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Schneestürme aus der Hölle

ehemals 'Sie können dich zerbrechen'
von

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Vita mihi mors est

Ich entschuldige mich, wenn die Kapitel konfus wirken – heute ist Disney-Day <3 und leider hat der Fernseher gerade mein Herz erobert.

Ach kommt schon Leute – es ist Disney!
 

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Das hätte er nicht erwartet; nicht von ihr. Generell in einem solchen Moment von keinem, den er näher kannte. Wobei… kannten sie sich näher? War er Jibril jemals derart nahe gewesen, dass er ihr Denken verstehen könnte? Einen Blick hinter die Fassade werfen? Wenn er nach den anderen Erzengeln gefragt wurde, konnte er meist wenig sagen – zumal Raphael nicht über die anderen sprach. Besonders nicht nach Aufforderung, sie schadeten ihrem Ruf auch ohne sein Beitun genug.

Uriel, welcher dem Himmel den Rücken gekehrt hatte. Seine unkontrollierbaren Ausbrüche und der labile Geisteszustand sprachen schon früher nicht für ihn. Dazu die skandalösen Gerüchte um ein näheres Interesse am organischen Engel… wobei er hier wohl nie einem Drang nachgegeben hätte – missachtete man die Tatsache mit dem Herausreißen der eigenen Stimmbänder.
 

Jibril enthielt scheinbar keine Fehler, was sollte er schon zu der Frau sagen, die sich mit vollem Geiste den Regeln des Himmels verschrieben hatte? Im Prinzip erinnerte sie Raphael an seine jüngere, noch weniger verdorbene Seite. An die Zeit vor dem Skandal, welchem er sich Belial sei Dank annehmen durfte. Im Endeffekt hatte ihn das nun zu dem Mann gemacht, der er jetzt war und Raphael war… nein, er war nicht mit sich zufrieden. Das könnte er nicht; sein überzogen selbstverliebtes Verhalten war nicht mehr als eine Farce und auf Lügen könnte er nicht stolz sein. Nicht wieder.
 

Und nun ja immer wenn er an diesem Punkt bei Michael ankam, erübrigte sich das Thema von allein. Kleidung, Verhalten, Auftreten, Regeln – was gab es da noch für Fragen?
 

Moment Mal wieso kann ich mir eigentlich noch Gedanken um irgendetwas machen? Hat sie mir nicht den Kopf abgetrennt? Oder wenigstens den Hals durchschnitten?

Zumindest war da eine Erinnerung in seinem Kopf, die… Sein Kopf? Der durfte doch gar nicht mehr aufnahmefähig sein. Außerdem hatte gerade jemand definitiv gegen seinen Oberschenkel getreten und selbst wenn Raphael keine fundierten Kenntnisse über die Funktionalität eines Körpers besitzen würde, hätte er dies als Laie schon für unmöglich befunden.

Das Ziehen am Haar machte es nicht besser und er spürte deutlich Hände an seinen Schultern.

„Aufwachen!“
 

Schlagartig war da die Präsenz seines gesamten Körpers, er konnte die Finger bewegen, seine Zehen spüren – und die Augen öffnen. Geblendet vom Licht des Tages blinzelte er, hatte über sich einen Schemen wahr machen können, ihn jedoch nicht erkannt. Zum Schutz vor den hellen Strahlen hob der Heiler eine Hand an die Augen und blinzelte wieder, um sich mit den Lichtverhältnissen zu arrangieren. „Was…?“

„Hörst du schlecht? Wach auf!“

Noch einmal geblinzelt und die Gestalt über ihm nahm Konturen an; jedoch nicht sonderlich scharfe, denn plötzlich konnte er auch den warmen Atem auf seinem Gesicht spüren, blickte dabei in ein einziges, verschwommenes Auge – da ging jemand auf Vollkontakt.

„Was?“

„Frag nicht so doof, du Arsch!“ Schmerz breitete sich in seinem Gesicht aus und ließ den Blonden zusammenzucken, mit einem Stöhnen auf die Seite rollen. „Mika-Chan kannst du mich nicht netter…“ Mika?! Träumte er?
 

