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Von Kaffee, Cookies und Kakao

von

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III

In den kommenden zwei Wochen bist du nicht du selbst. Du scheinst neben dir zu stehen und du kannst dir nicht helfen, dieses Irgendwas in dir tut immer noch weh. Es hat deine gute Laune gefressen und sie halb verdaut wieder ausgespuckt, so wie eine Katze einen lästigen Haarballen.

Dir ist es scheiß egal, wie deine Frisur aussieht oder ob du andere Menschen in der Bahn mit einem so tödlichen Blick fixierst, dass kleine Kinder sich erschrocken an ihre Mütter klammern und ihr Gesicht in deren Mänteln verstecken.
 

Die Kundschaft ist wie immer. Meist nett, oftmals gestresst und nur selten gibt es negative Ausreißer. Ein Veganer treibt dich einmal fast an den Rand eines Nervenzusammenbruchs, als er eine Diskussion über Sojamilch anzettelt, doch selbst das ist dir lieber als Alfreds Visage je wieder sehen zu müssen. Du erkundigst dich nicht mal bei deinen Kollegen, ob er vielleicht zu einer anderen Zeit hier gewesen ist. Du versuchst einfach, gar keinen Gedanken mehr an ihn zu verschwenden – und scheiterst dabei kläglich.
 

Es hinterlässt dich einfach immer noch sprachlos, wie er dich behandelt hat und wie er sich verändert hat. Wenn die letzte Stunde vor Feierabend beginnt, kommst du nicht drum rum, sehnsüchtig zum Tisch hinten rechst zu linsen und dich zu fragen, wo er gerade ist und was er wohl tut? Aber du vermisst nicht den eingebildeten Jungen, der dich beleidigt hat. Dir fehlt der Junge, der dort in der Ecke gesessen, sich die Zunge verbrannt und phantasievoll an seinen Skizzen gearbeitet hat. Der Junge, mit dem man gemeinsam zu aktuellen und alten Number One Hits summen konnte und dem du eines Abends gezeigt hast, wie man aus einem Blatt via Origami-Technik eine Blüte faltet, die du ihm anschließend zugeschoben und die er mit nach Hause genommen hat.

Wo ist dieser Alfred hin? Und warum kann er nicht zurück kommen?
 

Das Geräusch von Regen macht dich traurig und du merkst, wie du zusehendst weniger Lust hast, überhaupt noch im Wouter’s zu arbeiten. Jedes Mal, wenn du gerade einen Leerlauf hast, springen dich Erinnerungen an. Du glaubst, Alfreds Lachen zu hören oder sein leises Singen zur Musik zu vernehmen. Du hast plötzlich das Gefühl, er sitze dort hinten und mache Faxen hinter deinem Rücken, aber wenn du dich umdrehst, ist dort niemand. Es ist wie verhext. Als würde seine Aura noch im Laden spuken.
 

„Bist du bescheuert? Du kannst doch nicht wegen so einem Arschloch kündigen!“, wäscht dir eine deiner besten Freundinnen den Kopf. Ihre Vernunft ist Gold wert, aber du verstehst einfach nicht, warum dein Empfinden sich der Logik nicht anschließen mag. Was musst du noch tun, damit du wieder einen Tag lang ganz normal arbeiten gehen kannst, ohne dich wie verflucht zu fühlen?
 

Es sind genau 15 Tage vergangen, seit er dich Bitch geschimpft hat, als am frühen Abend die Tür aufgeht und dir das Herz zu zerspringen scheint. Den Menschen, der dort mit langsamen Schritten in den Laden kommt, würdest du unter Tausenden wieder erkennen. Wenngleich er die Hände tief in den Taschen seiner weiten, dunklen Jeanshose vergraben hat und etwas Lethargisches ausstrahlt.

Du dankst allen existenten und non-existenten Göttern auf Knien dafür, dass eine deiner Kolleginnen gerade an der Kasse steht und die Bestellungen aufnimmt, während du dabei bist, mit einem Lappen die Tische abzuwaschen, gebrauchte Tassen abzuräumen und für Ordnung zu sorgen.
 

Obwohl du Alfred absichtlich nicht beachtest, kannst du seinen Blick deutlich auf dir spüren. Anders als vor kurzem noch, doch du versuchst es trotzdem zu ignorieren. Du kannst nicht mal hören, was er bestellt und du hoffst einfach, dass er gleich wieder geht. Es ist dir eh ein Rätsel, warum er wiedergekommen ist. Offenbar war er ja mit dem Service beim letzten Mal nicht zufrieden...
 

„Hey...“ Du siehst seine Turnschuhe, bevor du seine Stimme hörst. Sie ist zaghaft, beinahe leise und so durch und durch anders als vor knapp zwei Wochen. Aus dem Augenwinkel starrst du auf seine Schuhe, die mit Straßenschmutz und einigen Schlammspritzern übersäht sind, erwiderst aber nichts. Du weißt nicht, was du sagen sollst, und du hast erst recht keine Lust darauf, schon wieder beleidigt zu werden...
 

Rasch wischst du den Tisch ab und machst dann einfach mit dem nächsten weiter. Wenn Alfred den Tisch haben will, soll er ihn haben. Du bist kundenfreundlich, mehr aber nicht. Er darf sich gerne setzen, Punkt und aus.
 

Zum Glück kommt er dir nicht an den anderen Tisch hinterher. Du machst diesen auch noch zügig sauber, dann gehst du samt Lappen und Handtuch zurück hinter die Theke.
 

Alfred hat seinen alten Stammtisch gewählt; nicht den Tisch, an dem er dich angesprochen hat. Du beschließt, dass es an der Zeit ist, neue Becher aus dem Vorratsraum zu holen und für den Verkauf bereit zu stellen. Dummerweise springen deine Pupillen immerzu für einige Sekunden zu ihm hinüber. Er sitzt relativ tatenlos an dem Tisch, einen großen Becher vor sich, um den sich seine Fingerspitzen geschlossen haben. Weder sein arrogantes noch sein fröhliches Gesicht dominiert seine Züge. Er sieht fahl und farblos aus, wie er da so hockt und die Hände schließlich in den Taschen seines Pullis verschwinden lässt. Die Lippe vorgeschoben wie ein Kind, das in seinen eigenen Gedanken unterwegs ist. Kein Summen zum Radio, keine Arbeit an irgendwelchen Skizzen, keine Mitschüler, die er herumscheucht. Alfred wirkt leer und diese merkwürdige Leere definiert sich nicht durch die Abwesenheit all der Dinge, die sonst sind. Sie definiert sich durch die Anwesenheit all dessen, was vorher nie war.
 

In seinem Becher ist Kakao mit Sahne. Die Schokolade gräbt sich tief in seine Mundwinkel und in die merkwürdig rissige Struktur seiner Lippen, obwohl er nur ab und zu einen kleinen Schluck nimmt und insgesamt einen deplazierten Eindruck im Café erweckt. Da noch andere Tische besetzt sind und immer mal wieder weitere Kunden in den Laden kommen, bist du relativ gut beschäftigt. Du merkst es nicht mal, als Alfred von seinem Platz aufsteht. Du siehst nur seine Rückansicht, als er irgendwann aus dem Laden schlüpft und die Straße runter verschwindet. So als wäre er nie da gewesen.
 

„Komischer Typ“, lästert deine Kollegin ohne Vorbehalte. „Wie der da die ganze Zeit mutterseelenallein gehockt und so creepy vor sich hingestarrt hat! So einer hat bestimmt keine Freunde. Was für’n Freak!“
 

Freak? Keine Freunde? Du bist verblüfft über das harsche Urteil, weil der Alfred, den du kennen gelernt hast, weder ein Freak ist noch wie jemand wirkt, der keine Freunde hat. Auch der andere Alfred, der seine Mitmenschen herumschubst und eine selbstgefällige Gereiztheit ausstrahlt, entspricht nicht diesen Vorstellungen. Aber der Alfred, der dort eben in der Ecke saß, war definitiv ein anderer... Still und irgendwie bedrückt sah er aus. In sich gekehrt. Du weißt es nicht so recht zu beschreiben. Die Energie, die ihn sonst beherrscht, schien wie abgezapft. Als habe jemand schlicht und ergreifend den Stecker gezogen.
 

Warum hat er versucht dich anzusprechen?

Was wäre passiert, wenn du ihn nicht ignoriert hättest?
 

Du hasst dich dafür, dir postwendend noch mehr Gedanken um ihn zu machen, als du es ohnehin schon tust. Er hat das nicht verdient! Du hast doch genug eigene Probleme, wieso solltest du dir dann noch ein weiteres aufhalsen? Er kann ja zu seiner tollen Projektgruppe zurückgehen, in der er so frei heraus den Boss gespielt hat.
 

Nur: warum plötzlich Kakao?
 

Vielleicht hättest du wenigstens zurückgrüßen sollen...



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