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Auch Engel essen Fleisch

von

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Kapitel 3

„Ach, du bist also Klassensprecherin?“, klang sie wirklich aufrichtig interessiert.

Beinahe 90 % der Strecke hatten sie bereits zurückgelegt.

Noch nie zuvor hatte Luise Mathematik so verabscheut.

„Das ist eigentlich nichts Aufregendes. Ich teile maximal ein paar Blätter aus, mehr ist da nicht zu tun.“, spielte sie ihren Posten herunter.

„Und du hilfst ratlosen Schülern ihre Klasse zu finden.“, fügte Sarah hinzu.

„Ich hatte keine Wahl, oder? Ich hatte doch versprochen mich um dich zu kümmern.“, erinnerte sie.

Sarah seufzte tief.

„Tut mir leid, dass ich so eine große Last für dich darstelle.“

Wieder wusste Luise nicht, ob sie es aufrichtig meinte, oder nicht.

„Aber nein, du bist keine Last!“, betonte sie es dennoch nochmals.

„Noch nicht.“, verbesserte Sarah schnell.

Als sie Luises verdutztes Gesicht sah, fuhr sie schnell fort.

„Stell dir mal vor, du könntest deinen Posten als Klassensprecherin mehr ausfüllen. Ihm einen tieferen Sinn verleihen.“, sagte sie beschwörend.

Wieder einmal wurde Luise bewusst, dass sie nie einen Schimmer hatte, was dieses Mädchen gerade dachte.

„Es ist so, scheinbar seid ihr mit dem Stoff eine klitze Kleinigkeit voraus, zumindest was meinen Wissensstand anbelangt. Ich meine, Quadratische Gleichungen, bitte! Gleichungen sind schwer genug, da ist wohl nicht nötig auch noch Flächenberechnungen mit ins Spiel zu bringen, oder?“, regte sich Sarah künstlich auf.

„Mhm.“, war alles was Luise im ersten Moment erwidern konnte.

„Du hilfst mir doch, oder? Du hast versprochen, ein Auge auf mich zu werfen!“, erinnerte die Bittstellerin.

Naja, Luise hatte wirklich ein Auge auf Sarah geworfen, aber wurde ihr der Spieß jetzt etwa umgedreht?

„Ich habe lediglich zugesichert, dir während der Eingewöhnungszeit in der neuen Schule zu helfen.“, stellte sie klar.

Sarah stellte sich nun vor Luise, um ihr den Weg abzuschneiden.

„Und am besten hilfst du mir indem ich mich schnellstens an dieses Zeug gewöhne.“, startete sie einen weiteren Versuch.

Luise erinnerte sich daran, wie sehr es ihr gefallen war, schon alleine zu lernen, da Sarah ständig vor ihrem geistigen Auge auftauchte. Wie würde es erst aussehen, wenn sie dies vor ihrem physischen Auge tat?

„Naja… ein paar Tipps kann ich dir sicher geben.“, sagte sie, ohne Sarah direkt anzusehen.

Diese klatschte freudig die Hände zusammen.

„Perfekt! Dann schaue ich heute Abend bei dir vorbei und bringe meine Bücher mit. Wäre dir 19 Uhr recht?“

Luise rang sich ein Lächeln ab und sagte schließlich zu.

„Du bist die Beste!“, erwiderte Sarah und schloss sie für ein paar wenige Sekunden in die Arme.

Doch es waren wertvolle Sekunden, wie Luise fand.

Sarah verabschiedete sich von ihr und versicherte ihr, dass sie sich bereits auf den gemeinsamen Lernabend freute.

Und Luise?
 

„Was? Du hast sie doch noch angetroffen? Und ihr seid gemeinsam nach Hause gegangen?“

Luise war gerade in ihre bequemen Hausschuhe geschlüpft und hatte erst ihren Schulranzen, dann sich selbst auf das Bett fallen lassen.

„Und dann hat sie verlangt, dass ich mit ihr lernen soll.“, erzählte sie, als würde es sich darum um etwas Schlechtes handeln.

„Sag mal Luise… diese Sarah existiert doch wirklich, oder? Ich höre ständig von ihr, aber sehe sie nicht.“, sprach Sabine mit einer mysteriösen Stimme.

Luise ließ sich diesen Gedanken einen Moment lang durch den Kopf gehen. Was, wenn Sarah wirklich nur ein Trugbild wäre? Wenn sie sich so eine tolle Person nur eingebildet hatte? Sarah war unglaublich attraktiv und lebensfroh, wieso sollte sich so jemand mit Luise abgeben wollen?

„Ich bin sicher, du wirst sie spätestens morgen in der Schule kennen lernen.“, versuchte sie ihre Freundin zu besänftigten.

Sabine murrte unzufrieden.

„Und was ist mit dir? Wirst du heute Abend einen Versuch unternehmen sie zu verführen?“, fragte sie interessiert.

Luise seufzte. Auf was für Gedanken kam ihre beste Freundin nur immer?

„Sarah ist genauso an Liebschaften unter Mädchen interessiert wie du an deiner Bildung.“

„Autsch. Womit habe ich das verdient?“

Luise ließ sich nach hinten fallen, ihr Kopf landete weich auf dem Kissen.

„Ich bin glücklich genug, dass sie und ich uns so gut verstehen. Zudem habe ich sie erst gestern kennen gelernt, mehr kann ich doch gar nicht erwarten.“, stellte sie klar.

Sabine schien jedoch anderer Ansicht zu sein.

„Meine beste Freundin hat alles Glück dieser Welt verdient, finde ich zumindest.“

Luise hauchte einen kurzen Dank heraus, der aber nicht wirklich aufrichtig klang.

„Oder… glaubst du das nicht wegen der Sache damals? Bist du immer noch so verletzt wegen Svenja?“

Luise drückte das Handy fester zusammen.

Sabine hatte es getan. Obwohl sie das Mädchen gebeten hatte, niemals mehr über dieses Thema zu sprechen.

„Vergleich Sarah jetzt nicht mit Svenja!“, ermahnte sie sie.

Sabine entschuldigte sich gleich darauf.

„Ja ja, tut mir leid. Aber so wie du mir Sarah beschreibst, scheinst sie ganz in Ordnung zu sein. Etwas ausgeflippt, aber ehrlich.“

Luise sah aus dem Fenster.

Sarahs Zimmer lag auf der anderen Seite des Nachbarhauses, es wäre auch zu schön gewesen sie sehen zu können, wann immer sie wollte. Wie eine heimliche Verehrerin, ständig in ihre Welt blickend. Aber was dachte Luise da eigentlich?

Sarah wollte sich mit ihr persönlich treffen, mit ihr reden und lernen.

Besser hätte sie es gar nicht treffen können, oder?

„Am besten verkleide ich mich als Anime-Figur, dann könnte es durchaus sein, dass Sarah doch auf mich abfahren könnte.“

Sabine kicherte.

„Was müsstest du dafür tun?“, fragte sie gespannt.

Luise hatte zwei Stunden damit zugebracht um sich einen raschen Überblick über Sarahs Hobby zu verschaffen.

„Zuerst die Haare färben, am besten in einem schrillen Ton, wie pink oder blau. Dann die Lippen chirurgisch entfernen lassen und außerdem eine Augenvergrößerung, sofern die moderne Medizin zu sowas im Stande ist.“, überlegte sie laut.

„Hört sich schmerzhaft an, würdest du für Sarah wirklich so ein Opfer bringen?“, hakte Sabine nach.

Luise wusste, dass sie übertrieb, aber hatte sie recht?

Wie sehr wäre sie bereit sich zu verändern, nur damit Sarah sie nicht nur als Nachbarin und Nachhilfelehrerin ansah?

„Und du? Würdest du mich danach noch als Freundin haben wollen?“, hakte Luise nach.

Sabine überlegte einen Moment.

„Offen oder heimlich?“

„Ich mach Schluss, Sarah kommt bald.“, speiste sie ihre Freundin schließlich ab.

„Wenn es sein muss. Dann nehme ich an, kommst du heute nicht mehr in den JFC?“

Luise stöhnte auf.

„Du weißt doch, dass ich nicht mehr so gerne hingehe wie früher. Außerdem sind dort größtenteils ohnehin nur Leute aus unserer Schule, die sehe ich ohnehin jeden Tag.“

Sabine akzeptierte Luises Widerwillen und legte schließlich auf. Natürlich nicht, ohne ihrer Freundin noch viel Glück zu wünschen.