Ruckartig saß der Blonde in der Senkrechte, hielt sich die malträtierte Gesichtshälfte und spürte für einen Moment einen geringen Schwindel auf Grund des herben Schlages. Vor ihm saß wirklich der Rothaarige – ja, er hatte rote Haare! – und zog sich gerade seine Socken an, trug ansonsten lediglich Boxershorts. Natürlich, den Anblick kannte er – so sah der Feuerengel meistens aus, wenn Raphael nicht vor dessen Verschwinden sondern ein paar Minuten vorher erwachte, nachdem sie nachts das Bett geteilt hatten. Er zog prinzipiell erst Unterwäsche, dann Socken, danach seine Hose; die Schuhe und dann das für den Oberkörper vorgesehene Kleidungsstück an. Allerdings selten so aufgebracht wie jetzt und eigentlich verzichtete er darauf, den Blonden mit einem Faustschlag zu wecken.

Aber er hatte doch nun schwarzes Haar, trug im Moment gar nicht diese Kleidung und Raphael war sich sicher, dass er gestern noch mit Jibril gesprochen hatte. Oder vor ein paar Minuten? Wochen? Wie viel Zeit vergangen war, konnte er allerdings nicht sagen.
 

„Mika-Chan?“

„Seit wann darfst du mich so nennen?!“

Das tue ich seit ein paar Jahrhunderten, entweder regst du dich ab jetzt jedes Mal darüber auf oder gar nicht, du launisches…! Moment…

„Warte… warte mal. Bitte, warte kurz.“ Er schlug die Decke von sich weg und stellte fest, dass er selber nackt war; das wurde ja immer schlimmer. Er schämte sich zwar nicht, aber es passte alles einfach nicht.

Wie gewohnt lagen seine Shorts neben dem Bett und so griff er flink nach diesen und zog sie sich über die Hüften, stellte aus dem Augenwinkel heraus fest, dass Michael bereits bei den Schuhen angekommen war. Ihm nun das Hemd wegzunehmen damit er seine Prozedur nicht beenden konnte, würde rein gar nichts bewirken, denn zur Not würde der Feuerengel vermutlich auch nackt gehen.
 

„Nerv nicht, lass mich in Ruhe.“

Er hatte den anderen Schuh neben sich gelegt und saß mitten auf dem Bett, zog gerade am ersten Fuß die Schnürsenkel fest an und stopfte danach die Hose irgendwie in den halblangen Stiefel hinein, pustete wie nebensächlich nach oben und wurde somit eine rote Haarsträhne los, die locker im Auge hing. Raphael stand vor dem Bett, die Augen auf den kleineren Engel gerichtet und verstand sein Leben nicht mehr.

Dann kniete er sich in einem Anflug von Panik mit einem Bein auf die Matratze und schnellte plötzlich vor, ergriff die Hand, die gerade nach dem zweiten Schuh angeln wollte, erntete damit einen schon leicht verärgerten Blick. Bevor er ihn wieder anschnauzen konnte, zog Raphael das zweite Knie aufs Bett und ergriff ebenso Michaels zweite Hand, zwang ihn mit seinem Körpergewicht somit flach auf den Rücken.
 

„Geh runter!“

„Was ist passiert?“

Vielleicht wollte er es einfach nicht bemerken aber als nächstes lag plötzlich Raphael auf dem Rücken – unter Begleitung eines Tritts direkt in den Bauch. Wie er diese Bewegungen nicht hatte kommen sehen können, war ihm ebenso ein Rätsel wie der Feuerengel vor ihm in seiner ganzen Person. Er schnaufte angestrengt, dann folgte schon das Gewicht Michaels, welches sich direkt auf seinem Schoß absetzte. „Was passiert ist? Du Penner, guck dir das mal an! Macht man so was auf deinem Pornoplaneten?!“ Gezwungen öffnete der Windengel die Augen und blickte auf den weißen Hals Michaels, auf welchen der Besitzer selbst deutete, ihn dabei weiterhin etwas aufgebracht anstarrte. Trotz der verwirrenden Ungereimtheiten, die Raphael momentan Kopfschmerzen bereiteten – oder lag es an der Art, wie Michael ihn geweckt hatte? – musste er…
 

„Lachst du mich gerade ernsthaft aus?!“

„N-Nein, ich… ich hab mich nur verschluckt… Entschuldige.“ Amüsiert griff er empor und befühlte die Stelle am Hals, ehe er doch leise zu lachen begann. „Das ist doch nur ein Knutschfleck, deswegen so ein Theater zu machen, ist selbst für deine Verhältnisse übertrieben… Das kann schon mal passieren, ist doch nichts bei. Was mich wieder zu der Frage bringt: Was ist passiert?“ Er stützte sich auf den Ellbogen hoch, blickte in die Augen des anderen, suchte nach einer Regung, nach einem Anflug von Mitleid für seine unbändige Dummheit, so wie es manchmal der Fall war. Dass er ihn doch stützen und auffangen würde. Nichts.
 

