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Blicke in die Vergangenheit

[Black Mirror]
von

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Willow Creek, 2005

Der Wind blies kalt und unbarmherzig um die Ecken der Häuser, als Denise früh am Morgen über den menschenleeren Marktplatz von Willow Creek eilte.

Ihre Schritten hallten ihr unangenehm in den Ohren, seitdem sie das warme, sichere Haus verlassen hatte; ein Gefühl, als beobachtete sie jemand, beschlich sie, doch immer, wenn sie unwillkürlich den Kopf umwandte und hinter sich blickte, traf ihr Blick nur auf Bekanntes. Das, was sie jeden Tag zu Gesicht bekam, seit mindestens zwanzig Jahren, wenn nicht sogar mehr.

In Willow Creek war seit mindestens einem Jahrhundert die Zeit stehen geblieben, denn nicht einmal Autos befuhren die engen Straßen, an den Häusern fehlten die Satellitenschüsseln und noch nie hatte sie von irgendwoher das Klingeln eines Mobiltelefons vernommen.

Hier veränderte sich nichts; nur alle zwölf Jahre geschahen hier Dinge, die nicht mit rechten Dingen zugingen, die sich keiner erklären wollte und von denen man hoffte, dass sie spurlos an einem vorbeizogen wie ein harmloses Sommergewitter und nicht zum tosenden Hagelsturm wurden.

Und heute, genau vor zwölf Jahren, war dieser junge Mann, sein Name war ihr im Laufe der Jahre entfallen, hier aufgetaucht. Ein Fremder, aus Amerika, der nicht hier her zu passen schien und doch so eng mit der dramatischen Geschichte der Gordons verknüpft war. Hatte sich hier umgesehen, Fragen gestellt, sich in Angelegenheiten gestürzt, die ihn fast für immer ins Gefängnis gebracht hätten.

Und es hatte Tote gegeben, unheimliche viele, mehr, als für Willow Creek gut gewesen war. Selten hatte der Totengräber so viel zu tun gehabt wie zu diesen verhängnisvollen Zeitpunkten, wenn die Welt nicht so verlief, wie sie es seit hunderten von Jahren gewohnt war.

Denise konnte nur hoffen und beten, dass es auch dieses Jahr nicht sie und ihre 12-Jährige Tochter traf, Annabelle hatte immerhin mit all diesen Vorkommnissen nichts zu tun. Sie selbst hatte auch nur als weit entfernte Zeugin etwas mitbekommen, war nie zu nahe an einen Mordschauplatz gelangt.

Sie erreichte das Geschäft, das eingequetscht zwischen Abayas Laden, in dem gar nicht mehr Abaya, sondern ihr Bruder Pavan arbeitete, und dem Ufer des Glace River keinen frohen Eindruck erweckte, und schloss die Tür auf.

Sie ahnte, dass heute nicht viele Kunden kamen, seit Tagen munkelte man im Dorf von Geistern, die gesichtet worden sein sollten und Wölfe, die sich um die verfallene Ruine des Schloss getummelt hatten, weil heute ein neues Grauen über sie alle kam. Aber selbst an normalen Tagen wurde der Laden nicht von Kundschaft gestürmt, dafür lebten hier einfach nicht genügend Menschen. Ein Wunder eigentlich, wie sie sich trotzdem so lange Zeit hier halten konnten. Mit kleineren Pausen natürlich, doch das hatte den Leuten gar nicht gefallen, sodass sie notgedrungen ihre Entscheidung, in eine größere Stadt zu ziehen, fallen gelassen hatte.

Ihre Schwangerschaft hatte noch ihr übriges dazu beigetragen.

Heute schien der Himmel auch nicht lichter zu werden, die dunklen Wolken hingen trotz des spürbaren Windes wie festgeklebt vor der Sonne und schenkten Willow Creek dieses fahle, unheimlich wirkende Licht, in das alles getaucht wurde. Gebäude, Straßen, die Wälder, jeder einzelne Mensch.

Denise versuchte, ihre aufsteigende Nervosität zu unterdrücken, in ihrem laden sollte sie sich sicher fühlen, in direkter Nähe war die Polizeistation, sie durfte sich nicht durch das Gerede seniler alter Frauen, die zu lange allein in ihren Wohnung saßen, aus der Fassung bringen lassen.

Das Böse sollte angeblich doch verflogen sein, hatte man sich ebenfalls zugeflüstert und in Richtung abgebranntes Schloss gespäht, das nach der Abreise des Gordonsprosses nie wieder angetastet worden war und zunehmend verfiel. Niemand trieb sich dort herum außer den neugierigen Wanderern, die den Geschichten über dieses wahnsinnige Geschlecht nicht wiederstehen konnten und sich selbst von der Existenz der Ruine überzeugen wollten.

Ins Innere des Ladens fiel auch heute wenig Licht, das trübsinnige Wetter hier war schuld daran; erst als sie die Lampen anschaltete, fühlte sie sich wohler. Vielleicht bildete sie sich das nur ein, weil sie zu viel auf das Gerede anderer gab, ohne es überprüfen zu können.

Um sich endgültig von solchen Gedanken abzulenken, ging Denise ihrer Arbeit nach, räumte die frische Ware von vor der Tür in die Auslage, nachdem sie diese noch einmal gereinigt hatte, und packte leere Kartons in den Lagerraum, der direkt an den Hauptbereich angrenzte.

Hier sah es nicht ganz so ordentlich aus wie hinter der Theke, allerlei Gerümpel und überflüssiges Zeug stapelte sich dort seit Monaten in den Regalen, aber hierher verirrte sich auch kein Kunde, man musste niemandem die Putzlappenansammlung präsentieren und für die Unordnung Rede und Antwort stehen.

Die alte Kühltruhe summte leise vor sich hin, sie müsste auch in naher Zukunft wieder abgetaut werden, Zeit genug fand sich dafür.

Die erste Kundin, die an diesem Tag den Laden betrat, war Inspector Liddy Frost, sozusagen die Nachfolgerin Conrads, die fast regelmäßig hier Donuts für sich und Zack Hitchins abholte.

Denise mochte Liddy nicht; nicht, weil sie jedes Mal beim Auftauchen dieser uniformierten Frau an die Jahre mit Conrad erinnert wurde, sondern weil Liddy sich oftmals unfreundlich und herablassend ihr gegenüber benahm. Entweder wurde man so durch das ständige Aufeinandertreffen mit Verbrechern und Mordschauplätzen oder die Polizei wählte mit Absicht nur Personen, die sich gerne wie die Axt im Wald aufführten. Liddy galt da definitiv als Paradebeispiel und Denise hatte schon oft mitgehört, wie jemand sich Conrad Spooner zurückwünschte, obwohl derjenige sich vor Jahren noch über dessen Art beklagt hatte.

Heute jedoch erschien Liddy handzahm, sie schien wohl die merkwürdige Stimmung, die Willow Creek erfasst hatte, zu bemerken und verzichtete daher darauf, schon am frühen Morgen über andere Menschen herzuziehen.

Es hätte Denise freuen müssen; stattdessen kroch wieder das Unbehagen in ihr hoch und ließ sich nicht zurückdrängen.

Jede Stimme, die sich an diesem Tag dem Laden näherte, wurde soweit es ging analysiert, so oft wie möglich spähte Denise durch das Schaufenster auf dem Marktplatz, um vielleicht ungewöhnliche Ereignisse beobachten zu können.

Nichts in der Richtung geschah, nicht einmal jemand Fremdes hatte das Dorf betreten. Kein plötzlicher Todesfall, keine übernatürlichen Phänomene. Nur Düsternis, ein kühler Wind und nervöse Gestalten in dicken Mänteln.

Gegen Abend, als sich schon längst keine Menschenseele mehr außerhalb der eigenen vier Wände blicken ließ, schloss Denise ordentlich den Laden ab, erkundigte sich noch einmal vorsichtshalber bei Zack nach Neuigkeiten, ohne dass er von etwas berichten konnte, und begab sich auf den Heimweg.

Daheim warteten bestimmt schon Annabelle auf sie, so wie jeden Tag, seit Conrad nicht mehr hier lebte.

Es würde heute nichts anders sein.

Nichts war geschehen, der Fluch war nicht nach Willow Creek zurückgekehrt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  whitePhobia
2012-03-30T20:30:27+00:00 30.03.2012 22:30
Ehrlich gesagt, war mir Denise in Black Mirror 3 nicht unbedingt sympathisch. Was wohl im großen und ganzen daran lag, dass sie ein Verhältnis mit Spooner hatte.
Die Situation die du jetzt, 12 Jahre nach den Vorfällen in Willow Creek, beschreibst ist sehr gut gemacht. Man erinnert sich an die ganzen Schauplätze zurück, die man im Spiel besucht hat. Dein rationaler Schreibstil unterscheidet sich deutlich von der melancholisch/ dramatischen Stimmung im Spiel und man merkt deutlich, dass der Fluch nicht mehr wirkt.
Alles in allem: Nette Idee, die gut umgesetzt wurde


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