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Unerwartetes Wunder

One Short
von

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Unerwartetes Wunder (One Short)

...
 

Durch den Regen gehe ich weiter und immer weiter...
 

"Mach dir keine Sorgen Brüderchen, ich pass auf dich auf! Wenn es nötig ist, werde ich dir auch die Strahlen der Sonne einfangen, nur damit du immer lächeln kannst.", versprach mir mein kleiner Bruder und strahlte mich an wie ein Sonnenschein. Wir waren Zwillinge und glichen uns äußerlich wie ein Ei dem Anderen. Wir waren fast immer zusammen. Kaum einer konnte uns auseinander halten. Nur wenn wir zusammen waren, fühlten wir uns komplett. Wenn der Andere nicht da war, war es so, als fehlte etwas. Zusammen mit unseren Eltern führten wir ein glückliches Leben. Bis eines Tages ein einziger Wink des Schicksals, der uns die Grausamkeit des Lebens darbrachte, einfach alles veränderte und meine Welt verfinsterte... Mit Schuld beladen, würde ich mein restliches Leben fristen, oder aber ganz unverhofft ein Wunder erleben...
 

*
 

Es geschah, als wir 14 waren. Wir waren uns äußerlich zwar sehr ähnlich, hatten aber unterschiedliche Talente. Während ich eher künstlerisch begabt war, war mein drei Minuten jüngerer Bruder eher sportlich. An jenem Tag war ich Nachmittags noch in der Kunst-AG, obwohl gar kein AG Tag war, während die Basketball-AG ausfiel, weil der verantwortliche Sportlehrer krank war. Mein Bruder kam in den Kunstraum unserer Schule gestürmt. Nachmittags außerhalb der festen AG Tage waren nur selten andere Leute im Kunstraum. "Lucien! Stell dir vor, heute fällt die AG schon wieder aus.", erzählte er mir frustriert. Ich lächelte sanft, " Louise, ...sei nicht alt zu traurig, spätestens nächste Woche, wird der Lehrer sicher wieder gesund sein.", versicherte ich ihm. Louise nickte und zog eine Schmollschnute. Seine Zeigefinger tippte er gegeneinander. "Aber das ist total doof, weil der letzte Woche schon krank war, und der reine Sportunterricht ist so langweilig, weil unsere Klasse einfach fast gar nicht motiviert ist.", erzählte er unbegeistert und berichtigte noch rasch seine Aussage. "Außer du natürlich. Du gibst dir immer viel Mühe, Bruderherz!", lobte er mich und setzte sich auf einen Hocker neben mich, um meine Malerei zu begutachten. Ich malte gerade eine Landschaft. Es war ein Ort, den ich gern mit meinem Bruder besuchte. Ein See mit viel Grün und einer Weide unter dessen langen Zweigen und Blättern wir uns immer versteckten. "Wow, du bist echt begabt Lucien. Du kannst so toll malen. Ich wünschte ich hätte dein talent. Das ist unsere Weide nicht war?", schwärmte er. "Aber Louise, du Schmeichler. Ich bin doch ne totale Niete in Sport.", kicherte ich. "Aber du, du bist super sportlich und hast da immer ne eins. Sei doch stolz darauf. Mama sagt immer, Malen ist eine brotlose Kunst.", stellte ich fest. Louise schüttelte den Kopf. "Nein, ich denke, das du damit mal viel Geld verdienen wirst. Mach doch mal eine Ausstellung! Das würdest du bestimmt sehr gut machen, wenn du alle deine Bilder ausstellst! Deine Lehrerin war doch auch total begeistert von deiner Kunst! Und Mama hat doch keine Ahnung.", plapperte er begeistert von seiner Idee. Er war ein sehr offener Mensch, der sein Herz auf den rechten Fleck trug. Er war beliebt und trotzdem auf dem Boden geblieben. Das liebte ich an ihm. Ich liebte seine Beständigkeit und sein offenes, liebenswertes Wesen. Ein solcher Mensch, sollte noch viele 100 Jahre leben. "Hmm, ich weiß nicht. Eigentlich male ich nur, weil es mir Spaß macht, nicht um andere zu begeistern.", antwortete ich eher bescheiden. Ich war ein wenig in mich gekehrter und trug meine Gefühle nicht so stark nach außen wie mein Bruder. Ich war schon glücklich, wenn er nur bei mir war und meine Malerei bewunderte. Einzig und allein, sein strahlendes, begeistertes Gesicht war es, das für mich wichtig war, wenn ich malte. Wenn er meine Bilder bestaunte, fühlte ich mich wunderbar. Louise stand von seinem Hocker auf, um von hinten seine Arme um meinen Bauch und sein Kinn auf meine Schulter zu legen. Das ließ mich inne halten. Mein Kopf bewegte sich in seine Richtung. "Was hast du?", harkte ich nach. "Du bist viel zu bescheiden, Lucien. Du solltest dein Leben mal so richtig auskosten, statt dich immer nur hier zu verstecken, und zeigen was du kannst.", bekundete er mir und verfestigte seine Umarmung noch ein wenig. Ein Gefühl von Geborgenheit durchströmte meinen Körper. So wie immer, wenn wir uns so nahe waren. Ich glaubte immer, dass nur Zwillinge eine so starke Verbundenheit mit einander haben konnten. Das sie einander jedes Gefühl und jeden Gedanken des Anderen erkennen konnten, schon bevor es der andere wusste. Gemeinsam fühlten wir unseren Schmerz. Wenn der eine krank war, fühlte der Andere es ganz deutlich, sogar, wenn wir an verschiedenen Orten waren, was sehr selten vorkam. Manchmal antworteten wir sogar das Gleiche zur selben Zeit und einige unserer Mitschüler behaupteten sogar, dass unsere Schritte und Bewegungen fast synchron waren, wenn wir nebeneinander her liefen.

