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Untouched

TaKa/Kakao
von

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Alors on danse

Danke für die Kommentare^^! Diesmal ein sehr langes Kapitel.
 

Enjoy reading!
 

Er konnte nicht ablehnen. Und eigentlich war es auch gar nicht so schlimm, wie er es sich ausgemalt hatte. Trotzdem blieb es ein Club. Und Kai mochte Clubs im Allgemeinen nicht so gern. Es war ihm einfach zu voll und unkontrolliert. Es gefiel ihm zu tanzen, aber eben mit einer Person und vorzugsweise mit einer nachvollziehbaren Schrittfolge. Er mochte auch Musik – er liebte sie -, aber nicht in dieser Lautstärke und nicht von irgendwelchen Möchtegern-DJs verpfuscht.

Letztlich blieb ihm jedoch keine andere Wahl, als mit den Kollegen vom Lehrstuhl samt dem Professor – der auch sein Doktorvater war – einen Trinken zu gehen. Und da der Club eine großräumige Lounge nebenan mit allerlei Getränken bot, unter anderem teure Weine, denen der Professor besonders erlegen war, hatten sie beschlossen sich dort zu verabreden.
 

„Und ich bin immer noch der Meinung, dass es nicht einsichtig ist, warum ein beim Haupttäter unbeachtlicher Irrtum den Vorsatz des Anstifters aufheben soll. Der Anstifter muss sich diesen Irrtum vielmehr zurechnen lassen, denn er ist schließlich der entfernte Urheber der Tat und hat mit seinem Verhalten diesen Irrtum mitverursacht“, ereiferte Kenzo sich zum dritten Mal an diesem Abend.

Zu Kais Leidwesen wurden seine beiden anderen Kollegen nicht müde sich ins Gemetzel verschiedener Ansichten zum Thema „Wie ist der Anstifter zu bestrafen, wenn der Auftragsmörder die falsche Person abknallt?“ zu schmeißen. Professor Otonashi nickte wie ein Honigkuchenpferd über seinem Weinglas und schien glücklich, dass seine Leute so viel Eifer an den Tag legten. Kai interessierte sich ja auch für derlei Fragen, aber er sah keinen Sinn darin mit anderen über vorgefertigte Meinungen irgendwelcher Juristen zu lamentieren. Er hatte seine Meinung dazu gefasst und würde im Einzelfall vor Gericht eine Entscheidung treffen und nirgendwo sonst mit jemanden darüber streiten.
 

Lustlos führte er sein Weinglas zu den Lippen und wünschte sich nach Hause auf seine Couch, wo er mit etwas leckerem zu Essen und seinem Hund irgendeinen Film schauen könnte. Der Graublauhaarige war sich sicher, dass es nicht mehr langweiliger werden konnte, zumal sein Doktorvater plötzlich das Bedürfnis verspürte mit ihm über seine Dissertation zu sprechen. Schon wieder. Aber da hatte er noch nicht die drei Studenten entdeckt, die sich ins Getümmel des Clubs schmissen.
 

Sie hatten es Hana versprochen. An ihrem Geburtstag würden sie einen neuen Club ausprobieren und nicht nur in den zahlreichen Bars rumhängen. Und da standen sie nun. Es war groß, laut und sah teuer aus, was es im Endeffekt auch war. Hana war glücklich. Voller Vorfreude aufs Tanzen suchte sie umgehend einen geeigneten Platz, Akira und Takao dabei hinter sich herschleifend. Mit hochgezogenen Augenbrauen tauschten sie einen Blick, zuckten dann mit den Schultern und feierten einfach mit, auch wenn ihnen die Lounge, die sie im vorbeigehen in den Augenwinkeln gesehen hatten prinzipiell sympathischer war.

Es dauerte nicht lange und die Schwarzhaarige war ihnen fremdgegangen. Verstörend eindeutig tanzte sie mit einem muskulösen Kerl mit Statussymptomen, während Akira und Takao sich was zu trinken holten und prompt die Bekanntschaft mit zwei Medizinstudentinnen machten, die ebenfalls im ersten Semester waren.

„Willst du die Brünette oder die Rothaarige?“, flüsterte Akira ihm ins Ohr, woraufhin Takao die Mädchen noch einmal musterte.

„Ich denke, ich mag es konventionell braun.“

„Wie du meinst.“ Mit einem breiten Grinsen legte Akira der Rothaarigen den Arm um die Taille: „Was halten die Damen davon, wenn wir uns ein wenig in die Lounge setzen?“

„Klingt gut“, lächelte die Rothaarige verführerisch.

Takao kam sich vor als beobachtete er ein Aquarium, in dem pheromonverseuchte Fische schwammen. Ungemein amüsant.
 

Kai wusste nicht wie viele Gläser Wein er schon intus hatte, aber nach dem steigenden Unterhaltungswert seiner Kollegen nach zu urteilen, mussten es einige gewesen sein. Sie scherzten über irgendwelchen Unsinn und brachten den ganzen Tisch zum wiehern, ihn mit eingeschlossen.

Ein Grund mehr aufzuhören.

Es war nicht so, dass seine Kollegen geistlose Schwachmatten waren, keineswegs. Sie waren eigentlich äußerst klug, freundlich und effektiv mit dem was sie taten. Er verstand sich gut mit ihnen. Nichtsdestotrotz zog er es vor nicht in solchen Gesellschaften festzusitzen. Er war einfach nach wie vor nicht der geselligste Typ und würde es wahrscheinlich auch nie werden.
 

Der Graublauhaarige kam gerade von der Toilette mit dem Entschluss sich zu verabschieden, als sein Blick zu einer Sitzgruppe in der Ecke der Lounge fiel.

Sein Herz hörte einen Augenblick auf zu schlagen, als er Takao entdeckte. Er saß mit einem, den Kai aus der Übung wiedererkannte und der ein Mädchen am Hals hängen hatte, in der Couchecke. Das andere Mädchen hatte sich auf Takao fixiert und Kai sah gerade noch, wie sie ihn küsste, bevor sein Blickfeld von einer aufstehenden Clique verdeckt wurde.

Sich zu seinem Glück beglückwünschend ging Kai zurück zu seinen Leuten.

Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit sich in Sapporo ausgerechnet in diesem Club an diesem Tag zu begegnen?

Vermutlich genauso hoch wie die, dass sie sich nach sieben Jahren auf Hokkaido in der Universität von Sapporo in einer Strafrechtsübung trafen.

Kaum saß er wieder auf seinem Platz, suchten seine Augen wie von selbst nach der Couchecke und als er die beiden knutschenden Pärchen fand, verfluchte er sich für seine Neugier.

