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Unverhoffte Nachbarn

Wenn Nachbarn interessant werden
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Wiederauferstehung

21.Kapitel: Wiederauferstehung
 

Catherine stand über eine Petrischale gebeugt und betrachtete das Resultat einer Untersuchung zur Funktion des mal6 Gens, welches dafür sorgte, dass die Zelle wusste, wo ihre Enden waren und wo sie wachsen sollte. Unzählige Kolonien waren auf dem Selektivmedium gewachsen und nun würde das Mikroskop zeigen, ob die herbeigeführten Mutanten wirklich Einfluss auf die Wachstumszonen der Zelle hatten. Würde sie das bei s. cerevisiae beweisen, wären sie einen guten Schritt weiter, den Mechanismus auch bei Menschen zu verstehen, denn im Prinzip war es bei allen Eukaryonten gleich.

Sie seufzte und setzte sich auf einen der Hocker in dem Labor und köhlerte das Mikroskop aus, damit auch wirklich jede Ebene gleich ausgeleuchtet war. Danach stellte Catherine die Petrischale unter das Objektiv und vergrößerte soweit, bis sie die Zellen entdeckte. Ihre Form war wirklich verändert. Einige waren halbmondförmig, einige waren wildtypische Stäbchen und wiederum andere waren in T-Form gewachsen. Alles hatte geklappt wie sie es erwartet und sie begann die Kolonien auszuzählen, notierte ihre Ergebnisse auf einem Block um sie später auf eine Excel Datei in ihrem Computer zu übertragen.

Es war bereits das dritte Mal, dass sie diesen Versuch durchgeführt hatte, unter verschiedenen Bedingungen um Fehlerquellen auszuschließen und jeder hatte zum gleichen Ergebnis geführt. Sie schien der Lösung des Mechanismus um ein Puzzleteil näher gekommen zu sein. Etwas, was sie mit Glück erfüllen sollte, mit Euphorie, doch ihr Inneres blieb leer.

Seit einem Monat war Catherine mittlerweile Doktorandin. Sie hatte sich nach Sherlocks Tod vor drei Jahren in die Arbeit gestürzt und ihren Bachelor und Master in kürzester Zeit abgeschlossen. Etwas, was ihr bei ihrem Professor Respekt eingebracht hatte und auch bei ihren Kollegen war sie für ihren wachen Verstand und ihren Ehrgeiz geschätzt. Etwas, was sie von Sherlock gelernt hatte. Von ihm hatte sie gelernt Dinge zu sehen, die andere nicht sahen, Dinge mit einzurechnen, die willkürlich oder irrelevant erschienen. Das hatte sie in ihrem Berufsleben weit gebracht, doch seitdem lag ihr Privatleben brach.

Nach seinem Selbstmord hatte sich alles verändert. Seit der Trauerfeier hatte John sich immer weiter zurückgezogen, ließ Niemanden mehr an sich heran und sie hatten auch kaum mehr miteinander gesprochen. Der merkwürdige Consulting Detective war meist ihr einziges Thema gewesen und nachdem er von ihnen gegangen war, konnten sie sich nicht mehr ansehen ohne an ihren Schmerz erinnert zu werden.

Oft hatte Catherine in der vergangen Zeit über alles nachgedacht, was sie mit ihren Nachbarn erlebt und durchlitten hatte. Es waren nicht immer schöne Tage gewesen, sie hatte auch Schmerzen für die beiden ertragen, doch sie hatte sich nie beschwert, denn es war ihr egal gewesen. John und Sherlock hatten ihr graues Leben bereichert. Nach Jeffreys Tod hatte sie sich allein und verlassen gefühlt, hatte nur noch funktioniert, doch ihre Nachbarn hatten dafür gesorgt, dass sie wieder Spaß hatte, dass sie wieder mehr im Leben sah als ihre verbissenen Ziele. Nicht, dass Sherlock ihr groß eine Wahl gelassen hatte, doch sie war ihm dankbar dafür.

Catherine seufzte, als sie die Petrischalen einfror um sie eventuell später wieder überprüfen zu können. Seit seinem Tod arbeitete sie nur noch. Alle Aufregung war aus ihrem Leben verschwunden. Erst hätte sie es nie gedacht, doch sie hatte die ersten Wochen wirklich darauf gewartet, dass Sherlock wieder in ihre Wohnung stürmte und sie irgendetwas fragte, dass sie sich wieder mit ihm streiten konnte, doch ihre Wohnung blieb leer. Alles war verblasst wie ein grauer Nebel und das einzige was blieb war ihre Arbeit, die ihr noch Halt gab, deshalb war sie so lange es ihr möglich war in diesem Labor.

Auch wenn selbst dieser Ort schmerzte, sie noch manchmal sah, wie sie Sherlock am Wochenende mit ihr hierhergekommen war und sich einige Sachen hatte zeigen lassen oder wie er in seinem eigenen in St. Barts gesessen hatte. Er fehlte ihr, mehr als sie sich je hätte eingestehen wollen und auch John fehlte ihr. Ihre Nachbarn waren zu einer Ersatzfamilie geworden, hatten sie aus der Einsamkeit befreit und nun war all das weggebrochen.

Falls mir etwas zustoßen sollte, würden Sie sich dann bitte um John und Mrs. Hudson kümmern? Aus einem unerfindlichen Grund könnten Sie um meiner Willen besorgt sein und werden jemanden brauchen, der sachlich an die Sache heran geht. Sie sind die Einzige, der ich das zutraue. Schließlich werden Sie mich ja nicht vermissen.“

Sie schloss die Augen, als sie Sherlocks traurige Stimme wieder in ihrem Ohr hörte. In diesem Moment im Eiscafé, kurz bevor diese ganze Scheiße mit Moriarty den Höhepunkt erreicht hatte, hatte Sherlock so verletzt und besorgt gewirkt. Seine eiskalte Maske war verschwunden und er hatte zerbrochen gewirkt. All das hatte ihn schwer belastet und Catherine hatte nicht anders gekonnt, als ihm diese Bitte zu gewähren.

