Der sprechende Hut
Die Überfahrt war anders, als Scorpius es sich vorgestellt hatte. Zusammen mit den anderen Erstklässlern wurden sie von einem Halbriesen namens Hagrid vom Gleis abgeholt. Ihr Gepäck würde für sie ins Schloss gebracht werden, hatte er versichert, ehe er mit ihnen den Weg zum See einschlug.
Je drei Schüler sollten sich eines der kleinen Holzboote teilen. Der Riese selbst nahm ein eigenes und fuhr an der Spitze der kleinen Gruppe. Wie von selbst folgten die anderen Boote dem seinen. Jedoch sahen sie weder den Kraken, noch einen der Wassermenschen. Auf der anderen Seite des Ufers angekommen führte Hagrid die Schüler in das Schloß, vorbei an den Ländereien und dem Quidditchfeld, von dem sein Vater ihm erzählt hatte.
Hagrid bedeutete den Erstklässlern vor der großen Halle zu warten, bis Professor Longbottom sie hinein bitten würde. Scorpius nutzte den Moment um sich umzusehen. Egal wo er hinblickte, überall an den Wänden befanden sich Gemälde und Portraits von alten und berühmten Hexen und Zauberern, die von einem Bild zum anderen zu huschen schienen. Er ließ den Blick weiter gleiten und entdeckte an einer anderen Wand vier hohe Gläser - eines für jedes der Häuser. In jedem von ihnen befanden sich gleich viele Juwelen. Hier werden also die Hauspunkte gezählt, dachte er und sah sich weiter um.
"Sieh mal! Die Rüstung da hat sich grade bewegt!", rief eines der Mädchen und deutete panisch zu der großen treppe hinüber, die in den ersten Stock führte.
"Natürlich hat sie das. Hier ist alles verzaubert.", entgegnete ein anderes Mädchen beruhigend.
"Cool!", meinte Albus, der nun neben ihm stand. "Wir haben zu Hause auch ein paar Gemälde die sich bewegen, aber die sind nicht so interessant wie die hier."
Scorpius wollte darauf etwas erwidern, in dem Moment schwangen aber erneut die Türflügel der großen Halle auf und ein Mann - Scorpius schätzte ihn auf Mitte dreißig - eilte hinaus. In der einen Hand hielt er einen alten und geflickten Zauberhut, in der anderen eine Pergamentrolle.
"Die neuen Erstklässler?", fragte er und betrachtete sich die Menge kurz.
Scorpius sah, wie Rose die Hand hob und dem Mann winkte. "Hallo Onkel Neville!", rief sie. Auch Albus winkte dem Mann kurz.
"Ein Professor von Hogwarts ist euer Onkel?", hakte der Blonde nach.
"Na ja... Kann man so sagen.", erwiderte Albus und zuckte leicht mit den Schultern.
Neville musterte die beiden kurz verwirrt, ehe ein breites Lächeln auf sein Gesicht trat. "Oh! Rose, Al! Fast hätte ich euch nicht erkannt!", sagte er. "Lasst uns nach der Häuserzuteilung noch reden, okay? Ich muss mich nur beeilen, sonst kriege ich Ärger mit Minerva.", erklärte er und wandte sich dann wieder an alle Erstklässler. "Okay, die Häusereinteilung läuft wie folgt ab. Sobald wir in der großen Halle sind und der Hut seine Rede gehalten hat, werde ich jeden einzelnen von euch alphabethisch aufrufen. Danach wird der- oder diejenige sich auf den Stuhl setzten und den sprechenden Hut aufsetzten. Er entscheidet dann, in welchem Haus ihr am besten aufgehoben seid. Verstanden?"
Neville wartete kurz, da aber keine Fragen aufkamen bedeutete er ihnen schließlich ihm in die Halle zu folgen und sich in einer Reihe aufzustellen. Daraufhin stellte er den Hut auf dem Schemel vor dem Lehrertisch ab und trat einen Schritt zurück. Scorpius betrachtete den Hut genauer. Er sah schon ziemlich mitgenommen aus und hatte mehr Flicken und Löcher, als er angenommen hatte. Langsam schien jedoch Leben in den Hut zu kommen und fasziniert betrachteten die neuen Schüler, wie die seine Krempe sich allmählich zu einem Mund formte.
"Ich bin bereits ein alter Hut,
mein Aussehen ist auch gar nicht gut,
doch nun bin ich fast schon tausned Jahr,
an dieser Schule, die ganz wunderbar.
Damals waren es der Gründer vier,
die eine Schule bauten mit mir,
um die Schüler zu in Häuser zu teilen,
so baten sie mich,
Ihnen Rat zu erteilen,
um sie fördern und zwar ehrlich.
So nehme ich diese Aufgabe wahr,
seit nun mehr als gar tausend Jahr.
Bist du in Graffindor, so regieren Tapferkeit und Mut,
vertraue nur auf den alten Hut.
In Ravenclaw, die Klügsten nur,
lernen und studieren sie stur.
In Hufflepuff Fleiß und Eifer musst du mehren,
so wird das Haus dir Glück bescheren.
In Slytherin hingegen wird die List dich binden,
doch wirst du dort wahre Freunde finden.
Falsch gewählt - das habe ich nie,
weil ich in eure Herzen seh'.
So setz mich auf und ich sage dir sodann,
in welches Haus du kommen wirst alsdann."
Sobald der Hund geendet hatte, begannen sowohl die Schüler, als auch die Lehrer lautstark zu applaudieren und Scorpius meinte zu sehen, wie sich die Hutkrempe zu einem Lächeln formte.
