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Dark Night's Kiss

von

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52. Kapitel

Seine Finger zitterten leicht, als er die Aspirintablette aus der kleinen Verpackung pulte und in das vorbereitete Glas Wasser gleiten ließ. Den Rest warf er zusammen mit der leeren Schachtel in den Mülleimer.

Während er darauf wartete, dass sich die Brausetablette vollkommen im Wasser auflöste, bestätigte er noch einen Termin in seinem Blackberry und unterzeichnete irgendwelche Papiere, deren Inhalt bereits wieder irgendwo in seinem Kopf unter all den anderen wichtigen Dingen vergraben war, die ihn derzeit beschäftigten.

Nicht, dass Aspirin ihm auch nur irgendwie gegen die stechenden Kopfschmerzen helfen würde. Selbst stärkere Mittel würden daran scheitern, aber man konnte ja immer noch auf so eine Art Placebo-Effekt hoffen und zudem schmeckte es auch noch gut. Selbst wenn es den verzehrenden Durst in seinem Inneren, kein bisschen verringern konnte.

Kaum dass er das Glas in einem Zug geleert hatte, packte Cayden auch schon die Dokumente zusammen, schob sie in eine Mappe und stand auf. Er warf sich schnell sein Jackett über, nicht allerdings ohne zu bemerken, dass sein Hemd unter seinen Achseln langsam feucht wurde.

Später. Er würde sich später darum kümmern, jetzt allerdings musste er dringend zu einem wichtigen Meeting, das keinen Aufschub duldete, wenn er die Firma nicht endgültig gegen die Wand fahren wollte.

Beinahe hätte er seinen Blackberry auf dem Schreibtisch vergessen, als er mit der Mappe und seinem Aktenkoffer schon fast bei der Tür hinaus war. Schnell sammelte er das kleine elektronische Ding ein und verstaute es in der Innentasche seines Jacketts, ehe er vor Emmas Schreibtisch trat und ihr die Mappe mit den unterschriebenen Papieren hinlegte, damit sie diese weiterleiten konnte.

Dabei stand er wieder einmal genau auf ihren Schutzmechanismus, was ihn kurz erstarren ließ, während seine Fangzähne sich nur zu deutlich aus seinem Oberkiefer schoben. Im Augenblick hatte er nicht einmal mehr den Nerv, sie vor ihr zu verbergen.

„Die müssen heute noch dringend raus und bitte verschieb meinen Drei-Uhr-Termin auf nächste Woche. Außerdem brauch ich noch bis heute Abend den vorläufigen Quartalsbericht von Bea.“

Cayden warf einen flüchtigen Blick auf seine Uhr und trat dabei automatisch einen Schritt zurück von dem Schutzfeld, das Emmas Schreibtisch umgab. Er war schon viel zu spät dran.

„Es wird heute wieder spät werden, also mach nicht allzu lange.“ Damit war er auch schon wieder im Gehen begriffen. Von sich selbst alles zu fordern, war ihm nichts Neues, aber Emma in ihrem Zustand wollte er da nicht mit reinziehen. Stella brauchte er dahingehend gar nichts mehr erzählen. Sie durfte schon am frühen Nachmittag gehen.

 

Emma hatte gar nicht antworten können, so schnell war Cayden aus dem Büro und schließlich auch aus dem Stockwerk verschwunden. Was nichts daran änderte, dass sie sich allmählich wirklich Sorgen um ihn machte. Nicht nur, weil die Firma am seidenen Faden hing, sondern weil Cayden wirklich fast schon jenseits von gestresst wirkte. Emma war klar, dass er vor wichtigen Leuten sehr gut schauspielern konnte. Niemand würde ihm anmerken, dass neben den Problemen der Firma auch etwas anderes nicht stimmte. Aber Emma war inzwischen eingeweihter als so manch anderer und genau das schürte das schlechte Gefühl in ihrem Inneren.

Bei jedem anderen hätte sie gesagt, er hatte sich eine Grippe eingefangen. Oder vielleicht eine Migräne. Es konnte auch an Schlafentzug oder zu wenig Essen oder zu viel Alkohol liegen. Aber bei Cayden ... war es wohl das Fehlen von etwas Komplizierterem, als einem guten Schweinebraten nach Rezept seiner Großmutter.

