Zum Inhalt der Seite

STUMME SCHREIE - Cum tacent clamant

Indem sie schweigen, reden sie...
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Was hat er dir angetan?!

Er erwachte durch das heftige Geschaukel eines Schlagloches.

Blinzelnd öffnete er die Augen und versuchte seine Orientierung wiederzuerlangen.

Noch immer lag er an der Schulter seines Freundes, der sich mit Luca unterhielt.

Wie lange war er weg gewesen?

»Und du hast noch zwei Schwestern?«

»Ja.«

»Wow. Das könnte ich mir gar nicht vorstelle… Ich bin Einzelkind.«

»Es hat alles seine Vor - und Nachteile.«

Nun lachte sein Freund leise. »Das stimmt.«

Langsam wurde Kris wacher.

Er lauschte dem Gespräch, das von Geschwistern zur Schule wechselte und blieb selbst stumm.

Wo lernten eigentlich alle sich über so banale Dinge wie das Wetter oder Schule zu unterhalten und so zu tun, als wäre es interessant.

Er selbst hatte noch nie Smalltalk beherrscht. Wahrscheinlich ein Grund mehr, warum ihn kaum jemand leiden konnte.

Erst als Luca abbog und er durch die Frontscheibe die bekannte Wohngegend sah, ergriff ihn erneut die Angst.

Sein Vater!

Wie hatte er das nur vergessen können?

Es kam ihm vor als wäre das Gespräch am Morgen Jahrzehnte her.

Trotzdem…

Sein Vater hatte gewartet.

Wenn er erst jetzt nach Hause kam, konnte er sich auf eine Bestrafung gefasst machen, wie er sie schon lange nicht mehr erlebt hatte.

Ohne es kontrollieren zu können ergriff erneut ein Zittern seinen Körper.

Nein!

Es dämmerte bereits. Wie sollte er ihm das erklären?

Er wollte nicht zurück!

Noch mehr würde er heute nicht mehr ertragen.

»Kris?« wurde er aus seinen Gedanken gerissen. »Was hast du denn?!«

Der Blonde schlang einen Arm um seine Schulter.

»Ich… ich will nicht zurück…« wimmerte er. »Bitte. Ich ertrag es heute nicht mehr.«

Er wollte gar nicht wissen was Luca dachte, als er ihm einen Blick durch den Rückspiegel zuwarf.

Immer wenn sie aufeinandertrafen heulte er rum. Luca musste doch denken, er wäre ein völlig verweichlichter Jammerlappen.

Nun ja, vielleicht war er das auch.

Kris schob den Gedanken beiseite und klammerte sich an David fest.

»Nimm mich mit zu dir,… bitte.«

Der Angesprochene strich ihm sanft über dem Arm.

»Dein Vater?«

Er nickte nur.

Darüber reden konnte er einfach nicht… nicht einmal mit David.

Mit niemanden.

»Du weißt, immer gern. Aber meine Ma steht nicht so auf Spontanaktionen. Tut mir leid.«

Genauso gut hätte er ihn schlagen können.

»Sch – schon gut.«

Kris wollte nicht, dass sein Freund sein schlechtes Gewissen hatte. Er würde es schon irgendwie überleben…

auch wenn ihm schon bei dem bloßen Gedanken die Luft wegblieb.

Keuchend versuchte er seinen Atem soweit zu kontrollieren, dass seine Rippe sich wieder beruhigte.

Denn auch Diese war bei seiner kleinen Panikattacke wieder erwacht.

Er würde es schaffen.

Auch wenn er noch nicht wusste wie…

»Scht.«

David war sichtlich überfordert mit der Situation.

Aber was konnte er tun, dass sich der Andere nicht so schlecht fühlte wie er selbst?

Konnte er etwas sagen?

Er wusste nicht was…

Seine Gedanken konnten sich auf keine andere Sache mehr konzentrieren… sie waren bei dem Schrecken, der ihn bald erwarten würde.

Noch zwei Häuserblöcke.

Letztendlich war es tatsächlich Luca, der die unangenehme Situation auflöste, indem er einfach in eine Nebenstraße abbog.

»Was machst du?« fragte David irritiert. »Kris wohnt in der 140.«

»Das mag sein, aber wenn ich es richtig verstanden habe, will Kris nicht nach Hause. Also fahren wir zu mir.«

Kris verstand die Worte im ersten Moment gar nicht, die der Rothaarige da sagte.