Als der Applaus langsam verebbte, trat Neville wieder einen Schritt hervor und räusperte sich kurz. "Also dann, fangen wir mit der Einteilung an.", sagte er und rollte das Pergament in seiner Hand auseinander.
"Amy Avery?"
Neville blickte fargend von dem Pergament hoch. Sofort trat ein braunhaariges Mädchen aus der Menge der Erstklässler hervor und eilte zum Lehrerpult. Sie ließ sich auf den Schemel fallen und schloss die Augen, als Neville ihr den Hut aufsetzte. Es dauerte einen Moment, ehe der Hut sich entschieden hatte.
"Hufflepuff!", rief er schließlich.
Das Mädchen öffnete die Augen wieder und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Anscheinend hatte sie gehofft nach Hufflepuff zu kommen.
Der Professor nahm ihr den Hut wieder ab und das Mädchen lief hastig zu dem Tisch ihres Hauses hinüber, das heftig applaudierte.
"Vickie Bennett?", rief Neville die nächste Schülerin auf.
Nach und nach wurden die Schüler auf die einzelnen Häuser verteilt, wobei Slytherin mit Abstand die wenigsten Neuzugänge bekam. Albus warf einen verstohlenen Blick zu dem grün-silber gedeckten Tisch hinüber. Tatsächlich schien Slytherin die wenigsten Schüler zu haben. Der Schwarzhaarige wurde erst aus seinen Gedanken gerissen, als Neville "Scorpius Malfoy" aufrief.
Albus und Rose drehten sich zu dem Blonden um und beobachteten, wie auch er nach vorne zum Lehrerpult trat. Neville setzte auch ihm den sprechenden Hut auf.
"Oh... Hoffentlich kommt er auch nach Gryffindor.", hörte Albus Rose neben ihm flüstern. Albus schluckte. Bei Rose' Worten fiel ihm sofort die Diskussion ein, die James und er diesen Morgen gestartet hatten. Was, wenn er nicht wie James, sein Vater oder seine Mutter nach Gryffindor kam? Würde man ihn wirklich enterben?
Albus richtete den Blick wieder auf den Blonden. Der Hut schien dieses Mal viel länger zu brauchen, um sich für ein Haus zu entscheiden. Schließlich bewegte sich die Hutkrempe langsam.
"Slytherin!", verkündete der alte Hut und prompt brach der Slytherin-Tisch in tosenden Applaus aus. Die Gryffindors hingegen buhten den Blonden aus, als dieser den Hut absetzte und zu seinen Mitschülern ging.
"Oh nein...", raunte die Rothaarige neben Albus wieder. "Ausgerechnet Slytherin."
Albus schluckte schwer, als Neville ihn als nächstes aufrief.
"Albus Potter!"
Schlagartig verstummte jeder im Saal, der der Häuserzuteilung bis jetzt keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Albus warf einen flüchtigen Blick zu Rose, ehe er, wie die Anderen zuvor, selbst nach vorne trat und sich auf den Schemel setzte. Neville, der anscheinend seine Nervosität spürte, lächelte ihm aufmunternd zu, ehe er ihm den Hut aufsetzte. Einen Moment lang passierte nichts, doch plötzlich konnte der Schwarzhaarige eine leise Stimme in seinem Kopf hören.
"Hm... Ein anderer Potter, ja?", hörte er sie sprechen. "Du weißt also nicht, in welches der Häuser du möchtest, hm?"
Der Hut kann meine Gedanken lesen?, dachte Albus verwirrt.
"Natürlich, wie sollte ich sonst beurteilen, für welches Haus du am geeignetsten wärst?", entgegnete die Stimme, verstummte dann aber kurz. "Soll ich dich nach Gryffindor schicken, so wie den Rest deiner Familie? Oder in eines der anderen Häuser?" Erneut verstummte der Hut. "Ein schlaues Köpfchen hast du ja, hm... Wie ich sehe, hast du Bedenken was Slytherin anbelangt, nicht wahr?" Albus spürte, wie der Hut seinen Kopf langsam in Richtung Gryffindor drehte. Erst jetzt konnte er in der Menge seinen Bruder James ausmachen. Er saß am Rand des Tisches und nickte ihm kurz aufmunternd zu.
"In Gryffindor regiert Tapferkeit und Mut. Dieses Haus hat schon viele großartige Zauberer hervor gebracht.", kommentierte der Hut und drehte Albus Kopf daraufhin in die andere Richtung, zum Slytherin-Tisch. "Auch Slytherin hat große Zauberer geschaffen." Albus musste unwillkürlich an das Gespräch mit seinem Vater denken. Er selbst hatte ihm erzählt, dass einer seiner Namensgeber in Slytherin war - also konnte das Haus nicht so schlecht sein, oder? Und dass es nicht schlimm wäre, wenn er in dieses Haus kommen würde.
"Nun? In welches Haus soll ich dich stecken?"
Albus wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er wusste nicht einmal selbst, für welches der Häuser er geeignet war. James hatte seit jeher gesagt, dass er nach Gryffindor kommen würde - er selbst hatte sich jedoch bis vor einer Woche keine Gedanken darüber gemacht. Ich weiß es nicht, dachte er daraufhin und beschloss den Hut deshalb selbst entscheiden zu lassen.
"Nun, wenn das so ist... dann...", die Stimme in seinem Kopf verschwand schließlich und der Hut richtete seinen Kopf wieder nach vorne.
"Slytherin!"