Emma seufzte.

Er brauchte, was sie ihm bisher versagt hatte. Und was sie immer wieder zum zusätzlichen Nachdenken brachte. Cayden war ein Vampir. Cayden brauchte, was diese Wesen eben brauchten. Er brauchte Blut.

Eine Gänsehaut lief über Emmas Arme und sie konnte gerade noch verhindern, dass sie sich schütteln musste. Ja, sie wusste es und ja, sie hatte versprochen, es zu akzeptieren. Aber der Gedanke, ihr eigenes Blut zu geben, war doch ... ungewohnt. Natürlich würde sie es tun. Die Alternativen standen außer Frage. Aber wie sollte sie es Cayden denn sagen?

Cayden, wenn du nachher kurz Zeit hast, komm doch in die Kaffeeküche und saug an meinem Hals. Dann geht’s dir sicher gleich besser.

Sie rollte über ihre dummen Gedanken die Augen und brachte lieber die Akten auf den Weg, die sie verschicken musste. Trotzdem ... Wie sollte sie denn nur vorgehen?

 
 

***

 

Es war schon dunkel, als er das Bürogebäude erreichte.

Paul hatte offenbar die Nachtschicht erwischt und wünschte ihm einen schönen Abend, als Cayden am Empfang vorbeiging.

„Ihnen auch“, erwiderte Cayden höflich aber kühl, ehe er in den Fahrstuhl stieg und zu seiner gewohnten Etage hochfuhr. Das Schlüsselloch, mit dem er in sein Apartment gelangen würde, lockte ihn in diesem Augenblick so stark, dass er sich dazu zwingen musste, wegzusehen. Allerdings nicht auf die verspiegelte Kabinenwand, in der er sich selbst hätte ansehen müssen. Seine Schuhspitzen mussten für den Augenblick genügen.

Wie er es nicht anders erwartet hatte, waren die kleinen Büroabteilungen, an denen er kurze Zeit später vorbeikam, allesamt leer. Sogar die Hauptlichter waren schon aus, nur noch das Ganglicht erhellte ihm den Weg, obwohl das nicht nötig gewesen wäre, nachdem er sich endlich die viel zu schwere Brille von der Nase zog.

Aus was für einem Material bestanden heutzutage denn Brillengestelle? Massiver Stahl? Cayden hatte das Gefühl, der Bügel hätte ihm eine Furche in den Nasenrücken gegraben, dabei wusste er doch, dass er sich das nur einbildete.

Endlich erreichte er sein Büro, machte sich aber nicht die Mühe das Licht einzuschalten. Seine Nachtsicht war zwar nicht mehr perfekt, immerhin litt sie ebenso wie alles andere unter seinem Entzug, aber es genügte.

Cayden ließ den Aktenkoffer vorsichtig neben der Tür stehen, zog sich das Jackett aus und hängte es sorgfältig auf einem Kleiderbügel in seinen Schrank. Danach lockerte er seinen Krawattenknoten etwas und öffnete die ersten beiden Hemdknöpfe am Kragen. Die Ärmel ein Stück hochgekrempelt, schaltete er nun doch die Tischlampe an seinem Schreibtisch ein und hätte gut daran getan, es sein zu lassen. Es fühlte sich an, als würde man ihm ein Jagdmesser direkt zwischen die Augenbrauen rammen, während seine Augenlider sich regelrecht zusammenkrampften, um seine empfindlichen Augen zu schützen.

Was auch immer alles seit heute Morgen in ihm vor sich hin gegoren hatte – die ganz und gar nicht mehr übliche Büroarbeit, seine durchgearbeitete Mittagspause, das haarsträubende Meeting danach, sein ständiger Drang, jedem der ihm blöd kam, die Kehle durchzubeißen, um daraus zu trinken – das alles war der Zunder, der jetzt von diesem kleinen Funken – einer einfachen kleinen Stehlampe – in Brand gesteckt wurde.

Cayden explodierte.

Mit einem wütenden Schrei fegte er nicht nur die Lampe vom Tisch, sondern auch noch alles andere, das ihm in die Hände kam. Da das aber noch nicht genügte, donnerte er auch noch beide Fäuste auf das massive Holz, dessen Ächzen in dem immer noch andauernden Schrei unterging.