„Was soll die Frage eigentlich die ganze Zeit? Ich glaub du kriegst zu wenig Sauerstoff ab! Verarsch mich nicht!“ Gefährlich ruhig aber sichtlich schlecht gelaunt ließ er sich etwas weiter sinken, verlagerte sein Gewicht etwas weiter nach hinten und überschlug noch allen Ernstes die Beine, kreuzte sie in einen Schneidersitz.

„Ich will dich nicht verarschen… wirklich. Bitte warte eben… hilf mir.“ Das sprach er so nicht vor Michael aus, eigentlich. Es lag stets am Rothaarigen zu entscheiden, wann Raphael Hilfe verdient hatte; und das war nicht sonderlich oft, denn meistens war er selbst schuld an seinen teilweise ausweglos erscheinenden Umständen.

Dabei war er es, der dem anderen eigentlich Halt geben wollte; und wenn er deswegen die Launen des Feuerengels ertragen musste, war das auch gut. Dass eigentlich er abhängig von ihm war, wollte er ihm nicht auf die Nase binden; nicht mit Worten. Nicht so offensichtlich.

Michael wusste es ohnehin.
 

Aber scheinbar ließ sich der Kleinere zumindest unterschwellig damit erreichen, denn er sprang nicht auf, ließ Raphael sich nun gänzlich aufsetzen und rutschte lediglich auf Grund der Körperspannung des anderen etwas bequemer auf ihn, löste die Beine nicht aus ihrer Verschränkung – wenn er eine Sitzposition einnahm, würde diese sich nicht durch jemand anderes verändern lassen.

„Wobei helfen?“

Das war ein unerwarteter Hoffnungsschimmer, nur wusste Raphael nicht, wie er dieses Thema schonend und verständlich beginnen sollte, ohne Michael Stunde um Stunde mit unnützen aber in seinen Augen wichtigen Informationen zu füttern.

„Sag mir, was in den letzten Tagen passiert ist… am besten Wochen… fang bei unserer letzten Begegnung an, an die du dich erinnerst.“
 

Nun lag tatsächlich ein Anflug von Verwirrung im jugendlichen Gesicht des Kleineren, welcher selbst den Umstand vergaß, dass er eigentlich wütend war.

„Ehm… was?“

„Ich weiß es klingt bescheuert, aber…“

„Ja, allerdings. Bist du mit dem Kopf zu hart an die Bettkante geschlagen? Oder ist deine Matschbirne zu weich für einen kleinen Hieb am Morgen?“ Es wurde ihm zu bunt, Raphael hatte es geahnt, denn Michael löste nun die Beine aus ihrer Verschränkung und schob sich vom Körper des anderen herunter.

„Ernsthaft, ich versteh nichts mehr… ich… warte. Bitte!“ Seine Hände waren hochgerutscht und an den Schultern des Entschwinden gelandet; ihn überkam das Bedürfnis, den kleinen Körper an sich zu ziehen und ihn einfach einen Moment fest in den Armen zu halten. Nicht aus verschmähter Zuneigung, kein Anflug spontaner Liebe – aber diese Körperspannung vor ihm, die Haltung – die schwarzhaarige Version des Erzengels war nur verkrampft und ehrlich gesagt empfand Raphael es als beleidigend, gegen dessen vollkommene Zurechnungsfähigkeit zu handeln. Nun schien er jedoch klar, er war wieder anwesend – wie auch immer es möglich war – und er würde seine Nähe spüren können, die besten Falls erwidert werden würde. Eine Umarmung, ein Hieb gegen die Brust, ein wütendes Wort – irgendetwas, das Michael von sich aus tun würde. Nicht wie diese willenlose Puppe, die er die letzten Wochen gewesen war.
 

Schmale Augenbrauen zogen sich in die Höhe, ein kurzer Ruck mit den Schultern und der Engel des Krieges hatte sich aus dem Griff befreit, rutschte nun ganz von Raphael herunter und langte nun nach dem zweiten Stiefel, zupfte an dem Leder herum, damit er überhaupt hineinschlüpfen konnte. „Solange ich mich anziehe, kannst du weiterreden.“ Das war wieder unerwartet gnädig von ihm, denn das bedeutete, dass er ihm zuhören würde.

„Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll… da ist so viel.“

„Deine Zeit läuft. Nutze sie oder leb mit den Konsequenzen.“
 

Einmal tief Luft geholt und dennoch fand er kein erstes Wort, suchte schon händeringend nach diesen, starrte dabei die ganze Zeit den anderen Engel an. „Du warst weg“, brach es plötzlich aus ihm heraus, denn das war ja wirklich der erste Punkt, der ihn beschäftigt hatte. „Und das nicht zu knapp… etwa ein halbes Jahr. Ohne Schwert, kein Lebenszeichen, keiner ist mitgegangen.“ „Weiter.“ Mehr wollte er nicht dazu sagen? Könnte er dies nicht zerschlagen? Sagen, dass er einfach einen extrem realistischen Traum gehabt hatte? Er sollte etwas unternehmen, die Situation klären. Raphael setzte wieder an, wandte nun aber doch den Blick ab; auf den weißen Nacken vor sich zu starren half ihm nicht, es machte ihn sogar aus irgendeinem Grund nervös.
 

„Nun ja… dann warst du plötzlich wieder da… nachts. In meinem Badezimmer. Und du warst komisch. Also wirklich eigenartig. Hast nichts gesagt, vor dich hingestarrt – du hast mich gar nicht gehört! Und deine Haare!“ Nun rutschte er wieder näher, streckte die Hand nach den roten Zotteln aus, doch er wurde mit dem Arm abgewehrt. Den Stiefel hatte er schon an, legte sich nun flach auf den Bauch und angelte so vom Bett aus nach dem Hemd.

Michael hielt es nicht einmal für nötig, eine Zurechtweisung auszusprechen und machte unbeirrt damit weiter, aufbrechen zu wollen. Ihn verlassen zu wollen.

Das rote Haar bewegte sich bei den Bewegungen sachte, der lange Zopf im Nacken rutschte ihm über die Schulter.
 

„Sie waren schwarz! Das Tattoo war weg, du hast glasig geschaut…“

„Hörst du dir eigentlich selbst beim Reden zu? Wie bescheuert das alles klingt?“ Er hatte sich wieder aufgesetzt, krempelte das Hemd gerade um und machte die zwei Knöpfe auf, die er gestern Nacht nicht mehr beachtet hatte.

„Meine Haare sind wie immer, mein Tattoo da wo es hingehört und ich hab bestimmt kein halbes Jahr woanders verbracht. Außerdem würde ich mein Schwert nicht einfach so herumliegen lassen.“

Ja, das sah und wusste Raphael auch alles, trotzdem waren die letzten Monate passiert, daran war nichts zu rütteln.

Oder etwa doch? Mit der Hand fuhr er konfus an seinem eigenen Hals empor; dort hatte Jibril das Messer entlanggezogen und ihn ausbluten lassen; ja, diesen Fehler erkannte er. Sie hatte ihn nicht enthauptet aber er wurde derart tief aufgeschnitten, dass er schlagartig an den Folgen starb.

Hätte sterben müssen.

„Reiß dich zusammen.“
 

Das war alles? Der gute Rat, ein freundschaftliches Wort des Trostes, eine Aufmunterung… Aber das wäre nicht Michael, wenigstens hier war Raphael sich sicher, dass er es sein konnte. Sein Kopf arbeitete nun vehement gegen den blonden Engel, denn alles was er wusste war, dass er einen verdammt realistischen Traum gehabt hatte oder aber Opfer einer Intrige war; Letzteres wurde vorerst ausgeschlossen, da seine Paranoia in diesem Bereich definitiv nicht so ausgeprägt war wie die gewisser Feuerengel, denn dieser sah in jedem Schatten einen potenziellen Anschlag auf sein Leben. So verwerflich war das oftmals gar nicht und Raphael war ganz froh, dass er sich nicht wie Michael zum erklärten Staatsfeind Nummer eins der Hölle gemacht hatte. Ähnlich wie Luzifer es mit dem Himmel geschafft hatte; lag hier der Kern der Brüder? Sich gegenseitig die Existenz derart schwer zu gestalten, dass sie zwangsweise ohnehin an den beiden größten Gegensätzen seit Menschengedenken leben mussten; einer hier und der andere dort, wo man ihn hin verbannt hatte? Wobei das ein sehr menschliches Denken war.
 

