Zum Inhalt der Seite

Die Kinder des Pfeifers

Die Schlüssel zum Königreich
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die Kinder des Pfeifers

Yesin blickte sich unbehaglich um, während er mit schleppenden Schritten die staubige Straße durch das ausgedörrte Buschland entlangschlurfte. Der leere Wasserkanister schlug bei jedem Schritt an sein gesundes Bein und ließ ein dumpfes Klopfen erklingen. Das Geräusch sorgte nicht gerade dafür, dass er sich besser fühlte. Es begann bald zu dämmern und immer, wenn es dämmerte, kamen die Hyänen und die Löwen in die Nähe der Siedlungen. Seine Mutter wusste das doch. Und sie wusste auch, dass er mit seinem schlechten Bein nicht schnell genug laufen konnte, wenn es notwendig sein sollte. Aber dennoch hatte sie ihn losgeschickt, um Wasser zu holen.

Yesin versuchte schneller zu gehen, aber mit seinem Bein gelang das einfach nicht. Er konnte sich nur mühsam voran schleppen und musste dabei die Zähne fest zusammenbeißen. Seine Großmutter hatte gesagt, dass es böse Geister waren, die ihn mit diesem verkrüppelten Bein gestraft hatten. Wofür, das wusste er allerdings nicht, denn schließlich hatte er dieses Bein schon seit seiner Geburt. Und was konnte er denn schon vor seiner Geburt Schlimmes getan haben?

Er schleppte sich mühsam weiter und keuchte bei jedem Schritt. Kalter Schweiß machte sein abgetragenes T-Shirt klamm. Er hatte das Gefühl, dass die Löwen ihn bereits jagten. Dass sie irgendwo dort draußen schon lauerten und sich an ihn anpirschten. Dass sie schon längst da waren und jegliche Versuche wegzulaufen absolut lächerlich waren.

Und dann hörte er die Musik. Der Klang einer Flöte, die weit über das Buschland klang. Die Musik rief nach ihm.

Der leere Kanister fiel ihm aus der Hand und landete im Staub. Er verließ die Straße und folgte der Musik.
 

Eingeschüchtert saßen die zwanzig Kinder auf den Holzbänken und warteten. Es waren Leute da gewesen, erschreckend groß gewachsene Männer und Frauen, die ihnen einen Namen gegeben hatten und dann wieder gegangen waren. Sie etwas davon gesagt, dass sie zwischen den Ohren gewaschen worden seien und dass sie alles, inklusive ihrer Namen vergessen hätten. Dann hatte man sie wieder allein gelassen.

Der dreizehnjährige Junge, der den Namen Yesin bekommen hatte, schaute zu Marisol hinüber, einem elfjährigen Mädchen mit ebenholzschwarzem Haar und aufgerissenen Augen. Er wollte etwas sagen, um ihr die Angst zu nehmen, aber er schlotterte innerlich selbst. Er wusste nicht mehr, wer er war oder wo. Er wusste nur, dass dieser General, von dem die Männer und Frauen gesprochen hatten, über sie entscheiden würde. Und das sorgte dafür, dass er Panik bekam. Er wusste, dass er etwas Wichtiges verloren hatte und dass er es einfach nicht wiederfinden konnte. Niemand von ihnen wusste, wo sie hergekommen waren und wer ihre Familien waren. Sie wussten gar nichts. Sie sollten nur hier warten. Sie hatten Tee bekommen und Kekse und warteten nun auf diesen General, der ihnen allen langsam eine unglaubliche Angst einjagte.

Erst allmählich entlud sich die Spannung in wildem Durcheinandergerede und Yesin schob sich zu Marisol hinüber und berührte kurz ihren Arm. Sie lächelte ihn an und er konnte die Sorge in ihren Augen deutlich sehen.

„Was ist mit deinem Bein?“, fragte sie leise.

Yesin hob die Schultern. „Das ist einfach so. Ich glaube, das war es schon immer. Es fühlt sich jedenfalls so an.“

Verlegen lächelte sie. „Eine dumme Frage. Entschuldige.“

„Schon gut. Es ist schwer, über etwas zu reden, wenn man nichts mehr weiß.“

„Ja.“ Sie starrte auf den Boden und tastete nach seiner Hand. „Ich habe Angst…“, flüsterte sie leise. Yesin nickte. Er hatte auch Angst. Und irgendwie wusste er, dass er früher schon häufig Angst gehabt hatte. Sehr existenzielle Angst.

Und genau in diesem Augenblick ging die Tür auf und der General trat ein.
 

***
 

Susi Türkisblau hatte einige Zeit mit dem Neuen Architekten in den Unvergleichlichen Gärten verbracht. Sie fand es immer noch befremdlich, ihren Freund in dieser großen und atemberaubend schönen Gestalt zu sehen. Von dem Jungen, der er einmal gewesen war, waren nur noch wenige Gesichtszüge vorhanden. Dennoch: Sein Wesen war noch immer gleich geblieben. Der einzige Unterschied war, dass er eben kein sterblicher Junge mehr war, sondern nun der Neue Architekt. Als solcher hatte er viel mit der Wiedererschaffung des Universums zu tun, aber irgendwie fand er immer Zeit für sie. Das fand Susi auch gut so. Denn sie hatte keine Lust, sämtliche Sekundären Reiche nach ihm durchsuchen zu müssen, nur weil sie ihm sagen wollte, dass gerade irgendetwas im Haus nicht gut lief.

Nicht, dass Susi als Lady Sonntag nicht in der Lage gewesen wäre, so einiges in den Griff zu bekommen. Sie und die anderen Wochentage arbeiteten gut zusammen und schafften es, das Haus wieder in einen vernünftigen Zustand zu versetzen, der dem Erbe der Architektin gerecht wurde: Sie konnten die Sekundären Reiche in angemessener Weise beobachten und dokumentieren. Und hin und wieder, da fand etwas von dort seinen Weg in das allgegenwärtige und doch unsichtbare Haus. Jemand, wie ein kleiner sterblicher Junge von der Erde, der nicht nur seine Welt, sondern das Haus und das gesamte Universum rettete.

„Ist es wirklich notwendig?“, fragte der Neue Architekt gerade.

Susi stemmte die Hände in die Hüften, die unter ihrer dicken Kleidungsschicht – zwei Hemden, drei Westen und zwei Jacken – kaum zu erkennen waren. „Ja, absolut notwendig. Auch wenn du die Bürger alle neu geschaffen hast, sind es immer noch Bürger. Und du weißt, wie sie sind! Wir brauchen die Pfeiferkinder. Sie sind diejenigen, die den meisten Verstand haben. Schau mich an!“ Susi zeigte demonstrativ auf sich und entlockte dem Neuen Architekten damit ein Lachen, das so schön war, dass sie sich die Ohren zuhalten musste.

„Ja, aber mit welchem Recht entführen wir sie aus ihrer Welt?“ Er runzelte die Stirn und das Licht schien gleichzeitig finsterer zu werden.

„Lass diese Effekte“, grunzte Susi ungehalten.

„Entschuldige.“ Es war ihm sichtlich unangenehm, dass sich das Haus immer auf ihn einstellte und an seine Stimmungen anpasste.

„Schon gut.“ Susi winkte nachsichtig ab. „Immerhin bist du der Boss von dem allen. Aaaaaber, was ich noch sagen will: Wir bieten diesen Kindern eine Perspektive. Hoffnung. Das haben sie dort, wo sie herkommen, nicht. Denk an mich. Ich wäre an der Pest gestorben, wie alle anderen meiner Familie, wenn mich der Pfeifer nicht geholt hätte.“

Der Neue Architekt seufzte leise und zupfte einen Grashalm ab. In seiner Hand verwandelte sich der grüne Halm zu einer kleinen Raupe, die sich binnen Sekunden verpuppte und in einen Schmetterling mit türkisfarbenen Flügeln entwickelte, der von seiner Hand davonflog.

„Wenn du das zur Grundlage nimmst, dann müssten wir alle Kinder retten, denen Leid droht. Von vielen Tausenden, von vielen Millionen Welten. Ich müsste bessere Welten schaffen – und diese wären nicht die Welten, wie sie zuvor waren.“ Der Neue Architekt presste die Hände an seine Schläfen. „Was ist das Richtige, Susi?“

„Das, was du tust.“ Sie lächelte und klopfte ihm auf den unteren Rücken. Weiter kam sie nicht, da er immerhin drei Meter groß war und sie nur ein Mädchen von knapp einem Meter fünfzig. „Das Universum war schon gut so, wie die Architektin es erschaffen hat. Und es ist gut so, dass du all das wieder neu erschaffen hast. Und zwar genau so. Denn wenn ich das richtig verstanden habe, haben sich die genau so entwickelt. Und es wäre einfach nicht das Gleiche, wenn du alles optimieren würdest. Aber: Wir brauchen die Pfeiferkinder.“ Susi grinste. Sie war wie ein Terrier, der nicht loslassen konnte.

„Und wie sollen wir entscheiden?“, fragte er leise, während sein Blick durch den Garten wanderte und alle Pflanzen nur noch schöner aufblühten, um sein Auge zu erfreuen.

„Ganz einfach: Lass den Pfeifer entscheiden. Genau dafür hast du ihn doch letztendlich zurückgeholt. Auch wenn du so weit noch gar nicht denken wolltest. Lass ihn weiter hinausziehen und dann wird alles funktionieren.“

Er sah sie an und grinste dann. „Du hast ihn schon losziehen lassen, nicht wahr?“

„Ich?“ Susi schaute ihn vollkommen unschuldig an. „Lady Sonntag war das. Und du weißt doch, wenn ich hier bin, bin ich niemals Lady Sonntag.“ Nein, Lady Sonntag war schließlich eine zweieinhalb Meter große, wunderschöne Frau in einem goldenen Kleid und mit gewaltigen Flügeln. Wenigstens nutzte Susi diese Gestalt am liebsten, wenn sie als Lady Sonntag auftrat. Ansonsten zog sie ihre eigene natürliche Gestalt als Pfeiferkind vor. Als Lady Sonntag besaß sie aber gewisse Fähigkeiten, die die anderen Wochentage nicht hatten und konnte eben auch ihre Gestalt beliebig verändern.

„Aber sie werden nicht zwischen den Ohren gewaschen“, sagte der Neue Architekt entschieden.

„Äh, da muss ich widersprechen.“

„Wieso?“ Er runzelte die Stirn. „Du weißt doch, wie schrecklich das ist.“

„Ja, schon. Aber am Anfang werden ihnen ihre Erinnerungen nur im Weg stehen. Sie werden nach Hause wollen, obwohl das ihr Verderben ist. Und sie werden das Haus besser begreifen, wenn sie sich ganz unvoreingenommen drauf einlassen – einlassen müssen. Und der Doktor – Doktor Samstag – hat sich da eine neue Methode ausgedacht, die gar nicht weh tut.“

Der Neue Architekt seufzte leise. „Du bist für alle Pfeiferkinder verantwortlich, Susi. Kümmere dich gut um sie.“

„Versprochen.“ Susi salutierte fröhlich. „Und jetzt muss ich los und die Neuankömmlinge in Empfang nehmen! Ich hoffe, es klappt alles.“ Und damit flitzte sie auch schon davon und sprang über die nächste Klippe, um mit ausgebreiteten Schwingen in Richtung des nächsten Fahrstuhls davonzusausen.

Der Neue Architekt schaute ihr mit einem Lächeln nach und schüttelte den Kopf. Wie gut, dass das Haus bei Susi und ihren gemeinsamen Freunden in guten Händen war. Dann widmete er sich wieder dem Universum.
 

***
 

Nicht nur Yesins Augen wurden groß, als ein etwa zwölfjähriges Mädchen in einer wild zusammengestellten Uniform den Raum betrat. Seine Jacke passte nicht zur Hose, die Stiefel nicht zu dem Rest und auf seinem Kopf prangte ein Zylinder, der überhaupt nicht als Teil einer militärischen Uniform zu verstehen war.

„Ich bin General Susi Türkisblau“, sagte es fröhlich in die Runde. „Ihr dürft mich General Türkisblau nennen. Oder Susi. Was euch lieber ist.“ Susi schaute sich um und fluchte in Gedanken, als sie die ganzen verängstigten Gesichter sah. Diese elenden Bürger! Man konnte sich nie darauf verlassen, dass sie ihre Aufgaben vernünftig erledigten. Nie!

„Nehmt noch ein paar Kekse und füllt eure Tassen auf.“ Susi lächelte die Kinder an. „Ihr braucht keine Angst zu haben. Ich verspreche euch, dass euch hier niemand etwas tun wird.“

„Hören die großen Leute auf dich?“, fragte ein kleines Mädchen verschüchtert und drehte einen Schokoladenkeks zwischen seinen Fingern.

„Aber sicher! Ich bin schließlich der General.“ Susi zwinkerte ihr ermutigend zu. „Und eigentlich hätten sie auch viel netter zu euch sein sollen, aber es sind Bürger und Bürger vergessen nun einmal die Dinge, die für Pfeiferkinder wie uns wichtig sind.“

„Pfeiferkinder?“, fragte ein asiatischer Junge mit einer großen Narbe im Gesicht.

„Pfeiferkinder.“ Susi nickte energisch. „Ihr seid hierhergekommen, weil ihr dem Pfeifer und seiner Musik gefolgt seid. Genauso wie ich vor vielen, vielen, vielen Jahren. Wir sind uns also sehr ähnlich.“ Sie konnten sehen, wie bei einigen Kindern die Anspannung wich. Nur dieser eine Junge mit der fast schwarzen Haut und dem behinderten Bein fixierte sie noch immer misstrauisch aus seinen dunklen Augen.

„Ich bin Yesin“, sagte er und stellte sich damit als erstes der Kinder vor. Vielleicht wusste dieses Mädchen ja schon, wer er war, aber das war ihm gleich. Sein Name bedeutete die Macht, dass er wenigstens etwas noch wusste. „Bitte sage uns, wo wir hier überhaupt sind.“

Susi nickte. „Das ist eine vernünftige Bitte und der komme ich auch gerne nach. Die einfache Antwort lautet: Ihr seid im Haus. Aber was das Haus eigentlich ist, das ist viel komplizierter. Wisst ihr noch was das Universum ist?“

Zögerliches Kopfnicken, gemischt mit Schulterzucken war die Antwort. Susi war sich nicht sicher, ob das jetzt am Waschen zwischen den Ohren oder dem geringen Bildungsgrad dieser Kinder lag. Das musste sie mit dem Doktor dringend noch einmal besprechen.

„Also, das Universum ist eigentlich alles… In dem Universum gibt es das Haus und die Sekundären Reiche. Die Sekundären Reiche sind…“ Susi stockte. Mist. Arthur hätte das sicher besser hingekriegt. Und sogar die alte Primel wäre darin sicher verdammt gut gewesen. Nur sie war es – natürlich – nicht. Wie blöd.

„Okay, damit ich euch das gut erklären kann, machen wir erst einmal einen Ausflug.“ Sie stand auf. „Folgt mir bitte alle. Ein paar Bürger kommen auch mit, damit wir niemanden verlieren. Aber keine Angst!“ Sie strahlte zuversichtlich in die Runde, während sie sich gleichzeitig wieder blöd vorkam. Sicher, warum sollten diese Kinder keine Angst haben, wenn sie hier quasi Gefangene waren? Und vor allem, wenn sie ihnen keine vernünftige Antwort geben konnte?

Sie verließen den Raum und gingen durch einige steinerne Gänge. Die Pfeiferkinder waren in einer der Burgen von Sir Donnerstag im Großen Labyrinth angekommen. Dort, so hatte Susi entschieden, hatte man einen guten Überblick über alles. Aber vermutlich war das nicht der netteste Ort. Für das nächste Mal würde sie die Gärten aussuchen. Da war es wenigstens hübsch und nicht so furchteinflößend. Aber an so etwas hatte sie gar nicht gedacht. Sie war so dumm!

Die Kinder sahen sich um und Yesin und Marisol flüsterten leise miteinander. Marisol hatte ihre Hand in seine geschoben und hielt sie ängstlich gedrückt. Yesin versuchte Mut und Zuversicht auszustrahlen, obwohl er beides nicht empfand. Es war hier alles so fremd! Er wusste nicht, woher er kam, aber er war sich sicher, dass dort alles anders war als hier!

Es gab noch mehr riesige Menschen, die an ihnen vorüber gingen und sie neugierig ansahen.

„Hallo Donnerstag!“, rief Susi fröhlich, als sie einen großen Saal betraten. Dort stand ein riesiger Bürger in einer gewaltigen Rüstung, der ihnen den Rücken zugewandt hatte. Nun drehte er sich um.

Sir Donnerstag war niemand Geringeres als Montags Morgengrauen, vorher einmal Montags Abenddämmerung. Als der Neue Architekt ihm die Wahl gelassen hatte, welchen der freien Verwalterposten er übernehmen wollte, hatte er sich für das Labyrinth entschieden, weil es ihm am Interessantesten erschienen war.

„Hallo Susi.“ Donnerstag schaute über ihre Schulter und sah die neuen Pfeiferkinder, die sich möglichst fern von ihm hielten. „Wo geht es hin?“

„Ach, wir wollen mal einen Blick in die Sekundären Reiche werfen. Das macht das Verständnis etwas einfacher.“

Donnerstag nickte. Sicher. Das war eine kluge Idee.

„Dann geht am besten ins Untere Haus. Dort hat der Neue Architekt vor kurzem Fenster eingerichtet, um einen besseren Blick nach außen zu haben. Allein aus dem Oberen Haus nach draußen zu blicken, erschien ihm wohl nicht auszureichen.“ Damit hatte der Neue Architekt die Aufgaben des Unteren Hauses etwas verändert. Außerdem hatte er die verworrene Struktur im Unteren Haus gestrafft und ein Abbild von Dame Primus – die aus den verschiedenen Teilen des Vermächtnisses der Architektin bestanden hatte – als Montag eingesetzt. Sie nannte sich Lady Montag und machte ihre Sache bisher ganz passabel. Und im Gegensatz zur alten Primel hatte sie auch noch nicht versucht, Susi irgendwie zu disziplinieren und zu erziehen.

„Geht klar. Danke, Donnerstag.“ Susi lächelte und wies die Kinder an, ihr zu dem nächsten Fahrstuhl zu folgen. Sie kam sich ein wenig vor wie eine Reiseleiterin. „Ach, Donnerstag, schick mir doch bitte fünf von meinen Räubern runter.“ Sie warf einen Blick auf die drei Bürger, die sie begleiteten und verdrehte die Augen. Donnerstag grinste breit und nickte dann.
 

***
 

Staunend betraten die Kinder den riesigen Fahrstuhl, in den sie alle samt problemlos hineinpassten.

Dann ging es in rasantem Tempo abwärts. Die Türen öffneten sich schließlich in die von dem Geruch nach Papier und Tinte geschwängerte Luft des Unteren Hauses. Denn das Untere Haus war quasi die Schreibabteilung des gesamten Hauses.

Sie wurden auch bereits von den angeforderten fünf Räubern – Angehörigen der von Susi gegründeten besonderen Militärtruppe Susis Räuber – erwartet. Edward, Shian, Lucy, Darren und Peter grinsten fröhlich in die Runde. Ihre Uniformen sahen genauso wild aus wie die Susis.

„Ihr könnt dann gehen“, wandte sich Susi an die drei Bürger und entließ sie zu ihren üblichen Pflichten. „Danke für eure Hilfe.“ Und das nächste Mal würde sie garantiert von Beginn an ihre Räuber mit der Betreuung der Pfeiferkinder beauftragen. Die wussten wenigstens, was sie taten. Und auch wenn sie sich alle aufgrund des vielen Gewasche zwischen den Ohren nicht mehr an ihren ersten Tag im Haus erinnern konnten, so hatten sie doch sehr viel mehr Verständnis als die Bürger. Manchmal hatte Susi das Gefühl, dass der Neue Architekt doch wenigstens von den Bürgern eine Version 2.0 hätte erzeugen können. Aber nein, wenn er etwas genauso machen wollte, wie es zuvor gewesen war, dann tat er das nun einmal auch. Sie würde es ihm allerdings auf jeden Fall vorschlagen. Ihr entfuhr ein leiser Seufzer. Hier und da eine kleinere Verbesserung wäre vielleicht gar nicht so übel… Gleichzeitig war sie aber froh, dass nicht sie sich mit diesen Dingen herumschlagen musste. Immerhin liebte sie ja das Übertreten von Regeln.
 

Dass sie jetzt nur noch von Kindern begleitet wurden, sorgte für deutlich mehr Entspannung. Außerdem fand das eifrige Gewusel im Unteren Haus weitaus mehr Interesse als die kargen Festungsgänge im Labyrinth.

Yesin und Marisol sahen sich mit aufgerissenen Augen um und staunten beide über die Betriebsamkeit.

„Wie toll wäre es, lesen und schreiben zu können…“, murmelte Marisol leise und ihre Augen glänzten.

„Och, das kannst du hier lernen, wenn du willst“, sagte Susi, die in der Nähe ging. „Wenn ihr wollt, könnt ihr hier alles Mögliche lernen. Ich schätze, wir können fast alles möglich machen. Wenn ihr zur See fahren oder in einem Hafen arbeiten wollt oder in ferne Länder fahren wollt – die Grenzseen erwarten euch! Wenn ihr Dinge erfinden wollt – willkommen im Reich von Herrn Dienstag! Wenn ihr Tiere und Pflanzen liebt – steigt hinauf in die Unvergleichlichen Gärten! Wenn ihr Gebäude bauen und entwerfen wollt – das Obere Haus erwartet euch! Wenn euer Ziel das Militär ist – Sir Donnerstag und sein Labyrinth habt ihr bereits gesehen! Und wenn ihr beobachten wollt – das tut das ganze Haus!“ Susi hatte die Arme ausgebreitet und mit jedem Wort das ganze Haus symbolisch erfasst. Sie drehte sich um Kreis und lachte dann in die Runde. „Ihr werdet sehen: Ihr könnt hier so ziemlich alles machen, was ihr wollt.“

„Aber“, unterbrach sie Yesin. „Wir wissen immer noch nicht, wo wir sind.“

„Doch. Im Haus.“ Susi funkelte ihn grinsend an. Sie wusste, worauf er hinauswollte – dass sie noch immer Antworten schuldig geblieben war, aber sie konnte auch spitzfindig sein, wenn sie wollte.

Yesin verdrehte die Augen, was Susi nur ein fröhliches Kichern entlockte. Dieser seltsame General, dieses Mädchen, war einfach nur komisch. Sie etwas an sich, was er eigentlich ganz nett und sympathisch fand, aber gleichzeitig ging sie ihm auch unheimlich auf die Nerven. Ein Erwachsener, der klipp und klar sagte, wo der Hase gerade langlief und was hier eigentlich Sache war, wäre ihm weitaus lieber gewesen. Gut, aber da er kein Mitspracherecht hatte, nahm er die Dinge eben so, wie sie kamen. Allerdings würde er ganz genau aufpassen.
 

Endlich kamen sie zu den Fenstern – dem neu eingerichteten Bereich im Unteren Haus. Staunend standen die Kinder vor den Fenstern und konnten sich kaum genug sattsehen. Hier erstreckten sich eine sandige Wüste, dort ein gewaltiger Ozean, da wiederum ein undurchdringlicher Dschungel und woanders eine gewaltige Stadt. Doch die Sekundären Welten bestanden nicht nur aus der Erde. Nein, sie sahen bewohnte Sonnenoberflächen, gasförmige Wesen auf Gasplaneten, Tentakelmonster auf schlammigen Ebenen und, und, und.

„Das“, sagte Susi: „Sind die Sekundären Welten. Dort gibt es alles. Und dort ist auch der Ort, von dem ihr hierhergekommen seid.“

„Und warum hast du uns hierhergebracht?“, fragte Marisol scheu. „Es sieht dort doch wundervoll aus!“ Sie deutete auf das Fenster, das eine hübsche Siedlung in irgendeiner Vorstadt auf der Erde zeigte.

„Weil ihr nicht an den schönen Orten gewesen seid. Sondern weil euch schlimme Dinge geschehen wären.“ Susi war schlagartig ernst geworden. „Es passieren manchmal schlimme Dinge in diesen Welten. Und ich wollte euch davor beschützen. Außerdem brauchen wir euch hier. Dort draußen, da habt ihr keinen Platz. Aber hier, hier drinnen, hier gibt es für euch alle einen Platz. Für jeden einzelnen von euch.“

„Dann erkläre uns doch endlich das Hier“, warf Yesin ein.

„Gerne.“ Susi bedeutete den Kindern um sie herum auf dem Boden Platz zu nehmen. Die Bürger, die die Sekundären Welten nun weiter beobachteten, beachtete sie gar nicht.

„Also, kommen wir nun zu dem Wichtigsten, dem Haus. Denn das ist der Ort, an dem ihr leben werdet. Das Haus besteht aus sieben Etagen. Wir befinden uns gerade in der untersten Etage, dem Unteren Haus. Hier sitzt die Verwaltung des Hauses. Hier werden Schreibarbeiten gemacht, Unterlagen archiviert und hier wird alles organisiert. Die Verwalterin des unteren Hauses ist Lady Montag. Darüber kommen die Fernen Weiten. Hier werden Rohstoffe gewonnen, wie das Nichts, aus dem wir vieles herstellen und aus dem der Neue Architekt wundervolle neue Dinge schaffen kann. Außerdem werden hier alle möglichen Erfindungen gemacht. Der Herrscher hier ist Mr. Dienstag. Als nächstes kommt die Grenzsee, die viele Übergänge in die Sekundären Welten besitzt. Wir versuchen zwar so wenig Kontakt nach außen zu haben wie möglich, aber na ja… Da draußen gibt es viele tolle Dinge! Tee und Keks zum Beispiel.“ Susi grinste in die Runde. Die Kinder hingen regelrecht an ihren Lippen. Einige vielen ihr auf, die besonders aufmerksam waren. Yesin gehörte dazu, das dunkelhaarige Mädchen neben ihm auch. Und noch zwei, drei andere. Ja, das konnten Anführer werden. Susi lächelte vergnügt.

„Über die Grenzsee herrscht Doktor Mittwoch. Danach kommt dann Große Labyrinth, von dem ihr ja schon eine Festung gesehen habt. Das ist das Reich von Sir Donnerstag, der auch die Glorreiche Armee anführt. Es gibt immer wieder Scharmützel mit Nichtlingen, auch wenn der Neue Architekt davon nicht ganz so viel hält. Aber er wollte auch die Armee nicht abschaffen, denn möglicherweise könnte ja wieder irgendetwas passieren, das das Haus und das ganze Universum bedroht – aber das ist eine andere Geschichte“, winkte Susi ab und fuhr dann fort: „Als nächstes haben wir das Reich von Freitag. Das ist das Mittlere Haus. Recht nett anzusehen und so. Zum einen werden von hier die Papiere in das Untere Haus transportiert. Aufzeichnungen und so was halt. Außerdem werden hier Restaurationen von beschädigten Aufzeichnungen durchgeführt. Dann kommt Samstags Oberes Haus. Hier gibt es einen gewaltigen Turm, der bis zu der nächsten Etage hinaufführt. In dem Turm befinden sich die Büros der hauptberuflichen Beobachter. Jeder von ihnen hat eine Kristallkugel und schreibt auf, was er in den Sekundären Welten sieht. Das hier unten ist quasi nur ein kleines Fenster nach draußen. Damit dort oben nicht allzu viel Unsinn passiert. Außerdem bildet Samstag die Hauszauberer aus. Darüber sind die Unvergleichlichen Gärten, die schönsten Gärten, die ihr euch vorstellen könnt. Es ist quasi der Garten Eden. Dort gibt es die wundervollsten Pflanzen und auch einiges an seltenen Tieren. Dort oben ist die Herrin Lady Sonntag. Außerdem findet sich dort oben am häufigsten der Neue Architekt ein.“

Susi atmete tief durch und erklärte dann: „Der Neue Architekt ist der eigentliche Herr des Hauses, aber er hat seine Verwaltungsaufgaben der einzelnen Etagen an seine Verwalter abgegeben. Er ist momentan noch damit beschäftigt, viele von den Sekundären Reichen wiederherzustellen. Er arbeitet eben immer noch den Großen Zusammenbruch auf.“ Großer Zusammenbruch – so wurde die Zeit im Haus genannt, als das Vermächtnis, die Architektin und der Alte wieder verschmolzen waren und sich in Nichts aufgelöst hatten und mit ihnen gleich das gesamte Universum. Nur Arthur war zurückgeblieben und hatte sich als der Herr der sieben Schlüssel auf einmal der Situation gegenüber gesehen, dass er jetzt der Neue Architekt war und das Universum nur auf seine Schöpfung wartete. Susi lächelte bei der Erinnerung. Sie war die erste gewesen, die er zurückgeholt hatte. Und sie hatte ihn, so wie es ihr möglich gewesen war, auf seinem Weg begleitet.

Tja, und nun war sie hier und würde die jüngsten Pfeiferkinder auf den ihren bringen.

„Im Haus gibt es im Endeffekt drei Arten von Einwohnern: Die Bürger, die Pfeiferkinder und die Erhobenen Ratten. Die Bürger wurden von der Architektin erschaffen und vom Neuen Architekten wiedererschaffen. Sie stammen hier aus dem Haus und sind leider etwas unkreativ und festgefahren in ihren Ansichten. Beamten halt.“ Sie zuckte demonstrativ mit den Schultern. „Die Pfeiferkinder – nun, die sind wie ihr eben. Sie wurden vom Pfeifer aus den Sekundären Reichen hergebracht und leben und arbeiten hier. Die Pfeiferkinder sind wichtig, denn sie – ihr! habt Fantasie und Einfallsreichtum. All das, was den Bürgern abgeht. Und hier seid ihr auch unsterblich. Na ja, es sei denn, ihr verletzt euch übel. Denn was Bürger überleben, wird bei Pfeiferkindern eher heikel. Dann sind da noch die Erhobenen Ratten, die vor allem in der Grenzsee leben und die Schiffe von Doktor Mittwoch betreiben. Es sind intelligente Ratten, die in etwa eure Größe haben. Ziemlich abenteuerlustig und gewieft.“ Sie atmete durch. „Das wär’s in etwa.“

Die Kinder schwiegen und verdauten die ganzen Informationen, die Susi ihnen gegeben hatte. Sie schob ihren Zylinder zurecht und kratzte sich am Kopf. „Noch Fragen?“, fragte sie dann grinsend.
 

***
 

Es erschien Susi wie eine Ewigkeit, als sie schließlich in die Gärten zurückkehrte und zwischen gigantischen Orchideen hindurchschritt. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass die neuen Pfeiferkinder so anstrengend sein würden. Sie wünschte sich jemanden her, dass diese ganze Sache besser planen konnte, als sie es getan hatte. Was hatte sie denn bitte geschaffen? Einen Haufen verschreckter Kinder, die sich jetzt allmählich an den Gedanken gewöhnten, eine Runde über die ganze Sache zu schlafen und sich dann durch diverse Tätigkeiten zu probieren, bis sie das fanden, was sie am liebsten machen wollten. Sie schnaubte. Das war bescheuert. Einfach nur bescheuert.

Zornig kickte sie einige Steine vor sich her. Nein, das hier musste sie delegieren. Damit es das nächste Mal besser funktionierte. Sie stemmte die Hände in die Hüften.

„Morgengrauen! Mittag!“, donnerte Lady Sonntags erhabene Stimme durch die Gärten. Es wurde Zeit, dass sich die beiden mal wirklich nützlich machten. Abenddämmerung konnte ja die normalen aufgaben von Morgengrauen und Mittag übernehmen, während diese sich hinsetzten, um einen brauchbaren Plan zu machen, wie man am besten die neuen Pfeiferkinder an das Haus heranführte. Wenn es nach Susi ginge, würden sie ja einfach einzeln ankommen und dann schon irgendwie ihren Platz hier finden. Gut, sie war damals mit einigen anderen gekommen, aber dennoch… Sie hatte schließlich auch ihren Weg gefunden. Sie zog einen Schmollmund. Das war nur die weiche Hand des Neuen Architekten, die ihr gerade das Leben mehr als schwer machte. Und dabei hatte sie doch als Lady Sonntag jeglichen Spielraum, den sie sich nur wünschen konnte. Ihr konnte quasi nur der Neue Architekt sagen, was sie zu tun und zu lassen hatte. Sie machte jetzt die Regeln, was es umso schwieriger machte, diese zu brechen.
 

***
 

Es waren gut zwei Wochen im Haus vergangen, als Susi Türkisblau sich zu ihrer zweiwöchentlichen Sitzung mit den anderen Verwaltern traf. Sie wanderten reihum durch das das Haus und dieses Mal befanden sie sich auf einem von Doktor Mittwochs Schiffen in der Grenzsee. Die Erhobenen Ratten, die das Schiff führten, hatten sie bedient und sich dann zurückgezogen.

Wie so oft gab es Streitigkeiten und Spannungen zwischen den Verwaltern. Zwar hatte der Neue Architekt Freunden diese Position verliehen oder bewusst neue Verwalter geschaffen, die für diese Tätigkeit geeignet waren, aber dennoch war die Zusammenarbeit nicht immer einfach. Susi mochte diese Gespräche nicht besonders. Es wussten auch alle, dass, wenn sie nicht in der Lage sein sollten, ihre Probleme untereinander zu lösen, sich der Neue Architekt einschalten würde und das würde für alle bedeuten, dass sie versagt hatten. Das war natürlich niemandes Ziel. Und außerdem waren sich alle im Klaren darüber, dass Susi dem Neuen Architekten auf jeden Fall über diese Sitzungen Bericht erstatten würde, falls sich alles zu kompliziert gestaltete.

Die Gespräche waren gerade dabei, äußerst zäh und langweilig zu werden, als es an die Tür klopfte und Sonntags Morgengrauen eintrat. „Verzeiht die Störung“, sagte er glatt und verneigte sich anmutig.

„Morgendämmerung, du bist mir mehr als willkommen!“, rief Susi aus und Doktor Mittwoch musste ebenso grinsen wie Donnerstag. Sie beide kannten Susi nicht anders als impulsiv und lebenslustig.

„Wir haben gute Nachrichten über die neuen Pfeiferkinder: Sie haben ihre Aufgaben gefunden und sind zufrieden.“

„Das sind gute Nachrichten. Aber dafür störst du uns doch nicht“, sagte Susi trocken.

„Nein, Herrin Sonntag. Dafür tatsächlich nicht. Es gibt zwei Pfeiferkinder, die sich… andere Tätigkeiten wünschen. Und ihre Wünsche sind so ungewöhnlich, dass Mittag und ich es für angeraten hielten, sie zu Eurer Versammlung zu bringen.“

„Eine gute Idee“, sagte Doktor Mittwoch.

„Bringt sie rein“, ergänzte Susi neugierig und richtete sich auf ihrem Stuhl aus. Ihr fließendes, goldenes Gewand glänzte und ihre Flügel raschelten leise. Sie musste in ihrer Sonntags-Gestalt immer etwas aufpassen, dass sie sich nicht irgendwo stieß oder an irgendetwas mit dem Kleid oder den gewaltigen Flügeln hängen blieb.

