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Piratenseele

(L'âme des pirates)
von

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1.Die gefangene Bestie

„Arthur!“

Die Stimme, welche der Engländer in seinem vernebelten Zustand vernahm, klang ihm so vertraut und familiär… aber nicht genug, damit er sich daran erinnerte, wem sie gehörte…

„Arthur! Wach endlich auf!“

Diesmal schien es ihm, als wären die Wörter an ihn gerichtet (vorausgesetzt, sein Name war Arthur), sie wollten ihm etwas mitteilen… aber er fühlte sich so schwer, so müde….

„Arthur, es ist nun wirklich nicht die richtige Zeit, um zu schlafen! Wach endlich auf, rosbif!“
 

Mit zusammengezogenen Augenbrauen versuchte der Engländer, seinen Körper zu bewegen, doch dieser reagierte immer noch nicht. Er war einfach zu erschöpft und sein Körper fühlte sich immer noch so schwer an. Die Stimme nahm unterdessen immer schärfere Konturen an, zudem spürte er immer deutlicher den Schmerz in seinen Knochen und Muskeln...

„Arthur, England ist Französisch geworden.“

Dieser Satz hatte einen schockierenden Effekt auf den Briten, der daraufhin aus seiner liegenden Position aufsprang und dabei knapp Frankreich verfehlte, welcher sich über ihn gebeugt hatte und ihm nun rechtzeitig auswich.

„WHAT?“, schrie England ihn an, ohne sich der Tatsache bewusst zu werden, dass seine Stimme immer noch rau und schwach klang und somit nicht den Effekt erzielte, welcher seiner Entrüstung Ausdruck verliehen hätte. Frankreich seufzte: „Ich habe es einfach nicht geschafft, dich zu wecken, also musste ich schwerere Geschütze auffahren…“

„Get the fuck off you bloody …“, schnitt ihm Arthur das Wort ab und wollte eben die Hand erheben, um den Franzosen zu schlagen, als er abrupt inne hielt.

Sein Handgelenk, nein, seine beiden Handgelenke waren durch eine eisernen Handfessel aneinander gekettet. Als sein Blick nach unten wanderte, bemerkte er, dass auch seine Füße Fußfesseln trugen und deren Kette mit der Wand, welche sich als massive Bootswand herausstellte, verbunden war.

Sie waren in einer Zelle in einem Schiffbauch gefangen. Zuerst dachte er, dies alles wäre ein schlechter Scherz von Frankreich, bis ihm auffiel, dass dieser die gleichen Fesseln trug wie er selbst. Als der Blick des Engländers wieder auf den Franzosen fiel, schien dieser nervöser zu werden und sah beinahe schuldbewusst aus.

„Francis…“ , murmelte Arthur mit einem finsteren und bedrohlichen Blick. „Wo sind wir? Was ist überhaupt geschehen?“

Francis hob den Blick und lächelte ihn an, wenn auch noch immer nervös und darauf bedacht, ihm nicht in die Augen zu sehen.

„Erinnerst du dich denn an gar nichts, Angleterre? Wahrscheinlich liegt das an dem ganzen Alkohol den du dir regelmäßig…“

Er wurde erneut unterbrochen, als sich Arthurs Hand um seine Kehle legte und langsam zudrückte. Die Augen des Engländers brannten regelecht vor Zorn und hätte Francis ihn nicht besser gekannt, hätte er es mit der Angst zu tun bekommen. Aber auch so war ihm nicht wohl dabei, besonders als der Engländer mit einer bedrohlichen Stimme zischte und dabei jedes Wort betonte: „What. The. Fuck. Are. We. Doing. Here?!“

England konnte wahrlich Panik verbreiten, wenn er in einem solch wütenden Zustand war, aber Francis blieb ruhig und antwortete beinahe beiläufig.

„Wenn du dich nur erinnern könntest, dann würdest du es sehr schnell verstehen, mon chère…“

" Was sollte das heißen?" Ohne den Druck von der Kehle des Franzosen zu nehmen, versuchte Arthur, sich an die letzten Ereignisse zu erinnern.

Zum einen war er nicht über die Anwesenheit Frankreichs erstaunt, da er es gewohnt war, mit ihm zu reisen, seit für Piraten die Zeiten immer schwerer wurden. Ihre Länder fanden immer mehr Zeit und Mittel, um den Banditen der Meere nachzustellen. Viele der größten Kapitäne waren gefasst und gehenkt worden, ganze Schiffsbesatzungen waren dezimiert worden und die Überfälle waren auch nicht mehr so lohnend wie früher. Selbst Arthur merkte, dass der Wind im Begriff war, sich zu drehen. Sich mit Francis zu verbünden, war seine Antwort auf die schleichenden Veränderungen. Zum Einen erleichterte dies die Raubzüge, zum Anderen halfen sie sich gegenseitig, auf die beiden kleinen Kolonien Acht zu geben, welche sie begleiteten… England wandte sich wieder Francis zu, mit einem panischen Blick.

„Alfred! Matthew! Wo sind sie?“

„Beruhige dich, sie sind dort.“, antwortete der Franzose und wies auf die zwei Kinderkolonien, welche sich; eng aneinander gekuschelt; nur zwei Meter von ihnen entfernt befanden. „Sie sind eben eingeschlafen, also wecke sie bitte nicht mit deinen Wutausbrüchen, s’il te plaît (bitte).“

Mit zusammengezogenen Augenbrauen begann Arthur weiter in seinen Erinnerungen zu wühlen, bis zu dem Tag, an dem er den Filmriss hatte.

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Nach mehreren, mehr oder weniger erfolgreichen, Raubzügen, hatte sich die Fierce Unicorn in einer geheimen Bucht, welche nur einigen wenigen Piraten bekannt war, zurückziehen müssen, um ihre zahlreichen Schäden zu reparieren. Niemand hatte sie dort finden sollen. Doch offenbar waren sie von irgendjemandem verraten worden. Die Piraten waren aufgewacht, als sie entdecken mussten, dass ihre Bucht von Schiffen der Navy eingekreist worden war und sie keine Chance sahen, aus ihrem Stützpunkt fliehen zu können. Eines der Schiffe nährte sich sogar dem Piratenschiff, um es entern zu können. „Alle auf ihre Posten! Bereit machen zum Kampf!“, brüllte Arthur seiner Mannschaft zu und fluchte gleich danach über den Munitionsmangel für seine Kanonen, die dadurch unnütz geworden waren. Er drehte sich zu dem Franzosen, um ihm trocken zu befehlen: „Du bleibst mit den Jungen in meiner Kabine, bis alles zu Ende ist!“

„Ich bin kein armes Mädchen ohne Verteidigung, das sich gleich bei drohender Gefahr verkriecht“, protestierte der Franzose einigermaßen besorgt und zugleich beleidigt. „Allein meine Befehle gelten hier, und die lauten, dass du Alfred und Matthew mit deinem Leben verteidigst, wenn es sein muss. Verstanden?“ Mit gesenktem Kopf begann Francis, sich dem Befehl zu unterwerfen und zu der Kapitänskajüte zu eilen, jedoch nicht, ohne vorher eine der Pistolen, welche an seinem Gürtel hingen, zu lösen und sie zu Arthur zu werfen, welcher sie auffing. „Ich habe das Gefühl, dass du die mehr brauchen wirst, als ich…“

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Als er sich plötzlich daran erinnerte, versuchte Arthur, Francis mit seinen Blicken zu erdolchen. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst auf die Kleinen aufpassen!“

„Das habe ich auch gemacht. Aber glaubst du ehrlich, dass ich mich brav und artig in meiner Kajüte versteckt hätte, während auf Deck gekämpft wurde? Außerdem hast du Hilfe benötigt…“

„Vollkommener Schwachsinn. Ich kam sehr gut allein zurecht!“ „Danach sah es aber nicht aus!“

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Als er mit seiner letzten Pistole auf einen Matrosen feuerte, welcher auf ihn zustürmte, sah Arthur inmitten des Gefechtes, welches zwischen den beiden Mannschaften entbrannt war, nicht, wie ein Soldat der Navy ihn mit dem Bajonett blutig erwischte. Der Soldat überrumpelte ihn und hielt ihn mit dem Rücken gegen die Schiffsreling gedrückt und der Muskete an der Gurgel in Schach. Arthur versuchte, den Soldaten zurück zu drängen, welcher offenbar beschlossen hatte, ihn über Bord zu werfen, doch fehlten ihm dazu die Kräfte. Doch auf einmal weiteten sich die Augen des Soldaten und er sank vor England zu Boden, mit einem blutigen Loch im Rücken. „Wer ist jetzt ohne Verteidigung?“

„Francis? What’re you doing here?“

„Offenbar dein Leben retten.“

„Like I needed.“, zischte Arthur ihm zu, als er einen Säbel aufhob, „Ich habe dir doch gesagt, du sollst bei den Jungen bleiben! Idiot!“

„Wenn sie dich erwischen, hilft das auch keinem, n’est-ce pas (nicht wahr)?“ Arthur grummelte, sagte aber nichts dazu, als er den Kampf mit Francis an seiner Seite wieder aufnahm. Doch auch wenn ihre Stärke gleich zehn ihrer Feinde betrug, schwand für die Piraten die Chance auf einen Sieg. Bald blieben nur noch Arthur mit Francis und ein paar seiner Matrosen übrig und die beiden Kapitäne fanden sich eingekreist von Navysoldaten wieder. Rücken an Rücken schafften es die beiden, sich zu behaupten, doch sie begannen durch ihre Wunden, welche für Nationen zwar nicht so gravierend, jedoch zahlreich waren, zu schwächeln. „Fuck!“ fauchte Arthur, als er einen Soldaten zurückdrängte. „Wie sollen wir da raus kommen, Frog?“

„Ich glaube, ich habe da eine Idee, aber sie wird dir nicht gefallen…“

„What are you…?“ Ein stumpfer Schlag gegen seinen Schädel und alles begann schwarz zu werden…

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Francis verstand durch die gespannte Stille zwischen ihnen, dass Arthur sich nun erinnerte, wie der Kampf ausgegangen war… und man musste schon ein Idiot sein, um nicht zu verstehen, was passiert war. Und Arthur war alles andere als ein Idiot.

„Hör mal…“, begann der Franzose, um die Situation zu entspannen. Doch er hatte nicht einmal Zeit, seinen Satz zu beenden, da wurde er erneut an der Gurgel gepackt und er fand sich auf dem Boden wieder, mit einen Engländer rittlings auf dem Bauch, welcher ihm mit den Händen die Kehle zudrückte.

„You…“, knurrte Arthur. „What did you do?“

Francis seufzte leicht. „Ich glaube, du hast alles verstanden, non? Ich habe dich niedergeschlagen, um uns der Mannschaft zu ergeben… und den Rest der Deinigen zu retten…“

„YOU MORON!“, tobte der Engländer und Francis biss in Erwartung auf Hiebe die Zähne zusammen, aber Artur begann wieder, ihn zu erwürgen. Beinahe so weit, dass er ihn erstickte, doch er ließ ihm noch genug Luft, um ihn auf seine Fragen antworten zu lassen.

„Du hast das von Anfang an so geplant, oder? Deswegen hat uns die Navy so einfach gefunden, nicht wahr? Was haben sie dir denn geboten, für einen der letzten Piraten der Karibik und seine Mannschaft, etwa dass sie dir deine Franzosen in Ruhe lassen? You bastard…“, zischte er den anderen an, bereit, ihn bei einer falschen Antwort ohne Gnade zu erwürgen. Francis schnappte zwar unter der groben Behandlung nach Luft, doch versuchte er nicht, sich aus seiner Lage zu befreien.

„Weder ich, noch einer meiner Männer haben den Standort dieser Bucht verraten und ich habe keine Ahnung, wie die Navy uns hat finden können. Ich habe auch keine Falle aufgestellt. Dich niederzuschlagen und dich auszuliefern, war nicht vorgesehen. Ich hatte einfach keine Wahl… oder besser gesagt du ließest mir keine Wahl.“

„What do you mean…?“

„Wie konntest du nur so mächtig werden und dabei so naiv bleiben? Bemerkst du denn gar nicht, was um dich herum passiert? Glaubst du ernsthaft, dass die Navy uns nachstellt, um deine Mannschaft auszulöschen? Ein paar Kanonenschüsse von ihnen hätten genügt und wir könnten nicht mehr darüber sprechen. Doch stattdessen haben sie sich die Mühe gemacht, uns zu entern, zu attackieren und gleichzeitig so viele Gefangene wie möglich zu machen… wie dich zum Beispiel.“

Die Betonung der letzten Wörter ließ den Engländer unsicher werden, trotz seiner überlegenen Position. „Willst du mir etwa unterstellen, dass es meine Schuld ist, dass wir uns hier befinden?“

Frankreich lachte freudlos auf: „Unterstellen? Aber es ist doch einfach die Wahrheit, mon chéri, natürlich ist es deine Schuld! Deine Marine segelt dir seit Jahren hinterher. Du bist der am meisten gesuchte Pirat der Karibik, viel mehr als ich oder Holland. Ich behaupte sogar, dass es vielleicht damit zusammen hängen könnte, dass deine Herrscher die Nase voll haben, dass ihre Nation einfach so auf dem Meer vagabundiert. Du warst es, den sie versuchten festzusetzten, aber du warst in einer derartigen Verfassung, dass du beinahe eine Katastrophe provoziert hättest. “

„Wovon redest du?“

Mit einem spöttischen Grinsen und einer vor Sarkasmus triefenden Stimme sprach Francis weiter: „Ach, bin ich dämlich. Ich vergaß ja, dass das große und mächtige britische Empire durch seine Magie geschützt ist, womit es unmöglich ist, ihn mit einer fehlgeleiteten Kugel oder einem Unfall umzubringen… und es natürlich nicht so krepieren kann wie ein einfacher Sterblicher… was glaubst du denn, welche Reaktionen das ausgelöst hätte?“ Selbst wenn Francis es behauptete, war Arthur alles andere als naiv und er verstand die Andeutungen, die Francis machte. Indem der Franzose ihn niederstreckte und ausgelieferte, hatte er die Kämpfe beenden können und verhindert, dass jemand seine übernatürlichen Fähigkeiten entdeckte. Die Soldaten hatten einfach den Befehl bekommen, sie lebend zu stellen, doch Arthur glaubte nicht, dass jemand anderes außer dem Kapitän wirklich wusste, wer er und Frankreich in Wirklichkeit waren. Die Existenz der personifizierten Nationen wurde, ohne ein strenges Staatsgeheimnis zu sein, nur in besonderen Situationen Normalsterblichen offenbart. Nur Gott selbst wusste, wie die Männer reagiert hätten, wenn sie sich bewusst gewesen wären, dass sie der Inkarnation eines ganzen Landes gegenüber standen…

Doch selbst wenn er die Bedenken Francis‘ verstand, konnte Arthur nicht einfach zugeben, dass sein Rivale Recht hatte. Er ließ von der Kehle des Franzosen ab und platzierte seine Hände rechts und links vom Kopf seines Rivalen, um ihm mit leiser Stimme zuzuraunen: „Wir waren aber trotzdem nicht gezwungen, es so weit kommen zu lassen. Es hätte auch andere Möglichkeiten gegeben…“

„Ich bitte dich, welche denn? Wir waren eingekreist, in der Minderheit…“

„Es gab sicher einen anderen Weg! Es gibt immer einen! “

„Angleterre, … ich bin ein Realist. Ich weiß, du hast dich schon aus schwierigeren Situationen herausgewunden. Auf die ein oder andere Weise bist du deinen Verfolgern immer entkommen, aber selbst du konntest in dieser Situation nichts machen. Auch du hast deine Grenzen, so wie wir alle.“ England ließ den Blick sinken, seine Augen wurden von seinen sandfarbenen Haaren verdeckt, die Hände vor Frustration und Wut zu Fäusten geballt.

„Idiot… du fängst nun an, wie mein Vize zu reden… was ist eigentlich aus ihm geworden?“

„Das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe, hat er gegen die Soldaten gekämpft und seitdem habe ich ihn weder tot, noch lebend gesehen. Ich weiß absolut nichts über seinen Verbleib!“ England knirschte mit den Zähnen. Searlay war einer seiner loyalsten Männer seit Jahren gewesen und einer der wenigen, denen er sein kleines Geheimnis als Nation anvertraut hatte. Er war mehr als nur ein treuer Offizier, für Arthur war er ein guter Freund und die Vorstellung, dass er tot sein könnte, löste in Arthurs Brust ein schmerzhaftes Ziehen von Schuldgefühlen aus. Andererseits hatte er doch alle möglichen Vortreffungen getroffen, um eine solche Situation zu verhindern. Er hatte damals seine Männer unter den Kriterien ausgesucht, dass diese ihm bis in den Tod loyal waren und bei ihren Raubzügen keine Spuren zu ihrem Versteck hinterließen. Also wie konnte dann die Navy sie gefunden haben? Er wusste einfach nicht, wo sich der Fehler befand. Ein Fehler, der offenbar seinem Vize das Leben gekostet hatte und wahrscheinlich auch anderen Mitgliedern seiner Mannschaft…

„Was seinen Verbleib angeht, tut es mir Leid. Doch alles andere bereue ich nicht. Insbesondere, weil dein Handeln mich in Gefahr gebracht hat.“, beendete Francis seine Erklärungen mit einen leichten aggressiven Unterton. „Wenn auch nur jemand von denen wüsste, wer wir in Wirklichkeit sind… die Nation Frankreich und eine seiner Kolonien, was wäre denn das für ein großartiger Fang für deine Engländer… fehlt nur noch, dass sie mich als Kapitän Bonnefoy erkennen und das Drama wäre perfekt.“

Arthur kniff die Augen zusammen, als er ein wichtiges Detail bemerkte. „Willst du also sagen niemand hätte dich auf diesem Schiff erkannt? Nicht einmal die Offiziere?“

„Offenbar nicht. Nachdem ich dich… also, als der Kampf vorbei war, hat der Kapitän ihres Schiffes entschieden, dass sie uns mit dir hier unten wegschließen. Sie haben viel mehr auf dich geachtet, als auf mich...“

Unter anderen Umständen hätte sich Arthur prächtig über die Tatsache amüsiert, dass in Francis‘ Stimme ein leiser beleidigter Unterton vorherrschte, so als wäre dessen Stolz durch den Umstand, dass er neben seinen Rivalen völlig vergessen wurde, verletzt. Doch nun schoss ihm etwas anderes durch den Kopf. „Wie sah der Kapitän denn aus? Wie lautet sein Name?“

„Er scheint so um die dreißig zu sein, ziemlich groß, braune Haare, schwarze Augen, offenbar hat er die Gewohnheit, auf See zu sein, nichts Ungewöhnliches, wenn man von einer Narbe neben dem Auge absieht. Ich glaube, sein Name war Reeves, oder so ähnlich…“ Mit zusammengezogenen Augenbrauen dachte England nach, schüttelte aber dann doch den Kopf. „Mir sagt der Name nichts… War offenbar noch auf der königlichen Akademie, als ich das letzte Mal in England war…“

Er verschwieg Francis jedoch, dass ihn unter normalen Umständen seine Spione über jeden Abgänger der Akademie informierten. Nur um zu wissen, auf was er sich vorbereiten konnte. Doch trotzdem sagte ihm der Name nichts… Es konnte aber auch natürlich sein, dass Frankreich ihn nicht genau verstanden hatte. Dies war sogar sehr wahrscheinlich…