//Als ob ich nicht um Sie trauern würde, Sherlock.//, wiederholte sie diesen Gedanken, den sie auch gehabt hatte, als Sherlock das Café verlassen hatte. Wenn sie ganz ehrlich war, trauerte sie noch immer, denn sie hatte nie die Chance gehabt das zu verarbeiten. Wie er es sich gewünscht hatte, hatte sie sich um John und Miss Hudson gekümmert, war für sie stark geblieben und hatte ihre eigene Trauer verschlossen um sie nicht noch mehr zu belasten.

Insgeheim weigerte sie sich zu glauben, dass Sherlock tot war. Sie konnte es einfach nicht. Das wäre doch viel zu langweilig für ihn. Er würde sich doch niemals Moriarty geschlagen geben, oder? Er hätte das vorhergesehen und einen Ausweg geplant, oder? Aber warum war Sherlock dann gesprungen? Selbstmord passte einfach nicht zu ihm, nicht auf Grund dessen, dass die Zeitungen ihn als Lügner beschimpften. Niemand, der meinte Sherlock wenigstens ein bisschen zu kennen, hatte je daran gezweifelt, dass alles wahr war. Sherlock würde sich das niemals ausdenken und inszenieren nur um Aufmerksamkeit zu bekommen. Nein, so war er nicht. Niemals. Er hatte doch nie Aufmerksamkeit gewollt und nie darum geschert, was andere von ihm dachten.

Catherine schüttelte den Kopf und unterdrückte einen Schluchzer. Drei Jahre und keinerlei Spuren. Selbst Mycroft wusste angeblich nichts. Die mächtige britische Regierung schien zumindest zu glauben, dass er tot war. Ob Mycroft das wirklich tat, bezweifelte sie, aber was sollte sie machen? Auf seine seltsame Art und Weise war Mycroft eine Glucke, dem nichts über seinen jüngeren Bruder ging. Er würde es ihnen nicht sagen, selbst wenn er mehr wüsste. Also hatte Catherine keine andere Wahl gehabt als wieder zurück an die Arbeit zu gehen und versuchen ihren Alltag zu leben, doch all das gelang ihr nicht. Mit dem Wegbrechen von Sherlock und John war alles verloren gegangen. Nie war eine Beziehung im Labor über ein wohlgesinntes Arbeitsverhältnis hinausgegangen. Wie hätte sie auch Freunde zu sich nach Hause bringen sollen, wenn Sherlock jederzeit einfach in ihre Wohnung kam? Sie schüttelte den Kopf. Das war nicht möglich und so war sie wieder vollkommen alleine. Nur sie und ihre Forschung.

Zwar lief sie John oft über den Weg, schließlich wohnten sie noch immer Tür an Tür, doch über ein kurzes Grüßen ging es nicht mehr hinaus. Sie vermisste die vertrauten Gespräche mit ihm, die Freundlichkeit des Arztes. Er war mehr als jeder andere eine Art Vater für sie geworden, den sie geschätzt hatte, doch nun mieden sie sich konsequent und eine Distanz hatte sich wie eine unüberwindbare Mauer zwischen ihnen aufgebaut. Am liebsten würde sie ihn anschreien, gegen die Mauer hauen und sie einreißen, doch sie konnte es nicht. In den dunkelblauen Augen sah sie jedes Mal, dass John noch gefangen war und beinahe unter dem Verlust zerbrach. Jedes Mal, wenn er sie ansah, keimte der Schmerz wieder auf. Wie konnte sie da so egoistisch sein und seine Nähe suchen, wenn er doch viel mehr unter alledem litt, als sie selbst?

„Catherine? Alles in Ordnung?“, fragte Kathy vorsichtig und unterbrach so ihre Gedanken. „Die Inkubation der gfp Verschmelzung ist schon seit zehn Minuten vorbei. Normalerweise stehst du doch schon fünf Minuten vorher da und zählst die Sekunden herab. Fühlst du dich nicht gut?“

„Oh, Kathy...“, flüsterte sie und blickte zu der Blonden mit dem frechen Kurzhaarschnitt und den treuen, hellgrünen Augen. „Entschuldige...ich komme sofort.“

Hatte sie wirklich so lange einfach bewegungslos auf dem Stuhl gesessen? Nur vor sich hingestarrt? Na ja, schließlich war es heute genau drei Jahre her. Kein Wunder also, dass sie wieder in ihren Gedanken versank. Sherlock hätte sie dafür getadelt. Immer konzentriert bleiben, hatte er gesagt, doch das war leichter gesagt als getan.

Kathy warf ihr noch einmal einen forschenden Blick zu, nickte dann aber und ging wieder an ihre Arbeit. Catherine verscheuchte ihre Gedanken schnell und ging noch einmal ihren Tagesplan durch. Sie lag trotz allem gut in der Zeit. Dennoch war es ihr unangenehm, dass Kathy auch noch ihre Versuche im Blick hatte, dabei war Catherine doch mittlerweile Doktorandin und sie „nur“ eine wissenschaftliche Mitarbeiterin des Labors.

Verdammt, was war los mit ihr? Sonst hatte die Arbeit es immer geschafft sie abzulenken und irgendwie weiterzuleben. Irgendwie. Da war die Antwort schon. Es war lange nicht mehr etwas, was sie als Leben bezeichnete. Aufstehen, arbeiten, Vorbereitungen für die Seminare treffen, schlafen um dann wieder aufzustehen. Catherine ging nicht aus, hatte keine Freizeitaktivitäten, sie war gefangen in stumpfsinniger Monotonie und selbst die füllte es nicht mehr aus.

Langsam ging sie zum Inkubator und holte die sorgfältig beschrifteten Reagenzröhrchen heraus. Wenn alles geklappt hatte, so war das gfp Protein nun an das mal6 Protein gekoppelt und sie würde sehen können, wo es sich befand während eines bestimmten Zellstadiums. Gfp war ein fluoreszierendes Protein aus einer Tiefseequalle und konnte leicht an andere Proteine angeheftet werden und war unter einem speziellen Mikroskop sichtbar.

