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Unverhoffte Nachbarn

Wenn Nachbarn interessant werden
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Ein unheilvolles Gespräch

Catherine stocherte unruhig in ihrem Eisbecher umher und ließ den Blick schweifen. Das pure Leben herrschte in diesem kleinen Café und viele Schüler saßen dicht beisammen, schwatzten und lachten zusammen und Niemand bemerkten die beiden Gäste, die sich abschätzend anstarrten. Fröhliche Musik drang aus kleinen Boxen über ihren Köpfen und alles war friedlich, doch Catherine nahm all das nicht wahr. Ihr Grund, warum sie hier war, war wesentlich ernster und stimmte sie unruhig. Vor ihr lag ein Gespräch, was ihr schon lange schlaflose Nächte bereitet hatte, denn sie spürte, dass ein Unheil sich zusammenbraute und bald eskalieren würde.

Sherlock saß ihr gegenüber. Seine Hände lagen auf dem Tisch neben einer Tasse Kaffee. Seine graublauen Augen betrachteten sie nachdenklich und Catherine war nicht so dumm zu glauben, dass Sherlock nicht wissen würde, dass sie ihn mit einem Hintergedanken hierher bestellt hatte. Catherine ging nicht einfach so mit Sherlock Eis essen und er wäre auch nicht einfach mitgekommen. Erst recht nicht nachdem was vorgefallen war.

Aber da war noch etwas anderes, was Sherlock beunruhigte. Etwas, was sie nicht deuten konnte, lag in seinen Augen, dass sie besorgte. Sie beobachtete diesen Ausdruck schon länger und hatte nun beschlossen ihn zur Rede zu stellen. Etwas beschäftigte den Consulting Detective mehr, als er zugab.

Catherine konnte nicht genau sagen, woher sie diese Ahnung hatte. Schließlich war es Sherlock gewesen, der sie seit fast zwei Monaten ignorierte, sie sogar wutentbrannt aus der Wohnung geschmissen hatte, ihr an den Kopf geworfen hatte, dass sie langweilig und dumm sei. Gefühlte Ewigkeiten hatte sie ihn nicht zu Gesicht bekommen und doch spürte sie, dass etwas im Gange war, das gefährlich werden könnte. Das war bei der Statistik von Sherlock auch nicht wirklich schwer.

Was sie aber umso stutziger gemacht hatte, war ein Name, den sie in der Wohnung immer wieder gesehen hatte, als sie einmal heimlich zu John rübergegangen war um über Sherlocks seltsames Verhalten zu sprechen. Während sie ihm beim Aufräumen geholfen hatte und mit John gesprochen hatte, war ihr in Sherlocks Akten dieser Name besonders ins Auge gestochen und sie wollte nun wissen, was es damit auf sich hatte.

Dieser Name hatte sie in den folgenden Nächten nicht losgelassen. Immer und immer wieder hatte sie sich unruhig im Bett gewälzt. Wenn John darauf bedacht war, ihr nichts von Moriarty zu erzählen und ihr gar weiszumachen, dass sie sich all das einbildete, dann steckte dahinter etwas Schreckliches. Hier stank etwas gewaltig zum Himmel und sie hatte sowieso schon das Gefühl, dass sich etwas zusammenbraute. Es war wir ein Sturm aus Gewitterwolken, die sich über dieser Straße zusammenzogen und ein großen Unheil ankündigten. Obwohl Catherine von allem isoliert war und selbst John sie mittlerweile abwies, spürte sie, dass etwas wie Elektrizität in der Luft knisterte.

Deshalb hatte sie Sherlock umso mehr mit Nachrichten und SMS bombardiert, hatte gekämpft und nicht locker gelassen, bis irgendwann genervt die Nachricht gekommen war, dass sie sich hier treffen sollten.

„Wer ist Moriarty, Sherlock?“, fragte sie schließlich gerade heraus und ließ den Consulting Detective nicht aus den Augen. Falls Sherlock überrascht war, so verbarg er es meisterhaft. Nur eine Augenbraue wanderte nach oben, während er Catherine beobachtete und sich leicht nach hinten fallen ließ.

„Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“

„Verarschen Sie mich nicht!“, knurrte Catherine und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Das hat John auch versucht und er hat es schon nicht hinbekommen.“

Sherlock erwiderte ihren Blick und zog seine Augenbraue weiter hoch. Catherine verzog verstimmt den Mund. Sie hasste diese Art von Blickduellen. Sherlock hielt sie für dumm und er glaubte, dass er locker gewinnen würde- leider tat er das auch meistens.

Sie wusste nicht, warum Sherlock auf einmal ihrem Drängen nachgegeben hatte und es war ihr auch egal. Mittlerweile war ihre Verzweiflung wieder in Wut umgeschlagen. Sie war sackig, dass der Kerl immer noch alles abstritt und einfach nicht die Wahrheit sagte. Als ob sie damit nicht umgehen könnte.

„Also wer ist er?“, fuhr sie mit eisiger Stimme fort, die sogar noch kälter als ihr Erdbeerbecher war. „Ist er Ihr Erzrivale, oder was?“

Sherlock betrachtete sie nur abschätzig und zog wieder eine Augenbraue hoch. Diese kühle Gelassenheit in seinem Gesicht trieb sie zur Weißglut. Was bildete sich dieser Mistkerl eigentlich ein? Dass er sie für dumm verkaufen oder sie verarschen könnte? Dass Catherine nicht mitbekommen würde, dass irgendetwas vorgeht? Oh nein, für so dumm ließ sie sich nicht verkaufen. Selbst nicht von Sherlock Holmes. Das konnte sich der Sack mal schön abschminken. Dieses Mal würde sie nicht klein bei geben.

„Das geht Sie nichts an, Catherine.“

„Doch, ich glaube schon.“ Ihre Augen verschmälerten sich zu schmalen Schlitzen. Sherlock zog nur skeptisch eine Augenbraue hoch und betrachtete sie mit Herablassung im Blick, doch dieses Mal hatte Catherine nichts zu verlieren. Sie hatte bereits alles verloren, also konnte sie auch auf Angriff spielen.

Sherlock schwieg und seine Maske war perfekt, doch irgendwie spürte sie, dass es nicht echt war. Es war nicht beschreibbar, doch irgendetwas passte in diesem Moment einfach nicht ins Bild.

„Ich glaube, es geht mich schon was an, wenn sich über der Bakerstreet ein Unheil zusammenbraut.“, fuhr sie mit düsterer Stimme fort. Sherlock schnaufte nur und seine Augen wurden schmal.