»Aber geht das so einfach?« nahm David ihm seine Frage vorweg.

Es schien auch ihn zu überraschen.

Im Spiegel sah er das schiefe Lächeln von dem Gothic.

»Klar, warum nicht? Wir rufen seinen Vater einfach von mir aus an und erklären es ihm.«

Der Dunkelhaarige blinzelte verwirrt.

Womit hatte er denn das verdient?

Würde er wirklich entkommen?

Konnte der Andere das wirklich ernst meinen?

Sie kannten sich doch kaum!

»Willst du auch mit zu mir kommen, David, oder soll ich dich irgendwo absetzen?«

»An sich gerne« antwortete der Blonde und blickte Kris vielsagend an. »Aber ich sagte ja, meine Ma mag keine Spontanität-… setz mich einfach am Park ab.«

»Reicht das denn?«

»Klar. Ich wohn da gleich gegenüber.«

»Okay.«

David drückte die Hand seines Freundes, was diesem ein Lächeln entlockte.

Natürlich hatte er den Blick des Anderen verstanden und David seinen auch, das zeigte ihm die Geste. Er erwiderte den Druck der anderen Hand in seiner sanft.

Das war das Schöne an ihrer Freundschaft. Man brauchte nicht viel zu reden.

Danach herrschte Schweigen im Wagen, bis sie zum Park kamen.

Luca hielt am Straßenrand an und David nahm seinen Rucksack auf den Schoß.

»Danke fürs fahren« lächelte er und reichte dem Gothic die Hand.

»Nichts zu danken.«

Dann wand er sich Kris zu.

»Wir schreiben, okay? Bis morgen.«

»Ja, bis dann.«

Der Dunkelhaarige umarmte ihn kurz zurück, ehe der Blonde aus dem Auto stieg.
 

Dann saß er alleine auf der Rückbank und fühlte neugierig in sich hinein.

Von dem sonstigen, unruhigen Gefühl, was ihn immer heimsuchte, wenn er alleine mit jemandem war, den er nicht gut kannte, war nichts zu merken.

So als hätte er sich bereits an den Rothaarigen gewöhnt.

Komisch.

Sonst brauchte er immer so lange um einen Menschen an sich heranzulassen.

Warum machte es ihm Luca so schrecklich einfach?

Er konnte sich irgendwie schon jetzt gar nicht mehr vorstellen, ihn nicht mehr jeden Tag in der Schule zu sehen. So als würde er schon fest dazu gehören.

Die restliche Fahrt herrschte Schweigen.

Es war etwas zwischen angenehmen und unangenehmen Schweigen.

Doch Kris wusste auch nicht was er sagen sollte… was er sagen konnte.

Er hasste Smalltalk.

Luca sah aber auch nicht wirklich an Gesprächen interessiert aus.

Er wirkte völlig auf die Straße konzentriert.

Während er selbst noch mit sich rang was er sagen sollte, und so aus dem Fenster sah, hatte er seine Orientierung schon lange verloren.

In dem Viertel war er noch nie gewesen. Die Häuser wirkten so groß und hatten alle gut gepflegte Vorgärten. So wie man es aus Hollywoodfilmen kannte.

Kris hatte nicht einmal gewusst, dass es hier in der Nähe überhaupt so ein Villenviertel gab.

Er war noch nie über seine Häuserblöcke hinausgekommen.

Na ja, eigentlich hatte er auch gar keine Zeit dazu die Gegend zu erforschen. Also war es ja auch nicht verwunderlich, dass er nicht wusste, dass es hier auch Villen gab.

Nebenbei bemerkte er wie Luca in seiner Tasche wühlte, eine Fernbedienung hervorzog und den obersten grünen Knopf betätigte.

Kurz darauf bogen sie in ein Grundstück ein, dass genau wie alle anderen hier im Umkreis, einen sehr gepflegten Vorgarten hatte und augenscheinlich auch eine Villa war.

Mehr konnte Kris auf den ersten Blick nicht erkennen, denn Luca steuerte das Auto sofort in eine geöffnete Garage.

Erstaunt stellte der Dunkelhaarige fest, dass diese Garage größer als das Wohnzimmer seines Hauses war. Unvorstellbar…

»Kommst du?«

Schnell versuchte er seine Gedanken abzuschütteln und der Aufforderung zu folgen.

Mit wackligen Beinen stieg er aus dem Wagen und folgte dem Rothaarigen ans andere Ende der Garage. Alles hier sah so perfekt aus.