Wie bringt man ein Kaninchen zum Leuchten?“ Catherine biss sich auf die Unterlippe, als sie die Frage von Sherlock wieder knarzend durch die Leitung des Telefons hörte. Eben genauso. Deshalb hatte das Kaninchen in Baskerville damals geleuchtet, weil man hinter das Gen für die Epidermiszellen das Gen für das gfp eingefügt hatte. Dieses wurde dann ganz normal zusammen mit den Gen der Hautzellen transkribiert und so die beiden Proteine fusioniert, sodass es im Licht einer bestimmten Wellenlänge leuchtete.

„Kathy...“, rief Catherine und sofort kam die Blondhaarige zurück. Kathy war 28, also zwei Jahre älter als Catherine und dementsprechend länger bei Professor Niels angestellt. „Hast du heute Abend etwas vor? Ich würde gern weggehen.“

Irgendwie musste sie sich ablenken und wenn der Alkohol das Einzige war, was helfen würde, dann würde sie das tun und danach...Sie zuckte innerlich mit den Schultern, wer weiß. Vielleicht würde sie zum Grab gehen. Nachts war John sicherlich nicht mehr dort.

„Du willst weggehen?“ Irritiert sah Kathy sie an und strich sich eine Ponysträhne aus dem Gesicht, ließ sich neben ihr auf einen der Laborstühle fallen. Catherine nickte nur schlicht.

„Du wolltest doch sonst nie weggehen. Allein wie oft wir dich eingeladen haben...“

„Heute sind besondere Umstände...“, murmelte sie schlicht und fuhr sich durch ihre feinen, braunen Haare.

„Ach ja...es ist genau drei Jahre her, seitdem du dich so verändert hast. Ist an jenem Tag etwas passiert?“, hakte sie nach. Überrascht blinzelte Catherine ihre Arbeitskollegin an. Das wusste sie? Kathy war zwar immer diejenige gewesen, mit der sie sich noch am besten verstanden hatte und sie unterstützte in der chaotischen Zeit, doch als Freundin hätte Catherine sie niemals bezeichnet. Vielleicht war sie einfach zu ignorant gewesen um zu sehen, dass Kathy einfach immer da gewesen war. Dass sie sich immer hatte auf sie verlassen können.

Als Catherine weiterhin teilnahmslos auf ihre Pinnwand starrte, seufzte Kathy und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

„Catherine, du kannst mit mir reden.“

„Ich weiß...“, murmelte sie nur abwesend und seufzend vergrub sie den Kopf in den Händen.

„Was ist damals passiert?“ Catherine zögerte. Was sollte sie ihr denn sagen? ‚Erinnerst du dich an den Skandal des größten Lügenbaron der Geschichte, der Selbstmord beging? Er war Teil meiner Ersatzfamilie und ich vermisse die Abenteuer, die wir zusammen erlebt haben, so sehr, dass es mich zerfrisst? Als er gesprungen ist, habe ich alles verloren, was ich hatte? Mal wieder. Der Mensch, der für mich wie ein Vater war, kann mir seitdem nicht mehr in die Augen sehen, weil ich ihn an seinen besten Freund erinnere?‘ Ja, vielleicht hätte sie genau das sagen sollen, jemand einfach alles anvertrauen, doch sie konnte es nicht. Sie würde es nicht verstehen. Kathy kannte Sherlock nicht, kannte nur die Lügengeschichten der Zeitungen und würde ihn auch so sehen. Nein, es war nicht möglich mit ihr darüber zu sprechen.

Nach einigen Minuten schüttelte deshalb Catherine nur den Kopf und bedankte sich bei ihr für ihre Fürsorge, doch sie könnte nicht darüber sprechen. Kathy war sensibel genug um nicht weiter nachzuhaken.

„Also, hast du heute Abend Zeit?“

„Leider nein.“ Kathy verzog entschuldigend das Gesicht und schnalzte. „Ich geh mit meinem Verlobten essen. Wir haben 5 Jähriges.“ Ach ja! Wie hatte Catherine das nur vergessen können? Kathy war seit einem Jahr verlobt und schon mit ihrem Freund zusammen gewesen, bevor sie hier angefangen hatte. Und sie, sie war noch immer eine Jungfer.

„Entschuldige, Kathy. Das habe ich ganz vergessen.“

„Schon in Ordnung“, lächelte sie und klopfte ihr auf die Schulter. „Geh doch einfach Tanzen, wenn dir nach Ablenkung ist.“

Catherine schnalzte nur und wollte gerade erklären, warum die Idee hirnrissig war, als plötzlich ihr Timer piepte. Verdammt! Die Proben! Schnell entschuldigte sie sich bei Kathy und eilte dann zu der großen Zentrifuge, wo ihre gfp Proben bereits seit einer halben Stunde liefen. Nun müsste sie nur noch die DNA lösen und mittels Agarose Gel prüfen, ob die Fusion richtig funktioniert hatte.

„Felix!“, rief sie und ein junger Mann mit braunen Haaren und blonden Strähnen blickte sie an. „Ist das 1% Agarose Gel bereits fertig?“

„Ja!“, antwortete er. „Das hab ich gestern gegossen.“

„Danke!“ Vorsichtig holte sie die Röhrchen aus der Zentrifuge und ging an ihren Platz zurück. Sorgsam nahm sie eine der Mikropipetten herab und entnahm zwei Mikroliter aus der Probe und füllte sie in eine bereits vorgefertigte Mischung für die Elektrophorese. In diesem Moment war sie so hoch konzentriert, dass sie gar nicht die plötzliche Irritation in dem Labor bemerkte.

„Catherine, Sie müssen etwas für mich überprüfen!“

„Sherlock, ich sagte Ihnen doch bereits mehrfach, dass ich nicht...“, antworte sie zunächst aus reinem Reflex- kannte sie diese Situation nur zu gut-, doch dann stockte sie irritiert, blinzelte als sie realisierte, dass sie diese vertraute, tiefe Stimme nicht in Gedanken, sondern wirklich gehört hatte.

Blitzschnell drehte sie sich auf ihren Platz um und starrte zu dem Gang, der in den Eingang des Genlabors führte.

