen der kleine Spiegel und den Freiräumen das Licht fast magisch leuchten ließ.
 

Willa war tief berührt.

„Das ist wunderschön, so hoffnungsvoll.“
 

„Ja, aber leider zu groß um an einem Baum zu leuchten.“ Der Alte packte den Stern wieder ein.
 

„Wenn sie wollen frage ich meinen Sohn, ob der Stern zum Verkauf steht.“
 

Willa nickte, „ja bitte, das wäre nett.“
 

„Er wird aber erst gegen Mittag hier sein. Können sie es so einrichten, dass sie nochmal vorbeikommen?“
 

„Das ist kein Problem, ich bin Mittags wieder hier, danke.“
 

Dann kamen noch andere Kunden und nahmen den Verkäufer mit ihren Fragen in Beschlag.

Wie in Trance lief Willa durch die Stadt. Hoffentlich konnte sie diese Lampe kaufen. Das war genau das wonach sie suchte, oder? Und sie war von dem netten Mann mit den wunderbaren Augen gefertigt worden.

Planlos irrte sie durch die Geschäfte der Stadt, stöberte in den Kaufhäusern und Boutiquen. Immer wieder fiel ihr Blick auf ihre Uhr. Die Zeit schien regelrecht still zu stehen.

Endlich näherten sich die Zeiger der Zwölf. Willa überquerte gerade den Marktplatz. Hoffentlich konnte der Sohn davon überzeugt werden die Lampe zu verkaufen.
 

Vorsichtig lugte sie um die Ecke, die beiden Männer standen sich gegenüber und unterhielten sich. Da der jüngere von beiden mit dem Rücken Willa zugewandt stand,war ihr nicht möglich seine Reaktion zu erkennen. Langsam schritt sie näher.
 

„Paps, du weißt, dass mir die Arbeit an diesem Stück über eine schlimme Zeit geholfen hat. Ich tu mich schwer die Lampe an jemand x-beliebigen zu verkaufen. Außerdem weiß ich auch nicht, wieviel ich dafür veranschlagen kann.“
 

„Junge, wir waren uns doch einig, dass der Stern verkauft werden muss. Ich verstehe ja dein Zögern, aber es hilft auch nicht ihn als Staubfänger im Lager zu lassen. Da war er die letzten zwei Jahre. Es wird Zeit, dass er einen neuen Ort findet und die Kundin scheint mir geeignet zu sein.“
 

Ihr Gespräch wird von neuen Kunden unterbrochen und der Ältere verabschiedet sich und verlässt den Stand. Willa hopste zur Seite, hoffentlich haben die beiden nicht bemerkt, dass sie ihr Gespräch teilweise mitverfolgt hatte.

Nun galt es Nerven zu bewahrten und verhandeln.

Heute wirkte der Verkäufer nicht so ausgeglichen. Er war freundlich, doch etwas beschäftigte ihn.
 

„Hallo!“ wagte sie ihn anzusprechen. Ob er sich überhaupt an sie erinnerte?

Es dauerte ein Weilchen, doch dann strahlten seine Augen wie vor einer Woche.

„Sie sind zurückgekommen.“
 

Willa lächelte verlegen, „nun ja, ich sagte doch, wenn ich mir sicher bin komm ich wieder her.“
 

„Ich hatte schon die Befürchtung ich hätte sie verschreckt.“ Er zwinkerte ihr zu.
 

Willa war als würde sie zerschmelzen.

„Nein, ich bin nur etwas konfus, manchmal.“
 

„Was soll das denn kosten!“ drängelte sich ein ungeduldiger Mann dazwischen und wedelte mit einem tropfenförmigen Spiegelornament herum.
 

Willa wartete geduldig, immer mehr Leute drängten heran und als der Ältere wieder von seiner Mittagspause zurückkam hatten sie zu zweit noch alle Hände voll zu tun.

Zwischen den spontanen Verkäufen ergab sich kaum eine Gelegenheit, das Gespräch fortzusetzen. Sie lächelte dem Jüngeren zu, der immer wieder entschuldigend zu ihr rüberblickte.
 

„Es tut mir leid, dass sie warten mussten. Jetzt ist erfahrungsgemäß erst mal wieder etwas Ruhe. Sie haben also meine volle Aufmerksamkeit.“
 

Willa fühlte, dass sie rot wurde.

„Gut, ähm, es ist so. Ihr Vater hatte mir heute morgen diesen Stern gezeigt und ich würde ihnen den gern abkaufen.“
 

„Sie? Sie wollen den Stern.“ Er wirkte verwundert. Zuppelte an seiner Mütze herum. Konnte es sein, dass er genauso nervös war wie Willa?
 

„Nun ja, ich hatte mir ehrlich keine Gedanken gemacht was ich dafür nehmen will.“

Plötzlich schien ihm die richtige Idee gekommen zu sein.

„Sie können den Stern haben, würden sie dafür mit mir zu Abend essen, Willa, hier gleich am Markt ist ein italienischen Restaurant 'Giorgio', mein Cousin schwärmt davon.“
 

„Wie? Das ist doch nicht ihr Ernst?“
 

„Doch, um acht ist hier Feierabend, ich möchte mich wirklich nur mit ihnen unterhalten, mehr nicht.“
 

Willa ist sprachlos, jedem andern hätte sie nicht getraut doch er, er meint es ernst.

„Aber das steht doch in keiner Relation.“
 

Wieder umfängt sie sein sympathisches Lächeln, „sie haben recht, aber ich habe nur diesen einen Stern den ich ihnen dafür geben kann. Und sind sie einverstanden, Willa?“
 

„Jaa?!“ Sie hatte sich verabredet! Mit einem Wildfremden.

„Woher wissen sie eigentlich meinen Namen?“
 

Nun war es an ihm verlegen zu werden.

„Och, das war ein Zufall, ich kam gestern, nachdem ich hier abgeschlossen hatte, beim Glühweinstand vorbei und dort waren sie mit einer Freundin. Da hab ich ihren Namen gehört.“

Er wirkte wie ein Schuljunge, der die Hausaufgaben vergessen hatte.
 

„Und finden sie das fair?“ hakte Willa nach.
 

„Das war wirklich ein Zufall...“, beteuerte er nachhaltig.
 

„Das meine ich nicht, wie heißen Sie denn?“ Sie lächelte zuckersüß, er hat sich einfach im Vorbeigehen ihren Namen gemerkt.
 

