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Queerbeet

Liebe kennt kein Geschlecht
von

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Ein neues Gesicht

Endlich erbarmte sich jemand, das Fenster zu öffnen.

Die zähe Montagmorgenluft im Klassenzimmer vermischte sich mit dem Aroma von nassem Asphalt an einem schwülen Spätsommertag. Louisa saß in der letzten Reihe und strich gedankenverloren über den Ring, der ihr aus dem Nasenflügel ragte, ihren Blick an irgendeinen imaginären Punkt jenseits der Tafel geheftet. In diesem Zustand der langeweilebedingten Paralyse  fiel es ihr leicht, die Stunden zwischen den Pausen zu überbrücken. Vorausgesetzt niemand unterbrach die Endlosschleife zutiefst philosophischer Fragestellungen in ihrem Kopf. Beispielsweise beschäftigte sie sich gerade intensiv damit, die berühmt berüchtigten zehn Prozent Homosexuelle aus der Mitschülerschaft herauszufiltern. Soweit die Sechzehnjährige wusste, gab es an dieser Schule nicht einen einzigen Menschen, der sich je offen zu seiner andersartigen Sexualität bekannt hatte – aber genügend, bei denen man eine solche in Erwägung ziehen könnte, Lehrer inklusive. Spontan fiel ihr jedoch nur Richard Parker ein, der vermeintlich schwule Bruder ihrer besten Freundin. Dieser war achtzehn, besuchte die Stufe über ihnen und – in diesem Zusammenhang sehr wichtig - verfolgte vehement seinen Traum, Künstler zu werden. Allerdings waren Stereotype Louisa nicht ausschlaggebend genug, und die Quellen gewisser Gerüchte nicht gerade von Seriosität geprägt. Generell spielte es sowieso keine Rolle, welchem Ufer er sich nun tatsächlich zugeneigt hatte – bis auf den herben Verlust für das weibliche Geschlecht ... Bevor sie den Gedanken zu Ende führen konnte, signalisierte ihr das Stühlerücken um sie herum, dass der Unterricht vorbei war. Gemächlich packte Louisa zusammen, schulterte ihren Rucksack und bewegte sich Richtung Mensa.
 

Dem Geruch nach zu urteilen gab es irgendetwas mit Tomatensoße, aller Wahrscheinlichkeit nach Nudeln. Eine Schlange aus drängelnden Schülern, angeführt von einer kompletten Mannschaft verschwitzter Footballer, blockierte die Essensausgabe. Anstatt sich die erfahrungsgemäße viertelstündige Wartezeit anzutun, beschloss die Sechzehnjährige Ausschau nach den Parkers zu halten, mit denen sie üblicherweise die Mittagspause verbrachte. Ihr Blick schweifte quer durch den überfüllten Raum, als ihr jemand einen Stoß von hinten versetzte. Darauf nicht vorbereitet verlor sie das Gleichgewicht, fand es jedoch gerade noch rechtzeitig wieder.

„Geht’s noch?“

Wütend fuhr Louisa herum, instinktiv bereit, irgendeiner Tusse die Meinung zu sagen. Stattdessen stand sie einem ihr unbekannten Typen gegenüber. Einem gutaussehenden noch dazu, was ihren plötzlichen Zorn ebenso schnell wieder verfliegen ließ. Dem androgynen Gesicht, seinen dunkelbraunen, leicht mandelförmigen Augen und der für einen Jungen diesen Alters – sie schätzte ihn spontan auf 15, vielleicht 16 - geringen Körpergröße nach zu urteilen schloss sie auf asiatische Wurzeln.

„Tut mir Leid.“

Ihr Zusammenstoß schien ihm sichtlich unangenehm zu sein. Peinlich berührt schob er die Schüssel auf seinem Tablett zurecht. Etwas von der Tomatensuppe war bei der Kollision übergeschwappt.

„Nicht so schlimm.“, erwiderte Louisa.

Scheu blickte der Junge von seinem Mittagessen auf, nur um sich kurz darauf zum Gehen zu wenden. Aus irgendwelchen Gründen verspürte sie nun das Bedürfnis, sich zu entschuldigen. Dafür, dass sie in diesem Moment an genau jener unglückseligen Stelle hatte stehen müssen. Wie unsinnig. Und doch rief sie ihn zurück.

„Hey, warte mal!“

Er drehte sich um.

„Du bist neu hier, stimmt’s?“

Zaghaftes Nicken als Antwort.

„Wenn du möchtest, kannst du dich zu uns setzen. Also, sofern du noch nichts anderes vor hast.“, schlug Louisa vor. Unabhängig von der Antwort hatte sie damit ihr Gewissen beruhigt.

„Gerne.“
 

Demütig folgte der Junge ihr zum letzten freien Tisch in der gesamten Mensa, wo er scheinbar reglos verharrte, bis auch sie mit einer Portion Lunch von der Essensausgabe zurückkehrte. Seine Suppe musste in der Zwischenzeit bestimmt schon kalt geworden sein, doch aus, wie es schien, übertriebener Höflichkeit hatte er noch nicht angefangen zu essen. Erst als sie Platz nahm, fing er an in seinem Salat herumzustochern. Die Sechzehnjährige tat es ihm gleich. Um aus dem peinlichen Schweigen heraus zu kommen, entschloss sie sich, ihr Gegenüber mit Fragen zu bombardieren.

„Wie heißt du eigentlich?“

„Jaiden. Cleveland.“

Keine Gegenfrage.

„Ehm, nett dich kennen zu lernen, Jaiden. Ich bin Louisa. Huntress.“

Die restliche Konversation verlief ähnlich einseitig. Zumindest erfuhr Louisa, dass Jaiden tatsächlich sechzehn war und sie fortan die selbe Stufe besuchen, teilweise sogar ein paar gemeinsame Kurse belegen würden. Jeden hatte sie ihm einzeln aus der Nase ziehen müssen. Zudem stammte er aus Detroit. Auf die Frage hin, was ihn in ein gottverlassenes Kaff wie Mayville führte, verwies er auf die Scheidung seiner Mutter von seinem Stiefvater. Daraufhin beschloss sie, nicht weiter zu bohren. Möglicherweise wollte er auch gar nicht mit ihr reden.
 

Just im Moment dieser Erkenntnis erklang das unverkennbare Geräusch sich nährender Stilettos. Sekunden später ließ Wendy Parker auch schon ihr Tablett auf den Tisch donnern. Küsschen links, Küsschen rechts, dann ließ sie sich neben ihr nieder, löste ihren Pferdeschwanz und begann ihre rotblonde Mähne mit einer Bürste zu bändigen, die sie aus ihrem Louis Vuitton Täschchen fischte. Der Eindruck einer oberflächlichen, narzisstischen Luxusgöre den jeder Außenstehende – den in diesem Fall gerade Jaiden darstellte – unweigerlich von ihr gewann, täuschte größtenteils. Wendy war die Tochter eines erfolgreichen Immobilienmaklers. Man konnte es ihr nicht verdenken, dass sie ihren Wohlstand und somit die Möglichkeit, den amerikanischen Traum zu leben, auch nutzte. Sie war sich ihrer natürlichen Schönheit bewusst und genoss es, diese mit Designerklamotten und passenden Accessoires zu unterstreichen. Auf der Schule hatte ihr allein das Wissen um das Vermögen ihres Vaters und ihr extravaganter Kleidungsstil einen hohen Status eingebracht, den sie ausschließlich nutzte, um sich auf diverse Feiern einladen zu lassen. Ansonsten war sie erstaunlich bodenständig, kam ihren schulischen Verpflichtungen nach und kümmerte sich um ihre Freunde – überwiegend aus Arbeiter- oder Beamtenfamilien.

„Entschuldige die Verspätung, mein Bruder … oh.“

Ihr Blick fiel auf Jaiden, der nun scheinbar komplett überfordert zwischen ihr und Wendy hin- und herschaute.

„Das ist Jaiden. Er ist vor Kurzem hier her gezogen und ist jetzt in unserer Stufe. Jaiden -“ Louisa vollführte eine übertriebene „et voilà“ Geste in Richtung ihrer besten Freundin. „- das ist Wendy. Ihr wirst du, wenn ich mich recht entsinne, auf jeden Fall nochmal in Biologie begegnen.“

Jaidens Begeisterung schien sich in Grenzen zu halten, deshalb schaute sie demonstrativ auf ihr Handy, auf der Suche nach einem Grund, das Gespräch zu Ende zu bringen.

„In fünf Minuten fängt der Unterricht wieder an, also...“

„Dann bring ich jetzt mal das hier weg.“, warf Jaiden unerwartet ein – womit er den bisher wohl längsten Satz seinerseits zu Stande gebracht hatte – und deutete auf sein Tablett.

„Gute Idee. Bis demnächst.“

Der letzte Teil war nicht rein rhetorisch gemeint. Obwohl dieser Typ sie mit seiner Introvertiertheit sogar noch um Längen schlug, schien er doch ganz nett zu sein. Und hübsch, sofern man einem Kerl dieses Attribut anhängen dürfte. Vielleicht taute er mit der Zeit auch auf. Den Umzug, und dazu noch die Scheidung, musste er bestimmt erstmal verdauen.

Sie blickte Jaiden noch lange hinterher, bevor er im Gedränge verschwand.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Anemia
2012-07-31T16:42:25+00:00 31.07.2012 18:42
Aloha!
Find ich toll, dass du auch eine Geschichte zum Thema Trans* verfasst hast, denn ich finde, dass es viel zu wenige gibt, die sich damit befassen.
Oft ist es ja so, dass mich das Thema ansatzweise interessiert, aber mir die Ausführung nicht zusagt. Das kann ich hier nicht behaupten. Dein Schreibstil hat es mir schon in der ersten Zeile angetan,zudem schreibst du fast fehlerlos, was ich sehr schätze. Schön, dass man Jaidens Geschichte erfahren hat, so kann man sich noch besser in ihn hineinversetzen.
Mh, bin grad ziemlich ausgelauft, weil ich selbst viel schreibe, deswegen ist das ein eher kurzer Kommentar, tut mir leid. xD Wollte dir nur schnell was dalassen, weil ich finde, dass du dir viel mehr Kommentare verdient hast für das, was du hier mit uns teilst. ;)

Ich bleibe natürlich dran und freue mich auf ein Update!

lg Serpa
Von: abgemeldet
2012-07-13T15:51:51+00:00 13.07.2012 17:51
Jaiden hat einen ganz anderen Charakter, als ich vom Prolog her vermutet habe
Storymässig ist ja noch nicht allzu viel passiert, aber ich fand die Vorstellung von Louisa sehr interessant. Trotzdem kann ich mich momentan noch nicht so wirklich für sie erwärmen... keine Ahnung wieso. ^^'
Ich freue mich aber schon aufs nächste Kapitel. c:


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