Es war die eine Garage die er so noch nie gesehen hatte. So aufgeräumt, ordentlich und geordnet.

Er folgte Luca durch eine Tür, über einen kleinen Flur und schließlich in ein großes Zimmer.

Augenscheinlich ein Wohnzimmer.

Staunend sah der Dunkelhaarige sich um.

Alles wirkte hier so groß und proportional… ähnlich wie in der Garage und doch anders. Kris hatte keine Ahnung von Baustilen, doch wenn er raten müsste, würde er auf etwas Edles, Altmodisches tippen. Waren Lucas Eltern so reich?

»Setz dich ruhig.«

»Danke.« nuschelte Kris und setzte sich fast sofort auf die schwarze Couch, die in der Mitte des Raumes stand.

Luca nahm indes seinen Mantel und Kris Jacke und hing sie an die Haken an der Eingangstür, durch die die Beiden eben gekommen waren.

Auch sein Rucksack und die Tasche des Rothaarigen wurden dort angehängt.

Wo kam denn der Rucksack her?!

Hatte er den nicht abgegeben und…

Er konnte sich einfach nicht erinnern.

»Möchtest du etwas trinken?« wurde er aus seinen Gedanken gerissen.

Schnell schüttelte Kris den Kopf.

»Na gut. Hast du deine Nummer im Kopf?«

Er nickte und sagte sie Luca.

Er gab sich viel Mühe seine ganze Dankbarkeit, die er empfand, in seinen Blick zu legen. Er war so froh, dass nicht er sich mit seinen Vater auseinander setzen musste.

»Gut. Ich bin kurz oben und klär alles. Fühl dich wie zuhause.« lächelte Luca und wuschelte ihm durch die Haare, ehe er durch eine anliegende Tür verschwand.

Der Dunkelhaarige blieb etwas verloren und verwirrt auf der Couch sitzen und starrte in den Raum.

In welchen Film war er hier gelandet?

Das konnte doch nicht wirklich passieren, oder?

Fassungslos blickte er sich um.

Man sah an dem Schnitt und der Größe des Raumes sofort in welchem Wohnviertel man sich befand. Das Zimmer war höher und größer als das einer normalen Wohnung. Außerdem hatte es Wölbungen und Verzierungen an den Fenstern.

Kris fühlte sich irgendwie sehr klein in diesem Raum.

Alles hier war dunkel gehalten, so wie man es von einem Gothic - Zimmer erwartete.

Die Tapete war schwarz und mit silbernen Ranken durchzogen. Farben die man auch im ganzen Mobiliar des Zimmers wiederfand. Auch die typische Deko war vertreten.

Totenköpfe, Drachen und Schlangen…

Trotzdem wirkte der Raum an sich einladend. Fast gemütlich…

Kris hätte nicht gedacht, dass er sich in solch einem Zimmer wohlfühlen konnte. Aber es war so.

Der Geruch von Patschuli und irgendwas süßliches, was er nicht genau definieren konnte, war überall vorhanden. Es war der Geruch den er mit Luca verband.

Den Geruch den er nach all dem Leid, der Angst und dem Schweiß als erstes gerochen hatte.

Heute.

Gedankenverloren berührte er seine Rippen.

Er konnte noch gar nicht fassen, dass all das heut passiert war. Nur die Müdigkeit und der Schmerz, die ihn nun wieder befielen, zeugten davon.

Kris schloss die Augen und sog den Geruch tief in sich ein.

Er lehnte sich an die Rückenlehne zurück… er hätte hier und jetzt einschlafen können.

Doch das wäre Luca gegenüber natürlich total unhöflich gewesen.

Deswegen zwang er sich die Augen wieder zu öffnen.

Wie spät war es eigentlich?

Nach einer Uhr suchend, blickte der Dunkelhaarige sich um. Tatsächlich fand er eine, die über einer der Türen hing.

Sie zeigte Zehn nach Sechs an.

Konnte das denn stimmen?

Er hätte diese Frage nicht beantworten können… sein Zeitgefühl schien heute echt im Eimer zu sein. Eigentlich kein Wunder.

Was sollte er nur machen bis Luca wiederkam?

Er wollte endlich wissen woran er bei ihm war.

Auch wenn er Angst hatte.

Diese Unwirklichkeit hier zu sitzen war immer noch da.

War er seiner Strafe denn wirklich entronnen?

Das hatte er noch nie geschafft.

