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Das Bild

Ost #003
von

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Das Bild

Ein dunkler Rahmen zierte ein einsames, großes Bild an der sonst kahlen Wand. Eisig und kalt strahlte die weiße Tapete dem Betrachter entgegen. Eine mahagonifarbene Anrichte prangte an der einen Seite des Raumes, während eine Tür auf der Gegenüberliegenden lag. Die einzige noch unbeschriebene Wand ließ den Blick über einen weiten See schweifen.

Eine zierliche Gestalt stand davor, kurze Haare umrahmten sein Gesicht. Die gesamte Haltung des Mannes drückte seinen unendlichen Schmerz aus. Gebückt und gebrochen stützte er sich mit der rechten Hand am dicken Glas der Scheibe vor ihm ab. Die Linke ruhte in seiner Tasche und der Blick lag still und schweigsam auf dem schwarzen Wasser.

Wie oft waren sie dort gewesen? Glücklich, lachend, auf dem kleinen Boot, das mittlerweile kaputt im Schuppen ruhte. Auch der Schuppen war verfallen und verlassen. Freude gab es in diesem Haus nicht mehr. Das silberne Sternenhalsband, dass sie immer getragen hatte, eine einfache Metallkette mit glänzenden Sternen daran, lag auf der Anrichte und schwieg. Die Stirn des Einsamen bewegte sich langsam dem Fenster entgegen und noch einmal atmete er tief durch, seufzte und ließ den Kopf am Glas ruhen.

Er schloss die Augen und dachte an ihr Gesicht, ihre wundervollen Augen, so strahlend rein und kristallklar. Doch sie war nicht mehr. Schon vor über zwei Jahren war sie von ihm gegangen, hatte ein Loch in seinem Herzen hinterlassen und eine düstere Stimmung über das ganze Landhaus gelegt. Die Türen blieben geschlossen, jede einzelne Uhr war abgeschaltet worden, lediglich ein kleiner Kalender starrte neben der Tür in die nächtliche Unendlichkeit.

Die Gestalt löste sich von der Scheibe und schritt langsam zur Anrichte hinüber. Diese Kette hatte er ihr geschenkt, als sie sich gerade ein Jahr gekannt hatten. Nie hatte sie diese abgelegt. Doch was sollte ein gebrochener Mann mit dem letzten Andenken an seine Geliebte schon tun? Traurig nahm er sie in die Hand, spielte kurz mit ihr und legte sie dann andächtig zurück.

Niedergeschlagen ließ er sich auf einen Stuhl fallen, vergrub das Gesicht in seinen Händen und spürte die Last des Kalenders auf sich ruhen. Es war so weit. Jener eine Tag, den sie früher genossen hatten. Warum? Warum waren schon wieder so viele Tage vergangen?

Ruckartig stand er auf und der Stuhl auf dem er gesessen hatte fiel mit einem lauten Knall nach hinten. Es war ihm egal, alles hier war ihm egal. Was sollte man mit leblosen Dingen? Es gab nichts, dass ihm die Wärme seiner Frau ersetzt hätte, die Liebe die sie ihm gegeben hatte. Eine ihrer Berührungen, die Arme um sie zu legen und zu wissen, dass man mit dieser Person den Rest seines Lebens verbringen wollte?

Der Blick des Mannes glitt langsam über die spärliche Einrichtung. Hier war sie gewesen, ihre letzte Geburtstagsfeier vor drei Jahren. An genau diesem Tag hatte sie einen Federschmuck auf dem Kopf getragen und das Fest unter ein Indianer-Motto gestellt. Er selbst war als Cowboy gegangen und hatte sich noch am selben Abend mit ihr verlobt. Zwei Monate später erzählte sie ihm, dass sie ein Kind unter ihrem Herzen trüge. Doch die Freude währte nicht lange. Schon sechs Monate später, am Vorabend der Hochzeit, wurde sie von einem betrunkenen Autofahrer tödlich verletzt. Das Kind überlebte nicht und der Dunkelhaarige blieb am Boden zerstört zurück.

Auch heute noch spürte er sie, ihre Anwesenheit in diesem Haus. Hörte ihr Lachen und das des ungeborenen Kindes. Er konnte ihre Aura spüren, wenn sie als Geist durch seine Hallen schritt. Sie war der Grund, warum er keine Tür und kein Fenster jemals mehr geöffnet hatte. Was wäre, wenn ihre Seele in diesem Augenblick entwich und ihn nie wieder mit ihrer Präsenz erfreute? Das Kind, dessen Namen er nie erfahren durfte, dessen Gesicht er nie gesehen hatte und dessen Stimme er nicht kannte, würde verschwinden und womöglich auch aus seinen Gedanken. Ein alter Mann kam im Morgengrauen und lieferte ihm Essen in den Keller. Doch eine eiserne Falltür schützte seine Familie.

Erneut lief der Mann zum Fenster und starrte wortlos und bedrückt über das, was auf ewig ihm allein gehören würde. Sein Leben würde er hier verbringen und nie wieder einen Schritt in die Außenwelt setzen. Er konnte nicht gehen, Heute nicht und auch sonst nie. Die Ewigkeit war für ihn bestimmt, allein in diesem Haus.

Traurig sah die Frau aus ihrem schweren, dunklen Rahmen hinunter auf ihren Verlobten. Die Mundwinkel schienen sich mit jedem Moment weiter zu senken und die Farben wurden blasser und dunkler. Kleine Kinderaugen sahen mitleidig von Zeit zu Zeit aus dem Bild und verschwanden noch ehe man sie erblicken konnte. Wie gern hätten sie den Mann erlöst und doch konnten sie es nicht!



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Anemia
2012-10-13T10:37:25+00:00 13.10.2012 12:37
Aloha!
Man, ich heul gleich. u_u Und dummerweise ist genau dies ein dicker, großer Pluspunkt für dich und deine unheimlich schöne Geschichte. Wie soll man soetwas noch kritisieren? Man liest aus jedem einzelnen Satz den Schwermut des Mannes, der seelisch ein Stück weit mit seiner Frau und dem Kind gestorben ist. Wie du die Sache mit dem Bild verarbeitet hast, finde ich sehr einfallsreich.

Besonders positiv aufgefallen sind mir Beschreibungen wie 'Der Einsame', was ich nur sehr selten in Geschichten lese, oder auch Umschreibungen wie "Zwei Monate später erzählte sie ihm, dass sie ein Kind unter ihrem Herzen trüge.". Bei solchen Sachen bin ich ganz das schwärmerische Mädchen. Mir ist diese Metapher für die Schwangerschaft noch nicht bekannt gewesen, deswegen geht sie mir gerade auch unheimlich nahe. Und sie passt so gut zu diesem Text. Alles wirkt auf gewisse Art und Weise so liebevoll, auch ohne viele Adjektive.

Auf Rechtschreibfehler wurde bereits eingegangen, also spare ich mir das. ;) Ansonsten finde ich, dass du mit deinem Schreibstil den Leser zu fesseln vermagst. Ich jedenfalls konnte mich immernoch nicht befreien. :)

Es ist einfach nur wundervoll. Mach weiter so.

lg Serpa,
vom Kommentarfieber gepackt.
Von:  konohayuki
2012-10-13T00:01:27+00:00 13.10.2012 02:01
~KF~

Hallo,

>Die einzige noch unbeschriebene Wand ließ den Blick über einen weiten See schweifen.

Ich finde, der Satz klingt etwas verunglückt. Zum einen klingt es so, als würde die Wand den Blick über den See schweifen lassen, also als wäre die Wand personifiziert. Zum zweiten finde ich die Formulierung mit der "noch unbeschriebene[n] Wand" nicht so schön gewählt. Vielleicht wäre es hier besser eine Formulierung wie "die letzte Wand" zu wählen.

>Glücklich, lachend, auf dem kleinen Boot, das mittlerweile kaputt im Schuppen ruhte.

Irgendwie lese ich gerade die ganzen Geschichten mit glücklichen Vergangenheiten, die für ein trauriges Jetzt Platz machen mussten. Hier kommt das sehr gut zur Geltung dadurch, dass das Boot nun sogar nicht mehr seetüchtig ist und die Ausflüge darin eindeutig der Vergangenheit angehören.

>Schon sechs Monate später, am Vorabend der Hochzeit, wurde sie von einem betrunkenen Autofahrer tödlich verletzt.

Oh nein >.<
Über den Text verteilt bekommt man wirklich gut mit, wie sehr er sie geliebt hat, dass er sie so verlieren musste, tut mir gerade wirklich so Leid.

>Die Ewigkeit war für ihn bestimmt, allein in diesem Haus.

Die Vorstellung, dass er so krass daran kaputtgeht (und ich bezeichne das jetzt mal so) finde ich dann aber auch wieder traurig. Jemanden zu verlieren, den man liebt, ist schwer, aber man muss doch irgendwann einmal weiterleben, oder?

>Wie gern hätten sie den Mann erlöst und doch konnten sie es nicht!

Mit der Wendung zum Übernatürlichen habe ich jetzt nicht gerechnet, finde sie aber nicht aufgezwungen oder störend.
Das macht die drückende, traurige Atmosphäre noch einmal mehr greifbar.

Liebe Schreibziehergrüße,

konohayuki
Von: abgemeldet
2012-10-07T11:38:46+00:00 07.10.2012 13:38
- KF -

Guten Tag.
Und es geht weiter und es macht Spaß und ich habe langsam Lesestoff für die nächsten Monate angesammelt - mit dem Kommentieren kann es also weitergehen. ;)

Der Start in das Kapitel ist sehr schön, da sehr gut beschrieben.
Die einzige noch unbeschriebene Wand ließ den Blick über einen weiten See schweifen.
Die Wand ließ den Block schweifen? ;) Nein, an und für sich wirklich sehr hübsch!

eine einfache Metallkette mit glänzenden Sternen daran, lag auf der Anrichte und schwieg.
Ich liebe es, wenn Dingen auf diese Weise Leben eingehaucht wird. Eine sehr schöne Stelle.

Die Türen blieben geschlossen, jede einzelne Uhr war abgeschaltet worden, lediglich ein kleiner Kalender starrte neben der Tür in die nächtliche Unendlichkeit.
Da hast du wirklich Talent für, hier ist schon wieder so ein Schätzchen! Es kommt mir gerade vor, als würde ich das erste Mal was von dir lesen!

Also ohne übertreiben zu wollen, aber am Ende hatte ich eine Gänsehaut. Jedenfalls habe ich das Gefühl, dass der Mann einem Wahn verfallen ist, aber ich analysiere ja selten das was ich lese und nehme es hin, wie es da steht.
Mir gefällt, wie du die Verzweiflung hier verdeutlichst. Und das Ende ist sehr gelungen. Ich sah es auch förmlich vor mir.

Liebe Schreibziehergrüße,
Turnaris
Von:  Eldeen
2012-10-07T11:11:07+00:00 07.10.2012 13:11
Erst ein Kommentar? Das müssen wir ändern und zumindest mal Nummer zwei hinzufügen. :P Ich überlege grad, ob es im Voraus noch irgendetwas zu sagen gibt, aber eigentlich fällt mir jetzt spontan nichts ein, also kommen wir direkt zum eigentlichen Kommentar. ~

