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Tales of Agony

von

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Gokudera I: Transience

Namimori, Japan

Mittwoch. 22. Oktober 2014. 14:36 Uhr
 

Der Friedhof wirkte grau.
 

Der Himmel war bewölkt. Heute Morgen hatte es geregnet. Die Feuchtigkeit lag noch schwer in der Luft.

Gokudera trug einen schwarzen Anzug. Schwarz, weil er, wie alle anderen, Trauer ausdrücken wollte. Ironischerweise war es derselbe Anzug, den er in Kämpfen um Leben und Tod im Auftrag seiner Famiglia trug. Die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens haftete an ihm wie ein beißender Geruch, der nicht verschwinden wollte, so oft er den Anzug auch wusch.

Tsuna stand neben ihm und schluchzte. Decimo war ein starker Mann, keine Frage, und es gehörte zu seinen Stärken, Gefühle wie Trauer und Angst zeigen zu können.

Zögernd legte Gokudera ihm einen Arm um die Schultern. Tsuna lehnte sich dankbar an ihn, schluchzte wieder.

Gokudera sah sich um.

Er kannte nicht einmal die Hälfte der Leute, die sich hier versammelt hatten, um Kyoko die letzte Ehre zu erweisen. Sie schien viele Freunde gehabt zu haben – kein Wunder, sie war ein guter Mensch gewesen. Ein glücklicher Mensch, hatte Gokudera gedacht.

Aber das konnte nicht stimmen.
 

Gokudera war nur wenige Meter entfernt gewesen, als Kyoko auf dem Boden aufschlug. Er war von Gebäude D hinüber gelaufen, um Decimo zu besuchen.

Er war von rechts gekommen, hatte fast vor dem Eingang gestanden, als weiter links etwas vom Himmel fiel. Ein Angriff, war Gokuderas erster Gedanke gewesen. Jemand stürzte mit beeindruckender Geschwindigkeit vom Himmel herab und wollte ihn angreifen, um sich als Nächstes Tsuna zu schnappen.

Gokudera war schon halb in Angriffsposition, als das Etwas, das vom Himmel gefallen war, mit einem Grauen erregenden Geräusch auf dem Boden aufkam. Ein wenig Blut spritzte, Leute schrien.

Es dauerte nur wenige Sekunden, da zückten sie schon ihre Smartphones, machten Fotos und Videos. Eine halbe Minute später war die weiß-rote Masse, die einmal Kyoko gewesen war, in mehrfacher Ausführung im Internet zu finden.

Zu dem Zeitpunkt hatte Gokudera sie jedoch noch nicht als Kyoko identifiziert. Sein Blick schnellte nach oben - war diese Person geschubst worden oder selbst gesprungen? - und zu seiner Überraschung meinte er, einen braunen, zerzausten Haarschopf zu erkennen, der über den Rand des Daches ragte.

Decimo. Gokudera hielt sich nicht weiter mit der blutigen Masse am Boden auf sondern nahm den schnellsten Weg auf das Dach des Gebäudes B.

Oben angekommen fand er tatsächlich Tsuna. Verstört hockte er am Rand, mit weit aufgerissenen Augen, den Blick immer noch auf den Erdboden gerichtet.

Gokudera lief zu ihm. „Decimo! Ist alles okay?“

Tsuna hob den Kopf. Drehte sich um. Seine Augen starrten ihn an, fixierten ihn aber nicht. Er stand unter Schock. „Kyoko... Ist...“ Tsuna begann zu zittern. Gokudera half ihm, sich hinzustellen und führte ihn vorsichtig vom Rand des Daches weg. „Sie ist da unten... Geht es ihr gut?“

Gokudera, der sich recht schnell wieder im Griff hatte, nachdem ihm bewusst geworden war, dass der Menschenmatsch da unten Kyoko war, geleitete Tsuna zur Tür und zurück in das Gebäude. Er antwortete nicht auf die Frage.

„Was ist passiert, Decimo? Hat euch jemand angegriffen?“

Tsuna wurde jetzt schneller und Gokudera musste laufen, um mit ihm Schritt zu halten. „Sie ist... ist gesprungen. Geht es ihr gut, Gokudera? Es geht ihr doch gut, oder?“

„Warte, Decimo...!“ Gokudera biss sich auf die Unterlippe. Gesprungen. Er konnte es seinem Boss nicht sagen. Er wollte ihn aufhalten, ihm das Grauen ersparen, aber was würde das nützen? Es machte die Frau, die Tsunayoshi Sawada geliebt hatte, auch nicht wieder lebendig.

Und so wurde Hayato Gokudera langsamer, ließ Tsuna vorlaufen und trat erst in dem Moment durch die Eingangstür, in dem ein herzzerreißender Klageschrei über das Gelände hallte.

Es war der Schrei eines Jungen – eines Mannes –, dem etwas unschätzbar Wertvolles genommen worden war.
 

An diesem Morgen war etwas in Tsuna zerbrochen, Gokudera spürte es. Nichts würde je wieder so sein wie früher.

Die schönen Zeiten sind endgültig vorbei, dachte der Sturmwächter der zehnten Generation der Vongola betrübt und strich sanft über Tsunas Haar.

Er hatte ja keine Ahnung, wie recht er hatte.
 

Auf dem Heimweg von der Beerdigung sprach niemand ein Wort.

Die Frage, warum Kyoko gesprungen war, stand immer noch im Raum, aber in der letzten Woche hatten Tsunas Freunde so oft darüber diskutiert, dass es nichts mehr gab, was zu diesem Thema nicht schon gesagt worden war.

Tsuna freilich hatte nicht an diesen Gesprächen teilgenommen. Er hatte stumm daneben gesessen. Gokudera war nicht sicher, ob er überhaupt zugehört hatte. Tsuna redete seit dem sechzehnten Oktober kaum noch ein Wort, mit keinem von ihnen.

So gingen Tsuna, Gokudera, Yamamoto und Haru, die zur Beerdigung aus Tokio gekommen war, schweigend auf das Haus der Sawadas zu, während sich die Wolken über ihnen zusammenzogen.

Ryohei hatten sie nur kurz auf der Beerdigung gesehen. Auch er schien nicht mehr derselbe zu sein. Seine Energie schien verebbt, sein Enthusiasmus verflogen. Verdammt, er hatte nicht einmal mit ihnen geredet. Er hatte ihnen nur kurz mit ernstem Gesicht zugenickt und war bei seinen Eltern geblieben.

Das fand Gokudera verständlich, es war schon irgendwie eine Familienangelegenheit, aber dieser Blick... Ryohei hatte sie gesehen, sie alle, wie sie als Gruppe – als Freunde – zusammengestanden hatten, als Kyoko beerdigt wurde. Er hatte die ganze Gruppe angesehen, aber dann war sein Blick nur an Tsuna haften geblieben. Es war Tsuna gewesen, dessen Blick er erwidert hatte. Tsuna, dem er mit diesem verdammt ernsten Gesicht zugenickt hatte. Und dieser Blick konnte alles bedeuten. Gokudera kannte diesen Blick. Es war derselbe, den er in den letzten Tagen manchmal bei Tsuna beobachtet hatte. Er sah darin Verzweiflung, Wut ohne Ziel, Verwirrung, Entsetzen und Trauer, so viel Trauer. Menschen mit diesem Blick waren unberechenbar, Gokudera wusste das. Er hatte schon Leute mit demselben Gesichtsausdruck sich und anderen das Leben nehmen sehen.

An der Haustür der Sawadas erwartete sie bereits Iemitsu. Er stand da, in den Türrahmen gelehnt, die Arme verschränkt, Reborn auf seiner Schulter. Reborn hatte nicht an der Beerdigung teilnehmen können, weil er 'Dinge klären musste', wie er gesagt hatte. Diese Dinge schienen jetzt wohl geklärt zu sein und er und Iemitsu wollten ihnen jetzt sagen, was dabei herausgekommen war.

Gokudera atmete tief durch. Jetzt würde bestimmt alles gut werden. Iemitsu würde ihnen sagen, dass der Angreifer gefasst worden war und dass es Timoteo schon wesentlich besser ginge, dass Mukuro und Chrome in einem weit entfernten Urlaubsort gesehen worden seien und dass die Kyoko, die sich vom Dach gestürzt hatte, eine perfekte Illusion gewesen war und die echte gerade bei sich zu Hause aufgetaucht war.

Wann war er nur so optimistisch geworden? Gokudera zog die Augenbrauen zusammen. Vergiss es, die Welt ist nicht rosa, Hayato. Wahrscheinlich werden die beiden uns gleich sagen, dass wir nach Italien müssen – als ob Decimo noch nicht genug Probleme am Hals hätte, mit denen er klarkommen muss.

Das kleine Grüppchen blieb vor Tsunas Vater und Reborn stehen. Haru war die Einzige, die zur Begrüßung ein halbwegs freundliches Lächeln hervorbrachte, obwohl ihr Gesicht vom Weinen noch ganz rot und aufgequollen war.

„Es ist entschieden“, sagte Iemtitsu, ohne Zeit für eine anständige Begrüßung zu verschwenden. „Ihr müsst nach Italien und dort die Stellung halten.“

Gokudera klappte der Mund auf. Das kann doch nicht wahr sein. So sehr er den Mann, der immerhin der Vater von Decimo war, auch respektierte, das hier konnte er nicht einfach so hinnehmen.

Er öffnete gerade den Mund, als schon Yamamoto das Wort ergriff. „Ist das nicht ein wenig hart?“ Seine Stimme war ruhig. „Tsuna muss sich im Moment mit genug Sachen rumschlagen-“

„Das liegt nicht in deiner Entscheidungsgewalt“, unterbrach ihn Reborn. Er und Yamamoto sahen sich einen Moment in die Augen. Reborns Blick blieb hart. Gokudera sah aus dem Augenwinkel, wie sich Takeshis Hand zu einer Faust ballte, doch er sagte nichts mehr.

Stattdessen ergriff Gokudera das Wort. „Aber er hat recht“, fuhr er Reborn an. „Gebt Decimo doch zumindest die Gelegenheit, sich ein wenig zu erholen.“

„Wir haben keine Zeit für so etwas, Gokudera“, erwiderte Reborn scharf. „Timoteo ist außer Gefecht gesetzt und jemand muss die Führung in der Vongola übernehmen.“

„Aber doch nicht jetzt-“

„Die Vongola braucht ihn aber gerade jetzt“, erklärte Iemitsu in dem Versuch, ihn zu beschwichtigen. Er warf seinem Sohn einen kurzen Blick zu, doch Tsuna sah nur milde interessiert zwischen ihnen hin und her, als ginge ihn das Ganze gar nichts an. „Auch wenn es ihm gerade nicht gut geht, ändert das nichts daran, dass er eine Pflicht zu erfüllen hat-“

„Eine Pflicht, die er niemals auferlegt bekommen wollte“, mischte sich jetzt Haru ein. „Es ist nicht fair-“

„Schluss jetzt.“ Tsuna streckte seinen rechten Arm aus, um Haru aufzuhalten, die einen Schritt vorgetreten war und gerade dabei gewesen zu sein schien, sich in einen eifrigen Monolog über Ungerechtigkeit hineinzusteigern. „Ich gehe.“ Er drehte sich zu seinen Freunden um und wieder hatte er diesen Blick, der Gokudera solche Sorgen bereitete. „Ihr müsst nicht mitkommen, aber ich werde gehen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Done
2011-08-17T21:21:41+00:00 17.08.2011 23:21
Decimo? XD
Ich muss zugeben, dass ich erst etwas verwirrt war, da ich nur das Juudaime gewohnt bin /D
Aber ist doch mal eine nette Abwechslung. Ich finde "Decimo" auch irgendwie...ja...'respektabler' als Juudaime.

Okay, was ich etwas 'schockierend' fand, waren die Foto, Videos, etc. von Kyoko. Ganz einfach, weil es eben _wirklich_ Leute gibt, die das machen .__.
Insofern finde ich das nicht "unwirklich" sonder schon realitätsbezogen. Auch wenn ich persönlich das nicht nachvollziehen kann.

Anyway, wieder ein tolles Kapitel :)

LG~


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