„Sir, Sie können hier nicht so einfach reingehen ohne...“

„Schon gut, Amy.“, fuhr Catherine dazwischen und unterbrach so die Sekretärin des Professors, doch würdigte sie keines Blickes. „Er gehört zu mir.“

Amy war kurz irritiert, doch dann nickte sie und verschwand aus dem Labor.

Catherine bemerkte es noch nicht einmal, sondern starrte nur mit großen Augen auf den Mann, der neben ihren Arbeitsplatz stand und sie anschmunzelte.

„Sherlock...“, hauchte sie nur erstaunt und rieb sich schnell die Augen um sicher zu gehen, dass sie es sich nicht einbildete, doch das Bild blieb. Vor ihr stand der hochgewachsene Mann mit den unglaublich dunklen Locken und diesen ausdruckstarken, eisblauen Augen, der ihr Leben ein halbes Jahr auf Trab gehalten hatte.

„Sie sind langsam geworden, Catherine.“, sagte er nur ruhig. Fassungslos schüttelte sie den Kopf und hätte ein Reagenzglas fallen gelassen, hätte sie noch eines in der Hand gehabt. Er stand wirklich wieder vor ihr! Nach drei Jahren! Eine gefühlte Ewigkeit starrten sie sich nur in die Augen, bis Catherine aufstand.

„Felix. Bitte lass diese Proben auf dem Aggarosegel laufen und stell den Terminplan für das Praktikum für die Bachelor Studenten zusammen. Das Praktikum von V410 fängt nächste Woche an. Sie haben momentan Vorlesung und wir müssen mit Professor Niels noch abstimmen, welche Versuche vorgenommen werden sollen. Ich bin mal kurz in der Pause. Ich hatte noch kein Mittagessen.“

„Verstanden.“, antwortete der Junge sofort auch wenn seine Augen irritiert waren- wie alle in dem Labor. Catherine nickte nur, drehte sich um, hing den Kittel an den Haken im Labor und verließ es. Sherlock folgte ihr direkt und hatte schnell wieder zu ihr aufgeholt.

Catherine unterdrückte ihre Emotionen erst einmal, die sie zu überrollen drohten. Nicht auf dem Flur. Ruhig bleiben, Catherine! Später. Zum Glück gab es einen Raum, den die Laborbesatzung als Küche benutzte. Da es bereits kurz vor Feierabend war, würde dieser Raum verwaist sein. Hier könnte sie in Ruhe mit ihm reden. Mit hastigen Schritten ging sie um die Ecke, öffnete mit einer speziellen Chipkarte die Tür und betrat einen ehemaligen Lagerraum, der nun eine Küchenzeile und einen kleinen Tisch mit drei Stühlen beinhaltete.

Sherlock trat ein und sah sich kurz um, schloss dann aber die Tür.

„Sherlock...“, flüsterte Catherine nochmals ungläubig und blinzelte, um die Tränen aus ihren Augen zu vertreiben.

„Catherine...ich...“, doch Catherine hatte Sherlock bereits umarmt. Es war ihr egal, dass er nie etwas dafür übrig gehabt hatte, dass er Berührungen gar verabscheute, doch sie konnte es nicht mehr zurückhalten.

Zu ihrer Verwunderung stieß Sherlock sie nicht von sich, sondern zog sie dichter an sich heran.

„Sie verdammter Idiot!“, schluchzte sie und schlug gegen seine Schulter.

„Ich weiß...es tut mir leid.“, flüsterte er sanft und hielt sie an sich gedrückt.

„Wa...warum haben Sie...ich...ach, verdammt!“ Catherine wusste nicht was sie sagen sollte, plötzlich waren alle Worte wie weggeweht. Sie hatte sich schon oft ausgemalt, was sie Sherlock an den Kopf werfen würde, falls sie sich einmal wieder sehen würde. Wörtlich hatte sie sich ihre Predigt zurechtgelegt, doch jetzt, jetzt versagte ihr die Stimme und sie war einfach nur froh, dass er wieder da war, dass sie recht gehabt hatte, dass er nicht tot war. Eine Flut aus Emotionen spülte über sie hinweg. All die Trauer und Verzweiflung, die sie so lange verschlossen hatte, prasselten wie schwere Regentropfen auf sie ein. Es kostete sie alle Kraft um nicht zu schluchzen, sie wusste, dass Sherlock das nicht leiden konnte, doch es war als wäre ein zentnerschwerer Stein von ihren Schultern gegen ihren Damm, der ihre Gefühle zurückhielt, geknallt und hätte ihn eingerissen.

So viel drang auf sie ein. Am liebsten würde sie ihn schlagen, weinen, sich an ihn schmiegen und etliche Sachen an den Kopf werfen, doch sie tat nichts von alledem. Stattdessen drückte sie sich nur an ihn und versuchte mit aller Kraft sich nicht allzu lächerlich zu machen. Wie erbärmlich musste sie Sherlock gerade vorkommen? Aber sie hatte ihn einfach so vermisst.

„Sherlock...“ Mehr kam einfach nicht über ihre Lippen und sie drückte ihren Kopf gegen seine Schulter, während ihr zierlicher Körper zitterte. Nun würde alles wieder gut werden. Sherlock zögerte, schien noch ein wenig überfordert mit ihrer überschwänglichen Freude, doch dann griff er in ihr Haar und hielt sie einfach fest.

„Schon gut...es ist vorbei.“ Sherlocks Stimme war ganz sanft. Beruhigend wie ein kleiner Fluss umfloss sie Catherine und half ihr ein wenig gegen die Flut ihrer Emotionen.

Es dauerte einige Minuten bis Catherine sich wieder halbwegs unter Kontrolle hatte und sich so weit beruhigt hatte, dass ein normales Gespräch zwischen ihnen beiden möglich war. Vorsichtig löste sie sich aus der warmen Umarmung, trat zurück und wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Geht es wieder?“, fragte Sherlock besorgt und betrachtete nachdenklich ihr Gesicht. Catherine nickte hastig und wandte sich ab um für sie beide einen Tee kochen. Als das Wasser langsam zu kochen begann, setzte sie sich an den Tisch und fuhr sich durch das Haar.