Das stimmt nicht dachte Raphael und blickte noch immer Michael an, welcher sich bereits auf der Abreise befand und das Fenster vor sich aufriss, einen Fuß auf das Brett setzte. „Mika-Chan… bitte.“ Raphael stand langsam auf, trat auf den kleineren Engel zu, welcher sich nun schon hochgezogen hatte und im Begriff war zu springen. Keine Reaktion.

„Wenn du etwas wüsstest… würdest du mir das sagen, oder?“

Die viel zu hellen Augen fixierten Raphael, als der Rothaarige den Kopf gedreht hatte, die Augenbrauen herunter zog. Ja, er hasste es, wenn Raphael sich öffentlich zu seiner Schwäche bekannte; wenn, dann sollte er ehrlich sein aber nicht immer wieder vor ihm nahe eines Zusammenbruchs stehend nach Hilfe fragen. Indirekt natürlich, doch diese schwache Charaktereigenschaft war es, was Michael nahezu zur Weißglut trieb.

Er erhielt keine Antwort, der andere wandte den Blick wieder ab und stieß sich aus dem Fenster, breitete seine Schwingen aus und glitt über die Spitzen der auf dem Gelände abgestellten Bäumen entlang, verschwand allmählich aus dem Sichtfeld Raphaels.
 

Dieser ersparte sich ein Seufzen und drehte sich dem Raum zu, in welchem er sich befand; sein Schlafzimmer. Nichts Spektakuläres, er kannte es schließlich so gut wie sonst kaum ein anderer – höchstens der arme Mann, dem er die Neugestaltung alle paar Monate in die Hände legte, denn heile blieb sein Haus nie lange. Es gab einfach jemanden, der war mit seinem Einrichtungskonzept nicht einverstanden und hatte es des Öfteren als einen ‚optischen Schlag in die Fresse‘ bezeichnet; Michael war nun nicht das Maß aller Inneneinrichtungen, doch die schweren Vorhänge am Bett und die Quasten an den samtüberzogenen Kissen waren dann wohl doch zu viel; das war einst anders, denn ihn privat zu besuchen war ihm immer ein Graus gewesen, nur blieb das in ihrer kleinen Affäre nun einmal nicht aus; Raphael traute den Keimen auf Michaels Bett nicht und hatte ihm mehr oder weniger deutlich zu verstehen gegeben, dass eine Pobacke an fleischfressende, mutierte Milben zu verlieren keine erstrebenswerte Option sei. Zwar musste auch Raphael manchmal in den sauren Apfel beißen und den Rotschopf aufsuchen, doch dafür hatte er den Notfallplan, das Bett einfach auszulassen; er wollte wirklich nicht wissen, wann dieses das letzte Mal bezogen wurde. Zumindest konnte er sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass der Feuerengel dies selbst erledigte und um sein Seelenheil zu wahren blendete er die Vorstellung von Camael im Putzkittel erfolgreich aus.
 

Dies würde ihm jedoch nicht helfen, die jetzige Situation zu verstehen, er wusste einfach, dass Träume niemals so intensiv abliefen; er hatte diese letzten Monate definitiv erlebt, konnte sich an die zahllosen Stunden erinnern, die er durch das Krankenhaus und später seine eigene Behausung gelaufen war, wie er sich um den schwarzhaarigen Freund gekümmert hatte… das konnte unmöglich eine Farce sein, es war passiert. Ebenso die Gespräche mit Jibril und Uriel; sie waren so präsent, wie er es nie in einem Traum erlebt hatte. Natürlich gab es dort Abweichungen, mit den vielen Jahrtausenden hatte er sich intensiv mit psychischen Abarten befassen können – nicht zuletzt deswegen, weil auch Michael irgendwo ein Opfer dieser Störungen war; sei es nun sein schier unvorstellbar leicht zu provozierendes Gefühl der Minderwertigkeit oder die einen Choleriker in den Schatten stellende Wut – ebenso einfach herbeizuführen.

