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I celebrate Christmas... in America!

Adventskalender 2011
von

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Der purpurne Schal

Zweiundzwanzigstes Türchen: Lili erzählt
 

„Guten Abend“, sagt Roderich, ohne Basch anzusehen, und nippt an seiner Tasse Tee.

„Guten Abend“, erwidert Basch ebenso unterkühlt.

„Wie ich sehe, trägst du einen Schal.“

„Warum nicht? Es ist Winter.“

„Es ist warm genug hier drinnen, mit dem Feuer im Kamin.“

„Wenn ich einen Schal tragen möchte, trage ich ihn auch.“

„Wie ich ebenfalls sehe, ist es ein Mädchenschal.“

„Ist er nicht!“, sagt Basch und wird rot vor Empörung.

„Er ist rosa.“

„Das ist Purpur! Und außerdem...“ Er stockt kurz. „Außerdem war es ein Geschenk. Es ist unhöflich, ein Geschenk nicht in Ehren zu halten.“

„Ein Geschenk?“, wiederholt Roderich und sieht mich über seine Brille hinweg an. „Ich frage mich, von wem.“

Ich erröte wie vorher Basch und versinke tiefer in dem Sessel, in dem ich sitze. Sicher weiß Roderich genau, wessen Geschenk der Schal war.
 

Auf dem Tisch stand noch das schmutzige Geschirr vom Vorabend, zusammen mit den Kerzen. Das Feuer im Kamin war längst herunter gebrannt, wodurch es empfindlich kühl geworden war. Ich fröstelte und betrachtete die Eisblumen am Fenster. Draußen sah ich Schnee, unberührten Schnee, und dahinter die Bergkulisse gegen einen Himmel, der schon wieder voller grauer Wolken hing. Am Vorabend war ich noch gemeinsam mit Basch durch den Schnee gelaufen, ein Stück hinunter ins Tal, wo die Kirche stand. Wir hatten die Glocken durch die Dunkelheit gehört, lange, bevor wir angekommen waren.

Ich weiß nicht, ob die Idee so gut ist, hatte Basch ein ums andere Mal vor sich hin gemurmelt. Ich hatte nicht verstanden, welches Problem er darin sah, an Weihnachten in die Kirche zu gehen. Erst, als wir auf dem Vorplatz auf Roderich trafen, hatte ich es begriffen.

Basch.

Roderich.

Und die junge Lili, nicht wahr?, hatte Roderich gesagt und sich leicht verneigt. Küss die Hand.

Basch war den ganzen Abend über mehr als ungehalten gewesen, wie üblich in Roderichs Gegenwart. Ich hatte nie recht verstanden, wieso er ihn nicht mochte. Als nach dem Gottesdienst alle aus der Kirche geströmt waren, hatte ich Basch kurz aus den Augen verloren. Plötzlich hatte ich mich mit Roderich unter einem kahlen Baum wiedergefunden.

Ihm scheint eine Menge an dir zu liegen.

Basch hat mich aufgenommen, als es mir schlecht ging, hatte ich geantwortet, aber nicht gewusst, worauf Roderich hinaus wollte. Er sorgt noch immer für mich.

Und das, obwohl es ihm selbst kaum besser geht.

Wie bitte?

Er hatte geschwiegen und den Kopf geschüttelt, und kurz darauf war Basch wieder aufgetaucht. Wo steckst du denn, Lili? Wir wollen nach Hause.

Den ganzen Heimweg lang hatte ich über Roderichs Worte nachgegrübelt. Den ganzen gemütlichen Weihnachtsabend lang, den ich mit Basch in unserer kleinen Hütte verbrachte, und noch lange in die Nacht hinein, als ich im Dunkeln im Bett lag. War es wahr, was Roderich gesagt hatte? Dass Basch sich um mich kümmerte, obwohl es ihm selbst schlecht ging?

Mir war aufgefallen, dass er nicht mehr in meiner Gegenwart aß, sondern immer behauptete, er habe bereits gegessen. Mir war aufgefallen, dass er nur seine Jacke anzog, wenn wir hinaus gingen, während er bei mir darauf bestand, dass ich Schal und Mütze trug, und mir erst gestern zu Weihnachten einen neuen Mantel geschenkt hatte. Aber ich hatte das auf seine Bescheidenheit geschoben, auf seinen Stolz und darauf, dass er sich ohnehin manchmal seltsam benahm. Basch war mir in mancher Hinsicht ein Rätsel, und ich hatte es aufgegeben, ihn verstehen zu wollen. Aber was ich verstand, war, dass Roderich Recht hatte. Ihm lag eine ganze Menge an mir.

Langsam nahm ich den neuen Mantel von einem Stuhl, auf dem ich ihn gestern abgelegt hatte. Er war sehr hübsch, hellrot und mit Fell gefüttert. Sorgfältig knöpfte ich ihn zu. Basch hatte mich mit Essen versorgt, als ich schon halb verhungert war, hatte mir ein warmes Haus gegeben und mir diesen Mantel geschenkt. An diesem Morgen des ersten Weihnachtstages beschloss ich, dass es genügte. Basch hatte viel für mich getan. Ich würde nicht zulassen, dass er sich selbst schadete, indem er mein Wohl vor sein eigenes stellte. Entschlossen schlüpfte ich in meine Stiefel und griff nach meinem Schal, den ich selbst gestrickt hatte. Wer hätte gedacht, dass ich ihn so bald brauchen würde? Hatte Basch nicht abgenommen in letzter Zeit? Zuvor war es mir nicht richtig aufgefallen, aber jetzt, da ich darüber nachdachte...