Ich verschränkte meine Finger mit seinen. "Es genügt mir schon, wenn du bei mir bist und wenn du meine Bilder magst. Das macht mich tierisch glücklich weißt du?", er kicherte vergnügt. "Lucien, du bist einfach viel zu lieb zu mir.", murmelte er. "Findest du?", er schien kurz zu überlegen. "Hmm, nein, doch nicht. Vergiss was ich gesagt habe.", berichtigte er sich. Er war einfach zu süß und außerdem genauso lieb zu mir. "Okay.", "Willst du noch eine Weile weitermalen?", harkte er nach, "Jab, ich möchte das Bild heute noch fertig kriegen, damit ich morgen mit dem nächsten anfangen kann. "Oh, lass mich raten, du hast schon wieder eine Idee für ein neues Bild. Ich werde so lange auf dich warten, dann gehen wir zusammen nach Heim.", las er meiner Gedanken und schlug dies vor. Ich schüttelte de Kopf. "Nein, du brauchst nicht auf mich warten. Das kann noch etwas dauern. Geh ruhig schon heim. Ich komme dann nach.", sagte ich. "Hmm, meinst du? Aber zu Hause ist es super langweilig ohne dich.", betonte er, während er sich etwas von mir löste und ein bisschen beleidigt dreinschaute. "Hey, nicht beleidigt sein. Ich komme doch nach, sobald ich hier fertig bin.", versprach ich. "Außerdem, wolltest du doch nachher noch mit den Jungs auf den Basketballplatz im Park gehen.", erinnerte ich ihn. "Ja schon...aber ohne dich...wenn du zuschaust, macht es mir am meisten Spaß. Das weißt du doch.", erklärte er mir ein bisschen enttäuscht. Ich lächelte ihn wieder an. "Das weiß ich doch, aber, du solltest die Anderen nicht wegen mir versetzen. Dann werden sie enttäuscht sein.", pflichtete ich ihm bei. Er seufzte schwer. "Da hast du recht. Kommst du dann wenigstens nach? Schreib mir unbedingt eine SMS, ja?", bat er mich eindringlich. "Klar, versprochen. Wir sehen uns dann da.", "Okay, dann ist ja alles gut.", und plötzlich strahlte er wieder über das ganze Gesicht. Das erwärmte mein Herz sofort. "Trotzdem wird es ohne dich sicher fürchterlich einsam. Auch wenn es nur für ein ein paar Stunden ist. Das ist, als wäre ich nur zur Hälfte da.", sprach ein meine Gefühle aus. "Ich weiß, ich denke dasselbe.", bestätigte ich seine Worte und stand auf, um ihn noch einmal fest zu umarmen, um einen Duft in mir auf zu nehmen und ihm einen kurzen Kuss zu stehlen. "Du bist ganz schön fies weißt du das?", murmelte er, gegen meine Lippen. "Klar, weiß ich das und ich genieße das.", grinste ich. Wir wussten bereits mit 14, dass es sich für Brüder nicht gehörte sich so nahe zu sein. Aber es war uns egal was andere von uns denken könnten. Die Nähe des Anderen war uns immer das Wichtigste gewesen. Wir fühlten das Gleiche. "Komm her!", forderte er. Louise zog mich näher an sich und grinste zurück. Ich legte meine Arme um ihn und vergrub meine Finger in seinem T-Shirt. Dabei hinterließ ich einige Farbspuren auf seinem Shirt. Ich spürte seine Lippen auf meinen und wir küssten uns innig. "Meinst du wirklich, dass ich gehen soll?", harkte er noch mal nach, als er sich von mir löste, um auch wirklich sicher zu sein. Ich nickte. "Ja, du solltest wirklich zu ihnen gehen.", selbst, wenn ich mich ohne ihn genauso einsam fühlte. "Okay, okay...bin ja schon weg.", antwortete er neckisch, beleidigt und rannte rasch zur Tür hinaus. Bevor er ganz weg war, steckte er noch mal seinen Kopf durch den Türspalt. "Und schreib mir auf jeden Fall eine SMS ja?", fragte er noch mal hibbelig. Ich lächelte ihn an. "Ja...ganz sicher. Bis später.", antwortete ich.
 

Nur ein paar Minuten später schlug das Schicksal mit all seiner Grausamkeit zu.
 

Durch das auf Kipp gestellte Fenster hörte ich laut das Quietschen der Reifen. Ich spürte plötzlich so einen Stich in meinem Herzen. Mit einem Mal konnte ich meinen Bruder kaum noch spüren. Ich hatte fürchterliche Kopfschmerzen. Plötzlich,... fühlte ich mich so leer und ich musste weinen. "Louise...", flüsterte ich. Dieser Gedanke an ihn bewegte mich dazu von meinem Platz aufzustehen und zum Fenster zu gehen. Man konnte vom Kunstraum direkt auf die Straße sehen. Sirenengeheul... Dort war ein Unfall passiert und eine Scharr von Leuten. Wenige Minuten stand ich einfach nur stock steif da und spürte wie mich eine Kälte vereinnahmte. Ich atmete die Luft scharf ein. Es war, als wäre sich mein Unterbewusst bereits im Klaren, was in diesem Moment passiert war. Ich wich einen Schritt zurück. "Nein...Nein! Das kann nicht sein!", versuchte ich diesen grausamen Gedanken zu verdrängen und rannte los. Ich musste es wissen! Mein Bruder, mein geliebter Louise, war doch bis eben noch putzmunter. Es konnte...nein es durfte nicht sein! Ich rannte durch das Schulgebäude und rempelte dabei einige, der wenigen noch verbliebenen Schüler an. Was sie sagten, verstand ich nicht. Es kümmerte mich auch nicht. Alles woran ich denken konnte war diese schreckliche Vorahnung. Ich rannte und rannte. Bis ich draußen ankam, bis zum Schultor...atemlos...
 

Die Straße entlang...
 