Vielleicht berieten er und sein Vater sich aber auch gerade über eine Strafe für ihn?!

Wäre das möglich?

Diesen Gedanken schob er eilig von sich.

Er wollte so etwas nicht denken…

Glauben wollte er das auch nicht. Ein Teil in ihm wollte Luca einfach vertrauen.

Ihm glauben.

Er wollte endlich wieder jemanden haben der ihn mochte.

Jemanden außer David. Einfach damit er sicher sein konnte das er liebenswert war und das der Blonde nicht nur aus Mitleid mit ihm befreundet war.

Unruhig rutschte er auf dem Sofa herum.

Seine Gedanken schweiften zu sehr ab.

Wie lange war Luca wohl schon weg?

Müsste er nicht langsam mal wiederkommen?

Entsetzt nahm er die irrationale Sehnsucht zur Kenntnis die sich plötzlich in sein innerstes geschlichen hatte. Sie war irgendwo hineingeschlichen.

Er konnte dieses Gefühl nicht verstehen, aber verdrängen ließ es sich auch nicht.

Unstetig ließ er seinen Blick zu der Tür schweifen, aus der Luca gegangen war.

Ob er wohl bald kam?

Er war so allein…

Das war nicht gut. Denn genau in diesen Momenten kamen die schlimmsten Gedanken.

Sie klopften nicht an, so wie manche.

Sie rissen alle dunklen Türen in seinem Verstand auf und liefen dann Amok.

Diese Gedanken waren schwarz.

Pechschwarz.

Und sie waren gefährlich…

Gefangen in ihnen verlor man jegliche Angst. Dann ging man einfach über sie Straße ohne zu schauen ob ein Auto kam oder man lief einfach auf den Schienen der S – Bahn ohne zurückzusehen. Manchmal tauchte man auch aus diesen Gedanken auf, so wie aus tiefen Wasser und fand sich auf dem Gerüst einer Brücke wieder.

Kris war solchen Situationen bis jetzt immer entkommen.

Meistens war es haarscharf gewesen, aber bis jetzt hatte er es immer geschafft.

Bis jetzt…

Er wollte nicht sterben. Wirklich. Doch diese dunkle Seite seiner Gedanken existierte. Und sie fragte ihn nun einmal nicht um Erlaubnis…

Es war etwas Eigenständiges und Mächtiges, etwas Schreckliches.

Ein Monster.

So wie Wesen in Fantasie Geschichten.

Ein Schauer jagte ihn über seinen Rücken.

Das Böse in dir, dachte er zitternd.

Auch wenn es dumm klang, manchmal hatte er vor sich mehr Angst als vor seinem Vater.

Und das war etwas was kaum jemand verstand.

Deswegen sprach er auch mit keinem darüber.

Mit wem denn auch?
 

»Kris?«

Bei der Erwähnung seines Namens zuckte er zusammen. Ihm war von dem sehr rapiden Absturz in die Wirklichkeit schwindlig.

»Alles in Ordnung?«

Er nickte und sah den Anderen verloren in die Augen.

Sie waren blassgrün und wurden zum äußeren Rand der Iris hin immer dunkler.

Und sie waren schön…

Abwesend streckte er seine Hand aus und berührte die porzellanfarbene Wange.

Alles an dem Gothic war irgendwie schön.

Kris kam erst durch die Berührungen des Rothaarigen wieder vollkommen zu sich.

Dieser hatte nämlich seine eigene Hand auf Kris Finger gelegt, die seine Wange berührten.

»Was hast du denn?« fragte er lächelnd.

Sofort spürte der Dunkelhaarige die Hitze zurück in seine Wangen steigen.

Schnell blickte er wieder auf das schwarze Leder der Couch und zog seine Hand zurück.

Was war denn nur eben mit ihm los gewesen?

Eine Hand legte sich auf seinen Kopf.

»Ich habe mit deinem Vater gesprochen.« meinte Luca ruhig. »Es war etwas schwierig ihn zu überzeugen, aber als ich ihm kurz die Umstände erklärt habe, war er bereit dich eine Nacht hier schlafen zu lassen. Damit ist jetzt alles klar.«

Ruckartig blickte Kris wieder auf.

Er hatte doch nicht…!

Nein, das würde er nicht tun, oder?!