„Hey! Stoß mit uns an, Hiwatari-san“, rief Kenzo ihm zu, die anderen mit erhobenen Gläsern erwartungsvoll dreinschauend. Also stieß er mit ihnen an.
 

Mittlerweile saß sie auf seinem Schoß und hatte die Arme um seinen Nacken geschlungen. Takao beendete die Zungenakrobatik ungern, aber ihm war nach einiger Zeit wieder Hana eingefallen.

„Komm! Lass uns tanzen gehen“, forderte er die Brünette auf, die daraufhin zufrieden nickte.

„Hey Akira“, Takao pfiff kurz, damit ihm der Türkishaarige Aufmerksamkeit schenkte, „wir gehen tanzen.“

Zwischen zwei Küssen brachte er so etwas wie ein „Okay“ hervor, was Takao grinsen ließ.

Dann schnappte er sich die Hand von dem Mädchen und ging mit ihr zurück auf die Tanzfläche, insgeheim um zu schauen, ob bei Hana alles in Ordnung war. Er war es von Hiromi gewöhnt irgendwie immer auf sie aufzupassen und er fand es gehörte sich nicht, die Schwarzhaarige zu lange alleine zu lassen. Schließlich waren sie zusammen hergekommen.

Takao ahnte nicht im Entferntesten, dass ihm rote Augen folgten.
 

Um vier Uhr morgens hatte sich die Menge ziemlich gelichtet. Jeder, der nicht betrunken war und noch stehen konnte, machte sich langsam fertig zum gehen.

Und obwohl es zwischenzeitlich anders ausgesehen hatte – Akira war mit der Rothaarigen plötzlich verschwunden gewesen – standen sie nun zu Dritt vor der Garderobe, um sich ihre Jacken zu holen.

Hana hatte diesen protzigen Typen in den Wind geschossen und Takao hatte die Brünette auf ein andermal vertröstet. Er hatte genug Anstand, um an Hanas Geburtstag nicht mit einer Frau abzuziehen und im Gegensatz zu Akira waren die Toiletten für ihn keine ansprechende Alternative.

„Freut mich, dass ihr mitgekommen seid“, strahlte sie die Schwarzhaarige an.

Akira fuhr sich verlegen durch die Haare: „Ist doch klar.“

Takao konnte sich ein Augenrollen kaum verkneifen.
 

„Entschuldigung! Sie sind doch Kinomiya Takao?“, fragte ihn ein Mann, der im Club Barkeeper sein musste, auf ihn zukommend.

Skeptisch hob der Blauhaarige eine Augenbraue: „Ja, bin ich.“

„Dann kommen Sie bitte mal mit“, bat ihn der Mann mit ehrlichen Augen.

Er tauschte einen fragenden Blick mit seinen Freunden aus, ehe er dem Barkeeper folgte.

„Soweit ich mich erinnere, kennen Sie sich ja und da keiner mehr da ist, der sich seiner annehmen könnte... es sind keine Taxis mehr frei und fahren lassen, kann ich ihn ja auch nicht.“

Mit diesen Worten ging er zu einem Tisch und zeigte auf einen jungen Mann, der seinen Kopf, auf seinen Armen gebettet hatte. Takao war sich sicher ihn anzustarren wie ein hirnloser Idiot.

„Das sind seine Autoschlüssel“, sagte der Barkeeper und drückte, dem immer noch Erstarrten, einen Schlüsselbund in die Hand. Er kam sich vor, wie im falschen Film. Nein, er war sich ganz sicher, dass das ein schlechter Scherz sein musste.
 

Neugierig geworden, kamen Akira und Hana an seine Seite und blickten mit ihm auf das Häuflein Elend.

„Oh je“, brachte Akira hervor.

Hana hatte mehr an Emotion zu bieten: „Du musst ihn nach Hause bringen.“

Takao sah sie entgeistert an: „Wir verstehen uns nicht. Ich will keine Zeit mit ihm verbringen.“

Die grünblauen Augen sahen ihn an, als hätte er ihr gerade offenbart, dass er ihre Katze ertränken wolle.

„Komm schon. Wer soll ihn denn nach Hause bringen? Akira und ich sind dafür noch weniger geeignet als du.“

„Da sagt sie was“, fing jetzt auch noch Akira an den Moralapostel zu spielen.

Am liebsten hätte sich Takao gewatscht, um sich zu vergewissern, dass er nicht alpträumte.

Resigniert ging er schließlich auf Kai zu und berührte ihn am Arm: „Hey, aufwachen.“

Kai zuckte zusammen und hob schwerfällig den Kopf. Er blickte Takao direkt an, doch es war deutlich zu erkennen, dass es ihm schwer fiel ihn zu erkennen. Die Rädchen drehten langsam. War wohl besser so. Er hatte keine große Lust auf blöde Sprüche, schon gar nicht vor seinen Freunden.

„Takao?“, fragte Kai ungläubig. Die roten Augen waren matt und müde, irgendwie resigniert.

„Ja, und du gehst jetzt nach Hause.“ Nachdrücklich packte er Kais Arm und zog ihn hoch, überrascht davon, wie pflegeleicht er war und gekonnt ignorierend, wie bei der Berührung kribbelnde Hitze seine Finger hoch kroch und sein Herzschlag beschleunigte.
 

Hilfsbereit holte Hana Kais Jacke und Akira suchte draußen das Auto zu dem Schlüssel, während Takao den Graublauhaarigen stützte, da er nicht mehr selbst gehen konnte. Der schien es jedoch irgendwie komisch zu finden, denn etwas wie ein Glucksen verließ seine Kehle. Takao hatte nicht oft jemanden erlebt, der so stark betrunken war. Und obwohl er genug damit beschäftigt war nicht daran zu denken, wie nah Kai ihm nun war, konnte er nicht umhin sich zu fragen, warum er so über die Stränge geschlagen hatte. So sehr schien er sich schließlich nicht verändert zu haben, dass ihm Kontrollverlust nichts mehr ausmachte.
 

Draußen war es eisig und es hatte angefangen zu schneien. Tief atmete Takao die kalte Dezemberluft ein. Hana neben ihm streckte sich genüsslich: „Es ist doch okay, wenn wir gehen?“

Das fragte sie, nachdem sie ihm eingeredet hatte, es tun zu müssen. Doch anstatt ein Wort über seinen Unmut zu verlieren, nickte er nur: „Ja. Kannst du nur bitte in Kais Geldbörse nach seinem Ausweis schauen? Da müsste drauf stehen, wo er wohnt.“

„Klar.“ Mit diesen Worten fischte sie ungeniert das schwarze Portemonnaie aus Kais Hosentasche und wühlte sich bis zum Pass durch, den sie Takao dann in dessen Hosentasche steckte, weil er selber schlecht dran kam, musste er doch seinen alten Teamkollegen auf den Beinen halten.