„Weiß John es schon?“, stellte sie endlich die Frage, die ihr, nachdem der erste Sturm des Chaos sich gelegt hatte, auf der Seele brannte. Der Ausdruck des Schmerzes in Sherlocks unglaublich blauen Augen wurde nur noch größer und er schüttelte nur den Kopf.

„Nein...“ Nun klang auch seine Stimme erstickt. Da saß wieder der zerbrechliche, von seinen eigenen Gefühlen wohl überforderte, Sherlock, den sie in der Eisdiele gesehen hatte.

„Warum nicht?“ Catherines Stimme war ruhig, eher emotionslos. Am liebsten würde sie ihn anschreien. Sie konnte es nicht glauben. Was verschwendete Sherlock seine Zeit dann hier, wo John an dem Verlust seines besten Freundes nach und nach zerbrach? Nun begann die Wut in ihr zu brodeln. Nachdem Sherlocks vermeintlicher Betrug aufgedeckt worden war, hatte auch John einiges an Spott und Häme ertragen müssen. Entweder war er als blinder Idiot oder als Mitverschwörer bezeichnet worden, da er über Sherlocks Fälle berichtet hatte.

Niemand hatte ihm die Zeit gelassen Luft zu holen, doch John war stark geblieben und hatte nie eine Sekunde an Sherlock gezweifelt, obwohl er nicht alleine gegen ganz England kämpfen konnte, so hatte er es doch versucht. Ähnlich Don Quichotte, der gegen die übermächtigen Windmühlen gekämpft hatte.

„John ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Er ist an der ganzen Sache zerbrochen, er erträgt es nicht, dass alle so schlecht über Sie geredet haben und würde am liebsten die ganze Welt anschreien, dass sie es lassen sollten. Er hat an Ihrem Grab geweint, Sie angefleht wiederzukommen und doch lassen Sie ihn drei Jahre leiden?“

„Ich weiß...ich...war dort...ich habe es gesehen.“

„Was?“, entfuhr es Catherine. Sie zog tief Luft ein und zwang sich ruhig zu bleiben. „Warum haben Sie dann nicht...“

„Danke...“, unterbrach Sherlock sie plötzlich und hob seinen Blick. Catherine blinzelte verwirrt.

„Wofür?“

„Dafür, dass Sie Ihr Versprechen gehalten haben. Ich habe gesehen wie Sie sich um John und Mrs. Hudson an meinem Grab gekümmert haben. Ich weiß, dass das nicht einfach gewesen sein muss, wo Sie doch all die Zeit unter mir gelitten haben und nun endlich Ruhe hätten, um Ihr...“ Klatsch! Sherlock taumelte zurück, als Catherine ihn mit aller Wucht eine Ohrfeige gegeben hatte. Keuchend blieb er an die Wand gelehnt stehen, hielt sich seine nun rot werdende Wange und sah sie irritiert an.

„Sie Idiot! Mistkerl! Vollidiot! Blödmann!“, fluchte Catherine wütend, während ihre Faust noch immer zitternd erhoben war und ihr Atem stoßweise ging. Es wäre noch viele weitere Schimpfworte gefolgt, hätte sie nicht Sherlocks völlig irritierten Blick gesehen. Vermutlich hatte er wirklich keine Ahnung wie er sie mit dieser unbedachten Aussage verletzt hatte. Ja, sie hatte sich oft beschwert, wie anstrengend das Leben mit Sherlock Holmes war, aber es war nie ihr Ernst gewesen. Sie hatte dieses Leben geliebt, sie hatte die Streitereien mit Sherlock geliebt und auch all diese gemütlichen Gesprächsrunden mit John.

„Sie kapieren echt gar nichts, Sherlock. Sie haben nichts verstanden.“ Catherines Kraft schwand so schnell wie die Wut, die mit ihr einhergegangen war, aufgebraust war. Sie sackte auf den Stuhl und vermutlich sah man ihr nun an wie kräftezehrend die letzten Jahre gewesen haben.

„Das haben Sie damals schon nicht. Wie kamen Sie nur auf diese absurde Idee, dass ich nicht um Sie trauern würde? Das hat mich damals im Eiscafé schon verletzt. Wir haben so viel zusammen durchgestanden. Ich bin durch die Hölle bei den Serben für Sie gegangen und doch glauben Sie noch immer, dass Sie mir egal sind? Hätte ich mich dann schluchzend in Ihre Arme geschmissen, als ich realisierte dass Sie leben- nicht, dass ich daran je gezweifelt habe- obwohl ich weiß, dass Sherlock Holmes nichts mehr hasst als Körperkontakt?“, sagte sie mit zitternder Stimme, während sie fassungslos den Kopf schüttelte. Das konnte doch nicht Sherlocks Ernst sein. Bedeutete sie ihm nach allem so wenig? Sicher, sie hatte sich nie auf eine Stufe mit Mrs. Hudson, Lestrade oder gar John gestellt, doch sie hatte insgeheim immer gedacht, dass sie mehr gewesen war, als eine dumme Biologie Studentin, die er hatte ausfragen können. Vielleicht hatte er sie damals im Flugzeug doch nur manipuliert um seine Neugierde zu befriedigen. Schließlich hatte er sie gut einen Monat später aus seinem Leben verbannt.

Sherlock sah sie überrascht an und zum ersten Mal erlebte sie ihn sprachlos.

„Aber Sie haben doch immer...“

„Ja, ich habe mich beschwert. Natürlich habe ich mich beschwert. Ich meine, Sie sind ständig in meine Wohnung mit einem erschlichenen Ersatzschüssel geschneit, haben mich die abstrusesten Dinge gefragt, auf der Arbeit ständig angerufen, haben mich vom Lernen abgehalten und meines ruhigen Lebens beraubt und so vieles mehr...aber...Sie haben mir etwas wertvolleres gegeben. John und Sie. Nachdem Sie vermeintlich gestorben waren, brach auch meine Bindung zu John und ich verlor alles. Mir blieb nur noch meine Arbeit und in die verrannte ich mich total, doch alles andere bröckelte. Ich verlor komplett den Halt.“ Catherine schloss die Augen, holte tief Luft, sammelte sich und trank einen Schluck Tee.

Sherlock sah sich kurz in dem kleinen Raum mit der schummrigen Beleuchtung um, konzentrierte sich dann aber schnell wieder auf Catherine.

„John und Sie reden nicht mehr miteinander?“

„Ist die Frage wirklich ernst...“, Catherine brach ab. „Natürlich, wie dumm von mir. Ich vergaß. Ihnen muss man ja die meisten emotionalen Regungen erklären. Nun...ich würde wirklich gerne noch mit ihm sprechen. Grad in der Zeit hätte ich John gebraucht. Es war wirklich nicht leicht, aber...dann wäre ich mehr als egoistisch gewesen. Unser einziges Thema waren die Eskapaden des Sherlock Holmes.“ Sherlock zog eine Augenbraue hoch, setzte schon zu einer Erwiderung an, schwieg dann aber. Das verwirrte Catherine. Normalerweise wäre jetzt irgendeine Spitze gekommen, doch Sherlock schwieg. Etwas schien sich in dem Consulting Detective in der Zeit verändert zu haben. Er war nicht mehr so egozentrisch, ließ Emotionen zu- schien diese sogar teilweise zu verstehen. Es war seltsam, er wirkte beinahe menschlich. Was war in den drei Jahren geschehen?

„Aber...warum...?“

„John kann mir nicht mehr in die Augen sehen...immer wenn er mich sieht, wird er erinnert. An unsere gemeinsame Zeit, an all die Abenteuer. Wenn ich ihn zufällig auf der Straße treffe, dann grüßt er zwar freundlich, aber sein Blick sieht aus, als würde er innerlich Stück um Stück zerbrechen. Wie kann ich dann meinen Wunsch mit ihm zu reden durchsetzen, wenn er darunter so leidet?“ Müde schüttelte Catherine den Kopf. „Nein, das kann ich nicht.“

Sherlock seufzte schwer und strich sich eine Locke aus dem Gesicht.

„Was habe ich nur angerichtet? Ich wollte doch nur...“ Sherlock brach wieder einmal ab, biss sich auf die Lippen.

„Ja, was wollten Sie, Sherlock? Warum haben Sie das getan?“, fragte sie verzweifelt und wieder kämpfte sie mit den Tränen. „Warum haben Sie sich von uns abgewandt?“

„Um euch zu beschützen.“, sagte Sherlock schlicht, doch die Worte trafen Catherine wie ein Hammerschlag. Überrascht atmete sie tief ein und sah ihn bloß aus großen Augen an. Sherlock begegnete ihrem Blick. Keine Regung war in seinen besonderen Augen zu sehen, doch sie wusste, dass er genau auf ihre Reaktionen achtete, dass er versuchte zu verstehen, was in ihr vorging.

„Um uns...“ Sie schluckte. „...zu beschützen?“

Sherlock seufzte schwer und nickte. Plötzlich wirkte er müde und geschafft. Erst jetzt wurde Catherine klar, dass die Zeit für ihn sicher auch nicht leicht gewesen war. Er hatte sich verstecken müssen, war all die Zeit allein gewesen. Normalerweise hätte sie gedacht, dass es Sherlock nichts ausmachte, doch so wie er sich verhielt, seit sie in der Küche saßen, war sie sich da nicht mehr sicher. Sherlock hatte immer gesagt, er hätte keine Gefühle, doch er hatte viel öfters welche gezeigt, als er vermutlich selbst dachte und wahrscheinlich hatten die Schuldgefühle in den letzten drei Jahren ihn zerrissen. Es musste hart gewesen sein seinem besten Freund in die Augen zu sehen und zu wissen, dass man seinen Tod vorspielen würde, während er nach einem rief, einen anflehte nicht zu springen.

„Moriarty...er...“ Stockend holte er tief Luft und schien seine Kraft zu sammeln. Wenn es hier nicht Sherlock wäre, hätte Catherine zur Unterstützung seine Hand genommen, doch so sah sie ihn nur an und wartete. „...er hatte Scharfschützen beauftragt...John, Misses Hudson und Lestrade zu töten...falls ich nicht springe.“

Traurige Augen trafen Catherine, welche geschockt zurücktaumelte, über das Stuhlbein stolperte und zu Boden fiel.

„Catherine! Alles in Ordnung?“ Sofort stand Sherlock auf und half ihr auf.

„Ja...ja...“, erwiderte sie nur schnell. „Nichts passiert.“

Sie wusste noch nicht einmal, was sie so aus der Bahn geworfen hatte. War es, dass Sherlock wirklich bereit gewesen war alles zu opfern um seine Freunde zu beschützen oder war es der Paukenschlag, dass sie nicht dazugehörte? Nicht, dass sie scharf darauf war, dass ihr Leben von einem Scharfschützen bedroht wurde, das Waterboarding durch die Serben hatte ihr wirklich gereicht, aber es traf sie schon, dass sie kein wichtiger Teil in seinem Leben war. Sherlock hatte ihr Leben zerrissen, es vollkommen auf den Kopf gestellt und sie mehr als einmal in Lebensgefahr gebracht, aber die Beiden hatte sie jedes Mal gerettet und sie liebte sie dennoch über alles, waren sie doch alles was sie hatte.

Traurig schloss Catherine die Augen und ballte die Hand zur Faust. Mit einem Kopfschütteln versuchte sie die Trauer zu vertreiben, als könnte sie die lästigen Gedanken abschütteln, doch es gelang ihr nicht. Die Zweifel setzten sich in ihrer Seele fest, nagten an ihr. Schließlich verstand Niemand, was in Sherlock vorging.

„Ich hatte das Spiel verloren...ich ahnte schon nach unserem Gespräch, nach Johns Warnungen, dass ich nicht gewinnen kann, denn du hattest recht, Catherine. Moriarty hatte den Vorteil, dass er Niemanden hatte, der ihm etwas bedeute. Mir war klar, dass es höchst wahrscheinlich dazu führte, dass ich sterben musste, deshalb habe ich mit Hilfe von Molly Vorbereitungen getroffen. Ich hoffte zwar noch ohne diese Notlösung herauszukommen, doch als er sich umbrachte, hatte ich keine Chance mehr. Entweder ich sprang und starb in Schmach...oder er würde alles auslöschen, was mir wichtig war und das konnte ich nicht. Sie hatten genug wegen mir gelitten, sie waren nur wegen mir in diese Situation geraten...und ich wollte nicht mehr egoistisch sein. Ich hätte so nicht mehr leben können. Ohne die Menschen, die Farbe in mein Leben gebracht hatten, die mich ertrugen und mir trotz aller Widrigkeiten beistanden.“

„Sherlock...“, hauchte sie überrascht und sah zu ihm herüber. Ja, er war wirklich müde, erschöpft und ruhelos von all der Hetze, die er die letzten Jahre erduldet hatte. Sherlock kam wohl sogar noch weniger zum Essen als sonst. Aber da war noch etwas an ihm, was sich verändert hatte. In seinen Augen waren Schuldgefühle zu erkennen und Schmerz darüber, was er ihnen angetan hatte. Erst dann jedoch realisierte sie etwas. „Moment...du?“

Sherlock lachte leise und strich sich durch das Haar.

„Du bist wirklich langsam geworden.“ Er lächelte sie warm an und nahm einen Schluck aus seiner Teetasse. „Sieh als Wiederausgleich dafür, dass du keinen roten Laserpunkt zwischen den Augen hattest.“ Und da war es wieder. Dieses Grinsen. Catherine spürte das vertraute Gefühlsgemisch aus gespielter Beleidigung, Amüsement und dem Bedürfnis ihm ein Kissen ins Gesicht zu werfen, was sie früher immer gehabt hatte, wenn Sherlock wieder einer seiner typischen Sprüche gebracht hatte.

„Dabei würde mir ein Bindi sicher stehen. Obwohl, dann würde ich ja für immer Jungfrau bleiben, so oder so. Neee, besser doch nicht“, lachte Catherine. Für einige Augenblicke war Sherlock sichtlich verwirrt, doch dann stimmte er in das Lachen mit ein und es tat Catherine gut, diesen warmen Bariton wieder zu hören. Als das Lachen verklang, fiel ihr plötzlich ein, dass sie ja noch auf der Arbeit war und sah hastig auf die Uhr. Sie war beinahe schon eine dreiviertel Stunde in der schummrigen Küche, wo die Luft zu stehen schien.

„Was? Schon so spät?? Warten Sie hier, Sher... was?“ Sherlock hatte eine Augenbraue hochgezogen und sah sie wieder mit diesem Blick an, den er immer hatte, wenn man etwas übersehen hatte.

„...du bist eindeutig aus der Übung.“

„Was denn diesmal? Könnten Sie mich teil...“ Wieder sah er sie ungläubig an und schüttelte seufzend den Kopf. Dann plötzlich fiel ihr etwas ein, was Sherlock meinen könnte.

„Soll das heißen...ich soll auch ‚du‘ sagen?“

„Sonst hätte das ganze ja wohl wenig Sinn, oder?“, erwiderte Sherlock ruhig, seine Mundwinkel zuckten aber wieder verräterisch. Catherine saß völlig überfordert auf dem Stuhl und sah ihn mit großen Augen an. Ein halbes Jahr lang hatten sie alles zusammenerlebt, hatten gekämpft, sich geärgert und sie hatte sich ihm sogar anvertraut, auch wenn Sherlocks Ratschläge meist seltsam waren und doch hatten sie sich immer untereinander Gesiezt. Catherine hatte immer gedacht, wenn selbst John Sherlock noch siezte, so hatte sie nicht das Recht es anders zu tun und das obwohl die beide so was wie Väter für sie geworden waren. Es war seltsam gewesen, doch sie hatte sich nach einiger Zeit daran gewöhnt.

Umso mehr überwältigte es sie, dass Sherlock damit von alleine kam, es sogar in ein Spiel eingeflochten hatte. Nie hätte sie das geglaubt, aber diese kleine Geste seinerseits machte sie wirklich glücklich. Ein sanftes Lächeln legte sich auf ihr Gesicht und sie stand dann auf.

„Wohin gehst du?“

„Warte bitte hier. Ich geh mir Urlaub nehmen.“

„Kannst du das denn so einfach?“, fragte Sherlock irritiert. „Es klang so, als wäre euer Zeitplan ziemlich eng gestrickt.“

Ihr Grinsen wurde noch ein wenig breiter.

„Dem ist auch so, aber ich sag es mal so: es interessiert mich nicht. Ich habe mir drei Jahre hier den Buckel krummgearbeitet, keinen Urlaub genommen und immer Schichten der Arbeitskollegen übernommen. Na gut, ich hab es so gewollt. Nach Hause wollte ich nicht, aber dennoch. Ich glaube ich hab mir etwas Urlaub verdient.“

Sherlock lachte und stand auf, zog sich einen Mantel wieder an und sah zu ihr hinab.

„Du bist also mittlerweile der Boss hier?“

„Die Biologie war das Einzige, was sich nicht verändert hatte. Also klammerte ich mich daran fest. Rein karrieretechnisch war es das Beste, was mir hätte passieren können. Ich bin seit einem Monat Doktorandin.“ Catherine zuckte mit den Schultern und räumte das Geschirr ab. Obwohl sie wirklich jung für eine Doktorandin war, erfüllte diese Aussage sie nicht mit Stolz. Es zeigte nur immer mehr, wie kaputt ihr Leben in dieser Zeit gewesen war, wie verzweifelt und allein sie gewesen war, dass sie sich zu den Mikroorganismen geflüchtet hatte.

Catherine sah zu Sherlock auf, der ihren Blick noch immer erwiderte. Seine graublauen Augen betrachten sie nachdenklich, schienen sie zu durchdringen und Catherine wusste, dass, was immer er suchte, auch finden würde. Was er dann allerdings sagte, warf sie komplett aus der Bahn.