Zudem neigten Engel ohnehin dazu, dem Wahnsinn zu verfallen; zumindest waren unzählige in diesen Zustand geschritten. Man denke nur an Rosiel, Uriels manische Liebe zu Alexiel oder auch Belial – ganz richtig funktionierte sie nun einmal nicht in Raphaels Augen, doch dort konnten sich die restlichen Satane mit einreihen.
 

Im Laufe der Zeit hatte er sich mit Sinnestäuschungen befasst und war auch auf luzide Träume gestoßen; dieser Zustand einer Paralyse ähnlich aber das konnte nicht der Fall gewesen sein; für gewöhnlich erstreckten sich die furchtbaren Erfahrungen währenddessen lediglich auf das Spektrum des Raumes, in welchem sich der Träumende befand und wenn sein Gedächtnis nun nicht vollkommen zusammenbrach sah er auch Michaels Behausung, das Krankenhaus, diverse Luftwege…
 

„Ruhig, Raphael… Immer mit der Ruhe.“ Ein Gefühl von nachgebenden Beinen, er fühlte sich seit langem wieder vollkommen überfordert und so setzte sich der blonde Engel erst einmal auf sein Bett, betrachtete den hellen Stoff der Laken. Dort war immer noch ein Faltenwurf von Michaels Herumgehampel beim Anziehen, das Kissen auf der Seite wirkte ebenso zerknautscht; hier hatte definitiv jemand geschlafen. Auch neben dem Bett lagen noch Raphaels Kleidungsstücke – eine schwarze Stoffhose und sein blaues Hemd, einen Socken konnte er noch ausmachen. Auch lokalisierte er diese Dinge auf der Seite seiner Schlafstätte, auf welcher er die Matratze Abend für Abend betrat – und damit befand es sich automatisch an genau der gegenüberliegen Stelle vom Boden außerhalb des Bettes, von wo Michael seine Kleidung aufgehoben hatte. Also hatte er den Rothaarigen nicht selbst ausgezogen, denn dann hätten für ihn untypische Latexkleidungsstücke zwischen Hemd und Krawatte gelegen, die er ebenfalls gerade entdeckt hatte, halb begraben unter dem Hemd. Zumindest hatte Michael ihn nicht umrundet, um seine Hose und Shirt von dort zu nehmen.
 

Sie waren also parallel von zwei Seiten ins Bett gestiegen und hatten sich eigenmächtig ausgezogen; dass er sich selbst auszog, war vollkommen normal, denn bis heute hatte der Rotschopf sich geweigert, Raphael von dem kleinsten Stück Stoff zu befreien. Das sollte ihn nicht stören nur meistens machte er dann beim anderen weiter und schmiss einfach alles auf einen Haufen, dass Michael sich selbst auszog, war schon in vielerlei Hinsicht zu viel verlangt – zum Beispiel, wenn er ihn zu verarzten versuchte, da würde sich dies beim Sex wohl kaum ändern und diese Erfahrung hatte sich in neun von zehn Zusammentreffen bestätigt. Manche mochten es faul nennen doch der Arzt vermutete dass Michael längst bemerkt hatte, wie gern er ihn langsam entkleidete. Also würzte man dies mit schlechter Laune und setzte darauf, dass es nicht auffiel; wäre es auch nicht, wenn er sich nun nicht intensiv Gedanken darüber machen würde, wo welche Sachen lagen.
 

„Egal“, murrte er dann selbst, das Grübeln würde ihm auch keine Erinnerung bescheren denn Tatsache war: In seinem Kopf herrschte absolute Finsternis, wenn es um dieses Kapitel der letzten Stunden ging. Er sah nur Jibril – sie und ein Messer, die blasse Gestalt seines unfreiwilligen Schützlings hinter ihr.