Diesmal takelte sich Luise nicht auf, wie es Sarah genannt hatte.

Diesmal würde sie einen professionellen, aber nicht zu lehrerhaften Eindruck erwecken. Sie wollte, dass Sarah sie ernst nahm, sofern das bei dem Mädchen überhaupt möglich war.

„Luise, deine neue Freundin ist da!“, rief ihrer Mutter vergnügt nach oben.

Luise wurde nervös als sie diesen Ausdruck vernahm.

Sarah war nicht ihre neue Freundin. Oder?

Luise hatte ihr Zimmer so gut es ging aufgeräumt, alles was noch einigermaßen kompromittierend wirken konnte, war alles was nicht nach Sarahs Geschmack war.

Also hastete Luise schnell die Treppe hinunter um Sarah persönlich in Empfang zu nehmen.

Wieder ein anderes Outfit, dachte Luise als sie Sarah neben ihrer Mutter stehend vorfand.

Zog sie sich einfach gerne um, oder wollte sie Luise damit beeindrucken? Schließlich war es ein gewöhnlicher Lernabend, selbst ein Jogginganzug hätte gereicht.

„Heute ist es endlich soweit!“, entfuhr es der Nachhilfeschülerin triumphierend.

Luise starrte sie nur verdutzt an.

„Du kommst doch gerade aus deinem Zimmer, oder?“

Luise wollte etwas erwidern, bis ihre Mutter kurz klatschte.

„Gut, dann lasse ich euch mal allein, bei eurem Mädelsabend!“, klinkte sie sich aus und schlenderte in Richtung Wohnzimmer.

Sarah hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und wirkte etwas verlegen.

„Gut ich würde vorschlagen, du folgst mir.“, deutete Luise nach oben.

„Vorschlag angenommen.“, stimmte Sarah zu und erklomm mit Luise die Treppe in den ersten Stock.

„Pass diesmal aber auf die Stufen auf.“, ermahnte sie Luise und Sarah schnitt ein eingeschnapptes Gesicht.

„Dort hat übrigens mein Bruder gehaust und tut es auch jetzt noch hin und wieder.“, wies Luise auf einen Raum an Ende des Flurs.

„Verstehe, dahin muss ich also gehen wenn ich Sexheftchen suche.“, kombinierte Sarah scharf.

Luise kicherte auf.

Ehrlich gesagt hatte sie keine Ahnung, ob Jonas sowas wirklich je besessen hatte oder nicht. Oder sollte sie vielleicht einen Versuch starten und unter seinem Bett nachsehen? Ach was, auf welche Ideen kam sie da bloß?

Sie zeigte Sarah noch die Tür zum Bad, bevor sie an ihrer Zimmertür angekommen waren.

„Warte einen Augenblick, ich muss mich vorbereiten.“, bat Sarah, doch Luise konnte ihr nicht folgen.

Sie würde ihr Zimmer eher langweilig finden anstatt aufregend.

Sie betraten Luises eigenes Reich und Sarah ließ ihren Blick schweifen.

„Cool, ein CD-Ständer. Ich kenne zwar keine davon, aber wollen wir nicht eine auflegen?“, hatte Sarah bereits ihr erstes Ziel entdeckt.

Luise jedoch schüttelte vehement den Kopf.

„Denkst du, du kannst dich so beim Lernen konzentrieren? Vielleicht später.“, entschied sie.

Sarah nickte eingeknickt.

Dann streifte ihr Blick über das Regal mit den Büchern und Zeitschriften.

„Ok, was haben wir hier? Sachbücher, ein paar Krimis….oh!“

Unzufrieden beobachtete Luise wie Sarah an ihren Sammlungen herumspielte.

„Dem Einband nach ein Liebesroman. Aber keine Sorge, ich habe mich auch schon ab und zu herabgelassen so etwas zu lesen.“, zwinkerte sie ihr verschwörerisch zu, und begann dann den Klappentext zu lesen.

„Hm… Anette ist zwar glücklich mit ihrem Beruf als Rallye-Reiterin, hat aber ständig nur Pech in der Liebe. Als ihr eines Tages ihre Kontrahentin Isabel begegnet, glaubt sie…“

Es war der zweite Moment an diesem Tag, als Luise Sarah näher kam als eigentlich geplant.

Schnell drängte sie sich neben sie und schob das Buch ins Regal zurück.

„Und dann verliebt sie sich unsterblich in deren Bruder, und Friede, Freude, Eierkuchen. Aber komm, wir sollten anfangen zu lernen!“, begann sie Sarah zu hetzen.

Diese stöhnte auf und ließ sich von Luise an deren Schreibtisch bringen.

„Hast du alles dabei?“, erkundigte sich Luise nach der Vorbereitung ihrer Schülerin.

Sarah nickte und holte ein Heft aus ihrer Tasche.

„Ich dachte du hast ohnehin eine Version des Mathebuchs.“, fügte sie hinzu und begann in Luises Büchse mit den Stiften zu greifen.

Luise bejahte und schlug das Buch an besagter Stelle auf.

„Was verstehst du denn genau nicht?“, wollte sie wissen.

„Mathe.“

Luise räusperte sich.

„Vielleicht noch ein Stück genauer?“, bat die Lehrerin gnädig.

Sarah begann damit ihr Problem zu schildern, dass Formeln zwar an sich eine gute Sache waren, die Umsetzung sich aber wesentlich schwieriger gestaltete.

Luise war erstaunt, als sich Sarah als aufmerksame, wenn auch nicht immer gleich verstehende Schülerin herausstellte.

Zwei mal bat sie auf die Toilette zu gehen und einmal darum, einen Blick in Jonas’ Zimmer werfen zu dürfen. Luise erlaubte genau zwei der Bitten.

Als die Hausaufgaben fertig waren und es Sarah tatsächlich gelungen war den Großteil davon alleine zu lösen, hopste sie vergnügt auf Luises Bett und kuschelte sich darin ein.

„So weich und flauschig!“

Luise schluckte.

Immerhin war es ebenfalls das Bett in dem sie heute und logischerweise die weiteren Tage, schlafen musste. Und jetzt hatte es außerdem noch Sarahs Geruch an sich, auch wenn Luise zugab damit leben zu können.

Doch Sarah verließ es recht schnell wieder und war zum CD-Ständer gewandert.

„Ist Melissa Etheridge empfehlenswert?“, hakte sie nach.

Scheinbar hatte es sich um eine rhetorische Frage gehandelt, denn sie war bereits daran die CD in den Player einzulegen.

Eine sanfte Ballade erklang aus den Boxen und Sarah streckte ihre Hände nach Luise aus.

„Ähhh… willst du etwa tanzen?“, fragte diese stockend.

Sarah zuckte mit den Schultern.

„Sofern du nichts peppigeres hast. Einen langsamen Tanz habe ich noch nie ausprobiert, also her mit deiner Hand.“, bat sie.

Luise war die Situation plötzlich unangenehm geworden.

Wieso hatte es Sarah heute nur ständig auf ihre Hand abgesehen? Nicht, dass sie groß Einwände gehabt hätte.

Doch es war bereits zu spät.

Sarah hatte ihre Hand ergriffen und schlang ihren rechten Arm um ihre Hüfte.

Luise versuchte gute Miene zum bösen Spiel zu machen und versuchte ebenfalls ihren Arm um Sarah zu legen.

Mit mäßigem Erfolg.

Das Mädchen musste nachhelfen und Luise spürte das Kribbeln in ihren Händen.

Langsam bewegten sie und Sarah sich voran und Luise nahm es nicht einmal wahr, dass Sarah ihr einmal kurz auf den Fuß trat.

„Und wie sieht es aus?“, wollte diese wissen.

„Wie… sieht was aus?“, konnte ihr Luise nicht folgen.

„Na, in Sachen Liebe!“, wurde Sarah konkreter.

Luise blickte sie an, als würde Medusa persönlich vor ihr stehen.

„Du brauchst gar nicht so schockiert zu tun. Liebesromane und solche langsamen Songs, entweder fühlst du dich liebestechnisch ausgehungert oder du bist extremst verknallt. Eines dieser beiden Dinge.“, stand für Sarah fest.

Luise unterbrach den Tanz und schritt zum CD-Player. Sie beendete den Abspielvorgang und sah dann zu Sarah.

„Es ist spät, dein Vater will bestimmt nicht, dass du solange weg bist.“, entgegnete sie und hoffte nicht zu streng und lehrerhaft zu wirken, wie sie es sich ja gerade geschworen hatte nicht zu sein.

Sarah nickte leicht und packte dann ihr Zeug in ihre Tasche.

„Du musst mir nichts von dir erzählen, wenn du nicht willst.“, gab sie klein bei.

Luise trat einen Schritt vor, ließ es dann aber bleiben.

Dabei stimmte das gar nicht. Sie wollte Sarah eine Menge von sich erzählen, sie wollte, dass dieses Mädchen erfuhr was für ein Mensch sie war.

Doch was dann? Luise hatte unendliches Glück gehabt, dass Sarah gegenüber Strebern sehr aufgeschlossen war, auch wenn Luise sich selbst nie so betitelt hätte.

Doch was wenn sie erfuhr, dass sie auf Frauen stand?

Sarah würde nie mehr ein Wort mit ihr wechseln. Weder in der Schule, noch wenn sie sich zufällig im Garten begegneten.

„Es ist nur… wir kennen uns erst seit gestern und…“, begann sie stotternd.

„Und du weißt nicht, ob du mich überhaupt magst, stimmt's?“, fuhr Sarah fort.

Luise riss die Augen weit auf.

Natürlich mochte sie Sarah, wie konnte Sarah nur so etwas Dummes behaupten, dass sie Sarah nicht mochte?

„Und jetzt belästigt dich die dumme Buhte auch noch, weil sie selbst zu blöd zum Lernen ist.“, strich sich Sarah peinlich berührt durchs Haar.

Sie wollte bereits wieder auf und davon, doch das konnte Luise nicht zulassen.

„Ähhh… du stehst nicht sonderlich auf Mahou Shoujos, oder?“

Luise hatte keinen blassen Schimmer ob das was sie gerade gesagt hatte, Sinn ergab.

Sarah drehte sich um und starrte sie gebannt an.

„So… nennt man das doch, oder?“, fragte Luise verlegen.

Sarah begann plötzlich in sich hinein zu lachen.

„Du hast dich darüber informiert?“

Luise nickte schnell.

„Natürlich, dein Hobby klingt sehr interessant und ich wollte auch mehr über dich erfahren.“

„Aber…“

„Du bist mir überhaupt nicht lästig und ich mag dich auch wirklich!“, versicherte ihr Luise.

Dann schluckte sie.

Sie kam sich beinahe wie bei einem Liebesgeständnis vor.

„Wirklich nicht?“

„Wirklich nicht!“

Daraufhin rückte Sarah sogar wieder ein Stück näher.

„Du hast recht. Wenn sie nicht gerade Meruru oder Mirakurun heißen, können sie mir gestohlen bleiben.“

Dann blickte sie kurz zur Seite.

„Und? Bist du schockiert?“, wollte sie von Luise wissen.

Diese hob nur fragend die Augenbrauen.

„Nunja, wenn man in die Welt eines Otakus eintaucht, können einem durchaus beängstigende Dinge begegnen.“

Luise strich sich verlegen den Oberarm entlang.

„Nein, es war wirklich sehr… aufschlussreich. Mein Wortschatz hat sich an einem einzigen Tag enorm gesteigert.“, musste sie zugeben.

Plötzlich schien Sarah etwas einzufallen und sie kramte in ihrer Tasche.

„Ich habe total vergessen, dass ich dir etwas mitgebracht habe.“, erwiderte sie und reichte Luise schließlich eine CD.

„Ich hoffe LiSA gefällt dir.“, lächelte sie sie an.

Luise nahm sie musternd entgegen.

„Ich habe dir doch gestern versprochen, dass ich dir meine Girdemo-CD leihe, oder? Aber du darfst sie behalten, ich habe sie extra für dich gebrannt.“, erklärte Sarah ihr Geschenk.

Luise schluckte? Extra für sie gebrannt? Sie hatte kein so persönliches Geschenk von Sarah erwartet, besonders nicht in der kurzen Zeit, in der sie sich kannten.

„Danke, ich werde bestimmt einmal reinhören, versprochen!“, nahm sie Luise dankbar entgegen.

„Sehr gut, also dann bis morgen.“, machte sich Sarah daran sich zu verabschieden.

Aber wollte Luise, dass sie bereits verschwand? Doch wie hätte sie sie zurückhalten sollen? Und aus was für einem Grund? Dabei hatte sie ihr noch so viel zu sagen!

Hatte sie dieses ganze Wissen völlig umsonst in sich aufgenommen?

Es half nichts.

Sie musste Sarah nach unten begleiten, wo sie das Mädchen zusammen mit ihrer Mutter verabschiedete.

„Sarah scheint ja einen guten Einfluss auf dich auszuüben, du wirkst sehr zufrieden.“, fiel Frau Fahlbusch auf.

Luise räusperte sich und trat dann den Rückweg in ihr Zimmer auf.

Dort legte sie die CD ein und ließ sich von der unbewohnten Musik berieseln.

Wenige Zeit später hörte sie lautes Klopfen, doch es schien von draußen zu kommen.

Schnell stellte sie die Musik ab und öffnete das Fenster.

Gerade noch rechtzeitig konnte sie sich wegducken, denn etwas Schnelles suchte seinen Weg in ihr Zimmer.

„Tut mir leid!“, erklang eine bekannte Stimme.

Schließlich konnte Luise das Ding als Kieselstein identifizieren.

„Ich wollte nur auf mich aufmerksam machen!“, rechtfertigte sich Sarah.

Tja, zumindest das war ihr gelungen.

„Was gibt es denn noch?“, rief Luise dem Mädchen zu, das sich über den Zaun gebeugt hatte und immer noch eine Ladung Kieselsteine in der Hand hielt.

„Ich habe nur die Musik gehört und wollte fragen wie sie dir gefällt.“, erklärte sie sich.

Luise seufzte hörbar.

„Großartig, lässt du jetzt mein Haus bitte in Ruhe?“

Sarah ließ die Kieselsteine auf den Boden kullern und hob resignierend die Hände.

„Reden wir morgen weiter?“, wollte sie stattdessen wissen.

Bestimmt, dachte Luise.

„Mal sehen.“, antwortete sie.

Zum zweiten Mal an diesem Tag verabschiedeten sie sich und Luise ging daraufhin zu Bett.

Ja, morgen, übermorgen und auch die Tage danach, wenn es nach ihr ging.
 

„Huhu!“

Noch nie hatte sich Luise über ein Huhu so sehr gefreut wie an diesem Tag.

Dann zögerte sie allerdings, als sie bemerkte, dass Sarah nicht alleine war. Zwei andere Mädchen hat sich um sie gescharrt, doch Luise folgte ihrem Drang schließlich.

„Schmeckt es?“, waren dies die einzigen Worte die ihr in den Sinn kamen.

Luise selbst hatte sich frisches Gebäck von dem Verkaufsstand geholt, der gegenüber dem Schulgebäude zu finden war.

Sarah und ihre scheinbar neuen Freundinnen hatten es ihr wohl kurz zuvor gleich getan.

Luise spürte die zweifelnden Blicke der anderen beiden Mädchen und sie konnte es nachvollziehen. Unter den dreien war sie es, die am meisten aus dem Raster fiel.

„Ihr kennt euch näher?“, wollte eine von ihnen wissen.

Sarah nickte, während sie noch kaute.

„Luise und ich sind Nachbarn, außerdem ist sie ziemlich schlau. Ohne sie wäre ich vielleicht sogar herabgestuft worden und ihr hättet keine Freude an mir.“, meinte sie belustigt.

„Ähh… Hi.“

Luise hätte sich selbst ohrfeigen können, doch das hätte lediglich zur Folge gehabt, dass die beiden Mädchen sie noch schräger angesehen hätten.

Dafür tat Sarah nun das, was Luise befürchtete. Sie klopfte auf den einzig noch freien Platz auf der Bank, auf der die Gruppe saß.

Was sollte das werden? Erkannte Sarah nicht, dass Luise nicht in diese Gruppe passte? Zu Hause war das etwas völlig anders, doch selbst hier schien sie keine Regeln zu kennen und nur zu tun, was ihr beliebte.

Trotz zunehmender Unsicherheit setzte sich Luise und begann damit an ihrem Brötchen herum zu kauen.

„Wo waren wir? Ich kenne noch keinen einzig guten Laden hier in der Stadt, ohne euch bin ich aufgeschmissen, ehrlich!“, beklagte sie sich.

Die Mädchen – Luise wollten ihre Namen partu nicht einfallen – berieten ihre neue Klassenkameradin so gut es ging.

Eine von ihnen machte Sarah auch Komplimente über ihr ohnehin schon so ausgewachsenes Modeempfinden und fragte sie woher sie ihren schicken Pulli hatte.

Luise verzog die Lippen.

Was war jetzt los? Mit ihren Klassenkameradinnen konnte Sarah über so banale Dinge wie Klamotten reden, aber bei ihr musste es ausgerechnet dieser Otaku-Kram sein?

Dann blickte sie an sich selbst herab. Banal. So konnte man auch ihren Kleidergeschmack bezeichnen.

„Oh, aber Luise hat auch einen sehr ausgefallenen Modegeschmack.“, entkam es Sarah dann.

Nicht nur die Mädchen sahen sie ungläubig an, auch Luise tut es.

„Stimmt doch! Mir gefiel dein Bananenhut, auch wenn das wohl nicht jeder tragen kann. Mir würde er sicher nicht stehen.“, kicherte sie und erzählte schnell von der Geschichte wie sie und Luise sich kennen gelernt hatten.

Ihre Klassenkameradinnen stimmten auf das Gelächter ein und Luise wurde immer mulmiger zu mute.

Was war hier nur los? War das der Dank dafür, dass sie Sarah beim Lernen geholfen hatte? Und warum zog sie die Erzählung so ins Lächerliche?

War ihre Begegnung nicht magisch gewesen? Hatte sie Luise nicht den schönsten Tag ihres Lebens beschert?

Einem der Mädchen schien unerwartet etwas einzufallen und es brauste los. Die andere folgte ihr auf dem Fuß, aber nicht ohne Sarah vorher bescheid zu sagen, dass sie nicht mitzukommen brauchte.

Also verschlang diese weiterhin ihr Pausenbrot und bekam erst nach einigen Sekunden Luises stechenden Blick zu spüren.

„Hm?“

„Nichts Hm! Wie kommst du nur dazu, mich vor anderen lächerlich zu machen? Glaubst du nicht, dass mir das peinlich sein könnte?“, fragte sie wütend.

Das verschreckte Sarah nun, nein, es verstörte sie regelrecht.

„Aber… es war doch eine witzige Situation, ich dachte, du könntest ebenfalls darüber lachen.“, rechtfertigte sie sich.

Doch Luise wand ihr Gesicht ab, weshalb sich Sarah murrend dazu durchrang sich zu entschuldigen.

Diese wollte etwas erwidern, bis ein stumpfer Schrei ertönte.

Wortlos sah sie zu wie ein Mädchen den weiten Platz zu ihnen her rannte.

Dabei winkte sie wie eine Verrückte und Luise hätte sich am liebsten gewünscht, so jemanden nicht zu kennen. Doch das tat sie leider.

Es handelte sich um Sabine.

Schnaufend hielt sie vor den beiden und streckte Sarah die Hand entgegen, welche sie zögernd entgegen nahm.

„Du bist also der sagenumwobene Eng… also Luises neue Nachbarin. Freut mich dich kennen zu lernen!“, sagte sie enthusiastisch und stellte sich dann als Luises beste Freundin vor.

„Rück mal ein Stück!“, bat sie und verdrängte Luise von der Kante der Sitzbank.

Das war albern, da zwischen ihr und Sarah noch jede Menge Platz gewesen wäre. Sollte das ein plumper Verkupplungsversuch werden?

Sie wollte Sarah zwar näher kommen, aber doch nicht auf physischer Ebene.

Doch dann ließ sie sich den Gedanken etwas genauer durch den Kopf gehen und fand die Vorstellung ganz interessant, Sarah auch physisch näher zu kommen.

Doch dann schüttelte sie hastig den Kopf und ermahnte sich selbst dafür, was ihr Gehirn da wieder fabrizierte.

Sabine war wesentlich aufdringlicher als ihre Freundin und begann Sarah auszufragen.

Einmal mehr musste sie Rede und Antwort stehen und vor einer neuen Person die sie gerade erst kennen gelernt hatte, ihre Lebensgeschichte ausbreiten.

Luise bemitleidete sie, fühlte aber auch Dankbarkeit gegenüber Sabine. Allein hätte sie sich nie getraut, Sarah zu bitten mehr von sich zu offenbaren.

Oder sie hätte zumindest Angst gehabt mit einer unendlichen Ladung japanischer Begriffe bombardiert zu werden.

„Wow, das klingt alles so interessant! Tut mir leid, wenn ich lästig bin.“, klatschte Sabine ihre Hände aneinander.

Sarah schüttelte sofort den Kopf.

„Aber nein, deine Art ist sehr erfrischend. Es fällt mir sogar schwer zu glauben, dass du und Luise befreundet seid.“, erwiderte sie.

Was war das jetzt wieder, dachte Luise.

„Ja, Luise geht sehr selten aus sich heraus, aber das bedeutet nicht, dass sie eine Person – sagen wir jetzt beispielsweise dich – nicht mag, oder so.“

Ein Ellbogen stieß Sabine leicht an.

„Ja, ich weiß. Luise hat mir ja bereits gestanden, dass sie mich mag.“, erklärte Sarah dem Mädchen.

Diese weitete die Augen und Luise schluckte schwer.

Woher stammte bloß Sarahs Talent, Worte so sehr zu verdrehen?

Die Glocke läutete und beendete die peinliche Situation.

„Gut, wir sehen uns.“, war Sarah aufgestanden und hatte den Rückweg angetreten.

Luise blickte zu Sabine und hätte ihr ihren verschwörerischen Blick und ihr hämisches Grinsen am liebsten aus dem Gesicht gerissen.

„Ich gebe zu, du hast Geschmack! Wenn ich lesbisch wäre…“

Luise bot ihr keine Gelegenheit den Satz zu vollenden. Sie war aufgestanden und hatte sich ebenfalls auf den Weg gemacht.

„Ich meine ja nur!“, entgegnete Sabine.

Zurück in der Klasse freute sich Luise bereits darauf wieder mit Sarah zu reden, vielleicht wieder gemeinsam mit ihr den Heimweg antreten zu dürfen.

Ihr Wunsch wurde nicht erfüllt.

Sie traf das Mädchen vor dem Schultor, doch Sarah erzählte ihr, dass sie Lena und Katrin auf eine Shopping-Tour eingeladen hätten. Luise spürte wie hippelig Sarah war, endlich die hiesigen Geschäfte näher unter die Lupe nehmen zu dürfen.

Doch konnte sie ihr kaum verdenken? Sarah lud sie zwar ein, sie zu begleiten, doch Luise lehnte ab.

Die Ausrede, ihrer Mutter im Haushalt zu helfen war zwar plump, aber besser als nichts.

Natürlich, es hätte Spaß gemacht, zusammen mit Sarah zu bummeln, doch sie wäre nur das lästige fünfte Rad am Wagen gewesen.

Sarah hatte bestimmt nur aus Höflichkeit gefragt, Luise hätte niemals zu dieser Gruppe gepasst.

Sabine konnte ihr Verhalten zwar nicht verstehen, doch Luise war auch nicht darauf angewiesen. Sie musste nichts mit Sarah unternehmen, immerhin hatte sie das Mädchen stets in ihrer Nähe.

Sie konnte sie sehen, wann immer zu wollte.

Und sie konnte an sie denken, wann immer sie wollte.
 

Nach einer Woche begann Luise ernsthaft zu zweifeln ob Sarah wirklich ehrlich ihr gegenüber war. Klar, sie sahen einander in fast jeder Pause und sie wohnten Haus an Haus. Sarah grüßte sie, schenkte ihr sogar ein Lächeln.

Konnte Luise noch mehr verlangen? Sollte sie das Mädchen vielleicht fragen ob sie wieder einmal zusammen lernen sollten? Aber würde man das nicht als zu aufdringlich werten?

Sarah hatte neue Freundinnen gefunden, vielleicht sogar eine Beste.

Wahrscheinlich dachte sie nicht mehr an Luise und diese wollte sich auch nicht zwanghaft in ihr Leben drängen.

Es war Freitag und Luise erblickte die zwei Klassenkameradinnen Sarahs an ihrem üblichen Platz.

Sie wusste nicht was sie sich dabei dachte, normalerweise sprach sie mit ihnen. Weder mit Leuten aus anderen Klassen, noch mit Mädchen die einen völlig anderen Stil als sie pflegten.

„Hey, ich will euch nicht stören, aber habt ihr heute schon Sarah gesehen?“, versuchte sie eine freundliche Miene beizubehalten.

Die Mädchen tauschten Blicke aus und schüttelten dann den Kopf.

„Keine Ahnung wo sie gerade steckt.“, entfuhr es der einen mit den kurzen schwarzen Haaren.

Luises Augenbrauen wanderten etwas nach oben.

„Achso. Ich habe nur gedacht, ihr als ihre besten Freundinnen wüsstet es vielleicht.“

Wieder Blicke, diesmal noch intensiver und skeptischer.

„Tun wir nicht, aber… bist du nicht ihre beste Freundin?“, hakte die Blonde nach.

Das erstaunte Luise nun sichtlich.

„Wie… kommt ihr darauf?“, wollte sie wissen.

Darauf folgte ein zeitgenössisches Achselzucken.

„Weiß nicht, sie redet oft von dir, und da ihr Nachbarn seid, dachten wir, ihr seid auch freundschaftlich verbunden.“, berichtete die Schwarzhaarige.

Luise schluckte.

Sarah redete oft von ihr? Sie hatte sie nicht vergessen? Sie hätte aufjubeln können, zumindest wenn sie allein gewesen wäre.

Luise bedankte sich und ließ die beiden alleine. Unsicher schlenderte sie zu Sarahs Klasse, auch wenn sie nicht erwartete diese dort vorzufinden.

Umso überraschter reagierte sie, als das Mädchen durch die offene Tür im Inneren des Raums sitzen sah.

Bisher hatte Sarah auf sie den Eindruck eines Freigeists gemacht, also wieso blieb sie nun freiwillig in der Klasse um zu lernen?

Langsam klopfte Luise an die Tür und Sarah blickte erschrocken zu ihr auf.

Eine Hand mitten im Haarschopf, die andere umklammerte einen dicken Kuli.

„Luischen?“

„Luise.“, wurde sie verbessert.

Sarah schob ihr Heft und ihre stifte beiseite und bahnte sich den Weg zu ihr.

„Das ist nicht deine Klasse.“, glaubte sie sagen zu müssen.

Luise nickte wissend.

„Und es ist Pause.“

Sarah wirkte nun etwas ertappt und wich ihrem Blick aus.

„Du erinnerst dich vielleicht, dass ich sagte, ich hätte Probleme mit Mathe, oder?“

Luise nickte nachdenklich, als wolle sie es aussehen lassen, dass sie sich nur noch dunkel erinnern würde.

„Das stimmte nur zu etwa 33,3 %.“, erklärte ihr Sarah.

„Und die restlichen 66,6?“, hakte sie nach.

„Physik und Chemie.“, gestand Sarah.

Luise seufzte tief.

„Du willst mir also sagen, dass sich deine Defizite auch darauf beziehen?“

Sarah schüttelte schnell den Kopf.

„Ne, ich bin einfach schlecht darin.“

Luise presste die Lippen zusammen.

„Genau das bedeutet es ja, Defizite zu haben.“

Sarah wand ihren Blick ab, als fühle sie sich schuldig.

„Wenn du willst… können wir gerne nochmal einen Lernabend einlegen und den Stoff den du nicht kapierst dran nehmen.“, bot sich Luise an.

Doch Sarah wirkte grüblerisch und unsicher.

„Aber… dann wäre ich doch nur wieder eine Last für dich.“, erwiderte sie.

Luises Kinn hob sich. Eine Last? Sarah? Wie kam sie darauf?

„Ich merke es doch an deinem Verhalten. Immer wenn wir aufeinander stoßen wirkst du so kühl und reserviert. Sicher hast du es satt dich immer um die dumme Neue kümmern zu müssen, die ohnehin nie etwas kapiert.“, offenbarte sie ihre Sichtweise.

Reflexartig packte Luise ihre Schultern und rüttelte sie leicht.

„Ich finde dich überhaupt nicht dumm! Es ist ganz normal, dass jeder andere Stärken hat, dafür hat man ja auch Freunde die einem helfen!“, redete sie auf sie ein.

Sarah rang sich ein Lächeln ab.

„Und ich würde dich nicht nur ausnutzen, wenn ich dich um Hilfe bitten würde?“, fragte sie zaghaft.

Luise verneinte vehement.

„Im Gegenteil, es macht mir Spaß mit dir zu lernen. Du bist immer so erfrischend und lebhaft. Es wäre mir eine Ehre zusammen mit dir lernen zu dürfen.“

Sarahs Reaktion war eine stürmische Umarmung.

„Danke, du bist die Beste! Mit Lena oder Katrin hätte ich nie Fortschritte gemacht, es sei denn in männlicher Anatomie.“

Luise musste lachen.

„Ich fürchte da hätte ich dir auch nicht viel helfen können.“, gestand sie.

Dann wurde ihr mulmig zumute, war aber froh, dass Sarah nicht weiter nachhakte.

Die Glocke zum Pausenende ertönte und sie verabredeten sich für Morgen Vormittag bei Luise.

Dieser wurde bewusst, dass es ihr völlig gleich war wo und wie sie Zeit mit diesem Engel verbrachte.

Wichtig war nur, dass sie es überhaupt durfte.
 

Spätestens als Luise wahrnahm, dass ihr Zimmer fürchterlich stank, wusste sie, dass sie es übertrieben hatte. Hätte es nicht gereicht einfach ein Fenster zu öffnen um den Mief auszutreiben, der sich die letzten Tage über angesammelt hatte? War es wirklich nötig extra ein Duftwasser zu verstreuen?

Immer wieder ermahnte sie sich, dass dies hier kein Date war und Sarah sie im besten Falle nur als gute Freundin haben wollte.

Darüber allein sollte sie schon mehr als glücklich sein, zumindest dachte sie das.

Frisch frisiert und mit frisch gebügelten Klamotten blickte sie auf die Uhr.

Was würde wohl ihre Mutter denken, wenn sie sie so sah? Jedes Mal wenn Sarah zu Besuch kam, grinste sie wie ein Clown und putzte sich fein heraus. Das musste doch auffällig auf andere wirken, oder?

„Luise, deine Freundin ist da!“, kaum das Rufen ihrer Mutter aus dem Erdgeschoss.

Luises linkes Auge zuckte bei dem Wort Freundin.

Schnell huschte sie die Treppe nach unten und begrüßte Sarah, die bereits motiviert ihr Heft schwang.

Nachdem Frau Fahlbusch bereitwillig zwei Gläser Orangensaft sponserte, verzogen sich die beiden in Luises Zimmer.

„Was riecht hier so?“, fragte Sarah auf einmal.

Luise schnitt ein ertapptes Gesicht, zum Glück entging es Sarah.

„Das liegt sicher am neuen Putzmittel das meine Mutter ausprobiert.“, versicherte sie und Sarah gab sich mit der Antwort zufrieden.

Daraufhin setzten sie sich und schlugen die Bücher auf.

„Wie war Keep the Beat?“, wollte Sarah wissen.

Luise brauchte etwas um sich zu entsinnen, dass es sich dabei um den Namen des Albums der bereitgestellten CD handelte.

„Anders.“, erwiderte Luise und fragte sich wie Sarah das aufnehmen würde.

„Wir müssen ja nicht dieselbe Musik mögen.“, zeigte sie sich wiedererwarten einsichtig.

Doch Luise wollte unbedingt Gemeinsamkeiten mit Sarah, sowas brauchten Freundinnen doch, oder?

Da ihr keine adäquate Antwort einfiel widmete sie sich wieder dem Physikbuch. Sarah strengte sich sichtlich an, scheinbar nahm sie das Lernen ernst, oder wollte Luise zumindest nicht enttäuschen.

Nach einer Stunde lehnte sie sich geschafft zurück.

„Pause!“, entschied sie und das in einem Ton, der keine Widerworte zuließ.

Luise gab ihr jedoch recht und sie wollte ihr auch nicht zu viel zumuten.

„Hast du Hunger? Ich könnte mal sehen ob noch etwas im Kühlschrank steht.“, fiel es ihr ein.

Sarah schien jedoch eine besser Idee parat zu haben.

„Du kennst doch diesen JFC, oder? Lena und Katrin haben davon geschwärmt.“

Luise blickte sie verdattert an.

Sarah bezog sich auf den Jugendfreizeit-Club, der sich gerade mal ein paar Querstraßen von der Schule entfernt befand. Noch vor wenigen Tagen hatte Sabine sie eingeladen, sie zu begleiten. Luise selbst hatte irgendwann aufgehört sich dafür zu interessieren.

„Willst du… dort hin?“, fragte sie Sarah zögernd und diese nickte ein paar mal demonstrativ.

Also schob Luise ihr Buch beiseite und stand auf.

„Warum eigentlich nicht? Es ist Freitag, wir können gern etwas zusammen unternehmen.“, willigte sie ein.

„Super, treffen wir uns in 15 Minuten unten, ich ziehe mich schnell um.“, erklärte Sarah und packte ihre Sachen.

Luise wollte andeuten dass dies gar nicht nötig war, da Sarah ohnehin bereits ausgehfertig auf sie wirkte, doch da war es bereits zu spät.

Als sie an sich selbst herabblickte wurde ihr jedoch bewusst, dass sie diesen Schritt noch vor sich hatte.

Dringend sogar.
 

Der JFC war nichts was man leichtsinnig als beeindruckend hätte beschreiben können. Es war ein normales, einstöckiges Gebäude, bestehend aus etwa 4 Hallen für alle möglichen sportlichen Aktivitäten, sowie mehreren kleinen Räumen für Computer – oder Gesellschaftsspiele.

Sarah hielt sich an Luise, was dieser zugegebenermaßen missfiel. Sie war selbst nicht der Typ für solche Örtlichkeiten, außer wenn Sabine sie mitschleifte.

Noch dazu verbanden sie einige unangenehme Erinnerungen an diesen Ort, von denen sie Sarah aber nichts erzählen wollte.

Beide begannen mit einer Runde Dart, als die Pfeile nach einiger Zeit frei wurden.

„Wir können auch etwas anderes machen, zu was hast du Lust?“, sagte Sarah dann auf einmal.

Luise drückte sich mit einem leisen Brummen aus.

Was gab es schon, womit sie Sarah hätte beeindrucken können?

Skaten? Wohl kaum. Selbst beim Eislaufen fiel sie ständig auf den Hintern.

Billard? Sie würde das Futter des Tisches zerkratzen und jede Menge Ärger riskieren.

Schließlich einigten sie sich noch auf Tischtennis, eine Disziplin, bei der Luise zumindest einigermaßen mithalten konnte.

Nur nicht bei Sarah.

Am Ende stand es 20:2 und Luise war völlig außer Atem, während Sarah noch quietschvergnügt herum hopste.

Luise konnte sie etwas bremsen, als Sarah die Spielautomaten für würdig befand ihr nächster Gegner zu sein. Erst beschwerte sie sich, dass nur einfache Spiele wie etwa Tetris, oder Backman darauf zu finden waren, befand sich aber Sekunden später bereits mitten im Spiel geschehen.

„Also… hast du ein paar schöne Sachen gefunden die dir gefallen haben? Also ich meine, als du neulich shoppen warst.“, begann Luise ein Gespräch.

„Stör mich jetzt nicht!“, beschwerte sich Sarah.

Luise brummte leicht und hoffte, dass ihre Freundin es nicht bemerkte. Jetzt brachte sie es schon mal über sich mit ihr zu reden und dann wimmelte sie sie einfach so ab. Unerhört!

Es war doch Sarahs Idee gewesen herzukommen, wenn sie Luise auf einmal ignorierte, wieso musste sie dann mitkommen?

Nur wegen dem Dart oder Tischtennis? Sarah war so offen und liebenswert, dass sie bestimmt schnell einen anderen Partner gefunden hätte.

Ein Aufschrei seitens der Beschäftigten und Luise erkannte, dass sie den Highscore geknackt hatte.

„Gratuliere.“

Diese Worte kamen nicht von Luise.

Doch das hätten sie, da sie im selben Moment daran dachte.

Aber nein, es handelte sich um eine Stimme hinter den beiden Mädchen und beide wanden sich um.

Wie verhält man sich, wenn einem ein Teufel erscheint? Wenn man vollkommen unvorbereitet von der Situation übermannt wird, von einer Sekunde auf die andere?

Wenn das Böse plötzlich über einen hereinbricht und man von der Angst gepackt wird.

Es herrschte weder Finsternis, noch schlugen Flammen über den Köpfen der beiden zusammen.

Sie befanden sich nicht in der Hölle, aber dennoch war dieser Teufel hier.

Und zwar in Gestalt einer hoch gewachsenen, jungen Frau mit gepiercter Lippe und einer Lederjacke.

„Ähhh…. Danke?“, ließ Sarah es wie eine Frage klingen, da sie überrascht worden war.

Luise ging es genauso. Oder nein, sie war eher geschockt, kurz vor einem Panikanfall.

Die Augen des Teufels taxierten erst Sarah und dann Luise.

Ein Grinsen zierte sein abscheuliches Gesicht.

Die Ironie dabei war, dass Luise es nicht immer scheußlich gefunden hatte. Nein sogar einmal attraktiv und zart.

„Svenja…“, keuchte sie beinahe und rang nach Worten.

Sofort erhellte sich Sarahs Miene.

„Oh, eine Freundin von dir?“

Luise hätte sie in diesem Moment wirklich gerne angefaucht.

Hatte dieses Mädchen überhaupt einen Sinn für gespannte oder peinliche Situationen?

„Ex-Freundin.“, verbesserte Svenja sie.

Sarahs Stirn zog sich etwas in Falten.

„Das mit uns ist bereits einige Zeit her, doch unsere Luise schien wohl genug von mir gehabt zu haben.“, erklärte sie und sah zu ihrer noch immer perplexen Ex.

„Was willst du eigentlich hier? Ich dachte du hättest inzwischen angefangen zu studieren?“, war dies das erstbeste, das ihr einfiel.

Svenja zuckte nur mit den Schultern.

„Und deswegen darf ich nicht ab und zu hier vorbeischauen? Hier gibt es immerhin Leute die ich kenne und man kann sich gut die Zeit vertreiben.“, rechtfertigte sie sich.

Dann musterte sie Sarah eingehend, allerdings mit einem Blick den Luise zutiefst missbilligte.

„Und das hier? Deine neue Schnalle?“, ruhten ihre Augen inzwischen auf Sarahs Beinen.

Luise wäre am liebsten aufgesprungen und hätte Svenja das Gesicht zerkratzt.

Doch das hätte bestimmt seltsam gewirkt, sofern es sich nicht in einem von Sarahs Mangas abgespielt hätte.

„War nur ein Scherz, du und so eine Braut, würde wohl ziemlich seltsam aussehen.“, spukte sie die letzten Worte förmlich.

Luises Wut steigerte sich ins Unermessliche..

Zugegeben, sie und Svenja hatten sich nicht in aller Freundschaft getrennt, aber wie konnte sie ihr sowas nur antun?

Es war ihr bestimmt egal, ob Sarah wusste, dass sich Luise zum schöneren Geschlecht hingezogen fühlte, oder nicht. Ihr war nur daran gelegen herum zu zicken und Luise den größtmöglichen Schaden zuzufügen.

Dann blicke Svenja demonstrativ auf ihr Handy und stöhnte auf.

„Schon so spät? Ich wünsche ich noch viel Spaß. Damit meine ich dich Süße, denn mit dieser Langweilerin wird das echt schwierig.“, grinste sie und wand sich dann um.

Jetzt! Jetzt wäre die ideale Möglichkeit gekommen, Svenja einen spitzen Gegenstand in den Rücken zu rammen, dachte Luise.

Erst als sie sicher war, dass Svenja außer Sichtweite war, wagte sie es ihren Kopf langsam in Sarahs Richtung zu drehen.