„Hiwatari-san fährt einen BMW!“, rief Akira bestürzt und lief vor einem weißen Auto auf und ab.

„Na dann.“
 

Kaum hatte er die Fahrertür geschlossen, knallte ihm die Stille und Kais Geruch so stark entgegen, dass es ihn schwindlig machte. Wie er das hasste.

Sie hatten ihn auf den Beifahrersitz verfrachtet und willenlos, wie er war, ließ er sich alles gefallen. Erschreckend und faszinierend zugleich.

Müde las Takao die Straße von Kais Personalausweis ab und gab sie ins Navi ein.
 

Kai wohnte in einem kleinen Häuschen am Rande der Stadt. Die ganze Fahrt über hatten sie geschwiegen. Er hatte beschlossen es einfach hinter sich zu bringen.

Als er ausstieg, wurde er sofort von großen Schneeflocken bedeckt. Er sah kaum zwanzig Meter, so stark schneite es bereits. Mit einem tiefen Atemzug ging er zur Beifahrerseite.

„Auf geht’s“, sprach er sich selbst Mut zu und zog den Graublauhaarigen aus dem Auto und zur Haustür. Es dauerte eine Weile, bis er den richtigen Schlüssel hatte und aufsperren konnte. Kaum war die Tür einen Spalt breit offen, schmiss er sie wieder zu.

„Sag deinem Hund, er soll mich nicht fressen“, mahnte Takao, was ihm ein Brummen einbrachte. Immerhin war Kai noch bei Bewusstsein, was er allerdings von dem verstand, was er sagte, war wieder etwas anderes...

Glücklicherweise schien es angekommen zu sein.

„Sei brav, Ella“, kam leise über Kais Lippen, schien jedoch auch zu reichen, denn das schwarze Ungetüm ließ Takao widerstandslos ins Haus.
 

Es war dunkel im Flur und Takao schlecht gelaunt. Seine Hand fuhr vergeblich über die Wand auf der Suche nach dem Lichtschalter, also entschied er sich einfach im dunklen und mit Schuhen nach dem Schlafzimmer zu suchen, um Kai endlich los zu werden. Ihn nach dem Raum zu fragen, brachte er nicht über sich. Die sarkastischen Kommentare zu so einer Frage lagen ihm ja schon selbst auf den Lippen und auf Kais geistige Abwesenheit wollte er da nicht vertrauen. Albern, ja, aber er konnte es nicht ändern.
 

Glücklicherweise war die Wohnung wunderbar übersichtlich. Wohn- und Schlafzimmer lagen nebeneinander am Ende des Flurs.

Seufzend ließ er Kai an der Bettkante runter, woraufhin dieser sofort glucksend nach hinten ins Bett kippte und Takao sich auf der Matratze abstützen musste, um nicht ebenfalls reinzufallen.

Sie kamen sich dadurch viel zu nah und Kai sah ihn plötzlich mit halb geöffneten Augen so klar an, dass Takao nicht einschätzen konnte, ob er nun verstand, was geschah, oder nicht.

Kais Mundwinkel zogen sich zu einem traurigen Lächeln hoch: „Tut mir leid.“

„Was?“, fragte Takao irritiert, die ihn befallende Hitze verdrängend.

„Dass ich weggegangen bin.“

Heiß-kalte Schauer durchfuhren seinen Körper. Bittere Wut setzte sich in seinem Bauch fest:

„Das hätte dir früher einfallen müssen.“

Ungehalten wollte Takao sich gerade wieder aufrichten, als eine Hand seinen Mantel eisern fasste und ihn somit in dieser Position gefangen hielt.

„Es tut mir wirklich leid“, brachte Kai nachdrücklich über die Lippen und sah ihn direkt an, was Takao eine Augenbraue heben ließ.
 

Eine Idee hatte sich in seine Gedanken geschlichen. Warum sollte er nicht versuchen Kais Trunkenheit zur Informationsgewinnung auszunutzen?

Es war zwar unanständig, aber er konnte ja auch nicht einschätzen, was Kai nun sagen wollte und was er nur sagte, weil er keine Hemmungen mehr hatte alles auszusprechen. Nicht wahr?

„Warum bist du einfach so fortgegangen - ohne Lebwohl zu sagen?“

Kai drehte seinen Kopf zur Seite, unterbrach damit den intensiven Augenkontakt. Takao glaubte schon, er würde ihm nicht mehr antworten, als ihn die tiefroten Augen abermals fokussierten: „Aus Feigheit.“

„Weswegen? Wegen mir? Das ist doch albern...“ Takao wurde zum Ende immer leiser.

Unliebsame Erinnerungen an die Zeit, nachdem er begriffen hatte, dass Kai endgültig verschwunden war, kehrten zurück, raubten ihm den Atem. Er hatte davor und danach nie mehr so gelitten, war nie mehr so enttäuscht worden.
 

Eine Hand, die sanft über seine Wange strich, holte ihn ruckartig aus seinen Gedanken.

Kais Blick ließ sein Herz schnell und dumpf gegen seinen Brustkorb pochen. Er sah ihn traurig, sehnsüchtig und sanft zugleich an, eine Mischung, die Takao nie zuvor bei ihm gesehen hatte, eine, die ihm heiß und zittrig werden ließ.

Er beobachtete das Geschehen, als wäre nicht er es, der an der Handlung teilnahm, als Kai ihn zu sich herunterzog.

Zärtlich berührten sich ihre Lippen und mit einem Mal brachen alle vergrabenen Gefühle hervor, wie eine unaufhaltsame Flut durch einen Damm.

Alles in ihm schauderte, zitternd stütze er sich über Kai ab, der ihn im Nacken hielt, als Takaos erstarrte Lippen den gehauchten Kuss leidenschaftlich erwiderten.
 

Doch dieser Moment weilte nicht lange. Als hätte er sich verbrannt, schreckte Takao zurück und stellte sich aufrecht hin. Sein Herz hämmerte wild gegen seine Brust und seine Gedanken wirbelten konfus durcheinander. Also griff Takao die nächstliegende Emotion heraus, um auf diese Situation zu reagieren: Wut.

„Spinnst du?“

Kai starrte leer geradeaus, dann legte er die Arme über die Augen und sah dabei so traurig aus, dass Takao – obwohl er sich dafür hasste – ein wenig Mitleid bekam.

Zögerlich setzte er sich auf die Bettkante: „Was ist denn jetzt los?“

Langsam fuhr er mit den Fingern über Kais Arme, versuchte sie von seinem Gesicht zu lösen, was nicht funktionieren wollte. Stattdessen kribbelten seine Finger bei der Berührung wie verrückt.

Sauer über seine körperlichen Reaktionen, beschloss er wenigstens Kais Schuhe auszuziehen und ihn zuzudecken.

Kaum wollte Takao gehen, vernahm er die flüsternde Stimme: „Bitte bleib bei mir.“

Seufzend drehte er sich um und traf auf diese verfluchten Rubine, die ihn um den Verstand brachten.

Er hasste Kai für diese Augen. Er hasste ihn für seinen Stolz und seine Selbstherrlichkeit. Für alle schlechten Eigenschaften, unter der jeder litt, der ihm einigermaßen Nahe stand.

Kai kam ihm in diesem Augenblick jedoch so seltsam verloren vor, dass er wider besseres Wissens nachgab.

„Ich bleibe bis du schläfst.“ Und das würde bei dem Alkoholkonsum wohl eine absehbare Zeitspanne sein. Hoffte er zumindest.

Da keine Sitzgelegenheit in greifbarer Nähe war und der Hund keine zwei Meter entfernt auf dem Boden lag, ging er auf die andere Seite des Bettes und legte sich, natürlich voll bekleidet, hinein.
 

Keine Sekunde später, rückte ihm Kai erneut auf die Pelle, zu seiner Überraschung allerdings, ohne ihn erneut unter einem Anfall von Irrsinn küssen zu wollen. Stattdessen machte er etwas, dass sogar noch mehr imstande war, Takao aus der Fassung zu bringen.

Hingebungsvoll schmiegte er sich an ihn und vergrub seinen Kopf an seiner Brust, in den Stoffen seiner Kleidung. Er war sich sicher, dass sein Herzschlag den ganzen Raum erfüllte.

Abwesend strich er Kai durch das weiche Haar und fragte sich ernsthaft, wie und vor alledem warum zur Hölle er hier nur wieder hineingeschliddert war.
 

Als er sich sicher war, dass Kai eingeschlafen war, löste er sich von ihm und stieg aus dem Bett. So leise wie möglich schlich er hastig aus dem Raum.

Schwer seufzend ließ er sich gegen die geschlossene Tür sinken. Ein dumpfes Gefühl hatte sich in seinem ganzen Körper ausgebreitet, raubte ihm die Luft zum Atmen. Er fühlte sich genauso taub und hilflos, wie zu dem Zeitpunkt, an dem ihm klar geworden war, dass Kai nicht mehr zurückkommen würde.

Doch nun war es eine gänzlich andere Situation. Kai war hier. Betrunken. Küsste ihn.

Überfordert raufte sich Takao die Haare.

Das schien ihm die Aufmerksamkeit des Hundes einzubringen, denn das schwarze Ungetüm kam auf ihn zu, was Takao schnell aufstehen ließ. Glücklicherweise beschränkte sich der Hund darauf ihn bloß aufmerksam anzustarren und begegnete ihm nicht feindselig.

Trotzdem ging er ihm lieber aus dem Weg und schritt auf die Haustür zu.

Er wollte nur weg. Er wollte nur vergessen.
 

Als er am nächsten Morgen aufwachte, dachte er, er müsse sterben. Sein Kopf dröhnte, als führe ein Zug mit angezogener Handbremse drüber und jeder Muskel in seinem Körper fühlte sich schwer an. Am schlimmsten war jedoch die erstickende Übelkeit, die so schnell in ihm hoch stieg, dass er sich wunderte, wie er seine steifen Glieder aus dem Schlafzimmer bis ins Bad und zum Klo bekam, bevor er sich elendig erbrach.
 

„Wie kann man nur so viel trinken?“, meinte Takao nüchtern und sah zu seiner Zufriedenheit, wie Kai zusammenzuckte, als er seine Stimme vernahm.

Er wischte sich den Mund mit Klopapier ab und sah dann, immer noch am Boden hockend, zu dem schadenfroh in der Tür lehnenden Japaner.

„Was machst du hier?“, brachte er, unter einer erneuten Welle der Übelkeit, hervor.

„Der Barkeeper hat mich aufgegabelt, mir deine Schlüssel in die Hand gedrückt, woraufhin ich dich dann – genötigt von meinen Freunden – nach Hause gebracht habe.“

Kai lehnte sich erneut über die Klobrille, doch Takao setzte unbeirrt im sarkastischen Tonfall fort:

„Und als ich dann – endlich! – nach Hause konnte, musste ich feststellen, dass inzwischen so viel Schnee gefallen war, dass kein Taxi, kein Bus oder sonst irgendetwas in dieser Stadt mehr fährt. Bis jetzt. Da draußen geht es zu, wie in einem Roland Emmerich-Film. Und da ich zudem auch noch so gut wie am anderen Ende Sapporos wohne... Da bin ich doch tatsächlich hier geblieben.“

Takao klang so über die Maßen sarkastisch, fast boshaft, dass Kai es nicht wagte zurückzuschauen, als er sich wieder kurz erholte. Zitternd und schweißdurchtränkt blieb er hocken und starrte in die Kloschüssel.
 

Mit einen abfälligen Schnauben wandte sich Takao ab und ging in die Küche. Der Hund stand nun vor dem Bad und starrte sein armseliges Herrchen fast besorgt an. Eine gute Gelegenheit die Schränke nach etwas Essbaren zu untersuchen.

Zuvor hatte der Hund ihn jedes Mal angeknurrt, wenn er versucht hatte einen Schrank zu öffnen. Durch die Wohnung durfte er gehen, auf der Couch liegen, aber Wühlen durfte er nicht. Er wunderte sich, was Kai dem Vieh noch alles beigebracht hatte...

Er fand schnell, was er suchte. In keiner Zeit machte er zwei Käsesandwiches, die er auf einer Platte ins Wohnzimmer brachte und auf dem niedrigen Couchtisch abstellte. Anschließend füllte er Orangensaft in ein Glas und stellte es ebenfalls auf den Tisch.
 

Er konnte sich ein gehässiges Grinsen nicht verkneifen, als er hörte, dass Kai immer noch überm Klo hing. Das hatte er davon.

Wenigstens eine kleine Genugtuung für den ganzen Ärger, den Takao wegen ihm hatte. Das schleichende Mitleid für ihn ignorierte der Blauhaarige gekonnt. Wo käme er denn da hin?

Als er nach geraumer Zeit die Klospülung hörte und bemerkte, dass Kai Anstalten machte, das Bad zu verlassen, ging er schnell hin und schlug ihm die Tür vor der Nase zu: „Du bleibst da gefälligst drin, bis du geduscht hast! Du stinkst.“

Zufrieden mit sich, sah Takao dann runter auf den Hund, der neben ihm stand und ihn mit angelegten Ohren böse anfunkelte.