„Uli, eigentlich Ulrich, aber das klingt so martialisch.“
 

„Uli, das passt zu ihnen, dann bis heute Abend, ich bin kurz vor acht hier.“

Sie registrierte, dass er ihr eine Tüte mit der Lampe darin reichte, doch eigentlich sah sie nur sein Lächeln, das von ihr mindestens genauso erwidert wurde.
 


 

Zuhause packte sie ihren Schatz sorgsam aus und befestigte die Lampe gleich im Wohnzimmer. Gut, dass sie so praktisch veranlagt war und mit einer Bohrmaschine problemlos umgehen konnte.

Willa betrachtet ihre Sternenlampe, das Teelicht darin verbreitete eine heimelige Atmosphäre.
 

Pünktlich war sie am Abend auf dem Marktplatz. Lara hatte sie noch angerufen und von ihrem Date erzählt. Die hielt sie für völlig plemplem.

'Wenn das nun so ein Psychopath ist? Woher nimmst du die Überzeugung, dass es wirklich nur um ein Abendessen geht. Nimm dir Pfefferspray mit.'

Willa hatte nur gelacht, nein, da hatte sie in einigen Discos wesentlich schrägere Herren kennengelernt.

Außerdem kannte man sie bei 'Giorgio'. Immerhin fanden hier so ziemlich alle Geschäftsessen ihrer Firma statt.
 

Uli verschloss gerade die Tür von der kleine Bude.

Der Weg zum Restaurant war nicht sonderlich weit, er hatte ihr seinen Arm zum einhaken angeboten. Willa ging wie auf Wolken, Uli war ein richtiger Gentleman.
 

Im Lokal war viel Betrieb, aber für zwei Personen fand sich immer ein Platz.

Sie plauderten über Gott und die Welt, belangloses und aktuelle Tagesthemen. Willa hatte schon lange keine so intensiven Gespräche geführt.
 

„Wie kommt es eigentlich, dass sie sich an einem Samstag Abend so einfach freimachen konnten, Willa. Sie sind doch sicher in festen Händen?“ Unruhig kippte sich Uli noch einen Schwung Zucker in denn Espresso.
 

„Nein, nicht mehr. Ich hatte bis vor drei Jahren eine Beziehung, von der ich glaubte es wäre für ein Leben lang. Das ist kein sonderlich rühmlicher Abschnitt meines Lebens, aber ein wichtiger.“

Willa biss sich auf die Unterlippe.
 

„Wollen sie mir davon erzählen?“

Sie schwankte zwischen ihren Gefühlen, ja, sie musste irgendwann darüber reden. Doch geht das Uli etwas an?
 

„Ich war ziemlich naiv, in der Beziehung hatte ich mich so darauf fixiert für meinen Partner da zu sein, dass ich mich völlig vergessen hatte. Erst war es ihm ganz recht, dass ich ihn unterstützte und er seine Karriere voranbringen konnte und dann war ich mit einem Mal nicht vorzeigbar und langweilig. Er hatte mir gesagt, dass ein Mann in seiner Position eine starke Frau an seiner Seite braucht und kein Hausmütterchen. Deswegen hatte er sich auch sehr schnell eine andere gesucht. Ich stand dann von heute auf morgen da mit der Doppelhaushälfte, die ich von meinem Geld vorfinanziert hatte und einer Menge Schulden.

Er hatte mir geraten alles zu verkaufen, weil ich es nicht gebacken bekam und er kein Interesse hatte das Haus zu übernehmen. Die Wohngegend war ihm zu spießig.

Nachdem ich mich von dem ersten Schock erholt hatte, suchte ich eine Arbeit und ich habe alles abbezahlt. Heute gehört mir das Haus und ich verdiene ausreichend um gut leben zu können. Aber ich bin vorsichtig geworden. Ich habe Angst, wieder nur ausgenutzt zu werden und dann vor einem Scherbenhaufen zustehen.“ Willa schluckte, warum nur tat es immer noch so weh?
 

„Das tut mir leid, hier.“ Uli sah sie mitfühlend an und hielt ihr ein Packung Taschentücher hin.
 

„Danke. Und was ist mit ihnen?“
 

Er seufzte kurz.

„Meine Frau ist vor vier Jahren gestorben. Sie war schwer krank, ich hatte sie solange es ging zu Hause gepflegt. Meine Arbeit konnte ich ja zum Glück auch von dort aus machen. Aber vor allem in der letzten Zeit, da war alles so sinnlos. Können sie sich vorstellen, dass man sich den Tod eines Menschen wünscht den man doch liebt? Es war ein langer Kampf den sie führte und nach ihrem Tod fiel ich in ein tiefes Loch. Erst die Arbeit an dieser Lampe riss mich wieder zurück. Ich habe dieses Projekt begonnen mit dem festen Willen, dass sich meine Hoffnung wieder einstellt, das mein Leben wieder hell und licht wird. Ich wollte dem Licht ein zu Hause geben.“

Noch deutlich ist die Trauer zu erkennen, die ihn die ganzen Jahre über begleitet hatte, aber als er zu Willa sah, strahlten seine Augen wieder voll Zuversicht.

„Sie haben mir diese Hoffnung zurückgegeben.“

Er lachte verlegen, „ich hoffe sie bekommen jetzt keinen zu sentimentalen Eindruck von mir.“
 

„Ach was, das hieße ja im Glashaus sitzen und mit Steinen werfen“, wehrte Willa ab.

Kurz fiel ihr Blick auf die Uhr, schon halb zwölf.
 

„Ich fürchte es wird Zeit, die Rechnung ist schon beglichen. Wie kommen sie nach Hause, Willa?“
 

„Mein Wagen parkt ein paar Straßen weiter.“
 

„Dann erlauben sie mir sie noch, sie bis zum Auto zu begleiten.“ Galant half er ihr in den Mantel.

Die Straßen waren noch mäßig belebt, immerhin es war Samstag Nacht.

Uli verabschiedete sich auch, als sie an ihrem Wagen angekommen waren ohne irgendwelche Anstalten zu machen, er wünschte ihr eine gute Nacht und bedankte sich für den schönen Abend.
 

Der Sonntag begann schon turbulent. Um acht Uhr rief Lara an, weil sie sicher gehen wollte, dass Willa nicht einem Irren zum Opfer gefallen war. Nach gut einer Stunde Berichterstatten durfte Willa auch endlich frühstücken. Sie zündete die zweite Kerze an ihrem Kranz mit an.

Ob Uli auch gerade Kaffee trinkt? Der Gedanke an den gestrigen Abend ließ sie lächeln. Uli war so ganz anderes drauf als die Typen, die sie auf den Partys getroffen hatte. Die ließen keine Zweifel daran, dass der Abend gemeinsam zu enden hatte.

Sie stellte ihre Tasse ab und lief ins Wohnzimmer, der Stern hing immer noch an seinem Platz. Nun da sie wusste, warum er angefertigt worden war, wurde ihr wiederum ganz seltsam.
 

„Sie haben mir die Hoffnung zurückgegeben.“ Sagt man das zu einer relativ fremden Frau ohne einen tieferen Sinn dahinter?

Vorsicht, Willa! Mahnte ihr Beschützerinstinkt, das könnte wieder so eine Falle werden. Eh du dich versiehst fließen die Tränen. Hör auf mich, bleib allein, dann gibt es keinen Herzschmerz mehr.
 

Willa versuchte die mahnende Stimme zu überhören, nein, sie wollte nicht wie eine alte Jungfer solo bleiben. Uli wäre durchaus ein Mann, für den sie sich erwärmen könnte. Oder war sie schon verliebt?

Summend durchforstete sie ihre Küchenschränke und packte Backzutaten heraus. Zu dumm, dass sie gestern nicht auf die Idee gekommen war. Sonst hätte sie noch etwas einkaufen können. Dann gab es halt nur Butterplätzchen.

Der Teig war schnell gemacht und konnte dann im Kühlschrank ruhen. In der Zwischenzeit suchte sie ihre Ausstechformen. Die Dinger mussten eh erst gewaschen werden.
 

Am frühen Nachmittag waren ihre Kunstwerke fertig. Sie packte eine Teil davon in eine Blechdose, die anderen wanderten auf einen Teller.

Eine halbe Stunde später saß Willa in ihrem Auto und fuhr durch den grauen Wintertag.

Heute war die Suche nach einem Parkplatz schon schwieriger. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sie dann einen gefunden. Auf dem Markt war die Hölle los und das vor Weihnachten.

Mit ihrer Dose bewaffnet drängte Willa durch die Menge.
 

„Willa! Da ist ja ein Zufall!“ kreischte Lara ihr entgegen, als sie sie entdeckt hatte.

Mit einem dunkelhaarigen Mann im Schlepp wuselte sie sich durch die Menge zu ihrer Freundin.
 

„Hi Süße, das ist Robin, mein Schatz und wie du sicher ahnst, Liebling, das ist Willa.“

Ihre Freundin umarmte sie stürmisch.
 

„Hey!“ Robin schien eher der Wortkarge zu sein, das passte auch besser zu Lara, der alten Plaudertasche.
 

„Na, wo willst du wohl hin?“
 

Willa fühlte sich wie ertappt. Es war sicher kein Zufall, dass Lara heute hier war, nicht nach ihrem morgendlichen Telefonat.

Sie zwinkerte verschwörerisch, „dann lass dich nicht aufhalten. Greif zu, bevor es eine andere tut.“

Klar, sie hatte Uli unter die Lupe genommen.
 

„Ja, mach ich. Schönen Tag noch ihr beiden.“ Willa beeilte sich in die nächste Gasse zu kommen. Wenn Lara das weiß, dann ist es spätestens Mittwoch rum und alle wissen, dass sie verknallt ist und auch in wen.
 

Uli war schwer beschäftigt und auch sein Vater hatte alle Hände voll zu tun. Da ihr Weihnachtsschmuck wirklich seinesgleichen suchte, war die Nachfrage auch recht groß. Willa freute es, das die Arbeit der beiden so regen Anklang fand.

In diesem Moment bemerkte Uli sie. Er strahlte gleich noch mehr.
 

„Hallo, ich hoffe sie mögen Kekse, ich hab heute welche gebacken.“ Mit einem scheuen Lächeln reichte sie die Dose zu Uli hinüber. Sein Vater beobachte alles aus den Augenwinkeln heraus, er grinste nur und wandte sich dem nächsten Kunden zu.

Uli organisierte noch Kaffee und zusammen verputzen sie die Plätzchen. Gustav, Ulis Vater, lobte Willa über den Klee, solch hervorragende Kekse hätte er schon lange nicht mehr gegessen.
 

Dritter Advent
 

Es war die letzte Arbeitswoche für Willa in diesem Jahr. Das Büro würde erst wieder im nächsten Jahr öffnen. Jeden Tag, wenn sie Schluss hatte, schaute Willa nochmal bei Uli und Gustav vorbei, so auch heute am Freitag.

Uli war allein, seltsam, um diese Zeit war Gustav sonst immer noch da.
 

„Wo ist dein Vater?“ wunderte sich Willa nachdem sie sich begrüßt hatten.
 

„Paps ist krank, sein Husten ist gestern richtig schlimm geworden und darum habe ich ihn heute früh zum Arzt geschickt. Er hat ein beginnende Lungenentzündung und muss für die nächsten Tage im Bett bleiben.“ Uli wirkte müde.
 

„Du bist seit heute Vormittag hier ohne Unterbrechung?“
 

„Sicher, diese Weihnachtsmärkte sind mit eine der Haupteinnahmen im Jahr. Was soll ich anderes tun?“
 

Willa presste kurz die Lippen zusammen.

„Dann mach doch eine Pause, ich passe solange auf.“

In ihrem Inneren entbrannte ein heftiges Gebrüll.

'Wie kannst du nur so bescheuert sein, der nutzt dich doch sicher auch nur aus!'

'Selbstverständlich wirst du ihm Hilfe anbieten und auch leisten!'

'Du bist wirklich zu blöd, da kommt ein Kerl und macht dir schöne Augen und du spielst mit dem Gedanken alles was die letzten Jahre gewesen war über Bord zu werfen. Nach Weihnachten ist er wieder weg und du bist vergessen! Hör auf, dich an idiotischen Träume zu ketten!'

Uli sah kurz auf die Uhr, er wirkte erleichtert. Die Aussicht für ein paar Minuten raus zu können zauberte ein sanftes Strahlen um seine Augen.
 

„Danke, ähm, ich bin auch gleich wieder da. Wenn jemand nachfragt, dann sag ich komm sofort wieder.“
 

Im Moment war es ruhig, einige Leute guckten zwar interessiert, aber da nun in den meisten Büros Feierabend war hatten die Glühweinstände und Würstchenbuden mehr Zulauf.

Willa hatte einen Entschluss gefasst. Als Uli dann nach wenigen Minuten wieder zurückkam überfiel sie ihn förmlich damit.
 

„Hast du dir schon überlegt, wie du das alleine in den nächsten Tagen packen wirst?“

Er schüttelte nur verzagt den Kopf.

