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Lichtlein

von

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Kapitel 2: Das Rotauge

Kapitel 2: das Rotauge
 

Es hatte schon Mitternacht geschlagen, als der Bote an Gils Tür klopfte.

Wortlos, schweigend wie eine willenlose Leinenpuppe folgte der junge Mann dem atemlosen Diener des Rainswoths Fürstentum aus seiner grausig leeren Stadtwohnung zu der wartenden Droschke , die lautlos in der Dunkelheit weilte, gleich eines bedrohlichen Schatten.

Gil fühlte sich während der Fahrt wie gelähmt, ihm war als würde er sich selbst von Außen beobachten, wie ein neugieriger Mitfahrer. Es war als würde nicht er bei seiner Ankunft aus der Kutsche steigen, als würde jemand ihn durch die dunklen Gänge des Rainsworth Anwesens schieben, gegen seinen eigenen Willen. Das Anwesen war merkwürdig still, fast schon gespenstisch, wo war das Leben, das hier zu Zeiten von Oz Anwesenheit so wild gesprudelt war? Wo waren die Diener die immer so beschäftigt um sie alle herumgewuselt waren? Wo war...?!

Flucht!

Verschwinde!

Das war der einzige Gedanke, der immer wieder in seinem Kopf kreiste und schmerzhaft von Innen gegen seine Stirn hämmerte, Verschwinde doch endlich von hier, du Idiot!

Gil trödelte absichtlich, sine Schritte waren wie mechanisch doch er hatte noch genug Willen um sich weiter und immer weiter hinter den Diener vor ihm zurückfallen zu lassen, um diesen Moment hinauszuzögern.

Doch es war umsonst.

Es nützte alles nichts.

Letzendlich kam er an der Zimmertür am Ende des Ganges an, die ihm von dem Diener höflich geöffnet wurde.

Das Zimmer lag im Dienertrackt, auch wenn es kaum wenige Schritte zu den Räumen des Adels waren, den ER hatte immer darauf bestanden so nahe wie möglich bei den Herrschaften zu sein, ohne seine Grenzen als Diener und liebster Günstling von Shelly Rainsworth zu überschreiten. Der kleine Raum selbst war dunkel, von Schatten umarmt, wie von einem dicken, schwarzen Tuch.

"Er ist wie du, oder?"

Das wenige was Gilbert erkennen konnte waren die Umrisse von abgenutzten Möbeln und sein Blick fiel auf das in der Finsternis stehende Bett, er zögerte, fühlte sich wie mit eisernen Strängen am Boden festgekettet.
 

Es war Sharon, die vom Bett auf den jungen Mann zutrat, ihre kleine, bleiche Hand berührte eiskalt den Arm des jungen Mannes und zog ihn unbeirrt an ihre Seite: "Er will Sie sehen Mr Gilbert." Ihre einzigen Worte waren merkwürdig gefasst.
 

"Er ist dein Schatten, nicht?."
 

Der Raum war stickig und heiß, Gil stand der eisige Angstschweiß auf der Stirn, als ihm der widerliche Geruch von Krankheit und altem Mensch entgegenschlug, vermischt mit dem unwiderstehlich süßen Aroma von Karamelbonbons. Er schluckte hart, seine goldbraunen Augen trafen das eine rote, welches blind zu ihm hinauf starrte.

Xerxes Breaks Atem ging rasselnd und eindeutig zu langsam, er starrte zu Gil hinauf, sagte nichts, machte nichtmal die Anstalt etwas zu ihm zu sagen. Die weiße Hand des Weihaarigen zuckte machtlos. Gil biss sich auf die Lippe und ließ zu das die ekelhaft hitzige Hand Breaks sich fest um das Handgelenk des Nightrays legte, tastete, forschte, überprüfte ob es auch wirklich Gil war.
 

"Er ist wie du und doch nicht. Du bist sein Spiegel in die Vergangenheit."
 

Und dann kam der Moment.

Da war ein Geräusch wie von fein zerbrechenden, dünnen Glas, als der Blutsiegelspiegel Breaks zerbrach. Mad Hatter sagte sich von seinem Herren im Moment dessen Todes los und ließ ihn zurück zum Sterben, Breaks Brust sank unter der Bettdecke kaum merklich nieder.

Er atmete nicht mehr.

Und im Gunste genau diesen Momentes holte sich die Zeit gewaltsam all jenes zurück, um das sie der Contractor um so viele Jahrzehnte frech betrogen hatte, es war als würde in Sekunden schnelle das Gesicht Breaks einfallen, das bloße Fleisch sackte ein, die porzellanfarbige Haut wurde faltig, grau und pergamentartig. Die weißen Haare und der Bart wuchsen von Moment zu Moment zu der Länge heran, die sie nach über zwanzig Jahren des Wachsens eigentlich hätten.

Und schließlich schälte sich das vertrocknete Fleisch von den morschen, gebrochenen Knochen eines alten Mannes, der von einem Schwall schneefarbenden Haar umarmt wurde wie von einem blüten weißen Totentuch. Bis endlich nur noch eine gräuliche, zusammengefallene Masse des Verfalls von den blanken Knochen auf dem Bett hinunter auf den Boden tropfte.

Das Ende eines Contractors.

Und doch: es war ein friedlicher Tod. Selbst jetzt spaltete die weitaufklaffende Höhle, die der morsche, mit graubraunen Hautfetzen zusammengehaltene Kiefer bildete ein Lächeln, eingefroren, wie in der Zeit festgehalten.
 

"Er ist all das was du hättest sein können, all das vor dem er dich bewahrt hat."
 

Gil stolperte ächzend aus dem Raum hinaus, ihm stieg die ätzende Galle die breite Kehle hoch, wie hitzige Säure. Strauchelnd und schwankend, wie betrunken taumelte er den Gang hinunter in einen der anliegenden Nebenräume. Da war ein merkwürdiger Laut in seinem Hals, als er die Tür hinter sich zuschlug, eine Art Urschrei, erschrocken, entsetzt und verloren.
 

"Du warst sein linkes Auge, wäre er nicht gewesen wärst du wie er zum illigalen Contractor geworden um Oz zurückzuholen, wie er einst für seinen Herrn. Er ist du, das was aus dir geworden wäre, wärst du nicht der Contractor von Raven geworden."
 

Es war nicht so als hätte er Break besonders gemocht, wurde ihm endlich klar, als er sich hemmungslos auf den Boden erbrach und schließlich keuchend und atemlos mit den zitternden Körper gegen die geschlossene Tür lehnte, wie ein ängstliches Kind. Nein wirklich nicht, er hatte ihn nicht gemocht, er hatte ihn abgrundtief gehasst. Doch in just diesem Moment war etwas gestorben das sein Leben zehn Jahre lang geprägt hatte, er fühlte sich wie entwurzelt, nein, natürlich nicht weil er um Break trauerte, nein, das war es nicht, redete er sich ein, es war wegen der Tatsache das ein weiterer Teil seines Lebens ihn einfach grausig entrissen wurde.

Der letzte Teil der ihm von der Zeit bevor Oz wieder in den Abyss hinabgezogen wurde, geblieben war. Die zuletzt verbliebene Scherbe eines zerbrochenen Lebens.

Nein, er trauerte nicht um Break sagte er sich immer wieder, eigentlich sollte er lachen!

"Ja!" brüllte er zu sich selbst in die Finsternis des kleinen Raumes hinein, die Hände zu dicken Fäusten geballt, so das seine Fingernägel tief in sein Fleischschnitten und warmes, semiges Blut auf den Boden tropfte, wie blutige Tränen.

Seine Stimme überschlug sich, war nur noch ein heiseres, kratziges Krächzen: "Lach doch, du nutzloser Idiot! Dass passt besser! Lach! Sei nicht so nutzlos und lach endlich!"

Nein, natürlich würde er nicht um Break trauern, niemals, er hasste ihn schließlich.
 

Doch als einer der Diener des Anwesens besorgt an die Tür klopfte war Gil nicht fähig ihm zu öffnen.
 

Denn er war weinend zusammengebrochen.


 

"Wo sind wir? Wo ist Mama?"

Das was die Zwillinge beim Aufwachen begrüßt hatte, war ein dicker, undurchdringlicher Schleier Finsternis gewesen und selbst als Luca seine Zwillingsschwester an der Hand genommen und mit ihr losgelaufen war, suchend nach einem Ausgang, einen Anhaltspunkt, war ihnen diese undurchdringliche Dunkelheit gefolgt, wie ein schwerer Fluch.

"Wo sind Mama und Papa? Wie kommen wir zurück nach Hause?" fragte Lucy nochmal, sie war müde, so müde, das ihr immer und immer wieder die Augen zufielen, wie bei einer Puppe. Das einzige was sie bis zu jenem Moment unerbittlich vorangetrieben hatte war ihr Bruder, der ihre Hand einfach nicht losgelassen hatte, doch nun war auch er stehen geblieben, keuchend und vor Anstrengung zitternd.

"Ich weiß nicht. ich weiß wirklich nicht..." sagte er schließlich und vermied sich nach seinem Zwilling umzusehen, er hielt ihre kleine Hand so fest, wie ein eiserner Schraubstock und ihm stiegen hilflos die heißen Tränen in die weinroten Augen hinauf: "Aber bestimmt kommen gleich Papa und Mama und holen uns hier raus, ganz bestimmt..."

Doch genau in diesem Moment spürte er wie Lucy hinter ihm jämmerlich zu zittern anfing, sie wimmerte, erschöpft und verloren. Schon begannen ihr dicke, salzige Tropfen über das Gesichtchen zu fliehen, sie biss sich auf die Lippe doch konnte sie einfach nicht mehr aufhören: "Ich will zu Mama!" winselte sie und rieb sich mit dem Ärmel trotzig über das nasse Gesicht um sich nicht die Blöße zu geben vor ihrem Bruder zu weinen, doch es hörte einfach nicht auf, immer und immer wieder schüttelten die Schluchzer ihren dünnen Körper durch, bis sie schließlich weinend auf die dürren Knie sackte: "Ich will hier weg, Luca, ich will zu Papa und Mama! Wieso kommt niemand und holt uns ab?!"

"Lucy..." hilflos drehte sich Luca zu seiner Zwillingsschwester um, er spürte wie seine Unterlippe unerbittlich bebte: "Lucy, hör bitte auf, bitte sonst muss ich auch..." Schon spürte er heiße, salzige Tränen über seine Wangen laufen, so hitzig, das sie sich geradezu über seine kalten Wangen brannten, wie prasselnde Lava.

Verzweifelt und weinend versuchte er das kleine Mädchen an der Hand wieder hochzuziehen, er wollte weiter, er MUSSTE weiter!
 


 

Alice schriller Aufschrei ließ Gil die eisige Hand der Angst das Genick hinunter streicheln, wie die unerwartete Berührung einer längst vergessenen Geliebten.
 

Sie hatten die letzten Stunden damit verbracht den verwilderten Garten und das Anwesen zu durchkämmen, in der Hoffnung das sich dieses lähmende Gefühl, das Gil den Hals zu zerdrücken drohte, gleich einer kräftigen Hand, doch als Irrtum herausstellen würde.

Doch es war kein Irrtum und als der Mann nun durch die hereinbrechende Nacht stürmte konnte er nun endlich, da eine eisige Blase Furcht von seinem Gedärmen hinaufstieg, diese lang vergessene Geliebte benennen, von der er so inständig gehofft hatte ihre Liebkosung nie wieder zu fühlen.

Blanke Panik, so nannte sich die nicht gemisste Mätresse.
 

Der klamme Griff um seinen Hals wurde von Moment zu Moment fester, er fühlte sich als müsse er sich übergeben, als er endlich erkannte von WO Alice Schrei geklungen war. Trunken vor Panik stolperte er den finsteren Gang entlang der ihn verschlang wie ein gieriger Mund, nur um an den so wohlbekannten und genauso verhassten Ort zu treten, wo einst alles begann.

Die Ironie ließ ihn die ätzende Galle röchelnd hinaus würgen.
 

Die junge Frau war an den dicken, verzweigten Wurzeln des alten Baumes zusammengesackt, die Angst hatte die starke Frau erbarmungslos in die Knie gezwungen und sie hatte, wie einen winzigen Hoffnungsschimmer Lucys alten Stoffhasen an die bebende Brust gepresst doch selbst dieser konnte das heftige Zittern das sich ihres schweren Körpers bemächtigt hatte, gleich im Fieberwahn, nicht aufhalten.

Sie brüllte so laut, in Panik, in Verzweiflung, in blanker Wut.

Und vor ihr, verwittert und doch nie vergessen thronte das alte Tatzenkreuz, welches auf sie hinab sah, spöttisch, gar höhnisch.

Es war Lacie´s Grab.
 

Vor ihnen schwebte ein Stofftier vorbei, wackelte mit dem Ärmchen und beinchen, rollte durch das schwraze Nichts und schien ihnen gar feundlich zuzuwinken.

„Guck mal, Luca!“ Luca hob stirnrunzelnd den Kopf und sah dem merkwürdigen Ding hinterher, benommen, ein wenig weggetreten, den die letzten Stunden hatte er damit verbracht auf seine Füße zu schauen und seine Schritte zu zählen, damit er bloß nicht in die süße Versuchung geriet doch noch stehen zu bleiben.

Lucy tat dasselbe wie er, doch anstelle verwirrt zu sein und ernsthaft an den Dingen zu zweifeln, die ihnen ihr Vater in Stundenlanger, ausdauernder Arbeit über die Gesetze der Schwerkraft versucht hatte in den Kopf zu stopfen (Was immer nach einem Sturz von der Treppe oder dem Schrank der Fall war, bei denen derselbe Mann immer kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand), begann sie breit zu lächeln und winkte dem Stoffding lieb feixend nach.

Ihr Zwillingsbruder runzelte nur fragend die Stirn: „Ich glaube, das ist vollkommen unmöglich…“

„Das hat Papa auch immer zu Mama gesagt, wenn sie kochen wollte. Ich fand immer ihr Kartoffelbrei war trotzdem lecker.“ Konterte seine Zwillingsschwester verzückt gurrend. Automatisch trat sie vor und zog den Jungen hinter sich her, dem fliegenden Stofftier folgend, wie ein geblendeter Wanderer den Irrlicht ins tückische Moor folgte.

„Das war aber nie Kartoffelbrei. Papa meinte mal sie versucht Pfannkuchen zu machen, weißt du Lucy? Pfannkuchen ist schließlich das Lieblingsgericht von Knev…“ murmelte Luca bleiernd vor sich hin, obwohl er eigentlich wußte das das Mädchen ihn sowieso nicht zuhörte, in solchen Momentan hörte ihn schließlich nie jemand zu, er wußte es besser, aber es kümmerte niemanden.

Resigniert seufzend ließ der kleine Junge sich also mitziehend, insgeheim, ganz heimlich, atmete er auf, den die kindliche Neugierde seine Zwillingsschwester hatte ihre Angst und grässliche Desorientiertheit im nu verscheucht, wie das Licht den grausigen Schatten hinfort jagte.
 

Plötzlich ragte vor ihnen in der Dunkelheit etwas auf.

Karg, abgewetzt, bröckelig. Eine Häuserwand, die in unmöglichen Winkel über den Boden thronte, gleich eines riesigen Kinderspielzeuges, das lieblos in den sandigen Boden eines Spielplatzes gerammt wurde. Das Stofftier schwebte an der Häuserwand vorbei, winkt den Kindern zu, lockte freundlich, wollte verführen und Lucy wie Luca folgten dem Ding, neugierig, fragend, verspielt.

Irgendwo rasselten Ketten…
 

„Was macht ihr hier?!“
 

Von bleichen, gar weiße Lippen hinaus wurden sie angeschrien: „Wie seid ihr hergekommen?!“

Die beiden Kinder zuckten augenblicklich zusammen, als hätte man sie brutal geschlagen.

Es raschelte Metall gegen Metall, eisige Kettenglieder schmiegten sich geschmeidig aneinander, wie zischende Schlangen. Blonde Haare rauschten in der Bewegung. Die Schneide einer Sense streichelte durch den schwarzen Umhang des Nichts.

Über ihnen auf der Hauswand, lauernd und sprungbereit wie ein Raubtier kniete jemand, starrte sie an, starrte sie nieder: „Was macht ihr im Abyss?!“

Blutrote Augen begegneten ihnen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  X-Breakgirl
2012-03-31T20:19:08+00:00 31.03.2012 22:19
Warum musste Break so sterben?
Ich hatte gehofft, dass er in dieser Geschichte auch eine Rolle
spielen würde.
Naja, aber ich bin gespannt, wie Oz reagieren wird, wo er jetzt die
Kinder von Gil&Alice getroffen hat.
Er ist es doch, oder?

LG


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