Erst als ihm die Luft ausging, verstummte Cayden, ehe seine Kiefer so fest aufeinander mahlten, dass es den Schmerz in seinem Kopf noch weiter in ungeahnte Höhen trieb.

Etwas tropfte auf seine lederne Schreibunterlage und für einen flüchtigen Moment glaubte Cayden, es könnten durchaus Zornestränen sein, doch seine Wangen waren trocken. Er wischte sich langsam mit den Fingerspitzen über die Nase. Obwohl er in der Dunkelheit nicht mehr viel erkennen konnte, sah er doch, wie sich die Flüssigkeit deutlich von der hellen Farbe seiner Finger abhob.

Es wurde langsam gefährlich.

Cayden sah die Anzeichen. Er hatte sie schon den ganzen Tag über wahrgenommen, aber es war noch nie so schnell gegangen. Was vermutlich damit zusammenhing, dass er auch noch nie so viel Stress bei einer Durststrecke gehabt hatte. Sehr viel länger würde er nicht mehr warten können.

Allerdings war er heute schon zu erledigt, um überhaupt nur daran zu denken, noch einmal das Gebäude zu verlassen und obwohl Paul im Augenblick sehr verlockend und alleine dort unten in der Eingangshalle saß, hatte Cayden doch nicht vor, sich auf ihn zu stürzen. Stattdessen verließ er das Büro, um zu seinem Apartment hochzufahren, was er eigentlich von Anfang an hätte tun sollen. Er musste sich ausruhen, auch wenn er das kaum konnte, bei all den Problemen, die ihn inzwischen auffraßen. Aber heute war er ohnehin zu nichts mehr zu gebrauchen, von daher war eine heiße Dusche und ein weiches Bett, alles, was er sich noch vornehmen konnte.

Cayden würde die Unordnung in seinem Büro erst morgen wegmachen. Heute war das einfach nicht mehr drin.

 

Wie geht’s dir? Ich wollte dir nur eine gute Nacht wünschen ... Schlaf gut. x Emma

Emma schickte die SMS ab, und sobald das Displaylicht ihres Handys erlosch, war es dunkel im Zimmer. Erst nach einer Weile schälten sich die Umrisse der Möbel und anderen Gegenstände wieder aus den Schatten und Emma wandte den Blick zum Fenster, wo sie durch den Spalt zwischen den Vorhängen nach draußen sehen konnte. Sie fühlte sich unsicher. Aber das war nicht das erste und würde nicht das letzte Mal sein. Sie würde trotzdem einschlafen und Morgen aufstehen und zur Arbeit gehen müssen.

 
 

***

 

Am nächsten Morgen kam sie nur schwer aus dem Bett und auch der Weg zum Büro schien ihr ungewöhnlich lang zu sein. Stella wartete allerdings noch nicht, sodass Emma das Vorzimmer für sich allein hatte. Die Tür zu Caydens Büro war geschlossen und auch von ihm war nirgendwo etwas zu sehen.

Emma beschloss, erst einmal alles herzurichten, so wie sie es jeden Morgen tat. Computer starten, Kaffee aufsetzen und dann die Akten durchgehen. Termine für den heutigen Tag und ... schon klingelte das Telefon. Mit einem Seufzen setzte sie ein Lächeln auf und nahm den ersten Anruf für heute entgegen. Leider stellte sich nach wenigen Sätzen heraus, dass er nicht positiver war, als der letzte Anruf des Vortages.

 

Cayden hatte tatsächlich mit seinem Wecker am Ohr geschlafen, damit er ihn nicht überhören konnte. Aber die Gefahr bestand ohnehin nicht, obwohl er sich wie erschlagen fühlte. Dennoch reagierte sein Gehör viel zu empfindlich auf den Lärm und jagte ihn schneller aus dem Bett, als er wirklich wach werden konnte.

Mehr taumelnd denn gehend landete er im Bad, um sich für die Arbeit fertigzumachen. Duschen. Rasieren. Sich die Haare kämmen und dabei bekam er mehr als nur einmal die Gelegenheit, seiner Lage in die Augen zu sehen, ob er nun wollte oder nicht.

Caydens Pupillen waren geweitet, weshalb er noch lichtempfindlicher war als normalerweise. Aber zu dem ohnehin schon merkwürdigen Ausdruck seiner Augen kam auch noch hinzu, dass er aus allen Poren schwitzte, seine Haut glühte und wen das noch nicht genug ablenkte, dem dürften dann seine riesigen Fänge den Rest geben. Noch dazu weigerten sie sich hartnäckig, zu verschwinden.

Da er gegen dieses Problem ohnehin nicht ankommen würde, zwängte Cayden sich lieber in einen seiner Anzüge, obwohl der ihn heute besonders schlimm einzuengen schien, aber wenigstens sah man unter dem Jackett nicht, wie intensiv er schwitzte. Auch übler Geruch würde kein Problem darstellen. Selbst wenn er kein Deo benutzt hätte, würde er mehr als nur angenehm riechen. Es war beinahe komisch, dass der Geruch von sich zersetzenden Vampirzellen in den Nasen und Gehirnen der Menschen nur positive Empfindungen hervorrief, wo es doch eigentlich das absolute Gegenteil sein sollte.

Aber Cayden versuchte nicht länger darüber nachzudenken, als er den Fahrstuhl betrat. Er würde sich bald darum kümmern und das war inzwischen notwendiger, als alles andere. Ein Grund, weshalb er an den ganzen kleinen Bürobereichen vorbeilief, ohne irgendjemanden zu grüßen, obwohl ihn durchaus einige seiner Mitarbeiter ansprachen. Außerdem spürte er immer noch viel zu deutlich seine Fänge und im Augenblick war sich Cayden nicht sicher, wie gut er sie vor anderen verstecken konnte. Sein Geduldsfaden war ohnehin schon viel zu überdehnt. Lediglich bei Emma nahm er sich die Zeit heraus, um ihr einen guten Morgen zu wünschen. Aber er kam nicht näher an ihren Schreibtisch heran, da er mit ihrem Schutzmechanismus heute überhaupt nicht klarkommen würde. Stattdessen blieb er, wo er war.

„Könntest du kurz mit in mein Büro kommen?“

Zwar schien das Telefon wieder einmal heiß zu laufen, aber dafür hatten sie ja diese nervige Melodie, welche die Anrufer hinhielt, bis jemand für sie Zeit hatte. Wenigstens das konnte ihn heute Morgen ein bisschen besänftigen.

Doch gerade als Cayden die Tür zu seinem Büro einen Spalt breit geöffnet hatte, fiel ihm sofort wieder ins Auge, was gestern Abend hier drin noch stattgefunden hatte.

„Warte!“ Cayden stoppte Emma, bevor sie überhaupt aufstehen konnte.

„Gib mir noch 15 Minuten. Dann kannst du kommen.“

Und damit verschwand er schnell in seinem Büro, um zumindest den herumliegenden Papierkram grob auf einen Stapel zu schlichten und auch den Rest seiner Schreibtischausstattung wieder aufzusammeln, bevor Emma das Chaos sehen konnte. Die kleine Lampe war allerdings völlig hinüber. Einmal davon abgesehen, dass die Glühbirne in unzählige Scherben zersprungen war, hatte auch der Metallschirm eine gewaltige Delle abbekommen.

Die meiste Zeit der Viertelstunde verbrachte er also damit, die winzigen Splitter vom Teppich aufzuheben und in den Müll zu werfen und in der restlichen Zeit, versuchte er die Akten wieder so zu schlichten, dass sie zusammenpassten. Aber das würde noch länger dauern.

 

„Was ist denn hier passiert?“ Mit weit aufgerissenen Augen stand Emma in der Tür, fing sich aber schnell wieder und schloss sie hinter sich, damit niemand das gleiche sehen konnte wie sie.

Cayden stand über den Schreibtisch gebeugt, zerknickte Blätter und noch zerknicktere Aktenmappen in der Hand und sah so aus, als hätte Emma ihn gerade in flagranti bei der Steuerhinterziehung erwischt.

Doch das war noch nicht alles, was sie zu ihrer Frage veranlasst hatte. Zu Emmas Sorge trugen glitzernde Glasscherben im Papierkorb, ein scheinbar unter einen Zug geratener Lampenschirm und vor allem Cayden selbst bei. Er sah so aus, als stünde er – wenn nicht gerade vor einem Nervenzusammenbruch – vor dem körperlichen Kollaps. Er schwitzte und seine Brille war ihm auf der glänzend nassen Nase so weit nach vorn gerutscht, dass er sie zu verlieren drohte, während er seine Augen zu einem nur noch schmalen Schlitz zusammenkniff.

