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Freundschaften, Feindschaften

von

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Ermittlungen

II. Ermittlungen
 

„Mr. Taylor?“
 

Craig musste sich bemühen, seine Kinnlade oben zu behalten. Vor seiner Haustür stand, in einen graublauen Wintermantel gehüllt, Joan Kinney. Er schüttelte sich Innerlich und besann sich auf seine Manieren.
 

„Mrs. Kinney? Möchten Sie… möchten Sie reinkommen?“
 

„Ja, gerne. Danke“, sagte sie und schritt an ihm vorbei. Sie blieb ruhig stehen, damit er ihr den Mantel abnehmen konnte.
 

„Kann ich Ihnen etwas anbieten?“ fragte er, immer noch völlig ratlos, was ihm diesen unverhofften Besuch beschert hatte. Justins Schwiegermutter. Oder was auch immer.
 

Mrs. Kinney schüttelte ablehnend den Kopf, während sie ihren Blick über die Inneneinrichtung gleiten ließ. Nicht billig, vieles hatte er selbst montiert oder entworfen. Eine Putzfrau kümmerte sich um einen steten Glanz.
 

„Setzen wir uns doch“, schlug Craig etwas hilflos vor und wies ihr den Weg ins Wohnzimmer. Sie nickte stumm und folgte ihm. Ihre flachen Absätze klapperten auf dem Steinboden.
 

Craig bot ihr den Sessel an, sie ließ sich hoheitsvoll nieder, den Blick aus ihren eisgrauen, wimpernumkränzten Augen fest auf ihn gerichtet.
 

„Haben Sie das getan?“ fragte sie übergangslos.
 

Craig konnte sie nur anstarren. Seine Augenbrauen zogen sich unwillkürlich zusammen. „Was meinen Sie?“
 

„Haben Sie meinen Sohn denunziert?“ sagte sie seelenruhig.
 

Craig spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. „Wie bitte?“ sagte er scharf.
 

„Haben Sie dem Jugend- und Sozialamt unterbreitet, dass mein Sohn ein Sexualstraftäter sein könnte?“
 

Craig spuckte fast seinen Drink wieder aus, den er sich vorsichtshalber selbst kredenzt hatte. „Geht es Ihnen nicht gut, Mrs. Kinney?“ sagte er nicht weniger eisig.
 

Sie behielt ihn weiter scharf im Blick. „Sie waren doch auch nicht gerade begeistert über die… Beziehung, die unsere beiden Söhne pflegen.“
 

„Nein“, antwortete Craig, „ich fand es ganz und gar nicht amüsant, dass Ihr Sohn meinen damals siebzehnjährigen Sohn verführt und Weiß-der-Himmel-was mit ihm angestellt hat.“
 

„Justin ist nicht wehrlos. Wer sagt, dass es so herum war? Ich will es gar nicht wissen. Haben Sie das den Leuten im Amt erzählt? Anonym?“
 

„Nein! Habe ich nicht. Das ist Vergangenheit. Meine Begeisterung hält sich zwar in Grenzen – wie die Ihre, nehme ich an. Aber es ist, wie es ist.“ antwortete Craig bestimmt.
 

„Wer war es dann?“ fragte sie. Ihr Kiefer zuckte. Man konnte ihre einstige Schönheit immer noch nachglühen sehen. Es war jedoch eine Art von Schönheit, die Craig nicht anzog. Eine Skulptur, die niemals lächelte.
 

„Mrs. Kinney“, hob er an, „was fragen Sie mich hier eigentlich?“
 

Joan musterte ihn mit unergründlichem Blick. „Irgendeine kleine Seele hat meinem Sohn Missbrauch und die Verführung Minderjähriger unterstellt. Sie haben ihm das Sorgerecht für Gus vorübergehend entzogen.“
 

Craig schnappte nach Luft. Brian… Kinder? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Justin würde nie mit jemandem…
 

„Das… das wusste ich nicht“, stammelte er.
 

„Jetzt wissen Sie es“, erwiderte Joan nur.
 

„Und… was nun?“ fragte er.
 

„Ihr Sohn hat momentan das alleinige Sorgerecht für meinen Enkel. Sie sind sein Großvater, gewissermaßen. Helfen Sie Ihnen.“
 

Craig nickte atemlos. Der kleine Junge… oh Gott.
 

„Hat Brian Justin verführt, als er noch minderjährig war?“ fragte Mrs. Kinney ihn.
 

