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Chroniken der Ewigkeit - 零~月蝕 (Tsukihami)

von

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Nana

Umso näher sie dem Haus ihres Großvaters kam, umso mehr stieg in ihr ein ungutes Gefühl an. Die Straßen waren kaum belebt und das obwohl der Regen nachgelassen hatte. Es herrschte eine merkwürdige Stille, keine Menschenseele war zu hören nur hin und wieder ging der ein oder andere Dorfbewohner entlang, war jedoch schnell wieder im eigenen Haus verschwunden. Es war kein einziger Vogel zu hören, nichts, es war als wäre das Dorf wie ausgestorben. Eine Stille die nichts Gutes zu bedeuten hatte. Was war hier los? Es fühlte sich an als wüssten alle, das etwas Außergewöhnliches passieren würde oder warum schien es so als würden alle Dorfbewohner die Straßen meiden? Oder lag es an den Soldaten der G-Corporation? Vielleicht hatten sie nur Angst!

 

Doch irgendwie glaubte sie das selbst nicht, sie wusste es diente allein zu ihrer Beruhigung, denn wenn sie ehrlich zu sich war, spürte sie selbst diese merkwürdige Atmosphäre. Bis vor ein paar Jahren hatte sie noch an all das nicht geglaubt… nun sie hatte nicht an den Teufel oder Dämonen geglaubt um genau zu sein, aber an Geister schon. Durch Wang hatte sie eine Menge über Geister gelernt auch wenn sie nie einen Beweis für deren Existenz hatte, den brauchte sie auch nicht, für sie war es nur logisch das Menschen die starben so etwas wie ihre Energien in dieser Welt zurück ließen oder zumindest für eine Weile. So konnte sie sich auch vorstellen, dass Orte an denen schlimme Ereignisse passiert sind und jemand dabei gestorben ist, dadurch viel negative Energie zurückbleibt und schlimmstenfalls sogar ein Fluch ausgelöst werden kann. Als ihre Eltern gestorben waren hatte sie angefangen über all diese Theorien nachzudenken, ziemlich bedenklich für ein 6 Jähriges Mädchen, aber Wang stand ihr immer zur Seite, hat mit ihr stundenlang geredet und ihr Fragen beantworten egal wie viele sie auch gehabt hatte. Xiaoyu war schon immer ein sehr aufgewecktes, aufgeschlossenes und frei denkendes Mädchen. Sie hatte sich schon in jungen Jahren immer selbst eine Meinung über die Dinge gemacht und stets versucht ihren Dickkopf durchzusetzen.

 

Aber wer hätte gedacht, dass so viel Wahres an den ganzen Legenden dran ist. Gedankenverloren legte sie ihre Hand auf ihr Medaillon, das sich unter ihrem T-Shirt befand. Der schwarze Stein fühlte sich warm an, ob durch ihre Körperwärme oder etwas anderes, konnte sie nicht mit Sicherheit sagen, denn es fühlte sich an als würde er ganz leicht pulsieren. Sie senkte ihre Hand und blieb vor dem alten kleinen Haus stehen, das Wang einst bewohnte und auch ihr zu Hause gewesen war. Weder sie noch Jin hatten den Weg über miteinander gesprochen, sie war sich aber sicher, dass auch er diese Atmosphäre deutlich spüren konnte. Sie zögerte nicht lange und öffnete die Haustür. Als sie das Haus betrat war es als hätte die Luft an Dicke zugenommen, das Atmen fiel ihr schwerer und obwohl es nicht mal Abend war, war es durch den Regentag dunkler im Haus als normalerweise. Eine Gänsehaut überkam sie, während sie weiter hinein ging und hörte wie Jin hinter sich die Tür leise schloss. Es war erstaunlich kühl hier drinnen, viel kälter als draußen oder bildete sie sich das nur ein? Erschrocken betrachtete sie ihren Atem der als eine kleine Nebelwolke zu sehen war. Sie bildete es sich also nicht ein, es war tatsächlich kalt hier drinnen. Na ob das so ein gutes Zeichen war. Es musste nichts Schlechtes bedeuten, aber Angst hatte sie trotzdem. Kurz drehte sie ihren Kopf zu Jin um, sie fühlte sich etwas sicherer, wenn sie wusste das er bei ihr war. Ernst und wachsam zugleich sah er sie an. Keiner traute sich auch nur ein Wort zu sagen, aber das war auch nicht nötig, sie wusste was zu tun war und wandte so ihren Blick von Jin wieder ab um sich langsam im Haus umzusehen.

 

Eine Zeit lang verging, in der sie die alten Sachen von ihrem Großvater vorsichtig durchsuchte. Sie kannte sich immer noch aus, als wäre sie nie ausgezogen und das obwohl ihre Besuche in China die letzten Jahre stark zurückgegangen sind. In diesem Moment wünschte sie sich mehr Zeit gehabt zu haben, aber dank der Schule und ihrem Training war es ihr nur möglich in den Ferien ihren Großvater besuchen zu gehen, allerdings auch nur in den großen Sommerferien, denn so eine Reise war nicht sehr günstig und so kam es, das sie ihn nur ein bis zwei Mal im Jahr sehen konnte. Traurig legte sie ein altes Buch zurück in das Regal und öffnete den nächsten Schrank indem sie einen kleinen  eingestaubten Schuhkarton fand. Neugierig öffnete sie den Karton und fand alte Alben dort drin die ebenfalls schon etwas eingestaubt waren. Wie lange hatte er in dem Schrank nicht mehr sauber gemacht? In den anderen Schränken fand sie nicht mal ein Staubkorn und hier hinter dieser kleinen Tür befand sich lediglich dieser Karton, der aussah, als hätte er ihn seit Jahren nicht angerührt.

 

Vorsichtig nahm sie einer der Alben aus dem Karton und legte dieses auf ihren Schoß. Xiaoyu hatte sich mit dem Karton an ihrer Seite auf den Boden gesetzt und öffnete das alte Album, deren Seiten einst weiß gewesen sein mussten und nun leicht vergilbt waren. Das Papier fühlte sich rau und ein wenig staubig an, beim umblättern machte es ein knisterndes Geräusch als wäre es schon seit Jahren nicht mehr bewegt worden. Auf der nächsten Seite waren mehrere Bilder zu sehen, die ordentlich auf der Seite befestigt waren. Die junge Chinesin betrachtete die Bilder ganz genau, blätterte um und sah sich auch die nächsten Bilder genauso schweigen aber mit einem fast schon fassungslosen Gesichtsausdruck an.

 

Jin näherte sich ihr mit langsamen Schritten, blieb jedoch auf einmal stehen als er etwas spürte, eine Aura, die stärker zu werden schien und eindeutig von Xiaoyu ausging. Seine Augen verengten sich, als er mit einem guten Abstand zu ihr stand und sie beobachtete wie sie in dem alten Fotoalbum stöberte. Ihre Hand hatte angefangen zu zittern, ohne dass sie es bemerkte. „Was hast du gefunden?“, fragte Jin mit ruhiger Stimme, doch sie konnte einen besorgten Unterton wahrnehmen, den wahrscheinlich niemanden sonst aufgefallen wäre. „Ich…“, fing sie zögerlich an zu sprechen, brach jedoch ab als sie hörte wie ihre eigene Stimme drohte zu versagen. „Fotos…“, versuchte sie es erneut und konnte den Blick nicht von ihnen abwenden. „Fotos?“, wiederholte Jin fragend und irritiert zugleich. „Ich dachte… es gab nie Bilder von ihnen und mir…“, sprach sie leise weiter, immer noch wie gebannt auf die Fotos blickend. Vorsichtig und fast ängstlich strich ihre Hand über eines der Bilder, als müsste sie sich überzeugen dass sie echt waren. „Wieso hat Wang sie mir nie gezeigt? Wieso hat er sie vor mir versteckt? Er wusste wie sehr ich sie vermisste… er wusste wie sehr ich mir gewünscht hatte sie wären wieder bei mir.“, kam es verzweifelt und verwirrt von ihr, mit dem Wunsch auf Antworten, Antworten die ihr niemand mehr geben konnte. Tränen bildeten sich in ihren Augen und ihre Hand verkrampfte sich wütend am Rand des Albums. Die Trauer und Wut stiegen in ihr gleichermaßen an und auch das Medaillon fühlte sich immer wärmer auf ihrer Haut an, es brannte schon fast, jedoch war ein Gefühl stärker in ihr, es ließ sie alles um sich vergessen. „Wieso?“, schrie sie laut und blickte endlich auf um Jin anzusehen.

 

Doch als sie den Kopf anhob, stand dort niemand. Panisch blickte sie in alle Richtungen. Niemand. Stand er nicht eben noch direkt vor ihr? Was zum Teufel geschah hier? Sie saß noch immer auf dem Boden und hatte das Album auf ihrem Schoß liegen, als sie jedoch sich zu bewegen versuchte um aufzustehen, passierte gar nichts als wäre sie versteinert. Lediglich ihren Kopf konnte sie bewegen. Angst stieg in ihr auf. Das konnte doch nicht möglich sein. „Wenn uns etwas zustößt musst du das Medaillon sicher vor ihr verstecken! Beschütze es mit deinem Leben!“, hörte sie eine Stimme, sah aber niemanden. „Ich verspreche es euch!“, versicherte eine, ihr bekannte, Stimme, die eindeutig Wang gehörte. „Großvater!“, wollte sie rufen, ihre Lippen bewegten sich auch, aber es entwich ihr kein einziger Laut. In dem Moment als sie versuchte zu rufen, sah sie plötzlich Wang wie er mit zwei anderen Personen am Wohnzimmertisch kniete. Überrascht blickte sie auf die Bilder in dem Album und erkannte die beiden anderen Personen. „Mutter… Vater…“, dachte sie und sah wieder zu den dreien, die keinerlei Notiz von ihr zu nehmen schienen.

 

Ihr Vater reichte Wang das Medaillon und senkte seinen Kopf, er verbeugte sich länger als gewöhnlich und auch ihre Mutter tat es ihm gleich. „Wieso jetzt? Ist es nicht viel zu früh? Was ist mit Xiaoyu?“, waren Wangs Worte als er das Schmuckstück an sich nahm. „Wir können es nicht mehr beschützen. Es ist unser eigener Fehler gewesen, ich hätte es wissen müssen… jetzt müssen wir dafür bezahlen.“, sprach ihr Vater, ehe alle drei mit dem nächsten Augenschlag verschwunden waren, als wären sie nie dort gewesen.

 

Die junge Chinesin blinzelte erneut und als sie ihre Augen öffnete fand sie sich im Tempel ihres Großvaters wieder. Der Mond erhellte den Raum, so dass sie die Umrisse zweier Personen erkennen konnte, aber nicht ihre Gesichter. Eine enorme Präsenz näherte sich dem Eingang, sie konnte es nicht nur spüren, sondern auch hören! Dieses Geräusch hätte aus ihren Albträumen stammen können, es klang wie mehrere Stimmen und doch konnte sie kein Wort verstehen. Schreie, Stöhnen, Wortfetzen, aber es ergab keinen richtigen Sinn. Es kam näher und Stück für Stück fühlte sie wie sie schwerer Atmen konnte, es war als würde sie fast ersticken, alles um sie herum verschwamm und sah aus als würde es an Farbe verlieren, als würde sie alles in Schwarz-weiß sehen.

 

Nun erkannte sie die beiden Personen im Tempel, es waren ihre Eltern die niederknieten und beteten. Sie wussten was auf sie zu kam, sie wussten ganz genau was jetzt geschehen würde und taten nichts! Die Schiebetür des Tempels öffnete sich und Nebel trat hinein, eine Menge Nebel und eine Gestalt, wenn man es so nennen konnte. Etwas, was einem Menschen ähnelte oder vielleicht auch einmal einer war. Es war umgeben von einer gewaltigen nebelartigen Aura, das Gesicht war verzehrt als wäre es vor Schmerz so erstarrt worden und nie wieder zu seinem normalen Ursprung zurückgekehrt. Die Schreie verschiedener Stimmen entsprangen aus seinem offen stehenden Mund. Xiaoyu hatte den Reflex aufzuspringen und wollte so schnell wie möglich von hier weg, jedoch konnte sie sich immer noch nicht bewegen. Ihr Herz schlug wie wild gegen ihre Brust und die Panik übermannte sie regelrecht. Tränen stiegen in ihre Augen, als der Nebel und somit die Gestalt sich näherte und langsam den ganzen Raum damit ausfüllte.

 

Ihre Eltern hörten nicht auf dort zu knien und zu beten, ihre Körper zitterten vor Angst und doch taten sie nichts als ihr Schicksal zu akzeptieren. Verständnislos schüttelte Xiaoyu den Kopf, tränen kullerten über ihre Wangen und sie versuchte zu schreien, sie sollten weg laufen oder verdammt nochmal etwas unternehmen! Sie fühlte sich so hilflos, sie wusste, das was sie hier sah musste schon längst geschehen sein, aber es fühlte sich alles so real an und alles weigerte sich in ihr tatenlos zuzusehen. Ihr Körper jedoch rührte sich keinen Millimeter. Der Nebel umhüllte ihre Eltern, sie hörte ihre Schreie wie sie sich mit den anderen vermischten bis auf einmal Stille eintrat. Sie konnte keinen der beiden mehr sehen, als wären sie vom Nebel verschluckt worden. Die Gestalt drehte sich zu ihr um und sein Gesicht blickte direkt in das ihres. Er konnte sie sehen? Mit geweiteten Augen sah sie erschrocken zurück, spürte wie ihr das Blut in den Adern gefror und als wäre das nicht genug, bewegte es sich auf sie zu. Die junge Chinesin schrie stumm so laut sie konnte und als der Nebel sie berührte, hörte sie plötzlich eine Stimme. „Xiao!“, schrie Jin. Jin! Mit einem Mal fühlte es sich an als wäre sie aus einem langen Traum erwacht, nur ihr Körper wusste noch nicht, dass es vorbei war. Ihr Herz pochte, ihr Pony klebte durch ihren Schweiß an ihrer Stirn und schnelle Atemstöße verließen ihren Mund. Langsam öffnete sie ihre Augen, sah das Album neben sich liegen, während sie immer noch auf dem Boden saß, genau wie vorhin, nur das sie vorgebeugt war und sich mit ihren Händen am Boden stützte. Das Medaillon baumelte um ihren Hals, es musste aus ihrem T-Shirt gerutscht sein. Ein leichtes Schimmern umgab es und sie spürte immer noch diese enorme Kraft die es umgab. „Alles in Ordnung?“, fragte Jin sie besorgt, während sie ihren Blick noch immer auf den Boden gerichtet hatte. „Ja… ich denke schon…“, antwortete sie ihm schwach und kniff ihre Augen zusammen als hätte sie Schmerzen.

 

Was war das gewesen? War sie die ganze Zeit über hier gewesen? Hatte sie etwa nur geträumt? Nein, das war kein Traum gewesen. Unmöglich. Aber was dann? Eine Art Vision? Das traf es wohl noch am besten. Sie fühlte sich schwach und ausgelaugt, als wäre sie stundenlang wach gewesen und man hätte ihr ihre Energie ausgesaugt. Das was sie erlebt hatte, hatte eine Menge Kraft gekostet, aber das war nicht alles. Das Medaillon pulsierte, strahlte eine eigene Energie aus als wäre es durch das Erlebnis erst richtig aktiviert worden. Diese Kraft zehrte an ihr, es fühlte sich wie ein Kampf an. Sollte sie die Kontrolle erlangen, hätte sie es geschafft, wäre einen Schritt weiter und wäre vielleicht in der Lage mehr zu verstehen. Doch mehr als das wusste sie nicht und konnte sie in diesem Moment auch nicht erfassen, es kostete all ihre restlichen Ressourcen um sich diesen Dunklen Sog zu entziehen. Musste sie dem Medaillon beweisen das sie stark genug war? Was würde passieren wenn sie es nicht schaffte? Würde sie dann so enden wie ihre Eltern? Hat das Wesen ihr eine Warnung geben wollen?

Schwer atmend sackte sie weiter nach unten, krallte ihre Finger in den Holzboden und kniff ihre Augen vor Schmerz zusammen. Sie durfte nicht aufgeben, sie musste es schaffen. „Das sieht nicht so aus als wäre alles in Ordnung! Jetzt lass mich zu ihr durch!“, schrie Lian den Japaner an und versuchte an Jin vorbei zu Xiaoyu zu gelangen.

 

Er war ebenfalls auf dem Weg zu Wangs Haus gewesen als er auf der Polizeiwache ein wenig über Xiaoyu Recherchiert hatte. Es war eine Leichtigkeit für ihn gewesen herauszufinden wo Xiaoyu früher gewohnt hatte. Als er jedoch aus den Einträgen erfahren hatte, dass sie früh ihre Eltern verloren hatte und allein mit ihrem nun auch verstorbenen Großvater dort gelebt hatte, zog sich kurz etwas in ihm zusammen, auch er hatte seine Familie verloren und ahnte wie sie sich nun fühlen musste. Lian beschloss sich auf den Weg zu dem Haus zu machen in dem sie einst gelebt hatte und als hätte er es geahnt, sah er wie Jin und sie das Haus betraten. Zu Erst beobachtete er das Haus von etwas weiter weg, er dachte sich, sie würde sicher nur ein paar Erinnerungen holen gehen, aber als sie beide nach einer ganzen Weile immer noch nicht raus kamen, machte ihn das skeptisch. Der junge Chinese ging langsam zu der Haustür und lehnte sein Ohr an die Holztür in der Hoffnung etwas hören zu können. Nichts. Dann leise hörte er ihre Stimme und dann Jins, aber er verstand nicht was sie sagten. Kurz darauf herrschte erneut Stille, so lange, das er schon überlegte einfach hinein zu gehen, als er plötzlich Jins Stimme ihren Namen riefen hörte. Lian stürmte sofort in das Haus und rannte sofort los bis er die beiden im Hauptzimmer vor fand. Jin stand mit dem Rücken zu ihm, während Xiaoyu auf dem Boden saß, ihre Augen waren geschlossen, ihr Oberkörper vorgebeugt, sie verzog ihr Gesicht vor Schmerz und Tränen flossen ihre Wangen hinunter. Er wollte sofort zu ihr, aber Jin drehte sich zu ihm um und versperrte ihm den Weg zu ihr. Mit einem warnenden Blick schüttelte er den Kopf und bereits im nächsten Augenblick öffnete Xiaoyu keuchend ihre Augen als wäre sie aus einem Albtraum erwacht.

 

Erneut verlangte Lian zu ihr zu gehen, als er sah, dass es ihr keinesfalls besser ging, auch wenn sie dies behauptete. Er ignorierte Jins warnenden Blick und wollte geradewegs an ihm vorbei marschieren, als der Japaner ihn fest an der Schulter packte und so zudrückte, das Lian ein schmerzhaftes Zischen von sich gab. „Fass-sie-nicht-an.“, knurrte Jin auf Chinesisch. Lian ging zwei Schritte zurück, worauf Jin den Griff löste und ihm mit einem eisigen Blick entgegensah. Der Chinese rieb sich die Schulter, starrte ihn ungläubig an, denn er hätte schwören können, dass die Augen des Japaners für einen kurzen Moment anders ausgesehen haben. Als hätte ihn ein Tier mit funkelnden Augen warnend angesehen, statt eines Menschen. Zudem war er überrascht, dass Jin so wie es aussah seine Sprache beherrschte, aber das war gerade wirklich unwichtig. „Dann kümmere du dich wenigstens um sie und steh nicht herum und sie zu! Sie brauch Hilfe!“, schrie er ihn an und ballte seine Hände zu Fäusten. Jin verengte seine Augen, antwortete jedoch nicht sofort sondern blickte noch einmal hinter sich auf die junge Chinesin die immer noch in derselben Position da saß und mit sich kämpfte, ehe er sich wieder Lian zuwandte. „Du gehst jetzt besser…“, war seine eisige Antwort mit einem deutlich warnenden Unterton in seiner Stimme. „Ich fasse es nicht…“, murmelte der Chinese und blickte zu Xiaoyu die auf einmal sich langsam aufrichtete und da saß als würde sie etwas hören. Ihr Gesicht war entspannt, als hätte sie keinerlei Schmerzen mehr. Ihre Augen waren geöffnet, starrten jedoch in eine Richtung, als würde sie in der Ferne jemanden sehen. Irritiert folgte er ihrem Blick, doch konnte er nichts und niemanden sehen. „Neiryasayo hatate…“, wisperte sie leise in einem Singsang. „Neiryasayo hatate…“, wiederholte sie leise während er kurz zu Jin sah, deren Augen sich geschockt geweitet hatten. Xiaoyu sang leise wie in Trance das Lied weiter, als Jin sich abrupt zu ihr umdrehte, bedacht darauf sie nicht zu berühren, seine Hand zögerte für einen Augenblick und letztendlich ballte er sie doch nur zu einer Faust. „Xiao!“, schrie er sie an. In diesem Moment stoppte das Lied und es herrschte Stille. Lian verstand nicht was hier los war, aber Jin hingegen schien sehr wohl zu wissen was er tun musste, anders als er bis eben noch vermutete hatte. Für ihn hatte es so ausgesehen, alles wollte er Xiaoyu alles andere als helfen. Was auch immer hier vor sich ging, es schien vor erst vorbei zu sein, zumindest dachte er das, bis er erneut ihre Stimme hörte wie sie dieses unbekannte Lied auf Japanisch weiter sang.

 

„Nakukowa kagobune tsuinomichi…“, erklang ihre Stimme worauf Jin ein leises Fluchen von sich gab und sich ihr nur mit wenig Abstand gegenüber auf den Holzboden setzte, so dass er ihr direkt in die Augen blicken konnte. „Xiao…“, sprach er ihren Spitznamen so sanft aus, wie Lian noch nie Jin sprechen gehört hatte oder jemals gedacht hätte, das der Japaner zu so etwas in der Lage wäre. Die Augen der jungen Chinesin blickten auf einmal nicht mehr ins Leere, sondern sahen in die Augen ihres alten Schulfreundes, der ihr ernst aber auch mit einem Hauch von Sorge in seinem Blick ihr entgegen sah. „Jin…“, hauchte sie seinen Namen, als sie spürte das sie dem Sog entkommen war. Der Nebel der sie verschlingen wollte war verschwunden und sie hörte immer noch seine Stimme, die so sanft, wie seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr, ihren Namen aussprach, ihren Spitznamen, den er ihr gegeben hatte. Sie war glücklich ihn zu sehen, denn für einen Moment hatte sie wirklich gedacht, sie würde es nicht schaffen, wäre für immer in dem Nebel verloren… jetzt, wo er ihr direkt gegenüber saß, ihr so nah war, spürte sie eine enorme Erleichterung und das Bedürfnis ihm noch näher sein zu wollen. Schniefend und sich ihren Gefühlen hingebend, schmiss sie sich ihm regelrecht in die Arme. Ihren Kopf gegen seine starke Brust bettend, krallte sie ihre Finger in sein Oberteil, während sie sich an ihn schmiegte und ihn am liebsten nie wieder los lassen wollte. Ihre Augen waren fest geschlossen, in der Hoffnung die aufkommenden Tränen zurück halten zu können. Sie biss sich auf ihre Unterlippe um ein Schluchzen zu vermeiden, ihr Körper gehorchte ihr nicht, es war als würden alle Gefühle auf einmal durch sie strömen. Sie hatte ihre Eltern wiedergesehen auch wenn es nur die Vergangenheit gewesen war, so war sie verdammt real gewesen. Das unbekannte Wesen, das ihre Eltern auf dem Gewissen hatte und dann der Kampf mit dem Medaillon selbst, das alles war dann doch ein wenig viel gewesen. Sie fühlte sich alle und erschöpft, es hatte ihre gesamte Kraft gekostet sich der dunklen Macht zu widersetzen und zu beweisen das sie stark genug war es nicht nur zu besitzen, sondern es auch zu beschützen und zu beherrschen gleichermaßen. Sie hatte den Kampf gewonnen, aber hätte sie das auch ohne Jins Hilfe geschafft? Was wäre passiert wenn er nicht ihren Namen gerufen hätte? Er war ihr Rettungsseil gewesen, das sie zurück in diese Welt gezogen hatte. Wäre sie auch nur einen Moment länger dort geblieben, sie kann nicht sagen, was dann passiert wäre, aber bedeutet das nicht, dass sie es nicht Wert war das Medaillon zu beschützen, wenn sie doch nicht mal in der Lage war alleine sich zu beschützen?

 

Xiao fand in diesem Moment keine Antwort auf diese Frage, sie konnte keinen einzigen klaren Gedanken mehr fassen, ihre Glieder fühlten sich immer schwerer an und die plötzlich aufkommende Müdigkeit übermannte sie vollkommen. Langsam lockerten sich ihre Finger und ließen den Stoff von Jins Oberteil wieder frei, während ihr Kopf ein Stück an seiner Brust tiefer rutschte, doch ehe sie weiter zusammensackte, spürte sie wie seine starken Arme um sie griffen, sie stützten und sie sanft an ihn drückten. Ein leises erleichtertes Seufzen entwich Jin, als er sich sicher war, das sie lediglich vor Erschöpfung eingeschlafen war, ihre ruhige und gleichmäßige Atmung trugen dazu bei. Xiao konnte ihre Augen nicht mehr öffnen oder ihren Körper bewegen und schon gar nicht irgendwelche Widerworte geben als sie spürte wie Jin sie auf seine Arme hob um sie nach draußen zu tragen. Das letzte was sie noch gerade so hörte war Lians Stimme, doch seine Worte konnte sie nicht verstehen. Lediglich Jins kühle Antwort erklang deutlich in ihrem Kopf, "Ich kümmere mich um sie.", bevor sie vollständig eingeschlafen war.

 

Ohne es zu merken und bereits tief schlafend, schmiegte die junge Chinesin ihren Kopf an Jins Schulter, als dieser auf Lian zu ging, der alles andere als begeistert war über Jins Entscheidung sie nicht in ein Krankenhaus zu bringen. Professionelle ärztliche Behandlung war jetzt das was sie brauchte, alles andere wäre unverantwortlich und würde ihrer Gesundheit nur schaden. Wenn es ihm um eine Erklärung ging, die die Ärzte sicher verlangen würden, wenn Xiao eingeliefert wird, dann hätte er sich auch ebenso eine Ausrede einfallen lassen können. Vor Erschöpfung zusammen gebrochen, wäre eine sehr gute Möglichkeit und läge gar nicht so weit entfernt der Wahrheit, doch wieso sich der Japaner dagegen entschieden hat, konnte er nicht begreifen. Er verstand nicht nur seine Beweggründe nicht, er traute ihm nicht, für Lian schien es so als würde Jin ein anderes Ziel als Xiao verfolgen und dabei war ihm ihre Sicherheit nur geringwertig wichtig. Aber dann von den einen Moment auf den anderen, schien der Japaner sich tatsächlich um sie zu Sorgen, zumindest sah es für Lian so aus, aber mit seinem restlichen Verhalten, ergab das zusammen keinen Sinn. Ihm war es ein Rätsel warum dieses Mädchen ihm so sehr vertraute und dass sie das tat, war nicht zu übersehen. Ihre entspannten Gesichtszüge während sie in seinen Armen lag, war nur ein Beweis. Sie vertraute ihm bedingungslos und unwiderruflich, dessen war er sich sicher. Ihre Gefühle für den Japaner konnte niemand übersehen und er käme niemals auf die Idee sich zwischen ihnen stellen zu wollen, aber Jins Absichten waren ihm dermaßen schleierhaft, dass er sich wirklich um sie sorgte. Er spürte das starke Gefühl sie vor ihm schützen zu wollen und es widersprach ihm den Japaner mit ihr einfach gehen zu lassen. Lian trat ihm in den Weg und sah überzeugt von seinem Vorhaben, Jin direkt an, bereit für das was jetzt kommen mag. Doch als der junge Chinese erneut auf das unschuldige Gesicht des Mädchens blickte, wie sie friedlich und entspannt in seinen Armen schlief, stieß er einen leisen Fluch aus, ballte seine rechte Hand zu einer Faust und trat zur Seite. Er konnte es nicht. Ihr Gesichtsausdruck als sie sich dem Japaner in die Arme geworfen hatte, tauchte vor seinem geistigen Auge auf und er gab ein leises Zischen von sich. Sie würde ihn hassen. Nein, so würde er ihr nicht helfen können, er würde es nur schlimmer für sie machen. Jin blickte den Chinesen misstrauisch an, musterte ihn einen Moment länger als üblich und zog die Augenbrauen nachdenklich zusammen, als Lian ihm vorschlug ihn und Xiao zu begleiten, natürlich nur damit sie sicher in ihrer Wohnung ankommen würden. Überraschenderweise nickte Jin und gab ihm ein Zeichen ihm zu folgen. Eigentlich wäre es besser gewesen alleine mit Xiao zu gehen, aber da sie gerade Bewusstlos war und da draußen immer noch die G-Corporation ihr Unwesen trieb, entschied er sich für ihren Schutz und eine eher untypischere Entscheidung für ihn.

 

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Eine warme Brise wehte durch die schwarzen Haare des Mädchens, die wie jeden Mittag auf demselben Dach saß und wie jeden Mittag auf den jungen Japaner der drei Jahre älter war als sie wartete um mit ihm zusammen zu essen. Eigentlich hätte sie Jin wohl eher wie ihren Senpai behandeln müssen, aber das sie so unbeschwert und vertraut miteinander waren, verdankte sie wohl dem Zufall wie sie sich kennengelernt hatten. Und gerade weil sie ihm alles sagen konnte, hätte sie ihm eigentlich schon längst von ihrem Problem erzählen sollen, aber immer wenn sie es versucht hatte, hatte sie ihr Mut verlassen, ja es war ihr sogar peinlich! Jin war ein ausgezeichneter Schüler, so klug und in jedem Fach hatte er gute Noten, das komplette Gegenteil von ihr. Mittlerweile hat sie sich in den meisten Fächern einen guten Durchschnitt hart erkämpft, aber ein Fach machte ihr immer noch Kummer. Mathe. Würde sie es nicht schaffen in der nächsten Klausur besser abzuschneiden, dann sehe es wirklich Finster aus und aus diesem Grund tat sie die letzten Wochen nichts anderes mehr außer zu lernen, bis spät in die Nacht hinein. Leider hatte das zu Folge, das sie während des Unterrichtes fast immer drohte einzuschlafen oder gar dem Unterricht zu folgen. Heute schien sie jedoch ihre Grenze erreicht zu haben. Anstatt wie sonst auf dem Dach zu sitzen und auf Jin zu warten, befand sich Panda bei ihr, die ab und zu und auch nur in der Pause bei Xiaoyu war. Panda lag mit dem Bauch auf dem Boden und döste vor sich hin, während die junge Chinesin auf Pandas Rücken lag und endlich ihren langersehnten Schlaf nachholte.

 

So bemerkte sie auch nicht wie derjenige, auf den sie vorgehabt hatte zu warten, das Dach betrat und sich mit einem leichten Schmunzeln neben sie setzte. Erst der Geruch von heißen Ramen ließen ihre Nase zucken und schnüffeln, ehe ihre Augenlider sich langsam öffneten. Jin konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen als sie ihn mit diesem verschlafenden und zugleich verwirrten Blick ansah, als wäre sie erst gerade aus dem Bett gekommen. Hatte er gerade wirklich gelacht? Nicht das ihr Herz gerade einen Hüpfer gemacht hätte oder sein Lachen ihr ein angenehmes Kribbeln beschert hätte... wie konnte jemand nur so ein schönes Lachen haben? Jin gab nie viel seiner Gefühle Preis und so hatte sie ihn heute zum ersten Mal lachen gehört. Natürlich hatte sie damit gerechnet ihn eines Tages Lachen zu sehen, aber das es so einen Effekt auf sie haben würde, damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. "Guten Morgen, ausgeschlafen?", waren seine sanften Worte mit einem neckischen Unterton, den sie nicht überhören konnte. War sie tatsächlich eingeschlafen noch bevor Jin hier gewesen war? Seufzend rieb sie sich den Schlaf aus den Augen und kletterte von Panda hinunter um sich neben Jin auf seine andere Seite zu setzen. Ohne weitere Worte reichte Jin ihr einen noch heißen Ramen Cup den er ihr mitgebracht hatte, überrascht aber dankbar nahm sie die Ramen an und lächelte dabei. "Danke, das ist genau das was ich jetzt brauche.", sagte sie grinsend und nahm sich ihre Essstäbchen um die Nudeln etwas umzurühren.

 

Nach einer längeren Weile des Schweigens, in denen beide sich ganz ihren Gedanken und Ramen gewidmet hatten, war es Jin, der als erstes wieder etwas sagte. "Seit wann schläft du auf Schuldächern?", fragte er und sie wusste jetzt konnte sie nicht mehr davon laufen, sie würde ihn niemals belügen, also seufzte sie und legte die leere Ramen Packung zur Seite. "Seit ich zu Hause nicht mehr zum Schlafen komme...", fing sie vorsichtig an zu erzählen. Von Jin würde sie keine Zwischenfragen erwarten, sie wusste, er würde ihr nun bis zum Ende zu hören. "Ich... habe die letzten Klausuren in Mathe ziemlich verhauen...", erzählte sie weiter. "Ich habe keine Lust wegen Mathe die Stufe zu wiederholen, also... habe ich angefangen nach der Schule zu lernen, aber ich scheine für das Fach zu dumm zu sein.", seufzte sie und blickte vor sich auf den Boden, jetzt hatte sie es ihm zwar erzählt, aber peinlich war es ihr trotzdem. "Und wieso hast du nicht schon früher etwas gesagt?", kam es nach einer kurzen Pause von Jin, worauf die junge Chinesin ihn überrascht ansah. Er konnte genau ihre Emotionen in ihren Augen erkennen. "Ich... es...", fing sie an zu versuchen zu erklären, er sah das es ihr unangenehm war und er wusste sofort was los war. "Xiao...", seufzte er und sah sie dann mit ernsten Blick an. "Du bist weder dumm noch muss es dir peinlich sein. Jeder hat Dinge die einem nicht liegen.", sagte er im ernsten und kühlen Ton wie immer, aber seine Worte gaben ihr Kraft und dann war da noch die Sache wie er sie genannt hatte. Mit einem undefinierbaren Blick sah sie ihn länger an als üblich, sagte kein Wort, bis Jin sie irritiert ansah und eine Augenbraue hochzog. "Wie hast du mich eben genannt?", fragte sie sicherheitshalber nach in der Hoffnung es sich nicht eingebildet zu haben. Jin blinzelte kurz verwirrt, ehe er verstand was sie so beschäftigt hatte. "Xiao.", wiederholte er und erhielt von ihr ein glückliches Lächeln. "Ich mag es!", schoss es aus ihr heraus und Jin musste ein wenig über ihre Reaktion Schmunzeln, es war doch nur ein Spitzname, ein sehr simpler noch dazu und sie freute sich als wäre Weihnachten. Von dem Moment an hatte er sie nur noch Xiao genannt.

 

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Immer noch sein Lachen und seine Stimme hörend öffnete Xiao langsam ihre Augen. Verträumt blickte sie an die Decke und realisierte erst Stück für Stück, das sie nicht mehr träumte. Sie schien zurück in der Wohnung zu sein, die Jin für sie beide gemietet hatte, zumindest lag sie auf einem Futonbett und mehr konnte sie gerade auch nicht erkennen, da der Raum lediglich von einer kleinen Lampe in der Ecke des Raumes beleuchtet wurde. Vorsichtig richtete sie sich auf und bemerkte dann, dass das Futonbett neben ihr leer war, kurz stieg in ihr Panik auf, er könnte sie wohlmöglich alleine gelassen haben, jedoch konnte sie nicht mal den Gedanken weiter spinnen, als sie ein leises, raues, "Hey...", vernahm. Erleichtert drehte sie ihren Kopf wieder nach vorne, Jin schien gerade aus dem Bad gekommen zu sein, seine Haare waren noch feucht und er trug eine schwarze Trainingshose und dazu ein passendes schwarzes Tank-Top. Es ließ ihn gar nicht mehr nach dem Chef der Mishima Zaibatsu aussehen, mehr nach einem jungen 21 jährigen Japaner, der ein ganz normales Leben führte. Jin setzte sich mit einem guten Abstand zu ihr gegenüber, so dass er mit seinen Rücken gegen den niedrigen Esstisch lehnte und er seinen Arm entspannt über sein angewinkeltes Bein legte. "Hey...", antwortete sie ihm sanft und sah ihm dabei direkt an. Beide wendeten ihre Blicke nicht ab, saßen einfach da und sahen sich an. Xiao war noch immer etwas benebelt von den Erlebnissen und ihrem Traum, das sie nicht anders konnte als ihn anzusehen, ihre Angst er könnte wieder weg sein, war zu groß. Immer wenn sie diese Träume aus der Vergangenheit hatte, fühlte sie sich einsam, sehnte sich nach ihm und wollte bei ihm sein, so wie früher. Bis jetzt war sie immer alleine gewesen als sie aufgewacht war, ihn nun in ihrer Nähe zu wissen, fühlte sich seltsam und gut zugleich an. Ein wenig fühlte sie sich in früher zurückgesetzt, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, so eine starke Anziehung zu ihm gespürt zu haben. Als wäre es ihr nicht schon genug, das er überhaupt bei ihr war, musste sie denn noch mehr verlangen?

 

Und wieso sah Jin sie dann genauso an? Wieso sah er nicht weg wie sonst auch? "Wie fühlst du dich?", zog seine Stimme sie aus ihren Gedanken. Xiao musste kurz nachdenken und zögerte deswegen, ehe sie ihm antwortete. "Gut. Etwas müde... aber gut.", gab sie ehrlich zu worauf Jin nickte und kurz seine Augen schloss, bis er ein leises "Es tut mir Leid.", von ihr hörte und seine Augen wieder öffnete um sie mit einem fast schon verwirrten Blick anzusehen. "Ich hätte es ohne deine Hilfe nicht geschafft...", murmelte sie, er konnte es allerdings noch hören. "Es ist vor erst vorbei.", gab er kühl wie immer von sich, worauf Xiao irritiert drein schaute und ein "Woher...", von sich gab, aber ihren Satz nicht zu Ende sprach. "Ich bin mit dieser Dunklen Seite schon länger vertraut.", erinnerte er sie. "Du hast der Macht bewiesen, dass du es Wert bist sie zu schützen. Du hast gelernt sie zu kontrollieren... allerdings... heißt das nicht, das du es perfekt beherrschst, dazu gehört eine Menge Übung.", erklärte er ihr. Xiao sah ihn überrascht und faszinierend zugleich an. "Ruh dich aus, du kannst mir Morgenfrüh alles im Detail erzählen, jetzt solltest du erst einmal wieder zu Kräften kommen.", wies er sie an, doch sah sie ihn immer noch mit diesem undefinierbaren Blick an, den nicht mal er in der Lage war zu deuten. Erneut sahen sich beide einfach nur an, wobei Jin ernsthaft versuchte zu verstehen was sie gerade dachte, wo sie doch sonst wie ein offenes Buch für ihn war. Die junge Chinesin haderte mit ihren Gefühlen für den Japaner, der kurze Dialog war nicht Ablenkung genug gewesen, ganz im Gegenteil, jetzt wollte sie umso mehr ihm Nahe sein, sich bei ihm bedanken, für das was er getan hat und ihm zeigen wie wichtig er für sie war.

 

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, schälte sie sich aus ihrer Decke und krabbelte langsam auf Jin zu, deren Gesichtsausdruck einmalig war. Skeptisch und trotzdem ernst sah er sie an als er meinte, "Was wird das?". "Ich will mich bei dir bedanken.", antwortete sie ihm als wäre nichts dabei und lächelte ihn daraufhin verlegend an. Bevor er auch nur irgendetwas erwidern konnte, spürte er schon ihre zarten, kleinen Hände an seinen Wangen und ihre weichen Lippen auf seiner Stirn. Sanft hauchte sie ihm einen Kuss auf seine Stirn, während ihre Hände leicht seine Wangen berührten und die frisch nachgewachsenen Bartstoppeln spürten, die ihre Finger leicht piksten. Geschockt weiteten sich Jins Augen, nicht fassend was sie da gerade tat und sich mit seinen Gefühlen konfrontiert fühlend. Hin und her gerissen, schloss er unerwartet seine Augen und ließ es zu, ihre Zuneigung für einen Moment zu genießen. Nicht allzu lange hielt dieser Moment an, denn plötzlich packte er mit seinen Händen die ihre und nahm sie von seinen Wangen, wobei er Xiao dadurch ein Stück von sich schob, ihre Hände jedoch nicht los ließ.

Mit finsterem Blick sah er ihr fast schon wütend entgegen. "Mach das nicht noch einmal.", warnte er sie. Xiao war über seine plötzliche Abweisung so überrumpelt gewesen, das sie ihn geschockt ansah, schließlich hatte sie gespürt, das er sich noch vor wenigen Sekunden entspannt hatte und vielleicht sogar es genossen hatte und auf einmal das. Seine Worte fühlten sich wie ein Stich in ihrer Brust an. Kleine Tränen sammelten sich in ihren Augen. Sie hatte mit Ablehnung gerechnet, aber nicht so! Wieso war er so grob und fies zu ihr? Er hatte sich wirklich verändert zu früher, das hatte sie nun langsam begriffen, aber sie hatte ebenso gemerkt, dass er immer noch der alte Jin war, tief in ihm. Also warum verhielt er sich ihr gegenüber so? Gerade ihr sollte er doch vertrauen, sie würde immer für ihn da sein, mit ihm kämpfen und sie war eine der wenigen, die ihn so akzeptierte wie er war, mit oder ohne Teufels-Gen. Es gehörte nun mal zu ihm, auch wenn er es nicht leiden konnte. Seine Familie, Heihachi und Kazuya, die Macht versessen waren und vom Kämpfen besessen waren, haben schließlich das aus ihm gemacht, aber er war immer noch er selbst, das spürte sie, auch wenn er es nicht zeigen wollte.

 

Seine Worte taten weh, aber etwas sagte ihr, sie sollte jetzt nicht aufgeben. "Wieso nicht?", sprach sie leise. Mit einem genervten Seufzen ließ er ihre Hände los und lehnte sich mit geschlossenen Augen wieder zurück, mit den Rücken an den Tisch. "Es gibt genug Gründe.", wich er ihrer Frage aus. "Nenn mir einen.", blieb sie hartnäckig, die aufkommenden Tränen zurückdrängend. Seine Augen wieder öffnend, sah er sie mit dunklen, Gold schimmernden Augen an, sie wirkten nicht von dieser Welt und glichen die eines Dämons. "Das ist kein Grund.", entgegnete sie ihm, wissend was er damit sagen wollte. Jins Augen verengten sich und er zog seine Augenbrauen verärgert zusammen, während sich schwarze Tattoo ähnliche Linien auf seiner Stirn und um seine Augen herum bildeten. "Das ist ein sehr guter Grund.", widersprach er ihr mit dunkler, rauer Stimme. "Ich habe keine Angst vor dir.", meinte sie darauf und sah ihn unentwegt an. "Ich weiß.", sagte er überzeugt davon, aber immer noch mit einem wütenden Klang in seiner Stimme als wäre er sauer auf sie. Er weiß? Er... weiß?! Wenn er es wusste, wieso sollte das dann ein Grund sein? Xiao war nun sichtlich verwirrt. "Aber... dann ist es kein Grund!", sprach sie ihre Gedanken laut aus. "Sei nicht so kurzsichtig!", entgegnete er ihr mit dunkler und leicht erhobener Stimme. "Du bist nicht das Problem... sondern ich.", sprach er nun wieder sanfter, aber immer noch kühl und abweisend. Xiao saß zwar nicht mehr so dicht vor ihm, wie als sie ihn geküsst hatte, aber dicht genug, das sie hätte nur ihre Hand nach ihm ausstrecken müssen um ihn zu berühren, was sie sich keinesfalls traute nachdem er so auf ihre Berührung reagiert hatte. Aber der Gedanke ihn mit Gewalt von dem Gegenteil seines Irrglaubens zu überzeugen, war verlockend. Verrückter Gedanke, der niemals funktionieren würde, Jin war stärker und schlimmstenfalls würde sie ihn durch ihre Aktion erst recht verlieren. Gewalt anzuwenden widersprach ihren Vorsätzen und eigentlich auch seinen, auch wenn er in letzter Zeit diese anscheinend weniger beachtete. Doch was tun, wenn er ihren Worten nicht glaubte und zu sehr von seiner Meinung überzeugt war? Nein, so leicht gab sie nicht auf, nicht jetzt, wo sie dieses Gespräch endlich nach so langer Zeit führten. Vielleicht würde sie nie wieder die Gelegenheit dazu haben, sie musste es weiter versuchen.

 

"Du irrst dich.", kam es von ihr fast schon wütend, aber immer noch mit einem sanften Klang in ihrer Stimme. "Du kannst es beherrschen, sagtest du. Du hast mich so oft schon beschützt und gerettet, ich sehe da keinen Sinn drin wieso ich dir Fern bleiben soll! Wir sind Freunde, oder nicht?", fragte sie unsicher obwohl sie wusste, das sie Freunde waren, aber sie zweifelte ehrlich an dem was er wollte. "Wir sind Freunde.", gab er sofort mit einem Klang in seiner Stimme von sich, der keine Zweifel an deren Wahrheit zuließ. "Wenn wir Freunde sind und du es beherrschen kannst, dann sag mir warum. Warum darf ich hier mit dir sitzen? Warum darf ich dich nicht umarmen? Freunde umarmen sich! Ich meine, ich wollte mich nur bei dir bedanken-", "Xiao!", sprach er ihren Namen laut aus und unterbrach so ihren Redefluss. Überrascht blickte sie Jin an, der erneut seine Augen geschlossen hatte und sie nun öffnete als sie endlich Still war. Wieder einmal sah er sie mit diesen Gold-Braunen Augen an, die diesmal kein bisschen nach Dämon aussahen, sie aber genauso durchdringend ansahen. "Es geht nicht um eine Umarmung.", erinnerte er sie, denn wenn sie ehrlich zu sich war, hatten sie sich bereits umarmt und Jin hatte niemals etwas dazu gesagt.

 

Jin sah ihr weiterhin durchdringend in die Augen, er war verwundert wie unschuldig sie doch war und wie wenig sie über ihre eigenen Gefühle wusste. Sie musste tief in sich die Wahrheit kennen, ihre Taten sprachen bereits Bände und ließen keinen Zweifel zu. Außerdem konnte er es in ihren Augen sehen, wie sie ihn ansah, er müsste schon Blind sein um das zu übersehen. Er hatte gedacht, sie wüsste was sie Tat und was sie mit ihrem Handeln anrichtete. Deswegen war er auch wütend auf sie gewesen, nicht ernsthaft, aber schon ein wenig. Doch jetzt, wo er in diese unschuldigen Augen blickte, wusste er, sie hatte rein instinktiv nach ihren Gefühlen gehandelt ohne weiter darüber nachzudenken, was das eigentlich bedeuten könnte.

Nun war es Jin der sich ihr näherte und ihre Augen weiteten sich vor dieser unerwarteten Wende. "Du hast mich geküsst.", sprach er leise, aber keineswegs wütend mehr, was sie umso mehr verwirrte. Ihre Wangen erröteten sich spontan, als er das Wort "geküsst" ausgesprochen hatte, denn die aufkommenden Bilder in ihren Kopf waren nur schwer zu verhindern. "A-auf die Stirn...", meinte sie zögerlich und leicht stotternd als Jins Gesicht so nah war, das sich fast ihre Nasenspitzen berühren könnten. "Mhm... dann sag mir... fühlt sich das für dich nach einem freundschaftlichen Kuss an?", raunte er leise in ihr Ohr, ehe er mit seinen Lippen ihr einen sanften Kuss auf ihre Stirn hauchte. Seine Lippen berührten sie zärtlich, mit geschlossenen Augen genoss er den wahrscheinlich letzten dieser Momente und zögerte das unvermeidliche heraus. Nach einiger Zeit löste er sich von ihr, legte seine Hand auf ihren Kopf und sah in ihre glänzenden Augen, während ihre erröteten Wangen ihre blasse Haut noch hübscher aussehen ließen. "Werde dir deiner Gefühle bewusst.", gab er ihr den Rat wobei seine Stimme diesmal ruhig und so ganz anders klang als sonst. Verwirrt aber immer noch paralysiert von dem was eben passiert war, sah sie ihn verträumt und mit einem irritierten Blick gleichzeitig an.

 

"Ich habe nie gesagt, wir seien keine Freunde. Aber mehr als das... wird es nie geben.", sagte er nun wieder kühl und mit einem Blick der ihn für sie unerreichbar machte. "Es ist besser so.", murmelte er leise vor sich hin und stand auf um zur Tür zu gehen, als er spürte wie ihre Hand sein Hosenbein festhielt, sanft aber bestimmend. "Kommst du... wieder?", fragte sie vorsichtig mit leiser Stimme. Ihr Gesicht konnte er nicht erkennen, als er sich zu ihr umdrehte, da sie mit dem Rücken nun zu ihm saß, aber an ihrer Stimme konnte er hören, dass sie weinte. Er hasste es wenn sie weinte. Er hasste sich für das was er ihr antat. Er hatte ihr ihre eigenen Gefühle gezeigt und ihr anschließend gesagt, dass diese nie erwidert werden, wie grausam war er?! Er war ein Monster und daran würde sich nie etwas ändern. Doch hätte er es nicht getan, hätte es wohlmöglich die Mission in Gefahr gebracht. Um das Medaillon zu kontrollieren muss sie nicht nur einen starken Geist haben, sondern auch ihre eigenen Gefühle kennen. Wieder einmal verletzt er sie zu ihrem eigenen Schutz.

 

"Ich breche mein Wort nicht.", versicherte er ihr und spürte wie ihre Hand langsam den Stoff seiner Hose los ließ, bevor er ohne weitere Worte die Wohnung verließ. In dem Moment als die Tür hinter Jin zuging, fingen die Tränen an über ihre Wangen zu laufen. Schniefend zog Xiao ihre Decke an sich, während noch mehr Tränen kullerten und ein Schluchzer ihr entwich. Jin lehnte sich mit dem Rücken gegen die geschlossene Tür, er konnte sie weinen hören, ihre Schluchzer, jeden einzelnen. "Es tut mir Leid.", sagte er leise, ballte seine Hand zu einer Faust und verließ das Gebäude.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Shenduan
2018-01-04T21:10:03+00:00 04.01.2018 22:10
Omg endlich geht mexx wieder. Die arme Xiao, ich musste gerade selbst ein paar tränchen weg wischen. 😭
Antwort von:  Ran_Angel
04.01.2018 23:05
Bin auch happy das mexx wieder da ist ^^ Und vielen Dank für dein Kommi! ^^ Ja, Xiao hat es gerade nicht sehr leicht... *mit schnief* .__.


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