Emma machte ein paar vorsichtige Schritte in den Raum hinein und konnte kaum verhindern, zu fragen, ob jemand Cayden überfallen hatte. Aber das schien ihr dann doch sehr unwahrscheinlich.

„Bist du krank?“ Diese Frage schien fast genauso abwegig, aber in Emmas Welt machte sie gerade mehr Sinn als alle anderen. Kurz kam ihr der Gedanke, ob Vampire sich überhaupt eine Grippe einfangen konnten, aber diese Idee verflog ziemlich schnell wieder.

„Kann ich dir etwas bringen? Tee? Oder soll ich zur Apotheke laufen?“ Emma hätte gern alles getan, damit es ihm besser ging. Aber noch lieber hätte sie gewusst, was hier eigentlich los war.

 

Nein, ich bin nicht krank. Ich sterbe.

Gott, er war doch sonst nicht so melodramatisch! Cayden hörte auf, den Papierkram schlichten zu wollen. Stattdessen ließ er sich schwer in seinen neuen Bürosessel fallen. Schon jetzt überkam ihn der Drang, den Knoten seiner Krawatte etwas zu lockern, um besser Luft zu bekommen. Aber das würde ohnehin nichts bringen, also ließ er es bleiben.

Kurz massierte er seine Schläfen, bis ihm wieder einfiel, dass Emma ihn ja etwas gefragt hatte, also schob er seine Brille wieder zurecht, um sie besser ansehen zu können.

„Das Meeting gestern ist schlecht verlaufen.“ Mehr sagte er nicht zu der Unordnung hier. Er gab es auch jetzt nicht gerne zu, dass auch er einmal die Fassung verlieren konnte. Stattdessen nahm er ein Taschentuch zur Hand, befeuchtete es etwas mit seiner Zunge und versuchte die dunklen Flecken auf seiner Lederunterlage wegzuwischen. Vergebens.

„Ich kann nicht krank werden.“ Zumindest war er es noch nie im Leben gewesen. Aber gänzlich ausschließen sollte er es vielleicht auch nicht, wenn man die neumodischen und immer aggressiveren Krankheiten der Menschheit bedachte, würde es ihn nicht wundern, wenn auch einmal die Vampire etwas abbekamen. Aber das war im Augenblick nicht irrelevant. Er sollte sich besser konzentrieren und bei der Sache bleiben. Außerdem hatte er Emma auch genau deswegen in sein Büro geholt.

„Ich brauche Blut, Em“, gestand er schließlich leise. „Mein Körper verbraucht sich bereits selbst. Sehr viel länger lässt sich das nicht mehr hinauszögern, ohne dass ich zu schwach werde, um …“ – zu jagen. Könnte man sagen. Aber er sprach es nicht aus. Stattdessen schüttelte er nur unwillig den Kopf. „Egal. Ich wollte dich bitten, ob du meine Termine bis zum Mittagessen absagen oder verschieben kannst. Ich weiß zwar nicht genau ...“ Cayden klopfte sein Jackett ab, fand aber weder sein Handy noch seinen Blackberry, weshalb er aufstand, um in dem anderen Jackett nachzusehen, dass er gestern in den Schrank gehängt hatte.

„... ob darunter auch wirklich wichtige dabei sind. Also ich meine, von der Sorte: Entweder nehme ich den Termin wahr, oder ich kann die Firma gleich eigenhändig einreißen.“ Wenn das nicht schon geschehen ist. Das gestrige Meeting hatte ihn nicht umsonst so aus der Fassung gebracht.

In der Innentasche seines Jacketts fand er tatsächlich sein Handy und auch den Blackberry. Das Handy war aus, weshalb er es auf dem Weg zurück zu seinem Schreibtischsessel wieder einschaltete und zur Seite legte, während es alle paar Sekunden vibrierte und somit sämtliche Anrufe und SMS in seiner Abwesenheit herunterratterte.

Der Blackberry selbst spuckte so viele Termine aus, dass er jeden einzelnen und die dazu gemachten Notizen gründlich durchgehen musste, um sie nach Prioritäten zu schlichten. Leider war sein Verstand heute nicht mehr der Schnellste und immer wieder musste er sich die Hände an seiner Hose abwischen, um die kleine Tastatur nicht unter Wasser zu setzen.

 

Nachdem es so aussah, als würde Cayden nur noch sein Handy und den Blackberry wahrnehmen, rührte Emma sich nicht von der Stelle. Seine Eröffnung hatte sie so getroffen, dass sie ohnehin nicht wusste, ob ihre Beine sie tragen würden.

Sein Körper brauchte sich selbst auf? Auch wenn Emma diesen Satz nicht vollkommen verstehen konnte, weil ihr das Hintergrundwissen fehlte, war das Endergebnis so klar, dass ihre Augen sich vor Schreck wieder weiteten. Er würde bald zu schwach sein, um sich selbst Nahrung zu besorgen?

Wut brodelte in Emma hoch und sie ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Wann hatte er ihr das bitte sagen wollen?

Sie war selbst davon überrascht, dass sie jetzt neben seinem Schreibtisch stand. Ihr Körper schien sich ganz von selbst in Bewegung gesetzt zu haben, doch jetzt war es auch Emmas Verstand, der den Arm ausstreckte, direkt zwischen Caydens Gesicht und dessen Hände, die immer noch suchend über die Tastatur wanderten.

Entschlossen und immer noch ein bisschen wütend sah sie auf Cayden hinunter. Sie würde nicht weichen und sie würde auch nicht mit sich reden lassen. Sie hatte Blut, er brauchte welches. Das hier hatte nichts mit Romantik zu tun. Und so, wie Cayden aussah, war es genauso dramatisch, wie man es sich im schlechten Film vorstellte. Er sollte bloß nicht den Helden oder den sanften Beschützer raushängen lassen.

Ihr Blick und auch ihre immer noch geballte Faust, die die Sehnen an ihrem Handgelenk hervor treten ließ, sagten alles, was sie sich dachte. Emma hoffte nur, dass Cayden es auch verstehen würde.

 

Er verstand nur zu gut.

Der Blackberry fiel zu Boden, wo er unbeachtet liegen blieb. Gerade eben noch war Caydens Kopf voller Gedanken mit Terminen, möglichen Jagdgründen am Pier und den immer stärker werdenden Schmerzen in seinem ganzen Körper beschäftigt gewesen. Doch als da plötzlich Emmas Arm so nahe vor seinen Augen aufgetaucht war, dass er jedes noch so kleine Härchen und die Maserung ihrer Haut sehen konnte, hatte sich seine Welt auf diese wenigen Sinneseindrücke reduziert. Alles, was sich außerhalb davon befand, lag im Dunkeln. Einzig allein der Duft ihrer Haut, das subtile Pochen an ihrem Handgelenk und sein bestialischer Hunger zählten in diesem Augenblick.

Cayden wusste, dass er wenigstens über eine Alternative nachdenken sollte. Oder sich wenigstens Gedanken darüber machen sollte, was Emma schon bald für ein Bild von ihm haben könnte. Verdammt, er sollte zumindest darüber nachdenken, dass es ihr das letzte Mal so schwergefallen war. Aber die Wahrheit war nun einmal, dass er an gar nichts mehr dachte.

Sobald Emma ihm so unerträglich nahegekommen war, hatte sein Verstand ausgesetzt und seine durch und durch vampirischen Instinkte waren reibungslos angesprungen, als hätten sie genau auf eine Gelegenheit wie diese gewartet. Sie waren der Grund, wieso er nicht vor Emma zurückwich, um ihre Sorgen und Ängste zu respektieren, die sie ihm erst vor ein paar Tagen mittgeteilt hatte. Stattdessen griff er nach ihrem Arm und zog sie noch näher an sich heran. Die hellblauen Adern an ihrem Handgelenk waren zwar mehr als verlockend, aber sie waren nicht Ziel seines Verlangens. Viel mehr schlang er seine Finger der einen Hand darum, während die der anderen ihren Oberarm festhielten, um sie an jeglicher Flucht zu hindern. Dieses Mal nicht unbedingt aus dem edlen Gedanken heraus, sie nicht unnötig zu verletzen, sondern viel mehr war es die animalische Seite in ihm, die sie nicht gehen assen wollte, bevor er seinen Durst restlos gestillt hatte.