Craig sah sie lange an, dann sagte er: „Nein. Gewiss nicht.“
 

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„Es tut mir leid, Mr. Taylor-Kinney“, sagte Mr. Harris. „Gesetz ist Gesetz. Das Jugend- und Sozialamt hat das volle Recht, es auf diese Weise gegen Sie geltend zu machen. Es tut mir so leid für Sie. Sie haben so vieles getan für Ihren Sohn. Alles was wir tun könnten, wäre eine Klage wegen Diskriminierung anzustrengen. Aber davon rate ich vorerst ab. Nur im äußersten Falle. Sie könnten schlafende Dämonen wecken.“
 

Brian sah seinen Anwalt mit leerem Blick an.
 

Das war ja klar gewesen.
 

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„Justin? Aber Gus sollte doch erst Morgen zu uns…?“ entfuhr es Nathalie Peterson irritiert, als der junge Mann in ihren Eingangsflur trat.
 

„Gus ist auch nicht hier“, sagte er bestimmt. „Aber ich bin es.“
 

Nathalie musterte ihn erstaunt: „Ist irgendetwas vorgefallen? Oh Gott, ist Gus etwas passiert?“
 

„Physisch nein. Ansonsten ja“, antwortete er kurz angebunden.
 

Sie sah ihn an. Seine etwas überlangen Haare standen in alle Richtungen, dass man ihm am liebsten einen Lutscher gereicht hätte. Aber der Blick unter den Ponyfransen sprach, wie gewohnt, eine ganz andere Sprache. Den Lutscher würde er jedoch vermutlich dennoch verputzen. Es war etwas Neues darin…. Wut?
 

„Was… was ist los?“ fragte sie, während er seine Jacke an der Garderobe aufhängte und die blauen Sneakers abstreifte.
 

„Irgendwer hat Brian angeschwärzt“, sagte er. „Hat ihn als Erpresser und Kinderschänder denunziert. Sie haben ihm vorübergehend das Sorgerecht entzogen.“
 

Nathalies Mund öffnete sich, ohne dass sie ihn wieder hätte schließen können. Justins Blick hing stahlblau an ihr.
 

Sie räusperte sich: „Davon… davon weiß ich nichts!“
 

„Wirklich?“ hakte Justin gnadenlos nach.
 

Sie fühlte gleichfalls einen gerechten Zorn in sich aufsteigen. „Ja, wirklich! Wenn wir etwas vorzubringen hätten, würden wir das geradeaus tun, darauf können Sie sich verlassen! Hätten wir das tun sollen? Ist Ihr Mann ein Erpresser? Ein Kinderschänder?“
 

„Nein!“ Justin brüllte beinahe.
 

„Da haben sie es. Lindsay mag zwar einige Entscheidungen getroffen haben, die uns nicht ganz eingeleuchtet haben. Aber eine solche Person zum Vater ihres Kindes zu machen – niemals! Das hätte sie gewusst! Und Gus ist nicht der Sohn eines… was immer ihm unterstellt werden mag!“
 

„Es würde Ihnen zum Vorteil gereichen“, sagte Justin lauernd. „Sie wollten doch das Sorgerecht?“
 

„Ja. Aber nicht so. Gus wollte zu Ihnen. Wir konnten ihn nicht zu uns holen auf Kosten seines… Glücks. Nicht nach dem, was passiert ist.“
 

„Jetzt passiert es wieder. Er verliert seinen Vater.“
 

„Und Sie?“
 

„Ich habe das alleinige Sorgerecht – noch. Sie werfen Brian vor, mich als Minderjährigen… verführt zu haben. Wenn das bestätigt wird, dann war es das.“
 

„Wie wollen die das tun?“
 

„Befragungen. Brian braucht ein psychologisches Gutachten.“
 

Nathalie überlegte. Dann sagte sie: „Vanessa.“
 

„Was?“ fragte Justin irritiert.
 

„Meine Freundin Vanessa. Sie ist Psychologin mit eigener Praxis. Sie kann Brian unterweisen, wie er sich am besten verkaufen sollte.“
 

„Im Sich-verkaufen ist er nicht ganz unbeleckt“, meinte Justin, aber seine Augen glänzten interessiert.
 

„Sicherlich. Aber er hat keine Psychologie studiert, oder?“
 

„Nein…?“
 

„Ich gebe Ihnen die Adresse und sage ihr Bescheid. Er soll sie schnellstmöglich anrufen.“
 

„Danke…“, erwiderte Justin. „Warum machen Sie das?“ hängte er hintenan und bohrte seinen Blick in Nathalies.
 

„Für Gus. Ganz einfach. Und weil ich es ein Unding finde, dass Ihr Mann, Gus Vater, so einfach vorgeführt werden kann. Wo leben wir hier eigentlich? Nein, so geht das nicht! Nicht mit uns!“
 

Justin schaute sie unter halb gesenkten Lidern an. Dann nahm er ihre Karte entgegen.
 

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Ted starrte auf Brians Schreibtisch. Dort, neben dem Telefon, wo andere Leute ihr obligatorisches Familienbild deponierten, lag eine herzförmige Tonplatte mit dem Abdruck einer Kinderhand. Sie passte so gar nicht zu den harten, klaren Linien und den kalten Tönen des Raums.
 

Aber Ted wusste, dass sie das einzige Unersetzliche hier war.
 

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„Die sind ja irre geworden!“ tobte Debbie. „Brian ist ein guter Mensch! Ein liebevoller Vater! Er mag zwar ganz schön durch die Gegend gefickt haben – aber so etwas! Das sind alles Lügen!“
 

„Bis auf die Sache mit Justin…“, warf Michael vorsichtig ein.
 

„Na und! Justin war schließlich nicht zwölf. Körperlich war er erwachsen! Und geistig-emotional – nun, da war wohl eher Brian der Minderjährige!“
 

„Das darf nicht rauskommen!“ fuhr Michael ihr ins Wort. Zumindest versuchte er es.
 

„Was?!“ Debbie starrte ihn, immer noch wütend glitzernd, an.
 

„Dass er ihn gepoppt hat, als er noch nicht achtzehn war“, stellte Michael klar.
 

„Aber das war sein gutes Recht! Justins meine ich! Brian hat ihn doch zu nichts gezwungen! Und mit siebzehn, fast achtzehn, ist man doch kein Kleinkind mehr!“ protestierte Debbie.
 

„Mag in Justins Fall stimmen. Aber den Jugendschutz gibt es auch nicht völlig ohne Grund. Und die Typen vom Jugend- und Sozialamt schauen auf die Paragrafen. Und die sind Gesetz. Sie dürfen es nicht erfahren“, schärfte Michael seiner Mutter ein.
 

„Jeder Mensch hat ein Recht auf eine selbstbestimmte Sexualität…“, warf sie entgegen.
 

„Sicher. Aber Kinder nicht. Da geht der Schutz vor. Und vor dem Gesetz war Justin noch ein Kind“, beharrte Michael.
 

„Ein Kind mit Haaren auf den Zähnen, das Brian Kinney erledigt hat. Gibt es eigentlich auch ein Gesetz zum Schutz fast dreißigjähriger Sexsüchtiger mit Peter-Pan-Syndrom? Dann sollten sie Mr. Taylor-Kinney Junior lieber einknasten!“ regte Debbie sich auf.
 

„Mama… wirklich“, sagte Michael und rollte die Augen entnervt zusammen. „Es geht hier nicht ums Prinzip. Sondern ums Überleben. Brian verliert das Sorgerecht, wenn du solche Reden schwingst, falls die dich fragen. Also um Himmels willen lass es!“
 

Debbie atmete scharf ein. Dann entgegnete sie: „Jaja, schon gut. Aber die haben wirklich keine Ahnung von Brian und Justin.“
 

„Müssen sie auch nicht – und wollen sie auch nicht. Alles, was wir tun können, ist, die Klappe zu halten und ihr Loblied zu singen.“
 

„Aber es stinkt mir dennoch gewaltig, sie als keusche Händchenhalter darzustellen. Das waren sie nicht! Das sind sie nicht!“
 

„Mama, das interessiert die nicht! Das wollen die nicht wissen! Die wollen sehen, dass Brian ein braver Familien-Papa ist und nicht, dass er was auch immer für wüsten Sex mit Justin hat oder hatte!“
 

„Das schließt sich doch nicht aus!“
 

„Nach deren Auffassung schon.“
 

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„Hi, Jenn.“
 

„Hi, Craig.“
 

Sie schwiegen beide.
 