„Was?“, fuhr er das Tier gereizt an und machte auf dem Absatz kehrt, das Knurren übergehend.
 

Er war so schnell im Schlafzimmer verschwunden, dass der Hund keine Gelegenheit mehr hatte ihm zu folgen. Endlich konnte Takao mal einen Schrank öffnen, ohne blöd angegafft zu werden.

Unter dem Vorwand nett zu sein, machte er den Kleiderschrank auf und begutachtete die zahlreichen Hemden, die feinsäuberlich an den Bügeln hingen. Viele Weiße, einige Blaue, ein paar Dunkelblaue und ein rotes Hemd. Takao konnte sich vorstellen, dass Kai dieses warme Dunkelrot ganz ausgezeichnet stehen würde.

Daneben hingen elegante Stoffhosen, Blue Jeans und schwarze Jeans. Im Schrank daneben waren Pullis und T-Shirts. Ansonsten entdeckte er noch Mützen, Lederhandschuhe, Unterwäsche, Socken – eben alles, was man so im Kleiderschrank hatte. Mit gerunzelter Stirn hielt er inne. Nur keine Sportbekleidung. Was ziemlich seltsam war, denn jeder hatte Sportkleidung und er hatte Kai schließlich auch in Joggingklamotten gesehen. Wo er sie wohl aufbewahrte? Vielleicht in dem Keller, den er gesehen hatte, als er den Hund in den kleinen Garten gelassen hatte?
 

Nach kurzem Nachdenken holte Takao einen blauen, schön weichen Cashmere-Pullover, eine Jeans, Socken und Shorts hervor und ging damit aus dem Zimmer.

Der Hund lag vor der Badtür und lauschte anscheinend dem Wasserrauschen der Dusche. Zögerlich ging Takao auf ihn zu – möglichst Augenkontakt vermeidend – und legte die Kleidung neben ihn. Dann verschwand er wieder schnell in die Küche, was der Hund mit schrägem Kopf beobachtete.
 

Er wusste nicht, wie er es heil in und aus der Dusche geschafft hatte, aber letztlich stand er mit einem Handtuch bekleidet da und starrte auf das Häufchen Kleidung vor der Badtür. Fahrig sah er sich im Flur um, lauschte, doch Takao war nirgends zu entdecken. Nur Ella saß vor der Tür und blickte ihn wedelnd an. Er streichelte ihr kurz über den Kopf, bevor er die Sachen vom Boden aufhob und wieder im Bad verschwand.
 

Dort betrachtete er befremdet die Auswahl und musste sich eingestehen, dass er es irgendwie zuvorkommend von Takao fand, ihm die Sachen rauszusuchen und er sich darüber freute. Zumindest empfand er so etwas wie Freude, verstehen warum, tat er jedoch nicht. Schließlich musste der andere in seinem Schrank gewühlt haben und Kai mochte es darüber hinaus nicht bemuttert zu werden. Na gut. Nachdem er nun schon so dumm gewesen war sich haltlos zu betrinken und von Takao nach Hause gebracht werden musste, brauchte er jetzt nicht Haarspalterei zu betreiben.
 

Erst jetzt viel Kai auf, dass er sich nicht mehr daran erinnern konnte, dass Takao ihn überhaupt nach Hause gebracht hatte. Im Grunde wusste er gar nichts mehr ab dem Zeitpunkt, an dem seine Kollegen gegangen waren. Er sah noch seinen Doktorvater vor Augen, der beschwippst und mit hochrotem Kopf seine Hand schüttelte, als wäre es das lustigste, was er je getan hatte. Gut, für einen Japaner mochte es auch amüsant sein.

Danach war nichts mehr.

Stöhnend fuhr sich Kai über den dröhnenden Kopf. Toll, er hatte einen Blackout. Und weiß der Geier, was er alles getan hatte, ohne sich daran zu erinnern. Das war über die Maße erniedrigend und verdrießlich. So etwas hätte ihm einfach nicht passieren dürfen.

Und weshalb hatte er sich gehen lassen?

Der bloße Gedanke daran machte ihn rasend.
 

Takao saß im Schneidersitz auf dem Sessel und aß ein Sandwich, als Kai, bemüht um sein Gleichgewicht, ins Wohnzimmer trat. Sein Blick wanderte zum Fenster. Auf der kleinen Veranda mochte der Schnee gut dreißig Zentimeter hoch liegen und das obwohl das Dach schützend darüber ragte. Kai kannte die Winter in Sapporo und an manchen Tagen kam man eben nicht von der Stelle und zu ihrer beider Glück sollte heute anscheinend so ein Tag sein.
 

„Wie ich sehe, kennst du dich aus; dann hättest du wenigstens auch einen Teller nehmen können“, pöbelte er noch bevor Takao ihn bemerkt hatte, weil dieser nicht einmal mit einer Serviette auf seinem teuren Sessel aß.

Takao zuckte leicht zusammen, musterte Kai einen Augenblick, ehe er runter schluckte, ihm die Zunge herausstreckte und ihn wieder schweigend ignorierte.

Irritiert von diesem Verhalten ging Kai zur gegenüberstehenden Couch und ließ sich innerlich seufzend darauf sinken, legte sich hin und hoffte, dass die erneute Welle der Übelkeit schnell abklingen würde.

Mit einer hochgezogenen Augenbraue bemerkte Kai das auf einer Silberplatte liegende Käsesandwich und das Glas Orangensaft.

„Dein wievieltes Sandwich ist das?“, spöttelte er weiter, was ihm wieder Takaos Aufmerksamkeit einbrachte.

„In meiner grenzenlosen Freundlichkeit habe ich es für dich gemacht. Man muss etwas zu sich nehmen, wenn man so viel getrunken hat. Dann geht es einem besser“, erklärte er mit vor Sarkasmus triefender Stimme, „Außerdem habe ich deinen Köter heute früh in den Garten gelassen.“

„Der Köter heißt Ella und ist eine Hündin“, belehrte ihn Kai tadelnd.

„Ist mir doch egal, was für ein Geschlecht das Vieh hat, das mich anfällt“, patzte ihn Takao umgehend an.

„Ich habe bereits gesagt, dass mir das leid tut“, begann Kai nachgiebig, meinte dann jedoch: „Aber es war deine eigene Schuld, dass sie das getan hat. Du hättest mich nicht angreifen dürfen.“

„Angreifen?“, spie Takao aus, „Ich habe dich angegriffen? Du weißt gar nicht, wie das aussehen täte, würde ich dich wirklich ernsthaft angreifen.“

Der Hund schien jedoch seine eigene Vorstellung davon zu haben, wann ein Angriff begann. Alarmiert durch Takaos laute Stimme kam sie auf ihn zu, was diesen im Sessel erschrocken aufstehen ließ.

