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Komm in meinen Schlaf

von

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Sieger und Verlierer (Pauline)

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Ich komm in deinen Schlaf

Ich komm in deinen Schlaf

Ich mach dir neue Tränen

Ich komm in deinen Schlaf
 

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Die Luft in der Hütte ist warm, doch der kühle Nachtwind, der durch die geöffnete Tür hineinbläst, verschafft Erleichterung. Ich bin so warmes Wetter nicht gewöhnt und wenn ich ehrlich bin auch kein großer Sommerfanatiker. Manchmal ist es auch helllichter Tag, wenn ich die Insel besuche und dann sind die Temperaturen manchmal wirklich unerträglich. Deswegen freue ich mich jedes Mal, wenn ich nachts hier sein darf.

Dieses Mal ist keine Ausnahme. Wenn es wärmer wäre, könnte ich mich wohl kaum auf das Spiel konzentrieren. Oder besser gesagt darauf, meinem Gegenüber die Regeln immer und immer wieder vorzutragen. Wir sitzen uns gegenüber auf dem Boden, mein verletztes Knie – das für eine geträumte Verletzung wirklich weh tut – ruht auf einem weichen Kissen. Zwischen uns steht ein aus Holz gefertigtes, bunt angemaltes Halmabrett. Es gibt nicht viele Spiele in der Hütte, nur die Klassiker eben. Manchmal überrascht es mich, dass der andere Gast in diesem Traum noch nicht einmal die einfachsten Grundlagen versteht. Zwar fällt es mir schwer, sein Alter einzuschätzen, doch er kann nicht viel älter sein als ich selbst. Hat er nie gespielt, als er kleiner war? Jedes Kind tut so etwas.

Nachdenklich sehe ich den fremden Mann an, der den Blick fest auf das Spielfeld gerichtet hält, mit gerunzelter Stirn dir bunten Holzpinne betrachtet. Konzentriert verengen sich seine Augen, dann hebt er die Hand, lässt sie jedoch schnell wieder sinken. Ich verhalte mich ruhig, möchte ihn nicht unnötig stören, wo ich merke, wie schwer ihm das fällt, was wir gerade machen. Wenigstens sieht er nicht mehr ganz so niedergeschlagen aus wie zu Beginn unseres Treffens, womit ich mein Ziel für den heutigen Abend längst erreicht habe.

Spielen lenkt ab, eine Lektion, die ich schon früh in meinem Leben gelernt habe. Da ich in einer kinderreichen Familie als eine der älteren Geschwister lebe, bleibt es natürlich nicht aus, dass ich mich, häufiger als mir lieb ist, mit den Jüngeren beschäftigen muss. Die einfachste Art, diesen wilden Haufen zu bändigen, besteht darin, ihnen eine konstruktive Beschäftigung zu geben, die sie gemeinsam ausführen können, ohne sich gegenseitig an den Haaren zu ziehen oder pausenlos rumzustänkern. Ob freiwillig oder nicht, ich kenne sehr, sehr viele Spiele. Faszinierend ist nur, dass diese Strategie nicht nur bei Kindern, sondern anscheinend auch bei Erwachsenen funktioniert. Immer, wenn mein nächtlicher Freund besonders traurig ist, bringe ich ihn unter einem Vorwand dazu, mit mir zu spielen. Von sich aus würde er es niemals vorschlagen. Auch wenn ich sonst nicht allzu viel vom anderen Geschlecht verstehe (zumindest nicht bei der über zwölfjährigen Variante), mit männlichem Stolz kenne ich mich Bestens aus, da ist das Alter egal, denke ich.

Einzelne Strähnen seines langen, dunklen Haares, das immer ein wenig verfilzt wirkt, hängen ihm ins Gesicht, was er gar nicht zu bemerken scheint. Es kribbelt mir in den Fingern, nach einer Bürste zu suchen und die Knoten daraus zu entfernen, wie ich es bei meinen jüngeren Schwestern häufig mache. Er scheint sich überhaupt nicht darum zu kümmern, sondern es einfach wuchern zu lassen, was jedoch nicht von der Tatsache ablenkt, wie hübsch es sein könnte, wenn es nur hin und wieder eine Bürste zu Gesicht bekam. Meine eigenen Haare sind dünn, fusselig und langweilig, seine hingegen dicht, leicht gewellt. Sie passen zu seinem ausgemergelten Gesicht, dem spitzen Kinn und dem gehetzten Ausdruck in seinen Augen. Ich weiß, das klingt insgesamt nicht sehr attraktiv. Vielleicht muss man den Fremden selber gesehen und erlebt haben, um die Tatsache zu begründen, dass ich ihn für die bei weitem faszinierendste Person halte, die mir je begegnet ist, Hirngespinst hin oder her.

Vielleicht liegt es an der Art, wie er sich mir gegenüber verhält. Er ist sehr zurückhaltend, versucht immer, mir alles recht zu machen, als ob er Angst hätte, mich mit der kleinsten unbedachten Geste zu verärgern. Wenn ich einen Vorschlag mache, was wir unternehmen könnten, stimmt er mir zu, auch bei den beklopptesten Ideen. Er kann mit meinem teilweise etwas zu aufgedrehten Verhalten mithalten und ist der einzige Mensch, bei dem ich nicht das Gefühl habe, ihm ständig auf die Nerven zu gehen. Das Ältere-Schwester-Syndrom äußert sich bei mir nämlich in einer bestimmenden Natur, da ich es gewohnt bin, Jüngere zu maßregeln, wenn meine Eltern damit überfordert sind. Wenn ich ihn etwas frage oder wir uns unterhalten, sind seine Worte stets sehr bedacht und ehrlich, tiefgründig auf eine Weise, wie ich es bisher selten bei einem anderen Menschen gehört habe. Meine Großmutter würde sagen, er hat eine alte Seele. Die Bedeutung dieses Begriffs wurde mir erst klar, als ich ihn kennen lernte.
 

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Erst kommt Lust, dann Bedauern

Beides löschen wir wie Licht

Und die Nacht mit ihren Schauern

Weicht geträumter Zuversicht
 

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Eine plötzliche Bewegung reißt mich aus meinen abschweifenden Gedanken. Eine Hand des jungen Mannes, die bisher reglos über dem Spielfeld schwebte, schnellt hervor, greift nach einem Pin, bewegt ihn vorwärts. Fasziniert beobachte ich, wie er genau den Zug ausführt, den ich an seiner Stelle auch gemacht hätte. Und damit diese Partie gewinnt. Ungläubig starre ich auf das Spielfeld. Anscheinend war ich diesmal diejenige die nicht genügend aufgepasst hat.

„Ich habe gewonnen, oder?“

Seine Stimme klingt unsicher, als ob er sich kaum traut, diese Worte auszusprechen. Schnell überprüfe ich noch einmal das Spielfeld, wobei das Ergebnis jedoch das Gleiche bleibt.

„Sieht ganz so aus.“

Das ist ungewöhnlich. Normalerweise gewinne ich jedes Mal, weil er trotz aller Anstrengungen die Regeln nie wirklich versteht. Liegt es nur an meiner Unaufmerksamkeit? Vermutlich schon. Blut schießt in meine Wangen, während ich innerlich fluche. Ich starre keine Männer so sehr an, dass ich meine gesamte Umwelt vergesse. Niemals. Und er ist noch nicht einmal wirklich da, entspringt vermutlich nur einer ziemlich kranken Ecke meines geplagten Verstandes. Wie kommt es dann, dass er sich so viel realer anfühlt als all die Jungs, die mir begegnen, wenn ich wach bin? An die muss ich nie so intensiv denken. Verärgert balle ich die Fäuste zusammen, verstehe meine eigenen Gedankengänge nicht mehr.

„Wenn du willst... können wir noch einmal spielen? Diesmal gewinnst du wieder, ganz bestimmt! Du bist viel schlauer als ich, das war bestimmt nur Glück. Bitte verzeih mir.“ Seine Stimme bricht und ich sehe überrascht auf. Er wirkt richtig aufgelöst, sieht mich fast schon verzweifelt an. Huh. Dabei bin ich noch nicht einmal auf ihn böse, sondern auf mich selbst. Denkt er wirklich, ich nehme ihm seinen Sieg übel?

„So ein Unsinn. Du hast gewonnen, das ist toll! Herzlichen Glückwunsch.“ Ich lächle ihn beruhigend an, dränge die ungebetenen Gedanken so weit zurück wie nur möglich. Er kann ja nichts dafür, dass ich ihn aus der Ferne anschmachte wie eine Zwölfjährige. Igitt!

„Sicher? Gerade sahst du aus, als ob du wütend auf mich wärst.“ Noch eine Tatsache über diesen Menschen? Er sieht jede kleinste Veränderung in meiner Gemütslage, manchmal sogar noch, bevor ich mir selbst darüber im Klaren bin. Obwohl er selber oft sehr traurig ist, macht er sich immer viel mehr Gedanken um mich als um sich selber. Fast kann ich mir selber auf Grund dieser Tatsache für meine eigene Schwäche vergeben.

„Bin ich aber nicht. Es ist etwas Anderes, also mach dir keine Gedanken.“
 

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Komm in meinen Schlaf

Komm in meinen Schlaf

Trockne meine Tränen

Komm in meinen Schlaf
 

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Er räuspert sich verlegen, wendet den Blick ab. Ein ungutes Gefühl steigt in meiner Magengrube auf. Irgendwie ahne ich, dass mir das, was jetzt kommt, nicht wirklich gefallen wird.

„Also, wenn du willst, kannst du mir trotzdem davon erzählen.“

Und ich habe Recht. Erstaunt blinzle ich, einmal, zweimal. Noch immer wendet er mir sein Profil zu, lässt den Kopf ein wenig hängen, sodass ich seine Augen nicht sehen kann, da sie nun von seinem wirren Haarschopf verborgen werden. Ein Ruck geht durch meinen Körper und mein verräterisches Herz fängt an, schneller zu fragen. Das Übertreten einer unsichtbaren Grenze – genau das ist eben geschehen. Normalerweise achten wir beide peinlich genau darauf, nur im Hier und Jetzt zu leben. Eine unausgesprochene Abmachung besteht zwischen uns, die besagt, dass wir uns nichts gegenseitig erzählen, was nicht mit diesem Traum zu tun hat. Ich kenne noch nicht einmal seinen Namen und jedes Mal, wenn ich ihn danach fragen wollte, hat mich irgendetwas daran gehindert.

Meistens ich selber, wie ich mir eingestehen muss. Denn wenn ich ehrlich bin, will ich es nicht wissen. Solange wir hier sind, auf unserer Insel, an diesem besonderen, magischen Ort, gibt es keinen grauen Alltag, der mich erstickt. Hier bin ich ein ganz anderer Mensch als zu Hause, freier, glücklicher. Insgeheim habe ich Angst, dieses Paradies zu verderben, wenn ich zu viel meiner ungeliebten Realität mitbringe. Mein Gegenüber scheint mich so zu akzeptieren, wie ich bin, ohne Vergangenheit, ohne mich ständig zu beurteilen oder meine intimsten Geheimnisse wissen zu wollen, wie meine Geschwister. In einer Großfamilie hat man nie viel Privatsphäre, nur das kleine Stück, was man sich hart erkämpft.

Am meisten Angst habe ich davor, diesen merkwürdigen Bann, der diesen Traum zusammenhält, irgendwie zu brechen. Je weniger wir übereinander wissen, desto besser. Natürlich bin ich manchmal neugierig, warum er so traurig ist, was für ein Leben er normalerweise führt. Wenn er eins führt. Womit wir am Kern meiner Panik angelangt sind – was, wenn es ihn gar nicht wirklich gibt? Wenn ich ihn frage und er mir keine vernünftige Antwort geben kann, wenn ich feststelle, dass meine geheimen Sehnsüchte sich irgendwie zu dieser Traumgestalt verklumpt haben und er nichts ist als ein Abbild meines Unterbewusstseins... Diese Träume sind mir zu wichtig. Er ist mir zu wichtig. Deswegen muss ich solche Fragen vermeiden, auch wenn er mich noch so sehr bittet. Jede Auskunft könnte die letzte sein und ihn zu verlieren.

Also besinne ich mich auf das, was ich als das Beste für uns beide betrachte. Ich greife nach seiner Hand, spüre ihre vertraute Wärme, zwinge ihn so dazu, mich wieder anzusehen. Und dann, während ich ihm tief in die Augen blicke, zerstöre ich den Wunsch, den ich in ihnen erkenne.

„Es ist nicht so wichtig. Vergiss es einfach.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Schmunzeln
2012-01-30T12:07:40+00:00 30.01.2012 13:07
Oh, es geht langsam richtig vorran! Und wieder war ich wie gebannt und so in der Story drin, dass ich am liebsten weiter gelesen hätte und fast traurig war, dass nun schon schluss ist mit weiterlesen Naj zumindest für den augenblick)

Ich liebe deinen Schreibstil! Vor allen war es wunderbar beschrieben, wie Pauline sich den Fremden vorstellen bzw. als sie ihn so beschrieen hat. diese so kleinen Details, wie zum beispiel das seine haare etwas verfilzt snd und so.
Auch wie du das Spiel beschrieben hast fand ich super. Icz freue mich shcon total aufs weitelesen und bin richtig neurieig, bei er es dabeib elassen wird. ich bin mir sicher, dass die beiden schon gerne etwas voneinander wissen möchten. da ist nur die angst, dabei diese schönen Träume zu verlieren.

Was ich übrigends sehr lustig fand: "Das Knie tat für eine geträumte Verletzung ganz schön weh" Da musste ich echt lachen.

Freue mich auf die fortsetzung!

glg
Schmunzeln


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