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Fremde Welten: Das Schloss am Meer (#2)

Crimsons eigene Serie, yay!
von

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Bürokratische Merkzettel

Kapitel 10: Bürokratische Merkzettel
 

Eria kehrte erst nach dem Abendessen zum Schloss zurück. Sie begrüßte Yugi überschwänglich und freute sich, Yami kennen zu lernen. „Hey, ihr seht echt fast gleich aus! Bist du gewachsen, Yugi?“

„Ich habe eher den Eindruck, dass du größer geworden bist, wenn du so neben Crimson stehst!“ erwiderte der Kleinere.

Eria und Crimson sahen sich an. „Echt?“ Nun, das war gut möglich, aber wenn man sich jeden Tag sah, fiel es gar nicht auf.

„Du musst mit zu Paladia kommen und das Baby ansehen!“ schlug Yugi eifrig vor.

Die Blauhaarige bekam ganz große Augen. „Es ist da? Mann, da bin ich mal einen Tag weg... ist es ein Mädchen?“

„Oh ja, der ganze Stolz ihrer Mutter,“ grinste Crimson. „Aber es ist jetzt schon spät, sie schlafen bestimmt beide schon.“ Er wusste das... irgendwie. „Wie ist es dir ergangen?“

Sie gingen zu den Privatgemächern, während sie sprachen,

„Ich habe meine Freundinnen von der Akademie getroffen,“ berichtete Eria. „Wir haben lange geredet, nachdem ich bei der Direktorin war. Silentia sagte, sie werde sich um dein Anliegen kümmern. Später beim Kristallschloss habe ich Dark erzählt, was los ist. Natürlich nicht in so kleinen Einzelheiten. Er kommt vielleicht man vorbei in den nächsten Tagen.“

Crimson verdrehte die Augen. „Och nööö...“

„Hätte ich ihm lieber nichts sagen sollen?“

„Ach, schon gut.“ Crimson seufzte. „Er kann sicherlich helfen, auch wenn ich ungern noch tiefer in seiner Schuld stehen möchte.“

„Sieh das doch nicht immer so ernst, Meister. Wenn er dich um etwas bitten würde, würdest du ja auch helfen, unabhängig davon, ob du einen Nutzen davon hast.“

„Naja... wahrscheinlich. Mann, ich werde hier noch richtig weich.“

Die Gruppe lachte ausgelassen. Als sie eine Treppe hoch kamen und in einen Gang einbogen, sahen sie Sorc, der ein Stückchen weiter an der linken Wand stand und mit einem Pinsel etwas auf die Steine schrieb, das kurz glitzerte und dann nicht mehr zu erkennen war. Crimson, Yugi und Yami dachten sich nichts dabei, doch Eria blieb wie angewurzelt stehen. Zu spät fiel dem Schlossherrn ein, dass sie von der Anwesenheit des Chaosmagiers nichts wusste.

„Du!“ zischte sie. „Was hast du hier verloren?“

Sorc setzte zu einer Antwort an, doch da hatte das Mädchen schon mit einem Angriff ausgeholt. Eine Energiewelle, die sich als Flackern in der Luft bemerkbar machte, schoss auf den Blauhäutigen zu, doch dieser verengte lediglich ein wenig die Augen und blieb unbeschadet: Der Angriff verpuffte einen Meter vor ihm wirkungslos. „Ich mache meine Arbeit,“ erklärte er schlicht.

„Äh... ich vergas wohl zu erwähnen, dass...“ begann Crimson.

Eria fuhr zu ihm herum wie eine Rachegöttin. „Willst du mir sagen, dass er legal hier ist?“ Sie wies anklagend mit einer Hand auf den älteren Magier. „Das kann nicht dein Ernst sein, nach allem, was er verbrochen hat! Er hätte mich fast umgebracht, uns alle hätte er fast umgebracht! Und dein Rücken – zählt das schon nicht mehr?“

Crimson war von ihrer Reaktion überrumpelt, obwohl er sie verstehen konnte. Aber bei all seinen momentanen Problemen mit Olvin war er nicht in der Lage, sich noch auf eines mit seiner Schülerin einzulassen. Sie war die Letzte, von der er Probleme erwartet hatte. „Lord Genesis hat ihn hierher geschickt...“ begann er ziemlich lahm.

Eria unterbrach ihn mit einem wütenden Aufschrei, der deutlich machte, dass sie das jetzt nicht hören wollte. „Der Kerl hat hier nichts verloren! Er hat hier einfach nichts verloren!“ zeterte sie voller Wut. „Ich will ihn hier nicht mehr sehen, es sei denn, es ist in Ketten unten im Verlies, wo er uns gefangen hatte!“ Sie machte auf dem Absatz kehrt und rannte davon.

„Willst du ihr nicht nachlaufen?“ fragte Yami.

Crimson war diesbezüglich unschlüssig. Er war kein besonders einfühlsamer Mensch – oder zumindest dachte er das. „Ähm... vielleicht sollte sie sich erstmal etwas beruhigen...“

„Ich gehe und erkläre es ihr,“ erbot sich Yugi. „Sie ist jetzt anscheinend auch auf dich sauer...“

Sie ließen Yugi gehen, und Crimson war dankbar, dass er sich darum kümmerte. So langsam war er wirklich überfordert.

„Du kannst nicht erwarten, dass sie mich willkommen heißt,“ bemerkte Sorc überraschend, wobei er lässig damit fortfuhr, etwas an die Wand zu malen, das dann unsichtbar wurde. Er schien als Farbe nur Wasser zu verwenden. „Hat sie nicht im Grunde das gesagt, was du die ganze Zeit dachtest?“ Da lag eine gewisse Herausforderung in den Worten.

Crimson dachte kurz darüber nach, aber im Grunde konnte er es nicht abstreiten. „Vermutlich würden dir ein paar Ketten wirklich gut stehen,“ antwortete er ausweichend, denn er wollte sich nicht auf eine dieser Aussprachen zwischen früheren Feinden einlassen. Ah, da war es wieder, ein Wort, das implizierte, dass sie jetzt keine Feinde mehr waren. Verdammt!

Sorc wandte ihm seinen Blick zu, ohne seine Tätigkeit mit dem Pinsel einzustellen. „Ketten halten mich nicht, Direktor.“

Der Weißhaarige dachte darüber nach, es auf einen Versuch ankommen zu lassen, doch er hatte andere Sorgen. „Ich werd's mir merken.“ Er und Yami setzten ihren Weg fort und gingen dabei an dem Chaosmagier vorbei, der nichts mehr erwiderte. Somit war er zufrieden, das letzte Wort gehabt zu haben.
 

Crimson begleitete Yami in dessen Schlafzimmer, das er sich mit Yugi teilte. Es befand sich nicht in dem Turm, den auch er bewohnte, sondern auf der Schüleretage. Wie fast alles im Schloss bedurfte auch dieser Teil noch der Ausarbeitung und Renovierung, so dass die Inneneinrichtung noch nicht einheitlich war. Crimson hatte sich noch nicht entschieden, wie sie einmal aussehen sollte, wie viele Schüler in einem Zimmer schlafen sollten und wie komfortabel alles werden sollte, aber Yami und Yugi hatten ein Zimmer entdeckt, in dem allerhand Gerümpel stand – und ein breites, bequemes Bett.

„Wie ich sehe, wurde euer Gepäck inzwischen gebracht,“ stellte Crimson fest, denn drei Reisetaschen und ein großer Rucksack standen halb ausgepackt am Fußende des Bettes. Die Jungs hatten einen Schrank auserkoren, in den sie alles packten. Das Möbelstück stand zusammen mit mehreren anderen mehr oder weniger mitten im Zimmer.