„Herzlichen Glückwunsch. Ich wusste, dass du es weit bringst, Catherine.“ Anerkennend klopfte er ihr auf die Schulter. Etwas schien sich zwischen ihnen verändert zu haben. Sherlock war nicht mehr der Mann, auf den sie so oft geflucht oder über dessen Geschichten sie nur ungläubig den Kopf geschüttelte hatte, sondern er wurde offener, ehrlicher was seine Gedanken anging und sie spürte, dass es sie ein wenig überforderte. Mit dem alten Sherlock wusste sie umzugehen, wusste ihm zu trotzen, doch wie sollte sie mit einem warmherzigen umgehen? Mit einem, der nicht mehr auf seine verschrobene Art zeigte, dass er helfen wollte?

Kurz, einem plötzlichen Impuls folgend, legte sie ihren Kopf gegen seine Schulter, schloss die Augen zog den seltsamen, einzigartigen Geruch ein, den sie so lange nicht vernommen hatte. Sie spürte den ruhigen, gleichmäßigen Atem Sherlocks unter sich, fühlte wie er sich nicht versteifte, sondern sie gewähren ließ, es vielleicht sogar ein klein wenig genoss.

„Ich komme gleich wieder...“, sagte sie leise, als sie sich löste und zur Tür ging. Gerade, als sie die schlecht beleuchtete Küche verlassen wollte, blieb sie im Türrahmen stehen, drehte ihren Kopf zu ihm zurück und sah ihn lange an. „Bitte, Sherlock. Sei noch da, wenn ich wiederkomme.“

Sherlock nickte nur, ein trauriges Lächeln auf den Lippen.

„Versprochen.“ Es war kein Wunder, dass sie glaubte, er könnte sie verlassen. Sherlock war immer dorthin gegangen, wohin er wollte und hatte sich nie darum geschert, ob die anderen sich sorgten. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn er in der Zeit einfach verschwinden würde. Verschwinden wie ein Schatten, der er in den letzten drei Jahren gewesen war.

„Cath...“, hielt er sie auf, als sie wieder zurück zum Labor gehen wollte. Catherine blieb irritiert blinzelnd stehen und sah ihn noch einmal an. „Ich bin froh, dass Moriarty dich damals nicht im Visier hatte. Wenn er noch nicht von dir wusste, von unserer Bindung, dann weiß es auch kein anderer. In dem Moment dachte ich, dass ich froh bin, dass du in Sicherheit bist. Denk nicht, dass dein Tod mich kalt gelassen hätte.“

Sherlock hob seinen Blick und starrte sie direkt an- mit nichts als der Wahrheit in seinem Blick. Es war keine seiner üblichen Manipulationen um die Menschen fühlen zu lassen, was er wollte, es war kein Spiel, es war die Wahrheit. Er war wirklich froh gewesen, dass Catherine während diesem gefährlichen Spiel niemals in Gefahr gewesen war, dass, egal wie es ausgegangen wäre, zumindest eine Person nicht durch ihren Glauben an ihn zerstört worden wäre.

Catherine war damals so jung gewesen, das wurde ihm erst jetzt bewusst. So unglaublich jung, doch sie hatte sich oft erwachsener verhalten als er und gezeigt, was für einen wachen, aufmerksamen Verstand sie besaß. Im Nachhinein musste Sherlock einsehen, dass sie einen guten, analytischen Verstand besaß, der selbst ihn zum Teil durchschaute. Erst in den letzten Jahren, als er die Zeit mit John, Lestrade, Mrs. Hudson, Catherine und Mycroft überdacht hatte, hatte er viele Erkenntnisse gewonnen und festgestellt wie oft Sherlock vergessen hatte, dass sie damals erst 22 Jahre alt gewesen war. Er hatte eine junge Frau in eine Welt gezogen, die so dunkel war, dass sie Gefahr lief niemals wieder herauszufinden. Doch sie hatte es geschafft, sie hatte die Dunkelheit besiegt, war fast beinah die Alte geblieben, obwohl er ihr so viel zugemutet hatte.

Als er sie so ansah, sah er ein irritiertes, aber sanftes Lächeln auf ihren Lippen, während ihr Verstand zu verarbeiten begann, was er erfahren hatte. Sie nickte nur knapp, verließ die Küche und verschwand im Labor. Er hörte wie sie umsichtig und doch bestimmt die Aufgaben verteilte und ihr Labor führte. In diesem Moment konnte Sherlock sich ein Lächeln nicht verkneifen und stellte mit ein wenig Stolz fest wie erwachsen seine kleine, widerspenstige Studentin doch geworden war.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ab hier wird es ja wirklich nur noch Interpretation meinerseits, da ich ja (noch) nichts habe, woran ich mich orientieren kann. Ich hoffe also euch gefällt, meine Catherine, mein Sherlock und mein John und wie ich die Rückkehr gestalten werde :) Vielleicht schreib ich irgendwann eine Alternativversion mit Cath, wenn die 3. Staffel raus ist, mal sehen^^ Auf jedenfall ist bis Kapitel 30 schon alles geplant :)

Ich werde wohl erstmal Sherlock nicht erzählen lassen wie er es geschafft hat, weil ich absolut keinen Plan habe :D erst wenn es ein paar hinweise gibt oder ich es in der Serie gesehen habe, werde ich es vielleicht einbauen^^ Auch über die drei Jahre erzählt er erstmal nichts, weil das für später noch guten Stoff meiner Geschichte bildet^^ Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  mindpalace
2013-05-30T22:06:10+00:00 31.05.2013 00:06
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sich Sherlock in dieser Zeit verändert hat. Das Wiedersehen war wunderschön :) Zu allererst, dachte ich sie würde sich ihn einbilden, aber da war er. Sherlock. :D

Von:  fire-fox
2013-04-13T19:19:06+00:00 13.04.2013 21:19
Ich weis, dass Geduld eine Tugend ist, aber ich wünsche mir schon jetzt das nächste Kapitel.
Die letzten Kapitel waren wieder einwandfrei geschrieben. Jetzt fällt mir nichts mehr ein.


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