Doch diese Tatsache änderte nichts an ihrer Situation, welche natürlich ganz allein Francis‘ Verschulden war. Auch wenn sein Handeln den Rest seiner Mannschaft gerettet hatte, selbst wenn es keinen anderen Ausweg gegeben hatte… Es war nicht so, als wären sie in großer Gefahr oder so… Die Navy sollte ihm offenbar nur eine Lektion erteilen, indem sie ihn wie einen ganz gewöhnlichen Gefangenen nach London überstellte und normalerweise waren die Soldaten seines Landes angewiesen, ihm kein Leid anzutun.

Auf jeden Fall unter normalen Umständen. Was Francis und die Kinder anging… ihre Chance standen gut, da sie offenbar einstweilen von niemanden erkannt wurden, doch dieser Bluff musste Bestand haben…

Francis‘ Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Und nun, Angleterre?“

Der Angesprochene warf dem Franzosen einen vernichtenden Blick zu. „Jetzt was? Erwartest du dir etwa, dass ich uns mit einem Zauberspruch befreie? Oder ich uns einfach so zu mir nach Hause oder zu einem der Kleinen teleportiere? Keiner von uns ist auf seinem Land, die Gruppenteleportation ist nicht gerade mein Fachgebiet und das Wichtigste, ich kann nirgends ein Pentagramm zeichnen. Und man kann ja nicht auf die Deinen hoffen…“, zischte er, als er von oben herab auf Francis blickte. Der Franzose war doch nicht mal in der Lage, magische Wesen wahrzunehmen, also konnte er in dieser Beziehung keine große Hilfe sein.

„Also bleibt uns nichts anderes übrig auf die Gnade von Monsieur le capitaine zu warten, dass er die große Güte hätte, uns von hier unten rauszuholen, rien de plus (nichts weiter)?“

„Wenn du es so machen willst, bitte sehr, tu dir keinen Zwang an. Wenn es dir nicht gefällt, hättest du halt früher nachdenken müssen, bevor du alles ruiniert hast. Stupid frog!“

„La ferme (ach, halt den Mund), British!“

„Ach ja, was sonst? Schlägst du mich dann wieder von hinten nieder, der Feigling, der du bist?“

Die Anspannung und die Sorge (was natürlich keiner von beiden zugeben würde) ließ den Ton, welchen beide untereinander anschlugen, schnell schärfer werden. Bald fand sich Arthur in der Situation wieder, Francis erneut erwürgen zu wollen. Doch diesmal traf Arthur auf heftige Gegenwehr. Als Francis Arthur einen schmerzhaften Schlag in die Nieren versetzte, sprangen beide Rivalen auf und beobachteten sich feindselig, jederzeit bereit, den anderen wie ein wildes Tier anzuspringen. Es war Arthur, der als erstes die Nerven verlor. Mit einem Sprung nach vorn versuchte er, Francis wieder zu Boden zu ringen, doch dieser schaffte es, sich unter seinem Griff hervor zu winden und ihn mit einem Fußtritt nach hinten zu stoßen. Dabei entfernte er sich gleich ein paar Schritte von dem Engländer. Vor Zorn mit den Zähnen knirschend versuchte Arthur, ihn erneut zu erwischen, aber irgendetwas hinderte ihn daran, seinem Feind näher zu kommen und er fiel hart auf den Boden. Er kam schnell darauf, was ihn behinderte: An seinem Knöchel war eine Kette angebracht, welche in die Wand eingelassen war. An dem Fußgelenk des Franzosen sah er jedoch keine. Diesen Umstand ließ ein spöttisches Grinsen auf dem Gesicht seines Rivalen erscheinen, der sich nur so weit Arthur näherte, dass dieser ihn zwar gerade noch berühren konnte, aber nicht zu fassen bekam. Eben nur so nah, um ihn in Ruhe verhöhnen zu können. England hatte den Franzosen noch niemals so sehr gehasst, wie in diesen Moment. „Bloddy…“

„Daddy? Papa?“ Beide Männer drehten die Köpfe in Richtung der kleinen Stimme, welche gesprochen hatte. Alfred und Matthew waren aufgewacht und sahen sich ängstlich an, noch immer eng aneinander geschmiegt.

„Warum bekämpft ihr euch?“, fragte Alfred mit unsicherer Stimme.

„Ist es wegen den bösen Männern?“ Beide erwachsenen Männer sahen sich an und wandten voller Scham den Blick ab. Es war ihre Aufgabe, die Kleinen zu beruhigen und zu ermutigen. Und doch war es Alfred, welcher ihren Disput beendet hatte, wobei der Kleine ganz eindeutig von der Situation verängstig war. Die Zwillinge mochten jetzt schon ein gutes Jahrhundert alt sein, doch sie waren noch immer kleine Kinder in den Augen der Ihrigen und es gab noch immer viele Sachen, die die beiden noch nicht ganz verstanden. Zum Beispiel verstanden sie nicht, weshalb die englischen Soldaten England gefangen genommen hatten und ihn noch zusätzlich in Ketten legten. Eine Behandlung, welche sie nur von England kannten, der so mit seinen schlimmsten und gefährlichsten Feinden umging (von Englands Problemen mit Spanien wussten sie nichts).

Francis warf dem Engländer einen dunklen Blick zu, bevor er auf die Kleinen zuging und sie in die Arme nahm, um sie zu ermutigen. „Keine Angst, Alfred. Wir haben uns wieder mal wegen Dummheiten geschlagen, wie immer. Aber es ist nicht Schlimmes.“, sagte er freundlich, die zweite Frage ignorierend. Doch er hatte nicht mit der Dickköpfigkeit der kleinen Kolonie gerechnet.

„Habt ihr euch geschlagen, weil uns die bösen Leute eingesperrt haben?“

„Diese … diese Leute sind nicht böse. Es sind englische Soldaten. Hast du sie denn nicht an ihrer Uniform erkannt?“

„Aber warum sperren sie dann Daddy ein, wenn es doch seine Soldaten sind?“ Francis sah wieder zu seinem Rivalen, wie auch die Kinder, welche nun erwarteten, dass England ihnen antworten würde. Dieser jedoch sagte einfach nur, dass dies Idioten seinen mussten und der Grund in Wahrheit ganz simpel war… Nur konnte der Pirat selbst keine Antwort finden. Er stellte sich die gleiche Frage wie Alfred und kam einfach auf keine zufriedenstellende Antwort.

Er hätte Alfred beruhigen können, indem er ihn anlog, dass alles gut ausgehen werde... Aber das konnte er nicht. Er schaffte es nicht, seiner kleinen Kolonie in die Augen zu sehen und sie anzulügen. Er wollte ihn nicht zuerst in Sicherheit wiegen, um dann sein Vertrauen zu verlieren, wenn die Ereignisse doch gegen ihn liefen. Er wusste nicht, woher, aber er hatte das unangenehme Gefühl, dass er einfach nichts an ihrer momentanen Situation ändern konnte…

Ohne zu Antworten, hob er den Blick und bedachte seinen Rivalen mit einem finsteren Blick. Er warf dem Franzosen vor, die alleinige Schuld an dem Geschehen zu tragen, in dem Wissen, dass dies nicht stimmte. Er brauchte den Franzosen, um jemanden zu haben, an welchem er seine eigenen Sorgen und Schuldgefühle auslassen konnte.

„Ask the Frog“, knurrte er, bevor er sich so weit wie möglich von den anderen wegsetzte und ihnen den Rücken zudrehte. Er wollte nachdenken können, ohne dass er in die ängstlichen Augen seiner Kolonien oder in die von Francis blicken musste. Was ihn am meisten frustrierte, war die Tatsache, dass er einfach nichts machen konnte. Außer still zu sein und zu warten.
 

Ende des 1 Kapitels



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