Deren Stirn war in Falten gezogen und ihre Augen musterten Luise nachdenklich.

Was sollte sie ihr nur antworten? Sich herausreden? Dass Svenja mit Ex gemeint hatte, dass sie einmal befreundet waren?

Nein, Svenja hatte sich klar und deutlich ausgedrückt.

Doch was wenn sich Luise ab sofort ehrlich gegenüber Sarah verhielt? Wie würde diese reagieren? Sie glaubte zwar nicht, dass Sarah sie als ‚dumme Lesbe’ oder noch schlimmeres bezeichnen würde, dich es wäre sehr gut möglich, dass sie ihre Sachen packte und ging.

Aber dann war auch ihre gemeinsame Verbindung gerissen und sie waren wirklich nichts mehr weiter als gewöhnliche Nachbarn.

„Irgendwie scheinst du die sehr… sehr verärgert zu haben.“, gab Sarah dann ihr Statement ab.

Luise biss sich herzklopfend auf die Unterlippe.

„Tut mir leid, dass du das mit ansehen musstest.“, sagte sie kleinlaut.

Sarah zuckte mit den Schultern.

„Keine Sorge, ist nicht die erste Zicke die ich getroffen habe.“, räumte sie ein.

Luise musste kurz Schmunzeln, scheinbar gelang es Sarah gewisse Situation doch richtig zu lesen.

Schließlich wand sie sich langsam wieder dem Spielautomaten zu.

Luise war klar, dass sie ihr den peinlichen Moment ersparen wollte und anbot, die ganze Begebenheit zu vergessen.

Nichts war vorgefallen, Svenja war nicht erschienen und hatte sich nicht über ihre gemeinsame Vergangenheit ausgelassen.

War es wirklich so einfach? Alles tot zu schweigen?

Es wäre die ideale Gelegenheit für Luise, ihre und Sarahs Beziehung würde sich nicht verändern, alles würde so weiterhin wie bisher.

Nein. Sie konnte es nicht.

Lena und Katrin hatten sie als Sarahs beste Freundin bezeichnet und das nicht ohne jeglichen Grund. Eine wahre Freundschaft verlangte Offenheit, Luise hatte ja auch Sabine, mit der sie darüber sprechen konnte.

Aber Sarah war nicht Sabine, das wusste sie.

In Sabine war sie schließlich nicht verliebt.

Aber in Sarah… war sie es?

Luises Erkenntnis, die sie so sehr verdrängt hatte kam zum absolut ungünstigsten Zeitpunkt.

Natürlich war ihr bereits im ersten Augenblick klar, dass sie von Sarah überwältigt gewesen war. Aber Liebe?

Sie hatte das Mädchen gerade kennen gelernt und seitdem war auch lediglich eine Woche vergangen. Wie hatte sie sich so schnell in ihr Herz vorkämpfen können?

„Naja das liegt vielleicht daran… dass Svenja und ich einmal zusammen waren.“

Luise hatte alle Kraft aufgewandt um diese Worte über die Lippen zu bringen.

Nun gab es kein Zurück mehr. Sarah musste etwas darauf erwidern, sei es positiver oder negativer Natur.

„Achso.“

Stille. Nein nicht ganz. Der Automatt gab weiterhin seine schrillen Geräusche von sich.

Sarahs Aufmerksamkeit war völlig darauf gelenkt.

Luises Gesicht nahm nun eine Form an, an der sich selbst Babys erschrocken hätten.

‚Achso.’ Was war das bitte für eine Reaktion?

Luise hätte erwartet, dass sich Sarah verständnisvoll zeigte, wie Sabine seinerseits, oder sie zumindest gebeten hätte, dass sie nicht mehr über ihre sexuelle Orientierung sprachen, aber nein! War Sarah etwa so abgebrüht und war es ihr egal?

Sie konnte sich gerade noch zurückhalten aufzustehen und Sarah anzubrüllen, dass sie lesbisch sei. Dieses Verhalten hätte nicht nur Sarahs Augenmerk auf sich gezogen, sondern auch das der restlichen Jugendlichen um sie herum.

Nein, so wollte Luise ganz bestimmt nicht, dass ihr Outing verlief.

Aber sie hatte sich doch gegenüber Sarah geoutet, oder? Zumindest hatte Svenja das für sie übernommen.

„Ich meine zusammen…. in Form einer Beziehung. Wir waren ein Paar.“, ging sie nochmal sicher.

Sarah warf ihr einen fast erbosten Blick zu.

„Ja, das habe ich schon verstanden! Ich dachte du hältst mich nicht für begriffsstutzig und dumm!“

Nun war Luise völlig baff. Was hatte das bitte damit zu tun?

Sollte sie Sarah von der Konsole wegreißen oder einfach gegen den Blechhaufen treten?

Sie entschied sich dagegen. Sie wartete bis Sarah ihr Spiel beendet hatte und sie diese wieder anlächelte.

„Also? Auf zu Runde 2?“

Es dauerte ein paar Sekunden, biss Luise begriff, dass sie sich auf Physik bezog.

Resigniert nickte und verließ zusammen mit dem unverständlichsten Menschen der Welt den JFC.
 

Während der ganzen Strecke hatte Sarah kein einziges Wort über das Geschehene verloren.

War ja auch ganz normal, dass sich die Freundin plötzlich als Lesbe herausstellte, genauso als wie man nur Butter zum Frühstück auf das Brötchen streicht, da die Marmelade aus war.

Man akzeptiert es und geht ganz normal zum Tagesablauf über.

Zurück in ihrem Zimmer ließ sich Sarah auf Luises Bett fallen und diese nahm an, dass die Pause doch noch eine Weile anhalten würde.

„Du hast einen seltsamen Geschmack.“, entfuhr es Sarah dann unerwartet.

Auf was bezog sie sich nun? Darauf, dass Luise auf Frauen stand und Sarah das selbst für seltsam erachtete?

„Wie konntest du nur etwas mit dieser Ziege haben?“, fragte sie belustigt.

Darauf wollte sie also hinaus.

„Ich dachte erst…. Svenja wäre ganz anders. Wie waren auch nicht lange zusammen, sie war meine erste und ich hatte keinerlei Erfahrungen.“, offenbarte sich ihr Luise nun endlich.

Sarah bedachte sie eines mitleidigen Blicks.

„Und daraufhin hat sie dein armes, unschuldiges Herz ausgenutzt, ja?“

Luise nickte zaghaft.

„Aber…. ist das wirklich in Ordnung für dich? Also, dass ich auf Frauen stehe, meine ich?“

Es war eine direkte Frage und Luise glaubte nicht, dass Sarah sich daraus winden konnte.

„Wieso sollte es?“, erwiderte diese.

Luise wusste nicht, was sie von dieser Gegenfrage halten sollte, aber vielleicht sah Sarah das ganze wirklich nicht so eng.

„Du hast ganz locker, nein schon uninteressiert reagiert, als Svenja es dir gesagt hat.“, machte sie sie darauf aufmerksam.

Sarah lachte plötzlich los.

„Du bist witzig! Dass du auf Kurven stehst, ist mir doch nicht erst heute klar geworden. Ehrlich, ein ganzes Regalfach mit lesbischer Literatur und du bekommst Panik, dass jemand dein Geheimnis ausplaudert? Du wärst eine erbärmliche Superheldin!“

Autsch. Luise fühlte den Schmerz wirklich, obwohl sie nicht genau wusste woher er kam.

„Die sind dir also doch aufgefallen?“, versuchte sie mit einem Lächeln zu fragen.

Sarah nickte langsam und verständnisvoll.

„Aber… du hast es doch sonst niemandem gesagt, oder?“, fragte Luise vorsichtig.

Sarah überlegte einen Moment.

„Naja ich habe gedacht du würdest ganz offen damit umgehen, also habe ich es gegenüber Lena und Katrin erwähnt.“, gestand sie.

Die Blässe brauchte nur wenige Nanosekunden um in Luises Gesicht zu weichen.

„Nein…“, klang ihre Stimme schon unheilvoll.

Ein weiteres Kichern seitens Sarahs.

„Nein, ich habe es natürlich niemandem erzählt, warum auch? Als du mir das Buch aus der Hand gerissen hast, war mir schon klar, dass nicht jeder davon wissen soll.“, entwarnte sie die verängstigte Luise schnell.

Diese griff nun nach dem Kissen auf dem sie saß und schleuderte es Richtung Bett.

Sarah fing es mit Bravur auf.

„Da wirst du dich schon noch mehr anstrengen müssen!“

Luise bekam auch noch das auf Sarahs Stuhl zu fassen, welches diese nicht mehr abwehren konnte, da sie bereits das erste in Händen hielt.

Die Rache folgte auf dem Schritt.

Sarah setzte ihre ‚Doppelschleuder’ ein, eine Technik durch die sie Luise gleich zwei Kissen auf einmal entgegen warf.

Fünf Minuten später gab es keinen Gewinner, dafür aber zwei Verwundete.

Luises rechtes Auge war getroffen worden und der Nagel an Sarahs linken Zeigefinger hatte einen Riss bekommen.

„Unentscheiden?“, bot letztere an und Luise akzeptierte.

Das Lernen schien sich erledigt zu haben, nicht zuletzt, da das Physikbauch aus unerklärlichen Gründen während des Kampfs auf Leben und Tod vom Tisch verschwunden war.

„Weiß sonst noch jemand davon?“, kam es nun aus Sarahs Mund.

Luise wusste augenblicklich worauf sie anspielte.

„Dass ich auf ‚Kurven’ stehe? Nur Sabine. Sie ist meine beste Freundin und ironischerweise fand sie es auch zufällig heraus, als sie einen Blick in mein Bücherregal warf.“, erzählte sie.

Sarah rollte mit den Augen und Luise musste zugeben, dass sie wirklich etwas unachtsam war.

„Aber sie war total verständnisvoll, und wollte alles von mir wissen. Sie war der erste Mensch mit dem ich wirklich darüber reden konnte.“

Sarah spielte mit ihrer Unterlippe herum.

„Aber mit ihr hattest du nie etwas, oder?“

Luise protestierte lautstark.

„Mit Sabine? Niemals! Versteh’ mich nicht falsch, sie ist sehr nett und eine tolle Freundin. Aber der Gedanke daran sie zu küssen oder ähnliches, schreckt mich ab.“

„Sieht sie nicht gut genug für dich aus?“, verkannte Sarah schnell die Situation.

Luise schüttelte den Kopf.

„So meine ich das nicht. Sie ist einfach eine gute Freundin, mehr nicht. Ich muss ja nicht zwangsweise auf alle Mädchen stehen die einigermaßen gut aussehen.“, sagte sie bestimmt.

Sarah nickte, sie hatte es wohl kapiert.

„Also ist es wie bei uns.“, glaubte sie zur Klärung sagen zu dürfen.

Luise erwiderte nichts darauf. Rein gar nichts.

So sah sie Sarah also. Als gute aber eben auch ein bisschen lesbische – nun gut, vermutlich sehr lesbische – Freundin. Mehr nicht.

Als nächstes kam Sarah noch auf die Idee Luise zu fragen, ob sie nach ihrer Meinung nach gut aussah, da sie das ja so gut beurteilen konnte. Luise hatte oft über solche klischeehaften Szenen in Büchern oder Filmen lachen können, diesmal aber nicht.

Sarah kam zum Glück nicht auf die Idee, dafür starrte sie Luise einige Zeit lang gebannt an.

„Ich habe einen Vorschlag.“

Luise wich unwillkürlich zurück. Sarah konnte nichts Gutes damit meinen, da war sie sich inzwischen sicher.

„Ich möchte dir beweisen, dass du mir vertrauen kannst. So wie Sabine.“, erklärte sie sich dann.

Luise rang sich ein Lächeln ab, sie besaß wirklich keinen Schimmer davon, worauf Sarah hinaus wollte.

„Ich kenne jetzt dein größtes Geheimnis, also was hältst du davon, wenn ich dir auch meines verrate?“, kam sie nun zum Punkt.

Luise dachte einen Moment darüber nach. Was gab es bitteschön, dass Sarah zu beichten hätte? War sie etwa wirklich ein Engel der auf die Erde herabgestiegen war und gegen Dämonen kämpfte? Brauchte sie Luise als Partnerin um gegen sie zu kämpfen?

Oder war sie in Wirklichkeit in verkleideter Junge und Luise hatte sich das erste mal unbewusst in ein männliches Wesen verliebt?

„Hast du Lust heute Abend zu mir zu kommen? Ich würde dir gerne etwas zeigen.“

Luise knirschte mit den Zähnen. Sarah lud sie in die Höhle des Löwen ein. Sie war noch nie im Nachbarshaus, obwohl Sarah sie selbst öfters besuchte.

„Was denn?“, hakte sie zögernd nach, doch Sarah winkte ab.

„Das siehst du dann schon. Sagen wir 7? Prima, dann erwarte ich dich.“, war sie unvermittelt aufgesprungen und begann ihre Sachen zu packen.

Ja, Physik fiel eindeutig aus. Sowohl sie, als auch Luise wären auch zu unkonzentriert dafür gewesen.

„Tschau, bis heute Abend.“, verabschiedete sie sich von ihrer Gastgeberin und suchte dann das Weite.

Unten hörte Luise noch, wie ihre Mutter Sarah noch einen schönen Tag wünschte, dann wurde die Tür zugeschlagen.

Luise verschwendete keine Sekunde und griff nach ihrem Handy.

Es dauerte kaum zwei Freizeichen, da ging Sabine auch schon ran.

Luise begann mit der Katastrophe zuerst, dass sie Svenja über den Weg gelaufen war, als sie Sarah das JFC zeigen wollte.

„Puh! Damit wäre die Katze wohl aus dem Sack.“, war alles was Sabine dazu einfiel.

„Aber was jetzt? Wie soll ich mich ihr gegenüber verhalten?“, nagte es sichtlich an Luise.

Sabine schein kein Problem darin zu sehen.

„Sie scheint es akzeptiert zu haben, oder? Es kann also weiterlaufen wie bisher.“

Luise stöhnte auf.

„Es sieht danach aus…“

Sabine kicherte leise.

„Soll das heißen, dass ich die ganze über recht hatte und du doch an ihr interessiert bist?“, hakte sie nach.

Luise brauchte eine Weile, bis sie antwortete.

„Ja, ich bin an ihr interessiert.“

„Du bist in sie verliebt, gib es zu!“, konnte sich Sabine nicht bremsen.

„Ja, ich bin verliebt, verdammt!“, musste ihr Luise nun recht geben.

„Du würdest sie gerne küssen.“

„Natürlich ‚würde’ ich das gerne.“

„Am ganzen Körper, an jeder einzelnen Stelle.“, frötzelte ihre Freundin nun.

„Nein! Doch… Nein! Ach, auf was für Ideen kommst du bloß immer? Langsam glaube ich, dass du die Lesbe bist, und nicht ich!“

Doch Sabine musste sie enttäuschen.

„Nope, ich werde mir heute im Q1 einen feschen Typen aufreißen und dir morgen dann erzählen wie es war. Das ist im übrigen eine Disko, falls du das nicht weißt.“

Luise seufzte abermals.

„Ja, schon mal gehört. Aber erkläre mir lieber was ich tun soll? Sarah will mir irgendwas zeigen und ich werde völlig unvorbereitet zu ihr gehen.“, wurde ihr ganz Bange.

Sabine antwortete mit einem nachdenklichen Summen.

„Vielleicht überrascht sie dich ja in einem sexy Dessous und will dich verführen? Du kommst ahnungslos in ihr Zimmer, sie schließt die Tür ab und fällt lüstern über dich her. Und dann wird sie dir deine…“

Luises und Sabine Gespräche endeten oft damit, dass erstere sie schlichtweg abbrach.

Es tat gut mit Sabine zu reden, aber als große Hilfe konnte man sie meistens kaum bezeichnen.

Sie legte ihr Handy weg und ignorierte sogar den Rückruf seitens ihrer Freundin.

Nachdem sie ihr Zimmer von den Trümmern der erst kürzlich zurückliegenden Schlacht gesäubert hatte, begann sie sich umzuziehen.

Wer weiß, vielleicht lud Sarah oder Herr Heidenreich sie auch zum Essen ein, in diesem Fall wollte sie ordentlich auf sie wirken.

Dann war die Zeit gekommen und Luise wurde mulmig zumute.

Jetzt gab es kein Zurück mehr, sie musste in die Höhle des Löwen.



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