„Was für ein Unheil denn bitte?“, sagte er gelassen und trank demonstrativ einen Schluck Kaffee. Nun wurde Catherine erst recht skeptisch. Alles erschien zu inszeniert, als dass sie es in diesem Moment glauben konnte. Etwas stimmte hier nicht und vor allem stimmte etwas nicht mit Sherlock. Sherlock versuchte alles um sie zu verunsichern, doch eben das ließ sie nachdenklich werden und außerdem hatte sie sich fest vorgenommen hartnäckig zu sein. Dieses Mal würde sie sich von Sherlock nicht dominieren lassen.

„Das, was Sie so beschäftigt, dass Sie seit mehreren Wochen nicht mehr richtig schlafen, Sherlock. Was auch immer das ist.“

Nun verschwand für einen Augenblick Sherlocks neutrale Mine und er blinzelte sie kurz an, doch dann kehrte er wieder zurück in seine reservierte Haltung und lehnte sich lässig im Stuhl zurück.

„Bitte…“, meinte Catherine nur genervt und legte ihre Stirn in Falten. „Selbst ich sehe die Augenringe und Sie sind verdammt blass. Da braucht man wirklich kein Sherlock zu sein.“

Ihre Stimme war rau und abweisend, als sie das sagte. Ihre Vertrautheit existierte nicht mehr und das war Sherlocks Schuld. Er hatte den Witz aus ihren Gesprächen genommen und war sich dessen bewusst.

„War das alles?“, fragte er gelassen. Catherine schwieg nur, ihre schmalen Lippen zusammengepresst. Die blauen Augen der jungen Studentin betrachteten ihn schon beinahe verachtend. Er hob eine Augenbraue hoch, dann stellte er seine Kaffeetasse ab und erhob sich.

„Wenn jetzt nicht noch etwas bahnbrechendes Wichtiges kommt, würde ich meine Zeit gerne sinnvoll nutzen. Also dann.“ Er deutete eine Verbeugung an und unterstrich damit seinen Spott. Die Augen glommen verstimmt, dann richtete er den Kragen seines Mantels und ging davon.

„Sherlock!“, sagte Catherine laut, die mittlerweile ihre Strategie geändert hatte. Plötzlich herrschte Stille in der Eisdiele. Die Augen der anwesenden Personen hingen nun auf ihnen und augenblicklich ging das Getuschel los. Spätestens jetzt wusste jeder in der Eisdiele, wer er war und Catherine wunderte sich, dass noch keine Kameras blitzten, denn genau das hatte sie bezwecken wollen. Sherlock hasste solche Situationen und er wurde so ein wenig in die Ecke getrieben. Es gab nun nur noch zwei Ausgänge: Entweder er würde fliehen oder zum Angriff übergehen und nach Sherlocks bisherigen Verhalten würde sie eher zu Angriff hin tendieren. Na ja, mal sehen wie er auf das reagieren würde.

Er hielt nicht inne, aber seine Schritte wurden langsamer. Zumindest wollte er wohl noch mitbekommen, was sie zu sagen hatte, aber zeigen wollte er das nicht.

„Ich erwarte ja nicht wirklich viel von Ihnen, besonders nicht, dass ich Ihnen etwas bedeute, aber glauben Sie nicht, nach allem was geschehen ist, dass ich zumindest Ehrlichkeit verdient habe?“ Ihre Stimme bekam einen ehrlichen, traurigen Klang.

Das hatte wohl gesessen. Sherlock blieb kurz vor der Tür stehen und für einen Moment schien er wahrlich getroffen. Seine Körperhaltung spannte sich an und er vergrub die Hände in den Taschen. Catherine starrte ihn ungerührt an. Sie war gespannt wie er reagieren würde und ob sie ihn zumindest in diesem Moment richtig eingeschätzt hatte.

Sherlock zögerte einige Momente, dann sanken seine Schultern herab und für den Hauch eines Augenblicks warf er ihr einen wehleidigen Blick über die Schulter zu. Das irritierte Catherine, hatte sie einen solchen Ausdruck doch noch nie gesehen. Aber der Augenblick war zu schnell vorbei, als das sie es bewusst richtig realisierte.

Er seufzte leise, drehte sich wieder rum und kam zu ihr zurück. Kurz war sie verwirrt. Sie hatte sich eigentlich gedacht, dass er wütend auf sie zu stürmen würde, doch dem war nicht so. Genervt ließ er sich auf den Stuhl fallen. Seine Augen betrachteten sie ungewohnt nachdenklich.

„Sie wollen also wissen, wer Moriarty ist?“, seufzte Sherlock und strich sich eine Locke aus dem Gesicht.

„Mehr verlange ich nicht, Sherlock.“, erwiderte sie knapp. Sherlock schien kurz zu zögern, dann nickte er.

„Also gut…“ Kurz leckte er sich über die Lippen. „Sie haben schon richtig vermutet, er ist eine Art Erzrivale.“

„Uiii…ein Consulting Ganove.“, höhnte Catherine und schnalzte. Sherlock rollte mit den Augen.

„Das trifft es sogar ziemlich gut.“

„Wie bitte?“ Nun war sie doch ernsthaft verblüfft. „Das war jetzt eher…ein Witz.“

„Und es war durchaus mein Ernst.“, gab Sherlock zurück und stützte seinen Kopf auf seine gefalteten Hände. Catherine runzelte die Stirn.

„Dürfte ich fragen, woher Sie den Namen haben? Dann kann ich die Geschichte leichter erzählen.“

„Aus einer Akte. Bevor Sie mich so liebenswürdig das zweite Mal rausgeworfen haben, habe ich John beim Aufräumen geholfen und da fiel sie runter. Als ich sie aufgehoben habe, fiel mir auf, dass Sie bei einer Studie in Pink hinter dem Namen ein Fragezeichen war, aber beim Großen Spiel, wovon ich bisher noch nichts gehört habe, war es dreimal unterstrichen. Wenn Sie schon etwas dreimal unterstreichen, ist es wichtig und Johns Reaktion waren auch mehr als verdächtig. Dann hab ich ein wenig nachgedacht und kam zu dem Schluss, dass Erzrivale am Wahrscheinlichsten ist.“

Sherlock zog die Augenbraue hoch und betrachtete sie kurz mit einem seltsamen Blick, sagte aber nichts. Es dauerte einige Momente, bis er antwortete.

„Tja…Moriarty…“, sagte er ruhig und seine Augen wanderten kurz durch den Raum. Er wusste nicht genau, warum er schließlich Catherines Drängen nachgegeben hatte. Eigentlich hatte er das bis zum Ende durchalten wollen, doch sie hatte sich als verdammt stur erwiesen. Seitdem sie die Akte bei ihm in der Wohnung gefunden hatte, war ihr SMS Terror nur noch heftiger geworden. Dieses Mal hatte sie nicht nach einiger Zeit aufgegeben, wie es vorher der Fall gewesen war. Da nun Moriartys Gerichtsverhandlung übermorgen anstand, hoffte Sherlock, dass dieser Besuch vielleicht ohne Folgen bleiben würde. So bitter es ihm die Galle aufstieß, er hatte es nicht mehr ertragen sie weiter abzublocken.

„Moriarty ist wie ich…“, setzte dann Sherlock an und legte den Kopf in seine Handfläche.

„Huii…also ein arrogantes Arschloch?“, zickte Catherine ihn an. Sherlock seufzte leise und fuhr sich durchs Haar, doch er konnte sie ja beinahe verstehen.

„Bleiben Sie bei Sarkasmus. Zynismus steht Ihnen nicht. Ist zu verbittert.“

„Ich bin ja auch verbittert, Sherlock!“, knurrte Catherine wütend.

„Darf ich vielleicht weitererzählen?“

„Ja…sicher…“, sagte sie nun doch etwas zögerlicher und senkte ein wenig schuldbewusst den Blick. Sie wusste nicht mit der Situation umzugehen. Es war seltsam wieder hier mit Sherlock zu sein und doch war es nicht so wie es einst gewesen ist. Was immer auch zwischen ihnen gewesen war, war vor zwei Monaten verloren gegangen und Catherine spürte wie es sie zu verändern begann. Weil jeder ihr verschwieg, was hier vorging und über ihr Leben bestimmte- wie und mit wem sie es zu führen hatte- wurde sie immer gereizter und zynischer.

„Moriarty ist verrückt…geisteskrank…“, fuhr er also fort.

„Auch darauf wäre ich durchaus alleine gekommen.“, gab sie bissig zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Sherlock warf ihr einen genervten Blick zu und hob die Augenbraue leicht. Catherine machte es ihm auch wirklich schwer ruhig zu bleiben. Dieses Mädchen war nicht mehr das, was er kennengelernt hatte und er fragte sich gerade, ob er das noch weiter mitmachen sollte. Sie war ein bissiges, freches Gör, dass ihm gewaltig auf die Nerven ging. Ihr Ton war nicht amüsiert wie sonst, wenn sie sich unterhielten oder gespielt genervt, sondern einfach nur kalt und herablassend. Sollte er all diese Mühen wirklich dafür auf sich nehmen?

Er runzelte die Stirn und betrachtete sie eingehend. Müde, geschafft, eingefallene Augen und ein gehetzter Blick. Pupillen erweitert, die Haut blass, der Atem ging schnell. Catherine stand unter Stress. Ihr Körper war vollgepumpt mit Adrenalin. Auch ihre Körperhaltung war unbewusst angespannt. Sie fühlte sich unsicher und versuchte das durch Angriff und Herablassung zu verschleiern.

Da war noch etwas, was sich seinem Geist eher unterbewusst erschloss. Er war sich nicht sicher, woher er diese Erkenntnis nahm, doch er glaubte, dass es auch Selbstschutz war. Vielleicht lag es an den leicht herunter gezogenen Mundwinkeln, der so deutlich defensiven Körperhaltung, aber vermutlich war das dieser unruhige Ausdruck in ihren Augen.

Isolation kann einen Menschen töten, Einsamkeit ist die schlimmste Folter, das hatte er einmal gelesen und Catherine schien ein gutes Beispiel zu sein. Ihre halbwegs annehmbaren Eigenschaften begannen zu sterben und zurück blieb die Paranoia, der Verschwörungswahn. Sie sah sich in einem Komplott verstrickt und sie hatte ja auch Recht damit. Typisch Catherine. Sie verstand Dinge oft sogar besser, als sie es glaubte und diese dreckigen Gefühle überforderten das hilflose Mädchen. An sich würde er es gern rückgängig machen, aber das Unheil kam erst noch und deshalb musste er hart bleiben. Wann hatte es bei ihm so angefangen zu bröckeln? Langsam, als er John kennengelernt hatte, als er über seine Sprüche gelacht und ihn gerettet hatte, dann ein wenig schneller, als John das erste Mal wegen ihm in Lebensgefahr gewesen war. Als er Catherine kennengelernt hatte, hatte sich das Tempo noch mal beängstigend beschleunigt und ausgerechnet jetzt tauchte Moriarty wieder auf und versprach ihm einen Krieg mit allen Mitteln.

Sherlock holte noch einmal tief Luft, unterdrückte den Drang ihr so manches für diese Schamlosigkeit an den Kopf zu werfen und erzählte weiter:

„Ungefähr vier Monate bevor Sie in die Bakerstreet gezogen sind, Catherine, kam es zu einem…“ Er druckste kurz. „…kleinen Zwischenfall.“

„Das bedeutet bei Ihnen eine mittelschwere Katastrophe.“, erwiderte sie trocken.

„Sagen wir mal…es wurde aufregend, spannend.“, sagte er bedächtig und wog leicht seinen Kopf hin und her, bevor er einen Schluck Kaffee trank. „Es war eine ziemliche Dürreperiode was die Fälle anbelangte und ich langweilte mich zu Tode.“

„Ja, ich habe von Ihrem Angriff auf Mr. Smiley gehört.“ Sie hob leicht eine Augenbraue und ahmte ihn unbewusst ein wenig nach. Versuchte sie wieder eine Verbindung herzustellen? Eine Taktik der Psychologie sagte, dass man Sympathie erwecken konnte, indem man die Körpersprache seines Gegenübers nachahmte.

„Doch dann begann das, mein, größtes Spiel mit einem Knall und das im wahrsten Sinne des Wortes.“

„Wie bitte?“ Nun runzelte sie nachdenklich die Stirn.

„Es gab eine Explosion im Haus gegenüber. Die Hälfte des ganzen Wohnhauses ist zerstört worden.“ In diesem Moment bröckelte ihre Fassade und sie sah ihn aus geweiteten Augen geschockt an, während ihr Herz automatisch schneller sprang, so als wäre es gerade eben passiert.

„Was…?“, hauchte sie fassungslos. Kurz schloss die Augen und holte tief Luft. „Ein Bombenanschlag direkt in der Bakerstreet? Vier Monate vor meinem Einzug?“

Sherlock nickte nur knapp.

„…wär ja mal wirklich freundlich gewesen, wenn mich mein Notar darauf hingewiesen hätte. ‚Ach, nur so als Info. Das Haus gegenüber ist nur gerade in die Luft geflogen, aber keine Sorge, Ihr Haus ist nur von einer leichten Rußschicht bedeckt. Gibt dem Ganzem einem rustikalen Flair.‘ Doch, das wäre durchaus fair gewesen. So was ist deutlich wertmindernd und dann hätte ich mir das mit dem Umzug vielleicht nochmal überlegt.“, murmelte sie leise zu sich. In diesem Moment konnte sie ihren Sarkasmus nicht verbergen und auch Sherlocks Mundwinkel zuckten kurz, doch er hielt es unter Kontrolle.

„Das ganze…war Moriartys Vorstellung eines Spektakels und zumindest hatte er Mycrofts und meine Aufmerksamkeit geweckt, auch wenn wir zudem Zeitpunkt noch nicht wussten, dass er es war.“

„Wo fiel sein Name bei Ihrem ersten Fall mit John?“

„Der Taxifahrer…redete die ganze Zeit von meinem…“ Sherlock verzog das Gesicht und sagte die nächsten Worte verächtlich: „…größten Fan, der sein Sponsor sei. Für jeden Mord ginge Geld an seine Kinder. Ich wollte einen Namen, doch er hatte sich geweigert. Als John auf ihn geschossen hatte, nutzte ich seine Verletzung um den Namen aus ihm herauszubekommen. Moriarty waren seine letzten Worte, bevor er starb. Ich hatte damals keine Ahnung wer oder was Moriarty sei, deshalb die Fragezeichen. Es ließ mich nicht los.“

„Weil Sie hofften, dass dieser…“ Catherine runzelte nun die Stirn, weil das Wort einfach seltsam angesichts der Situation klang. „…Fan…Ihnen etwas Größeres bieten würde, als Sie bisher gehabt hatten. Etwas Neueres, Spannenderes…“

Wieder nickte Sherlock und betrachtete sie aus ruhigen Augen.

„Genauso ist es und was Moriarty sich einfallen ließ, war wirklich spektakulär.“

„Ich beginne gerade ernsthaft zu zweifeln, ob ich das wirklich wissen will.“ Sie zog ihre Augenbrauen hinab und schürzte die Lippen.

„Und dafür haben Sie mich einen Monat zu Tode genervt, damit Sie nun kneifen?“

„Das habe ich nicht gesagt.“, murrte Catherine und strich ihren Pony aus ihren Augen. „Ich habe nur das leichte Gefühl, dass wenn schon SIE von spektakulär reden, Sherlock, dann würde jeder normale Mensch wegrennen.“

„Als ob Sie normal wären, Catherine.“

„Auch wieder wahr…“, seufzte sie resigniert. „Also, was für eine tolle Show hat Moriarty gezeigt?“

„In dem zerstörten Haus war ein feuerfester Safe mit einem böhmischen Briefumschlag für mich.“, fuhr Sherlock fort, so als hätte sie ihn nie unterbrochen.

„Und?“

„Darin befand sich ein Iphone, das genauso aussah wie das von Jennifer Wilson.“

„Das war das vierte Opfer bei der Selbstmord-Mord Serie, richtig?“

Sherlock nickte knapp, schürzte die Lippen und legte den Kopf auf seine gefalteten Hände.

„Auf dem Display war eine MMS…ein Bild von der Souterrain Wohnung in 221b und fünf Piepser. Sie kündigten fünf Rätsel an, die ich lösen sollte und für einen besonderen Anreiz war auch gesorgt.“

Catherine lehnte sich zurück und zog die Augenbrauen hoch. Ein skeptischer Glanz lag in ihren Augen, während sie Sherlock nicht aus den Augen ließ, sein Gesicht studierte. Er fragte sich, was sie zu sehen erhoffte, denn schließlich tat er doch genau das, was sie von ihm verlangte.

„Als ob Sie einen Anreiz bräuchten.“

„Er wollte es wohl schlicht spannender machen.“

„…ich mag den Kerl jetzt schon nicht.“

„Sie mögen momentan Niemanden.“

„Doch John, aber das Thema hat sich ja momentan erledigt.“ Ihre Augen funkelten Sherlock wütend an und sie knirschte mit den Zähnen. „Besten Dank auch dafür.“

„Haaaa….“ Sherlock atmete schwer aus und rieb sich über die Augenbrauen. Es raubte ihm alle mentale Stärke um ruhig zu bleiben und ihr nicht wer weiß was an den Kopf zu werfen, doch er verstand sie ja wirklich. Er hatte ihr alles geraubt und bewusst von allem isoliert, dennoch war es wirklich anstrengend. Er bekam Kopfschmerzen von ihrem Gezeter. Schließlich wollte sie doch etwas von ihm.

„Also was war der Anreiz, der selbst Sie noch stimulieren kann?“ Catherine sah ihn skeptisch an und durchbohrte ihn mit ihren hellblauen Augen.

„Moriarty gab mir für jedes Rätsel eine gewisse Zeitspanne, in der ich das Ergebnis auf meine Website posten sollte. Würde ich das nicht tun…“

„Würden sicherlich Menschen sterben. Wenn er wie Sie ist, hat er einen leichten Drang zur Melodramatik.“

Sherlock war kurz überrascht, doch dann sah er ein, dass wohl ziemlich leicht zu erschließen war.

„Ja, genauso war es.“, seufzte er und nahm den letzten Schluck aus seiner Kaffeetasse. „Moriarty ließ Menschen entführen, denen er dann Sprengstoff umband. Über einen Pager mussten sie seine Botschaften an mich vorlesen. Ein falsches Wort und ein Scharfschütze hätte sie in die Luft gejagt.“

Es klirrte, als Catherine vor Schock den Löffel fallen ließ, den sie all die Zeit gehalten hatte. Es war nicht laut, doch es schien als würde das Geräusch die angespannte Stille explodieren lassen. Ihre Augen waren vor Entsetzen aufgerissen und sie schlug sich die Hände vorm Mund.

„Oh Gott…“, hauchte sie nur und schüttelte den Kopf, bevor sie sich unbehaglich durchs Haar fuhr. Es war nicht schwer zu sehen wie nah es ihr ging, obwohl sie keinen dieser Menschen auch nur entfernt gekannt hatte. „Konnten Sie sie retten?“

Sherlock blinzelte kurz verwundert, bevor er die Stirn noch tiefer in Falten legte.

„Retten ist wohl kaum das richtige Wort…“, sagte er nach einigem Abwiegen. „Denn darum ging es mir nie, aber ich habe die Rätsel gelöst.“

„Dann haben Sie überlebt?“, fragte sie und nun war ihre Abwehr wieder für einen kurzen Moment verschwunden. Ihr Atem stockte und nun sah sie ihn doch ein wenig flehend an.

„Sagen wir…“, setzte Sherlock beinahe ein wenig zögerlich an. „Ich habe alle Rätsel innerhalb des Zeitlimits gelöst…aber eine ältere, blinde Frau begann ihn zu beschreiben und hatte ihn damit in die Schusslinie gebracht.“

„Er hat sie getötet?“, hauchte Catherine und ihre Augen weiteten sich vor Schock, als Sherlock nickte.

„Dabei hatte ich eigentlich gewonnen. Ich hatte das Rätsel gelöst.“ Frustration schwang in seiner Stimme mit und sie sah ihn fassungslos.

„Das ist jetzt nicht Ihr Ernst!“ Catherine schüttelte den Kopf und ihr Mund stand sogar vor Entsetzen leicht offen. Sherlock runzelte die Stirn und neigte den Kopf. „Das Einzige, was Sie stört ist, dass Sie eigentlich gewonnen hatten? Wirklich jetzt? Eine arme, alte Frau ist gestorben!“

Ihre Stimme überschlug sich beinahe vor Fassungslosigkeit, doch dann wurde ihr wieder bewusst mit wem sie hier sprach und ihr Gesicht wurde nur noch finsterer.

„Was würde es ändern, wenn es mich belasten würde?“, antwortete Sherlock schlicht.

„Darum geht es nicht, Sherlock!“, fuhr sie an und raufte sich die Haare. „Es geht darum, dass Sie das überhaupt nicht berührt. Es ist beängstigend wie gelassen Sie das sehen. Unschuldige Menschen sind gestorben, weil Sie mit einem Verrückten ein perverses Spiel gespielt haben. Natürlich hätte es nichts gebracht, aber es geht hier um das Prinzip. Bedeuten Ihnen Menschen gar nichts? Sind sie so widerwertig, so minderwertig, dass Sie noch nicht einmal kurz innehalten, sich fragen was schief gelaufen ist, wenn sie sterben nur damit Sie eine Herausforderung haben?“

Catherine holte tief Luft, nachdem sie ihrer Rage Ausdruck verliehen hatte und schüttelte schließlich nur leicht den Kopf. Sherlock sah sie seltsam an. Wieder lag etwas in seinem Blick, was sie nicht zu deuten wusste. Es passte zu keiner ihr bekannten Emotion, aber vermutlich steckte auch keine dahinter.

„Und wissen Sie, was ich am meisten verabscheue, Sherlock? Was mich am meisten schockiert? Dass Sie es sogar noch als gut, als richtig, empfinden. In Ihren Augen sind wir doch alle nur kleine Würme, die blind durch diese Welt kriechen und wenn einer von uns zerquetscht wird, was macht das schon? Es macht Ihnen nichts aus.“

Sherlock sah sie für einen kurzen Augenblick überrascht an und blinzelte dann verwirrt.

„Bei den meisten nicht, nein. Warum sollte es auch? Sie sind so einfältig, dass sie niemand vermissen wird. Es ist kein Verlust.“ Bei anderen wiederum war dies der Fall. Einige Menschen sollten nicht zerquetscht werden. Einer davon saß vor ihm und verabscheute ihn.

„Natürlich wird sie jemand vermissen! Jeder normale Mensch hat jemanden, dem er etwas bedeutet.“ Jeder, außer sie. Sie hatte diejenigen verloren von denen sie geglaubt hatte, dass sie ihnen wichtig sei.

Gerade als Sherlock zu einer Erwiderung ansetzen wollte, seufzte sie und schüttelte den Kopf.

„Lassen wir das. Diese Diskussion führt sowieso nirgendwo hin und ich möchte einfach nur meine Antworten. Vermerken wir in den Akten: Sherlock ist es scheiß egal und Catherine ist empört. Fall abgeschlossen. Es ist doch eh nicht von Belang. Innerhalb kurzer Zeit werden Sie wieder gehen und mich wieder in meine Isolation zurückzuschicken. Sind Sie eigentlich ein Sadist? Macht es Ihnen Spaß mir einen Brotkrumen hinzuwerfen, nur damit ich wieder Hoffnung bekomme?“

Kurz blinzelte er sie überrascht an, wusste er doch nicht wie er damit umgehen sollte. Er beschloss nichts dazu zu sagen. Die Chance, dass er es nur noch schlimmer machte, war nicht gering. Je schneller er das hinter sich brachte, desto schneller könnte er dieser seltsamen Situation entkommen. Während er hier war, trotz aller Garstigkeit von Catherine, wuchs in ihm der Wunsch, sie aufzuklären. Selbst ihm entging es nicht wie sehr sie litt.

„Die Hinweise führten mich schließlich zurück zu meinem ersten Fall.“

„Ihrem…erstem Fall?“, wiederholte Catherine nun überrascht und blickte ihn fragend an. Sherlock nickte und erzählte ihr von Karl Powers, wie er selbst skeptisch geworden war, weil die Schuhe fehlten und dass er nun Jahre später Botulinumtoxin an den in der Wohnung platzierten Schuhen gefunden hatte.

„Moment…“, unterbrach sie ihn atemlos und blickte ihn an. „Heißt das, dass Moriarty Karl umgebracht hat?“ Ein leichtes Lächeln stahl sich um seine Lippen.

„Sie sind schnell. Ja, genau das bedeutet es.“

„Was für ein Zufall. Ihr erster Fall war wohl auch sein erster Mord.“

„Das war kein Zufall.“, sagte Sherlock nun doch ein wenig verächtlich und runzelte die Stirn. „Die gibt es nicht.“

„Wie Sie meinen.“, seufzte Catherine nur. Sie verspürte nicht den Drang ausgerechnet über dieses Thema eine Diskussion zu beginnen. Sie wusste nur zu gut, wohin das zwangsläufig führen würde und darauf hatte sie schlicht keine Lust. „Also, das war Rätsel Nummer eins. Was waren die restlichen vier?“

Damit erzählte Sherlock ihr von den Rätseln, die Moriarty ihm gegeben hatte. In sachlichen Ton erzählte er von Ian Monkfords Umzug nach Kolumbien, dem Mord an Conny Prince und dem Nachtwächter und dem gefälschten Gemälde. Auch Mycrofts Auftrag, die gestohlenen Raketenabwehrpläne zu finden, wurde dabei erwähnt. Catherine lauschte ihm gespannt, doch bei jeder Geschichte lief ihr ein Schauer über dem Rücken. Es war nicht schwer zu erkennen, dass Moriarty völlig verrückt war. Vermutlich hatte Sherlock wirklich Recht. Sie beide waren sich ähnlich und suchten nichts sehnlicher als Zerstreuung und hatten sie in dem jeweils anderen gefunden. Dass sie dabei ihre Umwelt zum Erbeben brachten, wenn ihre Intellekte aufeinander prallten, interessierte sie dabei nicht.

„Was geschah dann?“, fragte sie. Sie ging gar nicht mehr darauf ein, dass beinah ein kleiner Junge das Opfer dieses irrwitzigen Wettbewerbs zweier Superhirne geworden wäre. Es würde diese sowieso schon angespannte, unangenehme Situation in die Länge ziehen. Catherine wollte zwar unbedingt ihre Antworten, doch mit jedem Augenblick, den sie hier verbrachte, schmerzte es umso mehr. All die Leichtigkeit, all das Spiel war verschwunden. Die einstige Unbeschwertheit, die trotz aller Widrigkeiten zwischen ihnen geherrscht hatte, war einer eisigen Angespanntheit gewichen. Beide verbargen ihre wahre Gefühle und Ambitionen und dadurch tanzten sie bloß umeinander herum.

Sherlock holte tief Luft und rieb sich über die Augenbrauen.

„Ich hatte John zwar gesagt, dass ich die Pläne Mycroft wiedergegeben hätte, doch das habe ich nicht. Ich wollte sie nutzen um Moriarty endlich herauszulocken, da es ihm all die Zeit darum ging.“

Catherine runzelte die Stirn.

„Nein, ihm ging es nicht darum.“, sagte sie schlicht und steckte sich eine Erdbeere in den Mund.

„Wie kommen Sie darauf?“ Sherlock verschmälerte kurz seine Augen und stützte seinen Kopf auf die Hände.

„Ganz einfach…wenn er dreißig Millionen einsetzt für ein gefälschtes Gemälde, nur um Sie tanzen zu sehen…mit all seinen kriminellen Fäden…wär es für ihn ein leichtes an die Pläne zu kommen, wenn er denn gewollt hätte. Warum sollten Sie ihm die also besorgen? Nein, viel zu umständlich. Es ging nur darum zu testen wie gut Sie sind.“, erklärte Catherine schlicht.

Nun war Sherlock wirklich erstaunt. Wie so häufig überraschte diese junge Frau ihn. Sie verstand alles verdammt schnell und war in der Lage Menschen einzuschätzen. Selbst diese verrückten Individuen wie ihn und Moriarty. Catherine war schon etwas Erstaunliches und deshalb musste er sie vor sich selber schützen. Dennoch konnte Sherlock in diesem Moment einen anerkennenden Gesichtsausdruck nicht unterdrücken. Schließlich seufzte er und aß den kleinen Keks, der seinem Kaffee beigelegt war.

„Für unseren Showdown hatte ich das Schwimmbad gewählt in dem Karl Powers gestorben war. Ich empfand es als…angemessen.“ Er blinzelte kurz und sein Blick wurde seltsam leer. Ein Ausdruck, der das Unbehagen in Catherine wachsen ließ. Es bedeutete nichts Gutes. Eigentlich lag ihr eine bissige Erwiderung auf der Zunge, die Sherlock weiterhin auf Abstand halten sollte, doch dieser Blick ließ sie innehalten.

„Und was geschah dann?“

„…“ Sherlock holte tief Luft. „Moriarty hatte John als Geisel genommen.“

Catherine verschluckte sich beinahe an der Erdbeere, die sie gerade gegessen hatte und hustete heftig. Einige ihrer Tischnachbarn drehten sich zu ihr um, als sie beinahe erstickte.

„Was?“, hustete sie, als sie dank Peristaltik die Frucht endlich heruntergeschluckt hatte. Mittlerweile war sie kreidebleich geworden. „Er hat…John Sprengstoff…“

Sie blickte Sherlock fassungslos an und schüttelte nur immer wieder den Kopf. Ihr Herz und Blut rasten, sie war voller Adrenalin, obwohl sie selbst nicht in Gefahr war. Blanker Horror ergriff sie. Doch warum war sie so überrascht? Sie hatte doch gerade gehört wozu Moriarty in der Lage war, was er bereit war zu tun und sie glaubte ihn ganz gut einschätzen zu können und deshalb war dies doch ein unweigerlicher Schritt gewesen. Außerdem hatte sie doch schon längst erkannt wie gefährlich das Leben an der Seite von Sherlock Holmes war.

Da fiel ihr dann auch noch ein wie die Studie in Pink und der blinde Banker endeten und sie seufzte.

„Er hat irgendwie ein Talent dafür.“, stellte sie resigniert fest. „Muss wohl der Preis für Sherlock Holmes Achtung sein…die Gefahr…Na ja, zumindest ist er Soldat, dann weiß er damit umzugehen.“

In diesem Moment zog Catherine nicht die Verbindung. Sie verstand nicht, was dahinter steckte, obwohl sie es indirekt gesagt hatte. Sie sah nicht, dass es genauso auf ihren Fall zutraf, da sie nicht bedachte, dass auch sie mittlerweile einen wichtigen Teil in Sherlocks Leben eingenommen hatte. Auch der Consulting Detective wollte es sich nicht eingestehen und so saßen die beiden voreinander und doch meilenweit voneinander entfernt.

Sherlock betrachtete sie wie sie auf ihren Eisbecher starrte, der mittlerweile komplett geschmolzen war und lustlos in der Suppe rührte. Dass ihr Leben sie nicht mehr ausfüllte, entging ihm nicht, doch er konnte momentan nichts daran ändern.

Das Einzige, was er tun konnte, war ihr die alte Geschichte zu erzählen und das tat er auch. Er berichtete von allem, was im Schwimmbad passiert war. Sherlock ließ nichts aus, denn es beruhigte ein wenig dieses mulmige in seinem Magen, was John als Gewissen bezeichnete.

„Was für ein geisteskranker Mistkerl…“, murmelte Catherine nur, während sie sich mit beiden Händen einmal übers Gesicht fuhr. Mehr konnte sie dazu nicht sagen. Einfach nur ein abartiger, kranker Mensch. Gegen ihn war Sherlock wirklich handzahm und knuddelig. Seit sie Sherlock kannte, war ihr ja einiges begegnet, aber das war wirklich der Gipfel.

„Da waren Sie noch ziemlich nett.“ Damit zog Sherlock seinen Mantel an und band sich den Schal um. Er wollte hier weg, denn mit jedem Augenblick wurde es schwerer, sie zurückzulassen. Er spürte immer wieder wie intelligent sie eigentlich war, wie gut sie Dinge verstand und wie sehr er sich wünschte, dass die Situation wie damals wäre.

„Sie können dieses Spiel nicht gewinnen.“, sagte Catherine plötzlich, als er gerade dabei war aufzustehen. Irritiert blinzelte Sherlock sie an, doch sie hatte die Augen mittlerweile geschlossen.

„Wie bitte?“

„Wenn Moriarty wiederkommt, dann wird es kein großes Spiel mehr sein, sondern Krieg und den werden Sie unweigerlich verlieren, Sherlock.“ In diesem Moment öffnete sie wieder ihre Augen und hellblaue Pupillen durchbohrten ihn. Die Worte trafen den einzigen Consulting Detective hart, sodass er nicht anders konnte, als zu lachen- sie auszulachen. Catherine hingegen blieb unbeeindruckt. Ihre hellblauen Augen betrachteten ihn nur voller Ernst und kurz glaubte Sherlock, dass er Sorge sah, doch sie hatte ihm zu sehr an seiner Ehre getroffen, als dass er sich damit befasste.

„Ich? Verlieren?“ Er lachte wieder auf und sah sie nur mitleidig an. „Oh, Catherine. Wie dumm sind Sie eigentlich?“

Es war so abwegig für Sherlock, dass er noch nicht einmal wütend wurde. Es amüsierte ihn nur einfach. Er sollte einen Intelligenzkampf verlieren?

Er beugte sich hinab und stützte seine Hände auf dem Tisch. Sein Kopf war direkt vor Catherine, die zu ihm aufblickte und keine Mine verzog.

„Sie werden verlieren, Sherlock, und ich kann Ihnen auch genau sagen warum.“, sagte sie nur ungerührt, während sie Sherlocks nun stechenden Blick beinahe mühelos standhielt.

Sie war auch ruhig innerlich. Für sie gab es schließlich keinen Platz mehr in seinem Leben und dennoch, Sherlock war ihr nicht egal und sie wollte ihn warnen, denn eines war ihr während seiner Ausführungen klar geworden. Er schwebte in großer Gefahr. Moriarty würde ihn quälen und zerfleischen, denn er war ein Sadist sondergleichen und Sherlock war sein Lieblingsopfer.

„Da bin ich jetzt aber mal gespannt.“ Sherlock blickte sie von oben herab an und seine Stimme hatte den üblich spöttischen Ton.

„Zu Beginn der Geschichte sagten Sie, dass Moriarty so sei wie Sie.“, begann Catherine ruhig, während sie Sherlock weiterhin in die Augen sah. „Aber dem ist nicht so. Sie sind nicht wie er. Sie wünschen sich das nur.“

Sherlock hob eine Augenbraue hoch und betrachtete sie mit abschätzendem Blick.

„Was wissen Sie schon über mich, Catherine?“ Seine Stimme wurde eisig und Catherine konnte seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren. Unheilvoll blickten seine Augen sie an und verrieten, dass sie jetzt besser nicht weiter sprechen wollte, doch ihr Wille war stärker.

„Mehr, als Ihnen lieb ist, Sherlock.“, sagte sie gelassen und nahm einem Strohhalm um ihre Eissuppe zu schlürfen. Sherlock schnaubte.

„Bitte…als ob…“

„In den fünf Monaten, die ich Sie nun erleben durfte, Sherlock, ist mir eines umso bewusster geworden. Sie sind nicht so soziopathisch wie Sie es gerne hätten. Sie sind sogar näher am Menschen, als Sie glauben und genau das wird dafür sorgen, dass Sie verlieren werden.“

„Warum sagen Sie mir das?“

„Weil ich nichts mehr zu verlieren habe. Etwas Schlimmeres als Ignoranz kann es nicht geben, Sherlock. Also kann ich Sie auch mit dem konfrontieren, wovor Sie sich fürchten.“

„Ich fürchte mich vor nichts.“, zischte er boshaft und sein ganzes Gesicht war voller ehrlichem, wahrem Zorn.

„Reden Sie sich das ruhig weiter ein, Sherlock.“ Sie blinzelte ihn ungerührt an und ihre Stimme war voller Reife. „Vielleicht ist Angst auch das falsche Wort, aber es beunruhigt Sie.“

Er musste ehrlich zugeben, dass sie ihn überraschte. Catherine schaffte es wirklich ihn zu überraschen. Ausgerechnet ihn. Denn sie hatte Recht. Sie hatte verdammt nochmal Recht, aber genau das ließ ihn wütend werden.

„Wie können Sie es nur wagen…“

„Warum vertrauen Ihnen die Menschen eigentlich?“

„Was?“ Sherlock blinzelte irritiert und nun wich seine Wut der Verwirrung. Catherines Schachzug war aufgegangen.

„Sie scheren sich nie um Ihre Mitmenschen- außer vielleicht mal um John und Mrs. Hudson, wenn es nicht zu große Umstände macht-, dennoch vertrauen Ihnen die Menschen, denen Sie erlauben etwas näher zu kommen. Warum?“

„Sie vertrauen mir nicht, obwohl ich Ihr Leben selbst jetzt noch kontrolliere.“, sagte er nun nüchtern und er zog die Augenbrauen hinab.

„Doch, ich vertraue Ihnen.“ Ausdrucksstarke, hellblaue Augen sahen ihn an, während sie die Tatsache aussprach, die so lange ignoriert hatte. „Trotz allem, was Sie mir mit dieser Sache angetan haben, sind Sie mir nicht egal. Um ehrlich zu sein, jetzt, wo ich die Geschichte kenne, bin ich besorgt um Sie.“

„Besorgt?“, wiederholte Sherlock halb verwirrt, halb spöttisch, während er eine Augenbraue hochzog. „So etwas irrationales.“

„Mag sein, vielleicht auch nicht.“ Catherine zuckte mit den Schultern. „Aber ich sehe, dass es Ihnen nicht gut geht, Sherlock. Vermutlich haben auch Sie längst bemerkt, worauf all das hinauslaufen wird, wenn Moriarty zurückkehren wird. Er hat es Ihnen ja gesagt. Er wird Sie verbrennen, alles zerstören, was Sie sind. Ihren Ruf, Ihren Job und am Ende wird er Sie umbringen, nachdem er mit Ihnen gespielt hat. Genau das ist es auch, was Sie besorgt. Sie wissen genauso gut wie ich, dass es längst nicht mehr nur um Sie geht. In diesem Kampf werden unweigerlich auch andere Menschen involviert werden und das stimmt Sie unruhig. Sie wissen nicht, ob Sie in der Lage sind, sie zu beschützen. Sie haben Angst davor, was Moriarty sich einfallen lassen könnte um die einzigen Menschen, die Ihnen wichtig sind, gegen Sie zu verwenden und genau das wird Ihr Untergang sein, Sherlock.“

Mit jedem Wort, das sie sprach, überraschte Catherine immer mehr. Nie hätte er ihr solche analytischen Fähigkeiten zuerkannt.

„Sie werden den Kampf verlieren, weil Moriarty etwas hat, was Sie nicht haben.“

„Und was soll das sein?“

„Im Gegensatz zu Ihnen, hat Moriarty kein Gewissen. Er ist bereit alles zu tun, alles zu geben, nur um Sie zu zerstören. Er wird kein Limit kennen.“, antwortete sie und betrachtete Sherlock ungerührt.

„Das bin ich auch.“, erwiderte Sherlock heftig und haute auf dem Tisch. Das Geschirr klirrte unter der Erschütterung.

„Nein, sind Sie nicht. Bevor Sie John getroffen haben, wären Sie es sicher gewesen, aber nun haben Sie Grenzen, Sherlock. Sie würden nichts tun, was John oder Mrs. Hudson in Gefahr bringt.“ Und wieder begriff Catherine nicht, was hinter alldem zu Grunde lag. Sie durchblickte nicht, dass Sherlock genau das gerade mit ihr tat.

„Ich bin nicht mehr von Bedeutung für Sie, Sherlock, deshalb kann ich es wagen, Ihnen das zu sagen. Ich möchte einfach nur, dass Sie sich dieser Sache bewusst sind und eventuell Vorkehrungen treffen.“ Mit diesen Worten stand Catherine auf und zog sich ihre Jacke an.

„Und nun entschuldigen Sie mich, ich muss zur Arbeit.“ Nachdem sie das Geld für ihren Eisbecher auf den Tisch gelegt hatte, ging sie davon. Sie spürte die Blicke einiger neugieriger Gäste auf sich, doch es interessierte sie nicht. Sie hatte ihr Anliegen erfüllt und wollte nun selbst den Schlussstrich ziehen, bevor Sherlock sie wieder verstieß. Dieses Mal wollte sie selbst das Ende bestimmen.

„Catherine…“ Dieses Mal war es Sherlock, der ihr einen Strich durch die Rechnung machte. Es lag ein seltsamer Ton in seiner Stimme, sodass sie schon nach wenigen Schritten innehielt. Sie drehte ihren Kopf zu ihm um und der Anblick überraschte sie. Sherlock wirkte plötzlich müde, geschafft, sogar irgendwie überfordert. Er sah sie nicht direkt an, sondern hatte den Blick mit einem beinah schon traurigen Ausdruck gesenkt und starrte auf dem Boden. Er wirkte zerbrechlich, besorgt und in diesem Moment wurde Catherine bewusst, dass das große Unheil bereits anstand. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinab, als sie Sherlock so ansah. Sie hatte ihn noch nie so gesehen und es beängstigte sie. Wenn selbst er verängstigt war, hieß es, dass die Apokalypse bevorstand.

„Ja…?“

„Kann ich Sie um einen Gefallen bitten?“ Diese Frage warf sie total aus der Bahn und sie verlor ihre Maskerade.

„Was?“ Sherlock blickte wieder auf und der nachdenkliche, beinah gebrochene Blick ließ ihren Atem stocken.

„Falls mir etwas zustoßen sollte, würden Sie sich dann bitte um John und Mrs. Hudson kümmern? Aus einem unerfindlichen Grund könnten Sie um meiner Willen besorgt sein und werden jemanden brauchen, der sachlich an die Sache heran geht. Sie sind die Einzige, der ich das zutraue. Schließlich werden Sie mich ja nicht vermissen.“

Geschockt sah Catherine ihn an.

„Aber…“

„Bitte!“ Sie weitete die Augen noch mehr, als sie Sherlock zum ersten Mal ernsthaft bitte sagen hörte. Ihr Herz raste, doch als seine blauen Augen sie beinahe flehend ansahen, nickte sie.

„Versprochen, Sherlock. Ich werde mich um sie kümmern.“, versprach sie ihm und er nickte, atmete kurz erleichtert aus. Dann stand er auf.

//Wie kommen Sie nur auf die Idee, dass ich nicht um Sie trauern würde, Sherlock?//, dachte sie nur, während Sherlock die Eisdiele verließ. Auch wenn er es nicht gesagt hatte, war ihr klar, dass er das gemeint hatte.
 

Sherlock verließ nachdenklich die Eisdiele. Vielleicht hatte sie Recht und er musste allmählich mit einkalkulieren, dass Moriarty wollte, dass er Selbstmord beging. Es war eine Variabel, die er bisher nicht eingeplant hatte. Innerlich wurmte es ihn, dass ihn erst Catherine darauf hinweisen musste, doch sie hatte einen gutes Argument angebracht, über das er nun erst mal weiter nachdenken musste.

Er steckte die Hände in die Taschen und lief über den lebhaften Marktplatz im Zentrum Londons. Bald würde der Krieg beginnen und zum ersten Mal in seinem Leben war Sherlock sich nicht sicher, ob er dafür gewappnet war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  mindpalace
2013-05-29T22:33:57+00:00 30.05.2013 00:33
Oh wieder einmal großartig! Hervorragendes Kapitel! Man kann den Krieg fasst greifbar spüren...



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