Zum Inhalt der Seite

So vollkommen endgültig

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Das Ticken der Uhr, die wohl zuvor noch zum Schachspiel verwendet worden war, war unerträglich laut.

Im Nachhinein gab er selbst zu, dass er sie auf Grund des Wasserfalles gar nicht hätte wahrnehmen können, aber in diesem Moment war es so eindringlich und wirklich, dass es sich gerade zu in seinen Kopf hämmerte. Dieses selbstgefällige, monotone Geräusch.

Die Schachfiguren standen immer noch auf dem Brett, Weiß stand im Schach, das Spiel war unvollendet.

Er schloss die Augen. Versuchte das, was er gerade gesehen hatte zu vergessen. Und hoffte, dass wenn er die Augen wieder öffnen würde, sein guter, alter Freund Sherlock Holmes breit grinsend vor ihm stehen würde, ihn für sein besorgtes Gesicht tadelnd.

Doch natürlich geschah nichts dergleichen.

Statt des ihm gut bekannten Gesichtes, starte ihn die kahle Stelle der Brüstung entgegen, die bis vor kurzem noch mit Schnee bedeckt war. Die Stelle, vor der zu vor noch zwei Menschen gestanden haben.

Zwei Genies, zwei Gegner.

Der Napoleon des Verbrechens, Professor James Moriarty, und der Meisterdetektiv (und wohl auch ehrenwerteste Mann, den er je gekannt hat), Sherlock Holmes.

Tage lang befanden sich er, Dr. John H. Watson, und sein Freund in Lebensgefahr, um diesen Schwerverbrecher endlich zu überführen und eine europäische Katastrophe abzuwenden.

Angesichts dieser Tatsache war es gerade zu lächerlich, dass man all dies mit einem kurzen, beherzten Tritt gegen eine Tischplatte, beenden konnte.

Was hatte dieses Spiel also letztlich für einen Sinn gehabt?

Sie hatten verloren, haushoch.

Oh, natürlich hatten sie den Krieg in Europa abgewandt – fürs erste zumindest – und natürlich ein Attentat verhindert.

Selbst den Verlust ihres wertvollsten Beweises machte nun nichts mehr aus.

Aber, dennoch.

Dennoch, war der Preis den sie, nein, den er dafür zahlen musste zu hoch gewesen.

Nutzenmaximierung.

Dieses Wort rief er sich immer wieder ins Gedächtnis.  

Sich an das Prinzip der Nutenmaximierung zu erinnern, war ein verzweifelter, und dazu noch schlechter Versuch, sich selbst zu trösten, sich selbst besser zu fühlen.

Sie hatten ein Leben verloren und konnten dafür vielleicht tausende retten.

Das mochte in der Theorie wunderbar klingen, aber in der Praxis war es schmerzvoll.

Er hatte nicht irgendein Subjekt verloren, sondern einen Freund.

Den Man, mit dem er  zehn Jahre lang zusammen gelebt hatte, den Mann, mit dem er so viele Stunden, Tage, Wochen verbracht, so viele Abenteuer erlebt hatte.

Zehn Jahre lang, ohne irgendwelche nennenswerte Zwischenfälle.

Hier und da mal ein blaues Auge, ein gebrochener Knochen, ein Bluterguss. Alles unwichtig.

Vorsichtig, wie in Trance, bewegte er sich auf die Brüstung zu. Vorbei an diesem lächerlichen Tisch mit der viel zu lauten Uhr.

Er lehnte sich langsam über die kahle Stelle und sein Blick folgte dem Verlauf des Wasserfalles. Als wüsste er nicht ganz genau, wo er endete.

Das Ende des Reichbachfalls lies sich nicht einmal erahnen. Es wurde von der Dunkelheit verschlugen und genau dieselbe Dunkelheit würde alles einnehmen, was ihr zu nahe kam.

Sein Verstand sagte ihm, dass Holmes diesen Sturz unmöglich überlebt haben könnte, aber in seinem Herzen pochte immer noch die Hoffnung. Schließlich sprach er nicht von irgendeinem Menschen, sonder von Sherlock Holmes.

Er wollte umdrehen, laufen, so schnell wie Möglich den Fuß des Berges erreichen, ins Wasser springen und nach seinem Freund suchen, aber er konnte nicht.

Keine Phase seines Körpers wollte sich bewegen.

Und selbst sein Gehirn arbeitete nicht mehr.

Watson wollte sich beruhigen, einen klaren Gedanken fassen und endlich zur Tat zu schreiten, anstatt so tatenlos in der Kälte zu stehen.