Inhaltliches:
Okay, bis kurz vor dem Ende bin ich davon ausgegangen, dass es sich hier lediglich um die Darstellung der Gedankenwelt von der Hauptfigur handelt und es dementsprechend auch nur bedingt Handlung zu beurteilen gibt, aber der letzte Absatz hat das dann ja doch nochmal geändert und aus dieser doch eher realistisch angehauchten Geschichte etwas mit einem Anflug von Mystery bzw. Fantasy gemacht. Das war definitiv eine interessante Wendung! :)
Dieser Schwenk hat die Geschichte auch irgendwie nochmal aufgewertet, weil sie so zumindest nicht völlig aus Melancholie und düsteren Erinnerungen besteht, sodass diese Form von Pointe die Geschcihet tatsächlich lesenswerter macht.
Ich fand die Gedankenwelt des Mannes nachvollziehbar und man konnte auch seine Verzweiflung begreiefn, seine drastischen Methoden bzw. Ansichten haben sich mir persönlich nur bedingt erschlossen - aber das ist sowieso subjektiv. :D

Stilistisches:
Mir gefällt die Schreibart, die genaue Beschreibung des Raumes, des Sees und der Feier, das lässt die Geschehnisse und die Figur realer erscheinen und bringt sie mir als Leserin näher. Ich finde auch die Wortwahl sehr hübsch, die rhetorischen Fragen und die Art, in der du diesen inneren Monoog des Mannes umgesetzt hast, insbesondere auch die Tatsache, wie er von einem Gedanken auf den nächsten kommt.
Aufgefallen ist mir nur folgender Satz:

"Ruckartig stand er auf und der Stuhl auf dem er gesessen hatte fiel mit einem lauten Knall nach hinten."
Mir gefällt das Wort "Knall" hier nicht, das wirkt so umganssprachlich und irgendwie passt es nicht zum restlichen Schreibstil. Vielleicht lieber ein "Poltern" einfügen. :)

Rechtschreibung & Grammatik:
Ist jetzt ja nicht mehr der erste Text, den ich von dir Lese, also kann ich sagen, dass auch wieder alles in allem nichts Dramatisches drin war und ich hier nicht meckern möchte. Die Fehlerchen, die ich gefunden habe, stören kaum bis gar nicht, von daher... Daumen hoch, korrigieren wäre trotzdem hübsch. ;D

Das silberne Sternenhalsband, dass sie immer getragen hatte,
"Dass" -> "das"

Ruckartig stand er auf und der Stuhl auf dem er gesessen hatte fiel mit einem lauten Knall nach hinten.
Komma nach "Stuhl"

Es gab nichts, dass ihm die Wärme seiner Frau ersetzt hätte, die Liebe die sie ihm gegeben hatte.
"dass" -> "das" und ein Komma nach "Liebe"

Er konnte nicht gehen, Heute nicht und auch sonst nie.
"Heute" klein

und verschwanden noch ehe man sie erblicken konnte.
Komma vor "noch"

Fazit:
Eine auf den ersten Blick etwas eintönige Geschichte, die durch den Perspektivwechsel am Ende erst wirklich interessant wird. Hübsch finde ich, dass man den Mann kurz vor Schluss für verwirrt oder irgendwie leicht merkwürdig hält, wenn er davon spricht, sein Haus wegen einer Präsenz zu verschließen und dass erst am Ende dann deutlich wird, dass er damit ja gar nicht so falsch liegt! :D
Sehr hübsche Wendung und alles in allem eine interessante Geschichte. :)

Liebe Schreibziehergrüße,
Eldeen im Kommentarfieber
Von:  Pumpkin_Queen
2012-09-22T09:47:12+00:00 22.09.2012 11:47
Oh wie Traurig.
Q-Q
Hach... ich liebe dein Geschenk (auch wenn ich am SONNTAG Geburtstag hatte, nicht Samstag) und werde es auf ewig in meiner Favoliste tragen!
XD

Ich freue mich schon auf alle kommenden OST's mit dir und deinem überaus tollen Schreibstil!

Deine (überaus gerührte)
Pumpkin_Queen


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