„Ja, heute Nacht kam einer von Genesis' Gargoyles und hat uns fast zu Tode erschreckt. Irgendwie wusste er, wo wir schliefen, und klopfte ans Fenster.“ Yami schüttelte sich unbehaglich. „Wir hatten noch nicht so viel Zeit zum Entpacken, deshalb sind wir erstmal bei deinen Gastgewändern geblieben.“

„Vielleicht sollten wir einfach ein paar davon dunkel einfärben. Ich könnte einen Farbstoff herstellen.“

„Wirklich? Super Idee. Einige von den rosanen passen mir, also wenn sie zum Beispiel weinrot oder blau werden, trage ich sie auch.“

„Ich werde mal sehen, was ich tun kann.“

„Und was dieses Bad im Keller betrifft...“ Yami zögerte ein bisschen. „Nun... ich würde mich gerne noch etwas da unten beschäftigen. Es ist zwar irgendwie ziemlich kultig mit dieser düsteren Atmosphäre... aber etwas heller wäre es sicher gemütlicher. Wenn du nichts dagegen hast.“

Crimson war überrascht. „Nein, ganz und gar nicht... im Gegenteil. Es erinnert mich immer an die Zeit, als ich hier Gefangener war. Wenn es anders wird, ist mir das nur recht. Aber wieso kommst du darauf, dich damit zu befassen?“

Yami zuckte mit den Schultern. „Wir haben Yugis Zimmer renoviert, und das hat mir viel Spaß gemacht. Ich kann auch nicht mein ganzes Leben lang nur Karten spielen, damit verdient man nicht wirklich Geld. Also überlege ich seit einiger Zeit, sowas beruflich zu machen.“

Crimson hörte hin, aber er verfolgte in Gedanken heimlich Yugi und Eria. Yugi hatte die junge Magierin einige Minuten allein gelassen und sprach sie jetzt gerade an. Sie waren in einem der unbenutzten Klassenräume. Anscheinend war sie ziemlich verstört. Crimson fühlte sich schlecht, weil er lauschte, aber auf der anderen Seite wollte er unbedingt wissen, wie es ausging.

Yugi legte zunächst einfach einen Arm um Erias Schultern. „Hey... sei nicht sauer auf Crimson. Er hatte viel um die Ohren. Yami und ich haben Sorc mitgebracht, weil Lord Genesis uns darum gebeten hat.“

Eria machte einen halbherzigen Versuch, Yugi abzuschütteln, aber er war hartnäckig. „Crimson hätte ihn rausschmeißen sollen! Bestimmt stecken Sorc und Genesis unter einer Decke! Crimson wird von diesem Vampir völlig um den Finger gewickelt, nur weil sie ab und zu mal miteinander...“

Sie unterbrach sich, und Yugi ergriff rasch wieder das Wort. „Lord Genesis traut Crimson nunmal zu, dass er mit Sorc fertig wird, und außerdem kann das Schloss einen weiteren starken Magier gebrauchen, wenn ich das richtig verstanden habe. Wegen der Energiereserve oder so.“

„Das Schlossherz bezieht seine Energie von den Bewohnern und kann einen Speicher für Notzeiten damit füllen, aber nur, wenn genug Leute im Schloss leben,“ informierte Eria ihn schniefend. „Bisher konnte lediglich die Grundversorgung gesichert werden. Aber das ist kein Grund! Wir brauchen nicht ausgerechnet Sorc! Crimson hat auch so genug Probleme!“

Yugi lächelte. „Siehst du, im Grunde sorgst du dich mehr um ihn, als dass du sauer auf ihn bist, oder? Glaub mir, er wurde von Sorcs Ankunft auch überrumpelt. Er hatte meinen Brief noch nicht gelesen und wusste deshalb von nichts, sonst hätte er bestimmt vorher Einspruch erhoben.“

Die Magierin schüttelte in wildem Trotz den Kopf. „Ich kann so nicht leben... mit der ständigen Aussicht, dem Kerl im Gang zu begegnen! Ich... ich fürchte mich vor ihm!

„Das hat man gemerkt. Viele Leute werden sauer, wenn sie eigentlich Angst haben. Aber wir haben einige Tage mit Sorc unter einem Dach gelebt, und es ging recht gut. Auch wenn es ziemlich merkwürdig war. Er verhält sich unauffällig.“

„Das sind die Schlimmsten, Yugi! Sicher brütet er was aus!“

„Ich glaube, Mava und die anderen Lehrer passen darauf schon ganz genau auf.“

Sie seufzte. „Das hoffe ich, denn Crimson hat im Moment genug zu tun...“

Das stimmte allerdings, dachte Crimson. Er musste immer noch einen Weg finden, mit Olvin Kontakt aufzunehmen, doch der Alte zeigte sich nur, wenn er selbst es für richtig hielt. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, sich unter diesen Umständen auch noch Sorc aufzuhalsen. Der Chaosmagier schien zwar nicht gefährlich zu sein, aber wenn Eria Angst vor ihm hatte, ging es eben nicht.

„Crimson, ist alles in Ordnung? Hörst du mir zu?“

„Oh... Yami, Entschuldigung, was sagtest du?“ Crimson hatte es noch nicht ganz drauf, sich auf zwei Dinge gleichzeitig zu konzentrieren. Vielleicht würde er das auch nie können. Manche Dinge erforderten eben seine ganze Aufmerksamkeit.

„Ich möchte Raumausstatter werden,“ erzählte Yami ihm (vermutlich zum wiederholten Male). „Aber das ist erstmal nur so eine Idee. Bisher sah ich mich nicht vor dem Problem, mir darüber überhaupt Gedanken zu machen, schließlich war ich nur ein Geist...“ Er grinste verlegen. „Seto ist natürlich der Meinung, dass ich problemlos in seiner Firma arbeiten kann, aber ich habe mit Großvater darüber gesprochen. Er gibt zu bedenken, dass ich mich in der Zukunft vielleicht von Seto trenne und dann mittellos dastehe. Natürlich gehen Yugi und ich beide nicht davon aus, aber ich bin lieber nicht von einem anderen abhängig.“

„Das ist die richtige Einstellung, würde ich sagen,“ bestätigte Crimson. „Wenn du willst, tob dich da unten aus. Mach es so, dass es den Schülern und dem Personal gefällt. Ich selbst werde nicht viel Zeit haben, mich damit zu beschäftigen. Alles ist besser als die momentane Kerkeroptik.“

„In Ordnung!“ Yami strahlte. „Ich kümmere mich um alles. Vielleicht fällt mir zu den Zimmern ja auch was ein.“

„Mach du nur.“ Crimson war erleichtert, dass ihm wieder eine Sorge genommen wurde. Obwohl die Gestaltung der Räume nicht gerade als Sorge zu bezeichnen war, eher schlicht und einfach etwas, wofür er im Moment zu beschäftigt war.

Letztlich beschloss er, in sein privates Zimmer zu gehen, falls Eria mit ihm reden wollte. Er verabschiedete sich also von Yami und begab sich in seinen Turm.
 

Natürlich lief mal wieder nicht alles so wie geplant. Als er die Tür erreichte, wartete Sorc auf dem Treppenabsatz. Er hatte ein flaches, rechteckiges Päckchen bei sich. „Direktor, hast du noch einen Augenblick Zeit?“

Es war relativ spät, aber im Prinzip scherte das einen Finsternismagier nicht, wenn er nicht gerade aus beruflichen Gründen einen Arbeitstag hatte, der früh morgens anfing. Aber wenn Sorc schonmal da war, konnten sie auch gleich etwas klären. Er winkte ihn also herein. „Wenn es um den Vorfall vorhin geht...“

„Ja, in gewisser Weise.“ Sorc reichte ihm das Päckchen. „Ich hätte dir das schon längst geben sollen, aber ich wollte einen geeigneten Zeitpunkt abpassen. Viel länger kann ich jetzt aber nicht mehr warten.“

Es schien ein großer Brief zu sein, jedenfalls fühlte es sich an, als wäre Papier darin, und die Verpackung bestand aus Pergament, das mit einem aufwändigen, schwarzen Wachssiegel versehen war, so groß wie die Unterseite einer durchschnittlichen Teetasse. Der Brief war adressiert an Crimson, Herr von Schloss Lotusblüte.

Crimson kannte das Siegel nicht, obgleich es ihm vage bekannt vorkam. „Was ist das?“

„Meine Prozessakten. Eine Kopie der Sitzungsprotokolle und dergleichen. Hast du nicht schon darauf gewartet?“

„Äh... nein!“ Crimson brach das Siegel und packte einen Stapel Papiere aus, die ordentlich in eine Ledermappe einsortiert waren. Ganz oben auf lag ein Brief: „Sehr geehrter Magier Crimson, wir danken Euch für Eure Teilnahme an unserem Rehabilitationsprogramm und senden Euch anbei die Papiere bezüglich des Klienten Sorc, seines Zeichens Chaosmagier des Elements Finsternis. Bei Fragen stehen wir Euch gern zur Verfügung; wendet Euch hierfür am besten an Lord Genesis oder den Sachverständigen, der in einigen Tagen nach der Ankunft des Klienten bei Euch nach dem Rechten sehen wird. Mit freundlichen Grüßen, Yubel, Schriftführer, Zirkel des Bösen.“ Crimson sah Sorc verständnislos an. „Rehabilitationsprogramm?“

Täuschte er sich, oder wirkte Sorc besorgt? „Ich nahm an, du wüsstest Bescheid,“ sagte er langsam. „Es gab einige Adressen, wo sie mich hinschicken konnten. Unter anderem diese Schule. Ehrlich gesagt war ich überrascht, dass du nicht abgelehnt hast. Allerdings dachte ich, dass du vielleicht einen Racheplan hast...“

„Mooooment, der Reihe nach...“ Crimson setzte sich an seinen Schreibtisch und breitete die Papiere aus. Nebenbei fiel ihm eine kleine Flasche auf, die am oberen Tischrand auf einer zusammengefalteten Notiz stand. Die Flasche hatte er noch nie gesehen, aber damit musste er sich später befassen, sicher war es etwas, das Lily ihm verordnet hatte.

Der Brief vom Zirkel des Bösen enthielt ein Gutachten zu Sorcs Charakter, mehrere Zettel mit Hinweisen, ein Kontaktformular und einen ganzen Stapel von Aufzeichnungen, die mit 'Verhandlungsprotokoll' überschrieben waren. Beim kurzen Durchsehen kristallisierte sich heraus, dass es sich tatsächlich um die Mitschrift einer Gerichtsverhandlung handelte.

„Also haben sie dir den Prozess gemacht,“ stellte Crimson fest. „In Zusammenarbeit mit... hä? Dem Drachenhauchorden?“

„So ist es.“ Da Crimson keinen Stuhl für Besucher in diesem Zimmer hatte, war Sorc stehen geblieben. Er hatte die Hände vor seinem Körper ineinander gelegt und wartete ab, wie ein Schüler, der eine Hausaufgabe vorzeigte.

Der Weißhaarige überflog rasch die Akten, wobei er sich auf zusammenfassende Berichte beschränkte. Er wunderte sich, dass man ihn bei dieser Verhandlung nicht als Zeugen geladen hatte, aber vielleicht hielt der Zirkel des Bösen das etwas anders. Außerdem hatte er ja schon Genesis erzählt, was ihm passiert war.

Die Anklageschrift war lang. Die Sache mit Exodia stand drauf, die Beschwörung des Fünfgötterdrachen zu zerstörerischen Zwecken, Misshandlung von Gefangenen, fahrlässige Tötung von mehreren Harpyien... oh, Haryielles Schwarm. Crimson hatte ganz verdrängt, dass das auch auf Sorcs Kappe ging. Er las diesen Punkt genauer: „Dem Angeklagten wird außerdem vorgeworfen, eine Zombiearmee ausgesandt zu haben, um eine Harpie gefangen zu nehmen, wobei er den Tod zahlreicher Harpyien, die ihren Horst verteidigten, wissentlich in Kauf nahm. Erschwerend kommt hinzu, dass der Angeklagte über andere Möglichkeiten verfügte, um eine einzelne Harpyie zu fangen, wobei Todesfälle hätten vermieden werden können.“

Zombies waren hirnlose Diener, das wusste Crimson noch aus seinen Schulbüchern. Sie erledigten zwar ihre Aufgabe, aber wenn sich ihnen dabei lebende Wesen in den Weg stellten, ließen sie sich kaum im Zaum halten.

Er übersprang weitere Punkte und kam zu einer Zusammenfassung des Prozesses: „Der Angeklagte bekennt sich in allen Punkten schuldig. Das Gericht verzichtet daher auf weitere Zeugen.“ Aha, das erklärte, warum man ihn nicht herbeizitiert hatte. „Das Gericht stellt fest, dass der Angeklagte zu keiner Zeit versucht hat, seine Schuld auf seinen Komplizen, seine Untergebenen oder unglückliche Umstände abzuwälzen, was es ihm positiv anrechnet. Er zeigt sich einsichtig, wenn auch nicht reumütig. (Weitere Analysen lest bitte im psychologischen Gutachten nach.) Der Angeklagte verfügt über viel nutzbares Potential und ist generell sehr kooperativ. Das Gericht verzichtet daher auf die in diesem Fall mögliche Höchststrafe und genehmigt das Rehabilitationsprogramm Stufe 3 (siehe Informationsblatt 'Rehabilitationsprogramme').“

Crimson suchte nach dem Infoblatt zu den Rehabilitationsprogrammen, doch es war keines in der Mappe enthalten. „Das Infoblatt habe ich nicht.“

„Du hättest eines bekommen sollen, als sie dir die Infos zur Bewerbung schickten.“

„Ich habe mich nicht für dieses Programm beworben.“

„Und doch stand dein Name auf der Liste.“

„Wie auch immer... was bedeutet Stufe 3? Und ist das besser als Stufe 1 oder 2?“

„Oh... ich hab noch so ein Blatt,“ fiel es Sorc ein. „Moment...“

Crimson befürchtete schon, dass er jetzt bis morgen warten musste, doch Sorc machte eine wedelnde Bewegung in der Luft, und eine Ledermappe wie die, die Crimson hatte, materialisierte sich. Auf den ersten Blick sah das Ding aus wie die Unterlagen eines eher schlampigen Schülers: Es war etwa doppelt so viel Papier drin wie in Crimsons, und überall ragten Ecken davon willkürlich heraus, generell schien alles nur reingestopft zu sein. Als Sorc die Mappe aufschlug und zu suchen anfing, fiel ihm der gesamte Inhalt vor die Füße. Diese Tatsache machte ihn Crimson fast sympathisch.

Der Chaosmagier seufzte und warf lediglich einen Blick auf die Papiere, die daraufhin wieder hoch in die Mappe flogen, allerdings auch nicht ordentlicher als vorher. Sorc ließ die Mappe los – sie blieb in der Luft hängen – und fing an zu suchen. Diese verschwenderische Nutzung von Magie zur persönlichen Bequemlichkeit mochte bei anderen angeberisch wirken, aber bei ihm sah das völlig normal aus. Faszinierend.

„Ah... da ist es. Ähm...“ Sorc reichte Crimson einen Zettel, auf dem die Schrift etwas verwischt war, weil anscheinend jemand sein Getränk darauf verschüttet hatte, entsprechend war das Rapier dann auch gewellt und fleckig.

„Rehabilitierungsprogramm des Zirkels des Bösen, Informationen für Teilnehmer, Angehörige, Stellenanbieter.

Stufe 1: Der Klient kann aus dem gesamten Angebot eine Stelle wählen, die ihm zusagt. Beliebt sind hierbei ungefährliche Angebote wie Koch in einem Schloss, Gärtner, Bibliothekar. Der Klient wird von einem Betreuer des Zirkels für einen vom Gericht festgelegten Zeitraum überwacht bzw. regelmäßig kontrolliert. Sollte ihm die vermittelte Stelle aus irgendeinem Grund doch nicht zusagen, kann er sie bis zu drei mal wechseln.

Stufe 2: Das Stellenangebot beschränkt sich auf gefährlichere Jobs wie Torwächter, Drachenpfleger, Soldat und dergleichen. Die Stellen bieten ein Unfallrisiko von ca. 50%. Auch hier erfolgt für eine festgelegte Zeit eine Überwachung durch den Betreuer, wobei auch der Stellenanbieter stärker mit einbezogen wird. Stellen der Stufe 2 können einmal gewechselt werden.

Stufe 3: Der Klient kann sich eine Stelle aus den als gefährlich eingestuften Angeboten aussuchen. Die meisten dieser Stellen haben ein hohes Gesundheitsrisiko, beispielsweise Geheimnishüter, Tempelwächter usw., nicht wenige werden mit ca. 75% tödlich eingestuft. Der Klient hat die Aufgabe, diese Situation zu überleben. Auch bei Stufe 3 erfolgt eine regelmäßige Kontrolle durch den Betreuer für einen festgelegten Zeitraum. Die gewählte Stelle kann nicht gewechselt werden. Stellenanbieter sollten unbedingt das Merkblatt 'Stellenanbieter' beachten.“

Crimson seufzte genervt. „Ich habe das Gefühl, dass ich hier von einem Merkblatt zum nächsten verwiesen werde.“ Er sah nach. Das Merkblatt 'Stellenanbieter' war nicht da, vermutlich müsste er das eigentlich schon haben. In dem Fall war Sorc vorbereitet und reichte ihm eine Kopie.

„Merkblatt für Stellenanbieter. Lieber Teilnehmer. Wenn Ihr eine Stelle anbietet, seid Euch bitte im Klaren darüber, dass dies Verantwortung mit sich bringt, besonders, wenn Ihr für die Stufe drei eingestuft werdet. Wenn Ihr für das Programm ausgewählt werdet, werdet Ihr zunächst gefragt, ob Ihr den Klienten annehmt. Nach Bestätigung seid Ihr dafür verantwortlich, den Klienten in die nötigen Schranken zu weisen und bei Problemen sofort den Betreuer zu informieren. Ein Kontaktformular liegt den Akten bei, die mit dem Klienten übersandt werden. Bitte seid Euch darüber im Klaren, dass die Benutzung des Kontaktformulars Folgen für den Klienten hat.“ Crimson sah nach. Das Kontaktformular war vorhanden. Weiter im Text: „Der Betreuer des Euch zugewiesenen Klienten wird sich innerhalb einer Woche mit Euch in Verbindung setzen. Bitte gebt unbedingt wahrheitsgemäß Auskunft auf seine Fragen, damit dem Klienten dadurch keine Nachteile entstehen. Der Zirkel des Bösen dankt und wünscht viel Erfolg!“

Crimson brauchte eine Weile, um die Informationen zu verarbeiten. „Also... wenn ich das richtig verstehe, darfst du hier nicht versagen, sonst... ja, was eigentlich?“

Sorc wirkte nun definitiv ein wenig besorgt. „Nun... genau hat man mir das nicht gesagt, aber ich habe mitbekommen, dass es etwas gibt, das Rehabilitationsprogramm Stufe 4 genannt wird, aber im Prinzip ist das eine Umschreibung dafür, dass sie deine Magie vernichten und dich irgendwo hinstecken, wo du für den Rest deiner Tage irgendeine dumme Arbeit machen kannst. Wenn sie mich dazu verurteilt hätten, hätte ich direkt um Exekution gebeten.“

„Vielleicht fällt das dann unter Stufe 5.“

„Wer weiß...“

„Wieso bin ich eigentlich für Stufe 3 eingeteilt? So gefährlich ist es hier doch gar nicht.“

„Für mich schon, schließlich mag man mich hier nicht. Anscheinend wird es immer im Bezug auf den *Klienten* bewertet.“ Sorc nahm die Merkblätter von Crimson zurück und verstaute sie in seiner Chaosmappe. „Ich bin wirklich überrascht, dass du nichts von alledem weißt. Demnach wissen deine Leute auch nichts?“

„Jedenfalls habe ich ihnen logischerweise nichts sagen können.“

Hinter Sorcs Stirn arbeitete es, aber er sprach seine Gedanken nicht aus. Er ließ seine Mappe wieder verschwinden. „Wenn du möchtest, gehe ich Eria aus dem Weg. Du musst zuallererst die Interessen deiner Schülerin vertreten, aber bevor du dieses Kontakformular ausfüllst, bedenke bitte, dass ich nur diese eine Chance habe.“

Sorcs Schicksal lag in seiner Hand. Das gefiel Crimson natürlich. Doch ob er wollte oder nicht, er musste auch Sorcs Haltung bewundern. Etwas sagte ihm mit untrüglicher Sicherheit, dass Blackys Vater nicht der Typ war, der um Gnade bettelte oder um Nachsicht flehte. Wahrscheinlich war die Bitte, die er eben vorgetragen hatte, schon das Maximum für ihn, und weiter würde er sich nicht erniedrigen.

„Ja, halte dich von Eria fern,“ entschied Crimson, denn das konnte auf keinen Fall schaden. „Ich werde diese Akten genau prüfen und dann entscheiden,“ beschloss er, um sich nicht gleich festlegen zu müssen... und weil es ihn amüsierte, Sorc ein bisschen im Unklaren zu lassen. „Jemand muss diesen Antrag, den ich angeblich eingereicht habe, gefälscht haben, denn ich weiß nichts davon. Darüber würde ich mir auch gerne Klarheit verschaffen.“

Der Chaosmagier nickte, nahm die Information zur Kenntnis. „Wenn das alles war, werde ich dich jetzt nicht weiter stören.“

Da Crimson nicht widersprach, verließ Sorc ihn, und der Schlossherr konnte sich seinen Grübeleien hingeben. Das war auch nicht gerade verlockend, denn er hatte sich eigentlich auf eine gute Portion Schlaf gefreut. Aber war da nicht noch das ominöse Fläschchen? Vielleicht enthielt es ein Entspannungsmittelchen von Lily. Crimson nahm es neugierig an sich, löste den Korken und schnüffelte – was er gleich darauf bereute, denn das Zeug stank zum Himmel!

Verärgert griff er nach der Notiz, auf der die Flasche gestanden hatte, und entfaltete den Zettel. Er erkannte die Schrift, und ein Gefühl schlimmer Vorahnung breitete sich in ihm aus. „Jungchen, wenn du immer noch das Gespräch mit mir suchst, trink mein kleines Geschenk aus.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  jyorie
2013-06-25T14:28:05+00:00 25.06.2013 16:28
Hallo ^_^

Genial einfach nur genial ich hab mich schlapp gelacht bei dem Chaos, das sorc in seinen Papieren hat. Auch hast du die Merkblätter und stellenangaben sehr glaubhaft geschrien. Auch die Prozessakte war gut.

Hm .. ein wenig kann man ja jetzt schon mit sorc mitfühlen.

Oh oh ... Was olvin da wohl für ein Zeug gebraut hat?

CuCu Jyorie

Antwort von:  Purple_Moon
30.07.2013 10:43
Möglicherweise hatte ich gerade Kontakt zu irgendwelchen bürokratisch organisierten Institutionen, als ich das geschrieben habe. XD Hat jedenfalls Spaß gemacht, freut mich, dass es so gut ankommt.^^
Sorc macht hier gerade das, was Crimson zuvor gemacht hat... er drängelt sich aus der Rolle eines Nebencharas nach vorne... jetzt fängt man schon an, ihn zu mögen!
Das mit dem Trank kommt dann in der nächsten Episode. :)
Von:  Hikari-Yumi
2013-03-16T22:00:51+00:00 16.03.2013 23:00
Huhu
Mh du hast bereits einen intelligenten kommi bekommen...
Aber chaosmagier bleibt chaotisch

Ich finde es immer noch zum schießen knuffig X3
*ärgert sich, das rechtscreibprogramm chaosmagier immer zu charismatische umändert*

In nächsten (12.) Kapi wird gelüftet was es mir den Zetteln auf sich hat, oder?
Das nächste ist ja eher ein lustiger Exkurs ^^
Glg


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