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Man sieht sich immer mehrmals im Leben - Part 2

...Fortsetzung folgt ...
von

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Der Film ihres Lebens

Kay war wütend. Das wusste Roy bereits acht Sekunden später, nachdem er sie gesehen hatte. Er hatte mit den Jahren einen gewissen Sinn dafür entwickelt, wann sie so wütend war, dass es das Beste war, sich unter seinem Schreibtisch zu verstecken beziehungsweise endlich mal darüber nachzudenken, das Land für einen längeren Urlaub zu verlassen. Er unterschied zwischen mehreren Stufen, wenn es um Kays Zorn ging. ‚Angesäuert’ war erträglich und die Überlebenschancen waren nicht zu gering. Auch wenn sie nur ‚aufgebracht’ war, musste man nicht sofort um sein Leben fürchten. Ging es dann zu ‚wütend’ über, sollte man bereits beginnen, langsam in Deckung zu gehen, wo man spätestens dann sein sollte, wenn ihre Stimmung sich weiter verschlechterte und bei ‚absolut außer sich’ ankam. ‚Absolut außer sich’ war bisher das Schlimmste gewesen, was Roy bei Kay gesehen hatte, aber an diesem schicksalhaften Tag überbot sie ‚absolut außer sich’ um Längen. An diesem Tag war sie ‚in Mörderstimmung’. Roy erkannte es an dem Eisschleier, der sich über ihre Augen gelegt hatte, an der Art, wie sie Schubladen aufriss und wieder zuschlug, daran, dass sie auf ihren Tacker einschlug, daran, dass ihre Unterschrift kaum zu entziffern war und mehr an einen Blitz als an einen Namen erinnerte, daran, dass ihr Füller fast ihre Akten zerriss, wenn sie unterschrieb und auch daran, dass sie schnippisch war.

Roy ging mit gesenktem Kopf auf sie zu und nahm ihr den Tacker aus der Hand, während er sie prüfend ansah. Er wusste, wie sehr sie es hasste, wenn er in ihrem Privatleben herumforschte, und er wusste, wie gefährlich eine wütende Kay sein konnte. Aber sie war eine seiner besten Freundinnen und er würde sein Leben riskieren, um herauszufinden, was ihr auf der Seele lag. Er legte den Tacker neben sich und setzte sich auf ihre Tischkante, während er sie musterte. „Alles okay?“, fragte er dann.

Sie sah auf. „Sehe ich so aus, als ob alles okay wäre?“, fragte sie dann leise.

Er schüttelte den Kopf. „Was war denn los?“, fragte er dann seufzend. „War jemand gemein zu dir?“

Sie seufzte schwer, bevor sie ihn ansah. „Du erinnerst dich noch daran, dass ich gestern zusammen mit Charles im Kino war, nicht wahr?“, brachte sie dann mühsam hervor. „Und zwar in diesem neuen Film, der alle Filmpreise in diesem Jahr gewonnen hat und vermutlich der erfolgreichste Film in diesem Jahr sein wird. Hast du ihn schon gesehen?“

„Nein“, sagte er kopfschüttelnd, „aber wegen des Filmes bist du so sauer, dass du ein Hauptquartier, das bis zum Dach mit den tapfersten Soldaten des Landes gefüllt ist, in Angst und Schrecken versetzt?“

„Roy“, sagte sie leise, „dieser Film handelte von dir, Riza und mir. Maes kam auch vor, aber er hatte das Glück, dass man ein bisschen mehr Respekt vor ihm hatte, weil er die Verschwörung der Generäle ja angeblich aufgedeckt hat. Und glaube mir, wenn du wüsstest, was sie für einen Mist behauptet haben, dann würdest du die Produzenten längst in Asche verwandelt haben.“

„So schlimm?“, fragte er.

„Schlimmer“, erwiderte sie. „Soll ich ihn zusammenfassen? Okay, sie wussten irgendwoher, dass wir uns kennen, seitdem wir zwei sechzehn waren, und dass wir uns im Haus meines Onkels zum ersten Mal getroffen haben. Sie unterstellen uns, dass wir uns Hals über Kopf verliebt haben, direkt auf den ersten Blick, weil die erste Szene zeigt, wie Riza uns einander vorstellt und in der zweiten Szene knutschen wir auch schon wild in der Bibliothek herum. Das geht dann in dem Stil fünfzehn Minuten weiter, mit etwa tausend geheimen Treffen, bis du schließlich Schluss machst, weil du eigentlich in meine Cousine verliebt bist. Ich akzeptiere es, großmütig, wie ich bin, und wir gehen als Freunde auseinander.

Auf unsere tränenreiche und herzbrechend traurige Verabschiedung folgt deine noch wildere Affäre mit meiner armen kleinen Cousine, die die ganze Zeit über heimlich in dich verliebt war und schrecklich unter unserer Beziehung gelitten hast, aber du nimmst sie in den Arm und sagst ihr, dass das mit uns nie etwas Ernstes war und du nur sie wirklich lieben würdest. Danach knutscht ihr wild rum und die Leinwand wird schwarz. Das geht dann erst mal so weiter, bis wir zwei uns in Ishbal wiedersehen und diesen total dramatisch-kitschigen Dialog darüber halten, dass es einen Soldaten umbringt, wenn er sich um einen anderen sorgt. Deswegen bittest du mich darum, mir keine Sorgen um dich zu machen.

Dann kam meine persönliche Lieblingsszene: Erst rettest du Riza heldenhaft, als sie in der Dusche (kannst du dich eigentlich noch an die geräumigen, immer sauberen Duschen erinnern, die es in Ishbal angeblich gegeben haben soll?) fast von einem der Generäle vergewaltigt wird, dann verrutscht ihr Handtuch leicht und die nächste Szene zeigt euch in diesem geräumigen Doppelbett in den Baracken. Dass die nur für die Generäle waren und dass Riza damals als Kadettin wohl kaum Zutritt in die Baracken hatte, hat man der künstlerischen Freiheit wegen einfach dezent ignoriert.“ Sie schnaubte verächtlich. „Der Krieg ist vorbei, wir dürfen alle nach Hause und wir drei haben dieses gloriose Gespräch mit Maes am Bahnhof von Border City. Ich sage, dass ich in den Süden gehen will, um dort Karriere zu machen. Angeblich will ich meiner Mutter damit eine letzte Ehre erweisen. Maes sagt, dass er nach Central will, weil er dort eine Freundin hat und heiraten will. Riza sagt, dass sie dir bis in die Hölle folgen würde und du sagst zu ihr, dass du nicht willst, dass sie dir bis nach dort folgt, weil du sie mehr liebst als alles andere auf der Welt. Maes bringt an dieser Stelle eines der besten Zitate des ganzen Films: ‚Hinter jedem Mann steht eine noch bessere Frau’, bevor mein Zug kommt und ich mich tränenreich von euch dreien verabschiede, bevor ich für die nächsten fünfzig Minuten von der Bildfläche verschwinde. Aber dafür beginnt der lustigste Teil des Filmes. Deine Fortführung der kleinen Affäre mit meiner Cousine nimmt nämlich so lächerliche Ausmaße an und eure Dialoge sind so … lächerlich, dass ich fast an meinem Popcorn erstickt wäre. Wenn man diesem Film (und damit auch neunzig Prozent aller Gerüchte) glaubt, dann muss dein armer Tisch eine Menge ausgehalten haben, all eure ‚Überstunden’ haben einem gänzlich anderen Zweck gedient, die armen Besen in deinem Besenschrank müssen folglich auch seelisch traumatisiert sein, weil sie zu viel gesehen haben, und all eure Missionen hatten nur den Sinn, dass ihr aus eurer Liebe kein Geheimnis machen müsstet.“ Sie schnaubte erneut, diesmal sogar noch verächtlicher als zuvor. „Es kommt die Zeit eurer Trennung und ich tauche wieder auf. Ich hatte erst gedacht, dass man mich vergessen haben könnte, aber dann tauche ich pünktlich nach der großen Schlacht wieder auf. Ich vergieße Unmengen an Tränen, als ich sehe, was aus Central geworden ist, bevor ich fast zusammenbreche, als ich erfahre, dass du erblindet bist.“ Sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Es folgt dramatisch-kitschiger Dialog Nummer 2, in dem du mir sagst, dass du bestimmte Gesichter so tief in deinem Herzen tragen würdest, dass du sie nie vergessen könntest. Ich heule noch mehr herum, als ich dann sehe, was aus Riza geworden ist, und versinke in eine Depression.

Und gerade, als ich dann gedacht habe, dass die verdammten Drehbuchschreiber mir wenigstens ein bisschen Ehre gelassen hätten und mir wenigstens genug Kompetenz zugetraut hätten, damit ich mich selbst erschießen könnte, musst du mich natürlich davon abhalten und mir sagen, dass es immer noch etwas gibt, wofür es sich zu kämpfen lohnt, und dass ich nicht das Recht hätte, mir selbst das Leben zu nehmen, wenn man mich doch ganz offensichtlich noch brauchen würde.“

„War es dann endlich vorbei?“, fragte Roy seufzend, während er langsam verstand, wieso Kay so wütend war.

Sie nickte kurz. „Fast“, sagte sie dann. „Natürlich musstest du Rize noch einen vollkommen überzogenen Heiratsantrag machen und ihr versprechen, dass du sie immer lieben würdest, bevor ihr dann bei eurer Hochzeit beide erschossen wurdet. Und zwar von mir. Damit war der Film dann zu Ende.“

„Ich muss sagen, dass ist der fürchterlichste Film, von dem ich jemals gehört habe“, sagte er. „Erstens sind neunzig Prozent der Fakten absoluter Unsinn und die zehn Prozent, die so halbwegs korrekt sind, sind noch total verdreht worden. Und Charles haben sie herausgelassen…“

„Weil sie mir sonst keine Affären mit dir anhängen können“, sagte sie grimmig und nahm ihm den Tacker aus der Hand, bevor sie sich wieder auf ihre Akten stürzte. „Und sag mir bitte, dass ihr deinen Tisch nie zu solchen Zwecke missbraucht habt, ja? Ich meine, ich habe schon darauf gesessen, nicht wahr?“

„Natürlich nicht!“, sagte er entsetzt. „Mal abgesehen davon, dass sie dabei niemals mitspielen würde, weil das Entdeckungsrisiko zu groß wäre, ist die Holzoberfläche viel zu rau. Ich zerstöre schon immer meine Uniform daran. Ich will gar nicht wissen, was das mit Haut anstellen würde!“

„Danke“, sagte sie seufzend. „Wollte nur sichergehen, aber das verstehst du ja, nicht wahr? Und ich bin heilfroh, dass sie Edward herausgelassen haben. Ansonsten hätte man vermutlich unser Alter so weit erhöht, dass wir genau sechzehn Jahre älter gewesen wären. Und dann wären wir auch noch auf mysteriöse Weise zu seinen Eltern geworden, darauf kannst du Gift nehmen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  DarkDragon
2011-10-24T15:17:51+00:00 24.10.2011 17:17
Klingt doch nach einem guten Film. *ironie*
Ich glaube da würde ich nie rein gehen. Ach Kay soll Roy und Riza erschossen haben? Warum leben die dann noch?^^
lg


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