»Ganz ruhig, ich habe ihm nichts von dem Übergriff erzählt.« schien Luca ihn wieder sofort zu durchschauen. » Mir war fast klar, dass es dir nicht recht sein wird. Ich hab etwas geflunkert… also wenn er dich fragt. Wir haben uns hier mit David spontan nach der Schule getroffen und haben vergessen Bescheid zu sagen. Dann bist du eingeschlafen und ich wollte dich nicht wecken.«

Das klang sogar für ihn unglaubwürdig. Wie hatte er es nur geschafft seinen Vater zu überzeugen?

Aber war das nicht eigentlich egal wie?

Er war so froh…

»Da – danke!« nuschelte er.

Dafür bekam er ein leises Lachen. Die große Hand strich durch seine Haare und brachte in seinem Magen eine Art Feuerwerk zum Starten.

Er wusste nicht was mit ihm geschah.

»Komm, jetzt machen wir uns erst einmal Abendbrot.« ließ Luca ihm keine Zeit über die merkwürdigen Reaktionen seines Körper nachzudenken.

Ohne Umschweife wurde sein Arm gepackt und er wurde von der Couch hoch und hinter dem Gothic hergezogen.

Kris ließ es zu.

Er wollte nicht mehr allein sein…

Es war so einfach mit dem Gothic zusammen zu sein und sich wohl zu fühlen.

Hauptsache er blieb hier.

Als sie unter dem Türrahmen durchgingen, der anscheinend die Küche vom Wohnraum abgrenzte, gab es einen Schlag über ihm.

Diesen folgten 7 aufeinanderfolgende Schreie.

AAAhhhhhhh.

Kris fuhr wie geschlagen zusammen und suchte instinktiv Schutz an Lucas breitem Rücken.

Hilfe suchend klammerte er sich an ihm fest.

Der Andere blieb stehen und drehte sich halb zu ihm um.

»Hey… das war doch nur meine doofe Uhr. Kein Grund zur Panik.«sagte Luca sanft. In seiner Stimme klang etwas Besorgnis mit.

Uhr?

Vorsichtig löste sich Kris ein wenig von ihm, trat einen Schritt nach hinten und sah nach oben an die Wand. Gerade noch rechtzeitig um zu sehen, wie eine Krähe wieder zurück ins Türchen schoss.

Eine Kuck – Kucks Uhr.

Also mit Krähe, statt mit Kuckuck …

Aber nur eine blöde Uhr!

Beschämt über sich selbst ließ er Luca los.

Was musste er nun schon wieder von ihm denken.

Verweichlicht, Angsthase, Jammerlappen…

Wieso war er nur immer noch hier?

Er glaubte, wäre er an Lucas Stelle gewesen, er hätte sich schon lange vor die Tür gesetzt.

Das musste ihn doch nerven oder?

Oder?!

Er hatte sich selber so satt.

»Hör schon auf« wies ihn der Andere zurecht. »Woher hättest du denn wissen sollen, dass ich so eine Uhr habe? Ich hätte dich vorwarnen müssen. Verzeih.«

Kris blinzelte.

Was?

Luca nahm seine Hand und lächelte ihm lieb an.

»Komm lass uns endlich was zu essen suchen, ich habe Riesenhunger.«

Mit zittrigen Knien, aber ohne etwas zu erwidern, folgte der Dunkelhaarige ihm in die Küche.

Aber seine Gedanken kreisten weiter.

Woher hatte er gewusst was er dachte?

Langsam wurde er ihm unheimlich?

Wirklich…

Hatte er vielleicht übersinnliche Fähigkeiten?

Quatsch!

So etwas gab es doch nicht!!

Oder?

Er war so vertieft, dass er seine Umgebung gar nicht bewusst wahrnahm, bis ihm der Andere ein vollbeladendes Tablett in die Hand drückte.

Aus Reflex nahm er es und trug es wieder rüber.

Nebenbei fragte er sich für wen die ganzen Lebensmittel, die er da vor sich her trug, gedacht waren. Doch eigentlich war ihm das auch egal.

»Setz dich schon mal, ich bin sofort da.« sagte Luca da plötzlich und rauschte an ihm vorbei aus dem Zimmer.

Geistesabwesend räumte Kris das Tablett ab und setzte sich wieder auf die Couch.

Er hoffte, dass Luca bald wieder kam.

Und er wurde nicht enttäuscht.

Es dauerte nur wenige Minuten, da erschien der Gothic wieder mit Bettzeug, das er auf einen Sessel schmiss und dann zu ihm kam.

»Darf ich mich neben dich setzten?«

Kris nickte.

Wie hätte er denn wiedersprechen sollen? Nach allem was Luca heute für ihn getan hatte.

Er spürte wie das Polster neben ihm einsank.

»Na dann wollen wir mal was essen. Du bist doch sicher müde oder? Nach dem Essen kannst duschen wenn du willst und dann sofort schlafen.«

Er nickte wieder.

Jetzt wo der Andere es erwähnt hatte, spürte er die Müdigkeit wieder stärker als zuvor.

»Nimm dir was du essen willst.« sagte Luca schließlich, als klar war das Kris nicht antworten würde und fing an sich seine Brötchen zu schmieren.

Kris blickte das Essen an… eigentlich war das Letzte was er wollte essen. Trotzdem nahm er sich ein trockenes Brötchen und knabberte daran herum. Ab und zu trank er einen Schluck Saft.

Das Schweigen was sich über sie legte, war beruhigend und belastend zu gleich.

Kris konnte einfach nicht einschätzen was Luca dachte.

Unauffällig schielte er zu ihm hinüber und beobachtete ihn beim Essen.

Was sollte er denn jetzt tun?

Erst als Luca den Kopf drehte und ihn musterte, blickte er wieder auf den sauberen Teller vor sich und starrte angestrengt auf das goldene Muster darauf.

»Du hast keinen Hunger, hm?«

Kris nickte schüchtern.

Ob er wütend werden würde?

»Hm. Irgendwie verständlich. Magst du dann schon einmal duschen gehen, bis ich aufgegessen habe?«

Kris blickte auf und direkt in die Augen, die ihn sofort in seinen Bann zogen.

»Okay.« stimmte er leise zu.

Luca lächelte ihn an.

Dann stand er auf und zeigte ihm den Weg ins Bad. Er bereitete alles vor und legte ihm frische Handtücher und ein sehr großes T – Shirt hin.

Als das erledigt war, ließ er den Dunkelhaarigen in dem geräumigen Bad allein.

Dieser sah sich kurz um und zog sich dann aus um in die Dusche zu steigen.

Auch hier war alles groß und komfortabel. Es gab sogar noch eine sehr große Badewanne am Ende des Zimmers, das zwar nicht besonders breit, aber sehr lang zu sein schien.

Kris stellte die Brause an und hoffte einfach, dass er sich nach der Dusche besser fühlte.

Nach wenigen Minuten stieg wieder aus der Dusche und trocknete sich an.

Dann begutachtete er die Sachen, die Luca ihm hingelegt hatte. Unter den T – Shirt fand er noch eine Boxershorts. Doch er sah auf den ersten Blick, dass sie viel zu große war. Also ließ er diese liegen und entschied sich lediglich das T – Shirt über zu ziehen, welches ihm fast bis zu den Knien ging. Doch das war ihm egal. Eigentlich gab es nicht was Luca an ihm noch nicht gesehen hatte, auch wenn der Gedanke kein angenehmer war.

Er ging aus dem Bad durch die Küche wieder zurück in den Wohnbereich. Dort hatte Luca bereits den Tisch abgeräumt und die Couch für ihn hergerichtet.

Es war so ungewohnt, dass er nicht alles selber erledigen musste.

Wobei er es nicht unbedingt schlecht fand es nicht tun zu müssen.

Luca blickte auf, als er mit nackten Füßen auf ihn zu tapste und sah ihn durchdringend an.

Kris wurde rot und wich dem Blick aus. Er ging an ihm vorbei und ließ sich auf das Sofa fallen. Schnell zog er sich die Federdecke über den Schoß.

Der Rothaarige löste seinen Blick von ihm und schien eine Weile zu brauchen, bis er wieder was sagen konnte.

»Gut, dann werde ich jetzt duschen, okay? Vergiss nicht deine Rippe noch einzuschmieren.«

Damit war er auch schon verschwunden.

Was war das denn?

Irritiert suchte Kris nach seinem Rucksack.

Aber gut das er ihn an die Creme erinnert hatte. Er hätte es fast vergessen…

Er erspähte ihn in der Ecke neben der Eingangstür neben den Schuhen. Kris durchwühlte die einzelne Tasche und holte die besagte Creme hervor, bevor er schnell schaute ob Luca nicht wieder durch die Tür kam. Als dies nicht der Fall war, zog er das T – Shirt hoch und cremte die verletzte Stelle dick ein. Als das auch erledigt war, ging er wieder zur Couch, ließ sich auf sie sinken und kuschelte sich unter die Decke.

Alles hier roch nach ihm…

Luca…
 

Er wurde zurück ins Bewusstsein gerissen, als eine sanfte Hand über seine Wange strich.

»Guten Nacht…«

Der Dunkelhaarige blinzelte.

Diesmal dauerte es nicht lange bis er sich orientiert hatte.

»Luca.« murmelte er verschlafen.

Der Angesprochene wand sich verblüfft um. Er stand vor dem Sofa. Anscheinend wollte er gerade gehen. Er hatte ein verwaschenes Shirt und nur noch seine Boxershorts an, seine Haare klebten nass an seinem Kopf und auch seine Schminke war weg. Wobei…

Einen leichten schwarzen Schatten war noch um seine Augen zu sehen.

Er schien gerade aus der Dusche gekommen zu sein. Anscheinend war er eingeschlafen.

»Was denn?«

Kris erwiderte seinen Blick kurz und blinzelte dann erneut, bevor er sich aufsetzte und sich den Schlaf aus den Augen rieb.

»Luca…« probierte er es nochmal. Der Name klang gut aus seinem Mund. Es fühlte sich irgendwie richtig an.

»Hm?«

»Warum?«

»Warum was?«

»Warum hast du mir geholfen?« zwang Kris sich zu fragen. Kurz holte er Luft und kratze sein letztes bisschen Mut zusammen. »Warum hast du mir so oft geholfen? Und mich ins Krankenhaus gefahren? Warum hast du dich für mich geprügelt? Warum lässt du mich hier schlafen und warum bist du so nett zu mir?«

Auf diesen Wortschwall folgte einen Moment Stille.

Okay… jetzt hatte er es wohl endgültig übertrieben!

Er hätte sich einfach zufrieden geben und seine Klappe halten sollen…

Toll Kris!

»Das sind wirklich dämliche Fragen.«

Kris zuckte unter diesen Worten zusammen.

Was sollte er jetzt machen?

Was wenn er ihn vor die Tür setzte? Einfach so… er konnte nicht nach Hause!

Was –

»Die korrekte Frage lautet, warum hätte ich das nicht tun sollen?«

Er spürte wie sich das Polster wieder unter seinem Gesäß senkte und registrierte das Luca sich an die Kante der Couch zu ihm gesetzt hatte.

Kris blickte wieder von seinen Händen auf und sah dem Gothic direkt in die Augen. So ohne Schminke wirkten sie noch einmal komplett anders. viel dunkler als vorher.

Oder bildete er sich das nur ein?

Gebannt starrte er sein Gegenüber an.

»Kris. Ich mag dich und auch wenn ich dich nicht gut kenne, kann ich dir doch helfen oder? Würdest du das nicht auch tun, wenn dich jemand anderes um Hilfe bittet? Oder du siehst das er deine Hilfe braucht?«

»Aber… aber die Gang…«

»…ist dumm.« beendete Luca seinen Satz schlicht. » Allesamt. Lass dich nicht auf etwas herabsetzen was sie in dir sehen. Wirklich du bist gut so wie du bist.«

Das war eine Lüge!

Warum log er?

Was nutzte ihm das nur!?

Ungläubig schüttelte er den Kopf.

»Kris.«

»Nein. Alle-… alle hassen mich. Sie … sie schikanieren mich und… und die anderen helfen mir nicht. Auch – auch mein Vater sagt das… ich-«

»Was sagt er?«

»Das ich schlecht bin… und nur für ihn auf dieser Welt. Er – sie-… ich habe meine Mama getötet. Er hasst mich…- so… so wie alle anderen… warum hasst du mich nicht?!«

Er wollte noch so viel anderes sagen was ihm auf der Seele brannte. Doch es kam nichts mehr aus seiner Kehle heraus außer lauten Schluchzern. Sein ganzer Brustkorb schien sich unter dem Druck zusammen zu ziehen. Alles in ihm krampfte.

Wann hatte er das eigentlich jemals alles ausgesprochen?

Eigentlich überhaupt nicht oder…?

Die ersten Tränen strömten über seine Wangen.

Na toll… jetzt konnte Luca seinen ganzen Eindrücken von ihm auch noch Heulsuse hinten dran hängen.

Was für ein beschissener Tag.

Ein heftiger Weinkrampf schüttelte seinen Körper und Kris konnte nichts dagegen unternehmen.

