Wie alles begann
Wie sollte man anfangen. Wo sollte man anfangen, um etwas zu erklären, was eigentlich gar nicht zu erklären war. Einen Umstand der beinahe mehr schlecht als recht war. Der nichts leichter machte, sondern nur noch komplizierter. Doch die Tatsache war eiserner Wahrheit. Aus der man nicht mehr so leicht rauskam. Wie denn auch, wenn man sich in etwas verrannte, was doch gar nicht gut gehen konnte.
Der blonde Sänger ließ sich schwerfällig auf die weiche Couch, in ihrem Proberaum der PS Company, fallen. Fuhr sich mit seinen schlanken Fingern, deren Nägel schwarz lackiert waren, durch das helle Haar. Ja wo sollte er anfangen? In letzter Zeit gingen ihm oft Gedanken über dieses Thema durch den Kopf. Er hatte sich da in etwas reingeritten was man hätte lieber lassen sollen. Nun gut. Einfach so wett machen konnte er es jetzt auch nicht mehr. Nur wann hatte das ganze Dilemma begonnen? Seine Augen schweiften durch den Raum, in dem unzählige Dinge rumstanden. Eine zweite Couch. Ihre ganzen Instrumente. Sein Mikroständer. Der Tisch voll mit Fressalien. Ja alles in allem war es ein bisschen chaotisch. Lag bestimmt an der Bandphilosophie.
Sie alle fünf waren schon ein ziemlich bunter Haufen. Jeder hatte seine eigenen Macken und komplett unterschiedliche Charaktere. Das war nicht immer leicht, aber Kouki war sich sicher, dass es genau das war was sie ausmachte. Er war unglaublich stolz auf seine Jungs und sich. Sie hatten bisher schon viel erreicht. Standen nun unter Vertrag der PS Company, das musste man erst mal hinkriegen. Waren erfolgreich. Die Fans mochten ihre Musik. Mochten ihre Art, wie sie sie lebten. Oft hatte man ihm schon gesagt, dass es den Anschein machte, als wäre bei ihnen immer alles happy happy joy joy. Lag bestimmt an den Texten die er schrieb. Nun ja im Grundsatz waren sie auch alle, gerade Kouki selbst, ziemliche Frohnaturen. Freilich ging das natürlich auch anders. Nicht das momentan der Haussegen schief hing. Nein ganz im Gegenteil. Sie arbeiteten an einem neuen Album. Das war immer besonders fesselnd, wenn auch anstrengend. Doch dieser Umstand machte dem blonden, jungen Mann nichts aus. Er liebte seinen Beruf. Er war glücklich, dass er die Musik zu seinem Job machen konnte. Das sie zu fünft wirklich so gut miteinander auskamen. Sicher ab und an schlugen dann doch die Wesen aufeinander. Aber das war alles nur halb so schlimm. Hoffentlich würde das auch in der Ferne so bleiben. Ja…da wäre man auch schon bei dem hauptsächlichen Problem angekommen.
Koukis Augen schlenderten zu Minase der gerade seine Drums mit einem großen Laken einpackte. Oh ja da war der Drummer sehr penibel, und wenn da auch nur von irgendwas, irgendwem ein kleiner Makel dran kam, würde wohl der nächste Weltkrieg ausbrechen. Oder so etwas in der Art. Dieser Gefahr sollte man sich lieber nicht aussetzen. Erfahrungswerte! Ein schweres Seufzen tat sich tief in seinem Inneren auf und langsam schloss er die Augen. Wo sollte er denn nur anfangen?
„Hey?! Wie wärs, wenn du mal was schaffst und hier nicht nur die ganze Zeit auf der faulen Haut sitzt!?“, drang es mit ein Mal an die Ohren des Sängers und sofort schlugen die ungeschminkten Augenlider wieder auf. Vor seinem Gesicht war ihr Gitarrist aufgetaucht der ihn nun grinsend ansah. Beinah etwas schockiert erwiderte Kouki den Blick in die dunklen Augen.
„Ich glaube nicht, dass Reika dir ein weiteres Mal die Putzfrau schiebt!“, flog es beinahe spöttisch über die Lippen des Gitarristen, dessen Haare eine rostrote Farbe trugen. Und wie das so war, hörten Besagtepersonen besonders gut, wenn sie es eigentlich nicht hören sollten. Daher dauerte es auch nur wenige, kurze Wimpernschläge bis Ibuki zusammenzuckte und auflachte. Denn eins der roten Kissen, die auf der anderen Couch lagen und nicht als Wurfgeschosse dienen sollten, wurde ihm an den Kopf gefeuert.
„DAS…habe ich ganz genau gehört!!!“, wetterte der dunkelhaarige Bassist aus der hintersten Ecke des Raumes. Gott verdammt wie konnte er das von da hinten hören?! Ibuki war sich mittlerweile sicher, dass Reika irgendwelche undefinierbare Sensoren für so etwas hatte. Wo er jene versteckte, hatte der junge Japaner noch nicht rausgefunden.
Sofort packte sich Ibuki das Kissen und drehte sich mit einem Ruck um, um es mit voller Wucht zurück zu verwerfen. Genau auf sein Opfer zielend.
„Dazu sag ich nur Maid Kleid!“, rief er laut durch den Raum und lachte. Alles klar, dass war der Moment in dem Ibuki noch schnell sein Testament unterschreiben sollte. Aufgrund dessen drehte er sich sogleich um und stürmte regelrecht aus dem Raum, sodass man nur noch einen lachenden Gitarristen von dannen rennen hörte und einen mindestens doppelt so schnellen, jedenfalls kam es Kouki so vor, Reika hinterher.
„JETZT BÜSST DU!“, donnerte es energisch aus dem Dunkelhaarigen und schon war auch er aus dem Proberaum verschwunden. Das Einzige was man noch hörte war ein aufschreiendes Ibuki.
Kouki mit gehobenen Augenbrauen, Minase mit schütteldem Kopf und Hikaru mit einem „Es ist immer das Selbe…“, blieben die drei zurück. In diesen Moment war Kouki froh, dass dies die Außenwelt recht selten mitbekam. Nun gut das Ibuki grundsätzlich das Opfer war, war nichts Neues. Allerdings könnte man die Band für komplett bekloppt halten, wenn man die Beiden so zusammen sehen würde. Wie kleine Kinder. Dennoch brachte es meist alle zum schmunzeln.
Ibuki und Reika waren schon so ziemlich verschieden. Und sie liebten es sich gegenseitig aufzustacheln. Vielleicht war es ja gerade der Grund warum Kouki sich für keinen von Beiden entscheiden konnte? Denn genau das war seine apokalyptische Komplikation. Seit einigen Tagen - nein er sollte es nicht so runter spielen - seit einigen mehreren Wochen hatte er was mit…ja nun ja mit Beiden. Allein bei dem Gedanken könnte sich der Sänger doch schon wieder im Erdboden vergraben. Das war kein Kavaliersdelikt. Das war eigentlich alles andere als gut. Denn weder Reika noch Ibuki wusste von dem jeweils Anderen.
Hm…man hätte es als ‚ziemlich bescheiden‘ ausdrücken können, in welcher Situation Kouki steckte. Aber ey…wie zur Hölle sollte er sich auch entscheiden? Und warum war das überhaupt alles so gekommen? Er hatte bestimmt nicht danach geschrien! Nun ja vielleicht nur ein klein bisschen. Gott ja…er mochte sie Beide. Und ja er hatte sich auch von beiden einwickeln lassen. Aber sie waren auch so verschieden. Genau das was sich doch jeder eigentlich wünschte, oder? Reika dominierte ihn. Bei ihm konnte der große Sänger einfach mal das Mädchen mimen. Ihr Bassist war recht grob, wenn er wollte. Was Kouki wohl so ziemlich anzog. Da warf er sich gerne für ihn aufs Bett und ließ es sich so richtig besorgen. Ganz schön erbärmlich, wenn er jetzt darüber nachdachte. Aber so war es nun mal. Warum sollte man irgendwelche Tatsache schön reden? Irgendwann musste man ja mal realistisch an die Sache rangehen. Das alles lief anders bei Ibuki. Da war es ein Stück sanfter. Zärtlich wie man es benennen könnte. Was nicht heißen sollte, dass es bei ihnen nicht auch heiß her ging. Der Gitarrist konnte ganz schön aufdrehen was Kouki das erste Mal wahrhaftig schockiert hatte. Doch Ibuki war die Schulter an der sich auch mal ausruhen konnte. Außerdem war er bei ihm selbst Herr im Bett –bis vielleicht auf die ein oder andere Ausnahme-! Was er sich bei Reika ja eigentlich abschminken konnte. Womit man das Problem knallhart definiert hatte. Bei Beiden konnte er sich anders verhalten. Etwas anderes aus leben. Er mochte Situation eins und Situation zwei.
Wie ging man nun damit um? Kouki hatte mit keinem eine Beziehung. Also nicht so eine Beziehung was man mit Beziehung meist meinte. Keine Bindung eben. Es war ein rein sexuelles Verhältnis. War es dadurch nicht etwas weniger tragisch, dass er zweigleisig fuhr? Nein war es nicht. Aber hallo?! Sowas konnte man doch nicht einfach so raushauen! Haha…immerhin wollte Kouki keinen von Beiden missen, oder verzichten müssen. Auswegs lose Situation, nicht wahr?
Schon wieder war der Sänger in seinen Gedanken versunken, bis ihn schließlich der Drummer aus dem tiefen Meer fischte.
„Kouki! Du schlägst Wurzeln! Beseitige wenigstens den ganzen Kram vom Tisch. Wir können es hier nicht wie in einem Saustall hinterlassen. Sonst zweifelt man wieder an unserer Kompetenz!“, sagte Minase ernst und grinste allerdings doch im nächsten Moment.
Der Angesprochene hob den Kopf und sah zu dem Dunkelhaarigen. Sein Grinsen steckte sofort an.
„Seit wann wird an unserer Kompetenz gezweifelt?!“
„Seitdem die ganze PS Company weiß, dass sich unsere Member schlagen! Am Ende haben wir auch noch den Ruf weg: nach uns kommt die Sintflut…“, gab Minase von sich und erhob sich von Boden, da seine Drums nun ordentlich eingepackt waren. Wie ein Küken in weiche Watte.
Kouki konnte sich das Schmunzeln nicht verkneifen. Er erhob sich sofort von dem Ledersofa und machte sich daran das unendlich Chaos von Notenblättern, Essen und Bastellein, die meist aus Langeweile von Hikaru entstanden, zu beseitigen. Nein das konnte man wirklich keinem zumuten. Was waren sie doch auch ein Haufen von Chaoten. Manchmal wunderte sich Kouki wahrhaftig, dass sie Disziplin aufbringen konnte um Songs fertig zu stellen. War ein siebtes Weltwunder oder etwas in der Art.
Die Tür von ihrem Proberaum flog auf und ein triumphierender Reika kam hinein stolziert. Sein schelmisches Grinsen reichte bis nach Bagdad! Ibuki schlürfte ihm hinterher und rieb sich den Nacken. Hm seine Haare sahen etwas zerzaust aus, doch auch er grinste.
„Na hat dir Mommy gezeigt wer der Boss ist?“, floss es über die Lippen ihres Blondies.
„Mommy?! ‚Mommy‘ kann es dir auch gleich noch mal zeigen!“, drohte der Bassist schmunzelnd.
Das brachte Minase zum Lachen. Wieso kam ihm da gleich das Bild von einem Reika als Hausfrau in den Sinn? Doch im Gegensatz zu Ibuki war der Drummer da um einiges schlauer und behielt dies lieber für sich.
„Pff… als ob!“, gab Ibuki beleidigt von sich.
Grinsend ging Reika an ihrem Gitarristen vorbei und kniff ihm in die Wange. „Irgendwann wird er es lernen!“. Sofort schlug der Kleinere die Hand weg und sah ihn an.
„Irgendwann…schneide ich dir die Steigbügel von deinem Rösschen ab…dann kommst du da nicht mehr hoch!“ Das wissende Grinsen konnte sich Ibuki allerdings nicht verkneifen.
Für Außenstehende machte es sicherlich den Eindruck, als würden sich die Beiden auf den Tod nicht abkönnen. Doch das war nur Fassade. Denn im Grundsatz kamen sie sehr gut miteinander aus. Wussten wo die Grenzen waren und hielten sich mit ihren Stichelleien wahrscheinlich nur jung. Was Kouki und die Anderen so ziemlich beruhigt. Teilweise konnte man denken sie schlagen sich noch die Köpfe ein.
Ja die beiden Männer die das Leben des Blonden vollkommen auf den Kopf gestellt hatten. Ganz unbewusst schlich sich doch ein sanftes Lächeln auf seine Lippen. Eigentlich war es doch ganz schön so.
Reika, der immer noch grinste wie ein Honigkuchenpferd, machte sich derweil wieder an die Arbeit seinen Bass zu verstauen. Pflichtbewusst war er ja. Ibuki hingegen entschied sich Kouki etwas zu helfen. Immerhin wurde die Hälfte vom Tisch von seinem Leckerrein besudelt. In den Schlund musste eben grundsätzlich immer irgendwas reingeschoben werden. Was man nun wahrscheinlich auch falsch verstehen konnte.
„Sehen wir uns heute Abend?“, flüsterte der Gitarrist schließlich leise und schmunzelte.
„Sicher…um acht?“, erwiderte Kouki mindestens genauso leise und mit eben demselben Gesichtsausdruck.
„Perfekt…!“. Schon wanderte eine Salzstange zwischen die grinsenden Lippen des Kleineren.
