Chatratgeber und eine hysterische Mutter
Sams Augen wanderten von links nach rechts. Abschätzend musterte er die
Gefahrenzone und versuchte sich möglichst aus dem Schussfeld zu halten. Er
Wusste, jede falsche Bewegung würde unweigerlich die Aufmerksamkeit der Anderen
auf sich ziehen und er könnte gezwungen sein an den lockeren Gesprächen zum
Abendessen teilzunehmen.
Deprimiert wanderte sein Blick nach unten, zu seinem überlaufenden Teller. Seine
Mutter hatte es offensichtlich wieder zu gut mit ihm gemeint. Sam nahm die Gabel
in die Hand und versuchte einen Plan auszuarbeiten wie er am besten gegen diese
Lebensmittelheere vorgehen sollte.
Als er endlich den ersten Bissen nahm, spürte er die Blicke aller Anwesenden
auf sich ruhen. Sah er wirklich so schlimm aus?
Ihm war oftmals gar nicht aufgefallen dass er tagelang nichts gegessen
hatte, seine Gedanken waren ja stets woanders gewesen.
Nachdem er sein Essen endlich angerührt hatte, brach das Eis und alle machten
sich über ihre eigenen Portionen her.
Langsam stocherte Sam auf seinem Teller herum und ließ seinen Blick erneut
über die Runde schweifen. Die Atmosphäre war entspannt – schon beinahe zu
entspannt. Fast rechnete er damit dass das Fenster in tausend Splitter zerbarst
und ein Decepticon im Kartoffelbrei landete.
Als seine Augen gleich darauf an einem ganz bestimmten Mann hängen blieben, musste
Sam innerlich fluchen. Warum tauchte eigentlich nie ein Feind auf wenn man
gerade eine Ablenkung brauchte?
Immer wieder blitzte sein Blick zu Optimus und jedes Mal fand er ein neues
attraktives Merkmal an dem Autobot. Und warum sah der Mann in dem roten Hemd mit
dem blauen Flammenmuster bloß so verdammt sexy aus? Ganz zu schweigen von dem
schwindelerregenden Anblick den er schon dadurch bot, dass die obersten zwei
Knöpfe geöffnet waren und ein hautenges, schwarzes T-Shirt offenbarten, welches
die Konturen von Optimus trainierter Brust geradezu verboten betonte.
Verzweifelt versuchte Sam an etwas anderes zu denken, aber als er es endlich
schaffte sich seine alten Tennissocken vorzustellen, wurde er plötzlich aus den
Gedanken gerissen. Überrascht wandte er sich seinem Vater zu, der ihn sanft am
Arm geschüttelt hatte.
„W-was?“, fragte Sam und sah seinen Vater völlig überrumpelt an. Besorgt
musterte Ron seinen Sohn. „Sam, ich denke du solltest dich nach dem Essen
etwas hinlegen, dein Gesicht wird von Minute zu Minute immer roter.“
Kaum dass Mr. Witwicky ausgesprochen hatte, war Judy aufgesprungen und zu ihrem
Sohn gerannt. Sofort legte sie ihm ihre Hand auf die Stirn. „Du wirst doch
wohl kein Fieber haben?“
Verlegen senkte Sam seinen Kopf und spürte wieder die durchdringenden Blicke
der Anderen auf sich ruhen.
Sanft schob er die Hand seiner Mutter beiseite. „Mir fehlt nichts.“ Rasch
widmete er sich wieder seiner Mahlzeit und bemühte sich seinen Teller so
schnell wie möglich zu leeren. Zufrieden über den anscheinend gesunden Appetit
des jungen Mannes, wandten sich auch die Anderen wieder ihren eigenen Mahlzeiten
zu.
Erleichtert schluckte Sam den letzten Bissen hinunter und er bedankte sich leise
bei seiner Mutter für das Essen. Dann stand er auf und ging direkt in sein altes Zimmer. Zurück blieben nur sechs Personen die ihm fragend hinterher sahen.
Sam drehte den Schlüssel herum und Erleichterung durchströmte ihn,
als er sich an die Tür lehnte und an ihr herabrutschte.
Langsam begann Sam sich zu Fragen ob der Splitter vom Allspark ihn allmählich
verrückt machte, aber wenn er es recht bedachte, war das Symbolchaos in seinem
Kopf nicht einmal ansatzweise so schlimm gewesen, wie das Gefühlschaos das
Optimus in ihm auslöste.
Mit einem müden Seufzen schloss Sam die Augen und zog die Beine näher an den
Körper. Frustriert versuchte er einen Weg zu finden mit seiner Unruhe
fertig zu werden. Doch wie sollte ihm dies gelingen? Er wusste das Optimus seine
Gefühle wohl kaum verstehen und noch viel weniger erwidern konnte, aber
andererseits konnte er sein Herz auch nicht einfach zwingen für jemand anderen
zu schlagen.