Mit der Hand fuhr der Engel des Windes über das zerwühlte Laken; auch das war typisch für so eine Nacht denn er selbst schlief eigentlich sehr ruhig im Gegensatz zum anderen, welcher in seinen Träumen all das verarbeitete, was sein Ego am Tag nicht zuließ; Nervosität, Angst, Schwäche. Raphael schauderte, wenn er an den Körperkontakt dachte, den Michael nachts scheinbar ganz unschuldig im Schlaf suchte. „Und dann weckt er mich mit Tritten und Schlägen“, kam es langsam über die Lippen des Heilers; es war schon beklemmend, wenn man als einziger in diese allzu verletzliche Seite des kleinsten Erzengels eingeweiht war.

„Bin ich nicht“, fiel es ihm dann plötzlich laut ausgesprochen ein, da gab es ja noch jemanden. Aber dieser konnte den Himmel nicht einfach betreten und auch, wenn sie an einem seit ewigen Zeiten zerstörten Verhältnis arbeiteten, blieb Geschehenes geschehen, Schmerz wurde nicht vergessen. Niemand würde Luzifer seine Taten vergeben; nicht vollkommen, nicht hier.

Niemand außer dessen Bruder. Bei diesem Gedanken schloss Raphaels Hand sich fest um das Laken, drehte es in dieser ein; das durfte nicht geschehen, das würde es nicht.

Er würde gehen, Michael band nichts als Verachtung an den Himmel. Er kämpfte nicht für einen Platz, an dem er leben konnte und Opfer waren eine Notwendigkeit, um gewisse Ziele zu erreichen, doch er würde sich zur größten Schadensbehebung in die Hände eines jeden Feindes begeben in der oftmals verzweifelten Hoffnung, diesen selbst beseitigen zu können. Ein vergebliches Unterfangen, wie die inzwischen respektabel ausgeartete Krankenakte sprach.
 

Wie viele der ihm über gestellten Offiziere ihn tatsächlich verachteten und das Handeln als dumm und unüberlegt abtaten, wollte Raphael gar nicht wissen und manche Ausartungen waren definitiv nicht nötig und zu unüberlegt, um sie noch großartig rechtfertigen zu können, doch solange sie es besser wussten… „Bewegt eure Ärsche doch selbst in den Kampf…“, murrte er und ließ das inzwischen zerknitterte Laken wieder los, strich es nachlässig glatt. Langsam erhob er sich wieder, durchquerte den Raum und suchte das Bad auf, schlug sich eine Handvoll Wasser in sein Gesicht. Er trocknete es nicht weg, blickte in den Spiegel und starrte in ein übermüdetes Gesicht; der Schlag einer kleinen aber kraftvollen Faust hatte eine rote Stelle hinterlassen, die Haare im vorderen Bereich von Stirn und Seiten waren nass geworden und tropften und an seinem Hals… war nichts. Kein Schnitt, keine Narbe, kein Wundrand. Ob er sich selbst geheilt hatte? Aber dann wären dennoch Erinnerungen da, etwas, an dem er halten konnte. Vor allem wurden Michaels Haare nicht wieder rot und wuchsen in einer Nacht nach, ihm schien aber nichts zu fehlen.

„Wollen wir ja mal sehen“, murmelte er und fasste den Entschluss, nachher noch einmal todesmutig nach dem anderen zu sehen. Nachher, nun musste er duschen und einen klaren Kopf bekommen.
 

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Ich finde sein Schlafzimmer furchtbar… wirklich, habt ihr euch das einmal genauer angesehen? In Band 9 sieht man leider reichlich davon und ich stelle es mir bedauerlicher Weise in einem altrosafarbenem Satinschimmer vor… grässlich!

Das Kapitel hat mich – warum auch immer – Nerven gekostet aber endlich ist es fertig. Meine Blockade ist auch so gut wie verschwunden, juhu <3



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  mangacrack
2012-07-15T07:19:34+00:00 15.07.2012 09:19
Ich liebe dich und dieses neue Kapitel. Immerhin wissen wir, dass Raphael nicht tot ist. Ansonsten ... hat er das alles geträumt? Ist er in eine andere Zeitschiene gerutscht? Oder in die Vergangenheit? Oder schwebt er zwischen Leben und Tod?
Ha, ich habs: er ist nie aus dem Kältschlaf erwacht und "sieht" das alles nur.

*sich gerade die Tracks anhört*

Schäme dich nicht wegen den Disney Filmen. Ich liebe sie persönlich abgöttisch und kann den "König der Löwen" immer noch auswendig mitsprechen.

mangacrack


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