Dann räusperte sich Craig. „Weißt du das mit Brian?“
 

„Ja“, sagte Jennifer, „was für ein Elend.“
 

„Ich habe nichts damit zu tun!“
 

„Das habe ich auch nicht unterstellt.“
 

Sie schwiegen erneut.
 

„Kannst du dir vorstellen“, flüsterte schließlich Jennifer, „was das für sie bedeutet? Und vor allem für ihr Kind?“
 

Craig schloss gequält die Augen: „Ist das der Preis…?“
 

„Nein!“ schoss es aus Jennifer. „Nein! Es gibt nichts, wofür sie bezahlen müssten! Bekomm das endlich in deinen Kopf!“
 

„Ich… ich tue mein Bestes. Aber was sollen wir…?“
 

„Was können wir denn tun?“
 

„Lügen“, sagte Craig zaghaft.
 

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Justin lag auf dem Rücken. Gus lag an ihn geschmiegt an der Stelle, wo sonst sein Vater lag.
 

Er hatte ihn im Kindergarten entschuldigt. Er war den ganzen Tag um ihn.
 

Aber es reichte nicht.
 

Er war nur die Hälfte.
 

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„Hey, Kinney, schon keinen Bock mehr aufs Eheglück?“
 

„Halt‘ die Fresse, Brandon!“ entfuhr es Brian einfach nur kalt, als er sich auf einen Sitz am Tresen des Diner fallen ließ.
 

Er fühlte die abschätzenden Blicke, die über seinen Körper glitten. Am liebsten hätte er um sich geschlagen.
 

„Brian, Schatz!“ sagte Debbie und legte die wohlmanikürte Hand gegen seine Wange. Ein Teil von ihm wollte gegen diese Bezeichnung den Aufstand proben. Ein anderer Teil war einfach nur dankbar.
 

„Hi, Debb“, murmelte er und studierte die Speisekarte.
 

Debbie schaute ihn geduldig an. Eigentlich wollte er nichts. Außer vielleicht Justins… Nein. „Ich nehme das Omelette mit Tomaten, aber bitte ohne Eigelb, als Beilage einen Salat und eine Cola light.“ Die Fresserei über Weihnachten gekoppelt mit seiner Verletzung hatte etwas zu Buche geschlagen.
 

„Pommes?“
 

Brian schaute sie strafend an.
 

„Schon klar“, seufzte Debbie und gab die Bestellung weiter. Sie sagte Kikky Bescheid, dass Sie jetzt eine Pause einzulegen gedenke und setzte sich neben Brian.
 

„Wie geht es Dir, Junge?“ sagte sie ruhig und ergriff seine Schulter.
 

Brian zog den Mund zu einer Linie und spannte die Schultern an. „Wie soll’s mir gehen?“
 

„Du weißt, dass das Scheiße ist? Das niemand, der auch nur drei Hirnzellen hat, das glauben könnte? Oder daran zweifeln, dass du Gus ein guter Vater bist?“
 

Brian neigte den Kopf und vertiefte sich in seine in den Tresen gekrallten Fingerspitzen.
 

„Nein, nein, nein, Brian. Deine eigenen Eltern mögen keine leuchtenden Vorbilder gewesen sein. Aber so etwas ist nicht erblich!“
 

Brian nickte stumm.
 

Debbie schlang ihren Arm um ihn: „Du liebst sie doch, alle beide oder?“
 

Brian schaute sie an, konnte aber nichts sagen.
 

„Sie sind deine Familie. Du bist für sie verantwortlich, da mag kommen, wer will. Und sie sind für dich verantwortlich. Und Justin weiß das doch auch. Er würde dich niemals im Stich lassen, nicht nach all dem, durch das ihr gegangen seid! Und Gus braucht dich!“
 

„Ich weiß“, würgte Brian hervor.
 

„Na, dann handele auch danach! Lass diese Arschlöcher nicht gewinnen!“ sagte Debbie bestimmt.
 

Brian schüttelte den Kopf.
 

„Na, Ehefrust?“ höhnte Brandon von hinten.
 

„Halt deine verdammte Fresse, Brandon!“ brüllten sie gleichzeitig.
 

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Justin saß zusammen gesunken auf der Couch im Wohnzimmer Novotny-Bruckner.
 

Gus war oben bei seiner Schwester und spielte, auf das kleine Mädchen einredend, neben ihrem Bettchen auf dem Boden mit Michaels Actionfiguren. Mochte er seine Sorgen ein wenig an das Ohr seiner Schwester los werden, auch wenn sie noch nicht verstand.
 

Ben schaute ihn besorgte an.
 

„Kommt ihr klar?“
 

Justin nickte mit zusammen gepressten Lippen.
 

„Du weißt, wenn ihr Hilfe…“
 

„Ja, ich weiß“, sagte er gepresst.
 

„Es ist so schlimm für Gus…“
 

„Und für Brian!“
 

„Und für dich.“
 

Justin schlug die Augen nieder. Seine Hände lagen zusammen gekrampft auf seinen Schenkeln.
 

„Es war so schwer… für Gus. Für Brian“, stieß er heiser hervor.
 

Ben nickte bedächtig.
 

„Und wenn sie jetzt… wie soll das gehen? Vielleicht übersteht es Gus irgendwie, wenn er zu den Petersons kommt, aber nicht unbeschadet. Aber Brian nicht. Das kann er nicht…“ Justin würgte.
 

Ben griff beruhigend nach seiner Schulter. Er fühlte, dass der junge Mann am ganzen Körper angespannt war. „Nein, Justin. Das wird nicht passieren. Okay? Ihr bekommt das hin!“
 

Justin schloss die Augen und ließ sich hintenüber in die Polster fallen: „Ja, oh Gott, ja. Bitte. – Bitte.“
 

Ben tätschelte ihn vorsichtig.
 

„Wir haben doch alles gemacht!“ stieß Justin hervor. „Wie kann das sein? Wer macht sowas!?“ Sein Körper wölbte sich. Ben sah, wie die zarten Züge des Jüngeren sich verzerrten.
 

„Warum?“ keuchte Justin. „Warum? Warum, warum, warum?“
 

„Justin…“, versuchte es Ben vorsichtig. Er sah, wie über Justins Gesicht Tränen wanderten, von einem gelegentlichen Seufzer angetrieben, der gegen jeglichen Willen aufstieg.
 

„Ist ja gut“, versuchte er zu trösten.
 

„Nein“, stieß Justin hervor, „gar nichts ist gut!“
 

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„Justin….?“ Sie sprach den Namen langsam und gedehnt aus. Sie hatten sich darauf geeinigt.
 

„Mrs. … - Joan?“ erwiderte der junge Mann tonlos.
 

Sie saßen im Wohnzimmer des Landhauses, das plötzlich viel zu groß erschien.
 

„Hat Brian das getan?“ fragte sie ihn.
 

Er lachte humorlos. „Nein. Er hat niemanden erpresst. Niemanden genötigt. Und niemanden verführt, der das nicht genauso wollte.“
 

Joan hielt ihre Hände miteinander verklammert. „Aber wer… wer hat das behauptet?“
 

„Ich weiß es nicht!“ flüsterte Justin. „Es könnte jeder sein.“
 

„Wie meinst… du… das?“ Justin schlug seine Augen zu ihr auf. So blau… wie Seen… dachte sie. Warum musste er nur ein Mann sein? Das hätte so ein hübsches Baby gegeben. Aber damit war wohl nichts.
 

„Ich weiß es einfach nicht! Wer macht sowas? Und warum? Aus Rache? Aber wer?“
 

„Es gibt mehr als eine Todsünde“, bemerkte Joan. „Was ist mit Eifersucht? Neid?“
 

„Wer weiß“, meinte Justin düster und zog die Knie bis ans Kinn. „Alles ist möglich.“
 

„Brauchst du Hilfe?“
 

Sie sah, wie Justin ansetzte, ablehnend den Kopf zu schütteln.“Du musst dich um alles kümmern“, versetzte sie. „Gus. Den Hausstand. Deine Arbeit. Brian.“
 

Justin sank etwas zusammen.
 

„Ich bin da. Das Haus hat so viele Räume. Gibt es ein Gästezimmer?“
 

Justin nickte, sie musternd.
 

„Gut. Richte es für mich her.“
 

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Brian saß in seinem Büro.
 

Was machte er eigentlich hier?
 

Die Frage hatte sich nie gestellt.
 

Er nahm Gus Weihnachtsgeschenk in die Hände und drehte es vorsichtig zwischen den Fingerspitzen.
 

Cynthia öffnete die Tür. „Mr. Whinefourt ist da für eure Besprechung.“
 

Brian nickte und legte die kleine Tonscheibe wieder sorgsam auf die Tischplatte.
 

Er stand auf, um den anderen Mann angemessen zu begrüßen.
 

Lance kam lächelnd hinein getreten und schüttelte ihm die Hand. Ein attraktiver Mann, aber damit war er durch. Rumficken war erledigt. Er war spitz wie Nachbars Lumpi – aber garantiert nicht auf Lance. Und Druckabbau kam nicht infrage. Nicht weil er Justins Eifersucht fürchtete. Dazu hatte er keinen Anlass, es gab nur ihn, wenn es darauf ankam, dass hatte er ihm schon vor langer Zeit klarzumachen versucht. Und das schloss damals Fremdpoppen nicht aus. Aber er konnte das nicht mehr. Er wollte das nicht mehr. Und was, wenn er krank würde, egal, wie gering er das Risiko halten würde? Es an Justin weitergeben würde? Und was würde aus Gus? Niemals. Er hatte sich entschieden, aus tiefster Seele.
 

„Lance!“ grüßte er strahlend, hielt aber beim Händeschütteln eine professionelle Distanz.
 

„Brian!“ lächelte der andere und trat einen Schritt auf ihn zu, dem er geschickt Richtung Besprechungssofa entglitt.
 

Brian setzte sich in so lockerer Haltung wie möglich in einen der Sessel, während Lance inmitten des Sofas Platz nahm.
 

Oh Gott, ich habe so viel Wichtigeres zu tun… Aber der Rubel müsste rollen. Was würde sonst aus ihnen werden, aus Ted, Cynthia und all den anderen? Und was sollte er sonst machen? Im Loft hocken und die Wand anstarren?
 

„Schön, dass Sie so kurzfristig für mich Zeit finden konnten…“ begann Lance.
 

Brian winkte ab. „Für Sie doch immer gerne!“ behauptete er.
 

„Das freut mich! Da hat doch unser gemeinsames Dinner eine erfreuliche Nähe erbracht, nicht wahr?“ lächelte Lance.
 

„Auf jeden Fall! Ein wunderbarer Abend!“ log Brian routiniert.
 

„In der Tat! Das Carpaccio war vorzüglich! Wie geht es ihrem Mann?“
 

Brians Unterlippe zuckte leicht. „Ausgezeichnet! Seine Arbeiten werden auf breiter Basis ausgesprochen positiv besprochen! Er kann sich vor Nachfragen kaum retten!“
 

„Das freut mich zu hören. Er scheint sehr begabt zu sein“, erwiderte Lance höflich.
 

„Das ist er“, bestätigte Brian, der ein leichtes zufriedenes Surren in sich spürte.
 

„Ja, diese Künstler. Ich war auch längere Zeit mit einem Zeichner liiert, Grafiker auf hohem Niveau. Faszinierend, aber man bekommt selten Einlass in ihre Welt.“
 

Brian verzog den Mund. Justins Gemälde – und neuerdings auch Plastiken – waren unglaublich. Es entzog sich ihm, woher Justin das nahm. Und er war sich auch nicht sicher, ob Justin das selber wusste. Es war, als würde etwas Fremdes, ein Tier in ihm, plötzlich an die Oberfläche drängen und die Herrschaft übernehmen. Er hatte Justin dabei beobachtet. Es war atemberaubend, und es wuchs.
 

„Wem sagen Sie das!“ seufzte Brian, sich wieder auf die Ebene seines Gesprächspartners zurück begebend.
 

Lance lachte, ein heiteres, sympathisches Lachen. „Weswegen ich eigentlich hier bin“, hakte er ein. „Ich würde Sie gerne für die Kanada-Kampagne engagieren. Und – halten Sie sich fest – damit meine ich auch Kanada. Ganz Kanada. Nicht bloß der Süden. Und danach eventuell eine Komplettkampagne für die Staaten. Was sagen Sie?“
 

„Das… das wäre großartig Lance!“ stellte Brian fest. Internationales Business. Da hatte er immer hin gewollt. Aber jetzt…?
 

„Für die Kanada-Kampagne müssten Sie wahrscheinlich eine Weile rüber. Aber das muss für Sie kein Nachteil sein. Sie könnten eine Zweigfiliale in Toronto errichten, wir würden sie unterstützen.“
 

Verdammte Scheiße. Das wäre sein Durchbruch. Davon hatte er immer geträumt. International. Filialen in Städten auch außerhalb der USA. Verdammt, warum gerade jetzt? Vor wenigen Monaten hätte er nicht eine Sekunde gezögert. Aber er konnte hier nicht weg. Wenn seine Familie ihn absicherte, ihm den Freiraum anbot – dann vielleicht, obwohl es schwer sein würde. Aber so, mitten in der Schlacht? Dagegen erschien ihm Lance Angebot wie ein feuchter Furz im Wind.
 

„Ich werde darüber nachdenken, Lance“, sagte er nonchalant.
 

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Justin ließ die schwere Rolltür ins Schloss rasten.
 

Brian saß an seinem Laptop und musterte ihn ohne zu blinzeln durch seine Lesebrille.
 

Kaum war das letzte Grollen verklungen, nestelte Justin bereits an seinem Gürtel. Sein Blick haftete regungslos an Brians, während er die Schließe öffnete.
 

Ohne einen Laut zog er sich die Hose über die Hüften und wandte sich um, Brian den Blick auf seine wohlgerundetem Hinterbacken gewährend. Mit einer Hand zog er sie verheißungsvoll auseinander, trat einen Schritt vor und beugte sich über die Küchentheke.
 

Brian war binnen eines Herzschlages bei ihm, die Brille von sich werfend und an den Knöpfen seiner Jeans reißend. Er fuhr mit den Fingern zwischen Justins Rundungen und ertastete, dass er vorbereitet war.
 

Justin wand sich tief hinab und zuckte kurz aufwärts, ihm deutlich machend, dass er willkommen sei.
 

In Brians Hirn brannte irgendetwas durch.
 

Er stürzte sich auf Justin. Keine Raffinesse. Keine Verführung. Kein Spiel. Nur hinein… hinein…
 

Justins Hände krallten sich in seine Oberarme und hinterließen blaue Flecken, als er ihn auf sich zerrte. Brians Zähne versenkten sich in seinem Nacken. Haben… haben… jetzt… alles… Keine Bremse. Es war alles egal. Keine Gedanke mehr, keine Kontrolle, gar nichts.
 

Er presst Justins Körper mit aller Gewalt hinab, zog seinen Kopf an den Haaren zurück und riss ihn sich entgegen. Justin strampelte und keuchte, schrie heiser auf und spornte ihn weiter an, bis Brian nur noch Körper war, nur noch Instinkt, kochende Lava und eine weltenvernichtende Eruption.
 

Schnaufend kam der Ältere mit dem Kopf auf Justins Schulterblatt langsam wieder zu sich. Ihm war, als sei er ohnmächtig gewesen oder an einem Ort, der eigentlich gar nicht existierte. Justins Körper unter ihm bebte noch leicht nach.
 

„Himmel, Justin“, flüsterte er. „Habe ich dir weh getan?“ Er selbst fühlte die Abdrücke von Justins Griff auf den Armen.
 

„Ein bisschen“, murmelte Justin. „Aber manchmal gehört das einfach dazu“, fuhr er fort, Brians einstige Lektion zitierend.
 

Brian blieb auf ihm liegen und schloss die Augen. Seine Hand suchte erneut Justins Haar, um es jetzt sanft zwischen den Fingern hindurch gleiten zu lassen. Was war das denn gewesen? Waren ihm jetzt sämtliche Sicherungen durchgebrannt, Justin in Grund und Boden zu rammen wie den allerletzten Trick? Aber nein, das war es nicht. Er hatte sich niemals auf diese Art und Weise über einen seiner Gelegenheitsficks hergemacht, hatte niemals die Kontrolle verloren. Und Justin war es gewesen, der hier den Startschuss gegeben hatte.
 

Justins Arm reckte sich nach hinten, seine Hand fuhr streichelnd über Brians jetzt hypersensiblen Körper, der diese Berührung aufsaugte wie ein Verdurstender Wasser aus einer frischen Quelle. Vorsichtig wand sich der Jüngere, wälzte sich herum und zog Brian erneut auf sich, der sich einfach auf ihn fallen ließ, in Justins Wärme, Justins Geruch und das Gefühl der streichelnden Hände überall.
 

Später kamen sie wieder auf die Beine. Die unbequeme Theke hatte Druckstellen hinterlassen, die sie nicht bemerkt hatten.
 

Justin hopste auf und nieder, während er seine verhedderte Hose an sich hochzuziehen versuchte. Sie traten hinüber zur Couch und setzten sich nebeneinander. Es war schwer zu sprechen, aber sie mussten.
 

„Meldest du dich bei dieser Vanessa?“ fragte Justin.
 

Brian nickte gequält und starrte auf die Visitenkarte, die Nathalie für ihn mitgegeben hatte. „Ist wohl besser so. Die Sache mit den Anzeigen macht mir nicht die größten Kopfschmerzen. Aber das andere… da werde ich lügen müssen, dass sich die Balken biegen.“
 

„Ja. Scheiße“, meinte Justin nur.
 

„Kommst du klar?“ fragte Brian.
 

„Geht schon. Deine Mutter marschiert vorübergehend ein, um uns zu helfen.“
 

„Wie bitte?“
 

„Ich kann mir auch Schöneres vorstellen. Aber es ist… vernünftig.“
 

„Ein weiteres Magengeschwür meinerseits, das sich androht“, murmelte Brian. Aber es war wahr, Justin musste jetzt vieles alleine auf die Reihe bekommen, das sie sich vorher geteilt hatten, ganz abgesehen von dem ganzen anderen Dreck. Und sie hatte ihn in Teile dieser ganzen Scheiße mit hinein geritten, da sollte sie ruhig ein wenig ranklotzen. Dennoch grollte es noch immer in ihm, wenn er an die helfende Hand seiner Mutter dachte.
 

„Ich habe ein geschäftliches Angebot“, sagte Brian schließlich.
 

„Was?“ fragte Justin und sah ihn aufmerksam an.
 

„Matratzen-Lance bietet Kinnetic zwei Riesenkampagnen für Kanada und die USA an, inklusive der Möglichkeit zu expandieren.“
 

„Das… das ist toll, Brian. Endlich mal gute Neuigkeiten!“
 

„Ja, ganz super“, sagte Brian und studierte seine Zehenspitzen. „Aber wie soll das gehen?“
 

„Wir bekommen das hin, egal was, hörst du? Wenn du es willst…?“
 

„Der ewige Optimist. Vielleicht will ich es ja gar nicht.“
 

„Das musst du wissen. Aber war es nicht immer dein Traum? Die große Bühne, raus aus dem Froschteich Pitts? Lass dir das von dieser miesen Sorgerechts-Sache um Himmels Willen nicht versauen!“
 

„Mache ich nicht. Garantiert nicht. Aber ich muss… drüber nachdenken.“
 

„Sicher. Aber keine Opfer, nicht wahr?“
 

„Nein. Bestimmt nicht.“
 

Justin rutschte wieder näher und schlang den Arm um Brians Schultern. Brian schloss erneut die Augen.
 

„Sie waren es alle nicht“, sagte Justin schließlich.
 

„Ich weiß“, meinte Brian. „Hätte mich auch gewundert. Bringt auch nichts, sich den Kopf darüber zu zermartern. Könnte sonst wer sein. An die Informationen mit den Anzeigen und so kann man, wenn man es wirklich darauf anlegt, kommen. Vielleicht finden wir raus, wer es war. Dann garantiere ich für gar nichts. Vielleicht auch nicht. Hauptsache wir bekommen das hin. Selbst wenn wir wüssten wer, würde es nichts ändern, die Sache rollt brav auf den von Vater Staat gedachten Bahnen. Diesen Wagen an zu schupsen ist nun mal kein Verbrechen.“
 

„Für mich ist es das schon. Und wer garantiert uns, dass das eine einmalige Sache war? Dass nicht ständig… wieder etwas kommen könnte von demjenigen…“
 

„Kann man nie wissen. Irre gibt es überall, und sie wachsen leider ständig nach. Ich sehe erst mal zu, dass ich diesen Psycho-Kram hinter mich bringe, und du amüsierst dich mit meiner lieben Mama und hältst den Laden am Laufen.“
 

„Ay, Sir. Ich habe noch etwas für dich. Von Gus.“
 

Brians Gesicht verzog sich.
 

Gus hatte ihm George, das Plüschmeerschweinchen, geschickt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  brandzess
2011-09-01T14:36:58+00:00 01.09.2011 16:36
Brian sollte schnell zu dieser vanessa gehen! klar verkaufen kann er sich definitiv gut aber ein paar psychotrick können nie schaden^^ und die kann er ja dann auch noch später bei den kunden anwenden xD
wie kann es Lance nur wagen nach der aktion sich auch noch in aller seelenruhe nach Justin erkunden!? wie kann man denn bitte so dreist sein!?


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