Bis ich an dem Unfallort ankam nur wenige Meter neben der Schule auf der Straße. Wo die vielen Menschen mir die Sicht versperrten. Völlig hystherisch drängelte ich mich durch die Massen. "Lasst mich durch! Lasst mich durch!", schrie ich und drängelte immer weiter. Flüstern überall. "Der arme Junge, er wurde voll erwischt. Ob er es schafft?", hörte ich sie reden . Mit aller Kraft schubste ich einige Leute zur Seite, die sich empört beschwerten, doch ich ließ mich nicht von meinem Vorhaben abbringen. Da standen die Sanitäter um die Unfallstelle herum und versuchten die Leute fern zu halten. Andere kümmerten sich um die Verletzten. Einer versuchte mich aufzuhalten und hielt mich fest, bis er in mein Gesicht schaute und mich plötzlich entsetzt los ließ. Vermutlich weil er in das Gesicht eines Toten schaute. In das Gesicht eines Menschen, der einem nahezu Toten glich wie ein Ei dem Anderen. An meinem Bruder wurden Wiederbelebungsmaßnahmen eingesetzt. So lange, bis sein Herz wieder schlug und er wieder am Leben erschien. Und trotzdem konnte ich ihn nicht fühlen. "Louise! Louise!", schrie ich verzweifelt und unter Tränen nach meinem Zwilling. Ein Sanitäter versuchte mich zu beruhigen, während Louise verladen wurde. Es ging alles so schnell und plötzlich saß ich im Krankenhaus. Vor dem Zimmer meines Bruders. Meine Eltern, die irgendwann dazugekommen waren, sprachen mit dem Arzt. Ich starrte nur starr an die weißen Wände, ohne jede Regung, bis sich meine Eltern mir zuwanten und sich neben mich setzten. Meine Mutter legte mir ihre Hand auf meine und sah mich an...auf eine Weise, die schon alles sagte. Sie war zu Tode betrübt, genau wie mein Vater, der sonst eher ein ernster Typ war und dennen Gesichtsausdruck sonst niemals entgleiste. Sie rangen um Worte. Sie kämpften mit sich, ihrem Sohn zu sagen, dass sein Zwillingsbruder nicht mehr unter ihnen weilte. Das er nie mehr aufwachen würde.
 

"Schatz...sie sagen...das sein Herz noch schlägt, aber sein Gehirn zu wenig Sauerstoff bekommen hat und er daher Hirntot ist. Louise wird nie wieder aufwachen. Sie erhalten ihn künstlich am Leben. Sie sagten, dass ein Herz geeignet ist einem anderen Menschen das Leben zu retten. ", erzählte sie mir und ich schaute sie entsetzt an. "Ihr wollt ihm, sein Herz nehmen? Sein Herz und seine Seele? Wie könnt ihr so grausam sein!? Louise ....Louise...ist..."schluchzte ich. Meine Mutter nahm mich in den Arm. "Lucian ...Für uns ist es genauso schmerzhaft wie für dich! Wir lieben deinen Bruder genauso sehr wie du. Wir können verstehen, dass du wütend und traurig bist, aber...da ist ein Junge, dem wir mit Louise Herzen helfen können zu leben.", "Genau...", ergänzte mein Vater und streichelte mir behutsam über den Kopf. "Louise Herz könnte in einem anderen Körper weiter schlagen und ihm das Leben retten. Aber, wir wollten nicht zustimmen bevor auch du damit einverstanden bist. Er ist immerhin dein Zwillingsbruder und wir wissen, wie sehr du an ihm hängst.", erläuterte mein Vater und sah mich genauso traurig an wie meine Mutter, aber auch ebenso zuversichtlich. "Was meinst du? Wäre es nicht schön, wenn sein Herz einem anderen das Leben retten könnte? Dann wäre sein Tod nicht um sonst gewesen.", versprach er mir.
 

Einen anderen Menschen retten...Warum nur musste so oft ein Mensch sterben, damit ein anderer Leben konnte?
 

Schließlich stimmte ich schweren Herzens zu. Vielleicht hatte ich einfach die Hoffnung, dass das alles nur ein böser Traum war, letztlich ein Wunder geschah und ich einfach aufwachte. In der Hoffnung, dass diese hereinbrechende Dunkelheit von Louise strahlendem Lächeln unterbrochen wurde. Warum nur hatte ich ihn gehen lassen? Ich hätte ihn niemals dazu drängen sollen zu seinen Freunden zu gehen. Wieso war ich nicht mit ihm gegangen? Wieso...war ich nicht mit ihm gestorben, wenn das Schicksal schon so grausam sein musste?
 

...kein Licht...
 

An dem Tag an dem er beerdigt wurde war der Himmel von dichten Wolken behangen. Die Wolken ließen nicht mal den Schimmer eines Lichtstrahles durch die Wolkendecke. Es regnete und es schien, als würde der Himmel mit mir weinen, als würde er all meine Traurigkeit hinfortspühlen und sie durch ein falsches Lächeln ersetzten. Mein tiefstes Innerstes baute eine dichte Mauer um mich herum, die keine verräterische Gefühlsregung mehr duldete, mich selbst vor Schmerz schützte. Ab diesem Tag war ich nicht mehr ich selbst. Ohne meinen Bruder war ich nicht mehr ich. Das fühlte sich so an, als hätte mich ein Teil meiner Seele verlassen. Ganz deutlich spürte ich die Leere, die sonst immer von der Liebe meines Bruders erfüllt war. Nun war alles dunkel.

Es war alles meine Schuld!
 

Es gab...keine Hoffnung mehr...So dachte ich zu dieser Zeit...als ich noch nicht wusste, das nichts verloren war solange man nur glauben konnte...
 

*
 

Zwei Jahre später
 

"Schatz, du musst zur Schule.", versuchte mich meine Mutter zu wecken, als sie gerade auf dem Sprung zur Arbeit war. Mein Vater war schon längst zur Arbeit gegangen.
 

Mittlerweile waren wir eine Stadt weiter gezogen, in eine neue Wohnung. Meine Eltern hielten es damals für besser, um zuziehen, weil sie dachten, dass mich meine alte Umgebung nur noch trauriger machte und mir ein Tapetenwechsel bestimmt gut tat. Ich empfand eher das Gegenteil. Nach Louise plötzlichem Tod konnte ich nicht mehr in meinem eigenen Bett schlafen und schlich Nachts in sein Zimmer, dass selbst Tage später noch genau so aussah, wie an dem Morgen, als wir das Haus verlassen hatten, als er noch lebte. Ich atmete seinen nach und nach verschwindenden Duft ein und alles was noch an ihn erinnerte waren seine Habseligkeiten, wie Kleidung und einige Fotos. Meine Eltern bemerkten es natürlich, dass ich nur noch in seinem Zimmer schlief und gar nicht mehr aufstehen mochte, weil ich so das Gefühl hatte ihm näher zu sein. Nachts weinte ich mich in den Schlaf. Trotzdem wäre ich gern dort geblieben. Denn nun konnte ich nicht mal mehr sein Grab besuchen so oft ich wollte. Mindestens ein mal in der Woche setzte ich mich in den Zug, um dort hinzu fahren. Auch meine Eltern konnten mich nicht davon abhalten.
 

Seid diesem schrecklichen Tag versuchten meine Eltern alles um mich bei Laune zu halten, weil sie merkten, dass ich so gut wie gar keine Zeit mehr mit Gleichaltrigen verbrachte und auch auch nicht mehr lächelte. Ich zog mich beinahe komplett zurück. Nicht mal mehr Freunde hatte ich wirklich, weil ich keinen zu nahe an mich heran lies. Auf der neuen Schule achtete ich peinlichst genau darauf, dass niemand merkte, wie ich mich wirklich fühlte. Ich war nach außen freundlich und zugewant, doch in Wirklichkeit, spürte ich nichts außer der Leere in meinem Herzen. Wenn sich meine Mitschüler mit mir verabreden wollten lehnte ich freundlich dankend ab. Ich fand immer irgendeine Ausrede.

Obwohl meine Eltern stehts ihr Bestes gaben, hatte ich die ganzen zwei Jahre das Gefühl allein zu sein. Besonders jetzt spürte ich wie stark die Verbindung zu meinem Zwillingsbruder war. Wie abhängig ich von seiner Gegenwart und Liebe war. Mein Herz gehörte ihm, schon unser ganzes Leben lang. Nun hatte uns das Schicksal auf seine grausamste Art und Weise getrennt. Für immer.
 

Die ganze Zeit über hatte ich das Gefühl, dass ...niemand da war..., der meinen Kummer und meinen Schmerz wirklich verstand. Keiner der sich in mich hineinfühlen konnte. Vielleicht lag das auch daran, dass ich niemanden an mich heran lies, aber ich konnte es einfach nicht... Ich fühlte mich wie ausgebrannt und es tat mir leid, dass ich meinen Eltern einen solchen Kummer bereitete. Doch...
 

Mein Innerstes war schwarz und leer...
 

*
 

"Wieso willst du denn nicht mit uns kommen? Das wird bestimmt lustig.", versuchte mich einer meiner Mitschüler zu überreden am Samstag mit zum Rodeln zu kommen. Doch ich lehnte ab. Schon ein Blick aus dem Fenster lies mich frösteln. Denn es war tiefster Winter. Schnee war lästig, und beim Rodeln wurde man nur total durchgeweicht von der vielen Feuchtigkeit, selbst wenn man die wärmsten Wintersachen anhatte. Ich war jemand, der schnell fror, ganz im Gegensatz zu meinem Bruder, der sich keine sportliche Aktivität entgehen lies und mich immer mit sich zog. Auch wenn ich ihn voll nörgelte. Aber für ihn tat ich fast alles, und wenn ich dann mit einem heißen Bad und einem Kuschelabend belohnt wurde, war es mir das wert. "Ne lass mal, ich bin nicht so der Winterfan. Außerdem muss ich noch für die Klausur büffeln, die wir am Montag schreiben.", erinnerte ich meinen Mitschüler, der mich einmal völlig überrumpelt ansah. "Ach stimmt, die Klausur, das hatte ich ja fast vergessen.", sein Freund kicherte und verpasste ihm einen Klapser auf die Schulter. "Du Spinner, du brauchst dir die Sachen doch nur einmal durch zu lesen und weißt alles.", das stimmte. Eric war wirklich super in der Schule. Ich war auch kein schlechter Schüler, aber ich musste deutlich mehr lernen als er und als mein Bruder starb war ich in meinen Leistungen ziemlich abgesackt. "Und du willst wirklich nicht mitkommen? Lucien, ich bin mir sicher, dass viel mehr Mädchen mitkommen würden, wenn du auch da wärst.", zwinkerte er mir zu. Na wenn der wüsste, dass ich schwul war, würde er das vielleicht nicht mehr sagen. Aber es könnte ja genauso sein, dass sie gerade deswegen mitkamen, weil sich einige der Mädchen einen schwulen besten Kumpel wünschten. Aber für sowas war ich nicht zu haben. Ich war doch ein Ausstellungsstück oder ein Lockmittel! "Nein wirklich nicht. Ich muss jetzt auch nach Hause.", betonte ich, "Luc, du bist immer so kalt. Wie gemein.", jammerte Eric. "Lass ihn doch, du kannst ihn nicht zwingen.", sein Freund hatte wirklich eine gute Einstellung, was das anging. Ich winkte zum Abschied. Alles was ich wollte war, mich in meine kleine Welt zurück zu ziehen. Ganz gleich wo ich war, richtete ich diese Fassade auf, die mich schützen sollte.
 

Bevor ich das gut geheizte Gebäude verließ, ließ ich noch einmal einen bösen Blick aus dem Fenster des Korridors gleiten, um innerlich das Wetter zu verfluchen. Verdammter Schnee! Heute morgen war ich knöcheltief darin versunken, weil natürlich noch niemand geräumt hatte und schon mal gleich gar nicht gestreut. Fast wäre ich sogar zu spät zur Schule gekommen. Ich legte mir meinen dicken Wollschal um den Hals und setzte mir meine Mütze auf. Das waren alles Sachen, die ursprünglich mal Louise gehörten. Ich hatte mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, die Sachen weg zu schmeißen. Immerhin konnte ich nicht mal mehr ihn seinem alten Bett schlafen und ihn auch nicht mehr regelmäßig besuchen. Da wollte ich zumindest diese Sachen behalten. Das gab mir ein wenig Sicherheit und beruhigte mich. Ich stellte mir einfach vor, dass er mich umarmte und mich so warm hielt.

Als ich alles angezogen hatte, setzte sich meine Füße vor die Tür und schon schlug mir die Eiseskälte ins Gesicht. "Scheiße ist das kalt!", fluchte ich und ging vorwärts. Ich war nur einfach nur froh, wenn ich zu Hause war und mich mit einem heißen Tee unter die Wolldecke kuscheln konnte und in Erinnerungen schwelgte. Völlig Gedanken verloren lief ich über den großen Platz vor der Schule. Dabei übersah ich eine gefrorene Pfütze. Das war eine der wenigen Stellen, die viel zu wenig Streusalz abbekommen hatten. Üblich war es doch, das mindestens zwei Personen nebeneinander laufen können mussten. Aber das hatte der Hausmeister wohl vergessen.

Plötzlich rutschte ich aus, und fiel gegen einen Rücken, und krallte mich erschrocken an der Jacke fest, so dass der Mitschüler, an dem ich mich festhielt, vor Schreck fast das Gleichgewicht verlor. "Woa, na hopla, was ist denn jetzt los?", fragte er, als er seinen Kopf schnell drehte. So schnell ich konnte ließ ich ihn los."Haha, da ist jemand über seinen eigenen Füße gestolpert.", lachte sein Gesprächspartner. Sehr witzig! Was haben wir wieder gelacht. Der hätte wohl mal besser hinsehen sollen. "Sorry, ich bin ausgerutscht.", entschuldigte ich mich. Möglichst schnell, wollte ich mich aus dem Staub machen. Doch mein Schicksal machte mir einen Strich durch die Rechnung, denn promt stolperte ich beim Kehrt machen dann tatsächlich über meine eigenen Füße. Der Junge von eben streckte seine Arme nach mir aus und bewarte mich ein weiteres mal davor auf meiner Nase zu landen. Er hielt mich leicht an sich gedrückt. "Alles klar?", fragte er mich nach meinem Befinden, aber...ich konnte nicht antworten. Denn ich war wie erstarrt, als ich sein Herz schlagen hörte. Er trug seine Jacke nämlich geöffnet. Ganz deutlich konnte ich es hören. Ich konnte es mir nicht erklären, aber plötzlich fühlte ich eine aufkommende Wärme und es war, als schlug mein Herz mit seinem im gleichen Takt. Völlig überraschend überkam mich eine Vertrautheit. Wie war das möglich? Ich war mir ziemlich sicher diesen Typen an dieser Schule noch nie wirklich wahrgenommen zu haben. "Hey, geht es dir nicht gut, oder genießt du es nur von mir umarmt zu werden?", grinste er und holte mich mit seinen Worten in die Realität zurück. "Schau mal wie bedröppelt er dreinschaut. Der ist ja völlig neben der Spur.", bekundete sein Kumpel. Konnte der Kerl nicht mal die Klappe halten? "Kannst du vielleicht ein bisschen Taktvoller sein?", schimpfte der Typ mit seinem Kumpel. "Äh nein, sorry...", brabbelte ich, "Jetzt entschuldige dich doch nicht. Sowas kann doch mal passieren...", antwortete er und starrte mich plötzlich mindestens genauso überrascht an, wie ich ihn. "Hallo, noch da? Sagt mal kennt ihr euch etwa? Was ist denn plötzlich los? Wie lange wollt ihr euch denn noch anhimmeln? Ich werde dann schon mal nach Hause gehen.", richtete der Andere seinem Kumpel aus, der nicht auf ihn reagierte, "Luis? Hörst du mich?"
 

Mein Atem stockte...
 

Luis? Bei diesem Namen wich ich einen Schritt zurück. "Was hast du? Bist du sicher das alles in Ordnung ist?", er nahm meine Hand. Es war als ob mich etwas durchfuhr, wie ein Blitz. Sein Kumpel dampfte währenddessen völlig entnervt ab. Ich schaute auf Luis Hand und zog sie weg. "Oh, entschuldige...halt mich für verrückt, aber...irgendwie habe ich das merkwürdige Gefühl, dich schon sehr lange zu kennen...", präsentierte er mir seine Gedanken. Ich schüttelte den Kopf. "Das ist...ummöglich, wir haben uns noch nie unterhalten oder so...", eröffnete ich ihm stur. Eher schlecht als recht, versuchte ich ihm mein aufgesetztes Lächeln zu präsentieren, um ihm zu vermitteln, dass alles in Ordnung sei und ihm diesen irrsinnigen Gedanken auszutreiben. Normaler weise klappte es auch, "Vergiss es einfach okay? Das ist nur ein dummer Zufall!"
 

Es konnte nur ein dummer Zufall sein! Der Name, der ähnlich war, das Gefühl der Vertrautheit, "Hey, wieso setzt du so ein falsches lächeln auf, das steht dir überhaupt nicht! Das passt gar nicht zu deinem hübschen Gesicht!", schimpfte er mit diesem, jenem sanften Unterton, ja sogar seine Art zu sprechen war fast identisch. Ich wich immer weiter zurück und schüttelte den Kopf. "Nein! Hör auf so einen Unsinn zu reden!", er hatte mich sofort durchschaut, ohne mich zu kennen. Ich musste aufpassen, dass ich nicht weinte. Wieso nur hatte ich das Gefühl ihm in die Arme laufen zu wollen?

Louise! Bruderherz! Wieso war ich plötzlich so durch den Wind!?

Luis sah nachdenklich aus und seufzte einmal tief. "Entschuldige, dass ich dich mit meinen Vermutungen so bombardiert habe. Das ist eigentlich so gar nicht meine Art, aber...irgendwie könnte ich nicht anders.", er sah leicht verlegen aus. Ich presste die Lippen auf einander. "Lucien, Lucien! Hey, du bist ja immer noch da. Wie dachten, du seist schon längst nach hause gegangen.", rief Eric nur wenige Meter hinter uns. "Ich...ich muss los!", murmelte ich und stapfte schnell durch den Schnee in Richtung Bushaltestelle, um in den gerade ankommenden Bus zu springen. Durch die sich schließenden Türen, hörte ich Luis und meine Mitschüler rufen, aber ich ignorierte sie. Ich musste meine Gespräch mit Luis vergessen! Ich musste ihn vergessen! Das war alles nur Einbildung!
 

*
 

Zu Hause ließ ich mich auf mein Bett fallen und kuschelte mich unter meine Decke. Ich bekam gar nicht mit, dass meine Mutter nach Hause kam. "Lucien, bist du da?", rief sie durch den Türspalt. "Ja...lass mich in Ruhe.", murmelte ich und zog mir die Decke über den Kopf. "Ach Schatz, ist in der Schule was vorgefallen?", hörte ich ihre Stimme fragen und ihre Schritte die langsam näher kamen. Sie setzte sich auf die Bettkante. "Du kannst mir alles sagen Lucien.", erinnerte sie mich. Ich wusste, dass es so war, aber ich konnte und wollte einfach nicht. "Es ist alles in Ordnung! Lass mich einfach in Ruhe...ich möchte allein sein...", machte ich ihr klar. Sie seufzte schwer. Ja, sieh hatte es nicht leicht mit mir. Ich ließ sie ja auch nicht mehr an mich heran, auch meinen Vater nicht. Ich konnte meinen Eltern ja unmöglich erzählen, dass ich heute jemanden getroffen hatte, der mich an meinen Zwillingsbruder erinnerte. Äußerlich ähnelten sie sich gar nicht. Bis auf ihre Statur waren sie grundverschieden. Doch ihr Wesen und ihre Namen glichen sich. Das war erschreckend und zugleich verwirrend. Dieser Tag war ziemlich erschöpfend. Ich wollte ihn einfach nur vergessen. "Ist in Ordnung, komm einfach zu mir, wenn du doch darüber reden möchtest.", bot sie mir an und verschwand aus meinem Zimmer. Leise schloss sie die Tür...Hoffentlich sprach Luis mich morgen in der Schule nicht an.
 

*
 

Der nächste Morgen war genauso kalt und verschneit wie der vorige. Sobald ich aus dem Fenster schaute verging mir jegliche Lust aufs Aufstehen. Wieso konnte nicht schon Freitag nachmittag sein? Dann würde ich mich nach der Schule einfach aus dem Staub machen, mich zu Hause ins Bett legen und den Rest des Tages verschlafen. In meinen Träumen wäre ich mit Louise zusammen und würde der Realität einfach entfliehen. Zumindest für kurze Zeit. Die Gegenwart, würde eh genauso vergehen wie die Vergangenheit. Eines Tages, verlor einfach alles an Farben und Form. Niemand konnte etwas daran ändern, oder es verhindern. Wozu lebten wie eigentlich?
 

Der Weg auf dem ich ging war mittlerweile eine einzige Tortur. Jeder Schritt den ich ging, war für mich sinnlos und mit schmerzen verbunden, weil ich mich immer wieder an den Tag erinnern musste. An den Tag an dem ich mein Ebenbild, den Menschen, den ich von allen am meisten liebte schwer verletzt und Tod vor mir sehen musste. So würde ich wohl auch aussehen, wenn ich einmal starb...
 

Dennoch mit falschem Lächeln ging ich weiter...

immer weiter...
 

Gemeinsam mit der Gewissheit, dass es einen Menschen gab, der mich durchschaute.
 

...
 

In meinen dicken Schal gekuschelt war ich auf dem Weg zur Schule. Ich beeilte mich nicht sehr. Eher ging ich absichtlich langsam durch den Schnee. Meine Mutter hatte mich extra früh losgeschickt, damit ich den Bus auch ja nicht verpasste. Heute war ich zumindest so schlau mir gefütterte Stiefel anzuziehen, aber kalt war mir trotzdem. Wieso musste es auch so schneien? Es reichte doch über die Weihnachtstage, wenn wir eh Ferien hatten. Dann musste ich mich eh nicht in die Kälte zwängen.

Als ich aus dem Bus ausstieg erblickte ich Luis, wie er nur wenige Meter von mir weg stand und scheinbar nach jemandem Ausschau hielt. Fest presste ich meine Lippen zusammen. Ich war schon der Überlegung nicht einfach weiter zu fahren, aber dann würde meine Mutter sauer werden, wenn ich nicht zur Schule ging. Sie sagte, dass es mir gut tat, wenn ich unter anderen Menschen war. Sie hatte ja keine Ahnung. Eher war es eine Qual. Am liebsten wollte ich einfach nur für mich sein und immer freundlich zu tun, war ziemlich anstrengend auf die Dauer.

Mir blieb nur eine Wahl. Ihn ignorieren. Ich zog meine Kapuze tief in mein Gesicht, in der Hoffnung, dass er mich nicht erkannte. Dann ging ich los und lief schnurstracks an ihm vorbei. Zumindest versuchte ich das.

"Lucien? Lucien, warte!", hörte ich plötzlich Luis Stimme. "Hey! Ignoriere mich nicht! Das ist gemein!", jammerte er genau wie Louise. Doch ich ging einfach weiter, ohne an zu halten. Ich wollte ihn nicht sehen, nicht hören, und schon gar nicht fühlen. Seine Nähe verwirrte mich und das Schlagen seines Herzens zog mich magisch an. Ich wollte das nicht! Aber er schien das zu wollen. Denn er blieb hartnäckig. Er lief mir nach. "Lucien, jetzt bleib doch mal stehen! Wieso ignorierst du mich?", "Das geht dich überhaut nichts an!", schimpfte ich zurück. "Na und ob mich das was angeht! Ich habe dir nichts getan und trotzdem ignorierst du mich! Dankt man so seinem Lebensretter?", meckerte er mir hinterher. "Lucieeeen!", jammerte er wieder und wir zogen mit unserer kleinen Showeinlage die ganze Aufmerksamkeit auf uns. Ich wollte hier einfach nur noch weg! Weit weg! Am liebsten dorthin, wo Louise war. Laut hörte ich das Stapfen hinter mir, spürte seine Hand an meinem Handgelenk, die mich aufhielt. Mit einem kräftigen Ruck wurde ich zu ihm gezogen. Schon bevor ich überhaupt nah genug vor ihm stand, konnte ich sein Herz kräftig gegen seine Brust schlagen hören. Schon bevor ich wusste wie mir geschah, erschränkte er seine Finger mit meinen und es durchfuhr mich abermals wie ein Stromschlag. "Heute Nachmittag nach der Schule!", bestimmte er einfach mal so, "Wir treffen uns! Ich will dir unbedingt was zeigen! Wehe du kommst nicht! Dann werde ich dich finden!" Ich legte den Kopf schief. Was sollte denn das werden? Sowas wie ne Drohung? "Ich habe keine Zeit.", versuchte ich mich rauszureden. Er grinste. "Du lügst, das kann ich dir an der Nasenspitze an.", verriet er mir. Ich schluckte. "Vergiss es!", murmelte ich und machte mich auf den Weg in meine Klasse. "Ich warte auf dich!", rief er mir noch hinterher. Wie konnte er sich nur so sicher sein, dass ich mich auf dieses Treffen ein lies? Fas war doch total irreal... ich wollte das doch nicht! Ich sollte mich von ihm fernhalten und meine Gedanken mal wieder ordnen. Ich war so verwirrt und ganz rot vor Verlegenheit. Das merkte ich aber erst, als Erik mich darauf ansprach, als er mich an der Klassentür abfing.

"Sag mal Lucien warum bist du denn so rot im Gesicht? Ist es vor Kälte, vor Anstrengung, oder bist du etwa...verlegen?", hinterfragte er , ohne sich viel dabei zu denken. Er war so gelassen wie immer. Wieso sollte er auch anders sein?