Seine Rippe meldete sich wieder zu Wort. Doch er spürte die Schmerzen, die sie entsandte dieses Mal kaum, denn die Stelle in seiner Brust, wo angeblich das Herz sitzen sollte, tat ihm noch viel mehr weh. Es war unbeschreiblich und erdrückend dieses Gefühl.

Durch einen Schleier erkannte er das Gesicht des Gothics der ihn schockiert ansah.

Und dann lag er schon in den Armen von selbigem.

Luca zog ihn dicht an sich und wiegte ihn wie ein kleines Kind in seinen Armen. Und er weinte.

Es dauerte eine Weile bis er sich wieder in den Griff bekommen konnte.

Aber der Geruch, der ihn schon den ganzen Tag nur positives signalisiert hatte, beruhigte ihn letztendlich.

Patschuli.

Zittrig atmete Kris gegen die Halsbeuge von Luca.

Wie peinlich war das denn bitte?

Er wollte sofort im Erdboden versinken.

Beschämt und dankbar zugleich das er ihn nicht losließ, vergrub er sein verheultes Gesicht in der fremden Schulter und war froh das der Andere ihn nicht ansah.

»Es ist schwer, zuzugeben, dass man schikaniert wird« sagte Luca da plötzlich leise. »Und wenn es herauskommt, hat man das Gefühl, man müsste sich entschuldigen, weil man glaubt, es sei die eigene Schuld, dass man gequält wurde. Und wenn man sich retten will oder gerettet wird… will man sich rechtfertigen und entschuldigen. Es ist schon schwer jemand anderen um Hilfe bitten zu müssen. Man kommt sich wie ein Versager vor und glaubt, dass jeder einen hasst.«

Kris wimmerte.

Er wollte das nicht hören.

»Aber das ist Unsinn, Kris. Es gibt Menschen die dich mögen. Wirklich… du musst nur deine Augen weiter aufmachen, dann erkennst du sie. David und ich mögen dich. Und es gibt sicherlich noch mehr…«

Kris drückte sich fester an ihn und wieder spürte er die Tränen in seinen Augen aufsteigen. Sie brannten und in seiner Kehle bildete sich ein Kloß.

Wo nahm er diese Worte her?

»Ich hasse dich nicht. Auch wenn du mal schwach bist, hasse ich dich nicht, okay? Du bist ein toller Mensch. Egal was andere sagen.«

Das war zu viel.

Wieder weinte er.

Doch dieses Mal fühlte er sich nicht schäbig. Das lag wohl an der Hand, die zärtlich seinen Nacken kraulte und an den lieben Worten die er zugeflüstert bekam.
 

Im Endeffekt konnte er nicht mehr sagen wann genau er eingeschlafen war. Doch irgendwann schien er in den Armen des Älteren weggedriftet zu sein.

Es war der erholsamste und ruhigste Schlaf, den er seit langer Zeit je hatte.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Puppe
2013-05-30T17:49:29+00:00 30.05.2013 19:49
Hey, könntest du gnädigerweise das 7.Kapitel auch für minderjährige veröffentlichen, vllt. eine softe Version ; ) oder du schickst es mir per ens, das wäre toll, will nämlich wissen wie es weiter geht ;D
Antwort von:  Noveen
31.05.2013 07:59
Hm... ich versuch es mal zu tippen, weiß ja nicht wie viele noch dieses kleine Problemchen haben. Wenn ich aus Zeitgründen nicht dazu komme, bekommst du ne ENS...-

Danke für den Kommi und den Tipp.
Hab ich ehrlich gesagt nicht dran gedacht.^^"

Schönen Freitag dir.
Von:  Silverdarshan
2013-05-16T19:28:45+00:00 16.05.2013 21:28
Ach Gottchen, die beiden sind aber auch zu niedlich!
Luca schafft es wirklich gut, den armen, verstörten Kris zu besänftigen.
Die zwei sind so goldig miteinander, dass ich wieder einmal schmachtend am Laptop saß. Auch wenn ich mit Kris unendlich mitleide... aber gerade deswegen hoffe ich, dass Luca ihm eine Stütze sein wird.
Wurde aber auch Zeit, dass das Kapitel on kommt. Ich habe das Kappi ja schon vor Wochen verschlungen und ungeduldig darauf gewartet, dass es hier endlich ebenfalls erscheint.
Bin schon gespannt wie es weiter geht und hoffe, dass du mit einem baldigen Update meinen Leseabend versüßen wirst ;)

LG Silverdarshan


Zurück