„Dann mach ich dir einen Vorschlag. Ich werde hier mit helfen, du erklärst mir kurz was ich zu beachten habe und wir kriegen das dann schon gewuppt.“
 

Willa fand sich sehr überzeugend und auch wenn das für sie nun hieß kein Urlaub, keine Wellnesstage, so stand ihr Entschluss fest. Ausspannen konnte sie auch nach Heilig Abend.
 

„Oh Willa, das ist ganz zauberhaft von dir, aber ich kann das nicht annehmen. Du bist es nicht gewohnt bei dieser Kälte draußen zu sein und es wird noch kälter werden. Es ist zugig und egal wieviele Socken du anhast du wirst elend kalte Füße bekommen. Ferner kann ich dir kein Gehalt zahlen, das ist leider in unser Kalkulation nicht drin. Nur deshalb ist mein Vater mitgekommen, weil wir uns keine Angestellten leisten können. Außerdem musst du für deinen Job fit sein.“

Er lächelte sie dankbar an.
 

„Ich hab aber jetzt Urlaub, also Zeit und ich hätte ein schlechtes Gewissen, wenn ich dich hier im Stich lasse. Bitte, sonst bist du der nächste der krank wird und dann ist keiner mehr hier.“

Bevor Uli etwas erwidern konnte meldeten sich neue Kunden, die seine Aufmerksamkeit forderten.

Ganz selbstverständlich wurde auch Willa angesprochen. Sie hatte in den letzten Tagen oft gehört was Gustav so erzählte und gab vage Auskünfte. Den Kunden schien das zu genügen, denn sie kauften begeistert. Je näher der Abend rückte um so ruhiger wurde es wieder am Stand.
 

„Jetzt können wir schließen, heute verkaufen wir nichts mehr“, entschied Uli und begann die Waren für die Nacht zu verpacken. Willa ging ihm so gut es möglich war zur Hand. Nachdem er die Abrechnung fertig hatte räusperte sich Uli kurz.

„Du bist wirklich eine enorme Hilfe, ich wusste gar nicht, dass du soviel über die Produktion unserer Kugeln erzählen kannst.“
 

Willa grinste.

„Ich hab nur das weitergegeben was dein Vater auch den Leuten sagt. Und wie stehst du zu meinem Hilfsangebot?“
 

Er griff nach Willa's Hand und zog sie näher zu sich.

„So oder so, ich bin in einer argen Zwickmühle. Du hast recht, ich werde mich aufarbeiten müssen wenn ich bis zum 23. allein hier bin. Andererseits will ich dich nicht ausnutzen und genau der Eindruck wird entstehen. Ich kann dir höchstens 5 € die Stunde zahlen. Das ist ein Hohn, damit habe ich ein schlechtes Gewissen und darum, Danke für dein selbstloses Angebot, aber ich muss ablehnen.“

Er zwinkerte ihr aufmunternd zu.

„Ich packe das schon, bin doch ein große Junge.“
 

Willa fühlte sich zerrissen, hatte sie sich zum Affen gemacht und in ihrer Verliebtheit wieder einen kapitalen Bock geschossen?

„Gut, ich verstehe schon. Dann richte Gustav gute Besserung von mir aus.“ Sie wich seinem Blick aus. Uli will sie nicht, warum sich noch Illusionen hingeben. Nun merkte sie die Kälte und Müdigkeit.

„Gute Nacht.“ Willa versuchte ein Lächeln und verließ schnell die Bude, bevor Uli ihre Tränen bemerken würde.
 

Zu Hause holte sie die Flasche mit dem alten Highlandwhiskey heraus. Ihr strenges Überich triumphierte gnadenlos.

'Hab ich dich gewarnt? Ja, aber du willst ja immer alles besser wissen. Das hast du nun davon, Liebe ist was für andere, du bist dafür nicht geeignet, hast nur Pech.'

Selbst mit dem rauchigem Geschmack ließ sich die Bitterkeit nicht vertreiben. Irgendwann in den frühen Morgenstunden war Willa aufgewacht. Der Fernseher rauschte und die Flasche war um einiges leerer geworden.

Mit hängendem Kopf schlich sie in ihr Bett und heulte sich in den Schlaf.

Erst spät am Samstag wachte Willa auf. Missmutig krabbelte sie aus ihrem Bett und tapste ins Bad.

Sie hasste sich für ihre Schwäche und gleichzeitig wollte sie immer noch an ein Happyend glauben.

Ihr Rücken tat weh, das Sofa eignet sich nicht um bequem darauf zu schlafen und der Alkohol tat sein übriges dazu.

Brummelnd schlürfte sie dann ihren Morgenkaffee, auch wenn es schon fast Mittag war.

Im Wohnzimmer glitzerte ihr Ulis Stern entgegen, so als wäre nicht passiert. Willa versuchte, jeden Gedanken, der ihr sagte sie solle sich besinnen, auszublenden. Nein, es war eindeutig, sie hatte sich gestern eine Abfuhr eingehandelt.

Da läutete jemand an ihrer Haustür.

Sie wuschelte noch kurz über die Haare und öffnete.
 

„Guten Tag, Frau Marten? Ich habe einen Brief für sie.“

Es war ein Postbote.
 

„Ja, schön, aber warum werfen sie ihn nicht in den Briefkasten wie sonst auch?“ wunderte sich Willa.
 

„Das geht nicht, ich muss ihn persönlich überbringen, ist der Auftrag. Bitte, wenn sie hier unterschreiben wollen.“ Er hielt ihr ein Formular entgegen, das sie gleichgültig unterzeichnete.
 

„Danke, und hier ihr Brief, schöne Feiertage.“
 

Noch etwas überrumpelt starrte Willa dem Briefträger hinterher, dann merkte sie, dass ihre Füße kalt waren. Kein Wunder sie hatte ja keine Socken an.

Mit dem Brief in der Hand stand sie einen Moment auf dem Flur. Von wem war der wohl? Die Schrift auf dem Umschlag kannte sie nicht. Oder doch? Sie flitzte ins Wohnzimmer wo die Auftragszettel von der Weihnachtsfeier lagen. Moment die waren doch immer hier bei der kleinen Dose gewesen? Willa suchte und suchte, aber die Zettel blieben verschwunden, nur die Karte und die Dose waren noch da.

Irritiert klappte sie die Karte nochmal auf.
 

Gesegnete Feiertage und ein gutes neues Jahr. Vielen Dank für ihren Einsatz

Volker Lahn
 

Was? Wo war denn der andere Brief, ähm, die Spielregeln. Hier stand nichts davon, dass sie erst zum dritten Advent in die Schachtel sehen darf, keine Hinweise auf Spiegel und ähnliches. Willa setzte sich auf ihr Sofa und überlegte laut.
 

„Ich habe doch die Zettel beide gelesen und ich habe sie immer wieder hier hin gelegt. Außer mir war niemand im Haus und ich habe nichts weggeworfen. Werde ich nun völlig verrückt?“
 

Leichte Panik stieg in ihr auf, waren das die Wechseljahre? Da klinken einige Frauen ja immer aus und das soll ja schon recht früh anfangen, teilweise schon mit vierzig. Oder hatte sie einen Tumor im Kopf, der ihre Wahrnehmung verändert? In einer der Illustrierten, die sie im Wartezimmer beim Arzt oder beim Friseur gelesen hatte stand eine Geschichte von einer Frau die durch ihre Einsamkeit in den Wahnsinn getrieben wurde. War das bei ihr auch so?

Willa atmete tief durch, nein, das ist nur der Restalkohol der mit mir ein böses Spiel treibt.

Um auf andere Gedanken zu kommen schnappte sie sich den Brief und öffnete ihn. Ein Absender stand nicht dabei? Komisch, musste nicht zumindest der Postbote wissen, wohin der Brief zurückgehen soll, wenn sie ihn nicht angenommen hätte?

Sie faltete die Briefbögen auseinander. Diese Handschrift war eine andere als auf dem Umschlag.
 

Liebe Willa,
 

Das war doch nicht etwa von Uli, oder?
 

bitte, nimm dir die Zeit, diese Zeilen durchzulesen.

Ich habe das dringende Gefühl, dass wir uns völlig falsch verstanden haben. Als ich gestern Abend noch mit meinem Cousin gesprochen hatte, habe ich erst erfahren, dass er dein Chef ist. Daher weiß ich deine Adresse.

Dies nur falls du dich wunderst.

Ich bin kein Wortakrobat wie Volker, daher fällt es mir schwer, mich besser zu erklären.
 

Auch wenn wir uns nur wenig kennen, habe ich doch das Empfinden, ich müsse dich „Beschützen“. Willa du bist eine wundervolle Frau und es liegt mir fern dich zu verletzten.

Als du mir gestern angeboten hattest mir zu helfen, da hätte ich dich küssen können. Nur steht mir mein Machogehabe im Weg, ich will nicht auf deine Kosten meinen Unterhalt verdienen.

Deine Besuche waren für mich immer das Highlight des Tages. Du bist wirklich meine Lichtfee.

Vielleicht verstehst du nun meine Absage besser, ich kann dein Angebot nicht annehmen, doch es ist nur das Angebot das ich ausschlagen muss.
 

Willa, ich bitte dich inständig, lass mich nicht fallen. Du hast soviel Zauber in mein Leben gebracht. Ich kann nur hoffen, dass du ähnlich wie ich spürst, dass aus uns mehr werden könnte als eine nette Bekanntschaft. Wenn ich damit richtig liege, bitte gib uns die Chance herauszufinden ob aus dieser Verliebtheit etwas Dauerhaftes entstehen kann.
 

Uli
 

Mehrmals las sie den Brief durch, teilweise musste sie sich die Tränen abwischen.

Er wollte sie beschützen. Ganz eindeutig hatte er ihr in diesem Brief eine Liebeserklärung gemacht. Willa war gerührt und auch beschämt.

'Das glaubst du doch nicht wirklich?' echote es in ihrem Kopf.

Doch sie glaubte es. Überglücklich legte Willa den Brief auf den Tisch, dabei stieß sie die Schachtel an. Das Geschenk aus der Firma.

Da es keinen Hinweis gab, dass sie sich bis morgen zu gedulden hätte, öffnete sie die Dose.

Drinnen lag ein Baumbehang, ein kleines Herz mit vielen Spiegelstückchen. Feinste venezianische Arbeit.

'Man sieht nur mit dem Herzen gut.'

Wieder die selbe Schrift wie auf den verschwundenen Zetteln und dem Briefkuvert.

Willa lachte übermütig, sicher hatte Volkers Frau das geschrieben. Sie kannte Maren als recht hilfsbereit.

Draußen wurde es dunkler, neuer Schnee fiel.
 

Trotz oder gerade wegen des dichten Schneefalls war der Markt gut besucht. Vereinzelt wurden die Buden schon wieder geschlossen. Auch Uli war fast fertig. Er wirkte müde, ein Kunde wollte unbedingt noch etwas kaufen und ließ sich viel Zeit. Wenigstens nahm er auch einiges und ließ sich nicht nur die Zeit vertreiben.

Willa hatte alles beobachtet und schlich sich näher, sie hatte wieder Herzklopfen. Uli schloss die Tür zum Stand und sah sich kurz noch um, als würde er auf jemand warten. Etwas resigniert steckte er die Hände in die Jackentaschen und wandte sich zum Gehen.

'Hinterher! Was stehst du hier rum, los lauf zu ihm!' mahnte sie sich selber.
 

„Uli, warte bitte!“ Willa huschte aus dem Schatten der Stände zu ihm.
 

Ungläubiges Staunen sprach aus seine Augen. Unfähig ein Wort zu sagen nahm er Willa in die Arme und hielt sie fest.

Beide wussten, dass sie keine Worte brauchten um einander zu verstehen.
 

Vierter Advent
 

Jeden Tag besuchte Willa ihren Uli auf dem Marktplatz. Die Strapazen der letzten Tage wurde immer deutlicher. Uli war froh, dass es nun absehbar dem Ende entgegen ging. Jeden Tag löste Volker ihn für eine Stunde ab.
 

„Onkel Gustav meinte, es kann mir nicht schaden, richtige Arbeit kennen zu lernen“, erklärte er augenzwinkernd Willa, als sie zufällig auch mal wieder da war.

Erst war es ihr etwas peinlich, dass ihr Chef so viel über ihr Gefühlsleben vermuten könnte, doch Volker war wie immer recht locker und entspannt.
 

„Sag mal Willa, würdest du dir mal Gedanken machen, wie wir eine Werbekampagne für diesen Saftladen aufziehen könnten?“ flachste er.
 

„Hey, das habe ich gehört! Nimm das mit dem Saftladen zurück, sonst seif ich dich mit Schnee ein bis du lachst“, drohte Uli mit gespielter Entrüstung.

Volker grinste nur frech.
 

„Nein, mal ernsthaft, ich glaube da ließe sich noch einiges machen.“

Uli verpackte gerade ein paar Tannenzapfen und reichte sie der Kundin über den Ladentisch.
 

„Ich hab für so was kein Geschick, Volker. Ich bin Handwerker und kein Werbefutzi.“
 

„Du müsstest nur ein paar Muster an die richtigen Adressen schicken und ein passendes Schreiben dazu“, mischte sich nun auch Willa ein. Das war zwar nicht ihr Hauptgebiet in der Firma aber ein wenig wusste sie schon Bescheid.
 

„Richtig, meine Geschäftspartner waren von den Geschenken dieses Jahr echt begeistert. Uli, du könntest ganz andere Aufträge bekommen. Ich weiß, dass dein Vater da eher bodenständig denkt, aber überlege mal, was kannst du schon verlieren?“

Mit einem Seitenblick auf Willa setzte er noch leise hinzu, „du solltest für drei überlegen. Hmm? Gut, dann bin ich wieder weg, hab genug angerichtet für einen Tag.“
 

„Ja, mach's gut, wir sehen uns später“, brummte Uli nur und sortierte neue Waren nach.
 

„Was machst du denn Heilig Abend?“ Diese Frage lag Willa schon lange auf der Seele.

Uli zuckte mit den Schultern.
 

„Da wir bei Volker untergekommen sind, werden wir wohl die Fete mitbekommen. Nur Paps wird sich früh hinlegen, er ist noch richtig matt. Ich werde wohl oder übel den Partyspaß über mich ergehen lassen müssen.“
 

Ja, da fiel es Willa wieder ein, Volkers Frau Maren kannte das nicht anders, statt Besinnlichkeit gab es heiße Beats und eine lange Gästeliste. Das Haus würde rappelvoll sein.
 

„Ach so, ja. Wann musst du denn nach Hause zurück?“ Diese Frage war noch schlimmer als die erste.
 

„Ich werde die Waren am ersten Feiertag in unser Lager bringen, das ist nicht so weit weg von hier. Eine halbe Stunde vielleicht. Oh, die Sorte ist ausverkauft.“

Er notierte sich etwas auf seinen Verkaufszetteln.

„Paps wird sich noch gut zwei Wochen erholen, dann erst werden wir wieder in die Werkstatt gehen. Die Inventur steht an vor dem Jahreswechsel, nun, das meiste ist schon erfasst. Ich muss nur noch diese Bestände auflisten. Ein paar Zahlen hin und herschieben und fertig.“
 

Uli verschwand kurz hinter dem Tresen, als er wieder hochkam sah er Willa fragend an.

„Das wolltest du aber gar nicht wissen.“
 

Sie schüttelte den Kopf.

„Du hast ja meine Adresse, wenn dir nach Ruhe ist, dann komm doch Weihnachten vorbei. Ich würde mich freuen.“
 

„Sagen sie, junger Mann wenn ich mehrere kaufe, bekomme ich dann eine Nachlass?“ Mischte sich ein Herr ein und Uli war am verhandeln.
 

Willa ging still zurück. Die ganze Zeit hatten sie beide das Thema vermieden. Sie wusste, dass Uli in einem Dorf, gar nicht so weit weg von ihrer Stadt lebte. Es würde keine richtige Fernbeziehung sein und doch hatten sie beide bisher nicht darüber gesprochen. Sicher, seine Familie wollte, dass er an Weihnachten bei ihnen blieb, zumal Gustav noch nicht so gesund war.

Morgen war der letzte Tag hier und auch der stressigste. Willa hatte auch noch einiges zu organisieren, um nicht ohne Lebensmittel über die Feiertage dazustehen. Der Weihnachtsbaum musste noch geschmückt und das Festessen vorbereitet werden. Überraschenderweise hatte Lara nun doch noch Zeit, sich mit ihr zu treffen. Das war für heute geplant.

Mit der üblichen Verspätung erschien ihre Freundin dann auch am vereinbarten Treffpunkt.
 

„Und erzähl, wie ist er?“
 

„Höflich und rücksichtsvoll.“
 

Lara verzog etwas den Mund.

„Und? Weiter....?“
 

„Was weiter?“
 

„Na, tu doch nicht so unschuldig. Wie küsst er und …..wie ist es mit ihm … , du weißt schon?“
 

Willa wurde die Fragerei etwas peinlich.

„Keine Ahnung, wir unterhalten uns viel. Wir haben uns noch nicht geküsst.“
 

Verwundert blieb Lara stehen, ihr Gesicht spiegelte Ungläubigkeit.

„Wie bitte, seit fast drei Wochen tanzt ihr umeinander herum und ihr habt euch noch nicht mal geküsst?“
 

„Pscht, schrei doch nicht so. Das geht doch niemand was an.“

Willa zupfte wieder an ihrer Mütze herum, wie immer wenn sie verlegen ist.
 

„Na, mir könnte das nicht passieren. Kein Wunder, dass du immer noch keinen abbekommen hast“, zischt Lara etwas leiser mit Kennermiene.

„Das müssen wir unbedingt ändern, wann hast du dir das letzte Mal richtig schicke Wäsche geleistet?“
 

„Nein, das ist nicht dein Ernst.“ Willa hob abwehrend die Hände, allein die Vorstellung sich in Reizwäsche zu packen gefiel ihr nicht.

„Ich glaub nicht, dass das Sinn macht.“
 

Lara verdrehte nur die Augen.

„Bei mir klappt das immer, also hör auf die Stimme der Erfahrung.“

Sie zerrte Willa in die Wäscheabteilung und zog einige, auf kleine Bügeln aufgehängte Teile sündigen Nichts von den Kleiderstangen.

„Hier, schwarz ist immer gut, oder rot.“
 

Willa kicherte, „damit sehe ich aus wie verkleidet. Nein, das hatte sich mit meinem Ex auch schon immer falsch angefühlt. Ich bin nicht der Typ für Reizwäsche, schon gar nicht für solche Fummel.“
 

„Glaub mir, da sind alle Männer gleich, wenn er dich so sieht dann gibt’s kein Halten mehr.“
 

Willa hatte da so ihre Bedenken.

„Wenn, aber noch sind wir weit davon entfernt. Komm, ich möchte etwas in der Musikabteilung suchen und bei den Kleidern.“
 

„Wenn du meinst, aber denk an meine Worte. Wenn du einen Typen beeindrucken willst musst du ihm auch klarmachen was er an dir haben könnte.“

Willa ließ sich nicht bequatschen, was ihre Freundin nicht so ganz verstehen wollte, aber es war ja nicht Laras Angelegenheit.
 

Kurz vor Schluss des Weihnachtsmarktes machte Willa noch einen Besuch bei Uli. Doch der war schon weg.
 

„Hat heute eine halbe Stunde früher dichtgemacht“, erklärte ihr der Betreiber der Nachbarbude.
 

Nachdenklich begab sich Willa in ihr warmes Haus zurück.

Der Tannenbaum stand schon seit heute morgen im Wohnzimmer und hatte seine Zweige ausgebreitet. Daneben warteten die Kisten mit dem Weihnachtsschmuck, Willa packte die neu erstandene CD aus und bald summte sie mit. In kürzester Zeit war der Baum geschmückt. Zufrieden kuschelte sie sich in ihre Sofadecke und zappte sich noch etwas durch die Programme.

Solange bis das Klingen des Telefons sie ablenkte.
 

„Hallo?“
 

„Hi Willa, hier ist Uli, du warst heute Nachmittag so schnell entschwunden.“
 

„Ich war verabredet und als ich nochmal nach dir sehen wollte warst du schon weg.“

Er lachte, im Hintergrund hörte sie wie Volker seine Kinder zur Ruhe mahnte.
 

„Gilt denn deine Einladung für Weihnachten noch?“ fragte er vorsichtig nach.
 

„Aber sicher, es wird aber ziemlich ruhig. Ich bin keine Partymaus, nicht an Weihnachten.“ Besser sie stellte das gleich klar.
 

„Glaub mir, nach den turbulenten Wochen und der Zwangsbeschallung mit etlichen musikalischen Ergüssen bin ich ganz froh mal Ruhe zu haben.“
 

Es entstand eine kleine Pause.

„Ich werde die restlichen Waren nun schon am 24. zurückbringen, Volker kommt mit. Ich glaube der ist ganz froh, wenn er aus der Schusslinie ist. Ab wann darf ich denn zu dir?“
 

„Sobald du möchtest, wann werdet ihr denn voraussichtlich zurück sein?“
 

„Ich schätze am frühen Nachmittag, so ab 16 Uhr könnte ich vorzeigbar sein.“
 

Willa kicherte, „ fein, dann bin ich ab vier nachmittags auf Warteposition.“

Wieder war es kurz still.

„Ich freue mich auf dich“, flüsterte sie mit Herzklopfen.
 

„Ich freue mich auch, bis übermorgen. Träum was Schönes.“
 

Dann klickte es leise und die Verbindung war unterbrochen. Willa ließ sich glücklich auf ihr Sofa zurücksinken.

Morgen gab es noch eine Menge zu tun.
 

Die Zeit bis Heiligabend zog sich zäh dahin, der Tag selber hatte auch gefühlt unzählige Stunden mehr als normal.

Willa war aufgeregt, immer wieder vergewisserte sie sich, dass alles da war, was sie sich für den heutigen Abend vorgenommen hatte.

Der Punsch war soweit fertig, die Häppchen würde sie frisch zubereiten. Für das Kaffeetrinken hatte sie gestern noch etwas gebacken. Ob Uli sich wohlfühlen wird?

Unter ihrem Tannenbaum lagen die Geschenke, die sie in den letzten Jahren oft erst Tage nach Weihnachten geöffnet hatte. Zwei Päckchen waren auch für ihren Gast dabei.

Die Zeiger der Uhr wanderten langsam weiter.

Aus der Anlage im Wohnzimmer ertönten die Lieder aus der Auvergne.

Die waren nicht wirklich weihnachtlich, aber Willa liebte diese Sammlung an Stücken.

Sie versuchte sich auf die Musik zu konzentrieren, Augen zu und abschalten. Doch immer wieder blinzelte sie verstohlen auf die Uhr.

Als die Türglocke endlich schrillte riss es Willa förmlich von der Couch. Ganz ruhig, ist doch kein Zahnarztbesuch.
 

„Frohe Weihnachten!“ Draußen stand Lara.
 

„Danke, dir auch. Was treibt dich denn hier her?“ Willa versuchte ihre Enttäuschung zu verbergen.
 

„Ich weiß doch, dass du nichts vor hast, darum wollte ich auf einen Kaffee vorbeischauen. Hab grade Zeit, weil Robin zu seiner Großmutter muss und erst abends wieder in der Stadt sein wird.

Also was wollen wir machen?“
 

„Ja, ähm, eigentlich erwarte ich Besuch. Aber erst ab vier, komm erst mal rein ich mache uns Kaffee.“

Willa sieht suchend auf die leere Straße, noch ist es über eine halbe Stunde hin, bis Uli erscheinen wird.

Lara ist schon in die Küche vorgegangen und holte die Tassen aus dem Schrank.
 

„Na sag mal, du hast aber aufgetafelt. Wie viele Leute erwartest du denn?“
 

„Ach das sieht nur so aus ich hab eine Platte mit Kanapees und vorher gibt es eine indische Suppe.“

Lara legt den Kopf schräg und mustert Willa eindringlich, während diese mit ihrer Nervosität und der Kaffeemaschine kämpft.
 

„Sag nur dein Süßer hat sich angesagt?“
 

„Ja, ich hab Uli zum Kaffee eingeladen.“
 

Lara war am lachen, „klar doch und was hast du zum Frühstück geplant?“
 

„Hör doch auf mit dem Unsinn.“ Langsam war sie es leid, immer die selben dummen Sprüche zu hören. Da klingelte es erneut. Willa warf ihrer Freundin einen warnenden Blick zu und verschwand aus der Küche.

Diesmal war es Uli.
 

„Ich bin zu früh, ist das schlimm?“ druckste er verlegen.
 

„Nein, ganz und gar nicht, komm rein!“

Nun ärgerte sich Willa ein wenig, weil Lara in ihren Abend geplatzt war. Aber das war nicht zu ändern und so einfach vor die Tür setzen möchte sie ihre Freundin auch nicht.
 

„Lara ist noch hier, sie hat mich ganz überraschend besucht“, flüstert sie Uli zu.
 

„Aha.“ Er schmunzelt nur. In diesem Moment ging die Küchentür auf und Lara kam heraus.
 

„Ich werde mich verziehen, danke für den Kaffee“, Willa herzlich umarmend.

Sie begrüßte Uli und verabschiedete sich auch gleich, mit dem Vorwand noch einen Besuch machen zu müssen.

„Ich wünsche euch ein wunderschönes Fest.“ Zu Willa gewandt meinte sie noch, „lass uns nach den Feiertagen telefonieren. Ja?“
 

Die Haustür fiel ins Schloss. Willa drehte sich zu Uli um.