Ich wusste sofort, dass es Verlegenheit sein musste...wegen ihm... Trotzdem schüttelte ich den Kopf und lächelte ihn an wie immer. "Nein, es ist alles okay. Lass uns rein gehen ja?", er nickte. "Dann ist ja gut, ich dachte es wäre irgendwas. Bei dir ist das schwer einzuschätzen, weil du immer lächelst und nie wirklich aus dem Rahmen fällst.", gestand er mir und grinste mich fröhlich an. Er streckte sich. "Na dann, lass uns den Tag beginnen. Gleich haben wir Mathe, das kostet viel Kraft.", ich nickte. Mathe eines der Fächer, die ich ganz gut konnte, während mein Bruder sich damit immer schwer tat. Wie es Luis dabei wohl ging?

Mist, jetzt dachte ich schon über ihn nach! Bloß weg mit diesem Gedanken! Raus aus meinem Kopf! "Und? Wie ist es mit heute? Kommst du heute mit heiße Schokolade trinken?", wollte Erik wissen und holte mich mit seiner Frage aus den Gedanken. "Was?", er legte den Kopf schief. "Hast du nicht zugehört? Kommst du heute mit heiße Schokolade trinken?", wiederholte er seine Frage. Ich musste verrückt gewesen sein. Das wäre die Chance, um, die von mir nicht eingewilligte Verabredung zu umgehen! "Ich hab schon was vor.", plapperte ich einfach drauf los. Es kam wie von selbst aus meinem Mund. "Was? Schon wieder? Was hast du denn vor, dass du auf diese meger leckere Schokolade verzichtest?", jammerte er. "Ich treffe mich mit Luis.", antwortete ich wahrheitsgemäß. Wow, ich musste feststellen, dass das in der letzten Zeit die ehrlichsten Worte waren, die ich jemals äußerte. Alles andere basierte eher auf eine Lüge. Meine Freundlichkeit, mein Lächeln, meine Ausreden...nichts von alle dem war ehrlich gemeint.

Erik schaute mich erstmal verblüfft an. "Waaaas? Mit Luis? Der ist doch aus eine Klasse über uns...Der ist total beliebt bei den Mädels. Hmm...ich glaube er ist vor einem Jahr wieder zu uns gekommen...nachdem was ich von seinen ehemaligen Mitschülern gehört habe, soll er wohl sehr krank gewesen sein...bis vor 2 Jahren. Noch bis letztes Jahr war er in einer Rehaklinik. ", erklärte er er mir und ließ mich unbemerkt schlucken, "Krank? Rehaklinik?", wiederholte ich..."Jab, genaueres weiß ich auch nicht...frag ihn doch einfach mal. Aber es wundert mich nicht, dass er dich so ohne weiteres angesprochen hat.", betonte er mit einem Schmunzeln im Gesicht. Völlig verdattert starrte ich ihn an, er lachte leise. "Nein, es ist wirklich kein Wunder, dass er dich angesprochen hat.", wiederholte er. "Was? Wie kommst du denn darauf?", "Na weil du in seinen Augen bestimmt süß bist.", teilte er mir mit. Süß? Ich? Mir fehlten die Worte. "Ja, jetzt bist du sprachlos was?", ich schüttelte den Kopf. "Quatsch, ich musste nur etwas länger nachdenken!", verteidigte ich mich, wenn auch eher kläglich.
 

Auf dieser schwarzen Straße...
 

Nach der Schule harrte ich eine Weile auf der Schultoilette aus und überlegte was ich tun sollte. Ich vermutete, dass ich in der Hoffnung lebte, dass er es dann einfach leid war auf mich zu warten und verschwand. Ich und süß...das war bestimmt ein Irrtum. Das bildete sich Erik bestimmt nur ein....Aber hatte Luis nicht gesagt, dass er mich dann finden würde? Wie konnte er sich da so sicher sein? Und was hatte es mit seiner Krankheit auf sich? Erik sagte doch, dass er bis vor zwei Jahren sehr krank gewesen sein soll. Vor zwei Jahren...als Louise gestorben war. Ich schüttelte den Kopf. Nein! Das war bestimmt nur ein Zufall, eine Ironie des Schicksals! Ja...das konnte gar keinen Zusammenhang haben!
 

..wartete ich...
 

"Lucien? Hey, komm raus, ich weiß, dass du dich hier versteckst.", hörte ich eine Stimme. Ich musste nicht lange nachdenken, um sie zu erkennen. Das war Luis! Was machte er nur hier? Woher wusste er, dass ich hier war? "Lucien...ich kann deine Tasche sehen...", verriet er mir. Verdammt! Jetzt fand er mich also doch. Verstecken brachte jetzt auch nichts mehr. Ich kauerte mich auf dem Toilettendeckel zusammen. "Woher wusstest du, dass ich hier bin?", fragte ich in Richtung Toilettentür. "Weiß nicht, war wohl Intuition. Schon krass oder? Ich wusste es einfach. Seid ich dich gesehen habe bin ich total angetan von dir, und es kommt mir so vor dich schon ewig zu kennen. Es ist...als sehnte sich mein Herz nach dir.", ich schwieg. Wie konnte er das nur wissen? "Ach, was sag ich da...es gehört ja gar nicht mir....", verbesserte er sich. Es gehörte nicht ihm? "Es ist quasi ein Geschenk...", verriet er mir. "Was redest du da? Es ist in dir, also gehört es dir auch.", wiederlegte ich seine These. "Kommst du raus Lucien..., dann er kläre ich's dir.", bat er und versprach er mir gleichzeitig etwas. "Weiß nicht...", murmelte ich. "Bitte...ich beiße auch nicht, versprochen. Außerdem wollte ich dir doch noch was zeigen.", und wenn doch? Nachher biss er ja doch. Was sollte ich tun? Und was sollte er mir zeigen? Ich konnte es wohl nur herausfinden, wenn ich mich heraustraute. Raus aus meiner Abschottung. Was erwartete mich? Ich berührte die Kabinentür und spürte schon wieder so eine Welle, die sich durch meinen ganzen Körper zog, als sei ich direkt mit seinem Herzen verbunden. Ein Blick auf den Bode verriet mir, dass er wohl vor der Tür stand, denn ich konnte einen Schatten sehen, der sich im Licht bewegte. "Spürst du es auch? Es ist, als seien wir direkt verbunden.", offenbarte er mir meine Gedanken. Das war doch alles total verrückt! Ich hatte Angst...vor meinen eigenen Gefühlen...Trotzdem machte ich einfach die Tür auf, schaute dann direkt in sein Gesicht, dass mich anstrahlte. "Also, was willst du mir zeigen?", fragte ich ihn. "Ich werde es dir zeigen.", er hielt mir seine Hand hin und ich nahm sie. Verblüffend...wie aus einem Impuls heraus. Ich konnte einfach nicht anders....
 

All die Zeit... habe ... ich gewartet...
 

Ich ging mit ihm...um zu erfahren, was er mir zeigen wollte.
 

Den ganzen Weg entlang drückte er meine Hand, ließ mich nicht los, als hinge etwas ganz Entscheidenes davon ab. Der Ort, an den er mich hinführte war...

"Das ist ja...die Weide...", er nickte. "Ja...dieser Ort hat mich magisch angezogen...in den Baum, sind zwei Buchstaben geschnitzt. L und L...", erklärte er mir. Ich nickte wissend. "Ich weiß, sie bedeuten...", wollte ich ihm sagen, was damit gemeint war, aber er entschied sich meinen Satz zu beenden. "Louise und Lucien...nicht war?", meine Augen weiteten sich vor Schreck. Ich ließ seine Hand los und trat einen Schritt weg. "Ich weiß nicht warum ich das weiß, aber es stimmt doch...seid zwei Jahren erscheinen in meinen Träumen immer wieder so eine Art Erinnerungen an Orte, die ich noch nie gesehen habe...diese Orte scheinen von sehr starken Gefühlen geprägt zu sein...und immer tauchten diese Namen in meinem Kopf auf...Louise und Lucien...Als ich deinen Namen hörte, spürte ich sofort, dass uns etwas verbindet...", erwiderte er auf meine Reaktion. Er klang dabei fast erzweifelt. Da musste ich wieder an Eriks Worte denken und an den Unfall vor zwei Jahren. "Seid wann hast du diese Erinnerungen denn genau?", harkte ich eher kleinlaut nach. Er schien nach zudenken und legte seine Hand an den Stamm des Baumes. "Es begann nur wenige Tage...nach meiner Operation.", presste er hervor. "Welche Operation?", konnte es sein, dass... "Nun ja...ich habe von klein auf einen schweren Herzfehler...mein Herz hat irgendwann nicht mehr so gearbeitet wie es sollte und so...brauchte ich dringend ein neues Herz...ohne wäre ich damals gestorben...", erklärte er. Ein Spenderherz? Plötzlich packte ich ihn am Kragen. "Wann war das genau?", wollte ich sofort wissen. Ich musste an Louise denken. An dem Tag, an dem er gestorben war,..wurde doch..."Am 21. August.2010."...ein Herz gebraucht. Plötzlich standen mir die Tränen in den Augen. "Das kann nicht sein...das kann nicht sein...!!!", begann ich flüsternd und wurde immer lauter. Langsam ließ ich Luis, der nun endgültig verwirrt war, los. "In welchem Krankenhaus?", wollte ich mich vergewissern. Als er mir das Krankenhaus und die Stadt nannte, war es mir endgültig klar...Nach und nach sank ich zu Boden und weinte. Er kniete sich zu mir und ich schaute ihn verheult an, "Was...was ist denn los? Ich mag's gar nicht wenn du weinst, dann weiß ich gar nicht was ich machen soll.", gestand er mir. "Ich weiß, warum du dich an all das erinnerst...", verriet ich ihm..."Es ist der Grund, warum es mich jedes Mal wie eine Welle durchflutet, wenn wir uns berühren und mein Herz rebelliert, sobald ich dir nur ein Stück zu nahe komme...Du hast...", ich schluckte einmal..."...das Herz meines Zwillingsbruders...er ist einen Tag vor deiner Operation gestorben. Vor zwei Jahren im selben Krankenhaus.", erschrocken schaute er mich an. "Was? Das Herz...deines Zwillingsbruders...? Oh Gott...deswegen also...", schluchzend nickte ich. "Louise...mein geliebter, kleiner Bruder...ich hätte ihn nicht drängen sollen schon vor zu gehen...es ist meine Schuld...", gestand ich mir ein. Wie ein Wasserfall flossen meine Tränen meine Wange herunter. Luis hockte noch immer vor mir. Dann streckte er seine Hand nach mir aus...und zog mich an sich. Mit jeder Berührung spürte ich diese Anziehungskraft... und je näher er mich an sich drückte, desto lauter konnte ich sein...Herz schlagen hören, welches im selben Takt zu schlagen schien, wie das meine... ein Herz, dass einst meinem Zwillingsbruder gehörte...Es schlug in einem Menschen, der mich glauben lies, dass es tatsächlich noch Wunder gab...und mir das Gefühl gab, wieder vollständig zu sein...Ein Kuss besiegelte ein neues Band...
 

Ja, auf dieser dunklen Straße habe ich gewartet...
 

Bis sie hell erleuchtet wurde...
 

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Widmung: XxLillixX



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Herzloser
2015-11-27T00:55:57+00:00 27.11.2015 01:55
Ich hab Pipi in den Augen. Echt verdammt schöne Geschichte. (y)
Von:  XxLillixX
2012-12-14T22:19:22+00:00 14.12.2012 23:19
...mir fehlen die Worte ganz ehrlich diese
Geschichte is sooooooo Geil geschrieben ich hab pure gänse haut bekommen
einfach WoW...

Vor allem hat es mir seeeeehr gut gefallen was du daraus gemacht hast!

Zwilingsverbindug... Er tat mir tat mir voll leid als sein kleiner Bruder starb und war fast am heuln...

Dann die Facette... stets freundlich geblieben aber doch, sich vor der
Welt abgakapselt...

Dann das treffen...diese ungewissheit was er urplötzlich hatte als er ihn traff...

Konfrontation... wo Luis in konfrontiert hatte einfach hammer, vor allem das verhalten von dem Jüngeren Zwiling auf ihn über ging...

Neuer Bund...zusammenbruch der Facette... ich fand es einfah nur schön ehrlich wie er Ihm den Ort gezeigt hatte diesen Ort und wie dann alles herraus kam.

Einfach gänsehaut Pur!!!
Ein fettes LOB und daumen hoch "like" xD von mir!!!

Ich bin ein totaler Fan von dir!!

Liebe Grüße
XxLillixX

PS: Danke noch mal für diese geschichte ehrlich ich hab mich rießig gefreud!!
PPS: schreib mir ne mail wenn du texte brauchst ;D


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