Es waren Yesin und Marisol, die von Sonntags Mittag herein begleitet wurden. Lady Sonntag zog eine Augenbraue hoch. Bei Yesin überraschte es sie wenig, dass er sich als nicht einfach unterzubringen unterwies. Er war ziemlich schlau. Marisol hatte sie dagegen hier nicht erwartet. Allerdings erinnerte sie sich auch daran, dass die beiden von Beginn an wohl so eine Art Freundschaft aufgebaut hatten, sodass vielleicht Yesin hinter Marisol die treibende Kraft war,

Die beiden Pfeiferkinder schauten sich unbehaglich um und Susi erinnert sich daran, dass die beiden sie natürlich nicht als Sonntag erkannten. Außer den Verwaltern, ihren engsten Vertrauten Morgengrauen, Mittag und Abenddämmerung und dem Neuen Architekten wusste niemand, dass Susi Türkisblau und Lady Sonntag identisch waren.

„Was sind Eure Wünsche?“, fragte Lady Sonntag freundlich.

„Äh, also…“ Marisol blickte Yesin Hilfe suchend an. Dieser nickte ihr aufmunternd zu und mit mehr Mut und Entschlossenheit in der Stimme sagte das Mädchen: „Vielen Dank für all die Dinge, die ich sehen und ausprobieren durfte, aber… Es ist einfach nichts dabei, was ich tun möchte.“ Sie lächelte verlegen und entschuldigend zugleich. „Ich finde die Erfindungen spannend und ich möchte weiter Lesen und Schreiben lernen, aber… ich möchte etwas anderes machen.“

„Und was möchtest du tun?“ Lady Sonntags wunderschönes und erhabenes Gesicht sorgte nicht gerade dafür, dass Marisols Mut wuchs. Denn riss sie sich zusammen und sprach weiter.

„Ich möchte kochen.“

„Kochen?“ Verblüffung zeigte sich auf den Gesichtern der Verwalter. Essen und Trinken war im Haus nicht notwendig. Daher gab es auch nur den nachmittäglichen Tee mit den Keksen, der allerdings bei den Einwohnern hohe Beliebtheit besaß.

„Ja, kochen.“ Marisol lächelte verlegen. „Ist das… schlimm?“

„Nein, gar nicht.“ Lady Sonntag winkte ab. „Aber wir brauchen hier kein Essen.“ Sie legte die Stirn in Falten und blickte Doktor Mittwoch an. Dieser lächelte und nickte ihr kaum merklich zu. Er ahnte offenbar die Idee, die ihr durch den Kopf ging. „Aber ich glaube, wir können das hinkriegen.“ Sie grinste und auf einmal sah ihr erhabenes Gesicht viel weniger erschreckend aus. „Doktor, haben Sie nicht in einem Ihrer Häfen Platz für eine Küche? Hier kommen doch viele Dinge aus den Sekundären Reichen an. Warum keine Lebensmittel?“

Doktor Mittwoch erwiderte das Grinsen. „Eine hervorragende Idee, Lady Sonntag. Sehr hervorragend. Und ich bin mir sicher, dass Marisols Küche die Begeisterung der Bürger finden wird.“

„Oh, sicher nicht nur der Bürger“, warf Lady Sonntag ein. „Pfeiferkinder und Erhobene Ratten werden das auch lieben. Da bin ich mir sicher.“

„Oh, vielen, vielen Dank, Lady Sonntag!“, rief Marisol aus. „Das ist großartig! Danke, danke, danke!“

Lady Sonntag winkte ab. Das war doch wirklich keine große Sache. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Yesin. Der Junge trug mittlerweile einen Krabbenpanzer an seinem schwachen Bein und konnte dadurch vollständig normal laufen.

„Mylady, ich weiß nicht, ob mein Wunsch ähnlich ausgefallen ist, aber ich würde gerne mit General Türkisblau zusammenarbeiten und mich um die Pfeiferkinder kümmern. Ich denke, ich bin gut in diesen Dingen und wenn Neuankömmlinge kommen, kann ich sicher viel helfen. Außerdem möchte ich mehr über das Haus fahren – und etwas Wichtiges beitragen können.“

Lady Sonntag runzelte die Stirn. Sie wusste, dass Yesin klug war. Und vielleicht war das gar keine schlechte Idee. Yesin war neu im Haus und sah die Dinge immer noch mit den Augen eines Neuankömmlings.

„Du wirst Sonntags Terz“, sagte sie entschieden. „Wir werden sehen, wie das funktioniert.“

„Äh, aber…“

„Oh, du wirst mit Susi zusammenarbeiten.“ Lady Sonntag ließ ihr Susi-haftes Grinsen sehen und zwinkerte ihm zu. „Und zwar enger, als du im Moment denkst.“ Ja, doch, mit Yesin würde es auf jeden Fall interessant werden und alles andere als langweilig.

„Danke.“ Yesin lächelte. Er war gespannt, was auf ihn zukam. Aber auf jeden Fall, war er froh, hier zu sein. Manchmal, da spürte, wie Erinnerungen kamen. Es war nur flüchtige Bilder und kurze Empfindungen, aber diese sagten ihm, dass es ihm hier im Haus besser ging, als es in seiner Heimat der Fall gewesen war. Er hoffte, dass das auch für alle Pfeiferkinder galt, die mit ihm angekommen waren – und die noch kommen würden. Denn wie er gelernt hatte, brauchte das Haus die Pfeiferkinder.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück