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Bis dass der Tod sie scheidet

BBC Sherlock
von

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Das Ende

Während Londons Innenstadt um diese Uhrzeit erst so richtig zum Leben erwachte, hatte sich über die entlegeneren Wohnviertel, durch die sie nun fuhren, bereits eine mitternächtliche Stille gelegt, die in Anbetracht der lauernden Gefahr in einem dieser Häuser fast schon gespenstisch wirkte. Ungeduldig blickte John hinaus in die tiefe Dunkelheit, die nur gelegentlich von einer Straßenlaterne verscheucht wurde. Hoffentlich waren sie nicht zu spät, dachte er. Hoffentlich waren sie nicht zu spät und Charlie hatte den Ehering der Frau längst von ihrem steifen, kalten Finger gezogen, um ihn später als Heiligenschein für seine scheußlichen Engelsfiguren zu missbrauchen. Erneut tauchte Mrs. Adams vor seinem geistigen Auge auf und was John verspürte, war tiefstes Mitleid. Obwohl er die alte Dame heute erst kennengelernt hatte, war sie ihm bereits ans Herz gewachsen. So viel war sicher: wenn das alles hier vorbei war, würde er sie besuchen. Und zwar so oft es ihm möglich war. Und er würde mit ihr und Lily zusammen Karten spielen und Tee trinken. Darüber würde sie sich sicher freuen.

John wurde aus seinen Gedanken gerissen, als das Taxi plötzlich stoppte. Sein Blick glitt hinüber zu Sherlock, der ihm kurz zu nickte, dann stiegen sie aus und standen nun vor einem Haus, das in Johns Augen den Inbegriff moderner Architektur darstellte. Das gesamte Gebäude war schlichtweg ein einziges, gigantisches Gebilde aus Glas. Riesige Fenster, wo man nur hinsah. Und trotzdem gaben diese nichts von dem preis, was sich möglicherweise dahinter abspielte. Nichts als Dunkelheit.

John atmete einmal tief durch und machte Anstalten das Grundstück zu betreten, aber Sherlock hielt ihn zurück.

„Rufen Sie Lestrade.“

John überlegte kurz. In der Tat eine äußerst sinnvolle Idee, wie er fand. Ein kurzer Blick auf das Display seines Handys ließ ihn jedoch innerlich fluchen.

„Kein Netz“, schimpfte er leise, während er das Handy in jede erdenkliche Himmelsrichtung richtete. Er schüttelte den Kopf. „Keine Chance. Ich muss es nochmal ein Stück weiter weg versuchen.“

„Tun Sie das.“

„Und Sie werden solange hier warten! Sie gehen da nicht alleine rein!“, raunte John ihm zu, doch wie nicht anders zu erwarten gewesen, hatte Sherlock seine Ohren bereits auf taub gestellt und steuerte auf das Haus zu.

Sherlock!“, zischte John ihm nach und stöhnte entnervt auf, als der Detektiv keine Sekunde später und ohne sich noch einmal umzuschauen in der Dunkelheit verschwand. Zwiegespalten sprang  Johns Blick abwechselnd von der Stelle, an der er Sherlock gerade noch zuletzt gesehen hatte, hin zu seinem Handydisplay, das immer noch keinen Empfang anzeigte. Leise stieß er einen Fluch aus und rannte schließlich los in die entgegengesetzte Richtung. Charlie war gefährlich. Sie brauchten Lestrade. Dringend.

Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass Sherlock keine allzu leichtfertigen Dummheiten trieb.
 

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Sie schrie nicht. Kein einziges Mal. Nicht, als er sie von hinten in ihrem Wohnzimmer überwältigte. Nicht, als er sie auf den Boden stieß und sich rücklings auf sie setzte. Nicht, als er ihr das Seil um ihren Hals legte. Sie schrie nicht. Sie wiederholte nur immer wieder ein und dieselbe Frage: „Warum, Charlie? Warum?“

Es machte ihn wütend. All die anderen abtrünnigen Frauen, die er bereits bestraft hatte, hatten sich bis zum Ende gewehrt, um sich getreten, geschrien, bis das Seil ihnen ihre Stimme genommen hatte. Und es hatte sich gut angefühlt, ihr Leid. Wie ein warmer, befriedigender Schauer, der seinen Körper durchfuhr. Warum schrie sie also nicht? Zornig zog er die Enden des Seils mit aller Macht zu sich heran, sodass er nur noch ein Röcheln aus ihrer Kehle vernahm.

„Du weißt genau warum!“ Sein Unterton war scharf. Er sah zu ihrer linken Hand, die krampfhaft versuchte das Seil um ihren Hals zu lockern.

„Dein Ehemann hat dir diesen Ring im Vertrauen auf deine Treue vor Gott auf den Finger geschoben, doch offenbar hat dir das nicht das Geringste bedeutet. Es ist immer wieder dasselbe mit euch ehebrecherischen Frauen: Hauptsache, ihr habt euren Spaß, nicht wahr?“ Er spuckte neben ihr auf den Boden. „Du hast diesen Ring nicht verdient und damit auch dein Leben nicht mehr.“

Er hatte sich das Ganze viel zu lange mit ansehen müssen. All diese Männer, die diese Frau Abend für Abend mit zu sich nach Hause genommen hatte. Sie, die sie ihren Mann auf so schändliche Weise und unzählige Male betrogen und damit gepeinigt hatte, sollte leiden, wie keine andere vor ihr.

„Hure“, zischte er und wollte das Seil weiter anziehen, als ihn plötzlich eine ruhige Stimme hinter seinem Rücken innehalten ließ.
 

„Lassen Sie es gut sein, Charlie.“
 

Charlies Kopf wirbelte herum. Mit versteinerter Miene starrte er in das Gesicht des Mannes, der kurz zuvor unbemerkt in das Zimmer getreten war und nun seelenruhig auf der anderen Seite des Raumes stand. Es dauerte einen Moment, doch dann verzogen sich Charlies Mundwinkel zu einem leichten Schmunzeln und er richtete sich auf, wobei sich das Seil um den Hals der Frau augenblicklich lockerte und sie hastig nach Luft schnappte.

„Mr. Holmes. Ich wusste, Sie würden früher oder später kommen. Ich muss allerdings gestehen, dass ich heute nicht mehr mit Ihnen gerechnet habe.“  Immer noch grinsend griff er in die Innentasche seiner Jacke und zog eine Pistole heraus, die er anschließend auf den Kopf der Frau richtete. Sein Blick ließ Sherlock dabei nicht aus den Augen. „Als Sie heute meinen Kollegen an der Bar auf Theodore ansprachen, haben Sie mich ganz schön beunruhigt, Mr. Holmes. Ich habe mich über Sie informiert. Sie sind gut in ihrem Fach. Aber dass Sie so gut sind, hatte ich nicht erwartet.

Charlie seufzte. „Theodore…“, sagte er mit bekümmertem Gesichtsausdruck. „Der arme Kerl hatte sich von diesen beiden verräterischen Frauen um den Finger wickeln lassen. Ich wusste Bescheid über seine Affären. Über ihre Untreue. Es juckte mir einfach in den Fingern. Im Nachhinein wäre es wohl klüger gewesen sie nicht innerhalb so kurzer Zeit zu töten. So habe ich Sie auf Theodore aufmerksam gemacht, nicht wahr? In der Tat sehr unachtsam von mir. Aber wenigstens haben die beiden Ehebrecherinnen bekommen, was sie verdienten. Nun verraten Sie mir aber eines: Wie sind Sie letztlich auf mich gekommen?“

„Nun, Ihre Großmutter hat elf sehr aufschlussreiche Engelsfiguren in ihrer Vitrine stehen.“

Charlie lachte auf. „Brillant! Sie beeindrucken mich zutiefst, Mr. Holmes.“

„Nicht der Rede wert“, überging Sherlock das Kompliment. „Und nun verraten Sie mir eines:  Warum das alles?“

„Warum ich Frauen töte, die ihre Ehemänner mit anderen Männern oder Frauen betrügen? Kommen Sie, ist es nicht offensichtlich? Sie sind Sünder gegenüber Gott und ihren Ehemännern, denen Sie Treue geschworen haben. Ein Leben wie dieses steht Ihnen nicht zu.“

Sherlock erwiderte nichts. Stattdessen suchte er sein Gegenüber nach Hinweisen ab, scannte ihn mit einem unauffälligen Blick, um auf diese Weise mehr Charlie herauszufinden. In Windeseile verband er jeden einzelnen Anhaltspunkt in seinem Kopf zu einer logischen Erklärung.

„Ihre Mutter...“, sagte er schließlich langsam und bemerkte, wie Charlies Augen plötzlich aufblitzten und sich seine Hand um die Pistole anspannte. Sein Grinsen verschwand und er schnaubte verächtlich.

„Meine Mutter“, er spie das Wort geradezu, „war ein verdammtes Miststück. Sie-“ Er stockte. Es war ihm anzusehen, dass er unentschlossen darüber war, ob er weiter sprechen sollte, doch sein innerlich aufbrodelnder Zorn bei dem Gedanken an seine Vergangenheit setzte sich offenbar über jedwede Zweifel durch und es brach aus ihm heraus: „Wissen Sie, Mr. Holmes, Ich war nicht mal zehn Jahre alt und musste mit ansehen, wie diese Frau meinen Vater mit jedem dahergelaufenen Mann betrog. Als mein Vater davon Wind bekam, hat er sie nicht - wie man meinen könnte - vor die Tür gesetzt. Nein, er hat sie geradezu angefleht ihn nicht zu verlassen. Können Sie das glauben? Er liebte sie so sehr, dass er ihr nicht mal böse war. Doch sie hat seine Liebe mit Füßen getreten. Ist durchgebrannt mit irgendeinem Typen von ihrer Arbeit. Hat uns beide zurückgelassen. Einfach so. Eines Tages, als ich aus der Schule nach Hause kam, sah ich meinen Vater. Bleich und reglos hing er von der Decke. Und das alles war allein ihre Schuld. Sie hat ihn in den Tod getrieben!“ Charlies Hand begann zu zittern. „Doch ich rächte mich für das was sie ihm und mir angetan hatte. Jahre später legte ich ihr dasselbe Seil, mit dem sich mein Vater das Leben genommen hatte, um den Hals und zog so fest, bis sie ihren letzten Atemhauch tat.“ Wieder schnaubte er. „Möge sie in der Hölle schmoren.“

Eine Stille machte sich breit, in der einzig und allein das schwere, unregelmäßige Atmen der Frau am Boden zu hören war.
 

„Ich verstehe. Und nun spielen Sie den Rächer und sehen es als ihre Aufgabe an, Ehefrauen mit Affären auf die gleiche Art und Weise zu töten“, unterbrach Sherlock schließlich die Stille.

„Glauben Sie nicht, ihre Männer würden es mir tief in ihrem Inneren danken?“

„Das bezweifle ich. Sie haben nicht das Recht über andere zu richten.“

„Wenn nicht ich, wer tut es dann?“ Charlie fand sein Lächeln wieder. „Und nun möchte ich Sie bitten zu gehen, Mr. Holmes. Ich hege in keiner Weise einen Groll gegen Sie, aber wenn Sie mich nicht meine Arbeit machen lassen, kann ich sehr ungehalten werden, sollten Sie wissen.“

„So ein Zufall“, sagte Sherlock trocken. „Genau dasselbe kann ich ebenso von mir behaupten.“

Und dann ging alles ganz schnell. Blitzartig griff der Detektiv hinter sich, wo er eine Schale auf einem kleinen Tisch zu fassen bekam, deren Inhalt von sandiger Konsistenz im nächsten Moment durch die Luft flog und in Charlies überraschten Augen landete. Erschrocken stolperte er zurück und Sherlock nutzte den Augenblick. Er stürzte sich auf ihn, um ihm die Pistole aus der Hand zu reißen, doch Charlie war flink genug, um sie vor Sherlocks Angriff zu schützen. Beide gingen zu Boden und kämpften nun verbissen um die Oberhand. Zu seinem großen Ärger spürte Sherlock, wie seine Kräfte ihn von Sekunde zu Sekunde immer weiter verließen. Das Fieber machte ihn schwach. Verdammt.

Charlie schaffte es schließlich, Sherlock von sich zu stoßen und richtete die Pistole nun auf ihn.

„Sayonara, Mr. Holmes“, sagte er grinsend, doch nur einen Moment später wurde ihm die Pistole aus der Hand geschlagen. Ein Schuss löste sich und durchschlug die Fensterscheibe hinter Sherlock mit einem lauten Knall, während die Waffe weiter über den Boden unter das Sofa rutschte. Schweratmend beobachtete der Detektiv, wie die Frau im roten Kleid nun mit zornigem Gesichtsausdruck über Charlie stand und ihm sogleich einen Schlag nach dem anderen verpasste. „Ich hab dir vertraut! Du Arschloch! Du verdammtes Arschloch!  All diese Frauen! Du hast sie ermordet! Alle!“

Charlie schützte sein Gesicht vor dem Hagel von Fausthieben und erst als er merkte, wie der Frau über ihm die Energie allmählich entschwand, richtete er sich auf und schubste sie mit aller Macht von sich, sodass sie mit dem Hinterkopf gegen die Wand prallte und benommen an ihr herunterrutschte. Sherlock hatte sich zwischenzeitlich wieder halbwegs erhoben, aber sein Fieber ließ ihn aufgrund der Anstrengung nur noch verschwommen sehen.
 

Sherlock!
 

Schemenhaft konnte er erkennen, wie John in das Zimmer stürzte und sofort versuchte, die Situation einzuschätzen. Der Detektiv wischte sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn. Er wollte loslaufen, doch plötzlich versagten seine Beine und er klappte erneut zusammen. Das verschwommene Bild vor seinen Augen konnte ihn nur noch erahnen lassen, wie Charlie auf John zu rannte. Dann wurde alles schwarz.
 

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Das nächste, was Sherlock wahrnahm, war Johns Stimme ganz in seiner Nähe.

„Sherlock? Hey, alles okay mit Ihnen?“

Der Detektiv brummte leise, als er seine Augen einen Spalt breit öffnete. Es dauerte eine kurze Zeit, bis sich die Szenerie allmählich wieder zusammen setzte. John war das erste, was er sah. Er hockte neben ihm und sah reichlich besorgt drein. Ein paar Meter hinter ihm lag Charlie reglos am Boden und die Frau im roten Kleid lehnte immer noch bewusstlos an der Wand. Er hustete.

„John“, krächzte er heiser.

„Ja?“ John kam näher, um ihn besser verstehen zu können.

„Warum-“ Sherlock hustete erneut. „Warum haben Sie mich mit nassen Kleidern schlafen lassen? “

John schloss die Augen, um diesen Satz erst einmal auf sich wirken zu lassen.

„Moment, habe ich das richtig verstanden? Sie machen mich für Ihre Dummheiten verantwortlich, vor denen ich Sie auch noch ausdrücklich gewarnt hatte?“

„Korrekt.“

„Na fabelhaft.“

Eigentlich sollte er sich Sherlock dorthin wünschen, wo der Pfeffer wächst, aber in diesem Augenblick war John einfach nur heilfroh, dass sein Freund offenbar weitestgehend wohlauf war. Nach dem Pistolenschuss vorhin hatte er fast schon mit dem Schlimmsten gerechnet. John stand auf und nickte hinüber zu der Frau.

„Es geht ihr den Umständen entsprechend gut, aber sie sollte trotzdem in ein Krankenhaus gebracht werden. Lestrade müsste eigentlich jeden Moment hier sein. Er-“

Doch weiter kam er nicht. Mit einem Mal wurde er nach hinten gerissen und landete unsanft auf dem Fußboden.

„John!“, rief Sherlock, der Charlie genauso wenig wie John hatte kommen sehen. Mit Wucht trat der wütende Mann John in den Bauch, sodass dieser sich mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden zusammenkauerte. Charlie warf ihnen beiden noch einen vernichtenden Blick zu, ehe er sich umdrehte und etwas vom Tisch nahm, dass die Form einer handgroßen Kugel besaß und offenbar als Briefbeschwerer diente. Dann ging er auf die nach wie vor bewusstlose Frau zu. Sherlock richtete sich mühsam auf, doch John war trotz aller Schmerzen schneller. Er warf sich nach vorn, um Charlie zu Fall zu bringen, doch der schaffte es ihn abzuschütteln. Bestärkt von ungezügelter Wut holte Charlie aus und warf die Kugel in seiner Hand mit aller Macht in Johns Richtung, der gerade noch ausweichen konnte, sodass sie mit einem lauten Klirren das Glas hinter ihm durchschlug. John, der seinen Arm vor sein Gesicht hielt, um es vor herumfliegenden Glassplittern zu schützten, sah Charlie ein weiteres Mal nicht kommen. Erneut rief Sherlock Johns Namen, so laut, wie es seine angeschlagenen Stimmbänder nur zuließen, doch zu spät. Charlie stürzte sich auf John und stieß ihn nach hinten. Sherlocks Eingeweide zogen sich mit einem Mal schmerzhaft zusammen, als er  zusehen musste, wie Johns Körper die bereits kaputte Fensterscheibe rücklings durchbrach und wie in Zeitlupe, der Kugel folgend, in die Tiefe stürzte.

Fassungslos starrte Sherlock , während die Gedanken und Bilder in seinem Kopf anfingen in Milisekundenschnelle umher zu schwirren wie ein aufgescheuchtes Wespennest:

Zweite Etage. Höhe einer Etage: ca. 2,40 Meter. Fall aus knapp 5 Metern. Mit einem Winkel aus 90°: Möglicherweise Knochen- und Rippenbrüche, Prellungen, wahrscheinlich Gehirnerschütterung. Untergrund? Gras? Stein? Er konnte sich nicht erinnern. Ein Bild von Johns reglosem Körper. Zerstörtes Fenster. Glasscherben. Schnitte. Blut. Aufprall in einem Winkel aus 180°. Ein Bild von Johns leblosen Augen. Sherlock schüttelte es eilig ab.
 

„Sehen Sie, Mr. Holmes? Ich habe Ihnen doch gesagt, ich kann sehr ungehalten werden“, hörte er Charlies Stimme irgendwo von ganz weit her. Sherlock spürte, wie plötzlich eine über das Fieber hinausgehende Hitze in ihm aufstieg. Zorn übermannte ihn. Ein irrationaler Zorn, wie er ihn selten empfand. Er wollte diesem Mann wehtun. Er wandte seinen Kopf und sah, wie Charlie auf ihn zu kam, seine Pistole inzwischen wieder in der Hand. Sherlock ballte die Fäuste, als er das schiefe Grinsen bemerkte.

„Es tut mir sehr Leid, wirklich, aber Sie haben mich schon lange genug aufgehalten. Ich denke, wir sollten es nun beenden. Und glauben Sie mir, ich mache das sehr ungern. Sie sind wahrlich eine bemerkenswerte Person und Sie haben meine Hochachtung, das sollten Sie wissen. Aber leider sind Sie mir im Weg. Und außerdem wird Ihr Freund bestimmt schon auf Sie warten.“

Er hob die Pistole an. Sherlock versuchte angestrengt Ordnung seinen Kopf zu bringen und suchte Charlie fieberhaft nach einem Schwachpunk ab, den er in seiner derzeitigen Verfassung ausnutzen konnte, aber seine Gedanken huschten immer wieder zu John. Er konnte sich nicht konzentrieren. Und war damit völlig hilflos.

Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu einem letzten, völlig vernunftwidrigen Sprung nach vorn anzusetzen, doch er stoppte jäh, als er bemerkte, wie sich Charlies Miene plötzlich veränderte. Der Mund geöffnet, die Augen weit aufgerissen ließ sein Gegenüber die Pistole fallen und stürzte im nächsten Moment zu Boden. Blut klebte an seinen blonden Haaren. Sherlock sah auf.
 

„Puh, das war knapp, was?“, sagte der Mann, der nun vor ihm stand und grinsend die blutige Eisenstange in seiner Hand schulterte. „Als ihr Freund eben durch die Scheibe da krachte, dachte ich, Sie könnten Hilfe gebrauchen.“ Das Grinsen des Taxifahrers wurde noch eine Spur breiter und er hielt Sherlock seine andere Hand hin.
 

Sherlock starrte zu ihm hinauf und wusste nicht, was er sagen sollte. „John“, war das einzige, was er herausbrachte.

„Ihr Freund? Keine Sorge, der hat’s überlebt. Dachte schon, das war’s für Ihn. Is ja ganz schön tief gefallen, der Gute. Aber is‘ im Gebüsch gelandet. Hab ihn da rausgeholt und bin dann schnell hoch gelaufen. Was ham ‘Se denn hier veranstaltet?“

Eine plötzliche Welle der Erleichterung überkam den Detektiven und auch seine Anspannung löste sich allmählich. John lebte.

Er zögerte kurz, griff dann aber nach der Hand des Taxifahrers und ließ sich hochhelfen. Er musste sich selbst überzeugen. Er wankte durch das Zimmer Richtung Tür, drehte sich dann aber noch einmal um.

„…Danke“, sagte er und versuchte sich an den Namen des Fahrers zu erinnern, von dem er wusste, dass er auf einem Schild im Taxi gestanden hatte.

„Trevor. Einfach nur Trevor“, erwiderte der Taxifahrer augenzwinkernd. „Und keine Ursache.“

Sherlock nickte. Er bedankte sich nicht oft. Jedenfalls nicht aufrichtig. So wie in diesem Fall.

Dann verließ er das Wohnzimmer.
 

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Die Polizei war inzwischen mitsamt Krankenwagen angerückt und begann nun mit ihrer Arbeit am Tatort. Nachdem Sherlock sich mit verhohlener Besorgnis genauestens davon überzeugt hatte, dass John den Sturz auch wirklich ohne ernsthafte Verletzungen überstanden hatte, ließ er nahezu widerstandslos die vorgeschriebene Untersuchung durch die Sanitäter über sich ergehen und sich mit fiebersenkenden Schmerzmitteln behandeln. Sogar gegen die Decke wehrte er sich nicht (Lestrade hatte darauf bestanden).

„Unser lieber Taxifahrer hat sich übrigens mit Begeisterung als Privat-Chauffeur angeboten“, sagte John, der über und über mit Pflastern, Verbänden und einer Armschlinge im hinteren Teil des Krankenwagens saß und ebenso wie Sherlock eine Tasse Tee in der Hand hielt. „Er sagt, so viel Action hat er lang nicht mehr erlebt.“

Schmunzelnd hob der Detektiv seine Tasse an die Lippen.

„Nun, einen besseren Chauffeur werden wir kaum finden.“

Er nahm einen Schluck, während er und John dabei zusahen, wie ein Sanitäter die Frau im roten Kleid davon abzuhalten versuchte, von Ihrer Trage herunter zu steigen, doch sie schlüpfte fast mühelos zwischen seinen Armen hindurch und kam zu Ihnen hinüber.

„Mr. Holmes, Dr. Watson! Ich wollte mich unbedingt noch bei Ihnen bedanken.“ Sie klang heiser und die roten Striemen an ihrem Hals waren unverkennbar.

„Aber das war doch selbstverständlich“, erwiderte John und winkte ab, vergaß jedoch seinen verletzten Arm und zuckte mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen.

Sie lächelte traurig. „Es ist so ein seltsames Gefühl. Ich kannte Charlie schon lange. Freunde waren wir sicherlich nicht, dafür war er viel zu verschlossen. Aber wir haben ansonsten viel miteinander geredet. Viel herumgealbert.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er in Wahrheit einen solchen Hass gegen mich hegte. Und gegen all die anderen Frauen…“ Sie schwieg einen Moment, dann wandte Sie sich an Sherlock.

„Mr. Holmes, ich hoffe, Sie denken nichts Schlechtes von mir. Mein Mann und ich leben in einer sehr offenen Beziehung. Er ist zurzeit in New York und er weiß von meinen Liebschaften, genauso wie ich von seinen. Es mag für andere vielleicht bizarr klingen, aber wir sind beide sehr glücklich.“

Sherlock sah sie an. „Glauben Sie mir, mein Interesse an dem Privatleben anderer hält sich außerhalb meiner Arbeit in höchstem Maße in Grenzen und daher sehe ich erst recht keinerlei Anlass in irgendeiner Weise über Ihres zu urteilen.“

Die Frau lachte leise auf.

„Sie sind wirklich etwas ganz Besonders, Mr. Holmes. Aber ich fürchte, eine Chance werde ich wohl bei Ihnen nicht haben, nicht wahr?“ Ihr Blick huschte unauffällig zu John, der immer noch mit seiner Armschlinge beschäftigt war und daher nichts davon mitbekam. Dann zwinkerte sie Sherlock zu und wandte sich um. Sofort war der Sanitäter wieder an ihrer Seite, um sie zurück zu ihrer Trage zu lotsen.
 

„Und ihren Namen kennen wir immer noch nicht“, sagte John, der seine Armschlinge inzwischen wieder gerichtet hatte und den beiden nachsah.

„Caitlyn“, erwiderte Sherlock, woraufhin John lediglich seufzte.

Natürlich kannte er ihren Namen. Wie konnte es anders sein.

Er sah auf, als zwei Polizisten den Krankenwagen passierten, zwischen ihnen Charlie, der sein Bewusstsein offenbar wiedererlangt hatte, jedoch immer noch ziemlich wackelig auf den Beinen war. John beobachtete, wie er hinüber zu Caitlyn blickte und anschließend kaum merklich nickte, bevor er den Anweisungen der Polizisten Folge leistete und in das bereitstehende Polizeiauto stieg. John nahm einen Schluck von seinem Tee und fragte sich gleichzeitig, warum Charlie sich so seltsam verhielt. Vorhin hatte er beim Anblick Caitlyns nur so gesprüht vor Zorn. Er blickte wieder zurück zu der Trage, auf der Caitlyn gerade in Richtung des zweiten Krankenwagens geschoben wurde, und verschluckte sich jäh an seinem Tee, als er den Grund für Charlies Benehmen erkannte. Und dieser war nicht Caitlyn.

„Sherlock“, japste er alarmiert. „Der Sanitäter!“

Der Detektiv brauchte keine zwei Sekunden, um zu verstehen, was John meinte. Er erkannte den Mann, der sein Gesicht unter der grau-grünen Kappe möglichst versteckt gehalten hatte, sofort. Augenblicklich ließ Sherlock die Tasse in seiner Hand fallen und lief, aufgrund der Medikamente inzwischen wieder auf sicherem Fuß, auf den Sanitäter zu, während John verzweifelt nach Verstärkung suchte.

„Theodore Marshall“, raunte Sherlock dem Mann ins Ohr, als er hinter ihm zum Stehen gekommen war. „Interessant, dann habe ich letzlich ja doch nicht ganz so falsch gelegen.“

Theodore wirbelte erschrocken herum und erst jetzt bemerkte Sherlock die Pistole in seiner Hand.
 

Sherlock!“, hörte er John noch hinter sich brüllen.

Dann löste sich ein Schuss.

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  charly___onepiece__
2016-01-13T16:59:51+00:00 13.01.2016 17:59
Wow,was fűr eine Geschichte!Richtig gut geschrieben,ich finde du hast die Charaktere richtig gut getroffen,bei den Situation und auch den Formulierungen.Und die Geschichte an sich hat auch richtig viel hergegeben,fast wie eine echte Folge!Űberraschendes Ende!O.o Schade das es schon vorbei ist,wűrde wirklich gerne mehr lesen,vielleicht auch mit ein klein wenig mehr johnlock ;)
PS:Der Taxifahrer ist awesome!
Antwort von:  Lovienna
13.01.2016 18:33
Vielen Dank für dein liebes Feedback!! Freut mich sehr, dass dir die Geschichte gefallen hat.
Allerdings muss ich dir sagen, dass die Story noch nicht ganz am Ende angelangt ist ;). Ein Kapitel in Form des Epilogs wird noch kommen. :)

Johnlock wurde in der Story in der Tat nur sehr leicht angedeutet, weil ich einfach finde, dass die Beziehung zwischen John und Sherlock auf diese Weise mehr Raum für Interpretation lässt und letztlich jeder selbst entscheiden kann, in welchem Verhältnis er die beiden am liebsten sieht :). Aber es ist gut möglich, dass weitere Geschichten mit etwas eindeutigerem Johnlock folgen werden. :D

Auf jeden Fall vielen lieben Dank nochmal für deinen Kommentar und viele Grüße!


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