„Willst du deinen Mantel nicht ablegen?“
 

„Es hat einen Grund, warum ich dich schon früher als vereinbart überfalle. Ich weiß, dass in einer Nachbargemeinde jedes Jahr eine Lichtervorführung in einer alten Ruine gemacht wird. Wenn es deine Pläne nicht durcheinander wirft, würde ich vorschlagen, lass uns dorthin fahren.“
 

„Du meinst das Lichtspektakel in der Klosterruine? Davon habe ich schon gehört.“ Willa strahlte begeistert.
 

„Von mir aus können wir gleich los.“ Sie prüfte nochmal ob alles ausgeschaltet war und flugs hatte sie sich in ihren Mantel gepackt und die warmen Stiefel angezogen.

Ulis Auto parkte vor der Einfahrt, er hielt ihr die Wagentür auf und ließ Willa erst einsteigen bevor er selber auf dem Fahrersitz Platz nahm. Die Fahrt dauerte nicht sehr lange, Willa kannte die Gegend. Im Sommer war sie mit Lara zu einer Theateraufführung in die Ruine gefahren.
 

„Es handelt sich um eine … alternative Feier zum traditionellen Weihnachten. Ich hoffe das stört dich nicht“, erklärte Uli als er noch einen Parkplatz suchte. Viele Leute waren nicht da, nun in den meisten Wohnzimmern fand bald die Bescherung statt.
 

„Bisher war ich immer sehr aufgeschlossen, ich bin gespannt“, antwortete Willa wahrheitsgetreu.

Es war eine knapp halbstündige Darbietung von verschieden Liedern, passend zur Winterzeit und einem Feuerschlucker. Auch wurden Geschichten über die Wiederkehr des Lichtes nach der dunklen Jahreszeit erzählt.
 

Willa kuschelte sich glücklich an Uli, es war so vertraut sich an ihn lehnen zu können. Als sich die Leute dann auf den Heimweg machten begann es leicht zu schneien. Uli fuhr vorsichtig zurück.
 

„Park den Wagen doch gleich auf der Einfahrt, da schneit er auch nicht so zu“, riet Willa als sie wieder bei ihrem Haus waren.

Empfangen wurde sie von der für die Jahreszeit vertrauten Stille und Dunkelheit, doch diesmal war es Willa nicht arg. Uli war ja dabei.

Die Mäntel fanden schnell einen Platz an den Garderobenhaken.
 

„Ich wurde vorhin aufgehalten, von so einem seltsamen Mann im roten Mantel. Der hat mir was für dich mitgegeben, der alte Herr wollte sich den Weg sparen. Wo darf ich die Päckchen deponieren?“
 

„Im Wohnzimmer, das ist gleich da drüben. Du kannst sie unter den Baum legen.“

Willa beeilte sich in die Küche zu kommen, sie musste die Suppe vorbereiten.

Als sie ins Wohnzimmer kam fand sie Uli vor ihrer Musiksammlung.
 

„Du hast ein beachtliche Sammlung an CD's“, merkte Uli an.
 

„Ja, ich mag Musik. Ich kann es nicht haben wenn es im Haus ganz still ist. Das macht mich unruhig. Darum hab ich mir für so ziemlich jede Stimmung was geholt.“
 

„Und was hörst du am liebsten?“
 

„Klassik, am liebsten Mahler und Mussorgski.“
 

„Die Bilder einer Ausstellung?“ Uli hat einen listigen Gesichtsausdruck bekommen.

Sie schmunzelte, „das ist das bekannteste Werk, ja.“
 

„Zugegeben, ich bin da eher bodenständiger, meine Musiksammlung ist rockiger“, gesteht Uli und grinst noch mehr.

„Tanzt du gern?“
 

Willa nickte. „Ja, das macht mir Spaß. Letzten Monat war ich auf einer Ü40 Fete, ich hab mich gefühlt wie sechzehn, nur am nächsten Tag war ich kaputt.“ Sie lachte ausgelassen.
 

„Das kenne ich auch, als wir im Sommer den Geburtstag eines Freundes in in unserem Dorf gefeiert haben, da waren wir ohne Ausnahme am nächsten Tag ziemlich gerädert. War aber eine lustige Party.“
 

In diesem Augenblick fällt ihr Blick auf die kleine Schachtel mit dem Spiegelherz.

„Oh das muss ja auch noch an den Baum.“ Sie packte das Döschen aus und nahm den Zettel mit dem Spruch heraus, legte ihn auf den Tisch und suchte für das Herz einen passenden Platz am Weihnachtsbaum.

Als sich Willa umdrehte fiel ihr auf, dass Uli blass geworden war. Er hielt den Zettel in der Hand und starrte darauf.
 

„War das in dem Firmengeschenk?“ wollte er mit zittriger Stimme wissen.
 

„Ja, und noch zwei weitere Mitteilungen die ich aber nicht mehr finde. Die sind wie vom Erdboden verschluckt“, entfuhr es Willa ehe sie über das Gesagte nachdenken konnte.
 

„Weißt du wer das geschrieben hat?“
 

Willa zuckte mit den Schulten.

„Nein, ich vermute es war Maren, weil die Schrift die einer Frau zu sein scheint.“
 

Uli nickte, er zog seinen Geldbeutel aus der Hosentaschen und holte etwas Einlaminiertes heraus.

„Anna, meine verstorbenen Frau, war Kalligraphin, das war ihre letzte Arbeit bevor sie nicht mehr in der Lage war etwas zu schreiben.“ Mit zittrigen Händen reichte er ihr den Zettel und auch das, was er in seiner Börse verwahrt hatte.
 

Willa staunte nicht schlecht, es war wirklich die selbe Handschrift, genau wie auf den Spielanweisungen und dem Kuvert. Ihr entfuhr ein erschrockenes Keuchen.

„Wie kann das sein?“ Ungläubig blickte sie zu Uli, der sich auch keinen rechten Reim darauf machen konnte.
 

„Ich glaube sie will mir sagen, dass das Leben weitergeht.“
 

'Bejahe den Tag, wie er Dir geschenkt wird, statt Dich am Unwiederbringlichen zu stoßen.'

Antoine de SaintExupery
 

„Dann ist das wohl unser persönliches Weihnachtswunder.“

Willa legte ihre Hand auf seinen Arm.
 

Uli lächelte befreit, „ja, es will mir auch so erscheinen.“
 

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In diesem Sinne, schöne Feiertage



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