Gott, was würden die anderen sagen, wenn sie wüssten dass er sich in einen
viele Millionen Jahre älteren, männlichen, haushohen Alien-Roboter verliebt
hatte?
Seine Situation war einfach nur noch lächerlich.
Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Früher hatte er bei Problemen anonym
gechattet. Das hatte ihm zwar nur selten eine Lösung eingebracht, aber
zumindest hatte er sich aussprechen können. Also genau das was er im Moment gerade
brauchte.
Rasch sprang Sam auf und startete seinen alten Rechner. Es kam ihm wie eine
Ewigkeit vor bis das System gebootet und die Internetverbindung hergestellt war.
Als er endlich auf einer Chatseite eingewählt war, stach ihm der >Kummer-Raum<
ins Auge und mit einem leisen Seufzen wählte er sich ein.
Sofort erschienen die Textzeilen der anderen User auf seinem Bildschirm.
Silberfisch: Mein Freund hat ich wieder betrogen. So'n Arsch :-(
Wildkatze: Verlass ihn endlich ò_ó
Silberfisch: Ich kann nicht. Ich liebe ihn noch!!!! QQ
Sam's Finger kribbelten, sollte er wirklich...?
Langsam tippte er seinen Text und drückte dann mit zitternden Händen Enter.
Metallfan betritt den Raum
Metallfan: Hi!
Silberfisch: Hi ^____^
Wildkatze: Na, was bedrückt dich?
Silberfisch: Genau, sprich dich aus!!!!
Zögernd überdachte Sam seinen nächsten Eintrag.
Metallfan: Ich fürchte ich habe mich verliebt. In jemanden den ich nicht lieben
darf!!! ><
Silberfisch: Wieso darfst du nicht?
Wildkatze: Gleiches Geschlecht? Ist doch heute nicht mehr so schlimm!
Wenn es doch nur so einfach wäre, dachte Sam und tippte weiter.
Metallfan: Er ist sehr viel älter und zudem ganz anders als ich!
Silberfisch: *Kreisch* Wie romantisch!!! Wie eine verbotene liebe zwischen
Lehrer und Schüler!
Wildkatze: Fischi! Du rauchst echt zu viel, ich denke Metall meint was anderes!
Sam sah deprimiert zum Bildschirm, er hatte sich mehr erhofft. Als er den
Chatroom schon verlassen wollte tauchte jedoch eine weitere Zeile auf.
Wildkatze: Versuch dich abzulenken und wenn du überzeugt bist dass du keine
Chance hast, versuch ihn zu vergessen!!!
Frustriert starrte Sam auf die Zeile. Insgeheim hatte er wohl gehofft dass jemand
die perfekte Lösung seines Problems parat hatte.
Er bedankte sich kurz und fuhr den Rechner wieder runter.
Nachdenklich stützte er sein Kinn in die Hand.
Auf andere Gedanken kommen? Wie sollte er das anstellen? Sich etwa
anderweitig... austoben?
Resignierend seufzte er. Die Semesterferien hatte gerade begonnen, überall
wurden wilde Partys gefeiert. Vielleicht sollte er sein Glück dort versuchen?
Wenig überzeugt von seinem eigenen Plan, legte er sich mit verschränkten Armen
auf sein Bett. Etwas Besseres fiel ihm momentan sowieso nicht ein.
Als Sam in seinem Zimmer verschwand wurde es still im Wohnzimmer. Dann
plötzlich richteten sich alle Blicke auf Bumblebee und dieser ahnte schon was
gleich kommen würde.
Lennox ergriff als Erster das Wort. „Weißt du was mit Sam los ist?“
Der Autobot konnte nur traurig mit dem Kopf schütteln. Was sollte er schon
sagen? Dass sein bester Freund sich nicht einmal ihm anvertraut hatte?
Ironhide verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lehnte sich auf dem Stuhl
zurück. „Der Junge benimmt sich wie eine verliebte Femme.“
Skeptisch zog Judy die Augenbrauen hoch. „Er benimmt sie wie?“
Optimus räusperte sich kurz. „Ironhide meint eine Frau, bei uns heißen sie
Femme!“
Das gefährliche Zucken von Judys Augen gab dem Prime deutlich zu verstehen
dass sie jetzt besser aufbrechen sollten.
Hastig bedeutete er Lennox und Ironhide sich zu verabschieden.
Als Ron die Haustür hinter den Dreien schloss, blieb nur Bumblebee zurück und
der Autobot musste über Judys Verhalten schmunzeln. Je älter Sam wurde, desto
stärker versuchte sie ihn zu bemuttern.
Nachdenklich blickte Optimus Prime zum Fenster über ihm. Schemenhaft konnte er
die Umrisse von Sam ausmachen und der Autobot schwor sich insgeheim zukünftig
immer ein Auge auf den jungen Mann zu haben.