Zum Inhalt der Seite

Endparadoxa Neun

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt...
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Snow erwacht

Es war eine ruhige schwüle Nacht, die ihre Schläfer mit stetigem sanften Wellenrauschen durch die Tiefen des Unterbewussten wiegte. Die Fenster der Bewohner Neo-Bodhums standen alle weit geöffnet, um die Meeresbrise hereinzulocken. Vermutlich würde momentan jeder selbst unter der dünnsten Decke sich noch die Seele aus dem Leib schwitzen, was nahe legte, dass diese Nacht niemand seinen Körper auch nur mit einem Fetzen zu viel bedeckte. Dennoch zeigte sich die Atmosphäre so friedlich und sicher wie selten, somit schliefen alle trotz der unangenehmen Wärme ruhig und entspannt.
 

Maqui lag in der Fötusstellung, einen Schraubenschlüssel an sich gedrückt, auf einer ranzigen Matratze inmitten seiner Werkstatt und träumte einen surrealistischen Traum von unmöglichen Treppen, Klein'schen Flaschen und verzerrten Räumen.
 

"Und ich kann so etwas doch konstruieren...", dachte er sich trotzig, während sein Traum ihn vor weitere Paradoxa stellte, "... fügt man die Vierte Dimension hinzu..."
 

Lebreau lag im NORA-Haus langgestreckt auf ihrem Schlafsofa, von dem sie manchmal sagte, es wäre so hart, es würde ihren Hintern flach drücken und irgendwann würde sie einmal aufstehen und keinerlei Rundungen mehr haben. Dies war ein Wink mit dem Zaunpfahl an Maqui gewesen ihr ein bequemeres Schlafmöbelstück zu konstruieren, aber irgendwie war der Wink nicht in seinen zahlreichen durchaus vorhandenen Hirnwindungen hängen geblieben, sondern zu einem Ohr rein und zum anderen wieder heraus getreten...

Sie träumte davon Cocktails für ihre Freunde zu mixen, doch ständig verschüttete sie ihre Getränke bis der gesamte Boden des Hauses und schließlich der ganze Strand unter merkwürdigem gelben Wasser standen. Als das Gelb sich mit dem Blau des Meeres vermischte und ein einziger grüner Urozean entstand, wachte Lebreau kurz auf, drehte sich vom Rücken auf den Bauch (nun oblag es an den Brüsten flach zu werden, seufz), vergaß ihren Sinnlos-Traum von der einen schlaftrunkenen Sekunde auf die andere und schlief wieder ein.
 

Gadot lag seitlich im Sand und hatte mit der Lässigkeit eines Surfers nicht daran gedacht ins Bett zu kriechen. Solange die Sandflöhe nicht zu sehr bissen war ihm dieser Untergrund genauso recht wie jeder andere. Vielleicht lag das aber auch an dem Umstand, dass wenige Zentimeter neben ihm eine Laache aus Bierkotze fröhlich vor sich hinstank. Morgen würden sich die Möwen sicher die schmackhaftesten Stücke daraus hervorpicken... wenn sie in Gadot nicht eine weitaus bessere Mahlzeit sahen. Alkoholleichen waren sicher nicht so lecker wie andere, aber das war einer Möwe gleich...

Wirklich Zusammenhängendes träumte Gadot nicht, jedoch hoffte er tief in seinem Unterbewusstsein, sollte sein Magen noch einmal revoltieren, so möge er doch rechtzeitig aufwachen, bevor er an seinem eigenen Erbrochenen erstickte. Er, Gadot, mochte zwar nicht solch ein Held wie Snow sein, aber SO ein Ende...?

Aus seinem Mund quoll ein ungesund klingender Rülpser.
 

Yuj, der immerwährende Gegenpol Gadots, lag mit hinter dem Kopf verschränkten Armen in einem Bett in einer Behausung nahe des NORA-Hauses. Es konnte sein Bett sein, musste aber nicht. Womöglich war es wirklich das Bett irgendeines anderen NORA-Mitglieds, doch wenn, dann lag das sicher nicht an zu viel Alkoholkonsum, sondern daran, dass diese behelfsmäßigen Gebäude alle so verflucht gleich aussahen... Dazu kam auch noch diese Dunkelheit, die völlig überdrehte Party... Nein, so wie Gadot würde er niemals abstürzen, da achtete er immer penibel drauf, allerdings war sicher in irgendeinem von Lebreaus Mix-Getränken irgendetwas zu viel drin gewesen...
 

"Alles... nur keine Penis-Hieroglyphen im Gesicht...", murmelte er im Schlaf.
 

In seinem Traum, war er eine Alkoholleiche, die völlig wehrlos von zahllosen wasserfesten Eddings "verschönert" wurde. Obwohl ihm so etwas noch nie passiert war, so hatte er doch die tief verwurzelte Angst eines Tages mal hässlich durch die Welt gehen zu müssen. Er liebte die Ästhetik und schönes Design. Krakelige Graffitis im Gesicht mussten daher nicht unbedingt sein (Und das reimt sich und was sich reimt ist immer gut!).

Eine Mücke, wohl die einzige, die sich dem Seewind aussetzen wollte, flog auf seine nackte Brust, da er sich seinen teuren Designer-Schlafanzug wegen der unangenehmen Wärme nicht zugeknöpft hatte (und er dazu in seinem Zustand ohnehin nicht in der Lage dazu gewesen wäre), und stach herzhaft in die Haut. Aber davon merkte Yuj nichts.
 

Am Zaun, der die Monster abhalten sollte, sank der Wächter in den Schlaf. Er war ein ziemlicher Taugenichts und hatte deswegen wohl aus Rache diese ungeliebte Schicht übernehmen müssen. Langsam sackte er im Sand zusammen, der Lauf seiner entsicherten Waffe diente ihm als sardonische Kinnstütze...
 

Noel trieb im Zimmer neben Serahs und Snows Schlafgemach, das sich ebenfalls im NORA-Haus befand, zwischen verschiedensten Traumwelten umher. Von allen hatte er wohl den unruhigsten Schlaf. Die Decke unter ihm war stellenweise zusammengeknüllt und auf Noels Stirn standen Schweißperlen, seine braunen Haaren hingen darüber in feuchten Strähnen. Beinahe hätte man ihn für fieberkrank halten können, doch dem war nicht so, eigentlich war ihm wirklich einfach nur viel zu warm.

Bei der Party am Abend hatte er sich stark zurückgehalten. Das Lärmen so vieler Leute war ihm nicht so koscher erschienen, wie er es vielleicht gerne empfunden hätte. Der Wunsch Serahs eine Pause in ihrem Abenteuer um die Rettung der Zukunft einzulegen, hatte zugegebenermaßen auch in ihm geschlummert und da die Zeit für sie beide ohnehin relativ war, was stand da zwischen ihnen und ein wenig Erholung? In der Ruhe lag bekanntlich die Kraft und würde ihnen vielleicht eine klarere Sicht auf die Dinge liefern.

Nun? Richtig! Das schlechte Gewissen. Es ließ und ließ sich einfach nicht abschalten und so hoffte er, dass sie bald wieder losziehen würden. Was nützten Ferien, wenn man sie nicht genießen konnte?
 

Im Zimmer nebenan lag Serah so dicht an Snow gekuschelt wie es ihre Körpertemperatur zugelassen hatte und das hieß ihn allerhöchstens mit einem Arm zu umarmen und auch der kochte bereits, so hatte sie sich im Schlaf unbewusst von Snow weggedreht, Mog lag jedoch nach wie vor in ihre Armbeuge geklemmt und mit etwas Glück würde er diese Nacht überleben ohne erdrosselt zu werden. Ihr Gesicht besaß einen seligen Ausdruck. Obwohl es unendlich schwer gewesen war, hatte sie Snow dazu überreden können mit ihr und Noel für kurze Zeit nach Neo-Bodhum in ihre gewohnte Zeit zurückzukehren. Snow hatte sich so gesträubt. Von wegen er dürfe sie und seine Freunde, die doch alle auf ihn zählten, nicht im Stich lassen. Sich nicht auf die faule Haut legen, während alles zu zerbersten drohte, selbst die als unverwüstlich geltenden Mauern der Vierten Dimension. Auf ihren jammervollen Blick hin hatte er sogar noch hinzu gefügt, dass er es lieber in Kauf nähme, dass sie jetzt mit ihm Schluss mache, als das Risiko einzugehen sie durch die unausweichlichen Zerstörungen, die sich ereignen werden, in den sicheren Tod zu schicken. Worauf sie gekontert hatte, dass er sie mit Sicherheit in den Tod schickte, wenn er sie nicht mit diesem kleinen Ferienaufenthalt an seiner Seite moralisch aufmuntern würde.

Wie hätte er da noch nein sagen können? Nun gut, er hatte es tatsächlich versucht. Er hatte an ihre Vernunft appelliert, ihr in Aussicht gestellt, nachdem all die bösen Buben in ihre Schranken verwiesen worden waren, dass sie beide dann für immer zusammen sein würden. Er hatte ihr noch einen Heiratsantrag gemacht, er hatte ihr versprochen, dass sie die Namen all ihrer Kinder aussuchen dürfe... Er hatte seine blonde Stoppelmähne endlich wieder unter seinem schwarzen Kopftuch verborgen, Er...

Und da hatte Noel ihm solch einen Tritt in den Hintern versetzt, dass er endlich einwilligte.
 

"Da siehst du mal, was er für ein Arschloch ist!", hatte Noel geschrieen.
 

Doch für Serah war allein die Tatsache, dass Snow wirklich und wahrhaftig zumindest für ein paar Tage endlich wieder Zeit mit ihr verbringen würde, ausreichend um völlig zu vergessen, wie widerborstig dieser sich verhalten hatte. Sie hatte sich ihm in die Arme geschmissen und Snow hatte sich glücklich mit ihr im Kreise gedreht, als wäre er es gewesen, der den Ferienvorschlag gleich zu Anfang gebracht und ihr diesen als besondere Überraschung unterbreitet hätte. Noels Gesicht war eine einzige verkniffene Maske gewesen. Irgendwo tief verborgen in einer Ecke ihrer Träume tauchte deswegen ein Funke Schuldbewusstsein in ihr auf, doch im Wesentlichen blieb Serahs Traumwelt ein Ideal bestehend aus Zweisamkeit mit Snow und der Sicherheit, dass Lightning immer zur Stelle sein würde, wenn sie sie brauchte und auch nicht nur dann...
 

Wenn sich die Gene, die für Selbstaufopferung verantwortlich waren, irgendwo über Generationen über Generationen angefangen bei den altruistischsten Vertretern irgendeiner Spitzhörnchen- oder Backenhörnchen-Art weitervererbt und getroffen hatten, dann in Snow. Seelenruhig schlief er an Serahs Seite, das Wissen, dass sich sein Rudel momentan außer Gefahr befand, war Valium für seine Seele.

Er war DER Held. Alle sahen zu ihm auf. Ein Snow, der sich nicht das eigene Herz für seine Familie rausreißen würde, existierte nicht! (Nicht einmal in einem Paradoxa!) Tatsächlich war Snow so darauf geeicht für jeden den Kopf hinzuhalten, dass er nicht in der Lage war sich vorzustellen wie weh er jenen damit tat, die ihn liebten. Nicht, dass er sich nicht in dieser Rolle als Fels in der Brandung gefiel, sie war ihm quasi auf den Leib geschneidert, aber seinen Freunden diente er aus Demut und nicht aus Arroganz. Er warf sich für sie in die Breche, weil er es eben konnte, weil er wusste wie wichtig Zusammenhalt war, eine intakte Familie. Für ihn waren sie keine Last, sie waren sein Lebensinhalt. Und das war das Dilemma. Auf der einen Seite war er der heldenhafte unbeugsame Snow, der mit dem Kopf durch die Wand im Beschützerinstinkts-Wahn die größten Gefahren auf sich nahm, egal ob er mit dem Leben davonkommen würde oder nicht. Auf der anderen Seite entfernte er sich dabei ungemein von jenen, die ihm am wichtigsten waren. Ob es daran lag, dass er für das Wohlsein seiner Familie weggehen musste, ob es daran lag, wie viel Kummer er ihr machte, wenn er sich Gefahren stellte, die drohten ihn zu töten, oder ob es schlussendlich daran lag, dass ein Snow, der sich für seine Familie opferte, diese unweigerlich schutzlos zurücklassen würde. Doch niemals hatte Snow darüber einen Gedanken verloren, dass sein Märtyrertod sinnlos sei. Die Selbstopferung DES Helden MUSSTE doch einfach ewige Glückseligkeit über seine Lieben bringen!

Ja, so funktionierte seine Logik. Vielleicht hätte ihm eine Portion Egoismus gut getan. Egoistisch genug, um seinetwillen bei Serah zu bleiben und die dräuenden Unheile und unerfüllbaren Herzenswünsche ein wenig warten zu lassen. Um seinetwillen seinen Platz als Boss der NORA-Gang zu verteidigen, die sich in seiner Abwesenheit bereits inoffiziell um einen neuen Anführer bemühten. Vielleicht war aber auch die Tatsache, dass er sich den dräuenden Unheilen und unerfüllbaren Herzenswünschen stellte, weil diese sonst seine Familie ausradieren und ihn allein zurücklassen könnten, ein exzellenter Beweis für durchaus vorhanden Egoismus in Snow. Zu kühn, um bei seinen Freunden zu bleiben, zu feige, um sie sterben zu sehen. Lieber sollten sie ihn tot sehen müssen als er sie. Diesen Egoismus würde er wohl niemals überwinden... Serah tot vor seinen Augen, sein Herz würde augenblicklich in zwei Hälften gerissen werden...

Aber Serah! Serah würde über seinen Tod hinweg kommen, so glaubte er. Sie würde jemanden finden, der ebenso gut wie er, Snow, auf sie Acht geben würde. Vielleicht würde dieser jemand sogar Noel heißen und Snow würde absolut keinen Groll, keine Eifersucht empfinden. Solange Serah nur glücklich war... solange sie nur... lebte...

Für Serah aber, war Snow genug, um niemals über seinen Tod hinweg zu kommen. Er mochte sich selbst noch so geringschätzen, sein Leben noch so unter das der anderen stellen, für sie war er alles!

Aber vielleicht lag es daran, dass Snow FÜR sie, aber nicht UM sie kämpfte, dass diese ikonenhafte Verehrung ihm gegenüber irgendwann nachlassen und sie wahrhaftig beginnen würde in Noel mehr zu sehen als nur den allerbesten Freund.

Doch das würde Snow, wie bereits erwähnt, nicht im Geringsten erschüttern und hier schließt sich der Kreis.
 

Langsam erwachte Snow, obgleich es draußen noch stockdunkel war. Zuerst dachte er sich nicht viel dabei, er würde sich einfach umdrehen, Serah fester in den Arm nehmen und wieder einschlafen, doch bevor er sich auch nur ein Stück rührte, bemerkte er, dass der Grund seines Erwachens ein diffuses Unwohlsein in seiner Magengegend war. Als Vorbild aller hatte er so ziemlich nichts Alkoholisches getrunken und runzelte entsprechend die Stirn über seine zunehmende Übelkeit.
 

"Puh...!", sagte er mehr überrascht über dieses Gefühl, als beunruhigt.
 

Vorsichtig, um niemanden zu wecken, stieg er aus dem Bett, das dankenswerterweise nicht knarrte, während Snow abermals einen unverhofften Seufzer losließ.
 

"Gute Güte...", murmelte er ganz leise zu sich selbst, beinahe hätte er sich selber wegen seiner merkwürdigen Schwäche ausgelacht.
 

So kannte er sich gar nicht. Normalerweise war er stets so vital gewesen, er hätte durch eine Wand rennen können und sich fragen, ob er womöglich wo gegengelaufen sei. Doch nun hieß es leise und kontrolliert zu sein und so schlich er langsam in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu besorgen. Obwohl er sich recht gut an die Dunkelheit gewöhnt hatte, sah er so ziemlich nichts als schwarze Schwaden, wo irgendwo der Schrank mit Gläsern sein musste und notgedrungen tastete er nach einem der Lichtschalter, die die kleinen Neonlampen über der Spüle und dem sonstigen Küchengerät anzündeten. Intuitiv fanden seine Finger den Schalter und das weiße Licht flackerte ein paar Mal, bevor es viel zu hell für Snows Geschmack die Küche beleuchtete. Nun endlich griff er nach einem Glas und hielt es unter den Wasserhahn. Hoffentlich funktionierten die Leitungen. Sie hatten das Wasserversorgungssystem nach wie vor nicht mackenfrei bekommen können, aber allein die Tatsache, dass sie als ungelernte Klempner und Handwerker fließend Wasser im Niemandsland Pulse möglich gemacht hatten (zumindest manchmal), war mehr als man sich eigentlich wünschen konnte.

Die Götter waren Snow jedoch zugetan und das Wasser floss klar und ohne zu stocken. Dennoch wartete Snow kurz, denn oft genug hatte er erlebt, wie sich plötzlich eine braune Masse oder infernalischer Schwefelgeruch aus dem Hahn gequetscht hatte. Doch auch in dieserlei Hinsicht, waren ihm die Götter gewogen und gierig hielt er das Glas unter den Strahl.

Aufgrund der Schwüle, trug Snow nichts am Leib als seine Unterhose, auf der vorn das NORA-Symbol aufgestickt war (NORA ist echt knorke, Alter. Und Snows Schwanz ist es auch! Voll die Interpretation, Dicker!). Ein Zeichen seiner Verbundenheit mit der Gruppe aus ehemaligen Straßenkindern. Sicher, auf Cocoon war für jeden einzelnen Menschen gesorgt worden, sogar für Waisenkinder, um die sich kein Mensch scherte, das soziale System hatte sich geschert und natürlich die Fal'Cie, die genügend Menschenmaterial benötigten. Aber das Waisenhaus bot ihnen nicht alles, was sie gewollt hatten. Abenteuer, hatten sie nur auf der Straße gefunden. Das war der Ersatz zum Freizeitpark gewesen, den ihnen ihre toten Eltern vorenthielten. Aber mit dem natürlichen Übertreten von Regeln wurde es bald mehr als die Suche nach Spaß, es wurde Ernst. Gelernt zu überleben, hatten sie nur auf der Straße. Und wem von ihnen waren diese piekfeinen Parks und zurechtgestutzen Gärten voller Pflanzen, die verreckten, wenn man sie nicht an Infusionen hing, und Häuser mit dem Charme von Massenproduktsware aus Plastik nicht auf die Eier gegangen? Also führte die Straße sie in Bezirke, die nicht mit Sicherheit und Sterilität verchromt waren und sie drangen in militärisches Sperrgebiet und die Wildnis vor. Was war das für ein Spaß gewesen! Was war das für ein bitterer Ernst gewesen...

Snow setzte das fast randvolle Glas an die Lippen und trank langsam Schluck für Schluck. Das kalte Wasser tat gut.

Obgleich der Ernst die Gefahren des Monsterbekämpfens und die Bedrohung von Militärs, die mit Mahnschriften wedelten, im Vergleich zu dem was dann geschah, nämlich der Purgation, ein naives Kinkerlitzchen war. Doch genug abgehärtet hatte er sie alle, um zumindest die Schlacht von Brückland zu überleben und das war es wert gewesen. Gadot, Lebreau, Yuj, Maqui… eigentlich war es unvorstellbar wie viel Schweineglück sie eigentlich gehabt haben müssen… Aber vor allen Dingen, dass er, Snow, die gesamte restliche chaotische niederschmetternde und doch neuerschaffende Reise überlebt hatte, das war wirklich allein der Tatsache zu verdanken, dass er ein L'Cie gewesen war. Geleitet von Hoffnung, geleitet von einer Bestimmung, geleitet von unzähligen Faktoren, die alle seinen Erfolg gewollt hatten.

Kaltes Neonlicht beleuchtete das L'Cie-Stigma auf seinem Arm.

Und aufgrund all dem, hatte er sich entschlossen, obgleich durch die Gnade der Göttin vom L'Cie-Dasein erlöst, wieder ein Erwählter zu werden. Mit unglaublicher Kraft, Magie, Beschwörungen, Bestimmung und Zeitlimit.

Das mitleidlose rote Auge glotzte ihn böse an. Wie widerlich das Stigma sich an seinen Arm zu klammern schien, wie eine fette Spinne. Eine Schwarze Witwe. Die Farben passten sogar. Perfekt.

Kalte Schauder liefen über Snows nackte Beine und keine zwei Sekunden später war sein gesamter Körper von einer prickelnden Gänsehaut übersäht. Verrückt aber war, dass ihm gleichzeitig nach wie vor so furchtbar warm, wenn nicht gar heiß war. Unkontrolliert begann er zu zittern, sein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen.
 

"Lebreau, was hast du mir für einen verdorbenen Fraß vorgesetzt...??", schrie Snow in Gedanken, während aus seinem Mund nur Zähneknirschen drang.
 

Ihm schwindelte und er stützte sich mit dem rechten Ellenbogen auf die Küchentheke, das Wasserglas ließ er ungeschickt fallen. Laut klirrend zerbrach es auf dem Parkettboden.
 

"Fuck...", nuschelte Snow, sackte auf den Boden herab und stützte seinen bebenden Körper auf alle Viere.
 

In seinen Ohren rauschte es, dann erfüllte sie ein fiepsender Ton, wie man ihn in Filmen hörte, wenn nahe der Protagonisten ein gewaltiges Geschoss explodierte.

Ob jemand aufgewacht war? Bitte nicht, es war doch nur ein Glas gewesen...

Doch das konnte er nicht beurteilen, denn das Rauschen verschluckte jeglichen Ton... nur in der Ferne... war das... ein Gongen... wie von... war das etwa Glockengeläut?

Als das Rauschen und Fiepen (und die Glocken!) wieder nachließen, stellte Snow verblüfft fest, dass er mit dem Gesicht auf dem Boden lag. Dessen Kälte, das verschüttete Wasser und die zahllosen Glassplitter in denen das weiße Licht reflektierte ließen ihn wie den Eissee im neunten Kreis der Hölle wirken.

Sein linkes Auge zuckte nach oben, als es dem pulsierenden roten Schein, der aus seinem Stigma waberte, gewahr wurde. Fast schon mit Häme starrte ihn die Spinne an, deren dünne Beine wie Eisenspeere die Haut seines Arms verunzierten und... dabei so... erschreckend dreidimensional wirkten...

Vor Schrecken im Gesicht gänzlich aschfahl geworden, traf Snow die Erkenntnis wie ein blutroter Blitz.

Seine Zeit war abgelaufen.

Er würde sich in wenigen Augenblicken in einen Cie'th, in eine der unglückseligsten Kreaturen von ganz Pulse und Cocoon, verwandeln!

NEIN!

Er würde zu einem dieser Ungeheuer werden, die nur noch den Hass auf alles Leben kannten!

Er würde... ER WÜRDE ALL SEINE FREUNDE, SEINE LIEBE, MIT BLOSSEN HÄNDEN ERSCHLAGEN!!!

Nein, nicht mit Händen! Mit Klauen! Auswüchsen! Wucherungen von solch blasphemischer Widerwärtigkeit, dass jedes Ausholen, jeder Schlag wie ein Verbrechen an Vernunft und Naturgesetze selbst sein würde!

Fort! Fort! Weg von hier! Solange er noch menschliche Emotionen besaß, musste er mit aller verbliebenen Kraft so weit weg von hier, wie er konnte! Ans andere Ende der Welt! Vollkommen gleichgültig was aus ihm werden würde, sollte er als Cie'th verschmachten und verfaulen und sich selbst als faulendes Pfützchen Protoplasma noch in Schuldgefühlen suhlen bis in alle Ewigkeit, aber er musste hier WEG!

Keuchend versuchte er sich aufzurichten, auf die Beine zu kommen, er wankte, stieß mit dem Rücken gegen den Kühlschrank, ein Magnet mitsamt einem Bild, das ein Schüler Serahs ihr geschenkt hatte, fiel klackernd zu Boden. Das Küchenlicht bestand für ihn bloß noch aus wabernden grellen Blasen, die ihn schmerzten, ihn wütend machten, wie einen tollwütigen Hund. Es rummste gewaltig, als er ein paar unbeholfene Schritte nach vorn machte und wieder gegen irgendetwas prallte, ein nutzloses Möbelstück.

Sein Stigma glühte immer heller, immer auffordernder, immer verschlingender, die Finger seines linken Arms begannen unkontrolliert zu zucken. Snow riss sich mit all seinem verbliebenen Intellekt zusammen und zertrümmerte den Wasserhahn. Sofort spritzte ihm eine Säule Eiswasser ins Gesicht und irgendwie schien ihm die Kälte dabei zu helfen sich nicht selbst zu verlieren. Gerade wollte er sich umwenden, die Gartentür anpeilen und einfach losrennen und nie mehr stoppen, da bemerkte er, dass er zwar den Befehl an seine Hand gesendet hatte, vom Kühlschrank abdrücken und los, sich aber nicht ein Finger auch nur rührte.

Fassungslos stand er da, nass bis auf die Knochen, geistig mehr oder minder umnachtet und fühlte seine Hand, wie sie nicht mehr seine Hand war.
 

"Guaah!", schrie er und der donnernde Gong einer riesigen Glocke hämmerte von seiner einen Schädelwand zur anderen.
 

"Snow?! Snow! Oh mein Gott, Snow, bist du noch bei Sinnen?!"
 

Totenbleich stand Lebreau vor ihm, die aussah, als sei sie gerade aus dem Bett gefallen, ihre schwarzen Haare hingen ihr wirr ins Gesicht und ihr Negligée steckte an ihrer linken Hüfte in ihrem Baumwollschlüpfer fest.
 

"W-Weg...", gurgelte Snow und wieder hallten die Glocken in seinem Kopf... nur... für sein Empfinden hallte jedes Mal die gesamte Welt. Ein einziger Resonanzkörper, auf ewig von Schwingungen erschüttert. Und der Tremor begann sich in seinem Körper fortzusetzen...
 

"Snow!"
 

Da stand sie. Serah. Neben ihr flatterte ihr Mogry wie eine überdimensionale Hummel erschrocken umher.
 

"S... S-Serah...", krächzte Snow und streckte seine rechte Hand in einer bittenden Geste nach ihr aus, "Du musst…"
 

"Ihn töten!"
 

Für einen Augenblick rissen alle ihre Köpfe zu Noel herum, der seine zwei Schwerter fest und entschlossen in Händen hielt. Obwohl er nur eine viel zu große Schlafanzughose von Snow trug und aussah wie anstatt des Kleidungsstücks eingelaufen, wirkte er durchaus bedrohlich.
 

"Bist du verrückt geworden?!", kreischte Lebreau empört.
 

"Niemals!", schrie Serah panisch und stellte sich schützend vor Snow.
 

Mog zitterte. Er würde für Serah kämpfen, aber gegen wen er hier drohte zu kämpfen, das ertrug er nicht. Lebreau war indes zur Tür gerannt und schien ganz Neo-Bodhum aus dem Schlaf reißen zu wollen.

Die Nacht war so dunkel als wie zuvor, doch mehr und mehr Lichter glommen auf. Nach Snows Empfinden sah er sie wie bösartig glimmende Augen von Ungeheuern. Dann richtete er seine Konzentration wieder bestürzt auf Serah, die Noel mit bangem aber entschlossenem Blick fixierte.
 

"Serah, er hat recht...", hauchte Snow heiser. "... mit mir ist es aus..."
 

"Er wird zum Cie'th! Alles was wir noch für ihn tun können ist ihn zu töten solange er noch ein Mensch ist! Damit er als Mensch und nicht als Monster sterben kann. Begreifst du denn nicht, Serah?", sagte Noel mit ruhiger fester Stimme, "Es war seine eigene infantile Kurzsichtigkeit, die ihn dazu gebracht hat! Für ein bisschen mehr Macht, hat er seine Seele an einen Fal'Cie verkauft! Das ist der Preis, den er an Mademoiselle Karma zu zahlen hat!"
 

"Ich werde das nicht zulassen! Du magst es für barmherzig halten Snow wie ein Tier zu erschlagen, aber wer sagt denn, dass er sich verwandeln muss?", sagte Serah weinerlich, bevor sie sich umdrehte und Snows Gesicht mit beiden Händen umfasste. "Bleib bei mir!"
 

"Serah... Serah..."
 

In Snows Augen standen Tränen und liefen ungezügelt herab, seine linke Hand ergriff ihre Kehle und begann sie zu würgen.
 

"Schluss damit!!", rief Noel, entschlossen für das Unvermeidbare und stürmte vorwärts.
 

Als Jäger in einer sterbenden Welt war alles in ihm, jede Faser seines Körpers, darauf geeicht zu töten. Schnell und präzise. Einen groben unfertigen Klotz wie Snow zu töten stellte für ihn keine Herausforderung dar. Auch nicht, dass er Serah mit seinem Schwerthieb um jeden Preis verfehlen musste, denn auch das hatte er gelernt. Jeden seiner Hiebe konnte er auch verhindern. Sein Wille alleine lenkte seine Waffen. Einen Zufall gab es nicht, auch keinen unglücklichen. Das einzige, was eine Herausforderung war, waren die traurigen Augen des Klotzes... seine Tränen.

Oh Snow, dieser elende naive hassenswerte Bastard.
 

Snow indes - so erschüttert von der Liebe, die Serah für ihn empfand, die selbst im Augenblick ihres eigenen heranrasenden Todes, der von IHM ausging, nichts von ihrer Entschlossenheit verlor - begann wie ein Baby zu heulen.
 

"Alles wird wieder gut", sagten ihre Augen. "Ich liebe dich. Glaube mir, du wirst bei mir bleiben, für immer!"
 

Ja, dachte Snow, auf immer...

Was sie ihm in diesen wenigen Augenblicken zu vermitteln vermochte, es war so klar, machte so viel Sinn. Die Angst, die Wut, die Unsicherheit wichen aus ihm.

Sein Griff um ihren Hals wurde butterweich und er sank langsam auf die Knie, sein Gesicht presste er gegen ihren Bauch.
 

"Oh, verzeih mir!", flehte er in Gedanken.
 

Das Tosen in seinem Kopf ließ nach und alles verwandelte sich in weiche Watte. Kein rotes Licht ging mehr von seinem Stigma aus. Das Auge starrte resigniert und in seiner Wut erkaltet... vorerst.
 

"Snow, du glücklicher Bastard!", sagte Noel, der vor Anspannung zitterte, eines seiner Schwerter wie ein Fallbeil über Snows Kopf gerichtet. Er stolperte ein paar Schritte rückwärts und ließ seine Schwerter kraftlos auf den Boden fallen und sank auf die Knie.

"Dem Tod, verdammt noch mal, noch mal von der Schippe gesprungen..."
 

"Ja", nuschelte Snow versöhnlich. "Weil du mich verschont hast."
 

"Weil Serah dich irgendwie... irgendwie zurückgeholt hat!", sagte Noel fahrig. "Ich HÄTTE dich getötet, wenn ich nicht gesehen hätte, wie deine Menschlichkeit erhalten geblieben ist."
 

Serah umarmte Snow mit einem Arm, mit dem anderen tippte sie Mog an, der vor Schreck ohnmächtig geworden war.
 

"Versuche das nie wieder, Noel!", sagte sie todernst und von Snows Würgen noch ziemlich heiser. "Auch wenn du es nur gut gemeint hast, versuche nie wieder Snow zu töten!", sie musste husten, "Wenn du es jemals wieder versuchst, dann töte zuerst mich!"
 

"Aber-", setzte Noel an, doch ihr zutiefst missbilligender Blick ließ ihn verstummen.
 

Die Strenge mit der sie ihn maß, weil er anscheinend verfrüht zu einem Todesurteil gegriffen hatte, erinnerte ihn wieder daran, dass die süße liebenswerte Serah eine äußerst willenstarke Persönlichkeit war und ihre Meinung sehr gut in seinen Kopf projizieren konnte. So richtig es ihm vorhin nach geschienen hatte einen Menschen zu töten der an der Schwelle zum Cie'th stand, so voreilig und voreingenommen kam er sich nun vor. So musste sich ein von ihr gescholtener Schüler fühlen! Natürlich konnte er aber niemals gutheißen Serah zu töten, wenn es für Snow einmal wirklich soweit sein sollte unumkehrbar zum Cie'th zu werden. Ebensowenig wie er sein Schwert gegen Jul erheben würde, würde er damit Serah niederstrecken.

Eiliges und teilweise widerstrebendes schlurfendes Fußstapfen war draußen zu hören, als die NORA-Meute sich durch den Sand pflügte und ins Haus drängte, Lebreau an der Spitze.

Der Blick mit dem sie seine bedröppelte zusammengesunkene Gestalt maß, an deren Seite Todeswerkzeuge lagen, erinnerte ihn an den Serahs und schließlich fühlte er sich an den äußerst peinlichen Moment, wo ihn seine Großmutter mit der Hand in der Pluderhose erwischt und mit eben einem solchen Blick gemaßregelt hatte, erinnert. Konnte man sich noch schlimmer fühlen, aller Ernst der Lage von zuvor beiseite?
 

"He, Snow, alles okay bei dir?", fragte ein ziemlich benommen wirkender Gadot.

"Lebreau hat gemeint, du hättest einen Anfall und Noel wollte dich umbringen!", sagte Yuj zweifelnd und kratzte sich an einer roten Stelle an seiner Brust.

"Was habt ihr denn hier noch für eine Open-End-Party geschmissen?", wollte Maqui gähnend wissen.
 

"Ich... wisst ihr...", begann Snow zögernd.
 

Sollte er es ihnen sagen? Schon einmal hatte er sie nicht über seinen Zustand mit einbezogen und damit ziemlich übel vor den Kopf gestoßen... andererseits wollte er ihnen keine Sorgen machen. Blödsinn! Er hatte ihnen bereits Sorgen bereitet!
 

"Ihr wisst doch, dass ich wieder ein L'Cie bin..."
 

"Ja!", kam es von seinen Freunden unisono.
 

"Und L'Cie bleiben nicht ewig L'Cie..."
 

Unheilschwangere Blicke wurden ausgetauscht.
 

"Wisst ihr, ich glaube, ich hatte einen schwachen Moment und mein Stigma bekam einen Schub. Noel glaubte, meine Zeit sei abgelaufen und wollte mich... nun ja, töten, bevor ich als Cie'th Amok laufe. Aber Serah konnte uns beide beruhigen!"
 

Den letzten Satz sprach Snow mit einem hoffnungsfrohen Lächeln, doch seine Freunde starrten ihn sehr skeptisch und teils erschrocken an.
 

"Er wollte dich umbringen?!?", brüllte Gadot protestierend.

"Serah, ist das wahr?", fragte Yuj mehr oder minder ungläubig.

"'Kay...", nuschelte Maqui völlig verschlafen und döste beinahe im Stehen ein.

"Snow, diese L'Cie-Sache gibt mir schwer zu denken", sagte Lebreau mit immer noch schreckgeweiteten Augen.
 

"Snow hat dies für mich auf sich genommen, bitte verurteilt ihn nicht", versuchte Serah zu beschwichtigen.
 

"Aber sie spricht doch genau das an, was ich die ganze Zeit über sagte! Snow ist ein kurzsichtiges Schwein, das sich in der Rolle als Held allzu sehr gefällt!", giftete Noel.
 

"WAS SAGST DU DA, DU WICHT?!?", donnerte Gadot und stürzte sich auf Noel. "Niemand beleidigt meinen Freund Snow in meiner Gegenwart!"
 

Noel kam rasch auf die Füße und wich ihm mit Leichtigkeit aus.
 

"Viele Grüße an den Kater", sagte er leise lächelnd, als Gadot wie ein tumbes Wildschwein gegen die Wand prallte und sich den Kopf, den er einem Stier gleich gesenkt hatte, hielt. "Ich glaube morgen wird's doppelt so schlimm sein."
 

Serah stand auf, eine Hand ruhte auf Snows Schulter.

"Ja, vielleicht hast du recht, Noel, aber wir können Snows Stigmatisierung nicht rückgängig machen, wir müssen mit seinem Zustand, so wie er jetzt ist, klar kommen und das beste daraus machen. Ihm deswegen Vorhaltungen zu machen hilft uns nicht weiter. Ich sage ja nicht, dass ich es gut finde, dass er dies getan hat!"
 

"Ich mache ihm Vorhaltungen, weil es sein nicht vorhandene Voraussicht ist, die ihn überhaupt auf solche Ideen bringt!", konterte Noel. "Er lernt ja scheinbar nicht dazu!"
 

"Snow hat es aber wahrscheinlich aus Opferbereitschaft getan und nicht aus mangelnder Voraussicht. Wenn er 100% geben kann, dann tut er das, egal was er dafür erdulden muss. Oh, Snow, du bist zu lieb!", seufzte Serah und streichelte sein Haar.
 

"Dass du mich so akzeptierst macht dich zu gut, Serah, zu gut", sagte Snow gerührt und wischte sich über die Augen.
 

"Ich halte es nicht im Kopf aus...", stöhnte Noel und schlug sich eine Hand vor die Stirn.
 

"Gut, wir werden hier offensichtlich nicht mehr gebraucht", stellte Yuj fest und machte sich zum Gehen und Maqui folgte ihm.
 

Lebreau sah weiterhin extrem skeptisch drein.

"Ihr habt Snow nicht so gesehen wie ich ihn gesehen habe! Er sah zum fürchten aus. Für einen Augenblick glaubte ich hinter seiner Fassade ein Ungeheuer zu erblicken! Wer sagt mir, dass das nicht gleich wieder losgeht?"
 

"Diese Garantie kann dir niemand geben", sagte Noel mit geschlossenen Augen und düsterem Lächeln, dann wurde er von Gadot gepackt und zu Boden gerungen.
 

"Hab ich dich, du Made!", rief dieser triumphierend.
 

Schnell wand sich Noel aus Gadots eisernem Griff wie ein Wiesel, seine Schlafanzughose jedoch verlor er bei dem Manöver (Dreimal verflucht, seien Snows verdammte Übergrößen!). Abermals extrem peinlich berührt verlor er sofort seine Agilität und prallte ungeschickt mit dem Rücken an die Wand. Als letzter Mensch einer sterbenden Welt, hatte er vor der endgültigen Einsamkeit nur wenige andere Menschen gekannt. Da war seine Großmutter gewesen, sein Mentor Caius natürlich und Jul. Es hatte noch ein paar andere Jäger gegeben. Die lustige und manchmal melancholische... wie war doch gleich ihr Name gewesen? Sie hatte Chocobos über alles geliebt, war aber oft von deren Rücken gefallen wegen chronischer Ungeschicklichkeit. Als sie dann im Staub lag, hatte sie immer gelacht.
 

"Wenn das mal nicht das Genick war, das so gekracht hat!"
 

"Wenn da mal nicht der Arsch aus dem Leim gegangen ist!", spottete der erfahrene... wie hieß er denn noch mal?
 

Von allen Jägern hatte er den präzisesten Speerwurf gehabt und stets viel Beute gemacht. Die beiden hingen immer zusammen herum, obwohl er gut zehn Jahre älter als sie gewesen war. Vielleicht hatte er sie als seine Tochter adoptiert, vielleicht war da mehr gewesen. Eines Tages aber, kurz nachdem Noels Großmutter verstorben war, passierte ein weiteres Unglück. Mitten in der Jagd hatte sie wie aus dem Nichts ein Behemoth angesprungen. Er war direkt in die Flanke ihres Chocobos gefallen und hatte auch nur den Vogel gewollt, doch als sie aus dem Sattel fiel, hatte sie weit weniger Glück als sonst gehabt. Schreiend hatte ihr Freund oder Ersatz-Vater nach dem riesigen Ungetüm seinen Speer geschleudert, doch die Wut und Rage ließen ihn den tödlichen Punkt verfehlen. Als die Bestie den scharfen Schmerz in der linken Vorderpratze spürte, ging sie wie von Sinnen auch auf ihn los. Auf die Hinterbeine aufgerichtet mit einer fürchterlichen Waffe in der Hand, schlug und preschte sie solange auf den Jäger und seinen Chocobo ein, bis nichts mehr übrig geblieben war, woran man ihn hätte identifizieren können.

So hatten es ihm die beiden anderen Jäger erzählt, die ihre Chocobos angespornt und mit ihnen davongeritten waren, als jage Ragnarök selbst hinter ihnen her. Kein normaler Mensch hätte diese Bestie töten können und Noel hatte ihnen geglaubt. Etwas zu töten, war auch teilweise eine Kopfsache. Dermaßen demoralisiert, hätten die beiden nichts zustandebringen können und doch hielt er sie für den Rest ihrer erbärmlichen Leben für Feiglinge. Als dann aber die Erkenntnis ihn traf, dass die fröhliche Chocobo-Bändigerin nun tot war (Das war unser letztes Weibchen...), kam er ins tiefe Grübeln.

Sicher, da war noch Jul, aber Jul war Jul. Er konnte für sie nicht... diese Art und Weise empfinden, wie er es vielleicht mit den anderen Mädchen und Frauen in der Siedlung gekonnt hätte. Überhaupt hatte er nie... so empfunden. Wenn man mal darüber nachdachte, wäre es ohnehin sinnlos gewesen, die Menschheit würde definitiv aussterben. Also hatte er sich ganz auf sein Wächterdasein fixiert. Im Geheimen musste er allerdings dennoch manchmal darüber nachdenken. Was wäre... wenn doch...? Wenn Jul entweder Caius oder ihn als neuen Adam akzeptieren würde? Mal angenommen sie würde bis zur Geburt überleben und mal angenommen das Kind wäre weiblich... dann könnten sie eine inzestuöse Familie gründen und Backwood-Horrorfilme drehen. Schluss! Aus! Ende! Nieder mit solchen Gedanken!

Aber diese Gedanken waren immer wieder gekommen und sie endeten nicht unbedingt mit Kindern, sondern einfach mit... Sex.

Das Tabu dieses Gedankens hatte ihm mentale Ohrfeigen verpasst, bis er glaubte innerlich zu explodieren. Als letzter Mensch als Jungfrau sterben zu müssen, kam ihm sehr traurig vor, trauriger noch als überhaupt sein ganzer Lebensumstand und so hatte er einmal allen Mut zusammengenommen und halb im Scherz zu Caius gesagt:
 

"Würde Jul vielleicht keine Visionen mehr bekommen, wenn sie keine Jungfrau mehr wäre?"
 

Darauf hatte Caius ihn so mitleidig angesehen, dass er sich in Grund und Boden geschämt hatte...
 

"Jazz-Musik macht Babys schwul, wusstest du das?", sagte Caius plötzlich zu ihm und dann teilten sie einen der seltenen Momente, wo sie wirklich einmal herzhaft lachen konnten.
 

Das Dilemma war also geblieben. Er war mit seiner Intimität und seiner Sexualität die ganze Zeit über alleine gewesen und nun wurde er von allen Seiten damit konfrontiert. Snows nasser Körper und das Wasser aus dem kaputten Wasserhahn hatten Serahs Nachthemd durchsichtig werden lassen und sie trug keinen BH...

Schnell wie mit Hastga beschleunigt, raste er in sein Zimmer und knallte die Tür zu. Niemand musste unbedingt noch seinen Ständer sehen. Niemand.
 

Obwohl Snow sich ziemlich ungeschickt anstellte, schaffte er es nach einiger Zeit den Wasserzulauf des Wasserhahns abzuklemmen und er versuchte nun all des Wassers Herr zu werden, was die Küche unter Wasser setzte und bereits den Teppich des Wohnzimmers kräftig ruiniert hatte. Serah wischte es auf und wrang die durchnässten Lappen in ihren Putzeimer aus. Sie war die einzige, die ihm half (Mog hatte sich entschuldigt mit diesen kurzen Armen leider, leider nicht helfen zu können).
 

"Mit dem Teppich ist es aus...", bemerkte Snow verdrießlich und zutiefst beschämt, als er versuchte mit einem Handtuch, die Feuchtigkeit aus dem Stoff zu tupfen.
 

Serah sah auf und meinte: "Snow... mach dir doch deswegen keine Gedanken!"
 

"Richtig, ich besorge uns einfach einen neuen! Einen viel schöneren!", sagte Snow auf einmal äußerst motiviert. "Ein bisschen Grabräuberei auf Cocoon... schon haben wir hier einen Edelteppich nach PSIKOM- oder Eden-Art!"
 

"Ich glaube nicht, dass ich etwas von diesen Leuten hier liegen haben will..."
 

"Stimmt... na ja, so ernst habe ich das auch nicht gemeint, war mehr so eine Idee... In Cocoon liegt doch viel herum, was noch intakt ist und das die Leute hier gut brauchen könnten und dort oben eben nicht mehr gebraucht wird... Ohne jetzt taktlos gegenüber den Opfern sein zu wollen, ich meine das rein pragmatisch. Die Toten können nichts dagegen haben, wenn wir ihren Sachen um der Überlebenden willen einen neuen Sinn verleihen. Auf diese Sachen zu verzichten wäre als würde man Schuldgefühle aufgrund des eigenen Überlebens haben. Sich dafür zu entschuldigen noch am Leben zu sein, das ist doch pervers!"
 

"Du hast recht", sagte Serah. Ihr seitlicher Pferdeschwanz hing mit der Spitze ins Wasser, als sie sich auf den Knien wieder vorbeugte um Wasser mit dem Lappen aufzunehmen. Aus irgendeinem Grund spukte plötzlich das Wort "Nacktputzer" in Snows Gedanken herum und er senkte sofort den Blick auf sein Handtuch und tupfte weiter. Eigentlich traf dieser Gedanke viel mehr auf ihn zu, wie er hier fast unbekleidet und mit nass glänzender Haut kniete. "Wenn wir beginnen uns dafür zu schämen überlebt zu haben und keine Chance mehr haben uns von dieser Sünde reinzuwaschen, als selbst zu sterben, dann würden wir in einem nie endenden Teufelskreis aus Sühne leben. Aber sollten wir uns etwas nehmen, dann dürfen wir dies nicht respektlos tun", fügte sie noch hinzu.
 

"Serah", sagte Snow mit einem Mal sehr zerknirscht. "Ich kann das hier alleine machen, es war immerhin meine Schuld."
 

"In guten wie in schlechten Zeiten", antwortete Serah nur lachend, bevor sie ihren Lappen wieder über dem Eimer auswrang.
 

Snow fühlte, wie sein Herz von einem sehr warmen angenehmen Gefühl umschmeichelt wurde.
 

Noel hatte sich im Gegensatz zu Lebreau nicht wieder schlafen gelegt, sondern versuchte seine Latte verzweifelt mit psychosomatischen Methoden loszuwerden. Er hielt sein rechtes Ohr an die Zimmertür gepresst und belauschte Serahs und Snows Gesabbel. Ihre triefenden Schnulzereien erweckten in ihm die Sicherheit einen neuen Rekord im Weitkotzen aufstellen zu können, doch zur Abtörnung hatte es bisher leider noch nicht gereicht.

In guten wie in schlechten Zeiten, schleim, schleim, Serah, du darfst auf mir kriechendem staubfressendem Etwas deine Schuhe abwischen, schleim, schleim, aber Snow, sülz, schnodder, ich liebe dich sooo sehr, lass uns schauen wer besser unter den anderen kriechen kann, schleim, schleim.

Genau so hörte es sich stets für ihn an wann immer Snow und Serah zusammen waren. Der rosa glitzernde Kitsch, der ihm dann immer um die Ohren plüschte, weckte den Behemoth in ihm.

Snow, isch will dieschen Täppisch nischt kaufen! Natürlich Serah! Du hast ja so recht! Nein, Snow, du hast recht! Nein, Serah, ich lag ja so falsch! Snow, mein Höschen wird ganz feucht von deinem Gutmenschentum! Aber du bist doch die Gute von uns beiden, Serah! Kotz! Würg!

Endlich schrumpfte seine Erektion wieder zusammen. Nicht, dass er manchmal nicht gern wichste, aber momentan war ihm überhaupt nicht danach. Auch glaubte er, dass der tugendhafte Wächter der Seherin nicht solche... menschlichen Laster haben sollte. Gut, er war ein Mensch, aber mit höheren Verpflichtungen. Da hatte er körperlich und geistig fit zu sein und nicht den ganzen Tag im Bett mit sich selbst zu verbringen. Die Zukunft selbst lastete auf seinen Schultern. Wie konnte er es da überhaupt wagen seinen niederen Instinkte Zugang zu seinen Gedanken zu gewähren?

Und wieso mutierte Serah immer zum Heimchen am Herd, wenn Snow da war? Sie hatte so viel mehr auf dem Kasten, das wusste er zu gut von ihren gemeinsamen Reisen. Es war einfach nicht mit anzusehen. Snow hatte sie nicht verdient und das wusste dieser Blödmann wahrscheinlich auch. Leider fehlte ihm aber dieser Ticken Geringschätzung gegenüber sich selber, um sich Serah nicht zumuten zu wollen. Ha, mal wieder ein Beweis seiner Inkonsequenz.

Aber es gab einen kleinen Silberstreif am Horizont. Als Snow im Auenwald von Sunleth mit einem dummen Grinsen gesagt hatte, die Hochzeit sei vorerst vertagt, direkt nachdem Serah ihn stolz als ihren Verlobten vorgestellt hatte, hatte sie sehr betrübt ausgesehen. Noel wollte das einfach als Erkenntnis ihrerseits verstehen, dass sie gemerkt hatte, wie Snow alles nach seinem Willen bestimmte ohne Rücksicht auf ihre Gefühle. Wenn sie hingegen einfach nur traurig war, weil die Hochzeit sich hinauszögerte... nein! So vollkommen hörig konnte sie diesem 1,96 Meter Pavian doch nicht sein!

Jedenfalls... an diesem Punkt würde er ansetzen und ihre Beziehung, die eigentlich keine Beziehung war, Schrittchenweise aufdröseln. Sollten diese paar Tage Ferien also für irgendwas gut sein, dann dafür! Wenn Serah erst aus diesem Kleinmädchentraum aufwachte, würde sie ihm noch dankbar sein. Lieber Jungfrau bis ans Ende aller Tage als mit solch einem Vollhorst zusammen zu sein!

Zufrieden lächelnd blickte er aus dem Fenster der Dämmerung entgegen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück