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Herz aus Stein

von

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Zwei Verrückte

II. Zwei Verrückte
 

Leise sirrte es in der Luft… es war dunkel, keine Bienen… dann setzte er ein, ein hämmernder Beat, der einem sofort ins Blut ging, mitriss, alles andere erlöschen ließ, bis es nur noch diesen Ort gab. Lichter rasten durch die Finsternis wie irre gewordene Glühwürmchen: Rot, Gelb, Grün, Violett… von unten stieg Nebel auf… und überall blitze kaum bedecktes Fleisch im Schein auf.
 

Die Meute johlte, das Toben begann wie jeden Samstag im „Hannibal“. Er stand auf der Empore, spürte die Blicke. Er war nicht der König, er war der Prinz – wer wollte denn schon einen König, wenn es auch den jungen Prinzen zu haben gab?
 

Etienne stand hinter ihm, flüsterte in sein Ohr, deutete und lachte… sein Paladin, seine Leibgarde, sein unkeuscher Berater. Den, den er herrschen ließ von seinen Gnaden, bevor er ihn wieder auf seinen Platz verwies. Dies hier war ihr Schlachtfeld und die Beute pries sich voller Sehnsucht selber an. Fleisch… er war der Herrscher dieses Dschungels. Er wählte aus, er verstieß, er entschied, wer ihn genießen durfte – und er sprach das Urteil, das in den Himmel hob oder zerstörte.
 

Nur Etienne hatte ihn mehr als ein Mal berührt, doch Etienne existierte auch außerhalb dieses Molochs. Etienne war sein Freund, mit ihm sprach und lebte und studierte er – und Etienne liebte ihr Spiel so sehr wie er.
 

Er wusste, wie er aussah, zart auf den ersten Blick, doch sein Ruf sagte da ganz andere Dinge. Das zog sie an wie die Fliegen – und je größer, je muskulöser und wilder sie waren, desto größer waren ihre Chancen, erhört zu werden. Sie konnten ihm gar nichts, außer ihm zu Willen sein. Er stand oben, auch wenn er unten lag. Und Etienne war stets dabei, heizte an, hatte ein waches Auge auf sie – und beriet ihn in seiner Kritik.
 

Er sah die Straße vor sich, er hatte nur kurz den Müll herunter gebracht, Etienne schlief schon, es war spät, aber er war noch zu aufgeputscht, konnte nicht schlafen. Morgen hatte ein Besuch bei den Eltern angestanden, Etienne und er in braven Sakkos, eifrige Stundenten, die Boheme, ein Herz und eine Seele. Eltern mussten nicht alles wissen.
 

Doch sie erfuhren es, noch bevor er es ihnen hätte selber sagen könnten. Die Polizei hatte längst herausgefunden, wie er seine Nächte füllte, bevor er aus dem Koma erwacht war. Da war er bereits tot gewesen, die Person, die er bis dahin gewesen war.
 

Sie hatten es trotz allem versucht, ihm nicht einmal Vorwürfe gemacht, um seine Gesundung nicht zu gefährden, aber er wusste, was sie dachten. Ihr Sohn war ein perverses Flittchen, das dieses Unheil selbst auf sein Haupt beschworen hatte. Sie wollten es nicht denken, sagten sie, sie wollten bloß verstehen – aber sie verstanden nicht und dachten es doch, es stand in ihren Gesichtern.
 

Sie waren nicht entkommen, die ihm das angetan hatten, die Beweise waren drückend gewesen. Er hatte nicht einmal aussagen müssen, das hätte er auch nicht gekonnt. Man hatte sie verurteilt. Vorsatz. Schwere Körperverletzung. Und andere Dinge… Es hatte mehr als gereicht, und die Strafe war nicht milde gewesen. Doch das half gar nichts, es war längst getan. Sie waren ihm gleichgültig.
 

Hochmut kommt vor dem Fall… Wie häufig war ihm dieses elende Sprichwort schon durch den Kopf gegangen? Aber so war es doch…
 

Jetzt herrschte er über die Steine und die Bienen, und das war gut so.
 

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Kunibert saß mit überkreuzten Beinen auf dem wackeligen Holzhocker an dem noch wackeligeren Holztisch des Pensionsbalkons und versuchte im duffen Licht der Außenbeleuchtung die Pläne zu studieren. Eigentlich kannte er sie in und auswendig, aber jetzt konnte er sie mit etwas in Einklang bringen, das er bereits vor Augen gehabt hatte. Sie waren rissig und wiesen Schimmelflecken auf, während des Zweiten Weltkrieges hatte es einen Wasserschaden gegeben, der viele Jahre später noch seine Folgen zeigte. Er hatte die Bibliothekarin ziemlich beknien müssen, um sie mitnehmen zu dürfen. Auf das Ansinnen nach einer Fotokopie oder einer Blitzlichtaufnahme hatte sie noch allergischer reagiert – Todfeinde der Bücher. Da lieber normales Licht und seine sorgfältig faltenden Finger.
 

Hier hatte er gestanden im östlichen Drittel. Und hinter diesem Stein hatte Cedric Kalteis gelauert. Er hatte sich umgehört, aber besonderes Geschick war dazu nicht mal vonnöten gewesen. Man erzählte ihm gern und voller Inbrunst von dieser lokalen Absonderlichkeit. Cedric Kalteis war der jüngste Spross der alten Familie, denen dieses Stück Land gehörte. Vieles war von vorherigen Generationen verkauft worden, einst waren sie die Herren über die ganze Gegend hier gewesen. Man erinnerte sich an ihn als an ein lachendes, sommersprossiges Kind, das von allen gelobt und bewundert wurde ob seiner Niedlichkeit. Dann war er plötzlich, viele Jahre später, wieder da gewesen nach dem Tod seines Großvaters, den man hier sehr gemocht hatte, obwohl auch er seine Spleenigkeiten aufgewiesen hatte. Er war erwachsen gewesen und hatte sofort nach seiner Ankunft über seinen Anwalt die Verfügung verlautbaren lassen, dass das Betreten des Privatgrundstückes von nun an nur noch mit seiner Erlaubnis gestattet sei – und diese gedenke er nicht zu geben. Dann hatten die Bauarbeiten begonnen, während derer Kalteis verschwunden blieb. Das Haus war zu einer Festung hinter hohen Mauern ausgebaut worden, überall waren Verbotsschilder erschienen. Dann war ein Möbelwagen aufgetaucht. Erst nachdem dieser am Horizont verschwunden war, hatte man Cedric Kalteis wieder gesehen. Das Dorf lag etwas erhöht, so dass man von hier ab und an einen Blick auf das Gelände erhaschen konnte, wenn man sich in einem der oberen Stockwerke aufhielt. Kalteis hatte die Bienenstöcke seines Großvaters wieder in Schuss gebracht, tagsüber wanderte er scheinbar ziellos über das Gelände, wenn er sich nicht gerade um die Insekten kümmerte. Auch der Winter hielt ihn nicht auf. Cedric Kalteis lief und lief, ganz langsam, mal ruhte er, doch bei Einbruch der Dämmerung verschwand er in seiner Festung. Die wenigen, die es je direkt mit ihm zutun bekommen hatten, beschrieben ihn als unwirsch bis an die Grenze der Angriffslustigkeit, zugleich aber stets panisch auf einen möglichen Fluchtweg bedacht.
 

Mit anderen Worten: Sie hielten Cedric Kalteis für verrückt.
 

Der Eindruck hatte sich ihm ja auch irgendwie aufgedrängt. Aber warum hatte ihm Kalteis nachgegeben?
 

Hatte er… Angst gehabt? Ja, ganz offensichtlich. Vor ihm? Anscheinend schon. Aber noch mehr Angst hatte er vor der Aussicht gehabt, dass er mit einem Team einfallen könne.
 

Kunibert schluckte. Er wollte niemandem Angst einjagen. Er wusste, dass das zuweilen der Fall war, zu sehr sah er aus wie Adolf Hitlers persönliche Kampfmaschine, da weckte er leider ziemlich ungute Assoziationen. Es lag ihm leider in den Genen – sein Aussehen, nicht das Nazi-Monster – da ließ sich wenig machen. Seine Mutter sah genauso aus, die konnte seinem eher zierlichen Vater locker über den Kopf spucken oder ihn niederringen, was sie allerdings seines Wissens nie tat. Sein Vater hatte sich an ihm bereits einen Bruch gehoben, als er noch im Kindergarten gewesen war – seine Mutter allerdings nicht. Man hatte ihn Zeit seines Lebens schon genug verarscht mit seinem Aussehen und seinem Namen, das war er schon gewöhnt. Seine Sportlehrer waren da allerdings leuchtende Ausnahmen gewesen, hatten ihn immer bekniet, doch eine Athletenkarriere ins Auge zufassen, aber das war nie so ganz sein Ding gewesen, obwohl er gerne Sport trieb. Aber professionell? Nein danke, da interessierten ihn andere Dinge dann doch zu sehr, als dass das ihn auf Dauer glücklich gemacht hätte.
 

Die Steine… die machten in glücklich. Nicht bloß das Wissen und Grübeln um sie, sondern ihre schiere Gegenwart im Licht dieses Landes.
 

Und deswegen nahm er in Kauf, diesen komischen Kauz zu verstören? Schlechtes Gewissen regte sich in ihm. Cedric Kalteis war anscheinend irgendwie psychisch krank. Er hatte ein Recht darauf, nicht unnütz gequält zu werden. Aber was er vorhatte, war nicht unnütz. Sicher, es gab Sinnvolleres auf Erden, zumindest Dinge, die mehr Menschen für sinnvoller hielten – aber das war nicht unbedingt das Kriterium. Viel mehr Menschen als er fanden auch Diether Bohlen klasse.
 

Aber gab ihm das das Recht Kalteis zu schikanieren, auch wenn es mit den besten Absichten geschah? Ihm ein Opfer abverlangen, das er nicht zu bringen bereit war? Oder gar in der Lage? Misshandelte er diesen Menschen in seinem Forscherdrang, in seiner Sehnsucht nach den Steinen?
 

Was hatte es auf sich mit Cedric Kalteis? War er von Natur aus daneben? So etwas gab es. Oder war im irgendetwas zugestoßen, das ihn aus der Bahn geworfen und zu seinem ewigen Marsch durch die Steine getrieben hatte? War er hoffnungslos verloren? Oder tat es ihm vielleicht sogar gut, wenn jemand seine Routine durchbrach? Das wäre eine billige Entschuldigung…
 

Kunibert starrte gen Osten. Durch die mageren Kiefern schien von fern her Licht. Kalteis’ Haus musste hellauf erleuchtet sein. Ertrug er keine Dunkelheit? Hatte er Angst vor dem Monster unterm Bett? Kunibert schämte sich des Gedankens.
 

Er blickte hinunter auf die Karte.
 

Versuchen… Er konnte, musste es versuchen. Vielleicht ging es ja. Aber er konnte keinen Verrückten quälen, weil er selber verrückt nach den Steinen war.
 

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Cedric drehte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Sie war blau, das beruhigte. Sie könnte auch grün sein oder rosa – Hauptsache nicht weiß mit bröckelndem Putz. Oder dunkel.
 

Es mochte gegen zwei Uhr nachts sein. Wie immer war er mitten aus dem Tiefschlaf hinauf geschossen und lag da mit klopfendem Herzen. Er lauschte. Es war ruhig. Er war allein. Alles war in Ordnung.
 

Das Steinfeld würde morgen da sein wie immer seit so vielen Jahrtausenden. Aber darin würde Kunibert Lerchenfels herumlatschen und seinen Frieden stören. Er hatte eingewilligt, ihm bei seiner Vermessungs-Scheiße zu helfen! Aber die Alternativen waren noch schlimmer gewesen. Was für ein beknackter Name. Warum nicht gleich Siegfried? Das hätte gepasst wie Arsch auf Eimer. Der Typ war garantiert zwei Meter groß! Der könnte mit ihm Bowling spielen, wenn er wollte! So etwas sollte sich nach Amiland verpissen und Football-Idiot werden! Der wäre steinreich und alle Weiber würden ihm ans Eingemachte wollen! Stattdessen hing der hier rum! Verfluchter Mist.
 

Aber er würde verschwinden, sobald er hatte, was er wollte. Wie jeder, klar. Der eine geilte sich intellektuell an Menhiren auf, der andere weniger intellektuell an…
 

Die Menschheit war bodenlos. Er war bodenlos. Die Typen… waren bodenlos. Und Kunibert Lerchenfels war das auch.
 

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Tau lag noch auf den Gräsern, als Kunibert zur festgelegten Zeit das Steinfeld betrat. Von Cedric Kalteis keine Spur. Gut, heute wollte er auch in aller Ruhe die Lage sondieren, erste Fotos machen, Pläne schmieden, sein weiteres Vorgehen austüfteln.
 

Die Sonne stand noch tief, die Steine warfen lange Schatten, überall schwirrten bereits die Bienen. Er würde garantiert gestochen werden, wie er sich kannte. Hoffentlich hatte Kalteis in seinem Irrsinn keine Pitbull-Bienen gezüchtet.
 

Er lud seinen Rucksack auf einem der umgekippten Steine ab, wo er halbwegs trocken lag, dann machte er sich an die Arbeit.
 

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Das blonde Monster wütete bereits durch seinen Vorgarten, das konnte Cedric vom Fenster des Dachgeschosses aus erspähen. Aus die diffuse Hoffnung, dass der doch einfach auf Nimmerwiedersehen verschwinden würde.
 

Er latschte auf seinen langen Muskelbeinen kreuz und quer durch die Reihen, kritzelte wie ein Irrer in sein Notizbuch, schoss Fotos und schien wild vor sich hin zu grübeln.
 

Der war doch verrückt. Und der hatte nicht einmal eine anständige Entschuldigung dafür.
 

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Kunibert hätte fast vor Schreck aufgeschrieen, als ein… Etwas sich vom Haus aus näherte. Kurz schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass irgendein Star Wars-Monster ihm an den Kragen wolle, dann kam ihm der Gedanke, dass Kalteis noch ausgeflippter war, als er gedacht hatte, und ihn in einer Ninja-Kampfmontur erledigen wollte. Schließlich sickerte die Realität wieder ein. Das war eine Imkerbekleidung. Klar, die Bienen… die Stöcke an der Südseite des Feldes… ganz schön viele…
 

Vorsichtig zog er sich zurück und ließ Kalteis passieren, der ihn keines Blickes würdigte.
 

Dann war ja alles gut.



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