„Lili?“

Ich zuckte heftig zusammen und drehte mich um. Basch stand auf der schiefen Holztreppe, die nach oben zu den Schlafzimmern führten. Seine Haare und sein Schlafanzug waren unordentlich, aber sein Blick war hellwach.

„Wo willst du hin?“

Ich konnte nicht antworten. Er runzelte die Stirn, kam die Treppe herunter und trat auf mich zu. „Willst du etwa gehen?“

Woher wusste er das? Woher konnte er es wissen?

„Du darfst nicht gehen, Lili“, sagte er ernst, aber mit einer Spur von Angst. „Ist es wegen etwas, das Roderich dir gestern erzählt hat? Was hat er gesagt? Was immer es war, du darfst nicht gehen, Lili. Ich... ich will nicht, dass du gehst, hörst du? Du darfst nicht auf ihn hören! Du darfst nicht...“

„Ich will doch gar nicht gehen“, unterbrach ich ihn und spürte mein Herz schlagen. Mir war furchtbar heiß in dem Mantel und den Stiefeln.

„Nicht?“, fragte er und musterte mich von Kopf bis Fuß. „Warum bist du dann...“

Sein Blick blieb an dem Schal in meinen Händen hängen. Meinem selbst gestrickten Schal.

„Der... der ist für dich“, sagte ich hastig und streckte ihm den Schal entgegen. „Weil... für dich. Ich habe ihn gestrickt. Es ist ein Weihnachtsgeschenk.“

Basch blinzelte verwirrt. „Lili?“

„Nimm ihn!“, schrie ich, drückte ihm den Schal in die Hände und rannte an ihm vorbei die Treppe hinauf. Ich schlug die Tür zu meinem Zimmer hinter mir zu und streifte hastig die Stiefel und den Mantel ab, als könne ich mich daran verbrennen, wenn ich sie noch eine Sekunde länger trug. Mit Tränen in den Augen setzte ich mich auf mein Bett und stützte den Kopf in die Hände. Wie konnte ich gehen? Wie konnte ich bleiben?

„Lili?“

Schwer atmend hob ich den Kopf und blinzelte die Tränen weg. Basch stand in der Tür, noch immer in seinem abgetragenen Schlafanzug. In dem kalten Licht, das durch das Fenster drang, fiel mir zum ersten Mal wirklich auf, wie dünn und blass er geworden war. Das einzige bisschen Farbe an ihm war mein leuchtend purpurner Schal, den er um seinen Hals geschlungen hatte.

„Danke“, sagte er.
 

„Es ist schon spät“, sagt Roderich und wirft einen Blick auf die Uhr. „Noch ein paar Minuten bis Mitternacht.“

„Tatsächlich“, brummt Basch wenig interessiert. Ich betrachte ihn und den Schal um seinen Hals. Er ist schon ein wenig abgenutzt, weil er ihn seit Jahren immer trägt, sobald es kalt genug geworden ist. Mittlerweile hat Basch sich längst erholt, denke ich. Er ist nicht mehr so dünn. Nicht mehr so blass.

„Ich frage mich...“, beginnt Roderich und verstummt dann.

„Was?“, fragt Basch kühl.

Roderich hebt den Kopf und sieht mich an, wieder mit diesem Blick über seine Brille hinweg. „Ich frage mich, ob derjenige, der dir diesen Schal geschenkt hat, dir einen neuen schenken wird. Diesmal vielleicht in einer etwas... männlicheren Farbe.“

„Wovon redest du?“, fragt Basch aufgebracht, und ich bin froh, dass er nicht sieht, wie ich erröte. Kann Roderich eigentlich Gedanken lesen?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Rix
2011-12-22T22:10:15+00:00 22.12.2011 23:10
Die kleine Geschichte hat mir richtig gut gefallen, besonders wie du die Beziehung zwischen den Dreien darstellst.
Ich mag es, dass Vash und Lili sich immer umeinander so sorgen und alles. Das mag ich auch immer im Manga/Anime. Ich meine Vash, der sich sonst um niemanden auf der Welt kümmert, ist nur Lili wichtig. Deswegen mochte ich den Moment, als er sie bittet nicht zu gehen und sie hin und her gerissen ist, weil sie ja nicht gehen möchte, aber mit ihrem Bleiben Vash weiter schaden würde.
Aber das er noch immer den Schal trägt, finde ich echt knuffig, bei solchen Dingen werde ich immer in Geschichten schwach xD Wobei mich der rosane Schal an diesen sonderabre Pyama erinnert, den Lili ihm einmal geschenkt hat...
Was mir auch gefiel war Roderich. Zwar kommt es so rüber, als würde er sich lustig darüber machen, aber eigentlich macht er sich ja auch nur um Vash sorgen (zumindest in der Vergangenheit, wo er Lili darauf hinweist) und auch so anmerkt, dass Vash vielleicht etwas zu unweiblich für rosa ist.


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