Cayden hielt sich keine unnötige Sekunde länger zurück. Er konnte einfach nicht. Jeder seiner Überlebensinstinkte verbot es ihm. Also trieb er seine wild pochenden Fänge durch die zarte Haut ihrer Armbeuge, die keinerlei Widerstand gegen ihn aufbringen konnte, während seine Hände automatisch noch fester zupackten, als Emma zusammenzuckte.

Heißes Blut strömte in seinen Mund, rollte wie das pure Leben, das es war, über seine Zunge und wurde hastig hinuntergeschluckt. Es linderte den Schmerz in seiner vollkommen ausgedörrten Kehle. Blieb aber dennoch nur wie ein Tropfen auf heißem Stein, so dass Cayden sich enorm zusammenreißen musste, nicht an der Wunde zu saugen, um noch schneller noch größere Mengen an Blut zu erhalten. Das hätte die Schmerzen für Emma nur verschlimmert und das wollte er selbst in diesem Zustand nicht. Denn endlich trat die erhoffte Linderung ein.

Zunächst verschwand das höllische Brennen aus seinem Blutkreislauf. Danach sank seine Körpertemperatur wieder auf den normalen Level herab und er konnte nur zu deutlich spüren, wie seine Kräfte wiederkehrten, weshalb er auch den Griff um Emmas Arm etwas lockerte.

Doch was ihn wirklich unendlich erleichterte und ihm ein gedämpftes Stöhnen entlockte, war das nachlassende Stechen in seinem Kopf und die damit einhergehende Sensibilisierung seiner Sinne.

Er konnte es schmecken – Emmas Blut – das so köstlich belebend und lindernd zugleich war, dass es ihm beinahe Tränen in die Augen trieb. Sie war wütend, ja, aber auch noch so viel mehr als das.

 

Emma zuckte zusammen, als der Schmerz sie traf. Es fühlte sich nicht an, als würde sie gebissen, es war im ersten Moment ein bisschen so, als hätte sie sich verbrannt. Zuerst war da ein paar Sekunden gar nichts und dann tat es weh. Reflexartig wollte Emma den Arm wegziehen, aber Caydens Hände legten sich wie Schraubstöcke um ihren Arm, sodass sie nach Luft schnappte.

Sie biss die Zähne fest aufeinander und presste die Augenlider zusammen, bevor sie die Augen wieder öffnete und den Blick aus den großen Fenstern richtete. Von Cayden abgewandt versuchte sie nicht hinzusehen. Wie beim Arzt, wenn er ihr Blut abnahm. Wenn man nicht hinsah, konnte einem auch nicht komisch davon werden.

Warum ging dann ihr Atem flach und sie begann sich unwohl zu fühlen?

Es fing als leichtes Kribbeln in den Zehen an. Das gleiche Zeichen, das ihr Körper normalerweise bei zu viel Alkohol benutzte. Ein unverkennbares „Jetzt ist es dann genug“. Nur lag es diesmal nicht in ihrer Hand.

Fast hätte Emma an ihrem Arm gezogen, doch allein das zu schnelle Drehen ihres Kopfes verursachte ihr Schwindel. Auf einmal schien sich ihr Magen entgegengesetzt zum Rest ihres Körpers zu bewegen und die Magensäure wollte in ihr hochsteigen.

Mit tiefen Atemzügen versuchte sie das Gefühl der Übelkeit hinunter zu kämpfen. Es würde gleich vorbei sein. Bestimmt würde es gleich zu Ende sein. Er konnte doch nicht so viel nehmen, dass ...

Ihre Augen schossen hin und her, suchten einen festen Punkt, um sich festzuhalten, aber Emma konnte nichts finden. Die Übelkeit stieg immer weiter und sie merkte, wie sie blass im Gesicht wurde.

Mit einem erschrockenen Gesichtsausdruck taumelte sie gegen die Ecke von Caydens Schreibtisch und hielt sich daran fest. Sie wollte nur ... in die Knie gehen, damit das Gefühl aufhörte. Doch Cayden hielt sie immer noch im Klammergriff.

Was ... wenn er nicht losließ?



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