Leicht schmunzelnd beobachtete Kai Takaos panische Reaktion und meinte dann sanft: „Ella, komm her. Alles okay.“

Die Hündin sah ihr Herrchen kurz an, kam dann wedelnd auf ihn zu und legte sich neben die Couch, den Kopf auf dem haselnussbraunen Stoff gebettet und auf die Streicheleinheit wartend, die sie dann auch bekam.

Takao stieg beruhigt von dem Möbelstück und setze sich normal hin und aß sein Sandwich zu Ende.
 

„Sie mag dich, ansonsten hättest du dich nicht so frei in der Wohnung bewegen können“, durchbrach Kai nach einer Weile die Stille.

Takao blickte ihn skeptisch an: „Soll das ein Witz sein? Sie hat mich die ganze Zeit beobachtet und angeknurrt, wenn ich was angefasst habe.“

Kam es ihm nur so vor, oder verstärkte Kai auf seine Worte hin die Streicheleinheit?

„Es ist schon vorgekommen, dass sie Leute nicht aus einem Raum gelassen hat. Und eine Freundin meiner Ex hat sie sogar mal in einer Ecke festgehalten.“ Kai kam das Wort Ex ungewöhnlich schwer über die Lippen. Es schmeckte in Takaos Gegenwart seltsam bitter.

Dieser versuchte das unwillkürliche Zusammenzucken bei eben diesem Wort zu überspielen. „Was bringst du diesem Hund eigentlich bei?“, versuchte er aufgebracht zu klingen.

Ella legte den Kopf auf ihre Pfoten, als sich Kai gänzlich auf den Rücken legte, einen Arm hinter dem schmerzenden Kopf, den anderen über seiner pochenden Stirn und die Augen schloss.

„Sie ist ein Beauceron. Ein Hirtenhund. Und ich habe sie als Rettungs- und Schutzhund ausgebildet. Wir hatten auch schon einige Einsätze in Erdbeben- und Tsunamigebieten.“

Leicht beeindruckt von der letzten Aussage, hob Takao eine Augenbraue an, schwieg jedoch.

Das würde erklären, warum Kai am Anfang des Semesters so braun gewesen war. Wahrscheinlich hatte er die Ferien größtenteils im Freien verbracht.

Mittlerweile war er wieder weiß und durch den Kater sogar gespenstisch blass. Aber Takao hatte sich vorgenommen kein Mitleid mehr mit ihm zu haben, also schnaubte er lediglich und lümmelte sich auf den Sessel, sodass Beine und Kopf seitlich herausragten.
 

Es dauerte nicht lange und ihm wurde diese unbequeme Lage zu blöd. Unzufrieden richtete er sich wieder auf und sah sich um. Er hielt dieses nichts Tun einfach nicht aus. Es war ja schon schlimm genug die Gegenwart Kais zu ertragen, seinen Geruch in der ganzen Wohnung wahrnehmen zu müssen. Oh, und wie bekannt dieser ihm war.

Eine kurze Erinnerung an eine unwirkliche Welt, eine Umarmung, flackerte vor seinem inneren Auge auf.

Mit einem Kopfschütteln vertrieb er die Gedanken daran, die innere Aufgewühltheit blieb allerdings.

Mit einem unmerklichen Seufzen stand Takao auf und ging zu dem großen Regal an der vorderen Wand des Wohnzimmers. Da der Hund keine Notiz von ihm nahm, konnte er jetzt wenigstens die ganzen Einrichtungsgegenstände von nahem betrachten.

Neugierig schweifte sein Blick über die vielen Bücher, fuhr mit der Hand die Rücken entlang. Erstaunt erkannte er, dass unter den vielen japanischen und russischsprachigen Bänden auch französische und deutsche Exemplare standen.

„Du kannst Deutsch?“, fragte er ohne zu Wissen, ob Kai überhaupt wach war. Er ahnte nicht, dass dieser jedes Geräusch genauestens mitverfolgt hatte.

„Nur lesen“, antwortete er leise, die Augen immer noch geschlossen.

Kai konnte hören, wie Takao eines der Bücher aus dem Regal zog: „Faust? Darüber hab ich in der Schule gelernt.“

Er blätterte ein paar Seiten durch, verstand natürlich nichts, außer das Reimschema. Dann stellte er es zurück und schaute weiter. Albert Camus, Schiller – diese Autoren kannte er auch. Bei Friedrich Dürrenmatt und Bertolt Brecht setzte seine Allgemeinbildung jedoch aus.

„Ah, Effi Briest! Das war ein gutes Buch“, rief er plötzlich und zog es heraus.

Von dieser Reaktion gänzlich verstört, öffnete Kai seine Augen und sah zu Takao, der mit einem leichten Lächeln durch das deutsche Buch blätterte.

„Du liest literarische Werke?“ Um nicht zu fragen, ob er überhaupt lese.

Takao blickte kurz zu ihm, stellte dann das Buch zurück und erkundete das Regal weiter: „Stell dir vor, ich bin gebildet!“

Takao wusste nicht, ob er beleidigt oder wütend darüber sein sollte, dass Kai es scheinbar so sehr überraschte, dass sogar er mal etwas anderes als einen Manga gelesen hatte.

Neben den klassischen Werken aus Japan, England, Deutschland, Frankreich – wahrscheinlich auch Russland, aber da konnte er nicht einmal die Namen der Autoren lesen – fanden sich dann aber auch ganz normale Romane. Meist Krimis, Thriller und viele Stephen King-Bücher. Außerdem ein paar historische und kulturelle Bände. Er wunderte sich, ob Kai das alles auch gelesen hatte.

In den beiden unteren Regalreihen waren keine Bücher mehr, sondern DVDs und CDs. Auch da bewies sich Kais Geschmack als breit, wobei auch viele typische Klassiker dabei waren, wie „Der Pate“, „Avatar“ oder „Titanic“, die so gut wie jeder kannte oder besaß. Bei der Musik waren vor allem viele russische und französische Titel dabei.

„Von den beiden Pflichtfremdsprachen hast du also Französisch ausgewählt. Was war die Zweite?“

„Russisch.“ Er hatte weder Lust noch Zeit gehabt eine weitere Fremdsprache zu lernen. Französisch hatte ihm gereicht und Englisch sprach er eindeutig öfter als seine Muttersprache.

„Und du?“

„Spanisch und Chinesisch“, gab Takao mit gelangweilter Stimme von sich.

„Warum?“

„Spanisch kann ich schon etwas von der Ausbildung und Chinesisch spricht die halbe Menschheit. Ah!“ Takao zog eine CD mit klassischer Musik heraus, stand auf und ging zum Fernsehertisch. Unter dem Fach mit dem Receiver und dem DVD-Player befand sich eine CD-Anlage, in die er die CD schob.
 

Im nächsten Augenblick schallte melodische und für Kai eindeutig zu laute Musik aus den Lautsprechern. Mit schmerzverzerrtem Gesicht schloss er die Augen und fluchte innerlich. Als er sie wieder öffnete traute er ihnen nicht: „Was in aller Welt tust du da???“

„Hiromi zwingt mich an Silvester auf einen Benefizball und dafür muss ich ein wenig tanzen können, sonst dreht sie mir den Hals um“, antworte Takao schlicht und tanzte dabei den Walzer mit solcherlei erhobenen Händen, als führe er seine Partnerin.

„Haben dich eigentlich alle guten Geister verlassen? Hör auf damit, du nervst mich!“

Takao hielt inne, sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an und hielt sich die Hand vor den Mund: „Oh, nein! Wie schrecklich! Ich bin untröstlich.“

Dann ging sein spöttischer Tonfall in Ärger über: „Und mich nervt es hier mit dir festzusitzen.“

Gereizt hockte sich Takao wieder vor die Anlage, betätigte die Stopp-Taste und holte die CD heraus.

Die wohltuende Ruhe hielt jedoch nicht lange an.
 

Keine Minute später erfüllte moderne Musik das Zimmer und trieb Kais Kopfschmerzen auf die Spitze. Mit einem Blick, als würde er Takao jeden Augenblick an die Kehle springen, setzte er sich ruckartig auf, zu ruckartig, wie er an seiner verschwimmenden Sicht feststellen musste.

„Das muss jetzt echt sein, oder!?“

„Geh doch ins Schlafzimmer, wenn es dich stört. Mir ist langweilig und ich habe nichts besseres zu tun, als zu üben.“

Hiromi würde ihm die Hölle heiß machen, wenn er sie blamierte, nachdem er doch so großmäulig gewesen war, ihr zu sagen, dass er die paar Tänzchen auch ohne Tanzkurs lernen würde. Internet sei Dank würde er auch nicht völlig planlos dastehen, aber er war noch meilenweit davon entfernt sich nicht zu blamieren.
 

Stocksauer über Takaos bodenlose Frechheit starrte er ihn an, eine böse Erwiderung nach der anderen auf der Zunge. Doch stattdessen fand ein anderer wütender Satz über seine Lippen: „Was zum Teufel soll das sein, was du da machst?“

Takao starrte ihn an: „Discofox.“

„Das ist kein Discofox.“

„Ach ja?“

„Ja.“ Das tat direkt in den Augen weh.

„Und woher willst du das wissen?“

„Weil ich, ganz im Gegensatz zu dir, weiß, wie man ihn tanzt.“

Hochmütig lachte Takao auf: „Ach, wirklich? Das will ich sehen!“

Kaum hatte er das gesagt, stand Kai auf und kam auf ihn zu. Mit hochgezogenen Augenbrauen, beobachtete Takao, wie Kai seine linke Hand nahm und seine eigene Linke auf seinen rechten Oberarm legte: „Ich zeige dir, wie es geht. Es ist ja nicht mitanzusehen.“

Takao war so perplex, dass er vergas etwas zu sagen oder auch nur die Wärme, die von Kais Händen ausging, wahrnahm. Automatisch legte er seine andere Hand an Kais Rücken.

„Komm. Links, rechts, tepp. Links, rechts, tepp.“ Dabei führte er Takao, übernahm selber allerdings den Frauenpart.

„Tepp?“ Er brachte nichts vernünftigeres raus.

„Das ist ein unbelastetes Aufsetzen, wobei die Ferse oben bleibt“, erklärte Kai genervt.

Takao starrte auf ihre Füße und versuchte ein Gefühl für den Rhythmus zu bekommen, dann übernahm er die Führung und schaffte es auch vorwärts und rückwärts zu tanzen.

Er sah erst auf, als er Kais Stimme vernahm: „Ich zeige dir jetzt die Rechtdrehung. Ich führe, sieh einfach zu. Und das müsste dann für den Ball reichen.“

Mit diesen Worten zog er Takao nach dem Grundschritt in die Drehung und wiederholte es ein paar Mal, bevor er inne hielt: „Kapiert?“

Die braunen Augen sahen ihn kurz zweifelnd an, dann schaute er wieder runter und versuchte es ein paar Mal. Anfangs zwar stockend, aber er lernte glücklicherweise schnell.
 

Erst als er sicher war, die Schritte verinnerlicht zu haben, wagte Takao es aufzuschauen und blickte direkt in rubinfarbene Augen.

Und auf einen Schlag spürte er Kais Hand warm in der seinen. Der weiche Pullover fühlte sich mit jeder Sekunde heißer unter seinen Fingern an und sein Oberarm, wo Kai ihn berührte, schien mit einem Mal zu brennen. Schwer schluckend, versuchte er seine plötzliche Verunsicherung nicht zu zeigen, begann vielmehr in den roten Augen zu lesen. Bis auf eine gewisse Erschlagenheit vom Kater und Hochmut, fand er jedoch nichts. Sie waren undeutbar wie eh und je.

Kai hingegen bemühte sich darum den deutlich analytischen Blick Takaos zu ignorieren – generell die ganze Präsenz dieses Menschen. Doch diese tiefbraunen Augen machten es ihm so unsagbar schwer. Er hätte einfach nachgeben und den Raum verlassen sollen. Was bildete er sich auch ein ihm unbedingt eine Lektion erteilen zu wollen - schlicht um stur zu bleiben, um es besser zu wissen.
 

Auf einmal durchfuhr ihn ein Schauder und es war ihm kurz, als spüre er einen warmen Körper dicht an seinem, eine Hand, die ihm sanft durch die Haare strich.

Takao entging nicht, wie Kai ein Zittern durchfuhr und sah ihn fragend an.

Über dieses plötzliche Gefühl, dass ihn kurz befallen hatte, irritiert, blinzelte Kai ein paar Mal und unterbrach den Augenkontakt. Takao wunderte sich, ob diese Reaktion von der gesteigerten Empfindlichkeit aufgrund des Katers herrührte, oder ob er der Auslöser war.

Und das nicht zu wissen, war für ihn unerträglich. Takao hatte entschieden kein Wort über die gestrige Nacht – also in erster Linie den Kuss – zu verlieren, wenn Kai nicht fragte oder den Anschein machte, sich daran zu erinnern. Leider – oder zum Glück? – schien dieser einen Blackout zu haben, was bedeutete, dass er mit diesem Ereignis irgendwie alleine fertig werden musste. Es war für Kai ja nie geschehen. Und das war unerträglich. Es zerriss ihn innerlich, nicht zu wissen, was der Graublauhaarige für ihn empfunden hatte oder womöglich noch empfand. Er konnte sein Verhalten ums Verrecken nicht zuordnen und das trieb ihn so tief zurück in das schwarze Loch, in das er nach Kais Verschwinden gestürzt war - und in dem ihm klar geworden war, was zumindest er selbst empfand.
 

Takao ließ die Hand auf Kais Rücken weiter nach links wandern, ließ dessen Hand los und umfasste seine Schulter. Infolgedessen schmiegte er sich an ihn, was den anderen überfordert erstarren ließ und bettete seinen Kopf auf Kais linke Schulter.

„Ich hasse dich“, flüsterte er kaum hörbar.

„Ich hasse dich auch“, entgegnete Kai nach einiger Zeit wie betäubt, wobei er seine Arme mehr unbewusst um Takaos Taille schloss und ihn leicht an sich zog.
 

Ein Klingeln an der Haustür ließ Takao aufschrecken: „Das wird endlich mein Taxi sein.“

Er löste sich von ihm und Kais Magen zog sich schaudernd zusammen, als er unendlich traurigen Augen begegnete.

Mit einem Schlag wurde ihm vollkommen bewusst, was er Takao angetan hatte, wurde sich des vollen Ausmaßes von dessen Enttäuschung gewahr. Er hatte ihn kaputt gemacht. Er hatte es letztlich doch geschafft Kinomiya Takao zu brechen. Aber auf eine gänzlich andere Weise, als er es je beabsichtigt hatte.
 

Während Takao ging, um sich anzuziehen, blieb Kai noch wie vom Donner gerührt stehen. Er war schon bei der Tür, als endlich Bewegung in ihn kam: „Takao...“

„Nein!“, unterbrach er ihn sogleich barsch, schaute ihm direkt in die erschütterten Rubine.

Dann schüttelte er den Kopf, öffnete die Tür, ehe er ihn ein letztes Mal mit resignierten Augen ansah:

„Leb wohl.“
 

Das Geräusch der zufallenden Tür dröhnte noch eine Weile in seinen Ohren, während er weiterhin geradeaus starrend unbewegt im Flur stand, die letzten Worte Takaos in seinem Kopf wiederhallend.

Wie konnte das nur passieren?
 

Takao? Warum hast du für mich den neuen Blade bei Yuriy gelassen, obwohl ich mich der BEGA zugewandt hatte?

Weil ich wusste, dass du wieder zu uns zurückkommst.

Woher?

Weil wir Freunde sind!
 

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Beauceron sind sehr anspruchsvolle Hunde. Nichts für Anfänger. Ich bin mit zwei davon aufgewachsen^^. Tolle Hunde!

In Japan ist das Rechtsstudium viel einfacher als in Deutschland. Allerdings müssen sie zwei Sprachen wählen. Die meisten Studenten nehmen Englisch, Deutsch, Chinesisch, Spanisch, Koreanisch.

Ansonsten halte ich mich an das Deutsche Recht. Hab nicht wirklich was zu Japanischem Recht gefunden.
 

Über Kommentare würde ich mich sehr freuen!

Wäre schön, wenn jeder, der es liest, auch etwas dazu schreiben würde. Ist sonst ziemlich demotivierend.
 

Bye
 

Minerva



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Eris_the-discord
2011-12-13T20:30:41+00:00 13.12.2011 21:30
Ha! Endlich habe ich es geschafft das Kapitel fertig zu lesen, durch den ganzen Weihnachtstrubel komme ich nur etappenweise voran X__x

Ich muss ehrlich sagen, dass mir dieses Kapitel bisher am besten gefällt.
Dafür sprechen mehrere Punkte. Zum einen verwendest du hier selten Bezeichnungen wie "Der Graublauhaarige" und "Der Blauhaarige" usw... Das pusht den Standart der FF viel mehr hoch. Es macht richtig Spaß sie zu lesen. ^^
Zum anderen Gefallen mir die kleinen Details die du ständig mit einbaust oder die Unterhaltungen und Reaktionen der einzelnen Charas.
Meine liebste Stelle ist, als Kai mit nem Kater ins Wohnzimmer kommt, Tyson angiftet und der ihm nur frech die Zunge rausstreckt. Solche Neckereien sind einfach göttlich.

Hoffe ich kriege das nächste Kapitel noch durch, will wenigstens mal rein spickeln ^_~

LG Eris
Von:  lady_j
2011-12-07T00:03:08+00:00 07.12.2011 01:03
moinmoin!

ich verfolg deine FF ja seit einer weile. inzwischen gewöhne ich mich sogar langsam an Kakao, auch wenn es immer wieder irgendwie...ungewöhnlich ist.

ich finde den bezug zur serie, den du im prolog geschaffen hast, schon mal sehr gut. ist irgendwie doch was anderes, wenn man im serienverlauf ruminterpretiert, anstatt sich vollständig etwas neues auszudenken.
ich bin aber auch insgesamt der meinung, dass du die vielen elemente einer shonen-ai im allgemeinen bzw. einer Kakao-FF im speziellen sehr gut arrangiert hast. und in diesem kapitel hier gefällt mir natürlich am besten, wie kai sich abschießt xD du machst hier eine schöne gratwanderung von schwäche und stärke, die durchaus IC ist.

übrigens recherchiere ich selbst gerade für eine Fanfiction in sachen japanisches recht. es gibt da ein buch:

-Christopher Heath/Anja Petersen (Hgg): Das Japanische Zivilprozeßrecht, (Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht. Materialien zum ausländischen und internationalen Privatrecht, Bnd. 41), 2.Auflage, Tübingen 2002.

da drin findest du die ganzen paragraphen zum ablauf eines zivilprozesses, etc. findest du auch bei google books, allerdings fehlen da einige seiten.
also, das wollt ich nur mal loswerden, wie gesagt, weil ichs selbst grad benutze^^
Von:  nu
2011-12-06T13:37:11+00:00 06.12.2011 14:37
Hach ja der böse Alkohol :D Aber Vielleicht erinnert sich Kai ja doch wieder an den Kuss. Der Schneesturm ist auch ein guter Einfall, damit Takao bei ihm in der Wohnung bleiben muss..
Also bitte weiter so :)
Von:  Noir10
2011-12-05T20:17:18+00:00 05.12.2011 21:17
Kyu schon einmal tolle ff mein armer takao sag ich nur böser kai am meisten wurmt mich das er ne beziehung hatte während takao keidete!!
^^-^^



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