So tatenlos. So nutzlos, wie er nun einmal war.

Holmes hatte sich auf ihn verlassen, ihm die Entlarvung des Attentäters anvertraut.

Sie kennen meine Methoden.

Nur selten während ihrer jahrelangen Freundschaft, erhielt Watson derartige Vertrauensbeweise.

War er doch üblicher Weise eher das Angriffsziel des Spotts seines Freundes. Spott über die Unwissenheit. Die Unfähigkeit die Deduktion so perfekt anwenden zu können, wie Holmes selber.

Auf Watsons Schultern hatte eine unglaubliche Verantwortung gelastet, aber er wollte seine Aufgabe erfolgreich erledigen. Nicht nur, um den internationalen Konflikt zu verhindern, sonder auch um Holmes stolz zu machen. Um endlich von Nutzen sein zu können.

Ja, er hatte seine Aufgabe erfüllt. Aber es würde nicht den geringsten Grund geben, um auf ihn stolz sein zu können.

Moran war entkommen und der wichtige Beweis gegen Moriarty von ihm ermordet worden.

Doch was noch viel schlimmer war: Er hatte seinen Freund nicht beschützen können.

Vielleicht wäre Holmes noch am Leben, hätte Watson René schneller entlarvt und wäre dann sofort zu ihm gestoßen. Vielleicht wäre er noch am Leben, wenn er in diesem kurzen Augenblick, in dem er den Plan seines Freundes verstanden hatte, sich in Bewegung gesetzt hätte, statt starr da zu stehen. <?xml:namespace prefix = o ns = "urn:schemas-microsoft-com:office:office"><o:p></o:p>

Holmes hatte, als er Watson erblickte, seine Augen geschlossen, als wolle er sich entschuldigen.

Dafür, dass er nicht auf sich aufpassen konnte, so wie es ihm sein Freund zu vor geraten hatte.

Wut kroch in Watson hoch. Hauptsächlich Wut über seine eigene Unfähigkeit, aber auch die Wut auf Holmes.

Warum hatte sein Freund nicht auf ihn gewartet? Zumindest ab dem Moment, in dem er endlich zu ihnen gestoßen war.

Selbst wenn Holmes in einem Kampf unterlegen gewesen sein sollte, zu zweit hätten sie Moriarty sicher aufhalten können.

Warum konnte dieser elende Mistkerl auf einmal alleine mit Moriarty fertig werden?

Warum sind sie dann zusammen durch halb Europa gereist? Nur damit er zum Schluss doch allein entschied.

Watson schlug seine Faust auf die freie Fläche der Brüstung, die bereits eine erneute dünne Schicht Schnee vorweisen konnte.

Schon bald würde es keine Anzeichen mehr für die Tat, die Heldentat, die hier zu vor stattgefunden hatte, geben.

Er atmete tief ein, entspannte seine Hand und spürte wie sein Herzschlag den Rhythmus des Tickens annahm.

Nun wollte er nur noch weg. Weit weg von diesem schrecklichen Ort. Aber irgendwas hielt ihn hier fest. Würde er nun zurück durch diese Tür gehen, wäre es vorbei. Endgültig.

Ihm war bewusst, dass diese Gedanken absolut lächerlich waren. Das Spiel war bereits entschieden. Es war bereits vorbei. Er und Holmes hatten verloren, der Frieden zumindest bedingt gewonnen – und Moriarty? Nun, er hatte sein Leben verloren, aber Moran würde das, was er bereits angefangen hatte, sicher weiterführen.

Watson riss endlich sich los und drehte um. Er  musste wieder ins Gebäude zurückkehren und Mycroft Bericht erstatten.

Man würde nach den Leichen suchen, die wiederum für alle Ewigkeit im Wasser verschollen sein würden, und eine Trauerfeier für Holmes würde abgehalten werden.

Als er sich der Tür, die in seinen Augen immer unwirklicher erschien, näherte, fiel sein Blick auf das Schachbrett, das immer noch so vorzufinden war, wie es die zwei Spieler hinterlassen hatten. Unfertig, unvollendet. Wie auch immer man es nennen mochte.

Drei Läufer befanden sich noch auf dem Feld, einer der Schwarzen in unmittelbarer Nähe des gegnerischen Königs.

Doch letztendlich würde er nichts ausrichten können. Egal wie er sich auch bewegte, er würde nie auf das Feld des Königs gelangen. Er war für ihn unerreichbar – und doch so nah.

Direkt daneben tickte die Uhr unaufhörlich weiter. Monoton und repetierend.

So vollkommen endgültig. <o:p></o:p>



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück